Hinz&Kunzt 296 Oktober 2017
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>296</strong><br />
Okt.17<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Grenzerfahrungen<br />
Geflüchtete, Obdachlose, Künstler, Ossis und Wessis:<br />
Was Menschen erleben, die am Limit sind
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Wandkalender 2018<br />
Mein Hamburg:<br />
Verkäufer zeigen ihre Stadt<br />
Zwölf Hinz&Künztler waren unter Anleitung unserer Fotografin<br />
Lena Maja Wöhler auf Fotosafari in Hamburg. Die besten Motive<br />
haben wir in einem DIN A4-Wandkalender verewigt.<br />
Ab jetzt beim Hinz&Künztler<br />
Ihres Vertrauens!*<br />
* 4,80 Euro (davon 2,40 Euro für unsere Verkäufer)
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Inhalt<br />
Grenzerfahrungen<br />
30 Jahre auf der Straße<br />
Demnächst zieht<br />
Dieter ins Seniorenheim.<br />
Der Gesundheit<br />
zuliebe. Was aus den<br />
anderen geworden ist,<br />
die wir in unserer<br />
Winterserie „Kalter<br />
Asphalt“ begleitet hatten,<br />
lesen Sie ab S. 28.<br />
Neben ihm unsere<br />
Fotografin Lena Maja<br />
Wöhler, die die<br />
Hinz&Künztler bei unserem<br />
Kalenderprojekt<br />
(S. 2) unterstützt hat.<br />
In unserem Magazin geht es um Grenzerfahrungen:<br />
Eine deutsche Familie und ein gläubiger syrischer<br />
Flüchtling leben unter einem Dach, ein Hamburger<br />
Sea-Watch-Aktivist erzählt, was er bei der Rettung<br />
von Menschen vor der libyschen Küste erlebt. Und<br />
ein Fotograf wandert durch Deutschland – von West<br />
nach Ost. Unser Titelmotiv hat der Flüchtling Hussein<br />
Ibrahim fotografiert. Für den 25-jährigen Libanesen<br />
drückt es seine Sehnsucht aus: „Frei sein wie<br />
ein Vogel“.<br />
Immer am Limit sind natürlich auch Obdachlose.<br />
Wie Dieter, Bonnie, Clyde und die anderen<br />
Hinz&Künztler, die wir durch den vergangenen<br />
Winter begleitet haben. Aber immerhin ist keiner<br />
von ihnen nachts überfallen oder angegriffen worden.<br />
Schon zum vierten Mal in diesem Jahr brannte<br />
ein Schlafplatz. Ob es jetzt wie in anderen Fällen ein<br />
Brandanschlag war, wird noch ermittelt. Besonders<br />
bitter: Manchmal sind es Obdachlose, die als Täter<br />
ins Visier der Mordkommission rücken. Mögliches<br />
Tatmotiv: Neid auf die Platte (S. 12). •<br />
Ihre Birgit Müller Chefredakteurin<br />
(Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
TITELBILD: HUSSEIN IBRAHIM<br />
Inhalt<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 Unter einem Dach: Ein Deutscher<br />
und ein Syrer erzählen<br />
10 Ein Sea-Watch-Aktivist berichtet<br />
12 Brandanschläge auf Obdachlose<br />
22 Zahlen des Monats: Ossis und Wessis<br />
40 Der Luther für Arme: Bugenhagen<br />
Unter einem Dach<br />
lebten Henning<br />
Sußebach und<br />
Flüchtling Amir<br />
Baitar zusammen –<br />
wie geht es<br />
ihnen jetzt? S. 6<br />
Fotoreportage<br />
14 Mit Dirk Gebhardt durch Deutschland<br />
Lebenslinien<br />
24 Oliver Polak polarisiert mit seinem Witz<br />
28 „Kalter Asphalt“: Was aus Dieter und<br />
den anderen Obdachlosen wurde<br />
30 Drahtseilakt: die Zirkusfamilie Frank<br />
Die Besser-Verdiener<br />
34 Wie der Webstuhl eines Hamburgers<br />
Existenzgründern in Äthiopien hilft<br />
Hinz&Künztler<br />
42 Verkäuferausflug nach Eekholt<br />
Freunde<br />
44 Julia Bauer macht smileshopping.de<br />
Erinnerung an Honecker<br />
im Museum S. 14<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Graphic Novelist Nacha Vollenweider<br />
52 Tipps für <strong>Oktober</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05, 09 Kolumnen<br />
38 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk
Fußball<br />
Merci, Sami!<br />
Warum kauft ein Profifußballer 1200 Eintrittskarten<br />
für ein Spiel, in dem er selbst antritt?<br />
Für das WM-Qualifikationsspiel Deutschland –<br />
Norwegen Anfang September (6:0) in Stuttgart<br />
hat Sami Khedira genau das getan und die<br />
Karten an 15 karitative Einrichtungen verteilt,<br />
darunter das Kinderhospiz Stuttgart, AWO und<br />
SOS Kinderdörfer. So konnten viele Kinder,<br />
die sonst nie die Chance dazu gehabt hätten,<br />
ein Länderspiel live erleben. Autogramme und<br />
Selfies gab’s anschließend noch dazu. LEU<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Santa Fu<br />
Knastkarriere<br />
verhindern<br />
Volkert Ruhe ist Mitbegründer des<br />
Vereins Gefangene helfen Jugendlichen.<br />
FOTOS: IMAGO/MIS (S. 4), KIM LÖFFKA/HARTWIG-HESSE-STIFTUNG (OBEN), HAMBURGER ABENDBLATT/<br />
KLAUS BODIG (UNTEN LINKS), LENA MAJA WÖHLER, KOLUMNE: WWW.GORDONWELTERS.COM<br />
Herzenswunsch<br />
Noch einmal in die Luft gehen<br />
Andreas Stadler (81) und seine Frau Irene (75) waren<br />
22 Jahre lang Hobbyflieger – bis zu seiner Parkinson-<br />
Erkrankung. Doch der Traum vom Fliegen blieb.<br />
Die Aktion „Herzenswünsche erfüllen“ der Hartwig-<br />
Hesse-Stiftung, die er regelmäßig besucht, ermöglichte<br />
dem Paar nun einen Rundflug über Hamburg. LEU<br />
•<br />
Hanseaten des Jahres<br />
Was ist hanseatisch? Bei der Preisverleihung<br />
zum „Hanseaten des<br />
Jahres“ hob die Jury bei Gewinner<br />
Reinhold Beckmann das soziale<br />
Engagement des TV-Moderators<br />
hervor, der mit seinem Verein Nest-<br />
Werk durch Sport- und Freizeitprogramme<br />
Jugendliche fördere.<br />
Preisträgerin Isabella Vértes-<br />
Schütter, Intendantin des Ernst<br />
Deutsch Theaters, hat das Kinderhospiz<br />
Sternenbrücke mit auf den<br />
Weg gebracht. LEU<br />
•<br />
Preisverdächtige Fotos<br />
Mit gleich zwei Fotoserien hat es<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotografin Lena Maja<br />
Wöhler auf die Shortlist des begehrten<br />
Felix Schoeller Photo<br />
Award <strong>2017</strong> geschafft. Ihre Serie<br />
„Brückenbewohner“ über ungewöhnliche<br />
Unterkünfte von<br />
Obdachlosen in Hamburg (oben)<br />
war in der Kategorie Porträt erfolgreich.<br />
Mit ihrer Reportage über<br />
eine Ziegelfabrik in Nepal platzierte<br />
sie sich in der Kategorie Foto-Journalismus.<br />
Wir gratulieren! LEU<br />
•<br />
Sie wollen Jugendliche von<br />
einer kriminellen Laufbahn<br />
abhalten und machen das so<br />
erfolgreich, dass Schulsenator<br />
Ties Rabe ihren Verein<br />
jetzt mit dem Deichmann-<br />
Förderpreis für Integration<br />
ausgezeichnet hat: ehemalige<br />
und noch inhaftierte Strafgefangene<br />
vom Verein Gefangene<br />
helfen Jugendlichen.<br />
Gegründet 1996. Drei Inhaftierte<br />
der Justizvollzugsanstalt<br />
Fuhlsbüttel wollten die<br />
Spirale von schwerer Kindheit,<br />
Drogen und Gewalt<br />
durchbrechen und andere<br />
vor kriminellen Karrieren<br />
bewahren.<br />
Aus der Idee ist ein umfangreiches<br />
Bildungs- und<br />
Präventivangebot erwachsen.<br />
Kernstück sind Knastbesuche.<br />
Mehr als 5000 Jugendliche<br />
waren über die Jahre dabei,<br />
erzählt Volkert Ruhe. Er<br />
selbst saß wegen Drogengeschäften<br />
jahrelang ein. Hinter<br />
Gittern gründeten einige Gefangene<br />
zusammen mit der<br />
Schul- und Justizbehörde den<br />
Verein. „Auf der einen Seite<br />
steht präventive Arbeit“, so<br />
Ruhe. „Auf der anderen Seite<br />
leisten wir Integrationsarbeit<br />
und freuen uns, dass sechs Ex-<br />
Gefangene durch Arbeit im<br />
Verein wieder in Lohn und<br />
Brot stehen.“ JOF<br />
•<br />
Mehr Informationen zum Verein<br />
unter: www.gefangene-helfenjugendlichen.de<br />
5
Unter einem Dach<br />
2015 nahmen Henning Sußebach und seine Familie einen syrischen Flüchtling auf,<br />
Amir Baitar. Sieben Monate lang lebten die fünf zusammen. Über ihre Erfahrungen<br />
schrieben Sußebach und Baitar 2016 ein Buch, manchmal verstörend,<br />
meistens anrührend und oft komisch. Wir wollten wissen, wie es ihnen heute geht.<br />
INTERVIEW: BIRGIT MÜLLER; FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK (2), MIKHAIL VOSKRESENSKY/SPUTNIK/DPA<br />
6
Stadtgespräch<br />
BAITAR (lacht): Weil Hamburg meine Perle<br />
ist (Er hamburgert schon!). Und weil ich<br />
gerne wie in Syrien Mathematik studieren<br />
wollte. Aber es war schwierig, in<br />
Hamburg ein Zimmer zu bekommen.<br />
Deshalb die Rundmail. Dann hat mir<br />
Anne (eine befreundete Flüchtlingshelferin aus<br />
Sachsen) geholfen – und kurz später<br />
erzählt, es gibt drei Familien, die mich<br />
nehmen wollen. Und nach ein paar<br />
Tagen noch eine Familie, die in Ahrensburg<br />
wohnt …<br />
SUSSEBACH: Das war dann wie ein Casting.<br />
BAITAR: Die Familie von Henning hat<br />
Kinder, das fand ich gut. In Syrien habe<br />
ich mit sechs oder sieben Personen gelebt.<br />
Wenn ich nur mit alten Menschen<br />
lebe, das Leben wird grau.<br />
SUSSEBACH (lacht): Wobei „alte Menschen“<br />
bei dir schon mit 26 Jahren anfangen.<br />
In Syrien lag das Durchschnittsalter vor<br />
dem Krieg bei 21 Jahren, in Deutschland<br />
sind es 44 Jahre.<br />
Wie war das denn das erste Mal?<br />
Mit den Kindern und der Familie?<br />
BAITAR: Die haben mich vom Bahnhof<br />
abgeholt, und dann sind wir durch<br />
Ahrensburg gelaufen. Als wir reingingen,<br />
hat mich Nicole den Kindern vorgestellt.<br />
Am Ende haben wir im Wohnzimmer<br />
gesessen, auf dem Sofa lagen<br />
kleine Herzen. Henning hat gesagt:<br />
„Schau mal, was da steht: A M I R.“<br />
Das war so schön. Das hat mein Herz<br />
geöffnet.<br />
Ein bisschen fühlt sich Henning Sußebach wie<br />
ein Vater, wenn es um Amir geht. Amir hatte in Syrien<br />
Mathematik und Informatik studiert. Der 25-Jährige<br />
kann jetzt sein Studium in Hamburg fortsetzen.<br />
Übrigens: Der Name Amir Baitar ist ein Pseudonym.<br />
Baitar will verhindern, dass seine Familie Probleme bekommt.<br />
Sie sind praktizierender Moslem.<br />
War das schwierig?<br />
BAITAR: Ich habe Anne gebeten, dass sie<br />
Henning erzählt, dass ich Moslem bin.<br />
Ich hatte Angst, dass es schwierig werden<br />
könnte. Da wollte ich auf Nummer<br />
sicher gehen. Da hat Henning gesagt,<br />
das ist ihm egal. Dann in der Situation<br />
war es doch schwierig.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Henning Sußebach,<br />
Sie hatten durch eine Rundmail erfahren,<br />
dass ein Flüchtling ein Zimmer sucht.<br />
Wie kam es, dass Sie, Ihre Frau und Ihre<br />
beiden Kinder Amir aufgenommen haben?<br />
SUSSEBACH: Bei meiner Arbeit als Journalist<br />
bei der Zeit hatte ich viel mit Flüchtlingen<br />
zu tun. Das Thema hat mich berührt,<br />
und es hat auch meine Familie<br />
sehr berührt. Vermutlich deshalb haben<br />
wir keine lange Familienkonferenz abgehalten,<br />
sondern recht schnell gesagt:<br />
Wir machen das jetzt mal. In jedem Fall<br />
war es ein gutes Gefühl – wie noch mal<br />
jung sein!<br />
Amir Baitar, Sie waren in Sachsen untergebracht.<br />
Warum wollten Sie nach Hamburg?<br />
7<br />
Sie haben fünf Mal am Tag gebetet.<br />
Damit hatten die Sußebachs wohl nicht<br />
gerechnet. Und Sie wohnten quasi mit<br />
Atheisten zusammen.<br />
BAITAR: Wenn ich mit Henning und der<br />
Familie zusammen war und gesagt habe:<br />
„Entschuldigung, es ist jetzt Zeit für<br />
mein Gebet“, das war schon komisch.<br />
Und vielleicht wäre es leichter gewesen,<br />
wenn sie Christen wären.
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
Amir Baitar kommt aus der Nähe von<br />
Deir ez-Zor im Osten Syriens.<br />
Seit 2011 ist die sechstgrößte Stadt<br />
des Landes hart umkämpft. Lange war<br />
sie in den Händen des IS. Anfang<br />
September durchbrachen Truppen<br />
Assads den Belagerungsring.<br />
„Ich hatte noch nie ein Glas getroffen,<br />
in dem Alkohol war, noch nie!“<br />
AMIR BAITAR<br />
SUSSEBACH: Bei uns hat kein Religionskrieg<br />
stattgefunden. Aber was wohl beide<br />
Seiten irritierte: Wir sind in Freiheit<br />
aufgewachsen – und du, Amir, kamst<br />
aus einer Welt, in der alles reglementiert<br />
ist. Durch einen Diktator, durch<br />
dörfliche Hierarchien und Traditionen<br />
und auch dadurch, dass du es gewohnt<br />
warst, den Koran wortwörtlich auszulegen.<br />
Bis hin zur Schöpfungsgeschichte!<br />
Mir kannst du dagegen vorwerfen, dass<br />
wir verglichen damit quasi regellos sind:<br />
Wir diskutieren alles. Wir fragen die<br />
Kinder „Ist es nicht langsam Zeit, ins<br />
Bett zu gehen?“, anstatt sie einfach ins<br />
Bett zu schicken. Das war das, was<br />
wahnsinnig weit auseinanderlag. Und<br />
du musstest den weiteren Weg gehen,<br />
weil du ja jetzt hier klarkommen willst.<br />
BAITAR: Ich habe versucht, die Familie<br />
nicht zu enttäuschen. Ich wollte mich<br />
von meiner besten Seite zeigen. Das hat<br />
mir Schwierigkeiten gemacht. Im Laufe<br />
der Zeit habe ich mich daran gewöhnt,<br />
dass die Familie offen ist.<br />
Zu offen?<br />
BAITAR: Nicht zu offen …<br />
SUSSEBACH: Als du zu uns kamst, warst du<br />
verschüchtert, weil alles anders war.<br />
Aber da war ja noch ein Problem: Du<br />
hattest zehn Kilo mehr drauf als jetzt –<br />
und als vor deiner Flucht. Wegen der<br />
Zeit im Flüchtlingsheim in Sachsen.<br />
Nur rumsitzen, Tee trinken, warten und<br />
nichts tun – und ich habe das Gefühl,<br />
nicht nur wir waren dir fremd, sondern<br />
du dir selbst auch. Du hast dich nicht<br />
sehr gemocht. Das war eine heikle<br />
Phase.<br />
BAITAR: Aber das weiß ich erst jetzt, weil<br />
jetzt ist der echte Amir wieder da.<br />
Manchmal war es schwierig:<br />
Sie wollten nicht mehr aus den Gläsern<br />
der Familie trinken, weil sie gesehen<br />
8<br />
hatten, dass Henning Sußebach aus einem<br />
davon ein Bier getrunken hat.<br />
BAITAR: Und dann habe ich ihn gefragt,<br />
ob in allen Gläsern schon mal Alkohol<br />
war, und da hat Henning gesagt: keine<br />
Ahnung. In Syrien gibt es wenige Leute,<br />
die Alkohol trinken. Ich habe auf der<br />
Straße nie einen Mann getroffen, der<br />
besoffen war. Und ich hatte vorher<br />
noch nie ein Glas getroffen, in dem Alkohol<br />
gewesen war, noch nie.<br />
Im Koran steht nicht, dass wir daraus<br />
nicht trinken dürfen. Aber die Gelehrten<br />
sagten: Das ist nicht rein. Dann<br />
habe ich gedacht, ich trinke nicht mehr<br />
aus diesen Gläsern. Aber es war auch<br />
unhöflich. Zum Glück hatte ich diesen<br />
Becher von der Sparkasse, aus dem habe<br />
ich dann immer getrunken.<br />
SUSSEBACH: Es wäre leicht gewesen, wenn<br />
es nur unhöflich gewesen wäre. Dann<br />
hätte ich sagen können: dein Fehler.<br />
Vielleicht ist es aber auch unserer. Das
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Drei Fragen von<br />
Amir Baitar*<br />
finde ich bis heute im Umgang mit<br />
Flüchtlingen ganz schwer: Die Grenze<br />
zu sehen, wo bin ich Verteidiger universeller<br />
Werte – mach dich nicht zum Untertan<br />
einer Religion – und wo bin ich<br />
nur überheblich oder gefangen in eigenen<br />
Gewohnheiten? Aber auch: Wann<br />
rate ich dir, dich selbst bedauernswerten<br />
deutschen Bräuchen anzupassen, weil es<br />
für dich in diesem Land sonst problematisch<br />
wird? Oder anders: Sollte ich mir<br />
jetzt sechs Biertulpen kaufen – oder<br />
musst du dich daran gewöhnen, dass<br />
man in Deutschland ein Pils auch mal<br />
aus einem Standard-Glas trinkt? Diese<br />
Fragen haben mich und meine Frau bewegt,<br />
das war anstrengend. Und auf<br />
vieles habe ich bis heute keine Antwort.<br />
Und dann küssen sich Henning Sußebach<br />
und seine Frau Nicole auch noch …<br />
BAITAR unangenehm berührt: Das war eine<br />
andere Geschichte. Aber mit den Gläsern:<br />
Das ist mir inzwischen völlig egal.<br />
Wo ist das Problem, wenn in einem<br />
Glas Alkohol war und es wird danach<br />
gespült? Das ist doch Quatsch.<br />
Ich glaube, bis heute verstehen Sie nicht die<br />
Arbeitsteilung in der Familie Sußebach …<br />
BAITAR: Henning kommt spät nach Hause<br />
und kocht trotzdem … ich meine das<br />
nicht böse, Nicole ist wie eine große<br />
Schwester für mich.<br />
SUSSEBACH: Ich würde niemals sagen, dass<br />
meine Frau weniger arbeitet als ich. Im<br />
Gegenteil! Aber du nimmst vermeintliche<br />
Frauenarbeit nur wahr, wenn ein<br />
Mann sie macht. Wenn ich gekocht habe<br />
und Nicole gleichzeitig auf dem Sofa<br />
Wäsche zusammengefaltet hat, ist dir<br />
nur aufgefallen, dass ich koche.<br />
