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E_1934_Zeitung_Nr.076

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Bern, Dienstag, 18.September <strong>1934</strong><br />

III. Blatt der „Automobil-Revue" No.76<br />

Fil de la Vierge<br />

Septembertage — Altweiber-Sommer ....<br />

Die schimmernden "Spinnenfäden wehen<br />

durch die weichbewegte Luft, hängen sich<br />

an Bäume und Sträucher, an die letzten<br />

stillen Blumen des Jahres und streichen dir<br />

wie ein Geisterhauch lind übers Gesicht. Das<br />

sind die Silberfäden, die der September aus<br />

dem letzten Glanz des Sommers spinnt, die<br />

Marienfäden — oder wie man in Frankreich<br />

so schön sagt: Fil de la Vierge —, die<br />

den letzten Zauber des hochsommerlichen<br />

Lichtes noch einmal beschwören. Die septemberliche<br />

Sonne bricht sich in diesen zarten<br />

Spinnenweben, und schon ist aller harte,<br />

heisse Glanz der Julitage aus ihr gewichen.<br />

Von einem Morgen zum andern hat jetzt<br />

der Tag mehr Mühe, sich aus der feuchten<br />

Kühle der Nacht zu lösen. Die nebligen<br />

Schleier trüben den Blick, treiben als frühe<br />

Fahnen des hinter den früchteschweren<br />

Hügeln wartenden Herbstes durchs Land<br />

und nässen das letzte reife Gras, in dem am<br />

Morgen wieder frisch gefallene Aepfel liegen.<br />

Auf den Bäumen lasten schwer die<br />

Früchte, und die arbeitsreichen Tage des<br />

Bauern beginnen, da er mit weiter Gebärde<br />

ernten kann, was ihm das Jahr für seine<br />

Sorge, seine Mühe, seine Liebe beschert.<br />

In den Weinbergen wird es noch kurze Zeit<br />

dauern, bis die grossen Beeren in die Tansen<br />

kollern und der helle Schrei der Erntenden<br />

über das reife Land hin verklingt.<br />

Das sind die Tage, da man soviel wie<br />

"möglich hinaus übers Land gehen sollte, an<br />

taunassen Wiesen vorbei, über denen der<br />

Duft des herben grünen Grases schwelt, an<br />

frischgepflügten Aeckern vorüber, vorbei an<br />

schwerbeladenen Obstbäumen, durch die<br />

Dörfer, in denen die Bauern die hohe Zeit<br />

ihres Jahres mit stillbeglückten Mienen erleben.<br />

In dieser Zeit des Schwankens zwischen<br />

Sommer und Herbst, zwischen Tag<br />

und Nacht, zwischen Licht und Dunkel, in<br />

diesem stillen Ringen der Kräfte der Natur<br />

haben die Tage ein müdes, fast trauriges,<br />

zärtliches Leuchten, das wie ein Hauch über<br />

den nächsten Hügel liegt. Die Ernte des<br />

Bauern scheint wie eine heilige Handlung,<br />

in der sich die göttliche Kraft sinnfällig in<br />

den duftenden Früchten des Jahres offenbart.<br />

Der See ist von flüssigem Silberglanz<br />

Überflossen, kaum stört eine Welle die atemlose<br />

Ruhe dieser Zeit.<br />

Auch in den Städten spürt man die Tage<br />

Ueberganges. Man wagt sich nur noch<br />

mit halbem Mut in die Abendkühle hinaus<br />

und sitzt nun schon mit warmen Decken<br />

auf der Loggia, um sich von keinen ersten<br />

kühlen Herbstschauern erwischen zu lassen.<br />

Die Tage dunkeln lautlos in die Nacht und<br />

sinken schneller als noch vor einem Monat<br />

hinter dem goldflammend glühenden Horizont<br />

in die Tiefe. Auf den Feldern raucht<br />

der erste Nebeldunst, der noch zu schwach<br />

ist, um das Licht der aufglühenden Sterne<br />

su verschleiern. Die Milchstrasse lastet als<br />

breites, funkelndes Band über dem herbstlichen<br />

Land, und alle Sterne sind von einem<br />

niegesehenen wachen Glänze. Doch wenn<br />

der Regen früh in den Tag einfällt, dann<br />

bricht die Nacht unvermutet jäh herein, und<br />

die strahlenden Lichter der Stadt glänzen<br />

schon winterlich kalt und scharf. Gerne<br />

rettet man sich in ein Cafe oder in einen<br />

Kino, um leise zu frösteln: Herbst, Ausklang,<br />

Ende...<br />

Aber — wozu die Klage —, da noch die<br />

Sonne mit altem Glänze auf dem Lande<br />

ruht! Ein herbstliches, früh gefallenes<br />

Blatt liegt vor dem Fenster. Ich weiss....<br />

Der Lärm ist zu einer der ausdauerndsten<br />

Plagen unserer gehetzten Zeit geworden, und<br />

es scheint fast, als gehöre das ewige Gerassel,<br />

Gekreische, Gepfeife, Gehupe, Geklopfe,<br />

Geklingel und Gequitsche als misstönende<br />

Begleitmelodie untrennbar zu dem rasenden<br />

Tempo unserer Tage. Doch Lärm und Maschine<br />

sind durchaus keine Begriffe, die miteinander<br />

organisch verwachsen sind, und gerade<br />

die Qualität und der Vollendungsgrad<br />

einer Maschine erweist sich an der Ruhigkeit<br />

und Stille, mit der sie arbeitet. Der Lärmaufwand<br />

der ersten Automobile steht im Vergleich<br />

zu heute im umgekehrten Verhältnis zu<br />

ihrer Leistungsfähigkeit. Deshalb ist der<br />

Lärm nicht eine blosse tote Funktion, gegen<br />

die es kein Heilmittel gibt. Mit gutem Willen<br />

kann er in erstaunlich grossem Masse gelenkt<br />

und gedämpft werden. Deshalb snielt<br />

das Verhalten und die Einstellung des Menschen<br />

zu dieser Seuche des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts auch eine höchst bedeutsame<br />

