E_1934_Zeitung_Nr.063
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N» «3 - <strong>1934</strong> AUTOMOBIL-REVUE<br />
Die Grotten von Milandre<br />
Unbekannte Schönheiten der Heimat.<br />
Unweit des Grenadorfes Boncourt steht •weithin<br />
sichtbar auf dem Plateau von Bure, um dessen<br />
Fuss die Allaine sich schlängelt, der alte Römertunn<br />
Milandre, letzter Ucberrest einer einst stattlichen<br />
Burg. Unter ihm, im TaJe, im Schatten des<br />
bewaldeten Abhanges, liegt die Mühle und in deren<br />
Nähe befindet sich die vielbesuchte Höhle, bekannt<br />
durch ihre hübschen Formen und besonders ihr«s<br />
Tourismus<br />
Wasserbeckens, in welchem der Sage nach die Fee<br />
des Landes, Aria, sich zu baden pflegte. Fast unbekannt<br />
war den Menschen diese unterirdische<br />
Badekammer der weissen Dame von Milandre, welche<br />
überdies nie ihre jungfräuliche Reize dem<br />
durchsichtigen Element überliess. sondern sich jedesmal<br />
in eine häusliche Schlange verwandelte,<br />
nicht etwa nur, um die hinterlistige Neugier zu<br />
täuschen, sondern auch zur Sicherung ihres höchsten<br />
Kleinodes, eines wunderbar funkelnden Edelsteines,<br />
den sie auf den Rand des Beckens niederlegte;<br />
denn ein solch' gcheussliches, die 'unheimliche<br />
Flut der Grotte aufwühlendes Gewürm war wohl<br />
am besten geeignet, den kecken Fuss und die freche<br />
Hand eines Beutelustigen zu bannen ...<br />
Nun gab es aber schon damals unter den alten<br />
Rauraziern eigentümliche Gesellen, die Jagd und<br />
Krieg flohen und lieber den Klagen des Windes<br />
lauschten, an Pflanzen und alJem Getier Freude<br />
hatten, Stein und Wasser ausforschten, Höhen und<br />
Tiefen begingen und denen vor keinem Schatten<br />
und keinem Dunkel graute; kurz, es gab schon damals<br />
Lieblingskinder der Natur. Von einem solchen<br />
•war die Fee Aria beim Eintreten in die Höhle erblickt<br />
worden, ehe eie Schönheit und Kleinod abgelegt<br />
hatte — ihr Geheimnis ward ihr bald abgelauscht,<br />
aber die Ruhe des helläugigen Barden war<br />
nun dahin. Die Sage erklärt nicht, ob solch klare,<br />
liebesuchende Jünglingsaugen überhaupt gute<br />
Schlangenbändiger sind, oder ob es der Fee sogleich<br />
klar wurde, dass man es hier nicht auf<br />
ihren Edelstein abgesehen habe, aber sie sagt, dass<br />
die Badende eines Tages, noch ehe sie ihre Wohlgestalt<br />
wieder annehmen konnte, von den kräftigen<br />
Armen des Lauschers umfasst und an seine pochende<br />
Brust gedrückt worden sei. Sie habe eich<br />
nach Art der irdenen Schönen von einem solchen<br />
Beweis der Liebe rühren und den — Jüngling nicht<br />
allein von dannen ziehen lassen.<br />
Dieser Höhle, dieser Grotte von Milandre, gilt<br />
eines schönen Tages unser Besuch. Wir fahren das<br />
"herrliche Birstal hinauf, zuerst durch reiche Gelände<br />
(schon im Mittelalter gewürdigt, denn sonst<br />
sähen wir hier nicht so manche Burgruine — wo<br />
sind die Ritter und Edelfrauen?). Die Erde aber<br />
erneut eich ewig, nur schmückt sie sich jetzt für<br />
neue Herren. An Laufen vorbei, wie einladend das<br />
Städtchen auch herüberwinkt, fahren wir über Delsberg<br />
und Pruntrut bis nach Buix, dem zweitletzten<br />
Ort vor der französischen Grenze.<br />
Das schmucke Dörfchen Buix liegt inmitten von<br />
prächtigen Buchswaldungen (Buix heiest auf<br />
Deutsch Buchs, deshalb der Name). Neben der erhöhten<br />