Amir musste und muss ja hier viel lernen,<br />
um klarzukommen. Gab es auch etwas,<br />
was Sie oder Ihre Familie gelernt haben?<br />
SUSSEBACH: Uns wurde bewusst, was für<br />
ein Glück es ist, jetzt hier in Deutschland<br />
zu leben. Gleichberechtigung, Demokratie,<br />
Meinungsfreiheit – das alles<br />
war für uns vorher selbstverständlich.<br />
Und bezogen auf die Kinder: Sie sind<br />
für die Zukunft gewappnet, sie haben<br />
keine Angst vor Fremden. Denn die<br />
Zukunft wird voller Fremder sein. Und<br />
meine Kinder wissen jetzt: Man muss<br />
nicht nur zuschauen, man kann auch<br />
mitmachen.<br />
Und haben Sie das Gefühl,<br />
hier angekommen zu sein?<br />
BAITAR: Ich lerne jeden Tag die Welt neu<br />
kennen. Das heißt – noch bin ich nicht<br />
angekommen.<br />
SUSSEBACH: Vielleicht war es ein Fehler,<br />
dass du schon ausgezogen bist in eine<br />
kleine Ein-Mann-Wohnung. In der<br />
besten aller Welten wärst du von uns in<br />
eine WG gezogen. Man kann auch einsam<br />
sein, in deiner Bude.<br />
Am liebsten wären Sie ja in eine WG mit<br />
jungen Deutschen gezogen. Auch mit Frauen?<br />
BAITAR: Egal, Hauptsache mit Deutschen.<br />
Aber das hat nicht geklappt.<br />
SUSSEBACH: Zu dem Zeitpunkt, als du ausziehen<br />
wolltest, waren die Deutschen<br />
des Themas müde geworden. Keiner<br />
hat mehr gesagt: „Spitze, komm rein!“<br />
Haben Sie eigentlich inzwischen<br />
deutsche Freunde?<br />
BAITAR LACHT: Ja, einen: Georch (er spricht<br />
das typisch hamburgisch aus).<br />
Oh, ein Hamburger?<br />
BAITAR: Ja, aber seine Mutter kommt aus<br />
Chile.<br />
Sehen Sie beide sich eigentlich noch oft?<br />
SUSSEBACH: Es wird seltener. Das stimmt<br />
mich ein bisschen beklommen, aber<br />
auch glücklich, weil es der Beleg dafür<br />
ist, dass Amir uns nicht mehr braucht.<br />
Ich fühle mich ein bisschen wie ein<br />
Vater: Der Sohn, der als Letzter zu uns<br />
gekommen ist, geht als Erster. Jetzt<br />
kann ich schon mal üben, wie es bei<br />
meinen eigenen Kindern mal sein wird.<br />
BAITAR: Was heißt: „Er braucht uns nicht<br />
mehr.“ Ich brauch euch für immer! •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Unter einem Dach: Ein Syrer und ein<br />
Deutscher erzählen, von Amir Baitar und<br />
Henning Sußebach, Rowohlt, 19,95 Euro<br />
Lesung: 1. November, 20 Uhr, W3,<br />
Nernstweg 32, Eintritt: 7/5 Euro<br />
Amir Baitar: Deutschland hat<br />
doch ein soziales System.<br />
Die Deutschen helfen armen<br />
Leuten, zum Beispiel Flüchtlingen,<br />
obwohl sie keine<br />
Deutschen sind. Warum gehen die<br />
Obdach losen nicht zum Amt?<br />
Sie bekommen doch eine Wohnung<br />
und Arbeit. Wir Flüchtlinge<br />
müssen doch auch nicht auf der<br />
Straße schlafen.<br />
HINZ&KUNZT: Für die Obdachlosen<br />
gibt es eben nicht genügend<br />
Unterkünfte. Das ist ja<br />
das große Problem, warum<br />
manche Obdachlose auch eifersüchtig<br />
auf die Flüchtlinge<br />
sind. Aber die Situation hat<br />
nichts mit den Flüchtlingen<br />
zu tun. Das war schon so,<br />
bevor die Flüchtlinge kamen.<br />
Bitter ist allerdings: Als die<br />
Flüchtlinge kamen und untergebracht<br />
wurden, haben<br />
die Obdachlosen gesehen:<br />
Es geht doch – aber nicht für<br />
uns.<br />
Aber warum gibt es nicht<br />
genügend Unterkünfte?<br />
Weil schlichtweg der politische<br />
Wille fehlt. Eine andere<br />
Erklärung haben wir und die<br />
gesamte Wohnungslosenhilfe<br />
nicht.<br />
Aber AfD und andere nutzen<br />
das doch aus …<br />
Das stimmt einerseits. Aber<br />
der AfD geht es nur um deutsche<br />
Obdachlose. Inzwischen<br />
leben aber nicht nur Deutsche<br />
auf der Straße, sondern<br />
seit der EU-Osterweiterung<br />
auch gestrandete Menschen<br />
aus Polen, Bulgarien und<br />
Rumänien.<br />
•<br />
*Amir Baitar ist ein syrischer<br />
Flüchtling. Der 25-Jährige stellte<br />
die Fragen an Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Chefredakteurin Birgit Müller,<br />
die ihn und Henning Sußebach<br />
zu ihrem gemeinsamen Buch<br />
„Unter einem Dach“ interviewt<br />
hatte.<br />
9
Sea-Watch wurde 2015 gegründet und ist mit zwei Schiffen im Einsatz<br />
im Mittelmeer. Nach eigenen Angaben haben die rund 150 Aktiven im<br />
1. Halbjahr dieses Jahres 5274 Menschen aus Seenot gerettet. Nicolas<br />
Zemke (unten rechts) ist seit anderthalb Jahren dabei.<br />
10
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
„Am härtesten war<br />
der Schlafentzug“<br />
Nicolas Zemke von Sea-Watch über seine Einsätze als<br />
Flüchtlingsretter und die jüngsten Entwicklungen auf dem Mittelmeer.<br />
INTERVIEW: ULRICH JONAS; FOTOS: SEA-WATCH.ORG (5), MAURICIO BUSTAMANTE (1)<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Nicolas, du warst zweimal<br />
als Seenotretter auf dem Mittelmeer unterwegs,<br />
zuletzt im Juni. Gab es eine Situation,<br />
in der du Angst um dein Leben hattest?<br />
ZEMKE: Ja. Einmal sind wir libyschem Militär<br />
begegnet. Das sind Leute mit großen<br />
Waffen, die in der Regel schlecht<br />
ausgebildet sind; da ist es wichtig, ruhig<br />
und respektvoll zu bleiben. Unser Schiff<br />
war mit 500 Menschen so überladen,<br />
dass wir eine Rettungsinsel zu Wasser<br />
gelassen hatten, auf der ich und ein<br />
„Mit jeder Meile<br />
mehr wird es<br />
gefährlicher für die<br />
Menschen.“<br />
weiterer Aktivist mit einer Gruppe<br />
Flüchtlinge saßen. Das ist ein ekliger<br />
Moment, weil du nicht weißt, was passieren<br />
wird – es wurden ja auch schon<br />
Seenotretter beschossen. Weil die italienischen<br />
Behörden über Funk bestätigt<br />
haben, dass wir mit ihrer Erlaubnis vor<br />
Ort sind, haben die Libyer uns dann in<br />
Ruhe gelassen – nicht ohne die Bemerkung,<br />
dass wir uns so nahe an der Küste<br />
nicht wieder blicken lassen sollen.<br />
Gab es Momente, in denen du geglaubt<br />
hast: Ich halte das nicht mehr aus?<br />
Das geschieht nicht so schnell. Du<br />
kommst aus der Situation nicht raus, du<br />
musst funktionieren. Am härtesten war<br />
der Schlafentzug. Einmal waren wir als<br />
Crew deutlich länger als 24 Stunden<br />
am Stück wach. Da wird es gefährlich,<br />
weil die Konzentration nachlässt. Wenn<br />
dann noch viele Menschen an Bord<br />
sind, dürfen die Nautiker keinen Fehler<br />
machen, weil das Boot kentern könnte.<br />
Hast du Tote gesehen?<br />
Ja, bei der Juni-Mission sind wir auf<br />
zwei Wasserleichen gestoßen. Und in<br />
einem der vielen Boote, von denen wir<br />
Menschen retten konnten, lagen auch<br />
einige Verstorbene.<br />
Was hilft in solchen Situationen?<br />
Die Tatsache, dass Hunderte auf dem<br />
Schiff sind, die wir retten konnten.<br />
Wie entwickelt sich die Situation<br />
auf dem Mittelmeer?<br />
Die Zusammenarbeit mit den italienischen<br />
Behörden ist deutlich schlechter<br />
geworden. Und die sizilianische Staatsanwaltschaft<br />
macht Stimmung gegen<br />
Seenotretter.<br />
Euch wird vorgeworfen, dass ihr die<br />
Geschäfte von Menschenhändlern befördert<br />
oder gar mit ihnen zusammenarbeitet.<br />
Wir kooperieren nicht mit denen, wir<br />
halten die auch für Verbrecher. Wir<br />
bieten nur eine Antwort darauf, dass es<br />
keine legalen Fluchtwege nach Europa<br />
gibt. Sobald Europa solche Fluchtwege<br />
eröffnet, wird den Menschenhändlern<br />
das Wasser abgegraben.<br />
Die libysche Küstenwache hat ihre Hoheitszone<br />
kürzlich massiv ausgedehnt und internationalen<br />
Seenotrettern, die dort aktiv sind,<br />
Gewalt angedroht. Was sind die Folgen?<br />
Das ist noch unklar. Rechtlich betrachtet<br />
kann eine Search-and-Rescue-Zone<br />
nicht einseitig ausgeweitet werden,<br />
sondern nur in Absprache mit anderen<br />
Staaten. Wir halten die Maßnahme für<br />
illegal.<br />
11<br />
Die Kollegen von „Sea-Eye“ haben nach<br />
kurzer Pause beschlossen, wieder Einsätze<br />
im Mittelmeer zu fahren, allerdings nun<br />
70 bis 90 Seemeilen vor der libyschen Küste.<br />
Auch andere Organisationen wollen mehr<br />
Abstand halten als zuvor. Was bedeutet das?<br />
Deutlich mehr Tote. Wir sind bei unseren<br />
Einsätzen schon auf Boote gestoßen,<br />
die zwölf Seemeilen vor der Küste am<br />
Sinken waren. Und da die Boote massiv<br />
überladen sind, wird es mit jeder Meile<br />
mehr gefährlicher für die Menschen.<br />
Mitte dieses Monats soll euer neues Schiff<br />
„Sea-Watch 3“ von Malta aus Richtung<br />
libysche Küste starten. Werdet ihr dieselben<br />
Routen fahren wie in der Vergangenheit?<br />
Bislang ist das der Plan.<br />
Ihr geht ein großes Risiko ein bei euren<br />
Einsätzen. Warum machst du das?<br />
Ich fände es falsch, es nicht zu machen.<br />
Europa versagt politisch. Und ich kann<br />
dieses Versagen persönlich ein wenig<br />
mindern. •<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
Soli-Party am 2. <strong>Oktober</strong>, 23.45 Uhr<br />
im Hafenklang, Große Elbstraße 84<br />
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Nicolas Zemke, 26, Software- und Web-<br />
Entwickler, arbeitet seit eineinhalb Jahren<br />
für Sea-Watch. Zuletzt war er fest angestellt.<br />
Seit diesem Monat entwickelt er<br />
mithilfe von Fördergeldern des Deutschen<br />
Zentrums für Luft- und Raumfahrt eine<br />
App, mit deren Hilfe Seenotretter Informationen<br />
austauschen und so schneller<br />
und mehr Menschen retten können.
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
Brandanschläge<br />
auf Obdachlose<br />
Angezündet: Nicht nur ihre Schlafsäcke<br />
verbrannten. Krzysztof (rechts) erlitt<br />
Verbrennungen im Gesicht, Slawomir an der<br />
Hüfte. Wenig später starb Slawomir.<br />
Allerdings nicht an den Folgen des Brandes.<br />
Immer wieder gehen Schlafsäcke von Obdachlosen in Flammen auf. In zwei Fällen sollen<br />
auch die Brandstifter obdachlos sein und aus Neid um einen Schlafplatz gehandelt haben.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTO: JONAS FÜLLNER<br />
Es ist schon wieder<br />
passiert. Am frühen<br />
Morgen des 19.<br />
September wacht<br />
am Steintorplatz in St. Georg<br />
ein 30-jähriger Obdachloser<br />
davon auf, dass sein<br />
Hab und Gut in Flammen<br />
steht. Zum Glück kann er<br />
das Feuer löschen und verletzt<br />
sich dabei nur leicht an<br />
der Hand. Die Polizei vermutet,<br />
dass jemand das Feuer<br />
gelegt hat: „versuchtes<br />
Tötungsdelikt“. Deshalb ermittelt<br />
die Mordkommission.<br />
Schon zum vierten Mal nach<br />
einem solchen Vorfall in diesem<br />
Jahr. Im Januar wurde eine<br />
Obdachlose am Kreuzweg<br />
davon wach, dass Männer an<br />
ihrem Schlafsack zündelten.<br />
Sie entkamen unerkannt.<br />
Wenige Tage später ging in<br />
einem Parkhaus an den Landungsbrücken<br />
die Platte der<br />
Obdachlosen Krzysztof und<br />
Slawomir (siehe Foto) in<br />
Flammen auf. Sie erlitten gefährliche<br />
Verbrennungen und<br />
entkamen dem Feuertod nur<br />
knapp.<br />
Zuletzt hatte im April der<br />
Schlafsack eines Obdachlosen<br />
in der Ernst-Merck-<br />
Straße gebrannt. Glücklicherweise<br />
bemerkte ein Passant<br />
das Feuer und weckte<br />
den Obdachlosen. Gemeinsam<br />
löschten sie laut Polizeibericht<br />
die Flammen. Wenig<br />
später nahm die Polizei im<br />
niedersächsischen Salzgitter<br />
einen Tatverdächtigen fest.<br />
Damit zerschlugen sich vorerst<br />
Befürchtungen, es sei ein<br />
Brandstifter in Hamburg unterwegs,<br />
der gezielt Obdachlose<br />
anzündet: Der 32-jährige<br />
mutmaßliche Brandstifter<br />
ist laut Staatsanwaltschaft<br />
selbst obdachlos. Die Männer<br />
hätten sich zuvor um einen<br />
Schlafplatz gestritten.<br />
Im August erhob sie Anklage<br />
wegen versuchten Mordes.<br />
Urteil: sechs Jahre Haft<br />
Der Brandanschlag auf<br />
Krzysztof und Slawomir an<br />
den Landungsbrücken hat<br />
das Landgericht inzwischen<br />
14 Verhandlungstage lang<br />
beschäftigt. Im September<br />
12
Stadtgespräch<br />
Kommentar<br />
Obdachlosigkeit ist<br />
brandgefährlich<br />
VON BIRGIT MÜLLER<br />
„Das Urteil<br />
hat uns sehr<br />
enttäuscht.“<br />
RECHTSANWÄLTIN ALEXANDRA ELEK<br />
fiel das Urteil gegen den<br />
30-jährigen Obdachlosen Dorian:<br />
sechs Jahre Haft wegen<br />
versuchten Mordes und gefährlicher<br />
Körperverletzung<br />
in zwei Fällen. Er soll auch,<br />
davon sind die Richter überzeugt,<br />
nach einem Streit um<br />
den Schlafplatz den Schlafsack<br />
von Slawomir angezündet<br />
haben. Der Vorsitzende<br />
Richter Stephan Sommer<br />
sprach von einem „Premium-<br />
Schlafplatz“, um den er seine<br />
beiden Bekannten beneidet<br />
habe. Schließlich sei die Platte<br />
in dem Parkhaus verhältnismäßig<br />
geschützt gewesen.<br />
Allerdings gibt es keine<br />
stichhaltigen Beweise dafür,<br />
dass Dorian das Feuer gelegt<br />
hat. Das räumte auch der Vorsitzende<br />
in seiner mündlichen<br />
Urteilsbegründung ein. Aber:<br />
„Unter dem Strich ist klar geworden,<br />
dass es nur der Angeklagte<br />
gewesen sein kann.“<br />
Der Urteilsspruch fußt<br />
auf Indizien: Dorian war in<br />
der Tatnacht von gleich mehreren<br />
Videokameras in Tatortnähe<br />
gefilmt worden – und<br />
zwar „zeitlich minutiös exakt<br />
in dem Moment“, so Sommer,<br />
in dem der Brandstifter dort<br />
entlanggegangen sein musste.<br />
Dorian selbst bestreitet,<br />
das Feuer gelegt zu haben.<br />
Seine Anwältin Alexandra<br />
Elek kritisiert das Gericht<br />
scharf: „Das Urteil hat uns<br />
sehr enttäuscht, die Entscheidung<br />
ist nicht rechtsstaatlich“,<br />
sagt sie. Vor allem, weil ein<br />
Zeuge ihren Mandanten entlastet<br />
hatte. Er hatte den<br />
Brandstifter weglaufen sehen<br />
und vor Gericht ausgesagt,<br />
dass es nicht Dorian war.<br />
Das Motiv, der Neid auf<br />
den Schlafplatz, sei zudem<br />
„komplett erfunden“, sagt Alexandra<br />
Elek. Sie hat vor dem<br />
Bundesgerichtshof Revision<br />
gegen das Urteil eingelegt.<br />
Bis dieser sich des Falles angenommen<br />
hat, bleibt Dorian<br />
in Haft. •<br />
Kontakt:<br />
benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
Wir haben es in diesem Jahr schon vier Mal<br />
erlebt: ein Feuer auf einer Obdachlosenplatte.<br />
Nur durch Glück ist bislang niemand gestorben.<br />
Aber Menschen wurden verletzt. Das ist<br />
eine neue Dimension der Gewalt auf der Straße.<br />
Es macht noch deutlicher: Obdachlose sind<br />
jeden Tag in Lebensgefahr.<br />
Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht<br />
nehmen das sehr ernst. Ein mutmaßlicher Täter<br />
ist zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren<br />
verurteilt worden. In zwei Fällen sollen die Täter<br />
selbst Obdachlose sein. Vermutetes Motiv:<br />
Neid auf einen besseren, trockeneren Schlafplatz.<br />
Das ist schockierend, denn es bedeutet:<br />
Obdachlose werden zu Opfern, weil sie keinen<br />
sicheren Schlafplatz haben. Und Obdachlose<br />
werden zu Tätern, weil sie keinen sicheren<br />
Schlafplatz haben.<br />
Es erscheint logisch, dass die Zahl der<br />
Straftaten steigt. Derzeit leben geschätzt 2000<br />
Menschen in Hamburg auf der Straße. Viele<br />
von ihnen seit Jahren. Sie verelenden immer<br />
mehr. Die Behörde schafft es ebenfalls seit Jahren<br />
nicht, den Menschen ein Obdach zu bieten.<br />
Und das, obwohl derzeit 150 Wohncontainer<br />
eingelagert und weitere 300 Containerplätze<br />
wegen rückläufiger Flüchtlingszahlen frei sind.<br />
Stattdessen sollen Obdachlose ins Notasyl<br />
Pik As gehen. Was keine Dauerlösung ist – und<br />
auch nur für Obdachlose mit einem sogenannten<br />
Rechtsanspruch gilt. Seit der EU-Osterweiterung<br />
stranden aber auch viele Polen,<br />
Rumänen und Bulgaren auf der Straße. Und<br />
die haben nichts – nicht mal die Hoffnung auf<br />
einen Schlafplatz. •<br />
Ihr Makler<br />
aus Altona<br />
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Quer durch<br />
Deutschland<br />
Was hält unser Land zusammen? Wie lebt es sich im Osten,<br />
wie im Westen? Der Fotograf Dirk Gebhardt ist einmal<br />
quer durch Deutschland gewandert, um das zu erkunden.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: DIRK GEBHARDT
Deutscher Wald<br />
wie im Märchen:<br />
Der alte Wagenpfad<br />
bei Kempers höhe im<br />
Oberbergischen.
