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INTERVIEW<br />
Sebastian Fitzek ist der erfolgreichste deutschsprachige Thrillerautor. Lesen hat ihn in seinem<br />
Schreibbüro in Berlin besucht. Aktueller Anlass: der neue Roman «Flugangst 7A».<br />
INTERVIEW: MARIUS LEUTENEGGER<br />
FOTOS: GENE GLOVER<br />
«Die Figuren tun,<br />
was sie wollen»<br />
Es ist nicht einfach, mit Ihnen über einen neuen Thriller<br />
zu sprechen – man will ja nicht spoilern. Ich überlasse<br />
Ihnen daher gern die Verantwortung: Erzählen Sie,<br />
worum es in «Flugangst 7A» geht.<br />
Sebastian Fitzek: Ja, was darf man sagen?<br />
Vielleicht dies: Der Psychiater Mats Krüger lebt in<br />
Buenos Aires und muss zurück nach Berlin, weil<br />
seine Tochter dort ein Kind bekommt. Der Mann<br />
leidet unter massiver Flugangst und ist schon seit<br />
vielen Jahren nicht mehr in der Luft gewesen. Auf<br />
diesen Flug hat er sich darum minutiös vorbereitet,<br />
er studierte Baupläne und Absturzstatistiken – und er<br />
buchte gleich mehrere Flugtickets, weil die Platzierung<br />
je nach Vorfall über Tod und Leben entscheiden<br />
kann. Während des Flugs erhält Mats einen Anruf.<br />
Eine ehemalige Patientin von ihm befindet sich auf<br />
dem Flug – und er soll sie jetzt dazu bringen, das<br />
Flugzeug abstürzen zu lassen. Gelingt ihm das nicht,<br />
wird seine entführte Tochter getötet.<br />
Sie lassen sich für Ihre Romane oft von realen Ereignissen<br />
inspirieren. Bei dieser Geschichte scheint die<br />
Quelle klar zu sein: der Suizid des Germanwings-Piloten<br />
Andreas Lubitz, der seinen Airbus zerschellen liess<br />
und 150 Passagiere tötete ...<br />
Ja, die Germanwings-Katastrophe schwingt mit.<br />
Sie bewegte mich sehr, als Mensch und als Passagier.<br />
Wir unternehmen ja viel, um keine physischen Bomben<br />
an Bord zu haben – aber wir können uns trotzdem<br />
nie ganz sicher fühlen, weil viele Menschen eine<br />
Art psychologischen Sprengsatz in sich tragen, der<br />
von keinem Gerät entdeckt wird. Ich habe mich aber<br />
bemüht, keine zu starken Parallelen zum realen Drama<br />
zu ziehen, denn ich will weder psychisch Kranke<br />
stigmatisieren, noch das Leid der Opfer zu Unterhaltungszwecken<br />
missbrauchen. Es gibt bei mir keinen<br />
suizidgefährdeten Piloten, im Zentrum steht ein<br />
klaustrophobisches Psychoduell. Interessiert hat<br />
mich auch die Idee einer umgekehrten Therapie: Wie<br />
schnell geht es, das Fundament einer therapierten<br />
Psyche wieder zum Einsturz zu bringen?<br />
Warum stand ausgerechnet die Germanwings-Katastrophe<br />
am Anfang Ihres neuen Romans? Es gibt unzählige<br />
Ereignisse, die Sie zu Romanen inspirieren könnten.<br />
Welche Nachrichten wecken Ihr Interesse?<br />
Solche, die eine persönliche Betroffenheit auslö-<br />
Sebastian<br />
Fitzek<br />
kam 1971 in Berlin-<br />
Grunewald zur Welt.<br />
In diesem Stadtteil<br />
lebt er noch heute,<br />
zusammen mit seiner<br />
Frau und den drei<br />
gemeinsamen Kindern.<br />
Er studierte Jura und<br />