antiken Kirche, im 12. Jahrhundert zur Abtei<br />
Baume-les-Messieurs gehörend, rechts Vorbei,<br />
bringt uns ein idyllischer, laubbedecktei Waldpfad<br />
mit annehmbarer Höhensteigung durch die mannigfaltige<br />
Flora dieser Gegend, begleitet vom lieblichen<br />
Gesang unserer befiederten Sänger, nach<br />
einer Geh zeit von schwach einer halben Stunde in<br />
den stattlichen, gutgepflegten Bauernhof des J. B.,<br />
des Eigentümers der Grotte von Milandre.<br />
Der Weg führt weiter über die ganz nahe gelegene<br />
Ruine Milandre, einst ein mächtiger Stützpunkt,<br />
schon im 13. Jahrhundert erwähnt und im<br />
Jahre 1675 geschleift durch den Kriegsherrn Turenne.<br />
Nur der aus zwei Meter dicken Mauern bestehende<br />
Turm wurde zurückgelassen, er ist heute<br />
ein Horst für Sperber, Eulen und Käuze, umrankt<br />
von verwildertem Gestrüpp, Dornen und Nesseln.<br />
Eine wunderbare Fernsicht eröffnet sich hier<br />
dem Besucher über das industriereiche Boncourt,<br />
über das französische Grenzstädtchen Delle und andere<br />
reizende Ortschaften bis zu den Gipfeln der<br />
Südvogesen, dem 1100 Meter hohen Ballon d'Alsaoe,<br />
dem König der Südvogesen. Der Grotteneingang<br />
wird auf einem kleinen gutbekiesten Pfad erreicht.<br />
Der Abstieg erfolgt in bequemer Art auf eingehauener<br />
Steintreppe. Die ganze Grotte ist reichlich mit<br />
elektrischen Lichtern versehen. GrossaTtige* und<br />
Wunderbares hat hier Mutter Natur geschaffen.<br />
Diese Grotte auch nur einigermassen zu beschreiben,<br />
ist ein Ding der Unmöglichkeit. Keine<br />
Beschreibung, eo zart sie auch sein möge, kann<br />
uns einen Begriff der Erhabenheiten vermitteln,<br />
die die Erde hier eifersüchtig verborgen hält.<br />
Die Grotte von Milandre hält getrost eine Parallele<br />
aus mit den berühmten Grotten dieser Art<br />
in Frankreich und Italien. Auch sie hat ihre Geschichten<br />
und Legenden aller Art. Die Archive erwähnen<br />
sie schon im Jahre 1715. Diese unterirdischen<br />
geräumigen Höhlen hatten bis zu dieser<br />
Epoche keinen anderen Ausgang als den «Bame»<br />
genannten. Anno 1715, nach einer langen Regenperiode,<br />
durch welche dieses natürliche Reservoir<br />
gefüllt wurde und das Wasser keinen Abfluss mehr<br />
finden konnte, haben die Naturgewalten auf der<br />
halben Höhe des Hügelabhanges einen Ausfluss erzwungen.<br />
Die Folge davon war eine grosse Ueberechwemmung.<br />
Gewaltige Wassermengen bahnten<br />
eich einen Hohlweg, überschwemmten die benachbarten<br />
Aecker und Wiesen und bedeckten sie mit<br />
Schlamm, Kies und Steingeröll. Seit dieser Zeit<br />
war die Grotte wenigstens während der Trockenheit<br />
auch zugänglich. Es ist aber bis heute nicht gelungen,<br />
ihre tiefsten Tiefen zu ergründen.<br />
Gegen 1815 wollte der damalige Eigentümer von<br />
Milandre die aus dieser Grotte periodisch ausfliessenden<br />
Wassermengen zu Bewässerungen und anderen<br />
Zwecken verwenden, weshalb er 6ich entschloss,<br />
dadurch das Wasser bis auf die Höhe von<br />
Milandre tu bringen, um dann von diesem Plateau<br />
aus die Bewässerungen vornehmen zu können. Hiefür<br />
waren grosse und lange Arbeiten notwendig.<br />
Alle mutmasslichen Ausgänge und Abflüsse mussten<br />
sorgfältigst verstopft werden. Von oben nach<br />
unten wurde ein Schacht durch die Felsmauern in<br />
das Innere gebohrt, um dem. Wasser den Ausgang<br />
