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KURT BACHMANN<br />

Wahrscheinlich nicht. Wir haben jedenfalls<br />

in der Schweiz eine der höchsten Dichten an<br />

Psychiatern.<br />

Je grösser die Differenz in meinen Leben<br />

zwischen meinen Erwartungen und der<br />

Wirklichkeit, desto näher bin ich ihrer<br />

Praxis.<br />

Ja, das ist eine gute Definition. Es kann sein,<br />

dass Sie noch so erfolgreich sind, aber die<br />

Erwartungen doch nie erfüllen können. Werten<br />

und Vergleichen tut uns nicht gut. Ich war<br />

in den 1990er-Jahren oft mit einem befreundeten<br />

Psychiater unterwegs. Er war eine ganz<br />

grosse, international hochgeachtete Kapazität<br />

und der Autor von mehreren Fachbüchern.<br />

Aber nach jedem Erfolg jagte er den<br />

nächsten und fiel doch wieder in ein Loch.<br />

Er konnte einfach die Erwartungen, die aus<br />

einem schweren Vaterkomplex kamen, nie<br />

erfüllen. Als er einmal im «Spiegel» wegen<br />

irgendeines fachlichen Problems kritisiert<br />

worden war, weinte er wie ein Kind.<br />

Und obwohl er ein so erfolgreicher Psychiater<br />

war, konnte er sich nicht selbst therapieren?<br />

Es hat halt jeder seine blinden Flecken.<br />

Aber die von Ihnen geschilderten Probleme<br />

sind eher die Schwierigkeiten der Reichen<br />

und der Erfolgreichen. Die Armen<br />

haben andere Probleme.<br />

Da kann man sich täuschen. Es ist einfach<br />

so, dass sich die wirklich Reichen viel einfacher<br />

Ersatzbefriedigung im materiellen Bereich<br />

leisten können. Aber sie entkommen<br />

ihren Problemen nicht und entwickeln oft<br />

psychosomatische Leiden.<br />

Leiden Sie manchmal an einer<br />

«Deformation professionelle»?<br />

Können Sie sich normal mit<br />

Menschen unterhalten oder<br />

sind Sie sofort an der Analyse<br />

seiner Seele?<br />

Das ist kein Problem. Manchmal,<br />

nach einem Anlass, sagt meine<br />

Frau, diesem oder jenem unserer<br />

Bekannten gehe es wohl nicht gut<br />

– und ich habe es nicht wahrgenommen.<br />

Ich blende das im Privaten<br />

oft sogar etwas aus.<br />

Ist Ihre Arbeit nicht seelisch belastend?<br />

Nein. Meine Arbeit besteht ja vor allem aus<br />

persönlichen Gesprächen. Dabei geht es um<br />

berührende Schicksale und Geschichten, die<br />

vom Leben geschrieben werden. Natürlich<br />

macht es mich oft auch betroffen und es löst<br />

etwas in mir aus. Aber es ist ebenso belebend<br />

und spannend, wie belastend.<br />

Es ist also nicht so, dass Sie möglichst unbeteiligt<br />

bleiben und etwas nicht an sich<br />

heranlassen?<br />

Nein. Nur in einer glaubwürdigen Beziehung<br />

zum Patienten ist ein Heilungserfolg möglich.<br />

Deshalb habe ich grosse Vorbehalte<br />

gegen jene, die als kühle Analytiker versuchen,<br />

ja nichts an sich heranzulassen. Ich<br />

muss Anteil nehmen am Schicksal meines<br />

«Wir können unser Gehirn<br />

trainieren wie einen Muskel.<br />

Wir können einzelne Bereiche<br />

stärken, andere schwächen.<br />

So verändert sich das Gehirn<br />

im Laufe einer Therapie.»<br />

Nach seiner<br />

Pensionierung<br />

gründete Kurt<br />

Bachmann eine<br />

eigene Praxis.<br />

Patienten und auch mitfühlen. Ich muss aber<br />

einen Weg finden, dass ich seine Lasten nicht<br />

alle mittragen muss. Das Vertrauen, das einem<br />

ein Patient entgegenbringt, ist ein Geschenk.<br />

Was hat Sie in letzter Zeit am stärksten<br />

berührt?<br />

Ich lernte einen Mann kennen, der seine<br />

Frau nach vielen gemeinsamen Jahren verloren<br />

hat und unsäglich traurig war. Diese<br />

Trauer lässt mich nicht kalt. Häufig bewegt<br />

mich meine Hilflosigkeit. Es wäre wichtig,<br />

uns unserer Ohnmacht und Hilflosigkeit bewusst<br />

zu sein und sie auch in der Psychiatrie<br />

mehr zuzulassen.<br />

Wir sind uns also unserer Hilflosigkeit<br />

oft zu wenig bewusst?<br />

Ja. Deshalb ist die Geschichte der Psychiatrie<br />

auch eine Geschichte der<br />

Gewalt.<br />

Eine Geschichte der Gewalt?<br />

Ja. Noch heute werden zu viele Leute<br />

eingesperrt. Und früher glaubte man, es<br />

handle sich um organische Gehirnerkrankungen<br />

und hat gewaltsame Eingriffe am<br />

Gehirn vorgenommen. Dabei sind Hunderte<br />

von Menschen ums Leben gekommen, später<br />

hat man eine Heilung durch Schockeinwirkung<br />

zu erzwingen versucht. Durch Elektrobehandlung<br />

oder Insulin- und Cardiazol-<br />

Schocks.<br />

Man hat auch heute für alles zu wenig<br />

Zeit.<br />

Es ist auch eine Frage der Einstellung. Wenn<br />

ich in der Klinik während der Nacht gerufen<br />

wurde und meinte, keine Zeit zu haben,<br />

dann konnte ich einem Patienten nicht helfen.<br />

Wenn ich aber ruhig ging und mir nicht<br />

vornahm, spätestens in einer Stunde fertig<br />

zu sein, dann liess sich oft ein Problem lösen.<br />

Uns interessiert noch etwas: Der Schlaf …<br />

… ist ein häufiger Grund, meine Praxis aufzusuchen.<br />

Erzählen Sie!<br />

8 s’Positive 12 / 2017

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