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Bezirksjournal Kirchenbezirk Mühlacker Konkret Nr 2

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Moment gar anders überlegt? So etwas soll<br />

es ja geben …<br />

Schließlich fährt um 14.20 Uhr im Schritttempo<br />

das Brautauto vor. Ein weißes Etwas<br />

aus Tüll und Taft entsteigt dem Wagen – es<br />

ist tatsächlich die Braut. Erste Frage an den<br />

Bräutigam: „Wie findest Du mein Kleid,<br />

Schatz?“ Er durfte es nämlich vorher nicht<br />

sehen, weil das anscheinend Unglück<br />

bringt. Sag noch einer, wir würden im aufgeklärten<br />

21. Jahrhundert leben.<br />

Dann wendet sich die Braut dem Pfarrer zu:<br />

„Macht doch nichts, dass es ein bisschen<br />

später wurde. Mein Friseur wurde einfach<br />

nicht fertig.“ Um 14.30 Uhr beginnt die<br />

Trauung mit einer halbstündigen<br />

Verspätung. Man ist<br />

ja flexibel als Pfarrer …<br />

Wer hat eigentlich gesagt,<br />

dass eine kirchliche Trauung<br />

ein Laufsteg für Deutschlands<br />

next Top-Model oder<br />

neuen Superstar ist? Aber<br />

wahrscheinlich hätte Dieter<br />

Bohlen in „DSDS“ weitaus<br />

ätzender reagiert als ein<br />

württembergischer Pfarrer.<br />

- Das Brautpaar ist schon<br />

Mitte Dreißig. Für beide ist es die zweite<br />

Ehe. Sie bringt aus der ersten Beziehung<br />

ein Kind mit. Seit mehreren Jahren wohnen<br />

sie als Familie zusammen, nun haben sie<br />

sich entschlossen zu heiraten.<br />

Bei der Frage, wie sie sich den Einzug in die<br />

Kirche vorstellen, sagt die Braut: „Ich<br />

möchte, dass mich mein Vater hineinführt<br />

und mich meinem Mann übergibt.“<br />

Der Pfarrer versucht ihr zu erklären, dass er<br />

dies für ein Relikt aus patriarchaler Zeit<br />

hält, weil damals tatsächlich die Frau aus<br />

dem Besitz des Vaters in den Besitz des<br />

Mannes überging. Die Braut ficht das nicht<br />

an: „Im Fernsehen ist das auch immer so.“<br />

Das ist natürlich ein schlagkräftiges Argument.<br />

Noch einmal unternimmt der Pfarrer einen<br />

Anlauf: „Ja, das kommt aus Amerika. Bei<br />

uns war das eigentlich früher anders. Und<br />

finden Sie nicht, dass das Hereinführen<br />

durch den Vater eigentlich gar nicht zu Ihrer<br />

Lebenssituation passt?“<br />

Aber da holt die Frau schon zum alles entscheidenden<br />

Schlag aus: „Aber das ist doch<br />

so romantisch!“ Was soll man da als Pfarrer<br />

noch dagegenhalten?<br />

Bei einer Hochzeit sagen zwei erwachsene<br />

Menschen Ja zueinander. Warum werden<br />

sogar selbstbewusste Frauen dabei dennoch<br />

oft wieder zu „Kindern“?<br />

Ich habe den Eindruck, dass Brautpaare<br />

heute unter einem ungeheueren Druck stehen.<br />

Die Hochzeit soll der schönste Tag im Le-<br />

ben werden. Und Hochzeitsmessen, Hochzeitsshows<br />

im Fernsehen oder Wedding-<br />

Planer auf Hochglanzpapier suggerieren,<br />

man könne alles perfekt inszenieren. Der<br />

Gottesdienst anlässlich der Trauung ist dann<br />

nur ein Mosaiksteinchen in diesem<br />

„Gesamtkunstwerk“. Er soll vor allem das<br />

Gefühl bedienen – dafür darf es dann ruhig<br />

in einer evangelischen Kirche auch einmal<br />

das „Ave Maria“ sein.<br />

Durch diesen Erfolgsdruck von außen aber<br />

geht alles Individuelle letztlich verloren. Eine<br />

gestylte Hochzeitsfeier gleicht der anderen,<br />

weil sich ja alle an denselben Klischees orientieren.<br />

So werde ich etwa immer wieder gefragt, ob<br />

der Bräutigam nach dem Segen die Braut<br />

küssen darf. Und ich antworte dann meistens<br />

etwas entnervt: „Tun Sie es doch einfach<br />

– Sie brauchen doch dafür nicht die<br />

Erlaubnis des Pfarrers.“<br />

Die Frage, ob das überhaupt in den Gottesdienst<br />

passt, wird erst gar nicht gestellt:<br />

„Man macht das doch so …“<br />

Nun bewegt man sich als Pfarrer bei kirchlichen<br />

Trauungen allerdings auf einem<br />

schmalen Grat.<br />

Natürlich will ich den Brautleuten auch ein<br />

positives Erlebnis mit Kirche vermitteln. Oft<br />

ist es ja gerade für junge Menschen der<br />

erste Kontakt zur Gemeinde nach vielen<br />

Jahren. Wo es irgend geht, bin ich deshalb<br />

zu manchen Zugeständnissen bereit.<br />

Nur: Wo ist das die Grenze? Und wie kann<br />

ich zum Beispiel das Fotografieren im Gottesdienst<br />

beschränken, wenn es für meinen<br />

Nachbarkollegen überhaupt kein Problem<br />

ist?<br />

Hier müssen wir als Pfarrerschaft und als<br />

Gemeinden eines <strong>Kirchenbezirk</strong>s vielleicht<br />

auch einmal über gemeinsame „Standards“<br />

nachdenken, was geht und was nicht geht!<br />

Mir liegt daran, dass Brautpaare ein Verständnis<br />

für die kirchliche Trauung gewinnen.<br />

Für uns Evangelische ist die Trauung<br />

kein Sakrament. Wir Pfarrer stiften eine Ehe<br />

nicht.<br />

Sondern zwei Menschen entscheiden sich,<br />

dass sie ihren Lebensweg gemeinsam gehen<br />

wollen. Auf dem Standesamt dokumentieren<br />

sie diesen Entschluss nach außen und übernehmen<br />

ganz offiziell füreinander Verantwortung.<br />

Bei der kirchlichen Trauung steht die Bitte<br />

um Gottes Segen und Geleit im Mittelpunkt.<br />

Das Leben miteinander zu teilen in guten<br />

wie in schweren Tagen – das ist ein Versprechen,<br />

das eigentlich über unsere Kraft<br />

geht.<br />

Wer von uns weiß schon, wie er durch die<br />

Höhen und Tiefen eines gemeinsamen Weges<br />

kommt, vor allem aber auch, wie er die<br />

oft mühsamen Strecken durch den grauen<br />

Alltag bewältigt? Da ist es gut zu wissen,<br />

Seite 4 1/2009 | <strong>Nr</strong>. 2

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