LG München I, Endurteil v. 18.01.2017 – 9 O 5246_14
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<strong>LG</strong> <strong>München</strong> I, <strong>Endurteil</strong> v. <strong>18.01.2017</strong> <strong>–</strong> 9 O <strong>5246</strong>/<strong>14</strong><br />
Hinsichtlich der Einzelheiten der Krankengeschichte wird auf die Klageschrift vom<br />
11.03.20<strong>14</strong> und die bei den Gerichtsakten befindlichen Behandlungsunterlagen<br />
Bezug genommen.<br />
7<br />
Der Kläger trägt vor, obschon in einem Arztbrief vom 18.09.2006 aus den<br />
Behandlungsunterlagen des Klinikums … dokumentiert sei, die Anlage sei „auf<br />
ausdrücklichen Wunsch des Sohnes und des Betreuers“ durchgeführt worden, habe<br />
der Kläger zu keinem Zeitpunkt der Anlage der PEG-Sonde oder der Fortführung der<br />
künstlichen Ernährung zugestimmt.<br />
8<br />
Jedenfalls aber sei die künstliche Ernährung seines Vaters mittels einer PEG-Sonde<br />
ab dem 01.01.2010 nicht mehr medizinisch indiziert gewesen. Sie habe nämlich<br />
allein zu einer sinnlosen Verlängerung der mit den Krankheiten des Patienten<br />
einhergehenden Leiden und Schmerzen geführt, ohne dass eine Aussicht auf<br />
Besserung seines gesundheitlichen Zustands bestanden habe. Spätestens im<br />
streitgegenständlichen Zeitraum sei die Krankheit des Patienten irreversibel und zum<br />
Tode führend gewesen, so dass sich die Behandlung als bloße Herauszögerung des<br />
Sterbens darstelle. Im Sterbeprozess verböte sich eine lebenserhaltende und damit<br />
sterbensverlängernde Maßnahme als nicht indiziert. Der Beklagte sei daher<br />
verpflichtet gewesen, spätestens ab Anfang 2010 das Therapieziel dahingehend zu<br />
ändern, das Sterben des Patienten unter palliativmedizinischer Betreuung durch<br />
Beendigung aller nur lebensverlängernden therapeutischen Maßnahmen -<br />
insbesondere der Sondenernährung zuzulassen.<br />
9<br />
Die künstliche Ernährung über die PEG-Sonde ohne rechtfertigende Indikation stelle<br />
deshalb einen rechtswidrigen körperlichen Eingriff und damit einen Behandlungfehler<br />
dar. Der Begriff der medizinischen Indikation sei durch fachärztliche Standards sowie<br />
allgemeine Wertvorstellungen determiniert und habe sich dahingehend entwickelt,<br />
dass eine Lebensverlängerung um jeden Preis nicht angezeigt sei, nur weil sie im<br />
Bereich des Machbaren liege. In diesem Zusammenhang sei es auch unerheblich, ob<br />
die Maßnahme dem Willen des Patienten entsprochen habe, da es auf diesen nur<br />
ankomme, wenn eine Behandlung indiziert sei. Dies werde auch durch den im<br />
September 2009 eingeführten neuen § 1901a BGB deutlich. Die Kenntnis von der<br />
Rechtslage sei dem Beklagten als Arzt auch zumutbar gewesen.<br />
10<br />
Daher stehe dem Kläger aus ererbtem Recht ein Anspruch seines Vaters auf<br />
Schmerzensgeld zu, welches mit mindestens 100.000,00 € zu bemessen sei. Indem<br />
22 Monate lang die Ernährung über die PEG-Sonde fortgeführt worden sei, habe<br />
eine fortgesetzte Körperverletzung stattgefunden. Dadurch habe der Beklagte auch<br />
die Fortdauer der Krankheit und der damit verbündenen Schmerzen und Leiden<br />
verursacht. Darin liege überdies eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des<br />
Patienten.<br />
11<br />
Ferner habe der Kläger Anspruch auf Ersatz der im streitgegenständlichen Zeitraum<br />
entstandenen Behandlungs- und Pflegeaufwendungen in Höhe von 52.592,00 €, die<br />
ohne die rechtswidrige Behandlung nicht entstanden wären, da der Patient dann<br />
nicht gelebt hätte. Dieser Schadensersatz sei - wie bei der Rechtsprechung zum<br />
„Kind als Schaden“ - streng von einem Schadensersatz für das Leben zu<br />
unterscheiden. Anders als beim Schadenersatzanspruch eines nicht abgetriebenen,<br />
mit einer Behinderung geborenen Kindes habe der Patient im vorliegenden Fall nur<br />
auf Grund der Behandlung des Beklagten ein wrongful Hfe erleiden müssen. In den