zu ermöglichen. Heute noch ist dieser Schacht in<br />
einer Länge von 30 Metern und einem Durchmesser<br />
von 2 Metern sichtbar. Leider erreichte der Wasserstand<br />
nie diejenige Höhe, um abfliessen zu können.<br />
Ein unauffindbarer Abfluss müss die Ursache<br />
sein. Zwar erreichte der Wasserstand des öftern<br />
die Mündung bis auf einige Zentimeter, aber zum<br />
Abfluss reichte es nie. Demnach eine kostspielige,<br />
aber zwecklose Arbeit.<br />
Eine gtosse Ueberschwemmung erfolgte dann<br />
wieder im Jahre 1852, wodurch abermals alle Wiesen<br />
und Aecker unterhalb von Milandre und auch<br />
die Ebene von Boncourt grossen Schaden erlitten.<br />
'Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden diese<br />
Höhlen und Grotten vielfach von Mineralogen und<br />
Geologen erforscht. Der Gefährlichkeit wegen wurde<br />
aber der Eingang zum bereits erwähnten Schacht<br />
verschlossen, wodurch die Grotte immer mehr in<br />
Vergessenheit geriet, bis dieselbe im Jahre 1889<br />
durch den damaligen Besitzer unter grossem Aufwand<br />
an Kosten und Arbeit wieder zugänglich gemacht<br />
wurde und zur Besichtigung offen stand.<br />
Jeder Schritt eröffnet andere Sehenswürdigkeiten,<br />
Erscheinungen von unvergleichlicher Grosse<br />
und Schönheit. Die Mannigfaltigkeit der Stoinformationen,<br />
der Reichtum der Einzelheiten, die eindrucksvolle<br />
Stille wirken bezaubernd auf den Beschauer.<br />
Die Sage erzählt, dass sich in der ersten<br />
Wölbung der Grotte, in einer eisernen Truhe verschlossen,<br />
ein wertvoller Schatz verborgen hält, dessen<br />
Gold sie h einmal alle Jahrhunderte im hellen<br />
Mondenschein« zeigt. Diesen Schatz zu erfassen,<br />
braucht man Woss Tag und Stunde zu wissen.<br />
Uebrigens ist der Schlüssel zu dieser Truhe nicht<br />
verloren, er befindet sich zwischen den Zähnen<br />
eines riesigen Drachen, der diese Höhle bewohnt<br />
und Feuer und Flammen speit. Bis heute konnte<br />
der Reichtum der Obhut dieses Ungeheuers nicht<br />
entrissen werden ...<br />
Unterirdische Gänge führen nach oben und unten,<br />
nach links und rechts in die Grotte, geziert allüberall<br />
von wunderbar geformten elfenbein- und<br />
meerschaumfarbenen Stalagmiten und Stalagtiten<br />
verschiedener Grosse.<br />
Je mehr man in das Grotteninnere gelangt, desto<br />
schönere und zahlreichere Treppensäulen kommen<br />
in Sicht. Ringsum sind die Wände von glitzernden<br />
Draperien und Vorhängen bedeckt, an mehreren<br />
Stellen wechseln damit Säulen und Nischen von<br />
wunderbarer Symmelhrie ab und einzelne Vorsprang«<br />
und Absätze Bind mit unbeschreiblich zart kandiertem<br />
Moos wie angehaucht. Da und dort starrt<br />
es von oben herab von lauter schneeweissen Stacheln.<br />
Es ist wie in einem Zauberschloss. Die<br />
menschliche Phantasie erblickt Nixen und Nymphen,<br />
sie sieht die Fee der Ajoie und des Eisgaus,<br />
die Wohltäterin der Armen und Verlassenen, in<br />
ihrem prunkenden Bade, mit dem kristallenen<br />
Wasser. Etwas entfernter gelegen, durch einen Säulengang<br />
verbunden, das reizende Boudoir mit dorn<br />
unschätzbaren Kleinod. Hier wähnt unsere Phantasie<br />
das «Teufelsloch> zu sehen, dort eine Galerie<br />
überhängender Schafepelze, dann wieder Kirchtürme<br />
gothischen oder romanischen Stils. Und immer<br />
vermeint unser Geist neue Bilder zu entdecken<br />
Des Staunene und Bewunderns 1 wird kein Ende.<br />