Dirk Gebhardt nimmt gern<br />
das Fahrrad. Er ist auch<br />
gern mit öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
unterwegs,<br />
und er geht sehr gern zu Fuß, auch längere<br />
Strecken bewältigt er so. Neulich<br />
wurden es 860 Kilometer. Vom westlichsten<br />
Punkt Deutschlands zum östlichsten<br />
Punkt Deutschlands.<br />
Er hat kein Auto, er besitzt ganz<br />
bewusst keinen Führerschein. Dabei<br />
war er schon mal dabei, einen zu machen.<br />
Da war er ein junger Mann, die<br />
obligatorische Übungsfahrt auf der<br />
Autobahn stand an.<br />
„Ich saß in einem VW Golf, der<br />
hatte 85 PS unter der Motorhaube, also<br />
85 Pferdestärken, und ich stellte mir<br />
vor, wie bei uns im Garten 85 Pferde<br />
aufgereiht stehen würden, nur um mich<br />
zu transportieren. Und ich dachte: Das<br />
ist doch bar jeder wirtschaftlichen<br />
Effizienz, das kann doch nicht vernünftig<br />
sein“, erzählt er. Also schaltete<br />
er den Motor des Wagens damals aus,<br />
öffnete die Fahrertür.<br />
Er hat das durchgehalten, das Leben<br />
ohne Auto, es sei nicht weiter<br />
schwierig. Er kann das beurteilen, denn<br />
Dieter Kamps (oben) kämpfte früher in Südafrika<br />
gegen Rassismus. Heute lebt er in der Spiritaner-<br />
Klostergemeinschaft Knechtsteden bei Dormagen.<br />
er war für seine Fotoreportagen schon<br />
weit in der Welt unterwegs: auf Kuba<br />
und in Indien; im Iran, im Libanon<br />
oder in Ruanda. Für den Stern, für den<br />
Spiegel, für das Time Magazine oder<br />
16
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
für die Hilfsorganisation Unicef. „Wenn<br />
du langsam reist, ist das nicht nur entspannter,<br />
du weißt auch immer genau,<br />
wo du bist“, sagt er, der auch als Professor<br />
für Fotografie an der Fachhochschule<br />
Dortmund arbeitet.<br />
Zuletzt ging es einmal quer durch<br />
Deutschland, eine Wanderung in elf<br />
Etappen, zusammen mit seinem Radiokollegen<br />
Jörg-Christian Schillmöller,<br />
„Wenn du<br />
langsam reist,<br />
weißt du genau,<br />
wo du bist.“<br />
mit dem er schon einige Projekte gestemmt<br />
hat. „Wir haben uns eines Tages<br />
gefragt, warum wir uns in fernen<br />
Gegenden recht gut auskennen, aber so<br />
wenig über unser eigenes Land wissen“,<br />
erinnert er sich.<br />
Als das 25-jährige Jubiläum der<br />
Wiedervereinigung vor der Tür stand,<br />
ging es im Herbst 2014 von der niederländisch-deutschen<br />
Grenze bei Isenbruch<br />
erst mal nach Erkelenz, in das<br />
dortige Braunkohleabbaugebiet. Bei<br />
Zons wurde der Rhein per Fähre überquert,<br />
das Bergische Land wurde durchwandert,<br />
das Sauerland durchquert, der<br />
dortige Kahle Asten bestiegen. Über<br />
Kassel ging es durch den Kyffhäuser,<br />
durch die Oberlausitz, bis zum Städtchen<br />
Görlitz und zur Neißeaue, wo die<br />
deutsch-polnische Grenze im November<br />
2015 erreicht war. „Die Richtung<br />
West nach Ost erschien uns passend,<br />
weil ja die Wiedervereinigung vom<br />
Westen dominiert und in den Osten getragen<br />
wurde und nicht umgekehrt.“<br />
Entstanden ist daraus eine Hörfunkserie<br />
und vor allem ein Fotoband mit<br />
eben dem Titel „Quer durch – Deutschland<br />
von West nach Ost“.<br />
Einmal hält Frau Rosi König neben<br />
den Wanderern auf freier Strecke und<br />
nimmt sie 25 Kilometer weit mit. Frau<br />
König, Fahrerin des örtlichen Linienbusses,<br />
die schon als Jugendliche davon<br />
träumte, Busfahrerin zu werden. Die an<br />
der Endhaltestelle in Schmallenberg<br />
zwei Stunden Ruhezeit einlegen muss<br />
und die beiden auf einen Kaffee einlädt.<br />
Schon erfuhren sie mehr über das<br />
Hochsauerland, wo es in den Vorgärten<br />
so adrett aussieht, wo man ein repräsentables<br />
Auto fährt – und oft genug<br />
beim Amt aufstocken muss, weil das<br />
Gehalt vorne und hinten nicht reicht.<br />
Schunkeln und<br />
Singen vereint:<br />
Beim Prinzenfrühschoppen<br />
in<br />
Heggen bei Olpe<br />
finden Rote und<br />
Blaue Funken<br />
zusammen.<br />
Menschen wie Frau König wollten<br />
Gebhardt und Schillmöller treffen, um<br />
zu erfahren, wie man in unterschiedlichen<br />
Regionen Deutschlands jeweils<br />
ganz normal lebt, und keine Politiker<br />
befragen und keine Fachleute interviewen,<br />
die immer schon alles wissen. Mit<br />
ehrenamtlichen Bürgermeistern wollten<br />
sie reden, sich mit Kleingärtnern<br />
über den Gartenzaun hinweg austauschen;<br />
in irgendeiner Grillstube am<br />
Wegesrand einkehren, die örtliche Freiwillige<br />
Feuerwehr aufsuchen und ihr<br />
zuschauen, wie sie Schläuche abrollt<br />
und Schläuche wieder aufrollt. Einmal
Mediziner Michael<br />
Waltenberg beklagt<br />
den Ärztemangel im<br />
Hochsauerland.<br />
Zwei Studenten<br />
der Uni Kassel<br />
haben sich<br />
aus Recycling-<br />
Materialien<br />
einen Wohnwagen<br />
gebaut.<br />
sitzen sie am Vormittag ab 11.11 Uhr<br />
mit den Männern und Frauen des<br />
Karne valsvereins im sauerländischen<br />
Heegen zusammen, also mit den Blauen<br />
und Roten Funken. Die anfangs an<br />
getrennten Tischen sitzen, bis der Alkohol,<br />
die Musik und vor allem das Singen<br />
sie langsam zusammenführen und<br />
Die meisten<br />
Leute sind stolz<br />
auf das, was sie<br />
erreicht haben.<br />
dann nicht mehr loslassen, bis es draußen<br />
längst dunkel ist.<br />
So treffen sie Menschen, die ihnen<br />
für die Nacht ein Gästezimmer zur Verfügung<br />
stellen, ihre Couch im Wohnzimmer,<br />
ihren Wohnwagen, eine Jagdhütte.<br />
Man muss sie nur danach fragen.<br />
Und einmal kommen sie im Anbau<br />
einer Sporthalle für eine Nacht bei syri-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Fotoreportage<br />
schen Flüchtlingen unter; sieben Männer,<br />
die davon träumen, dass sie ihre<br />
Familien nachholen können und später<br />
mit ihnen zurückwollen, wenn nur der<br />
Krieg in ihrem Land zu Ende ist.<br />
„Wir haben kein<br />
Land der<br />
Egomanen und<br />
Egoisten erlebt.“<br />
„Das Gute ist: Wenn dir jemand hilft,<br />
besorgt der meist nicht nur einen<br />
Schlafplatz, sondern organisiert auch<br />
ein Abendessen, ein Frühstück, kümmert<br />
sich um dich, was ein größeres<br />
Vertrauen schafft. Und wenn wir dann<br />
zusammensaßen, haben die Leute frei<br />
von der Leber weg gesprochen“, sagt<br />
Dirk Gebhardt. Nicht zuletzt, weil die<br />
Leute doch meistens sehr stolz auf das<br />
sind, was sie erreicht haben, was sie sich<br />
geschaffen haben an kleinem und größerem<br />
Wohlstand. Weil sie in der Regel<br />
gerne dort leben, wo sie leben – eine<br />
erste, grundlegende Erkenntnis, die beide<br />
im Laufe ihrer Reise gewannen.<br />
Eine andere Erkenntnis: die Karnevalsvereine,<br />
die Schützenvereine, die<br />
Gesangsvereine, die Jagdvereine, die<br />
der Großstädter schnell von oben herab<br />
belächelt, sie halten unser Land zusammen.<br />
„Das Gemeinwohl ist sehr ausgeprägt.<br />
Die meisten Gruppen, die wir getroffen<br />
haben, waren sehr interessiert,<br />
ihr Umfeld positiv zu gestalten“, sagt<br />
Gebhardt. Und ob man das zum eigenen<br />
Vorteil mache oder um die Welt zu<br />
verbessern, sei doch relativ egal. Er<br />
sagt: „Wir haben kein Land der Egomanen<br />
und Egoisten erlebt. Sondern<br />
eines, wo die Menschen einander sehr<br />
zugewandt sind.“<br />
Gibt es nun die großen Unterschiede<br />
zwischen West und Ost, so viele Jahre<br />
1982 starb<br />
Baggerfahrer<br />
Karl-Heinz<br />
Große am<br />
Todesstreifen<br />
in Thüringen.<br />
Seine Arbeitskollegen<br />
(rechts) wurden<br />
damals<br />
bei der<br />
Beerdigung<br />
von der Stasi<br />
registriert.<br />
später? „Als wir damals losgewandert<br />
sind, gab es gerade eine große Debatte,<br />
dass der Osten unseres Landes mehr<br />
rechts und mehr gegen Flüchtlinge eingestellt<br />
sei als der Westen – wir haben<br />
das nicht feststellen können.“<br />
Was in den neuen Bundesländern<br />
auffällig war: In vielen ländlichen Regionen<br />
fehlen die Frauen. „Wir sind in der<br />
Gegend um den Kyffhäuser über die<br />
19<br />
ehemalige innerdeutsche Grenze gestolpert<br />
und hörten gleich von einer Bezirksbürgermeisterin<br />
folgende Aufzählung:<br />
Keine Frauen – bald weniger Kinder –<br />
also müssen Kitas und Schulen geschlossen<br />
werden.“<br />
Und quasi auf der anderen Seite<br />
fehle das Pflegepersonal, weil die Region<br />
überaltert sei und es meistens die Frauen<br />
seien, die in der Pflege arbeiten. „So
Im Grenzmuseum<br />
Schifflersgrund in<br />
Nordhessen (oben)<br />
sind 200 Meter<br />
Todesstreifen zu sehen.<br />
Im thüringischen<br />
Berka (links) wird<br />
das Kreissängerfest<br />
gefeiert. Und in<br />
Sachsen leitet Manfred<br />
Engelmann (unten)<br />
noch immer eine LPG.<br />
haben wir einen Landstrich kennengelernt,<br />
der wenig überlebensfähig<br />
scheint“, sagt Gebhardt.<br />
Und dann wieder laufe es gut in<br />
den neuen Bundesländern und sei auch<br />
schwierig in den alten – vieles sei<br />
gleichzeitig da, und „Gleichzeitigkeit“<br />
wurde ein Stichwort, das ihnen während<br />
ihrer Wanderung immer wieder<br />
einfiel: „Du kommst ins nordhessische<br />
Korbach, da gibt es einen Stadtkantor,<br />
angestellt bei der evangelischen Kirche,<br />
der offen homosexuell lebt. Und gleichzeitig<br />
gibt es in derselben Stadt ein<br />
Kriegerdenkmal, gebaut nach dem<br />
Deutsch-Französischen Krieg, wo sich<br />
zu Hitlers Geburtstag rechte Kameradschaften<br />
treffen und gegen die Demokratie<br />
wettern.“<br />
Bergiger sei die Landschaft nach<br />
und nach im Laufe ihrer Wanderung<br />
geworden, auch grüner. Aber menschlich<br />
gesehen habe sich erstaunlich wenig<br />
verändert. Was sich generell etwa<br />
alle 50 Kilometer ändere, seien die<br />
Bezugsräume, die Menschen nun mal<br />
bräuchten, um sich heimisch zu fühlen.<br />
„Du kommst nach Nordhessen und die<br />
Leute sagen: ,Nee, wir sind keine Nordhessen,<br />
wir sind hier Waldecker‘“, sagt<br />
Gebhardt. „100 Kilometer weiter<br />
kommt Thüringen und die Leute sagen:<br />
20
Fotoreportage<br />
,Was, wir sollen Thüringer sein? Nee, wir sind hier<br />
Eichsfelder.‘“<br />
Was ihre Reise auch durchzog, war das Thema<br />
Armut: „Das fing damit an, dass noch weit im Westen<br />
im Kloster Knechtstedten bei Dormagen der Pater uns<br />
Was ihre Reise<br />
auch durchzog, war<br />
das Thema Armut.<br />
erzählte, dass seine 90-jährige Schwester von Altersarmut<br />
betroffen sei“, erzählt Gebhardt. Und es endete<br />
mit dem Besuch in der Bahnhofsmission in Görlitz, der<br />
östlichsten Stadt Deutschlands. Wo sich die treffen, die<br />
zu den Verlierern unserer Gegenwart gehören. Wo sie<br />
im Jahr mit ihrer Suppenküche 4000 Essen austeilen.<br />
Wo Renate Tietz Teamleiterin ist, ein typisches DDR-<br />
Arbeiterkind, das studieren durfte, am Sorbischen Institut<br />
für Lehrerbildung, die immer erfolgreich berufstätig<br />
war, kein Problem, dass sie fünf Kinder hatte. Bis sie<br />
nach der Trennung von ihrem Mann mit dem Trinken<br />
anfing, glücklicherweise wieder aufhörte und die nicht<br />
vergessen hat, wie schnell man abstürzen kann und wie<br />
schwer es dann ist, wieder auf die Füße zu kommen.<br />
Die Bahnhofsmission von Görlitz erzählt überhaupt<br />
auf ganz eigene Weise von der Geschichte unseres<br />
Landes: Sie ist die erste Mission, die nach der Wiedervereinigung<br />
in Ostdeutschland eröffnet wurde. Genauer:<br />
wiedereröffnet. Denn es gab zu Beginn der DDR<br />
durchaus Bahnhofsmissionen. Die aber bald geschlossen<br />
wurden: Im Staatssozialismus gab es offiziell ja keine<br />
Armut. •<br />
Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />
Dirk Gebhardt<br />
Jahrgang 1969. Er arbeitet als freier<br />
Fotograf für diverse renommierte<br />
Magazine. Seit 2011 ist er Professor<br />
für Bildjournalismus und dokumentarische<br />
Fotografie an der FH Dortmund.<br />
www.dirkgebhardt.com<br />
Das Buch: „Quer durch – Deutschland<br />
von West nach Ost“, Nimbus Verlag, 29,80 Euro.<br />
Über die Reise berichtet auch der Deutschlandfunk unter<br />
www.huklink.de/12maldeutschland mit Texten, weiteren<br />
Fotos und kurzen Videointerviews.<br />
21
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Zahlen des Monats<br />
Die unsichtbare Grenze:<br />
Ostdeutsche<br />
verdienen weniger<br />
6392 Euro<br />
haben Ostdeutsche vergangenes Jahr im Schnitt weniger verdient als<br />
Arbeitnehmer in den West-Bundesländern – und das, obwohl sie<br />
durchschnittlich 74 Stunden mehr arbeiteten. Das besagen Daten der<br />
Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Demnach betrug<br />
der Brutto-Jahreslohn im Osten im Schnitt 27.784 Euro gegenüber<br />
34.176 Euro im Westen. Bei den Jahres-Arbeitsstunden lagen<br />
die Werte bei 1360 (Ostdeutschland) und 1286 (Westdeutschland).<br />
Hamburger verdienten im Bundesländer-Vergleich mit Abstand am meisten:<br />
39.678 Euro betrug hier der Brutto-Durchschnittslohn. Am wenigsten bekamen<br />
Arbeitnehmer in Mecklenburg-Vorpommern mit durchschnittlich<br />
26.692 Euro – das ist fast ein Drittel weniger. Schleswig-Holstein bildet mit<br />
29.422 Euro das Schlusslicht der West-Bundesländer, liegt aber noch vor<br />
Ost-Spitzenreiter Brandenburg, wo der Durchschnittslohn 28.118 Euro betrug.<br />
Zwar stiegen die Löhne nach der Wiedervereinigung im Osten zunächst<br />
deutlich. Doch wird die Lohnlücke seit Anfang der 2000er-Jahre<br />
nicht mehr kleiner. Ursachen dafür sind laut Wissenschaftlern die<br />
im Vergleich geringere Produktivität ostdeutscher Betriebe und der Umstand,<br />
dass Tarifverträge weniger verbreitet sind als im Westen. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: ESTHER CZAYA<br />
Mehr Infos im Internet unter www.huklink.de/tarifloehne<br />
23
Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
Der Meister<br />
aller Krassen<br />
Oliver Polak macht Witze über Hitler, Behinderte und sich selbst.<br />
Der jüdische Stand-up-Comedian verschont niemanden. Eine Annäherung.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: GERALD VON FORIS (RECHTS),<br />
WDR/SEO ENTERTAINMENT GMBH<br />
Wie erklärt man jemandem,<br />
der noch nie von<br />
Oliver Polak gehört hat,<br />
wer Oliver Polak ist?<br />
Man könnte es so versuchen: einer der<br />
furchtlosesten Künstler Deutschlands.<br />
Ein 41-Jähriger, der sein Leben für die<br />
Kunst ausschlachtet. Rücksichtslos ist.<br />
Vor allem gegen sich selbst. Polak<br />
macht sich komplett nackig – nicht nur<br />
auf Tourplakaten, auch seelisch.<br />
Polak ist Stand-up-Comedian, wobei<br />
es diese Spezies seiner Meinung<br />
nach in Deutschland gar nicht gibt, er<br />
orientiert sich da eher an amerikanischen<br />
Vorbildern: Comedians wie Godfrey,<br />
Dave Attell, Nick Griffin – kennt<br />
hier kaum jemand, egal. Leute, die sich<br />
trauen, über Grenzen zu gehen. Polak<br />
will es mit seinem Humor auch wissen.<br />
Deshalb geht er dorthin, wo es weh tut.<br />
Er will die Menschen aus ihrer Komfortzone<br />
reißen. Bis einer lacht.<br />
Sein erstes Programm hieß „Jud<br />
süß-sauer“. Er, der Jude, riss Witze über<br />
Beschneidungen und schleppte Schäferhunde<br />
aus Pappe mit auf die Bühne,<br />
um deren Hals Davidsterne baumelten.<br />
Vor ihm hatte es noch keiner gewagt,<br />
Witze über das deutsch-jüdische Verhältnis<br />
zu machen. Das Publikum reagierte<br />
verunsichert. „Darüber macht<br />
man nun wirklich keine Witze!“, riefen<br />
sie. Nicht wenige zuckten, wenn Polak<br />
sie mit „Meine Damen, meine Herren,<br />
liebe Herrenrasse“ begrüßte. Später<br />
schrieb er das Buch „Ich bin Jude, ich<br />
darf das“. Er erzählt darin von seinem<br />
Aufwachsen als Sohn der einzigen, jüdischen<br />
Familie im emsländischen Papenburg.<br />
Von seinem Vater, der sieben Jahre<br />
in KZs überlebt hat, von den vielen anderen,<br />
die es nicht überlebten, von der<br />
Grundtraurigkeit in seinem Zuhause,<br />
von der feindlichen Umgebung draußen,<br />
die ihm ständig spiegelte: Du<br />
gehörst nicht dazu.<br />
Als er sich einmal eine Glatze rasierte<br />
und mit Doc Martens nach Hause ins<br />
Wohnzimmer gestiefelt kam, sagte sein<br />
Vater: „Oh Gott, der Junge sieht aus<br />
wie ein Skinhead!“ Seine Mutter hingegen<br />
sagte: „Oh Gott! Der Junge sieht<br />
aus wie ein KZ-Häftling!“<br />
„Das Goofy-mäßige, den Slapstick<br />
habe ich eher so von meinem Vater und<br />
das Harte, Scharfe habe ich von meiner<br />
Mutter“, sagt Oliver Polak. Er sitzt auf<br />
der Terrasse des Hotel Lindner in seiner<br />
Oliver-Polak-Uniform: Jogginghose,<br />
Sweater mit Markenprint, schwarze, dicke<br />
Brille. Heute würde er das Buch<br />
nicht mehr schreiben, sagt er. „Ich würde<br />
die Geschichten für einen Stand-up<br />
nutzen. Man kann über alles sprechen,<br />
das weiß ich jetzt.“ Bald geht er mit<br />
einem neuen Programm auf Tour.<br />
Sein erstes Programm spielte er<br />
mehr als 150-mal: Immer volles Risiko,<br />
immer alles zeigen, alle herausfordern.<br />
Irgendwann nannten ihn Kritiker „Berufsjude“.<br />
Er hasste es. Er hasste, dass<br />
Zuschauer ihn als Alibi benutzten, lautstark<br />
über den Holocaust lachen zu<br />
dürfen, er hasste es, dass andere ihn für<br />
„Das Harte, Scharfe habe ich<br />
von meiner Mutter.“<br />
OLIVER POLAK<br />
seine Witze hassten. Polak ging für acht<br />
Wochen in die Psychoklinik, Diagnose:<br />
Depression. Er schluckte Psychopharmaka<br />
und nahm dadurch 30 Kilo zu,<br />
fühlte nichts mehr und schrieb doch<br />
alles auf: Best Of Versagensängste<br />
(„Der jüdische Patient“). Ein Witzbold<br />
kommentierte auf Amazon: „Ein super<br />
Buch für den Strandurlaub!“<br />
Man könnte jemandem, der Oliver<br />
Polak nicht kennt, auch so erklären, wer<br />
das ist: einer der am meisten missverstandenen<br />
Männer Deutschlands. Er<br />
provoziere nur, sagen seine Kritiker.<br />
Einmal spielte er Hitler in einem Video<br />
der Rapper K.I.Z.: „Widerliche Effekthascherei“,<br />
ätzte „Die Welt“. Er nutze<br />
in seiner Sendung „Applaus und Raus!“<br />
24
Auffällige Type, nicht nur<br />
klamottentechnisch:<br />
der 41-jährige Stand-up-<br />
Comedian Oliver Polak.
Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
In der Sendung „Das Lachen der Anderen“ treffen Polak und Autor Micky Beisenherz<br />
auch Kleinwüchsige. Die Idee: Jede Randgruppe hat das Recht darauf, verarscht zu werden.<br />
einmal den Hashtag „GastoderSpast:<br />
Menschenverachtend“, sagten zwei<br />
Grimme-Preis-Juroren und distanzierten<br />
sich öffentlich von dem Preisträger.<br />
Polak versteht es bis heute nicht: „Wenn<br />
ich ,Digger‘ und ,Alter‘ sage, dann will<br />
ich damit ja auch nicht dicke und alte<br />
Menschen diskreditieren“, sagt er und<br />
zieht an seiner Zigarette.<br />
Wenn man jemandem erklären will,<br />
wer Oliver Polak ist, könnte man es<br />
auch damit versuchen: Er ist ein<br />
Mensch, der sich für andere interessiert.<br />
Nur langweilen dürfen sie nicht. Dann<br />
würde man ein paar Folgen von „Das<br />
Lachen der Anderen“ auf WDR gucken.<br />
Darin besucht Polak mit seinem<br />
Freund, dem Comedy-Autor Micky<br />
Beisenherz, Menschen, die auch irgendwie<br />
anders sind: Kleinwüchsige, Blinde,<br />
Öko-Hippies, Multiple-Sklerose-Kranke.<br />
Drei Tage lang hängen sie zusammen<br />
ab. Polak hört viel zu, er stellt Fragen,<br />
die viele Journalisten zu naiv<br />
fänden, aber es sind oft genau die Fragen,<br />
die sich sonst keiner zu stellen<br />
traut. Einen Kleinwüchsigen fragt er,<br />
wie der das mit dem Sex so hinkriegt,<br />
welche Stellungen denn da am vorteilhaftesten<br />
wären? Am Ende jeder Folge<br />
macht Polak einen Stand-up. Vor den<br />
MS-Kranken sagt er: „Wenn am Ende<br />
keiner lacht, dann kann ich es immer<br />
noch auf das Erschöpfungssyndrom<br />
schieben!“ Die Betroffenen lachen sich<br />
„Man kann<br />
über<br />
alles Witze<br />
machen.“<br />
OLIVER POLAK<br />
schlapp. Er nimmt diese Menschen<br />
ernst, deshalb macht er Witze über sie.<br />
Das leuchtet vielen nicht ein.<br />
Man könnte Oliver Polak auch so<br />
zu erklären versuchen: Er ist einer der<br />
warmherzigsten Männer Deutschlands.<br />
Dazu muss man nur einen seiner Texte<br />
über Musik lesen. Polak schreibt über<br />
Musik besser als die meisten, die das<br />
26<br />
hauptberuflich tun. Es ist zum Haarausreißen!<br />
Die Musik hat ihm den<br />
Arsch gerettet, damals in Papenburg. Er<br />
war elf Jahre alt, als er Udo Jürgens das<br />
erste Mal live sah. Seine Mutter hatte<br />
ihn herausgeputzt: weiße Hose, weißer<br />
Gürtel, weißes Lacoste-Poloshirt,<br />
schwarze Lackschuhe: Jürgens begann<br />
zu singen, und Polak verliebte sich. Es<br />
gab da draußen doch jemanden, der<br />
ihn verstand. Als er von Jürgens’ Tod<br />
erfuhr, heulte er auf offener Straße, als<br />
wäre ein Familienmitglied gestorben.<br />
Später kamen drei Norweger, die<br />
ihre Gitarren so spielten, als würden sie<br />
in der Sekunde sterben, in der sie sie<br />
wieder loslassen: Motorpsycho heißt die<br />
Band. „Und immer wieder dieser Bass.<br />
Laut, tief, angezerrt, treibend, begleitend.<br />
Der Bass, der mich seit Jahren<br />
durch mein Leben treibt, schubst, mir<br />
hilft beim Wiederaufrichten“, hat er in<br />
der „Welt“ über sie geschrieben. Aber<br />
Polak liebt auch Phil Collins, auf völlig<br />
unironische Weise. Einen Konzertbericht<br />
für die „SZ“ überschreibt er mit:<br />
„Wo er singt, da ist zu Hause“. Ein halbes<br />
Jahr habe er auf diesen Abend<br />
gewartet: „Collins ist an diesem Abend
Lebenslinien<br />
Hingabe, Güte, Liebe, Wärme, das pure Leben.“<br />
Schreibt so jemand, der Menschen verachtet?<br />
Man könnte jemandem, der Oliver Polak nicht<br />
kennt, Oliver Polak auch so erklären: Er hat einen<br />
Hund. Wie jeder Hundemensch liebt er seinen Hund<br />
über alles. Er postet Hunderte von Fotos von ihm in<br />
den sozialen Netzwerken. Er lässt ihn im Bett schlafen.<br />
Arthur ist ein schwarzer, knopfäugiger Terrier-Mischling,<br />
elf Jahre, „schon ein alter Herr“, sagt Polak.<br />
„Der Hund gibt<br />
mir ein bisschen<br />
mehr Struktur.“<br />
OLIVER POLAK<br />
Eigentlich gehörte er seiner Ex-Freundin, aber seit<br />
acht Monaten gehört er zu Polak und Polak zu ihm.<br />
„Der ist wie so ein … na ja, Pflaster ist jetzt übertrieben,<br />
der gibt einem auch ein bisschen mehr Struktur.<br />
Er hat nur ein Problem mit mir: Weil ich selber so<br />
leicht hypochondrisch bin, muss er auch drunter leiden.<br />
Immer, wenn etwas Kleines ist, renne ich sofort<br />
zum Tierarzt, und der Hund denkt bestimmt: ,Oh<br />
nein, nicht schon wieder ein Thermometer in den<br />
Arsch gesteckt bekommen.‘“ Was Hunde halt so denken,<br />
deren Menschen sich um sie sorgen.<br />
Man könnte jemandem, der Oliver Polak nicht<br />
kennt, auch einfach sagen: Guck’ halt sein neues Programm<br />
an! Es heißt „Über alles“, und er kommt jetzt<br />
damit auf Tour. Nach Jugend und Kindheit, Einsamkeit<br />
und Depression ist jetzt einfach alles das Thema.<br />
„Die Leute sagen ja immer, man braucht ein Thema<br />
für eine Show. Ich bin ja das Thema“, sagt Polak. Er<br />
wird über Hass, Pädophilie, Antisemitismus, Behinderte,<br />
Deutschland, die AfD und Sodomie reden – Themen<br />
eben, bei denen Mario Barth die Bierflasche aus der<br />
Hand kippen und er sich unter dem Rockzipfel seiner<br />
Freundin verstecken würde. „Ich mache nur Witze“,<br />
sagt Polak. Man könne über alles Witze machen, sagt<br />
er noch, „im besten Falle sind sie lustig“. Dann lächelt<br />
er, der Meister aller Krassen.<br />
Und mehr muss man über Oliver Polak jetzt auch<br />
nicht erklären. •<br />
Mieterhöhungsmigräne?<br />
Unser Rat zählt.<br />
Beim Strohhause 20<br />
mieterverein-hamburg.de<br />
im Deutschen Mieterbund<br />
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Für mehr soziale Wärme<br />
und eine klimaschonende<br />
Strom- und Wärmeversorgung.<br />
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Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Über alles, Stand-up-Comedy mit Oliver Polak,<br />
Sa., 21.10., 19 Uhr, Uebel&Gefährlich, Feldstraße 66,<br />
Eintritt: 20,50 Euro.<br />
Mehr Infos: www.oliverpolak.de<br />
27
Zum Glück haben<br />
sich die beiden:<br />
Bonnie und Clyde<br />
machen noch<br />
immer Platte.<br />
An Grenzen stoßen –<br />
und weiterleben<br />
Für viele Hinz&Künztler war der vergangene Winter eine Belastungsprobe.<br />
In unserer Reihe „Kalter Asphalt“ haben wir einige von ihnen begleitet – durch Höhen<br />
und durch Tiefen, die sie an die Grenzen ihrer Kräfte brachten. Wie haben diese<br />
Erfahrungen ihr Leben verändert, was wurde aus ihnen?<br />
TEXTE: ANNABEL TRAUTWEIN, JONAS FÜLLNER<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
Schmerzhafte Verluste bringen<br />
Bonnie und Clyde an ihr Limit<br />
Bonnie und Clyde schlafen nach wie<br />
vor auf ihrer Platte im Eingang von<br />
Peek&Cloppenburg in der Mönckebergstraße<br />
– „unser Zuhause“, wie sie<br />
es nennen. Dass es anstrengend und<br />
manchmal gefährlich ist auf dem kalten<br />
Asphalt, finden die beiden kaum nennenswert.<br />
Viel wichtiger ist für Bonnie<br />
und Clyde: Sie sind wieder allein. Ohne<br />
Hund. Ohne Schützling, um den sie<br />
sich kümmern können, der ihnen eine<br />
Aufgabe gibt, Halt und auch ein bisschen<br />
Stolz. Was das bedeutet, zeigte<br />
sich im vergangenen Winter. Erst ein<br />
unfassbares Glück. Sie bekamen den<br />
Mischling Jack geschenkt – dann stand<br />
die Polizei vor der Tür. Der Hund hatte<br />
der Schenkerin gar nicht gehört. Das<br />
brachte Bonnie und Clyde an die Grenze<br />
des Erträg lichen. Schweren Herzens<br />
gaben sie „ihren“ Hund zurück. Gut,<br />
dass sie sich haben! Dann nahmen sie<br />
wieder einen Hund auf, den Welpen<br />
Wolfi, waren wieder glücklich zu dritt –<br />
28<br />
bis nach fünf Wochen neuer Ärger aufkam.<br />
Wütend erzählen sie: Eine Tierärztin<br />
habe Wolfi beschlagnahmt.<br />
„Aber wir können es nicht beweisen“,<br />
räumt Bonnie ein. Die Tierärztin bestreitet<br />
das.<br />
Inzwischen wirken die beiden resigniert.<br />
„Was bringt mir das Kämpfen?<br />
Ich will das lieber komplett vergessen“,<br />
sagt die sonst so zähe Bonnie. Immer<br />
wieder Trennungsschmerz, das ist selbst<br />
für sie zu viel. „Wir überlegen, ob wir<br />
uns überhaupt noch mal einen Hund
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
anschaffen“, meint Clyde. Stattdessen<br />
wollen die beiden sich nun um einen<br />
Wohncontainer für Paare bemühen,<br />
kündigt Bonnie an. „Und wenn das<br />
nicht klappt, gehen wir wieder ins<br />
Winternotprogramm.“<br />
Dieter krempelt sein Leben<br />
um – notgedrungen<br />
30 Jahre lang hatte Dieter auf der Straße<br />
gelebt, ganz auf sich gestellt – „unabhängig“,<br />
wie er es nannte. Bis er im<br />
<strong>Oktober</strong> 2016 bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> auf seinem<br />
Hocker sitzen blieb und sich nicht<br />
mehr auf seine Platte traute. „Ich kann<br />
nicht mehr“, sagte er ganz zögerlich.<br />
„Ich hab das Gefühl, dass mir was<br />
zustößt.“ Und er hatte recht: Für Dieter<br />
ging es um Leben und Tod. Sein Herz<br />
machte nicht mehr mit. Hätte er weiter<br />
auf der Straße übernachtet, wäre er<br />
wohl gestorben. Aber wo sollte er hin?<br />
„Es ist irre, was sich bei mir alles<br />
verändert hat“, sagt der 65-Jährige heute.<br />
Sein großes Glück: Er fand eine<br />
Bleibe, lebt nun in einer Kirchenkate in<br />
Volksdorf, zum Glück zusammen mit<br />
Hinz&Künztler Herbert. Der war für<br />
ihn da, als es neulich wieder bergab<br />
ging. Dieter stürzte, brach sich das Bein<br />
und musste ins Krankenhaus. Herbert<br />
besuchte ihn, kümmerte sich um seine<br />
Wäsche, kaufte für ihn ein. Jetzt ist Dieter<br />
wieder zu Hause, mit Rollstuhl.<br />
Wenn er in die Stadt muss, zum Arzt<br />
oder zum Einkaufen, ist sein Mitbewohner<br />
zur Stelle. „Ich bin froh, dass<br />
ich den Herbert habe, der mir hilft“,<br />
sagt Dieter.<br />
Es geht langsam wieder voran. „Ich<br />
habe keine Schmerzen, das ist schon<br />
mal gut“, sagt Dieter. Doch alles alleine<br />
machen und so unabhängig sein wie<br />
früher auf der Straße – das ist nicht<br />
mehr drin. Auch wird er nicht dauerhaft<br />
in der Kirchenkate bleiben können.<br />
Doch es gibt Neuigkeiten: Dieter<br />
hat einen Platz im Seniorenheim in<br />
Aussicht. Er hofft auf ein Zimmer mit<br />
Küche und Bad. „Das wäre toll, wenn<br />
das klappt“, sagt Dieter. „Nun muss ich<br />
abwarten.“<br />
Krzysztof, Marek und „Papa“<br />
sind zurück auf der Straße<br />
Als wir Krzysztof im Frühjahr ein letztes<br />
Mal trafen, hatte der 49-Jährige<br />
Pole gerade eine Wohnung gefunden.<br />
Nicht nur das. Er stand kurz davor, Arbeitslosengeld<br />
zu erhalten. Wir hatten<br />
die leise Hoffnung, dass er mit dem<br />
Trinken aufhört. Das hat er nicht geschafft,<br />
wissen wir inzwischen. Krzysztof<br />
ist zurück auf der Straße und macht<br />
genauso wie Marek und „Papa“ wieder<br />
Platte. Hinz&<strong>Kunzt</strong> verkaufen sie derzeit<br />
nicht mehr. „Papa“, den Ältesten<br />
aus der Gruppe, trifft man jetzt gelegentlich<br />
auf St. Pauli mit Plastiktüten<br />
voller Pfand an.<br />
Stefan schaffte es von der<br />
Straße bis in die deutsche<br />
Nationalmannschaft<br />
Nur aus der Ferne verfolgen wir noch<br />
die „Karriere“ von Stefan. Unser Verkäufer<br />
wurde in den Kader der deutschen<br />
Straßenfußball-Nationalmannschaft<br />
der Wohnungslosen berufen und<br />
nahm mit seinem Team von der Hamburger<br />
Diakonie an der Deutschen<br />
Meisterschaft teil. Bei dem Turnier in<br />
Nürnberg verletzte er sich allerdings am<br />
Fuß und musste daraufhin seine Teilnahme<br />
am Homeless World Cup – der<br />
Fußball-Weltmeisterschaft der Wohnungslosen<br />
– absagen. Die Verletzung<br />
muss für den fußballverrückten Rumänen<br />
ein absoluter Tiefschlag gewesen<br />
sein. Abseits des Platzes vernehmen wir<br />
allerdings nur gute Nachrichten von<br />
dem 28-Jährigen. Er ist auf Jobsuche,<br />
und es sieht so aus, als sollte es endlich<br />
einmal klappen. Seine Freundin wiederum<br />
durchläuft gerade eine Jobcentermaßnahme<br />
und hat zudem im Frühsommer<br />
eine eigene Wohnung gefunden. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Wir da draußen<br />
Auch im kommenden Winter begleitet<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> Obdachlose durch die kalten<br />
Monate – in den Containern des Winternotprogramms,<br />
in Unterkünften oder auf<br />
den Straßen. Mit Beginn des städtischen<br />
Erfrierungsschutzes im November startet<br />
unsere neue Reihe „Wir da draußen“.<br />
„Ich kann nicht mehr“, hatte Dieter letztes Jahr im <strong>Oktober</strong> gesagt. Nach 30 Jahren<br />
auf der Straße wurde er schwer krank. Jetzt geht es ihm zum Glück wieder besser.<br />
29
Ohne Netz und<br />
doppelten Boden<br />
Beim Zirkus geht es fi nanziell immer ums Überleben.<br />
Und die Artisten setzen täglich ihre Gesundheit aufs Spiel.<br />
Ein Besuch bei Hamburgs ältestem Zirkus.<br />
TEXT: BIRGIT MÜLLER<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Fliegen ohne Absicherung –<br />
das ist Magie, finden<br />
die meisten Artisten.<br />
Auch Manjana. Die Akrobatin<br />
ist erst 15 Jahre alt.
Lebenslinien<br />
Lachen, bis der Vorhang fällt: die Clowns<br />
Benito (links) und Daniel. Charleen Sperlich<br />
ist die Enkelin von Harry Frank, der vor 48<br />
Jahren seinen eigenen Zirkus gegründet hat.<br />
Und dann gibt es sie wirklich,<br />
die Grenzerfahrung. „Wir<br />
haben völlig vergessen, dass<br />
ihr kommt“, sagt Charleen<br />
Sperlich, Enkelin des Zirkusgründers<br />
Harry Frank. Ihr Vater Harry Helmut<br />
hatte einen schweren Unfall. Nicht mal<br />
in der Manege. Er wollte das Stalldach<br />
im Winterquartier reparieren und ist<br />
durchgebrochen. Jetzt liegt er im Krankenhaus<br />
– im Koma. Davor hatte sich<br />
schon Charleens Mann die Schulter<br />
verletzt und kann vorerst nicht mehr<br />
die Luftnummer machen. Alles menschlich<br />
schlimm, aber so etwas kann sich<br />
auch finanziell katastrophal auswirken.<br />
Doch wofür hat man Familie? Aus<br />
Mecklenburg-Vorpommern ist Charleens<br />
Schwägerin Desirée angereist –<br />
mit ihrem Mann Siegfried und ihren<br />
Kindern Manjana (15) und Benito (16).<br />
„Eigentlich wollten wir nur drei Tage<br />
bleiben, weil wir wissen wollten, wie es<br />
ihnen hier jetzt geht“, sagt Desirée.<br />
„Aber jetzt, wo das mit Charleens Vater<br />
passiert ist, bleiben wir natürlich.“<br />
Nicht nur das: Siegfried (Künstlername<br />
Don Ricardo) und Manjana haben die<br />
Luftnummer übernommen.<br />
Ganz klar: Die Show muss weitergehen.<br />
So war das immer. Das wusste<br />
Charleen schon als kleines Mädchen.<br />
Väterlicherseits sind ihre Vorfahren alle<br />
Zirkusleute. Seit Generationen. Mütterlicherseits<br />
ist das anders. „Meine Mutter<br />
kam aus der DDR, von der Kirmes.“<br />
Wer in eine<br />
Zirkusfamilie<br />
einheiratet, muss<br />
mitmachen.<br />
Sie hat dort das Glücksrad gedreht, sich<br />
in den Zirkusmann verliebt und ist ihm<br />
nach Hamburg gefolgt. Sie wusste, was<br />
sie erwartet: Wer in eine Zirkusfamilie<br />
einheiratet, muss mitmachen. In der<br />
Wintersaison studierte sie, die vorher<br />
noch nie in der Manege gearbeitet hatte,<br />
31<br />
eine Nummer ein – auf dem Hochseil.<br />
Das war nur der Anfang. „Sie ließ sich<br />
immer etwas Neues einfallen“, sagt<br />
Charleen. Schon als kleines Mädchen<br />
wollte sie so werden wie ihre Mutter.<br />
Zirkuskinder machen in der Manege<br />
schon mit, wenn sie kaum laufen<br />
können. Hula-Hoop oder Bodengymnastik,<br />
„Kinderparterre“ genannt. Aber<br />
dann, mit zehn, werden die Kleinen<br />
quasi entlassen. „Ab dann darf man<br />
erst wieder mitmachen, wenn man was<br />
zu bieten hat wie die Großen.“ Meistens<br />
so mit 15. Wie Manjana jetzt.<br />
Charleen übte nach ihrer eigenen<br />
„Entlassung“ wie verrückt. Wollte so<br />
schnell wie möglich wieder in die<br />
Manege, als Seiltänzerin und Luftakrobatin.<br />
Geübt hat sie auf einem Seil einen<br />
Meter über dem Boden. Endlich,<br />
mit 15 Jahren, hatte sie es geschafft,<br />
dachte sie. Ihre Mutter hatte zu dieser<br />
Zeit unglaublich tolle Kostüme, schwer<br />
mit Strass bestickt: die Krone, die<br />
Ärmel – dazu noch schwere Strassohrringe.<br />
„Ich ließ nicht locker, bis ich<br />
auch so etwas bekam.“
Im Zirkus hält man zusammen. Jedenfalls bei den<br />
Franks. Don Ricardo (von rechts) und seine Tochter<br />
Manjana unterstützen die Hamburger Zirkusleute<br />
Daniel, Seiltänzerin Angelique und Charleen.<br />
Bei der Generalprobe war es endlich soweit.<br />
Die Kostüme waren fertig, Charleen<br />
geschmückt. Wunderschön sah sie<br />
aus. Aber dann, als sie hoch in die Luft<br />
gezogen werden sollte – Panik. „Nein,<br />
nicht hoch, bloß nicht hoch!“, rief sie.<br />
Mit dem ganzen Pomp hatte sie keinerlei<br />
Körpergefühl mehr.<br />
„Du musst das können“, rief ihr<br />
Vater. „Wir haben doch keine anderen<br />
Artisten engagiert.“ Also ließ sie sich<br />
hochziehen. „Alles war dunkel, ich hab<br />
den Boden gar nicht mehr gesehen.<br />
Nur noch ein Spot war an, damit ich<br />
den Ständer auf der anderen Seite<br />
sehen konnte. Auf den bin ich zugegangen“,<br />
sagt sie. Adrenalin pur. Sie<br />
hat es geschafft. „Ich habe vor Freude<br />
geheult.“ Auch später noch. „Man<br />
kann alles können da oben, aber jeden<br />
Tag aufs Neue ist das Adrenalin wieder<br />
da.“ Muss auch da sein, als Lebensversicherung.<br />
„Es muss nur die kleinste<br />
Bewegung falsch sein und du kannst<br />
abstürzen.“<br />
Jahrelang hat sie zusammen mit ihrem<br />
Mann Patrick als Luftakrobatin gearbeitet.<br />
Patrick stammt übrigens auch<br />
nicht vom Zirkus, sondern aus einer<br />
Marionettenspieler-Familie. Er hat sich<br />
aber ebenfalls eingearbeitet. Charleen<br />
hat nach dem zweiten Kind aufgehört.<br />
„Alles war<br />
dunkel, ich habe<br />
den Boden nicht<br />
mehr gesehen.“<br />
CHARLEEN SPERLICH<br />
32<br />
„Meine Figur hat es nicht mehr zugelassen.“<br />
Zum Glück, sagt sie, sei Angelique<br />
(25) in die Familie gekommen. Sie<br />
kommt aus einer bekannten Artistenfamilie<br />
und ist „so eine Art Wunderkind<br />
als Akrobatin“. Und sie ist mit Charleens<br />
Bruder Joschi verheiratet, der mit<br />
seinen 25 Jahren Deutschlands jüngster<br />
Zirkusdirektor ist.<br />
Dass alle ihre Arbeit hoch oben in<br />
der Kuppel lieben, ist mehr als deutlich.<br />
Aber warum gehen alle dieses Risiko<br />
ein, warum sichern sie sich nicht? Nicht<br />
mal die 15-jährige Manjana. Schließlich<br />
gibt es zig Beispiele von befreundeten<br />
oder verwandten Artisten, die abgestürzt,<br />
schwer verletzt oder sogar<br />
gestorben sind. „Das macht die Magie<br />
aus“, sagt Charleen. „Für uns, aber<br />
auch für die Zuschauer.“<br />
Apropos Magie: So begeistert wie<br />
früher sind die Menschen nicht mehr<br />
vom Zirkus. Der Zirkus Frank tourte<br />
immer – wie heute auch – hauptsächlich<br />
durch die Hamburger Stadtteile.<br />
„Wenn wir wiederkamen, stand schon<br />
der ganze Platz voller Kinder, die auf<br />
uns warteten“, erzählt Charleen aus<br />
ihrer Kindheit. „Alle wollten die Ponys<br />
striegeln oder sonstwie mitmachen.“<br />
Ihre Tochter ist inzwischen acht Jahre
Lebenslinien<br />
alt. „Heute warten vielleicht ein, zwei Kinder auf sie.“<br />
Nintendo, Gameboy, Smartphones – alles scheint Kindern<br />
heute interessanter als das Zirkusleben, vermutet<br />
sie. In den vergangenen Jahren sind die Zuschauerzahlen<br />
überall erheblich gesunken. Auch Hamburgs<br />
ältester Zirkus muss kämpfen. „Man freut sich über<br />
100 Zuschauer, über 50 – aber alles, was darunterliegt,<br />
ist schlecht.“ Auch der Winter ist finanziell hart. Die<br />
Franks gehen auf Weihnachtsmärkte oder machen<br />
Shows auf Weihnachtsfeiern.<br />
„Heute ist ein<br />
Schulabschluss für unsere<br />
Kinder wichtig.“<br />
CHARLEEN SPERLICH<br />
