LG München I, Endurteil v. 18.01.2017 – 9 O 5246_14
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<strong>LG</strong> <strong>München</strong> I, <strong>Endurteil</strong> v. <strong>18.01.2017</strong> <strong>–</strong> 9 O <strong>5246</strong>/<strong>14</strong><br />
Vor diesem Hintergrund ist für die Indikation einer lebensverlängernden<br />
Behandlungsmaßnahme entscheidend, welches Behandlungsziel - neben der rein<br />
zeitliche Verlängerung, die durch eben diese Maßnahme bewirkt wird - verfolgt wird.<br />
Zum Teil wird in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass bei der<br />
Festlegung dieses Zieles bereits ein abwägendes Zusammenwirken zwischen dem<br />
Arzt und dem Patienten bzw. seinem Betreuer im Sinne von § 1901b BGB<br />
erforderlich sei (so Lipp, MedR 2015, S. 762/765). Allerdings ist dies insoweit<br />
missverständlich, als dies nahelegt, dass die Indikation für eine Maßnahme und die<br />
Einwilligung in ihre Durchführung als ein abwägender Gesamtbetrachtungsvorgang<br />
zu verstehen seien. Tatsächlich ist aber zunächst einmal für die Festlegung eines<br />
Behandlungsziels in Abstimmung mit dem Patienten bzw. seinem Betreuer die<br />
Klärung erforderlich, welche Ziele medizinisch überhaupt verfolgt werden können;<br />
erst daran kann dann die Bestimmung des Behandlungsziels und die Einwilligung<br />
und die sich danach ergebenden Maßnahmen anknüpfen.<br />
31<br />
2.2.2 Diese Erwägungen zugrunde gelegt, bestanden für den Vater des Klägers<br />
jedenfalls ab dem Anfang, des Jahres 2010 keine mit der PEG-Sonden-Ernährung<br />
verfolgbaren Behandlungsziele mehr, die über eine Verlängerung des Lebens über<br />
die Dauer eben der Maßnahme hinausgingen.<br />
32<br />
Die Sachverständigen … und … haben bereits in ihrem schriftlichen Gutachten vom<br />
20.01.2016 (dort S. 20 - 22) ausgeführt, dass jedenfalls ab dem Jahr 2010,<br />
möglicherweise früher, u.U. sogar schon im Jahr 2006 kein Therapieziel im<br />
eigentlichen Sinne mehr bestanden habe, weil es keinerlei begründete Hoffnung und<br />
Aussicht auf eine Besserung des Zustandes gegeben habe. Nach gängigen Leitlinien<br />
habe daher keine objektive Indikation für die künstliche Ernährung mehr vorgelegen.<br />
33<br />
Soweit die Sachverständigen in ihrem schriftlichen Gutachten allerdings noch davon<br />
ausgegangen sind, dass der Indikationsbegriff nur „schwer abbildbar“ gewesen sei,<br />
„da der Wille des Patienten nicht zu ermitteln“ gewesen sei (Gutachten, S. 21), und<br />
damit eine klare Verneinung der Indikation nicht möglich sei, hat der Sachverständige<br />
… in der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2016 deutlich gemacht, dass die PEG-<br />
Sonden-Ernährung zur Vermeidung von Komplikationen bei der Ernährung gewählt<br />
worden sei, damit aber tatsächlich auch nur die Ernährung habe aufrecht erhalten<br />
werden können, wohingegen weitergehende Ziele nicht damit erreichbar gewesen<br />
seien (Protokoll, S. 3). Damit sei als Ziel der Sondenernährung die Vermeidung von<br />
Komplikationen bei der Ernährung anzusehen. Die Sichtweise auf darüber<br />
hinausgehende, mit der künstlichen Ernährung zu verfolgende Therapieziele habe<br />
sich demgegenüber verändert, so dass nicht nur das reine Aufrechterhalten des<br />
Lebens im Vordergrund stehe, sondern insgesamt die mit der Maßnahme verfolgten<br />
Ziele differenzierter betrachtet würden. Für den Vater des Klägers habe sich die<br />
Situation damit so dargestellt, dass er bei einer Beendigung der PEG-<br />
Sondenernährung im Jahr 2010 an den Folgen der Beendigung verstorben wäre,<br />
andere Gründe für ein alsbaldiges Versterben aber nicht bestanden hätten, zugleich<br />
aber sein Befinden auf Grund der Grunderkrankungen zunehmend schlechter<br />
geworden sei - ohne Aussichten auf eine Änderung der Situation (Protokoll, S. 4).<br />
34<br />
Auf Grund dieser Ausführungen des Sachverständigen steht für die Kammer zur<br />
Überzeugung fest, dass eine medizinisch zweifelsfreie Indikation für die Ernährung<br />
mit der PEG-Sonde jedenfalls ab Anfang 2010 nur insoweit bestanden hat, als damit<br />
Komplikationen, die bei anderen Formen der Ernährung drohten und in der