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Côte Vermeille, Costa, Brava, Katalonien (Auszug, Blick ins Buch)

Reise- und Wanderführer rund um die französisch-spanische Grenze am Ausläufer der Pyrenäen

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Die letzte Passage<br />

nem Frachter einzuschiffen. Das Institut für<br />

Sozialforschung hatte ihm ein Visum für<br />

die USA besorgt. Auch verfügte Benjamin<br />

über die nötigen Transitvisa für Spanien<br />

und Portugal. Was fehlte, war die Aus -<br />

reiseerlaubnis für Frankreich – seinerzeit<br />

heikel zu beschaffen, weil das Vichy-Re -<br />

gime nicht wenige Antragsteller direkt<br />

an die deutschen Besatzer auslieferte.<br />

An einem späten Abend im Sep tem -<br />

ber 1940 klopft ein Mann mit grau -<br />

em Haar, dichtem Schnauzbart und<br />

runder Brille an der Haustür der deutschen<br />

Exilantin Lisa Fittko, die da mals in<br />

einer kleinen Dachwohnung in Port-Ven -<br />

dres lebte. „Gnädige Frau, ent schul digen<br />

ihren Schützlingen im Morgengrauen am<br />

Stadtrand. Am Ortsausgang von Banyuls,<br />

nachdem man den silbernen kleinen Fluss<br />

überquert hat, führt der Weg durch Puig<br />

del Mas. Heute parken Autos im trockenen<br />

Flussbett. An der Brücke weist ein<br />

erstes Schild den Weg. Die Sonne steht<br />

hoch hinter Schleierwolken. Wenn wir<br />

mit den Weinbauern morgens vor Son -<br />

nenaufgang, zwischen vier und fünf Uhr,<br />

aus dem Dorf in die Hügel hinaufziehen,<br />

wenn wir uns in nichts von ihnen unterscheiden,<br />

kein Gepäck tragen – et surtout<br />

pas de rucksack! (der Rucksack ist das<br />

sprichwörtliche Kennzeichen der Deut -<br />

schen) – , dann kann kein Gendarm und<br />

„Die Welt gerät aus den Fugen, aber<br />

Benjam<strong>ins</strong> Höflichkeit ist unerschütterlich.“<br />

Sie bitte die Störung, hoffentlich komme<br />

ich nicht ungelegen.“ In ih ren Mem oiren<br />

schrieb Fittko später: Die Welt gerät aus<br />

den Fugen, dachte ich, aber Benjam<strong>ins</strong><br />

Höf lichkeit ist unerschütterlich. Zusam -<br />

men mit ihrem Mann hat Lisa Fittko, als<br />

Jüdin selbst vom Nazire gime ver folgt, in<br />

den Jahren 1940/41 Dut zen den von Flücht -<br />

lingen über die grüne Grenze nach Spa -<br />

nien geholfen, ehe auch sie aus Europa<br />

fliehen mussten.<br />

Die Zugfahrt von Portbou nach Banyuls<br />

dauert zehn Minuten. Vor knapp zehn<br />

Jah ren erst wurde der genaue Verlauf der<br />

Flucht route rekonstruiert, auf Grundlage<br />

historischer Dokumente. Seitdem trägt<br />

der alte Schmugglerpfad den Namen<br />

Ruta Walter Benjamin, gelb markiert in<br />

Frank reich, bordeauxrot in Spanien. Sie<br />

be ginnt am Strand von Banyuls, wo am<br />

Mit tag Familien in der Sonne braten und<br />

auf Tischen im Schatten von Platanen die<br />

schweren Weine der Region in Gläsern<br />

dämmern. Die Fittkos trafen sich mit<br />

kein Zöllner uns von den Einheimischen<br />

unterscheiden.<br />

Eine Frau Gurland und ihr Sohn hatten<br />

Ben jamin nach Banyuls begleitet, auch<br />

sie auf der Flucht vor den Nazis. Gemein -<br />

sam war die Gruppe schon am Vorabend<br />

in die Berge gewandert. Lisa Fittko ging<br />

den Weg zum ersten Mal und wollte sich<br />

zunächst orientieren. Benjamin soll eine<br />

schwere Aktentasche bei sich gehabt ha -<br />

ben. Er war damals 48 Jahre alt, herzkrank.<br />

Dennoch ließ er nicht von seinem<br />

schweren Gepäck. „Wissen Sie“, erklärte<br />

er, „diese Aktentasche ist mir das Aller -<br />

wichtigste. Ich darf sie nicht verlieren.<br />

Das Manuskript muss gerettet werden. Es<br />

ist wichtiger als meine eigene Person.“<br />

Als die Gruppe am späten Nachmittag<br />

um kehrte, blieb Benjamin auf einer Lich -<br />

tung in den Bergen zurück. Er wolle die<br />

Nacht im Freien verbringen, sagte er, und<br />

hier am nächsten Morgen auf sie warten.<br />

Benjamin fürchtete, die Strecke nicht am<br />

Stück bewältigen zu können.<br />

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