So mancher Zirkus hat sich deshalb auf die Arbeit mit<br />
Schulen spezialisiert. Was viele Vorteile habe, sagt<br />
Charleen: „Man muss sich nicht mehr um den Platz<br />
und um die Miete kümmern, man muss keine Werbung<br />
machen. Man muss keinen Pfennig ausgeben, bevor<br />
man nicht irgendwelche Einnahmen hat.“ Und<br />
viele haben sich auch von ihren Tieren getrennt. Weil<br />
vieles heute nicht mehr so ankommt – und wegen der<br />
Tierschützer. Auf die ist sie einigermaßen sauer: Speziell<br />
eine Organisation habe die Zirkuswelt als Tierquäler<br />
regelrecht in Misskredit und vor Gericht gebracht.<br />
„Meistens haben die zwar vor Gericht verloren, aber<br />
das wird dann selten berichtet.“ Die Franks haben sowieso<br />
nur Haustiere. „Den Zuschauern ist es egal, ob<br />
ein Tiger durch den Reifen springt oder eine Ziege.“<br />
Macht sie sich Sorgen um die Zukunft? Manchmal<br />
schon. Deshalb machen auch die Franks ab und an ein<br />
Programm mit Schülern. Aber eher selten. „Es ist einfach<br />
ein ganz anderes Gefühl, wenn man seine eigene<br />
Vorstellung präsentieren kann.“ Völlig klar: „Wir machen<br />
weiter, solange es Zuschauer gibt.“ Nur eins ist<br />
unverzichtbar geworden. „Heute ist ein Schulabschluss<br />
für unsere Kinder wichtig“, sagt sie. „Das war früher<br />
anders.“ Zumindest in dieser Angelegenheit will die<br />
Zirkusfamilie auf Nummer sicher gehen. •<br />
STUNDE<br />
DER<br />
KIRCHEN<br />
MUSIK<br />
45 MINUTEN AUSZEIT VOM ALLTAG<br />
JEDEN MITTWOCH, 17:15 UHR<br />
HAUPTKIRCHE ST. PETRI<br />
EINTRITT FREI<br />
www.kirchenmusik-in-hamburg.de<br />
MUSEUM<br />
DER ARBEIT<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Zirkus Frank: Bis 8. <strong>Oktober</strong> gastiert der Zirkus Frank<br />
an der Luruper Hauptstraße 97/Ecke Rugenbarg.<br />
Vorstellungen wochentags<br />
(außer dienstags und mittwochs) um 16.30 Uhr,<br />
samstags 15 Uhr, sonn- und feiertags 11 und 14 Uhr,<br />
Eintrittspreise und Infos unter www.zirkusfrank.de<br />
33<br />
www.museum-der-arbeit.de #DasKapitalHH
SERIE<br />
Die Besser-Verdiener<br />
Kleine, geile Firmen,<br />
die sozial wirtschaften<br />
Kette, Schuss und<br />
Schiffchen: Revolution<br />
am Webstuhl<br />
Er ist günstig, einfach nachzubauen und sogar<br />
bequem: Der Webstuhl nach dem Bauplan des Hamburgers<br />
Andreas Möller hilft Menschen in Entwicklungsländern<br />
bei der Existenzgründung.<br />
TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Tack, tack, ratsch! Wenn Esmael<br />
Jemal im äthiopischen<br />
Bahir Dar seine Handtücher<br />
webt, erklingt das charakteristische<br />
Geräusch des Webstuhls in<br />
Dauerschleife. Tack, tack, ratsch! Tack,<br />
tack, ratsch! Sehr saugstark und trotzdem<br />
leicht und von geringem Volumen<br />
seien seine Handtücher mit grau-weißem<br />
Muster, verspricht der Weber auf<br />
seiner Webseite. Verkaufstalent hat er –<br />
muss er ja auch haben, schließlich muss<br />
er vom Erlös der Textilien nicht nur<br />
seinen Lebensunterhalt, sondern auch<br />
den von fünf Angestellten und einigen<br />
Auszubildenden finanzieren. Und das<br />
klappt!<br />
Tack, tack, ratsch! In der Weberei<br />
von Andreas Möller im Hamburger<br />
Stadtteil St. Pauli klingt der Webstuhl genauso<br />
wie der von Jemal in Bahir Dar.<br />
Im Souterrain eines hübschen Altbaus in<br />
„Seit ich zwölf<br />
bin, will ich<br />
Webstühle besser<br />
machen.“<br />
der Bernstorffstraße findet man einen<br />
der Gründe für den wirtschaftlichen Erfolg<br />
des Äthiopiers. Geht man die paar<br />
Stufen zu Möllers Laden hinunter, steht<br />
man in einem engen Raum mit vier<br />
Webstühlen. Mehr hätten auch nicht hineingepasst.<br />
Von diesem Raum aus revolutioniert<br />
Andreas Möller, so schildert<br />
er es, die Weberei auf der ganzen Welt –<br />
nicht mehr und nicht weniger. Denn den<br />
Webstuhl, an dem er sitzt, hat er selbst<br />
entworfen und gebaut.<br />
Weil das Angebot an Webstühlen<br />
ihn nicht zufriedenstellte, sagt Möller:<br />
Mal würde der Rücken schmerzen,<br />
wenn man zu lange daran arbeitet. Mal<br />
seien sie zu groß, mal einfach unpraktisch.<br />
„Irgendwas ist immer.“ Die Her-<br />
34
An seinem selbst entwickelten<br />
Flying-8-Webstuhl bildet<br />
Andreas Möller Weber<br />
in Lateinamerika,<br />
Afrika und Asien aus.<br />
steller würden diese Kardinalfehler von<br />
Modell zu Modell übernehmen. „Seit<br />
ich zwölf bin, treibt mich der Gedanke<br />
an, dass man das besser machen kann“,<br />
sagt Möller. Damals hat er sich das Weben<br />
in der Schule abgeschaut und dann<br />
zu Hause selbst beigebracht. In den vergangenen<br />
39 Jahren hat der 50-Jährige<br />
immer wieder an der Webtechnik gefeilt.<br />
Bis er 2009 seinen eigenen Webstuhl entwarf:<br />
den Flying 8, bestens angepasst an<br />
die menschliche Anatomie.<br />
Dass das kein Fabrikprodukt ist, sieht<br />
man. Dafür stimmt der Preis: 170 Euro<br />
Materialkosten statt der üblichen mehreren<br />
Tausend Euro für einen fertigen<br />
Webstuhl. Und jeder kann ihn mit ein<br />
bisschen Geschick, etwas Holz und einer<br />
Woche Zeit nachbauen. Den Bauplan<br />
dafür hat Möller fast 400 Mal verkauft<br />
(120 Euro pro Exemplar), in die<br />
ganze Welt, viele in die USA. Und einige<br />
der Webstühle stehen in Bahir Dar<br />
in der Weberei von Esmael Jemal.<br />
35<br />
Den Afrikaner lernte Möller 2007 kennen,<br />
als er im Auftrag der Gesellschaft<br />
für Internationale Zusammenarbeit<br />
Äthiopier zu Webern ausbildete. Deswegen<br />
musste Jemal den Bauplan auch<br />
nicht bezahlen. Er hatte den Dreh erstaunlich<br />
schnell raus. Möller klingt<br />
noch zehn Jahre später beeindruckt,<br />
wenn er davon erzählt: „Er war mein<br />
bester Schüler.“ Aus Schüler und Lehrer<br />
wurden Freunde – und Geschäftspartner.<br />
„From the Hands of Ethiopia“
Die Besser-Verdiener<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
In dieser Serie<br />
bereits erschienen<br />
Bridge&Tunnel (Mai <strong>2017</strong>)<br />
LemonAid (Juni <strong>2017</strong>)<br />
tricargo (Juli <strong>2017</strong>)<br />
FahrradGarderobe (September <strong>2017</strong>)<br />
heißt das Handtuchlabel, das sie gegründet<br />
haben. Jemal webt die Tücher<br />
in Bahir Dar – und Möller verkauft sie<br />
in Hamburg.<br />
Etwa 1000 Stück sind es inzwischen<br />
pro Jahr, die für 18 bis 35 Euro über die<br />
Ladentheke in der Bernstorffstraße gehen<br />
oder übers Internet weltweit verkauft<br />
werden.<br />
Wenn der Absatz noch weiter steigen<br />
würde, könnte Jemal weitere Webstühle<br />
bauen und noch mehr Weber ausbilden<br />
und einstellen (siehe Interview).<br />
Aber wäre der Flying 8 nicht so günstig<br />
zu haben, wäre die Planung der Expansion<br />
für den Äthiopier wohl kaum so<br />
selbstverständlich.<br />
Ist das, was Andreas Möller da tut,<br />
eine Form der Entwicklungshilfe? Nicht<br />
In Europa entsteht<br />
am Webstuhl<br />
meist Textilkunst,<br />
in der Dritten Welt<br />
wird Massenware<br />
produziert. Bei den<br />
Geschäftspartnern<br />
Andreas Möller und<br />
Esmael Jemal (rechts)<br />
finden die beiden<br />
Welten zusammen.<br />
ganz. „Ich bin sein Kunde“, betont er.<br />
„Das ist eine geschäftliche Zusammenarbeit,<br />
die uns beide weiterbringt.“ Eine<br />
Zusammenarbeit auf Augenhöhe, das ist<br />
Möller wichtig. Aber ja, sein Geschäftspartner<br />
habe ein verhältnismäßig gutes<br />
Auskommen dadurch. „Das ist ein guter<br />
Grund, das Land nicht zu verlassen.“<br />
Viele Äthiopier versuchen das immer<br />
wieder, weil sie arbeitslos sind und keinerlei<br />
Perspektive für sich sehen. Doch<br />
Jemal bleibt.<br />
Andreas Möllers Konzept hat sich<br />
inzwischen rumgesprochen, in vielen<br />
Ländern erklärt er auf Kongressen und<br />
in Kursen, wie man den Flying 8 baut<br />
und mit ihm arbeitet. Dabei hat er auch<br />
seine Ehefrau kennengelernt – sie<br />
stammt aus Uruguay. Gerade erst war<br />
36<br />
Möller wieder in Äthiopien, hat in einem<br />
Kloster zehn Nonnen an seinem Webstuhl<br />
ausgebildet. Anfang des Jahres war<br />
er nach Indien gereist, um dort ebenfalls<br />
Weber auszubilden. Wieder war ein<br />
Schüler dabei, der herausgestochen ist:<br />
Er plant nun, eine eigene Flying-8-Webschule<br />
zu errichten, das Grundstück hat<br />
der künftige Betreiber schon. Vielleicht<br />
wird sie noch in diesem Jahr eröffnet.<br />
„In Indien<br />
wird sich dieser<br />
Webstuhl schnell<br />
durchsetzen.“<br />
Der Bedarf an günstigen Produktionsmitteln<br />
sei in armen Ländern eben groß.<br />
„In Indien wird sich dieser Webstuhl<br />
noch schneller durchsetzen als in Äthiopien“,<br />
glaubt Möller. Dann könnte sich<br />
die Verbreitung seiner Ideen bald verselbstständigen,<br />
dann wird Andreas<br />
Möller vielleicht nicht mehr reisen müssen.<br />
„Ich hoffe, dass sich die Webstühle<br />
bald überall auf der Welt von alleine vervielfältigen“,<br />
sagt er. Ihn würde das freuen:<br />
„Denn wenn man das mal auf lange<br />
Sicht betrachtet: Ich bin ja auch irgendwann<br />
weg.“ •<br />
Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />
25 Jahre Weberei Hamburg:<br />
Werkstattausstellung, Sa., 28. und So.,<br />
29. <strong>Oktober</strong>, 14–19 Uhr, Bernstorffstraße<br />
164, www.moeller-hamburg.com
„Wir versuchen, noch<br />
mehr Jobs zu schaffen“<br />
Kurzinterview mit Weber Esmael Jemal aus Äthiopien.<br />
„From the<br />
Hands of<br />
Ethiopia“<br />
heißt das<br />
Handtuchlabel<br />
von<br />
Esmael<br />
Jemal<br />
(zweiter von<br />
links), hier<br />
mit seinen<br />
Kollegen.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Wie geht es Ihnen und den<br />
Menschen in Ihrer Umgebung?<br />
ESMAEL JEMAL: Die meisten Leute in meiner<br />
Nachbarschaft und der Großteil meiner<br />
Verwandten haben keinen Job. Viele<br />
versuchen nach Europa zu kommen,<br />
um eine Arbeit zu finden.<br />
Ich habe Andreas Möller auf einem<br />
Workshop kennengelernt. Diese<br />
Begegnung hat mein Leben verändert.<br />
Jetzt geht es mir besser als den meisten<br />
hier. Ich bin sehr dankbar für die Technologie<br />
des Flying 8. Deswegen versuche<br />
ich jetzt, hier weitere Jobs zu<br />
schaffen.<br />
Wie viele Leute arbeiten bislang in<br />
Ihrer Weberei?<br />
Bei mir arbeiten drei Weber. Ein weiterer<br />
Arbeiter kommt ab und zu zum Bügeln<br />
vorbei. Für sie ist das gut, vorher<br />
hatten sie alle keine Jobs.<br />
Werden die Arbeiter denn gut bezahlt?<br />
50 Prozent der Einnahmen fließen in<br />
meine Werkstatt. Die andere Hälfte bekommen<br />
die Weber. Ich bezahle sie pro<br />
Meter. Wenn sie fünf Handtücher pro<br />
Tag weben, haben sie genug für sich<br />
und können noch etwas sparen. Wir<br />
brauchen aber mehr Kunden in Europa.<br />
Andreas ist viel unterwegs und kann<br />
dann keine Handtücher verkaufen.<br />
Planen Sie, weitere Arbeiter einzustellen?<br />
Ich werde die Regierung um ein Stück<br />
Land bitten, um darauf weitere Weber<br />
am Flying 8 auszubilden. Wenn sie das<br />
gelernt haben, können auch sie ihr Leben<br />
verändern. Wir werden versuchen,<br />
noch mehr zu produzieren und Jobs für<br />
noch mehr Leute zu schaffen. •<br />
Das Gespräch mit Esmael Jemal haben wir<br />
telefonisch geführt.<br />
FOTOS: PRIVAT (2)<br />
Weberei Hamburg kompakt<br />
From the Hands of Ethiopia: In den vergangenen sieben Jahren<br />
haben Andreas Möller und Esmael Jemal fast 7000 Handtücher verkauft.<br />
Ladengeschäft: Bernstorffstraße 164, Hamburg<br />
Weberei: Cluster Kabele 15, Bahir Dar, Äthiopien<br />
Onlineshop: www.weberei-hamburg.com<br />
Preis: Für 7,20 Euro kauft Möller ein Handtuch aus Äthiopien. 4,80 Euro davon landen<br />
bei Jemal. Je die Hälfte davon geht an die Werkstatt und an die Weber. 2,40 Euro<br />
bekommt der Exporteur für Porto und Verpackung. Für 18 Euro inklusive Mehrwertsteuer<br />
geht ein solches Handtuch in der Bernstorffstraße über den Ladentisch.<br />
Flying 8 international: Webstühle von Andreas Möller stehen in Finnland,<br />
Estland, Schweden, Dänemark, Norwegen, Deutschland, Niederlande, Schweiz,<br />
Italien, Kanada, USA, Peru, Chile, Uruguay, Argentinien, Sierra Leone, Burkina Faso,<br />
Äthiopien, Tansania, Botswana, Russland, China, Neuseeland und Australien.<br />
stilbruch.de
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
Beim Homeless World Cup – der Weltmeisterschaft im<br />
Straßenfußball – schied das deutsche Team der Wohnungslosen<br />
zwar in der Vorrunde aus. In der Trostrunde konnte<br />
das Team aber anschließend einen Pokal einheimsen.<br />
Und Giovanni Gonzales (links) wurde zudem<br />
als bester Torhüter des Turniers ausgezeichnet. JOF<br />
•<br />
38<br />
Alkoholverbot auf dem Rathausplatz<br />
Bezirk Harburg greift gegen Trinkerszene durch<br />
Auf dem Harburger Rathausplatz<br />
herrscht zwei Monate nach dem Erlass<br />
eines Alkoholverbots Ruhe. Das bestätigt<br />
auch Olaf Bohn im Gespräch mit<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit dem Sommer 2004<br />
leitet der 47-Jährige den Trinkraum im<br />
benachbarten Hans-Fitze-Haus. Für<br />
die Maßnahme des Bezirks bringt Bohn<br />
zwar ein „gewisses Verständnis“ auf.<br />
Schon jetzt könne man allerdings beobachten,<br />
dass Teile der Trinkerszene einfach<br />
einige Meter weiter in den Park<br />
am Hastedtplatz abgewandert seien.<br />
„Auch da wird es sicherlich bald<br />
Beschwerden geben“, mutmaßt Bohn.<br />
Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen<br />
seien daher keine Lösung, sondern<br />
nur eine Verlagerung des Problems.<br />
Keine direkte Lösung, dafür aber Hilfe<br />
bietet das Hans-Fitze-Haus, Hamburgs<br />
einziger Trinkraum. Ein Rückzugsraum<br />
mit günstigem Mittagstisch und<br />
einer Tagesjobbörse, die alkoholkranken<br />
Menschen jenseits des regulären<br />
Arbeitsmarktes Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
bietet. Allerdings mit klaren Regeln:<br />
Harter Alkohol und Drogen sind<br />
in den Räumen des Hans-Fitze-Hauses<br />
verboten. Ein Dilemma, denn viele<br />
Alkoholsüchtige vom Rathausplatz<br />
seien abhängig von Hochprozentigem,<br />
so Bohn. Sie trinken weiter – jetzt an<br />
anderen Plätzen. JOF<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Erfrierungsschutz für Obdachlose Sozialministerium<br />
Winternotprogramm: Eine Nahles bereitet bundesweite<br />
halbe Stunde mehr Wärme Wohnungslosenstatistik vor<br />
Das Winternotprogramm wird auch Nach langer Blockade hat das<br />
in diesem Winter nur nachts geöffnet Bundes sozialministerium von Andrea<br />
sein. Kleine Änderung im Detail: Am Nahles (SPD) damit begonnen, die<br />
neuen Standort in Hammerbrook Einführung einer landesweiten<br />
müssen die Obdachlosen erst um Wohnungslosenstatistik vorzubereiten.<br />
9.30 Uhr raus – eine halbe Stunde Gespräche mit den Bundesländern,<br />
später als bisher. Aber nicht, damit sie dem Statistischen Bundesamt und der<br />
erst später hinaus in die Kälte müssen,<br />
sondern um die Nachbarschaft nungslosenhilfe laufen bereits. Deren<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-<br />
im Berufsverkehr „von einer zusätzlichen<br />
gleichzeitigen Wanderungsbedert<br />
das seit mehr als 30 Jahren: „So<br />
Geschäftsführer Thomas Specht forwegung<br />
der obdachlosen Menschen dicht dran waren wir noch nie“, sagte<br />
zu entlasten“, schreibt Sozialsenatorin er. Wichtig sei eine solche Statistik<br />
Melanie Leonhard (SPD) zur<br />
insbesondere für die Ermittlung des<br />
Begründung an das Bezirksamt Mitte. Wohnraumbedarfs und die Steuerung<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> und Wohlfahrtsverbände des sozialen Wohnungsbaus. Offen<br />
fordern seit Jahren vergeblich eine ist, ob sie nach der Wahl und einem<br />
ganztägige Öffnung der Winternotunterkünfte.<br />
BELA<br />
möglichen Wechsel im Ministerium<br />
•<br />
tatsächlich kommt. BELA<br />
•<br />
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FOTO: RONALD SAWATZKI<br />
Unterlassene Hilfeleistung<br />
Angeklagte hielten Opfer für<br />
einen Obdachlosen<br />
Wegen unterlassener Hilfeleistung<br />
sind in Essen zwei Männer und eine<br />
Frau zu Geldstrafen verurteilt worden.<br />
Der Fall hatte bundesweit für Schlagzeilen<br />
gesorgt. Ein 83-Jähriger war<br />
im <strong>Oktober</strong> 2016 im Vorraum einer<br />
Bankfiliale zusammengebrochen.<br />
Statt Hilfe zu holen, hoben die Angeklagten<br />
Geld ab und stiegen dabei<br />
teilweise über den Verletzten hinweg.<br />
Sie hätten den Rentner für einen<br />
schlafenden Obdachlosen gehalten,<br />
erklärten die Angeklagten jetzt vor<br />
Gericht. Nach Sichtung der Überwachungsvideos<br />
sah der Richter<br />
allerdings keine Zweifel an einem<br />
Unglücksfall. Die Angeklagten<br />
hätten sich „in nicht hinnehmbarer<br />
Weise gleichgültig verhalten“. Alle<br />
Angeklagten wurden aber lediglich<br />
zu Geldstrafen verurteilt, weil sie<br />
bisher nicht vorbestraft waren. JOF<br />
•<br />
39<br />
Universität<br />
Lehrprogramm für Studenten<br />
rund um Obdachlosigkeit<br />
Neben dem Besuch von Vorlesungen<br />
und Seminaren gehört inzwischen<br />
auch ehrenamtliches Engagement<br />
zum Lehrinhalt an der Universität.<br />
Angefangen hat alles 2015 mit<br />
einem Studienprojekt zur Flüchtlingshilfe.<br />
In diesem Semester können<br />
sich Studierende fast aller Fächer<br />
erstmals ausführlich mit dem Thema<br />
Obdachlosigkeit befassen. Ab dem<br />
23. <strong>Oktober</strong> referieren wöchentlich<br />
Experten aus der Wohnungslosenhilfe.<br />
Begleitet wird die neue<br />
Ring vor lesung durch ein praktisches<br />
Seminarprojekt. JOF<br />
•<br />
Informationen zur öffentlichen Ringvorlesung<br />
unter: www.huklink.de/ringvorlesung<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
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500 Jahre<br />
Reformation<br />
Der Luther<br />
für Arme<br />
Reformation ist nicht nur was für Kirchgänger. Vor 500 Jahren stellte sie die<br />
alte Ordnung in Deutschland in Frage. Luthers Weggefährte Johannes Bugenhagen<br />
sorgte in Hamburg dafür, dass sich auch hier die Machtverhältnisse änderten.<br />
TEXT: PASTOR SIEGHARD WILM<br />
PORTRÄT BUGENHAGEN: AKG-IMAGES; PORTRÄT WILM: MAURICIO BUSTAMANTE
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Armes Mittelalter! Kinder gerieten<br />
in Not, wenn ihre Eltern<br />
früh starben. Wer krank<br />
wurde, rutschte ins Elend. In<br />
Hamburg lebten im Mittelalter viele verarmte<br />
Menschen. Sich darum zu kümmern,<br />
war Aufgabe der Klöster. Pestkranke<br />
wurden vor den Stadttoren in<br />
St. Georg untergebracht und von Mönchen<br />
versorgt, in einem sogenannten<br />
„Seelenhaus“. Das „Heilig-Geist-Hospital“<br />
war eine klösterliche Einrichtung<br />
und versorgte die Kranken in der Hansestadt.<br />
Das Geld dafür spendeten wohlhabende<br />
Bürger, um sich bei Gott Verdienste<br />
um das Seelenheil zu erwerben.<br />
Die Angst vor Hölle und ewiger Verdammnis<br />
war ihr Antrieb. So stifteten sie<br />
Kerzen und zahlten für Seelenmessen in<br />
der Hoffnung, sich und ihre Verstorbenen<br />
retten zu können. Das waren<br />
schlechte Aussichten für alle, die kein<br />
Geld zum Spenden hatten. Der Himmel<br />
erschien als ein Platz für die Reichen.<br />
Doch dann sorgte Johannes Bugenhagen<br />
1526 mit seinem „Sendschreiben<br />
an die Hamburger“, einem langen Brief<br />
an die Bürger der Stadt, für Unruhe:<br />
Bugenhagen, ein Weggefährte Martin<br />
Luthers aus Pommern, vertrat die reformatorische<br />
Lehre. Die besagte, dass<br />
die Seele allein aus Gottes Gnaden gerettet<br />
wird, nicht durch noch so großzügige<br />
Spenden. Gott ist nicht käuflich.<br />
Aber wer sollte jetzt noch für Arme<br />
Geld geben, wenn man sich damit nicht<br />
das Seelenheil erwerben konnte?<br />
Bugenhagen warb dafür, dass die<br />
Menschen nicht mehr spenden, weil sie<br />
um ihr Seelenheil bangen, sondern aus<br />