arbeitete beim Radio.<br />
2006 erschien sein<br />
erster Psychothriller<br />
«Die Therapie»,<br />
der ihn sofort zur<br />
Nummer 1 unter<br />
den deutschsprachigen<br />
Thrillerautoren<br />
machte. Mittlerweile<br />
wurde der Roman<br />
in über 20 Sprachen<br />
übersetzt. Auch alle<br />
folgenden seiner über<br />
ein Dutzend Romane<br />
landeten auf den<br />
vordersten Plätzen<br />
der Bestsellerlisten,<br />
zuletzt «Das Paket».<br />
Die Thriller bieten<br />
auch guten Filmstoff;<br />
demnächst kommt<br />
«Abgeschnitten» mit<br />
Moritz Bleibtreu ins<br />
Kino, RTL setzt «Passagier<br />
23» und «Das<br />
Joshua-Profil» um.<br />
sen. Ich habe zwar keine Flugangst, aber zumindest<br />
Flugsorge – weil ich weiss: Wir gehören da nicht hin,<br />
auf eine Höhe von 10’000 Metern. Aber Sie haben<br />
Recht, Ideen und Inspirationen gibt es zuhauf. Ich<br />
habe einen einfachen Mechanismus: Ich schreibe<br />
eine Idee nicht auf, und wenn sie wieder und wieder<br />
anklopft, will sie offenbar verwirklicht werden. So<br />
war es auch mit dem Thema für «Flugangst 7A».<br />
Als ich am Flughafen beim Sicherheitscheck stand,<br />
dachte ich: Warum wird eigentlich Zahnseide nicht<br />
konfisziert? Sie könnte ja auch eine Waffe sein. Und<br />
wer von meinen Mitreisenden ist psychisch instabil?<br />
Es ist einfach nicht alles beherrschbar. Und wir alle<br />
können an einen Punkt gelangen, an dem wir zerbrechen<br />
– an dem wir zum Mord fähig werden.<br />
Mit wie vielen Geschichten gehen Sie gleichzeitig<br />
schwanger?<br />
Mit acht, neun. Die meisten entstehen aus dem<br />
Alltag heraus. Kürzlich konnte ich unser Haus nicht<br />
verlassen; uns wurde ein neues Schliesssystem<br />
aufgeschwatzt, und weil die Batterie in meinem<br />
Schlüssel alle war, funktionierte nichts mehr. Da<br />
dachte ich: Das ist eine gute Idee! Eine Familie wacht<br />
auf und kommt nicht mehr aus ihrem Haus raus. Die<br />
Scheiben lassen sich nicht zerschlagen, und es fliesst<br />
auch kein Wasser mehr. Wer hat das arrangiert – und<br />
warum? Wegen des Drogenkonsums der Tochter?<br />
Einer Affäre der Frau? Dem Schwarzgeldkonto des<br />
Manns?<br />
Sie sprechen sehr freimütig über diese Idee – haben Sie<br />
keine Angst, sie könnte Ihnen geklaut werden?<br />
Nun, Ideen lassen sich bei uns ja nicht schützen,<br />
insofern ist sie noch nichts wert. Ich rede gern über<br />
meine Ideen, das gehört für mich zum Entstehungsprozess.<br />
Rückmeldungen bringen mich weiter.<br />
Viele Krimis und Thriller spielen an abgeriegelten Orten,<br />
von denen niemand weg kann – man denke an Agatha<br />
Christies Thriller «Und dann gab’s keines mehr», an<br />
den Film «Air Force One» oder an Ihr Buch «Passagier<br />
23». Ist die Ausgangslange, die auch «Flugangst 7A»<br />
prägt, nicht etwas ausgelutscht?<br />
Letztlich ist alles schon einmal geschrieben worden.<br />
Aber die Figuren sind nie auserzählt. Menschen<br />
haben heute andere Probleme als vor 500 Jahren,<br />
LESEN 4/2017 – ORELLFÜSSLI.CH