Rolle. Der rechte Wilde kann hier, wenn er<br />

sich in richtiger Weise auswirkt, wahre<br />

Wunder schaffen. Doch leider gehört es zu<br />

den merkwürdigen Vorstellungen eines grossen<br />

Teils der Menschen, dass der Beweis,<br />

wirklich modern zu sein, nur durch die üppigste<br />

Lärmentfaltung möglich sei. Mit Unbekümmertheit<br />

wird auf den Nerven der Mitmenschen<br />

herumgetrampelt, und je misstöniger<br />

und quitschender das grässliche Gelärme<br />

zum.. Himmel steigt, um so imponierender<br />

kommt man sich vor.<br />

Und haben alle die andern Blätter des Baumes<br />

nicht schon einen merkwürdig gelblichen<br />

kranken Ton in ihrem Grün, das<br />

noch vor wenigen Tagen so frisch ins Zimmer<br />

rauschte? Wohlan, noch kommen die<br />

köstlichsten Tage, bis uns die Herbststürme<br />

schütteln. ...•<br />

bo.<br />

Weniger Lärm, bitte!<br />

Neue Variationen über ein altes Thema.<br />

Immer wieder erreichen uns Zuschriften<br />

von lärmgequälten Lesern, die uns bitten,<br />

wieder einmal den Bannstrahl gegen die ewig<br />

Unbelehrbaren zu schleudern, denen es nur<br />

inmitten von Lärm-Orgien wohl zu sein<br />

scheint. Vor allem zwei Fälle sind es, die<br />

wiederholt Anlass zu berechtigten Reklamationen<br />

gaben, und die zu beherzigen es wirklich<br />

endlich an der Zeit wäre. So sind jene<br />

Automobilisten, die spät abends oder sogar<br />

erst in den früheren Morgenstunden nach<br />

Hause kommen und ihren Wagen mit rücksichtslosestem<br />

Lärm in die Garage stellen,<br />

auch in unserer nervösen Zeit noch nicht ausgestorben.<br />

Mit Wucht wird jeweils das knarrende<br />

Tor aufgerissen, dann der pustende<br />

und knatternde Wagen so umständlich wie<br />

möglich hineinpraktiziert und aufs Neue die<br />

Garage mit schmetternder Kraft geschlossen,<br />

dass alle in der Nähe ruhenden Nachbarn<br />

wild aus dem Schlafe auffahren und wissen:<br />

Er ist daheim... Es brauchte gerade in diesem<br />

Falle auch nur ein ganz kleines Mass<br />

an Aufmerksamkeit und an • gutem Willen,<br />

um das Ganze mit der grössten Ruhe zu<br />

vollziehen. Die gleiche sorgfältigere Prozedur<br />

hätte nur einen Erfolg : Der Automobilist<br />

machte sich bei seinen Nachbarn beliebter!<br />

Sonst aber muss er sich nicht wundern,<br />

wenn sich seine Mitmenschen erlauben, über<br />

ihn im geheimen zu einem Urteil zu kommen,<br />

das ihn wohl kaum sehr erbauen würde.<br />

Nicht viel weniger wird an einem andern<br />

Ort gesündigt, wo der Verstoss rein menschlich<br />

noch viel weniger entschuldbar ist, und<br />

sogar auf ein bedenkliches Mass an seelischer<br />

Harthörigkeit schliessen lässt. Wir<br />

meinen damit jene grosse Kategorie von Automobilisten<br />

und Motorradfahrern, für die<br />

die Nähe eines Spitals zum Anlass wird, ihre<br />

erstaunliche Grobheit und Taktlosigkeit unter<br />

überzeugenden Beweis zu stellen. Das sind<br />

jene traurigen Helden, die mit donnerndem<br />

Getöse an diesen stillen Orten der Ruhe, des<br />

Leidens, ja auch des Todes, vorüberstürmen,<br />

und sich in keiner Art und Weise davon beeindrucken<br />