Dankbarkeit für ihr gesegnetes Leben<br />
aus Gottes Gnade. Er hatte dafür ein<br />
starkes Bild: Der gläubige Christ ist wie<br />
ein guter Baum. Er wird seine guten<br />
Früchte bringen. Darauf vertraute der<br />
Gottesmann.<br />
Nach Hamburg berufen, hat der<br />
Reformator des Nordens 1529 eine Kirchenordnung<br />
erlassen. Sie brachte die<br />
Einrichtung des Gotteskastens: In allen<br />
Kirchen Hamburgs sollten sichtbar für<br />
Glaube und<br />
Nächstenliebe<br />
gehörten endlich<br />
zusammen.<br />
alle Gläubigen Kästen stehen, in die hinein<br />
freiwillige Spenden gegeben wurden.<br />
Besonders den reichen Bürgern<br />
wurde ins Gewissen geredet, reichlich<br />
zu spenden. Der Glaube an Gott und<br />
der Dienst der Nächstenliebe gehörten<br />
für die Reformatoren zusammen. „Was<br />
ihr getan habt einem meiner geringsten<br />
Brüder, das habt ihr mir getan“ – dieses<br />
Jesus-Wort wurde häufig von den Reformatoren<br />
zitiert. Bugenhagen glaubte,<br />
dass am Ende aller Tage vor dem<br />
Jüngsten Gericht alle Barmherzigkeit<br />
den Armen gegenüber einmal ins Gewicht<br />
fallen würde. Heftig widersprochen<br />
wurde aber der Vorstellung, das<br />
Seelenheil kaufen zu können. Gottes<br />
Himmel ist nicht käuflich. Noch heute<br />
gehört der Gotteskasten zum festen<br />
Mobiliar alter Hamburger Kirchen.<br />
Die Bugenhagensche Kirchenordnung<br />
hat das Schulwesen neu geordnet.<br />
Im Mittelalter konnten nur ganz wenige<br />
Menschen lesen und schreiben und das<br />
fast nur auf Latein. Die Reformation<br />
glaubte, dass jeder die Heilige Schrift in<br />
seiner Muttersprache lesen können sollte.<br />
Martin Luther hatte die Bibel dazu<br />
ins Deutsche übersetzt, die Buchdruckerkunst<br />
war im Aufschwung und vervielfältigte<br />
die Heilige Schrift. Das<br />
Schulgeld konnten viele aber nicht zahlen.<br />
Bettelnde Schüler gehörten zum<br />
Straßenbild. Mit der Reformation gab es<br />
die Aussicht auf Stipendien für Begabte<br />
aus dem Gotteskasten. Bildung für alle<br />
war noch ein Traum, aber mit der Reformation<br />
hatten erstmals auch Mädchen<br />
Aussichten auf einen Schulbesuch.<br />
41<br />
Reformation in Hamburg<br />
Johannes Bugenhagen (1485–1558)<br />
war Seelsorger und Freund von Martin<br />
Luther. 1528 kam der Geistliche aus<br />
Pommern nach Hamburg, um hier die<br />
Reformation umzusetzen. In nur sechs<br />
Monaten verfasste Bugenhagen eine<br />
neue Kirchenordnung, reformierte<br />
das Armenwesen, regelte das<br />
Schulwesen neu und gründete die<br />
Gelehrtenschule des Johanneums.<br />
Seit der Reformation wurde der Gotteskasten<br />
durch Armendiakone verwaltet.<br />
Die katholischen Klöster wurden geschlossen,<br />
das Armenwesen in Hamburg<br />
musste neu geordnet werden. Nun<br />
war die Bürgergemeinde zuständig, diese<br />
Aufgabe gemeinsam zu verantworten.<br />
Das Vertrauen in diese Arbeit durfte<br />
durch keine Veruntreuung zerstört<br />
werden. So entwickelten sich Kontrollsysteme<br />
und eine Buchführung. Die ist<br />
bis heute in den Archiven der Stadt<br />
einsehbar und gibt Aufschluss darüber,<br />
wofür die Mittel verwendet wurden.<br />
Es gab Brotverteilungen, aber auch<br />
Bargeld wurde den Armen ausgezahlt,<br />
einigen regelmäßig. War jemand durch<br />
Unfall oder Brand in Armut geraten,<br />
gab es größere Summen zur Unterstützung.<br />
Auch sind Fälle notiert, in denen<br />
Flüchtlingen Unterstützung gegeben<br />
wurde. Hebammen – im Mittelalter oft<br />
unter Hexereiverdacht – erhielten neue<br />
Wertschätzung und wurden aus dem<br />
Gotteskasten unterstützt. Sie mussten<br />
dafür armen Frauen bei der Geburt<br />
helfen. Die Kindersterblichkeit sank.<br />
Vieles von dem, was wir heute im<br />
Sozial staat kennen, war damals neu,<br />
reformatorisch – und revolutionär. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Sieghard Wilm<br />
ist seit 2002<br />
Pastor der<br />
St.-Pauli-Kirche.
Das ist nicht Harry<br />
Potters Eule Hedwig<br />
auf der Hand von<br />
Hinz&Künztler<br />
Michael, sondern der<br />
King persönlich: Das<br />
stolze Tier heißt Elvis.<br />
Ein Tag<br />
für die Seele<br />
Raus aus dem Stadtgrau, rein in die Natur: Bei einem<br />
Ausflug in den Wildpark Eekholt trafen Hinz&Künztler<br />
auf Wölfe, Eulen und eigenbrötlerische Fischotter.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER<br />
„Was für ein hübsches Tier“, schwärmt<br />
Hinz&Künztler Hans-Jörg. Die Lippen<br />
des Blesshirsches kitzeln auf seiner<br />
Handfläche, er greift wieder in die Futterschachtel.<br />
„Das ist für den süßen Kleinen“,<br />
kündigt er an. Doch der Hirsch<br />
drängelt das Kitz zur Seite. Hans-Jörg<br />
protestiert: „Der muss auch groß und<br />
stark werden, so wie du!“, schimpft er.<br />
„Hast du kein Erinnerungsvermögen?“<br />
Inzwischen rennen seine Kollegen zum<br />
nächsten Gehege. Keilerei in der Wildschweinrotte.<br />
„Das muss ich aufnehmen!“,<br />
ruft Thomas und zückt seine<br />
neue Analogkamera. Ein Stammkunde<br />
schenkte sie ihm, als Anerkennung für<br />
den zweiten Platz im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotowettbewerb.<br />
Im Wildpark Eekholt soll<br />
der erste Film voll werden.<br />
Motive gibt es genug: Seeadler in<br />
freiem Flug, Marder, Dachse und die<br />
Wölfe mit bernsteinfarbenen wachsamen<br />
Augen. Bei der Fütterung an der<br />
Wolfsmeile wollen fast alle Hinz&<br />
Künztler zusehen. Norbert zeigt auf ein<br />
graues Tier: „Guck mal, die Narben.“<br />
„Der hat im Rudel zu oft auf die Fresse<br />
gekriegt“, erklärt Vertriebsmitarbeiter<br />
Jürgen, der die Rangordnung bereits studiert<br />
hat. Trotzdem wagt sich der Graue<br />
als Erster an das Stück Fleisch heran, das<br />
Pflegerin Sarah Köhler ins Gehege wirft.<br />
„Die Jungs wissen, dass ich genug für<br />
beide dabei habe“, erklärt sie.<br />
42<br />
Die Otter sind da schon etwas nervöser.<br />
Linkisch hüpfen sie am Zaun entlang,<br />
machen Männchen und gleiten unter<br />
Thomas’ Linse vorbei durchs Wasser.<br />
„Toll, wie das Fell das Wasser abweist“,<br />
murmelt Thomas. Dann kommt endlich<br />
das Futter. Die Fischotter springen<br />
hinter Fleischklopsen und Fisch her<br />
und bunkern alles am Fluss. Drei Tiere<br />
sind es, ein Paar und ein Weibchen, das<br />
vorübergehend von seinem Partner getrennt<br />
lebt. „Ehekrise“, erklärt die Pflegerin.<br />
„Kann man sich auch vorstellen,<br />
wenn man die ganze Zeit aufeinander<br />
hockt.“ Einige Hinz&Künztler nicken.<br />
Der Tag im Grünen macht hungrig.<br />
Gut, dass Busfahrer Peter Engmann sich
Hinz&Künztler<br />
Jan und Elsa (links) genießen es, mal aus<br />
ihrem Alltag rauszukommen. Unten: Gespannt<br />
beobachten alle die Fütterung der Wölfe.<br />
Unsere<br />
Veranstaltungen<br />
im <strong>Oktober</strong><br />
Mittwoch, 04.10.<strong>2017</strong>, 19:30 Uhr<br />
Was hat G20 in Hamburg verändert?<br />
Gewaltexzesse und die Erschütterung<br />
des Vertrauens in die Wirksamkeit<br />
des staatlichen Gewaltmonopols<br />
Diskussion mit Prof. Dr. Hans Peter<br />
Bull, Karl-Heinz Dellwo, Dr. Andreas<br />
Dressel und Joachim Lux; Moderation:<br />
Tobias Becker (DER SPIEGEL)<br />
Freitag, 06.10.<strong>2017</strong>, 19:00 Uhr<br />
Altstadt für Alle! Mehr Mut und neue<br />
Ideen für die Entwicklung von Hamburgs<br />
Innenstadt<br />
Impulsvortrag von Brigitte Bundesen<br />
Svarre (Gehl Architects, Kopenhagen)<br />
mit anschließender Diskussion<br />
In Kooperation mit der Evangelischen<br />
Akademie der Nordkirche<br />
Immer ran hier! Busfahrer Peter Engmann erwies sich beim Ausflug in den Wildpark<br />
Eekholt nicht nur als König der Herzen, sondern auch als Meister des Grills. Satt, müde<br />
und zufrieden ging es für unsere Verkäufer am Ende zurück in die Stadt.<br />
auch als hervorragender Grillmeister herausstellt.<br />
Fachmännisch hantiert er mit<br />
der Grillzange, verteilt Würstchen, Koteletts<br />
und freundliche Worte. „Na Herzelein,<br />
noch ein Stück?“ Verkäuferin Elke<br />
strahlt, Peter Engmann lacht. „Ich finde<br />
es wunderbar, wenn ich mit anpacken<br />
kann“, sagt er. Mehrmals bedankt er sich<br />
bei den Hinz&Künztlern, dass sie ihn so<br />
herzlich aufnehmen. Zurück im Bus<br />
macht er eine Durchsage: „Ihr seid echt<br />
dufte!“ Chris bedankt sich lautstark,<br />
Rainer lächelt. „Geiler Busfahrer!“<br />
Hans-Jörg kommt kaum noch aus<br />
dem Schwärmen heraus. Sein Favorit<br />
im Wildpark: „Elvis, die Eule! Wie die<br />
geguckt hat, diese Ausstrahlung!“ Wie<br />
43<br />
früher, als er als kleiner Junge mit seinem<br />
Opa früh morgens nach Eulen<br />
spähte. Elzbieta, die den ganzen Weg<br />
auf Krücken mitgemacht hat, lächelt.<br />
„Das ist mal etwas anderes als Großstadt<br />
– etwas für die Seele.“ Und Elsa<br />
seufzt: „So ein schöner Tag!“ •<br />
Kontakt: annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />
Wir danken dem Busunternehmen<br />
Hörmann für die kostenfreie Fahrt zum<br />
Wildpark – und Fahrer Peter Engmann<br />
für seine Herzlichkeit und den Einsatz<br />
am Grill. Hoffentlich auf Wiedersehen!<br />
Foto: Karin Desmarowitz<br />
Donnerstag, 12.10.<strong>2017</strong>,<br />
19:00 Uhr<br />
Zahnloser Tiger? Denkmalschutz im<br />
Spannungsfeld der Politik<br />
Diskussion mit den Fachsprecherinnen<br />
und Fachsprechern der Bürgerschaft<br />
Kooperationsveranstaltung des<br />
Arbeitskreises Denkmalschutz der<br />
Patriotischen Gesellschaft von 1765<br />
und des Denkmalvereins Hamburg<br />
Eintritt frei zu allen Veranstaltungen,<br />
Anmeldung erbeten:<br />
www.patriotische-gesellschaft.de<br />
Haus der Patriotischen Gesellschaft,<br />
Trostbrücke 4-6, 20457 Hamburg
Freunde<br />
Julia Bauer kennt Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
„schon ewig“ – seit drei Jahren ist<br />
sie nun auch im Freundeskreis.<br />
Zwei Fliegen mit<br />
einer Klappe<br />
Online einkaufen und gleichzeitig für soziale Projekte spenden?<br />
Julia Bauer macht es möglich: mit smileshopping.de<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Eigentlich ist Annemarie Dose<br />
schuld. Mit der Gründerin<br />
der Hamburger Tafel war<br />
Julia Bauer (38) gut befreundet,<br />
fuhr ehrenamtlich auf Touren der<br />
Tafel mit, teilte Lebensmittel aus. Bauer:<br />
„Ami hat immer zu mir gesagt: ‚Wir<br />
müssten mal was erfinden, was von alleine<br />
Geld bringt.‘“ Irgendwann machte<br />
es klick bei der PR- und Marketingexpertin:<br />
Einkaufen tun die Leute doch<br />
immer. Was wäre, wenn man bei jedem<br />
Online-Einkauf automatisch und ohne<br />
zusätzliche Kosten etwas spenden könnte?<br />
Die Idee für ihre Onlinepräsenz<br />
smileshopping.de war geboren.<br />
Über drei Ecken fand Bauer einen<br />
Programmierer, der die Website für ei-<br />
nen Bruchteil des normalen Honorars<br />
baute. 2014 ging es los. Heute kann<br />
man in mehr als 100 Shops online einkaufen.<br />
Es sind große Namen dabei wie<br />
Ikea oder Media Markt. Tierfreunde<br />
werden ebenso fündig wie Leseratten,<br />
auch Kleidung kann man bestellen.<br />
Das Besondere: Bei jedem Einkauf<br />
spendet man gleichzeitig zwischen<br />
5 Prozent (Minimum) und 20 Prozent<br />
vom Einkaufswert. „Es soll ja auch was<br />
dabei rumkommen“, so Bauer. Kunden<br />
können sich zwischen zehn sozialen<br />
Projekten entscheiden. Neben der<br />
Hamburger Tafel sind etwa die Michael-<br />
Stich-Stiftung und der Verein Vita dabei,<br />
der Assistenzhunde für Behinderte<br />
ausbildet – und: Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Bauer<br />
nimmt nur Projekte auf, die sie kennt<br />
und gut findet: „Auf der Mönckebergstraße<br />
möchte man ja auch selbst entscheiden:<br />
Hier schmeiße ich was in den<br />
Becher und hier nicht.“<br />
Für Hinz&<strong>Kunzt</strong> sind seit dem<br />
Start schon mehr als 1500 Euro zusammengekommen.<br />
„Das freut mich, denn<br />
ich kenne Hinz&<strong>Kunzt</strong> schon ewig,<br />
kaufe immer bei meinem Stammverkäufer<br />
an der Hallerstraße“, sagt Bauer,<br />
die seit drei Jahren auch im Freundeskreis<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist.<br />
Was ist denn gerade der Renner in<br />
ihrem Shop? „Büromaterialien“, sagt<br />
Bauer wie aus der Pistole geschossen.<br />
Kein Zufall, die Marketingfachfrau akquiriert<br />
persönlich bei klein- und mittelständischen<br />
Unternehmen. „Die brauchen<br />
ihr Büromaterial jeden Monat. Da<br />
wird regelmäßig bestellt“, sagt sie. Und<br />
was kauft sie selbst am liebsten online?<br />
Julia Bauer lacht. „Ich bin da echt eine<br />
untypische Frau, weil ich eher ein Shopping-Muffel<br />
bin. Aber Pferdefutter kaufe<br />
ich immer online.“ •<br />
Mehr Infos unter<br />
www.smileshopping.de<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
44
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Freunde<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
Einlochen für Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
und Golf?<br />
„Passt“, finden<br />
Irmhild Heller und<br />
Heiko Schüßler.<br />
„Beides bringt<br />
Menschen<br />
zusammen.“<br />
Der Golfclub Gut Immenbeck in Buxtehude lädt zum Benefizturnier.<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
TEXT: MISHA LEUSCHEN; FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
Wenn Irmhild und Lutz Heller bei ihrem<br />
Stammverkäufer in Buxtehude ein<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Magazin kaufen, dann<br />
wird erst mal eine Runde geschnackt.<br />
Berührungsängste kennt das Ehepaar<br />
nicht. „Begegnungen herstellen, miteinander<br />
ins Gespräch kommen“, das ist<br />
für die beiden Ruheständler wichtig.<br />
Schon seit mehr als 20 Jahren organisieren<br />
sie deshalb mit ihrem kleinen<br />
Golfclub auf dem Gelände des Guts<br />
Immenbeck Benefizturniere für unterschiedliche<br />
Einrichtungen.<br />
Am 8. <strong>Oktober</strong> wird nun das erste<br />
Turnier zugunsten des Hamburger<br />
Straßenmagazins aus gerichtet. „Uns<br />
gefällt an Hinz&<strong>Kunzt</strong> die Idee der<br />
Hilfe zur Selbsthilfe“, so Irmhild Heller.<br />
Das Turnier hat sie mit dem Clubvorsitzenden<br />
Heiko Schüßler gemeinsam<br />
organisiert und die Bürgermeisterin der<br />
Hansestadt Buxtehude als Schirmherrin<br />
gewonnen. Nicht nur Clubmitglieder,<br />
auch Gäste sind zum Einlochen<br />
willkommen. Vom Startgeld der Teilnehmer<br />
wird eine Basisspende von<br />
20 Euro einbehalten. Wer will, kann<br />
aufstocken, auch die Zuschauer dürfen<br />
natürlich spenden. Dazu kommen noch<br />
Einnahmen aus einer Tombola. •<br />
Sonntag, 8. <strong>Oktober</strong>, 11 Uhr,<br />
Golfclub Gut Immenbeck, Inne Beek 66,<br />
21614 Buxtehude<br />
info@gut-immenbeck.de<br />
Anmeldeschluss: 4. <strong>Oktober</strong>, 16 Uhr.<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im September an<br />
uns gespendet haben, sowie allen Mitgliedern<br />
im Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
für die Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH<br />
• wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Dankeschön<br />
45<br />
• Hamburger Tafel<br />
• Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• Dank an die Spielbudenplatzbetreibergesellschaft<br />
für die Einladung zum<br />
Brötchen- und Kuchenverkauf beim Flohmarkt<br />
• Kampf der Künste für die Ausrichtung des<br />
U20 Poetry Slams zu unseren Gunsten<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />
HK <strong>296</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„450.000 Deckel finanzieren 900 Impfungen“<br />
Deckel drauf<br />
H&K 295, Unser Flughafen-Kooperationsprojekt<br />
„Spende Dein Pfand“<br />
Dieses Projekt ist eine gute Sache.<br />
Man könnte ihm aber noch ein<br />
i-Tüpfelchen aufsetzen, indem man die<br />
Plastikdeckel an das Projekt „Deckel<br />
drauf“, das mit den Plastikdeckeln<br />
Spenden für die Finanzierung von<br />
Impfungen gegen Kinderlähmung erwirtschaftet,<br />
weitergeben würde. Das<br />
würde nahezu gar nichts kosten und den<br />
Allerärmsten unseres Planeten helfen.<br />
Mit den 450.000 gesammelten Deckeln<br />
etwa hätte man so bereits 900 Impfungen<br />
finanzieren können. ANDREAS WÜRTH<br />
Anmerkung der Redaktion: Unsere Pfandsammler<br />
am Flughafen machen bereits mit<br />
beim Projekt www.deckel-gegen-polio.de<br />
Nicht ohne Geburtenkontrolle<br />
H&K 295, Die Müllbergkinder von León<br />
Das Engagement von Herrn Dr.<br />
Steidinger ist bewundernswert, aber<br />
wie so oft in den Armutsgebieten der<br />
Welt – egal ob in Asien, Afrika oder<br />
Südamerika – ist dieses Elend nicht<br />
nur mit einer Mahlzeit und Lesenund<br />
Schreibenlernen zu bekämpfen,<br />
sondern mit Geburtenkontrolle. Ich<br />
kenne Fälle aus Afrika, wo Kinder aus<br />
Familien mit fünf bis acht Kindern nur<br />
für die eine tägliche warme Mahlzeit in<br />
die Schule geschickt werden. Am Ende<br />
können sie Gott sei Dank zwar lesen<br />
und schreiben, es nützt aber nichts, weil<br />
es keine Arbeit gibt und ohne Empfängnisverhütung<br />
viele neue Kinder in<br />
die Not geboren werden. ANTJE NETZ<br />
Wie aus Geretteten Leser wurden<br />
H&K allgemein<br />
Ein paar Freunde und ich machten<br />
unsere alljährliche Paddeltour auf<br />
der Alster. Im Laufe der Zeit sind einige<br />
von uns in die Jahre gekommen, der Älteste<br />
ist 84. Trotzdem hatten wir etwas<br />
zu viel Temperament und kenterten.<br />
Zum Glück war ein großes Tretboot in<br />
der Nähe und kam uns zur Hilfe. Unser<br />
Senior wurde aus dem Wasser gezogen<br />
und auch ich. Ein beherzter Paddler<br />
im knallroten Boot kam heran und hat<br />
mich aufs Boot gehievt. Die anderen<br />
schwammen ans Ufer. Wir haben<br />
anschließend noch viel Hilfsbereitschaft<br />
erfahren, besonders von zwei Frauen,<br />
Mutter und Tochter, die uns zu<br />
unserem Bootsverleih zurückgebracht<br />
haben. Meine Frage, wie ich mich<br />
erkenntlich zeigen kann, wurde abgewehrt.<br />
Wenn überhaupt, sei eine Spende<br />
an Hinz&<strong>Kunzt</strong> gerne angenommen.<br />
Dieses wird morgen geschehen.<br />
Nach langer Zeit, muss ich<br />
zugeben, habe ich wieder einmal ein<br />
Magazin gekauft und werde es in<br />
Zukunft regelmäßig tun. Die Beiträge<br />
sind toll, öffnen die Augen und wecken<br />
Verständnis. Weiter so! CHRISTEL WILKE<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE STADTRUNDGANG<br />
MIT CHRIS UND HARALD<br />
Wir trauern um<br />
Stanislaw Pietka<br />
8. Mai 1953 – 2. September <strong>2017</strong><br />
Stanislaw war seit 2003 bei uns. Bis zuletzt verkaufte er das<br />
Straßenmagazin vor Aldi in der Steilshooper Straße.<br />
Die Verkäufer und das Team von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Hamburg hat viele Seiten – wir zeigen eine, die in keinem<br />
Reiseführer steht. Unsere Stadtführer zeigen Anlaufstellen<br />
für Obdachlose in der Hamburger Innenstadt. Die beiden<br />
Hinz&Künztler kennen das Leben auf der Straße aus eigener<br />
Erfahrung und geben bei der zweistündigen Tour authentische<br />
Einblicke in den Alltag von Wohnungslosen.<br />
Anmeldung: Bequem online unter<br />
www.hinzundkunzt.de oder<br />
Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro<br />
nächste Termine:<br />
15. und 29.10.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />
trostwerk-andere bestattungen
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Abgebildet: Nacha Vollenweider stellt ihre Graphic Novel beim Comicfestival vor (S. 48).<br />
Aufgehorcht: Die „Hallo-Festspiele“ befeuern das alte Kraftwerk Bille mit neuen Tönen (S. 52).<br />
Angeschoben: Hinz&Künztler Peter begleitet Rollifahrer zu Heimspielen auf St. Pauli (S. 58).<br />
„Die Stille nach der<br />
Katastrophe“ heißt<br />
die Ausstellung von<br />
Fotograf Daniel Etter über<br />
Kinder in Syrien.<br />
Seine eindringlichen<br />
Porträts sind noch<br />
bis zum 18. <strong>Oktober</strong> zu<br />
sehen (S. 53).
