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LG München I, Endurteil v. 18.01.2017 – 9 O 5246_14

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<strong>LG</strong> <strong>München</strong> I, <strong>Endurteil</strong> v. <strong>18.01.2017</strong> <strong>–</strong> 9 O <strong>5246</strong>/<strong>14</strong><br />

2.3 Gleichwohl lässt sich nicht mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit zur<br />

Überzeugung der Kammer feststellen, dass dieser Behandlungsfehler ursächlich<br />

dafür geworden ist, dass die PEG-Sonden-Ernährung bis zum Versterben des Vaters<br />

des Klägers am 19.10.2011 fortgesetzt worden ist.<br />

40<br />

Denn anders als bei therapeutischen Maßnahmen, die erst zu ergreifen sind,<br />

bestand hier schon seit geraumer Zeit die Ernährung über die PEG-Sonde. Es hätte<br />

also vielmehr einer aktiven Entscheidung bedurft, die Ernährung einzustellen. Dass<br />

eine Erörterung zwischen dem Beklagten und dem Betreuer des Patienten über die<br />

mit der PEG-Sonden-Ernährung nur noch erreichbaren Ziele, nämlich die reine<br />

Lebenserhaltung bei kontinuierlicher Verschlechterung des allgemeinen<br />

Gesundheitszustandes, zu einer Entscheidung im Sinne von § 1901a BGB, die<br />

Ernährung zu beenden, geführt hätte, ist vom Kläger nicht zur Überzeugung<br />

dargetan und nachgewiesen worden.<br />

41<br />

Zum einen kann - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht in jedem Fall davon<br />

ausgegangen werden, dass eine Behandlung, mit der kein weitergehendes<br />

Therapieziel verfolgt werden kann, im konkreten Fall zweifelsfrei unterlassen werden<br />

muss. Gerade lebenserhaltende Maßnahmen berühren unmittelbar das zentrale und<br />

fundamentale Grundrecht auf Leben. In diesem Sinne schützt jede das Leben<br />

erhaltende Maßnahme das Grundrecht auf Leben. Ob dieses Leben „lebenswert“,<br />

d.h. aus Sicht des Betroffenen wert ist, auch tatsächlich durch eine künstliche<br />

Ernährung aufrecht erhalten zu werden, ist eine höchstpersönliche Entscheidung.<br />

Daraus folgt einerseits nicht, dass ein Leben ohne Aussicht auf Besserung in jedem<br />

Fall erhalten werden müsste. Andererseits folgt aber auch nicht, dass es nicht<br />

erhalten werden dürfte. Vielmehr erfordert die Frage eine konkrete, abwägende<br />

Betrachtung im jeweiligen Einzelfall, wobei sich die Entscheidung an den<br />

Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB zu orientieren hat (BGH v. 10.11.2010 -<br />

Az. 2 StR 320/10 - Rz. 12; so zuvor bereits BGH v. 25.06.2010 - Az. 2 StR 454/09 -<br />

Rz. 24).<br />

42<br />

Nach § 1901 a Abs. 1 BGB ist zunächst bei der Entscheidung der vom Patienten in<br />

einer Patientenverfügung niedergelegte Wille und - in Ermangelung einer solchen -<br />

gem. § 1901a Abs. 2 BGB der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln.<br />

Vorliegend lag unstreitig keine Patientenverfügung vor und ebenso unstreitig war<br />

auch der mutmaßliche Wille des Vaters des Klägers nicht zu ermitteln, und dies auch<br />

nicht über eine Einbeziehung von Angehörigen - etwa dem Kläger selbst. Dabei kann<br />

es dahingestellt bleiben, dass der Kläger selbst nach eigenen Angaben in der<br />

mündlichen Verhandlung seinen Vater nur etwa einmal jährlich und ab 2008 gar nicht<br />

mehr besuchte, also keine eigene Wahrnehmung von der konkreten Situation ab<br />

2010 hatte.<br />

43<br />

In einer solchen Situation spricht auch nicht die - in anderen Zusammenhängen<br />

entwickelte - Vermutung eines beratungsgerechten Verhaltens für die Annahme<br />

eines Behandlungsabbruchs. Gerade weil es sich um eine - die - fundamentale<br />

Entscheidung über das Grundrecht auf Leben und die Bewertung, wann es als<br />

„lebenswert“ empfunden wird, handelt, stellt sich die Entscheidung als so<br />

höchstpersönlich dar, dass ein aligemeiner Vermutungssatz hier keinen Raum<br />

greifen kann.<br />

44

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