lassen, wenn sich der wilde Lärm<br />

ihrer Maschinen an den Fassaden dieser Gebäude<br />

bricht. Die Ausrede, den Ort der Spitäler<br />

nicht zu kennen, hat in den meisten<br />

Fällen überhaupt keine Berechtigung, denn<br />

die Krankenhäuser sind fast überall durch<br />

Zeichen und Aufschriften kenntlich gemacht,<br />

und sehr oft weiss man von vorneherein,<br />

wo sich diese Gebäulichkeiten befinden. Der<br />

Gedanke ist nicht gerade fromm : aber es<br />

würde vielleicht allein nützen, wenn man<br />

diesen Radaulbrüdern selber einen LeidensauMnthait<br />

im Spital wünschte, der ihnen bestimmt<br />

zum Bewusstsefoi brächte, wie schön<br />

die Stille und wie tief und nachhaltig die<br />

Wirkung der Ruhe gerade auf den kranken<br />

Menschen ist. Darum sollte man auch in solchen<br />

Augenblicken nie vergessen, dass ausser<br />

der eigenen Person noch andere Menschen<br />

existieren, die man mit der eigenen<br />

blassen Gedankenlosigkeit schwer treffen<br />

kann.<br />

Zu den modernen Verkehrsanforderungen<br />

gehört nicht nur die strikte Innehaltung der<br />

Verkehrsregeln und eine sich aus den primitivsten<br />

menschlichen Forderungen ergebende<br />

Disziplin, sondern ebensosehr die allseitige,<br />

vom Herzen kommende Rücksichtnahme auf<br />

den Mitmenschen. Und gerade hinsichtlich<br />

der Lärmentwicklunar wird immer noch besonders<br />

viel gesündigt; manchmal ist es<br />

auch blosse Gedankenlosigkeit, hinter der<br />

keinerlei schlechte Absicht steckt. Man<br />

möchte hoffen, dass diese paar mahnenden<br />

Zeilen — die nicht die ersten sind — wieder<br />

etwas dazu beitragen, dass auf den<br />

Strassen auch immer mehr der « gute Ton »<br />

zur schönen Selbstverständlichkeit wird.<br />

Die es angeht, mögen sich die Mahnung<br />

ins Stammbuch kleben !<br />

bo.<br />

Monza-Blitzlichter<br />

Die Zeiten sind vorbei, wo nur der Freund des<br />

Automobilsportes aufhorchte, wenn das Wort<br />

«Monza» an sein Ohr schlug. Heute wirkt es wie<br />

ein elektrischer Schlag für alle, die für die Entwicklung<br />

unserer Zeit Verständnis haben.<br />

Monza! Das bedeutet: Tempo, Geschwindigkeit,<br />

Kampf, Motorengebrüll. . Wir erleben das alles<br />

selbst, als Einzelner unter Hunderttausenden.<br />

Der Zuschauer des Rennens muss gewiss selber<br />

schon Gewaltiges leisten. Eigentlich muss man von<br />

ihm verlangen, dass er, genau wie der Fahrer, trainiert.<br />

Sie sind erstaunt? Wahrhaftig, so ist es!<br />

Während vier und einer halben Stunde jagen sich<br />

ein Dutzend der modernsten Rennmaschinen auf<br />

der 4 Kilometer langen Bahn. Und was für eine<br />

Jagd! Alle unsere Sinne sind aufs höchste angespannt<br />

und haben nicht Zeit, sich um all das zu<br />

kümmern, das sich rund um das Rennen abspielt.<br />

Grosse Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.<br />

Monza raubt der Millionenstadt Mailand die Nachtruhe.<br />

Durch den Corso Vittorio-Emmanuele saust<br />

der letzte Strassenbahnwagen. Der Führer scheint<br />

auf den Grand Prix z

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