PT-Magazin 01 2018
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft. Offizielles Informationsmagazin des Wettbewerbs "Großer Preis des Mittelstandes" der Oskar-Patzelt-Stiftung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
© Visions-AD - stock.adobe.com<br />
Vergesst ‚hygge‘<br />
– zelebriert<br />
‚Muschebubu‘!<br />
Na,<br />
haben Sie auch fleißig<br />
kommentiert, als am<br />
Anfang des Jahres die<br />
Wörter und Unwörter 2<strong>01</strong>7 präsentiert<br />
wurden? Selten sind wir mit der<br />
getroffenen Wahl einverstanden, aber:<br />
wurscht, schnuppe und papperlapapp.<br />
Wen interessiert Schnee vom letzten<br />
Jahr! Mein Wort des Jahres für 2<strong>01</strong>8<br />
ist – Muschebubu. Ich höre die Sächsinnen<br />
und Sachsen unter den Leserinnen<br />
und Lesern juchzen und kichern: „Genau,<br />
Muschebubu für alle!”<br />
Aber langsam. Das schöne deutsche<br />
Wort Steckenpferd wurde irgendwann<br />
vom schnöden Hobby abgelöst. Wir kaufen<br />
oder holen nicht mehr ein – wir shoppen.<br />
Und der verlässliche Hausmeister<br />
musste dem Facility-Manager weichen.<br />
Alles unter dem Motto: Weg mit dem<br />
nationalen Schmonzes, her mit den global<br />
austauschbaren Anglizismen.<br />
Nun soll es einem weiteren Wort<br />
an den Kragen gehen: der Gemütlichkeit.<br />
Sie lesen richtig. Zwar sind wir im<br />
englischsprachigen Raum bekannt für<br />
unsere German Gemütlichkeit, die wie<br />
die Wörter Kindergarten oder Weltschmerz<br />
sogar in den dortigen Wortschatz<br />
aufgenommen wurden. Im Falle<br />
der Gemütlichkeit liegt der Fall komplizierter:<br />
der machen wir jetzt selbst<br />
Garaus. Oder besser: Wir schieben die<br />
Dänen oder die Norweger vor. Die sind<br />
nämlich bekanntlich noch tausendmal<br />
gemütlicher als wir. Und sie haben dafür<br />
das schöne Wort – hygge. Diese Hyggeligkeit<br />
ist nun ganz sanft über die nördliche<br />
Grenze geschwappt, sucht sich ihren<br />
Weg gen Süden – und hat in den großen<br />
Redaktionen der Trend-Produzenten erst<br />
die Titelseiten der Frauenzeitschriften,<br />
dann eine eigene Zeitschrift mit dem<br />
Namen hygge okkupiert.<br />
Doch da – ein kleines zänkisches, äh,<br />
gemütliches Volk in der Mitte Mitteldeutschlands<br />
leistet Widerstand! Als die<br />
Süßkartoffel oder Batate als exklusives,<br />
neu zu entdeckendes Knollgewächs auf<br />
die Märkte geworfen wurde, konterte<br />
man in Sachsen mit Topinambur, der<br />
wuchs schon immer in den Gärten. Als<br />
überall Latte Macchiato und mehr mit<br />
Hilfe bunter Kapseln aus chromglänzenden<br />
Coffeemakern floss, hielt der<br />
Kaffeesachse mit Mühle und Porzellanfilter<br />
erfolgreich gegen den Trend. Da<br />
wird sich doch auch eine sächsische Entsprechung<br />
für dieses komische hygge<br />
finden… Genau. Muschebubu! So sagte<br />
man in Sachsen, eigentlich in ganz Ostdeutschland,<br />
lange Jahre. Muschebubu!<br />
Das „e” ein bisschen verschlucken und<br />
das „sch” in der Mitte bitte weich sprechen<br />
wie im sächsischen fischelant (vom<br />
französischen vigilant für wachsam), also<br />
ähnlich wie das französische „J” in Jean.<br />
Muschebubu ist mehr als das heimelige,<br />
gemütliche Licht, das die dunkle Jahreszeit<br />
erträglicher macht. Muschebubu ist<br />
einfach – herrlisch. Trauen wir uns, Wörtern<br />
aus der Mundart oder anderweitig<br />
vom Vergessen bedrohten Wörtern<br />
Asyl zu gewähren in unserem täglichen<br />
Sprachgebrauch. In diesem Sinne: statt<br />
Ciao, See you oder Bye ein fröhliches<br />
Tschüss bis zum nächsten Mal. ó<br />
Über die Autorin<br />
Martina Rellin, Ex-Chefredakteurin<br />
der Kultur-Zeitschrift Das <strong>Magazin</strong> und<br />
erfolgreiche Sachbuchautorin („Klar bin<br />
ich eine Ost-Frau!”) rettet gerne Wörter<br />
und schreibt leidenschaftlich für sich und<br />
andere Bücher und Auftragskommunikation.<br />
Sie betreibt die Rellin Schreibwerkstatt<br />
bei Berlin und seit neuestem in Oybin im<br />
Zittauer Gebirge und vermittelt dort und<br />
in Leipzig Interessierten das Handwerk des<br />
Schreibens in Kursen und Coachings.<br />
www.martinarellin.de<br />
55<br />
<strong>PT</strong>-MAGAZIN 1/2<strong>01</strong>8<br />
Mitteldeutschland