Ueberirdisohe Gefühle erfassen den Besucher. Der<br />
Aufenthalt in der Grotte, mag er noch so lange<br />
dauern, ist etwas Himmlisches, etwas Erhabenes,<br />
etwas höchst Dankbares. Befriedigt, in Sinnen verloren,<br />
verlässt man diese wunderbare Grotte am<br />
gleichen Orte, wo man sie betreten hat, noch ganz<br />
gebannt, heilige Augenblicke in Gesellschaft höherer,<br />
überirdischer Wesen verbracht zu haben. Fast<br />
sinnenverstört verlässt man dies Wunderwerk der<br />
Natur. Die Gedanken bleiben indessen noch lange<br />
dort zurück.<br />
Touren-Vorschläge fürs<br />
Berner Oberland<br />
Interlaken hat als internationaler Fremdenkurört<br />
seit vielen Jahrzehnten eine solche Weltberühmtheit<br />
erlangt, dass es eigentlich keiner speziellen<br />
Empfehlung mehr bedarf. Das «Mekka der<br />
Alpen» mit seinen komfortablen Hotelpalästen, seinem<br />
bewegten Leben und Treiben, liegt zwischen<br />
Brienzer- 'und Thunersee, auf dem auf zwei Seiten<br />
von etolzen Bergen umschlossenen grünen Eiland<br />
das im Volksmund «Bödeli» genannt wird.<br />
Als Ausgangspunkt für genussreiche Autotouren<br />
ins Berner Oberland eignet sich Interlaken vortrefflich.<br />
Eine vielbefahrene Route führt über M e i -<br />
ring e n und Innertkirchen zum Grimselh<br />
o s p i z und von da über die Grimselpasshöhe<br />
nach Gletsch, von wo aus man rechts abzweigend<br />
B r i g und das Wallis erreicht und links abzweigend<br />
den Furka-, St. Gotthard- und Oberalppass.<br />
Von Brienz aus, d. h. 2 km östlich des Dorfes<br />
zweigt rechts eine Strasse zu den grandiosen Giessbachfällen<br />
ab. Der Giessbach entspringt au« dem<br />
Blaugletscher und stürzt in seinem Unterlauf in<br />
einef Reihe vnn 14 Fällen 400 Meter tief zum<br />
Brienzersee. Bei den Fällen befindet sich ein<br />
grosses Hotel.<br />
Eine prachtvolle Tour von Interlaken aus läss<br />
sich ine Tal der weissen und schwarzen Lütschine<br />
unternehmen. Zunächst nach Zweilütschinen<br />
und von hier links abzweigend nach Grindelwald<br />
und rechts abzweigend nach Lauterbrunnen.<br />
Das Lauterbrunnental ist in seiner prägnanten Form<br />
das klassische Trogtal mit vielen Wasserfällen<br />
(Staubbach). An den Trümmelbachfällen vorbei<br />
(der Besuch der Fälle geschieht mit Aufzug) führ<br />
die Strasse bis nach Stechelberg-, der Automobil-<br />
Endstation des weissen Lütschinentales.<br />
Eine Fahrt von S p i e z über Wimmis und B o 1 -.<br />
tigen zum Jaunpass bietet ebenfalls herrliche<br />
Eindrücke; von hier empfiehlt sich die Weiterfahrt<br />
ins Greyerzerländchen, am Lac de Montsalvans<br />
vorbei nach Gruyeres und Bulle. Eine Variante<br />
führt von Belügen über das stattliche<br />
Zweifijmmen nach Saanenmöser und<br />
G s t a a d. Herrlich ist Saanenmöser inmitten wei<br />
ter Matten und Tannenwälder, mit seiner präch<br />
tigen Aussicht auf die Könige der Berge. Und im<br />
Winter verwandeln sich die Alpweiden in vorzügliche<br />
Skifelder, die Hänge werden zu Rodel<br />
bahnen und auf dem ebenen Feld ist ein gepflegter<br />
Eisplatz. Zu jeder Zeit aber strahlt die Sonne<br />
ihr ganzes Füllhorn von Zauber über diesen herr<br />
liehen Fleck Erde aus, der der ungestörten Ruhe<br />
und dem stärkenden Sport von Sommer und Win<br />
ter gehört. Von Gstaad, das als Sommerfrische wi<br />
als Wintersoortnlatz o-«rn bfiencht wrrfl lä«ct «i«l<br />
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