Regiobote Winter 2017
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Der Briefwechsel<br />
Paula Modersohn-Becker /<br />
Otto Modersohn<br />
Insel-Verlag, Berlin <strong>2017</strong><br />
Foto:<br />
Paula Modersohn-<br />
Becker mit Otto<br />
Modersohn in der<br />
Veranda ihres<br />
Worpsweder Hauses,<br />
Foto 1901<br />
In der Grundanschauung<br />
verwandt – in den Äußerungen<br />
verschieden.<br />
Bisher waren es nur die Gedanken von Paula<br />
Modersohn-Becker, die man in Briefen und<br />
Tagebucheinträgen lesen konnte. Alle bis heute<br />
bekannten Briefe von Paula Modersohn-Becker,<br />
darunter mehr als 90 Briefe an Otto Modersohn,<br />
sind in dem von Günter Busch und<br />
Liselotte von Reinken herausgegebenen Buch<br />
„Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern“<br />
aus dem Jahr 2007 vollständig veröffentlicht.<br />
Dort sind auch wenige der Briefe, die<br />
Otto Modersohn an Paula Modersohn-Becker<br />
schrieb, in Auszügen aufgenommen. Alle weiteren<br />
Briefe von Otto Modersohn an sie sind bisher<br />
unveröffentlicht.<br />
Der Briefwechsel zwischen den beiden Künstlern<br />
wird mit diesem Projekt erstmals vollständig<br />
zugänglich. Auch die - ebenfalls bisher<br />
unveröffentlichten - Tagebücher Otto Modersohns<br />
ergänzen in ausgewählten, aussagekräftigen<br />
Auszügen die Briefe. Das Konvolut umfasst<br />
mehr als 160 Briefe. Herausgeber sind die<br />
beiden Stiftungen, die das Werk und den Nachlass<br />
der Künstler betreuen, die Paula-Modersohn-Becker-Stiftung<br />
in Bremen und die Otto<br />
Modersohn-Stiftung in Fischerhude. In dieser<br />
neuen Edition des Insel Verlags Berlin unter der<br />
Herausgeberschaft von Antje Modersohn und<br />
Wolfgang Werner vereinen sich nun die Sichtweisen<br />
beider Persönlichkeiten zu einem Dialog.<br />
Damit erhält die Öffentlichkeit einen tiefen<br />
und intimen Einblick in die Gedankenwelt beider<br />
Kunstschaffenden und in das bisher häufig<br />
spekulativ interpretierte Eheleben, dessen<br />
Basis vor allem eine ausgeprägte Neugier und<br />
große Leidenschaft für die Kunst war. Den unangemessenen<br />
und verfälschenden Interpretationen<br />
– die ihren Höhepunkt 2016 in dem Film<br />
„Paula“ fanden – wird nun eine fundierte Primärliteratur<br />
an die Hand gegeben, die neue Perspektiven<br />
auf die individuellen Charaktere von<br />
Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker<br />
sowie deren Beziehung zueinander eröffnen.<br />
Die Fülle des jetzt vorhandenen Materials gewährt<br />
einen völlig neuen Blick auf die Arbeit<br />
der beiden Künstler - nicht nur, was das private<br />
Miteinander betrifft, sondern auch und vor<br />
allem in Bezug auf ihr künstlerisches Schaffen.<br />
Hinzu kommt etwas sehr Subjektives, ein<br />
Identifikationsmoment, das die Geschichte von<br />
Paula und Otto Modersohn für viele so interessant<br />
macht. Man kann sich in dieser Beider Leben<br />
immer wieder selbst finden.<br />
1898 sind sich Paula Becker und Otto Modersohn<br />
zum ersten Male in Worpswede begegnet.<br />
1900 stirbt in Worpswede Otto Modersohns<br />
erste Frau Helene während seiner Reise<br />
nach Paris zur Weltausstellung, die er auf Paula<br />
Beckers drängendes Bitten zusammen mit<br />
Overbecks besucht hatte. Aus der Begegnung<br />
mit Paula Becker entspinnt sich in der folgenden<br />
Zeit eine tiefe menschliche Zuneigung, die<br />
im intensiven schöpferischen Austausch der<br />
beiden Künstler ihren Ausdruck findet. Sicherlich<br />
gab es in der Verbindung zweier so starker<br />
und eigenwilliger Künstlernaturen auch Spannungen.<br />
So suchte Paula Modersohn mehrfach<br />
in Paris künstlerische Anregungen, die<br />
ihr Worpswede in dieser Vielfalt nicht bieten<br />
konnte. Welche Anregungen Paula Modersohn-<br />
Becker in den fruchtbaren Jahren ihres kurzen<br />
Lebens aufgenommen und in ihrem Schaffen<br />
für sich adaptiert hat, wird durch ihre Tagebuchaufzeichnungen<br />
und Briefe oder durch die<br />
Aussagen ihrer Freunde belegt. Diese Zeugnisse<br />
verdeutlichen, dass ihr Otto Modersohn<br />
von Anfang an, und zuletzt wieder, menschlich<br />
weitaus am nächsten stand und selbst in der für<br />
ihn schweren Zeit der vorübergehenden Trennung<br />
der Einzige war, der ihre eminente Begabung<br />
bedingungslos förderte, indem er sie<br />
nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich –<br />
immer auf Augenhöhe – begleitet hat.<br />
Ausgehend von dem gemeinsamen Erlebnis der<br />
Entdeckung der Landschaft Worpswedes und<br />
der in ihr lebenden Menschen, strebten beide<br />
- in der Abneigung gegen Konvention, Pathos<br />
und Veräußerlichung - Einfachheit an, als malerisches<br />
Programm und als menschliche Haltung.<br />
Die zunächst von Otto Modersohn allein,<br />
28 04/17