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Die S-Bahn als<br />
Kreativlabor<br />
Vom Leben in Argentinien, Fremdsein in<br />
Hamburg und S-Bahn-Fahrten in die Stadt:<br />
Nacha Vollenweider hat aus ihrem Leben in<br />
zwei Welten eine Graphic Novel gemacht. Beim<br />
Comicfestival stellt sie ihre Zeichnungen aus.<br />
TEXT: FRANK KEIL<br />
FOTOS: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
ILLUSTRATIONEN: NACHA VOLLENWEIDER<br />
Erst Stipendiatin an der<br />
HAW, jetzt Buchautorin:<br />
Nacha Vollenweider<br />
zeichnete eine Graphic<br />
Novel über ihre<br />
Familiengeschichte.<br />
Das Arbeitszimmer von<br />
Nacha Vollenweider in<br />
Eimsbüttel ist nicht groß.<br />
Sie braucht zum Zeichnen<br />
auch nicht viel Platz: Ein kleiner<br />
Schreibtisch, darauf ein Tablet, ein Becher<br />
mit Stiften, ein Stapel Papier bögen,<br />
das reicht. In einem Koffer liegen jede<br />
Menge Originalzeichnungen für ihre<br />
Graphic Novel „Fußnoten“, ihr erstes<br />
Buch in Deutschland. In Argen tinien ist<br />
es bereits erschienen.<br />
Dort wird Nacha Vollenweider<br />
1983 geboren, sie wächst dort auf.<br />
Schon als Kind malt sie leidenschaftlich<br />
gerne, zeichnet Comics, studiert nach<br />
der Schule Malerei. Lernt bei einem<br />
Workshop in Buenos Aires die deutsche<br />
Comicszene kennen, von der sie begeistert<br />
ist. Sie bewirbt sich für ein Stipendium<br />
für Design und Medien an der<br />
Hochschule für Angewandte Wissenschaften<br />
in Hamburg und bekommt es.<br />
Vorher muss sie nur einen Sprachkurs<br />
in Köln besuchen. „Köln ist nicht<br />
schön, aber witzig“, sagt sie und lacht.<br />
Mit Hamburg sei es eher umgekehrt.<br />
Die ersten Wochen und Monate an<br />
der Hochschule an der Finkenau fallen<br />
ihr nicht leicht. Deutsch zu lernen sei<br />
wirklich schwer: „Wenn ich eine Stunde<br />
Deutsch gehört hatte, wurde ich müde“,<br />
erzählt sie. Sie sagt: „Die Sprache<br />
ist eine große Grenze.“<br />
Noch etwas kommt hinzu: Man<br />
müsse in Deutschland ständig auf sich<br />
aufmerksam machen, müsse sich interessiert<br />
zeigen, müsse auffallen. Auch<br />
wenn einem vielleicht nicht immer danach<br />
zumute sei. „Die Deutschen fragen<br />
nicht so nach“, sagt sie. „Sie kommen<br />
zum Lernen, und danach gehen sie<br />
schnell nach Hause.“<br />
Entsprechend schwierig ist es für sie,<br />
Anschluss und Freunde zu finden. Ein<br />
Jahr habe es gedauert, bis sie zu sich<br />
sagen konnte: „Okay, jetzt fühle ich mich<br />
langsam wohl.“ Irgendwann hätten ihre<br />
Mitstudenten sie so kennengelernt, wie<br />
sie eigentlich sei: offen und kommunikativ<br />
und dabei ziemlich lustig. „Man hat<br />
mir hinterher gesagt, ich sei immer so<br />
sehr ernst gewesen, so seriös. Dabei war<br />
ich nur extrem konzentriert.“<br />
Sie lebt in den ersten Monaten in<br />
Bergedorf. In Erinnerung geblieben<br />
sind ihr die langen Fahrten mit der<br />
S-Bahn vom Bergedorfer Bahnhof rein<br />
in die Stadt. Lang – nicht zeitlich gesehen.<br />
Man braucht schließlich von<br />
Altona nach Barmbek ähnlich lange, um<br />
die 25 Minuten. Aber die Bergedorfer<br />
49
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
In „Fußnoten“ kontrastiert Nacha<br />
Vollenweider Alltagsbeobachtungen<br />
mit Erinnerungen aus Argentinien.<br />
Strecke führt zwischendurch entlang an<br />
Feldern und Wiesen, man sieht in der<br />
Ferne die Wolken, wie sie fast den<br />
Boden berühren. Bis ab der Station<br />
Tiefstack die Großstadt Haus um Haus<br />
heranrückt, es ist jedesmal fast eine kleine<br />
Reise. „Man hat Zeit zu gucken, und<br />
man hat Zeit zu überlegen“, sagt sie.<br />
Damals kommen ihr die ersten<br />
Ideen und Einfälle für ihr Buch. Noch<br />
ganz ungeordnet, eher assoziativ. „Ich<br />
hatte keinen Plan, keine Handlung, der<br />
ich folgen wollte; ich habe so gezeichnet<br />
wie Erinnerungen funktionieren: Plötzlich<br />
erinnerst du dich an etwas, dir fällt<br />
etwas ganz anderes ein; du schweifst ab,<br />
findest wieder zurück und weißt gar<br />
nicht genau, wie das alles passiert ist“,<br />
erzählt sie. Und so zeichnet sie auch:<br />
mit schnellen Strichen, eher grob und<br />
skizzenhaft. Und in Schwarz-Weiß,<br />
nicht in Bunt. Und sie fragte sich, ob<br />
das Buch, wenn es denn je fertig wird,<br />
veröffentlicht wird? „Ich konnte mir<br />
nicht vorstellen, dass meine Geschichte<br />
„In der Bahn<br />
hat man Zeit<br />
zu gucken“<br />
NACHA VOLLENWEIDER<br />
einen Verleger interessieren könnte“,<br />
sagt sie. Ist das nicht alles zu privat, zu<br />
speziell, was sie da zeichnerisch erzählt?<br />
„Ich habe das Buch erst mal für mich<br />
selber gemacht“, sagt sie.<br />
50<br />
Und so erzählt es von ihren Bergedorfer<br />
S-Bahn-Fahrten und darüber, dass sie<br />
sich so lange nicht an die trüben Herbstund<br />
Wintertage in Hamburg gewöhnen<br />
konnte; davon, wie sie ihre Frau heiratet,<br />
die sie noch in Argentinien kennenlernte,<br />
wo diese Deutsch am Goethe-<br />
Institut unterrichtete, auch noch, als sie<br />
selbst schon in Deutschland ist – sodass<br />
sie zeitweise eine Fernbeziehung führen.<br />
Zurück geht die Erinnerungsreise nach<br />
Argentinien, in die Provinz Buenos<br />
Aires, wo ihre Großmutter, eine überzeugte<br />
Anhängerin der Regierung<br />
Perón, Gartenzwerge im Garten aufstellt,<br />
vor denen sie sich als Kind sehr<br />
gruselt. Und wo es einen Ort namens<br />
„Altona“ gibt. Von ihrem Onkel mütterlicherseits<br />
erfahren wir, der zu Beginn<br />
der Militärdiktatur, die von 1976<br />
bis 1983 dauert, spurlos verschwindet
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
und wie sich ihre Großmutter daraufhin<br />
den „Müttern der Plaza de Mayo“<br />
anschließt, die bis heute das Schicksal<br />
vieler Verschwundener aufzuklären<br />
versuchen.<br />
Und noch weiter zurück geht ihr<br />
Buch und erzählt auch die Geschichte<br />
ihrer Vorfahren. Und wer sich bisher<br />
darüber gewundert hat, dass eine<br />
Altona gibt’s<br />
auch in<br />
Argentinien.<br />
51<br />
Argentinierin einen Nachnamen wie<br />
„Vollenweider“ trägt, erfährt nun, dass<br />
einst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts<br />
ein Heinrich Vollenweider in<br />
Argentinien für eine Schweizer Auswanderungsagentur<br />
tätig war – ihr<br />
Urur großvater, der in Familienkreisen<br />
den Spitznamen „Amerika-Heiri“ trug.<br />
Der alle seine Kinder stets zur Schulausbildung<br />
zurück in die Schweiz<br />
schickte, also auch den Großvater ihres<br />
Vaters, in den Ort Obfelden im Kanton<br />
Zürich. „Dieser Urgroßvater hat<br />
immer versucht, den Kontakt in die<br />
Schweiz zu halten und auch zu bewahren,<br />
woher unser Familienname Vollenweider<br />
kommt“, sagt sie.<br />
Nun hat sie dessen Aufgabe übernommen,<br />
sie war von Hamburg aus<br />
mehrmals in der Schweiz und hat sich<br />
gut mit einer Cousine angefreundet und<br />
auch erfahren, wie schön es sich anfühlen<br />
kann, wenn man über die Herkunft<br />
der eigenen Familie Bescheid weiß.<br />
Auch davon erzählt ihr Buch.<br />
„Meine Geschichte von Migration<br />
ist nicht dramatisch“, sagt sie. Sie musste<br />
schließlich nicht ihr Leben riskieren,<br />
als sie das Land wechselte. Trotzdem sei<br />
es schwierig, sich einen neuen Ort anzueignen<br />
und heimisch zu werden. Und<br />
sie will auch erzählen, dass im vergangenen<br />
Jahrhundert und dem davor viele<br />
Menschen aus Europa nicht nur in die<br />
USA und nach Kanada ausgewandert<br />
sind, sondern auch in die noch jungen<br />
Staaten Südamerikas, was weitaus weniger<br />
bekannt ist.<br />
Ideen, welches Buch sie als nächstes<br />
schreiben und zeichnen könnte, hat<br />
sie einige. Vielleicht zeichnet sie eine<br />
Chronik über Brasilien (denn zwischendurch<br />
war sie mit ihrer Frau, die dort<br />
für ein paar Monate einen Job hatte, in<br />
Brasilien, und man solle jetzt bitte nicht<br />
denken, Brasilien und Argentinien, das<br />
sei doch irgendwie dasselbe!); vielleicht<br />
schreibt sie eine Geschichte des Tangos;<br />
vielleicht wird es aber auch ein Bilderbuch<br />
über die Milongas, begleitet<br />
von durch sie übersetzten Tangoliedern<br />
– mal schauen, was kommt. Erst mal ist<br />
sie gespannt, wie ihr Buch hierzulande<br />
ankommt und ihre Zeichnungen, die<br />
sie jetzt beim Comicfestival ausstellt.<br />
In Hamburg wird sie erst mal bleiben,<br />
Hamburg soll es sein. Welches<br />
Detail das verrät? Sie hat sich erst neulich<br />
ein Tattoo stechen lassen: einen<br />
kleinen, schnörkellosen Anker, er hat<br />
auf der Innenseite ihres rechten Oberarmes<br />
seinen Platz gefunden. Da, wo<br />
man ihn nicht gleich sieht. Irgendwie<br />
typisch hamburgisch. •<br />
Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />
Nacha Vollenweider: „Fußnoten“,<br />
Avant Verlag, Berlin; 206 Seiten, 20 Euro.<br />
Zeichnungen von Nacha Vollenweider<br />
sind auf dem Hamburger Comicfestival<br />
(5.–8.10.) zu sehen. Galerie Speckstraße<br />
(Gängeviertel), Eröffnung: Fr., 6.10.,<br />
20 Uhr; Öffnungszeiten: Sa, 11–18 Uhr,<br />
So, 12–18 Uhr, weitere Infos zum Festival<br />
unter www.comicfestivalhamburg.de<br />
Nacha Vollenweider gibt einen Comickurs<br />
im Haus 3, Hospitalstraße 3, jeden<br />
Mittwoch von 18 bis 20 Uhr, Anmeldungen:<br />
mail@nacha-vollenweider.de,<br />
www.nacha-vollenweider.de<br />
<br />
PRIME CIRCLE<br />
<br />
MACHINE GUN KELLY<br />
<br />
PHILIPP DITTBERNER<br />
<br />
KASALLA<br />
<br />
MATT ANDERSEN<br />
<br />
THE KILKENNYS<br />
<br />
JESPER MUNK, LARY & ROBOT<br />
<br />
GIORA FEIDMAN &<br />
RASTRELLI CELLO QUARTETT<br />
<br />
ROBIN SCHULZ<br />
<br />
BRIT FLOYD<br />
<br />
ÁSGEIR<br />
<br />
ASTRID S<br />
<br />
NILS LANDGREN FUNK UNIT<br />
<br />
ARRESTED DEVELOPMENT<br />
<br />
JOCO<br />
<br />
LEROY SANCHEZ<br />
<br />
CHRIS REA<br />
<br />
SYLVAN ESSO<br />
<br />
ANATHEMA<br />
<br />
KASABIAN<br />
<br />
HENNING WEHLAND<br />
<br />
WOLFGANG HAFFNER & BAND<br />
<br />
BANKS<br />
<br />
CAPO<br />
<br />
MARCUS MILLER<br />
<br />
ZARA LARSSON<br />
<br />
PVRIS<br />
<br />
ROMANO<br />
<br />
SEVEN<br />
<br />
FIVE FINGER DEATH PUNCH / IN FLAMES<br />
<br />
JOHANNES OERDING<br />
TICKETS: KJ.DE
Kult<br />
Tipps für <strong>Oktober</strong>:<br />
subjektiv und<br />
einladend<br />
Festival<br />
Klangkunst im Kraftwerk Bille<br />
Stillgelegt? Ansichtssache. Die „Hallo<br />
Festspiele“ fahren den Energiepegel im<br />
Kraftwerk Bille wieder richtig hoch und<br />
bringen das alte Gemäuer in Hammerbrook<br />
zum Klingen. Neue Saiten zieht<br />
etwa die amerikanische Klangkünstlerin<br />
Ellen Fullman auf, die das Kraftwerk<br />
zum Resonanzraum für ihre 21 Meter<br />
lange Skulptur „Long String Instrument“<br />
umbaut und während des<br />
Festivals live bespielt. In der Woche<br />
vom 4. bis 7. <strong>Oktober</strong> klingen im<br />
historischen Kohlekraftwerk die ersten<br />
Töne an, am folgenden Wochenende<br />
52<br />
Da ist Musik drin: Ellen Fullman nutzt das alte<br />
Kohlekraftwerk am Bullerdeich als Klangkörper.<br />
feiern die „Hallo Festspiele“ ihr Finale<br />
mit Livekonzerten, DJ-Sets, Musiktheaterstücken,<br />
hörbaren Kunstinstallationen<br />
und Performances. •<br />
Kraftwerk Bille, Bullerdeich 14b, 4.–7. und<br />
13.–14.10., 19 Uhr (samstags 15 Uhr),<br />
Eintritt 10 Euro, www.hallo-festspiele.de
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
FOTOS: CAMINO FILMVERLEIH, DANIEL KALINKE, ELKE WALFORD<br />
Ausstellung<br />
Hommage an eine Ausgegrenzte<br />
„Ich kann mich in so einer Welt nie mehr zurechtfinden“, schrieb die Künstlerin<br />
Anita Rée 1933 an ihre Schwester, bevor sie sich das Leben nahm. Dabei hatte<br />
die Hamburger Malerin schon so viele Widerstände gebrochen: Weil Frauen zu<br />
den Kunstakademien der Stadt regulär noch keinen Zugang hatten, nahm<br />
Anita Rée ihre Ausbildung selbst in die<br />
Hand, entwickelte sich zu einer der<br />
bedeutendsten Hamburger Malerinnen<br />
und schuf ab 1926 als Mitgründerin des<br />
Künstlerinnen-Netzwerks GEDOK<br />
neue Verhältnisse in der Hamburger<br />
Kultur szene. Vier Jahre später wurde sie<br />
als Tochter jüdischer Eltern von Nazis<br />
und ihren Mitläufern als „Artfremde“<br />
diffamiert und ausgeschlossen. Die<br />
Kunsthalle ehrt Anita Rée mit einer<br />
facettenreichen Retrospektive, die mehr<br />
als 200 Werke zeigt. •<br />
Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall,<br />
ab Fr, 6.10., 10 Uhr, Eintritt 6–14 Euro,<br />
www.hamburger-kunsthalle.de<br />
Film<br />
Hamburg auf die wilde Tour<br />
Anita Rée – hier ein Selbstbildnis – wurde<br />
von den Nazis als „Artfremde“ diffamiert.<br />
„Ich kann einstecken. Zur Not“, sagt Mauser. Da ist der 17-Jährige schon total<br />
verknallt. Mit Jackie an seiner Seite ist er zu allem bereit. Und dann trifft es ihn<br />
richtig hart: Sein Vater rastet aus, im Wohnzimmer liegt eine Leiche, die Polizei<br />
stellt Fragen. Sein nächster Boxgegner ist – oder war? – sein bester Freund.<br />
Die rätselhafte Brünette aus der Videothek will was von ihm. Und wieso sieht<br />
keiner außer Mauser diesen irren Indianer? Das Filmfest Hamburg zeigt mit<br />
„Es war einmal Indianerland“ ein Roadmovie vom Hamburger Stadtrand –<br />
bunt, wild und waghalsig. •<br />
Passage Kino, Mönckebergstraße 17, Sa, 7.10., 19 Uhr,<br />
Eintritt 9,50/7 Euro, www.filmfesthamburg.de<br />
Roadmovie nach dem<br />
Roman von Nils Mohl: „Es<br />
war einmal Indianerland".<br />
Literatur<br />
Starke Worte gegen die Angst<br />
Angststörungen und Panik zwangen<br />
Nicholas Müller, einst Sänger der<br />
Band Jupiter Jones, 2014 von der<br />
Bühne. Nun meldet er sich als<br />
Schriftsteller zu Wort: Sein Buch „Ich<br />
bin mal eben wieder tot“ erzählt davon,<br />
wie er lernte, Panikattacken auszuhalten<br />
und nach vorn zu blicken.<br />
In St. Georg liest er daraus vor. •<br />
Polittbüro, Steindamm 45, Do, 5.10.,<br />
20 Uhr, Eintritt 15/10 Euro,<br />
www.polittbuero.de<br />
Ausstellung<br />
Berührende Porträts<br />
Sie sind mit dem Leben davongekommen,<br />
doch ihre Gesichter spiegeln<br />
das Trauma des Krieges: Daniel Etter<br />
und SOS-Kinderdörfer zeigen Fotos<br />
von syrischen Kindern (Foto S. 47). •<br />
LFI Galerie, Springeltwiete 4, bis Mi,<br />
18.10., Mo–Fr, 10-18 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.sos-kinderdoerfer.de/ausstellung<br />
Kinder<br />
Minecraft ohne Computer<br />
Buch, Spiel, Computerspiel? „Nanos<br />
Abenteuer“ ist alles in einem. Hier<br />
bestimmt das Publikum, wie die<br />
Geschichte weitergeht. Aber aufgepasst:<br />
Nano ist in der gefährlichen<br />
Welt von Minecraft unterwegs! Karl<br />
Olsberg zeigt zum Auftakt der Code<br />
Week, wie das Spiel ohne Computer<br />
funktioniert und wie Kinder selbst<br />
interaktive Geschichten entwickeln. •<br />
Zentralbibliothek, Hühnerposten 1,<br />
Sa, 7.10., 12.30 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.hamburg.codeweek.de<br />
Konzert<br />
Taktvolle Paketzusteller<br />
Was passiert, wenn ein Jongleur und<br />
ein Schlagzeuger auf einer Minibühne<br />
einen Paketlieferdienst mimen? Die<br />
Rhythmusshow „Pakman“ macht es<br />
beim Festival KinderKinder hörbar –<br />
und begeistert auch Große. •<br />
Pakman, verschiedene Stadtteilzentren,<br />
ab Sa, 7.10., Eintritt 7–9 Euro,<br />
www.kinderkinder.de<br />
53
Film<br />
Malochen bis zum bitteren Ende<br />
Schuften ums nackte Überleben,<br />
bis der Körper den Geist aufgibt – in<br />
den reichen Ländern der Welt gilt<br />
Schwerstarbeit längst als historisch<br />
überwunden. Doch anderswo geht die<br />
Maloche weiter. Der Dokumentarfilm<br />
„Workingman’s Death“ nimmt seine<br />
Zuschauer mit zu diesen Orten:<br />
Er zeigt Minenarbeiter in der Ukraine,<br />
Schlachter in Nigeria und Schiffsabwracker<br />
in Pakistan, folgt indonesischen<br />
Schwefelarbeitern in den Krater des<br />
Vulkans Ijen und erzählt von Hoffnungen<br />
auf eine bessere Zukunft. Die Doku<br />
von Michael Glawogger, die 2005<br />
erschienen ist und mehrfach prämiert<br />
54<br />
Schwerstarbeit: Schwefelträger auf Java buckeln bis zu<br />
100 Kilo – dokumentiert von Filmemacher Michael Glawogger.<br />
wurde, schafft eine Verbindung<br />
zwischen Leben und Sterben der<br />
Schwerstarbeiter und dem Wohlstand<br />
der Industrienationen. Ein sehenswerter<br />
Film, der zum Umdenken anregt. •<br />
Metropolis Kino, Kleine Theaterstraße 10,<br />
Mi, 25.10., 19 Uhr, Eintritt 7,50/5 Euro,<br />
www.metropoliskino.de
FOTOS: GOOD!MOVIES/REAL FICTION, MICHAEL STEINHAUSER, PRIVAT<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Musik<br />
Mit Afrobeat gegen Ungerechtigkeit<br />
Fela Kuti und Toni Allen gelten nicht nur in ihrem Heimatland Nigeria als<br />
Legenden: Gemeinsam setzten sie in den 1970er-Jahren den Afrobeat in die Welt<br />
und protestierten mit ihrer Musik gegen Ausbeutung und Korruption. Wie würde<br />
der 1997 verstorbene Songschreiber Kuti die Welt heute kommentieren? Dieser<br />
Frage geht die Compagnie Follown auf dem „eigenarten Festival“ mit ihrer Show<br />
„Fela rewind“ nach. Dabei soll auch die befreiende Kraft des Afrobeat wieder<br />
Gehör finden. Das eigenarten Festival bringt Hamburger Künstler unterschiedlicher<br />
Herkunftsländer auf die Bühne und fördert gemeinsame Projekte. •<br />
Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15b, Fr, 27.10., 20.15 Uhr und So, 29.10., 19 Uhr,<br />
Eintritt 18/12 Euro, Reservierung und Programm: www.festival-eigenarten.de<br />
Debatte<br />
Grundeinkommen für alle?<br />
Ein Jahr lang jeden Monat 1000 Euro<br />
aufs Konto und das ohne irgendeine<br />
Bedingung – ein utopischer Traum?<br />
Für 100 Menschen ist er wahr<br />
geworden, so oft hat der Verein „Mein<br />
Grundeinkommen“ die monatliche<br />
Zuwendung schon verlost. Wie das<br />
bedingungslose Grundeinkommen ihr<br />
Leben verändert hat, erzählen einige<br />
der Gewinner im SpeedCafé der<br />
Körberstiftung. Die Gäste können<br />
dazu Fragen stellen. Und was würde<br />
passieren, wenn es bedingungsloses<br />
Grundeinkommen für alle gäbe? Das<br />
beantwortet der Hamburger Ökonom<br />
Thomas Straubhaar, der Chancen<br />
und Risiken für sein Buch „Radikal<br />
gerecht“ durchkalkuliert hat. •<br />
Körberforum, Kehrwieder 12,<br />
Mi, 18.10., 19 Uhr, Eintritt frei,<br />
www.koerber-stiftung.de<br />
Was hätte Fela zu den<br />
politischen Verhältnissen<br />
heute gesagt, fragt die<br />
Compagnie Follown auf<br />
dem eigenarten Festival.<br />
Konzert<br />
Irie Révoltés sagen Tschüss<br />
Ihre Songs schallten bei Demos gegen<br />
Rechts aus den Boxen, immer wieder<br />
erhoben sie ihre Stimmen gegen Ausgrenzung<br />
und Hass. Nach 17 Jahren<br />
stöpseln die Musiker der Band Irie<br />
Révoltés nun ihre Mikros aus. Ihre<br />
Abschiedstournee führt die neunköpfige<br />
Band auch auf den Hamburger<br />
Kiez: Im Docks wollen sie mit ihrem<br />
typischen Sound aus Dancehall,<br />
Reggae, Hip-Hop und Punk noch<br />
einmal alle zum Hüpfen bringen. •<br />
Docks, Spielbudenplatz 19, Do, 19.10.,<br />
ab 19 Uhr, Eintritt 28,20 Euro + Gebühr,<br />
www.docks-prinzenbar.de<br />
Über Veranstaltungstipps bis zum<br />
10. des Vormonats freut sich Annabel<br />
Trautwein: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Humorfreie<br />
Zone<br />
Happy End heißt das neue<br />
Werk des leidenschaftlichen<br />
Misanthropen Michael Haneke<br />
und ist in etwa so happy<br />
wie ein Angstpatient vor der<br />
Paradontosebehandlung.<br />
Der Regisseur zwingt<br />
den Zuschauer über die gesamte<br />
Filmlänge durch die<br />
kalte, empathielose Welt einer<br />
französischen Großbürgerfamilie,<br />
die gemeinsam<br />
unter dem Dach der Familienvilla<br />
lebt. Selbst beim geneigten<br />
Zuschauer pochen<br />
die Schläfen. Ohne Mitgefühl<br />
und in emotionaler Apathie<br />
schlittern die Protagonisten<br />
auf ihr ganz persönliches<br />
Drama zu.<br />
Schonungslos konsequent<br />
zieht Haneke jedes<br />
Register des Miese-Laune-<br />
Kinos: Starre Totalen, strenge<br />
und beinahe künstlich wirkende<br />
Bilder und das fast<br />
völlige Fehlen von Witz und<br />
Filmmusik tragen dazu bei,<br />
dass der Kloß im Hals kontinuierlich<br />
wächst.<br />
Als dann kurz vor Schluss<br />
endlich der Vorhang gelüftet<br />
wird und die wahren Probleme<br />
dahinter hervorblitzen<br />
wie leuchtende Augen von<br />
Gespenstern, ist es für viele<br />
längst zu spät. Auf der Leinwand.<br />
Und davor. Die Bezüge<br />
auf das Zerbröckeln<br />
westlicher Familien- und<br />
Gesellschaftskultur mag eben<br />
doch nur noch sehen, wer bis<br />
zum Schluss durchhält.<br />
Happy End? Ein selbstverliebter<br />
Euphemismus auf<br />
allen Ebenen! Wie im echten<br />
Leben. Manchmal. •<br />
André Schmidt<br />
geht seit vielen<br />
Jahren für<br />
uns ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
Republik<br />
in Ostafrika<br />
niederl.<br />
Moderatorin<br />
(Sylvie)<br />
balkonartiger<br />
Anbau,<br />
Söller<br />
rheinisch:<br />
Fels,<br />
Schiefer<br />
franz.<br />
Modeschöpfer<br />
† 1957<br />
völlig<br />
unwissend<br />
undeutlich<br />
reden<br />
früherer<br />
Name von<br />
Zagreb<br />
Rinder-,<br />
Schafsfett<br />
orientalische<br />
Flöte<br />
umgangssprachlich:<br />
Geld<br />
7<br />
6<br />
1<br />
von<br />
hohem,<br />
geradem<br />
Wuchs<br />
3<br />
9<br />
6<br />
8<br />
spanischer<br />
Tanz<br />
2<br />
4<br />
7<br />
5<br />
Nachahmung<br />
Marschall<br />
Napoleons<br />
III.<br />
gemietetes<br />
Auto<br />
3<br />
9<br />
8<br />
1<br />
3<br />
7<br />
österreichisch:<br />
Landschaft<br />
östlich<br />
von Paris<br />
5<br />
1<br />
7<br />
3<br />
4<br />
erster<br />
Gang,<br />
Vorspeise<br />
(franz.)<br />
orientalisches<br />
Fürstenschloss<br />
1<br />
5<br />
7<br />
Handwerk,<br />
Beruf<br />
5<br />
5<br />
8<br />
2<br />
germanischer<br />
Volksstamm<br />
Zauberwort<br />
Kasse<br />
hasenähnliches<br />
südamer.<br />
Nagetier<br />
erstklassig,<br />
hervorragend<br />
das<br />
Seiende<br />
(Philosophie)<br />
Gedichtform<br />
lateinamerikanischer<br />
Tanz<br />
10<br />
Münzeinheit<br />
in Norwegen<br />
Aarein<br />
der<br />
Schweiz<br />
Gebirge<br />
in Europa<br />
Diagramm<br />
der Hirnströme<br />
(Abk.)<br />
Fußballfreistoß<br />
(Kurzwort)<br />
fertig<br />
gebraten,<br />
gekocht,<br />
gebacken<br />
alter<br />
Stadteingang<br />
antike<br />
Weissagungsstätte<br />
Kurzform<br />
von:<br />
Timotheus<br />
Traubenernte<br />
aufgebraucht<br />
Geheimdienst<br />
der USA<br />
(Abk.)<br />
Flussmündungsform<br />
biblischer<br />
Priester<br />
Persönlichkeitsbild<br />
(engl.)<br />
ältere<br />
Einheit<br />
der<br />
Energie<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 27. <strong>Oktober</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von drei<br />
Exemplaren des Fotobuches „Die Datscha. 600 m 2 Glück“ von Evgeny<br />
Makarov (Sieveking Verlag). Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war:<br />
Zentimeter. Die Sudoku-Zahlenreihe war: 849 236 715.<br />
6<br />
6<br />
8<br />
9<br />
4<br />
5<br />
6<br />
9<br />
7<br />
8<br />
1<br />
9<br />
6<br />
9<br />
10<br />
2<br />
AR1115-0617_3<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD),<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof), Ulrich Jonas (ujo),<br />
Frank Keil (fk), Benjamin Laufer (bela), Misha Leuschen (leu),<br />
Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />
Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Ionel Lupu<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Jonas Gengnagel,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
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BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 3. Quartal <strong>2017</strong>:<br />
65.000 Exemplare<br />
57
Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>296</strong>/OKTOBER <strong>2017</strong><br />
„Die wilden Zeiten<br />
sind vorbei“, findet<br />
Peter. Mit 18 landete<br />
er das erste Mal<br />
auf der Straße.<br />
Stammgast<br />
am Millerntor<br />
Peter (59) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor Edeka in Krupunder.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
Eine Dauerkarte besitzt er nicht. Dafür<br />
fehlt das Geld. Trotzdem ist Peter bei<br />
jedem St.-Pauli-Heimspiel dabei. Er begleitet<br />
drei Rollstuhlfahrer. Ein paar<br />
Tage vor dem Spiel holt der 58-Jährige<br />
die Tickets ab. Am Spieltag hilft er<br />
schließlich den Behinderten durch den<br />
Trubel rund um das Stadion. Das ist<br />
nicht nur anstrengend, sondern erfordert<br />
vor allem ein hohes Maß an Verbindlichkeit.<br />
Peter zieht das durch, seit<br />
fünf Jahren schon.<br />
Für einen, der 20 Jahre auf der<br />
Straße lebte und der stark alkoholabhängig<br />
war, keine Selbstverständlichkeit.<br />
Was ihn motiviert? Einer der Rollifahrer<br />
ist Peters bester Freund.<br />
Seit 40 Jahren kennen sich die beiden.<br />
„Wir hatten den gleichen Bewährungshelfer,<br />
wohnten im gleichen Männerwohnheim<br />
und verbrachten viel Zeit<br />
bei der Heilsarmee auf St. Pauli“, erinnert<br />
sich Peter.<br />
Bereits als Säugling hatte ihn seine<br />
überforderte Mutter ins Heim abgegeben,<br />
mit 18 Jahren landete er das erste<br />
Mal auf der Straße. Statt eine Ausbildung<br />
zu suchen, fing er an zu klauen.<br />
Er wurde erwischt und machte schließlich<br />
„Urlaub in Fuhlsbüttel“, wie Peter<br />
das ausdrückt.<br />
Zurück in der Freiheit, verbrachte<br />
er fortan viel Zeit mit einem neuen<br />
Kumpel von der Heilsarmee. Anfangs<br />
jobbte er noch als Schausteller, später<br />
allerdings habe er nur noch „rumgebutschert“<br />
und viel getrunken, erzählt der<br />
gebürtige Hamburger. Oftmals in Begleitung<br />
seines Freundes.<br />
Der allerdings machte sich nach<br />
der Trennung von seiner Ehefrau mit<br />
einem Mal aus dem Staub. Das war etwa<br />
Mitte der 1980er-Jahre. Es gab kein<br />
Facebook. Kein StayFriends. Und so<br />
verloren sich die beiden aus den Augen.<br />
Peter bekam gar nicht mit, dass sein<br />
Kumpel wegen einer Knochenerkrankung<br />
erst im Rollstuhl und später wegen<br />
seiner Alkoholsucht sogar im Heim<br />
landete. Sie hätten sich sicherlich nie<br />
wiedergesehen, wenn sein Freund nicht<br />
vor fünf Jahren einen Platz in einem<br />
Wohnheim in Hamburg erhalten hätte.<br />
„Er hat dann nach mir gesucht“, sagt<br />
Peter. „Dort, wo er mich vermutet hat:<br />
Goldener Handschuh, Silbersack und<br />
all die anderen Kneipen, in denen wir<br />
früher rumhingen.“<br />
Doch im Unterschied zu seinem<br />
Kumpel hat Peter die Kurve gekriegt:<br />
Er ist längst nicht mehr Stammgast in<br />
irgendeiner Kneipe. Er trinkt noch,<br />
aber viel seltener. Und er hat eine eigene<br />
Wohnung. Seit 1999. Die dafür notwendige<br />
Stabilität verleiht ihm auch der<br />
regelmäßige Magazinverkauf. Vor 20<br />
Jahren kam er zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Der<br />
Kaffeetresen im Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Vertrieb<br />
war schließlich auch der Ort, an dem<br />
ihn sein Freund aufspürte. „Er hat dort<br />
nach mir gefragt. Natürlich kannten die<br />
mich, und so haben wir wieder zusammengefunden“,<br />
erzählt Peter.<br />
Aus der anfänglichen Überraschung<br />
ist wieder echte Freundschaft erwachsen.<br />
Am Wochenende geht es ins<br />
Stadion – zusammen mit zwei weiteren<br />
Bewohnern aus dem Behindertenwohnheim.<br />
Oder Peter begleitet seinen<br />
Freund ans Wasser. Dort wird geangelt.<br />
„Wir sind ja inzwischen doch etwas<br />
älter geworden“, sagt Peter und muss<br />
schmunzeln: „Die wilden Zeiten sind<br />
wohl vorbei.“ •<br />
A. Beig<br />
Druckerei und Verlag<br />
GmbH & Co. KG<br />
Damm 9-19, 25421 Pinneberg<br />
Tel. 0 41 01/5 35-0<br />
Wir sorgen für den nötigen Druck!<br />
In unserer modernen und leistungsstarken Druckerei in Pinneberg<br />
produzieren wir neben unseren eigenen Publikationen auch zahlreiche<br />
Fremdaufträge. Wir stellen jährlich so ca. 90 Mio. Zeitungen her<br />
und verarbeiten über 350 Mio. Beilagen.<br />
58<br />
www.a-beig.de
KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />
Preis: 12 Euro<br />
4.<br />
2. „Mein Hamburg“<br />
Zwölf Hinz&Künztler waren unter Anleitung<br />
von Fotografi n Lena Maja Wöhler<br />
auf Fotosafari in Hamburg.<br />
Die besten Motive haben wir in einem<br />
DIN A4-Wandkalender zusammengefasst.<br />
Preis: 4,80 Euro<br />
5.<br />
1.<br />
2.<br />
3. „Lesebrettchen“<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. „Non urban“-Klappkarten<br />
5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />
DIN A6, Fotograf Dmitrij Leltschuk.<br />
Der Erlös geht zur Hälfte an den Fotografen,<br />
zur Hälfte an das Hamburger Straßenmagazin.<br />
Preis: 8 Euro<br />
6.<br />
5. „Heiße Hilfe“<br />
Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />
Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />
(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />
natürliches Orangenaroma<br />
mit anderen natürlichen Aromen.<br />
Dose, 75 g, abgefüllt<br />
von Dethlefsen&Balk, Hamburg,<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
7.<br />
3.<br />
6. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />
T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />
100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />
genäht in Bangladesch und<br />
von Hand bedruckt in Deutschland.<br />
Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />
Meerwassertürkis für Damen,<br />
Preis: 24,90 Euro<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
<strong>Oktober</strong> <strong>2017</strong><br />
Hochverräter<br />
und Gewinner<br />
und andere Themen, die Hamburger bewegen<br />
Mi 04.10. | 19.00 Uhr | Gespräch<br />
Neue Weltunordnung Unter US-Präsident Donald Trump ziehen sich die Vereinigten Staaten immer<br />
mehr aus ihrer globalen Verantwortung zurück. Über die zukünftige Rolle der USA in der Welt sprechen<br />
Britta Sandberg, Der Spiegel, und Nora Müller, Körber-Stiftung, mit dem ehemaligen CIA-Direktor<br />
General David H. Petraeus. In Kooperation mit Der Spiegel.<br />
Di 10.10. | 19.00 Uhr | Buchvorstellung<br />
Geisterkinder: Erinnerungen an den Widerstand Die Attentäter vom 20. Juli 1944 wurden als<br />
Hochverräter hingerichtet – darunter auch der Vetter von Claus Schenk Graf von Stauffenberg,<br />
Caesar von Hofacker. In ihrem Buch »Geisterkinder« erzählt dessen Enkelin Valerie Riedesel die<br />
histori schen Ereignisse aus Sicht ihrer Familie. Carmen Ludwig, Körber-Stiftung, moderiert.<br />
Mi 18.10. | 19.00 Uhr | Input und SpeedCafé<br />
Hauptgewinn: Bedingungsloses Grundeinkommen Schon 100 Mal hat der Verein »Mein Grundeinkommen«<br />
ein solches verlost – monatlich 1.000 Euro für ein Jahr. Im SpeedCafé berichten<br />
Gewinner, was dies für sie verändert hat. Warum das Konzept für die ganze Gesellschaft funktioniert,<br />
erklärt Autor Thomas Straubhaar. Es moderiert Markus Riemann, Kulturmanager.<br />
Mi 25.10. | 19.00 Uhr | Diskussion<br />
So gelingt die Energiewende Neue Trassen für den Netzausbau? Der Jurist und Studienpreisträger<br />
Tom Pleiner schlägt eine Alternative vor: die Überplanung alter Leitungen. Darüber diskutiert er mit<br />
Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck. Barbara Schmidt-Mattern, Deutschlandfunk,<br />
moderiert. In Kooperation mit dem Deutschlandfunk.<br />
Stand: September <strong>2017</strong>, Änderungen vorbehalten. groothuis.de Fotos: Getty Images, Lea Weidenberg, Claudia Höhne, David Ausserhofer<br />
Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: www.koerberforum.de<br />
KörberForum | Kehrwieder 12 | 20457 Hamburg | U Baumwall<br />
Telefon 040 · 80 81 92 - 0 | E-Mail info@koerberforum.de<br />
Veranstalter ist die gemeinnützige Körber-Stiftung.