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E_1935_Zeitung_Nr.016

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die junge Generation zu vorsichtigen und rücksichtsvollen<br />

Strassenbenützern zu erziehen. Elternhaus,<br />

Schule und Polizei, besonders die beiden letzteren,<br />

sollten bei dieser Erziehungsaufgabe zusammenarbeiten.<br />

Ebenso aufschlussreich ist der Dienstrapport,<br />

den der mit dem praktichen Anschauungsunterricht<br />

beauftragte Polizeikorporal<br />

seinem Chef erstattete. Seinem Berichte<br />

nach, dem die nachstehenden Sätze entnommen<br />

sind, darf angenommen werden, dass<br />

den Polizeiorganen selbst der Versuch ebensoviel<br />

Spass bereitete wie den Schülern:<br />

Auftragsgemäss erteilte Unterzeichneter während<br />

3 Unterrichtsstunden Verkehrsunterricht. Diese Anlegung<br />

wurde vom Lehrer dem tit. Polizeiamt unterbreitet<br />

in der bestimmten Hoffnung, dasä die Einsetzung<br />

einer solchen Unterrichtsstunde in welcher ein<br />

Podizeimann in Uniform die Schüler auf die Verkehrsvorschriften,<br />

sowie auf die vielen auf sie lauernden<br />

Gefahren beim unkorrekten Gehen und Spieäen<br />

auf Strassen und Plätzen aufmerksam mache, die<br />

Verkehrsdisziplin fördern würde.<br />

Während der ersten zwei Stunden wurde versucht,<br />

den Kindern den theoretischen Teil verständlich zu<br />

machen, und die zwei letzten Stunden wurden dazu<br />

benützt, den Kindern ein Auto und ein Motorrad,<br />

sowie'deren hauptsächlichsten Bestandteile zu zeigen<br />

und zu erklären. Bei der Vorführung war ein<br />

weiterer Polizist behilflich. Mit einer geeigneten<br />

Geschwindigkeit und dem Hinwerfen eines Bleistückes<br />

war es uns dort gelungen, den Kindern trefflich<br />

die Gefährlichkeit d«s mit Vorliebe ausgeführten<br />

schnellen Hinüberspringens vor einem Auto, zu demonstrieren.<br />

Ferner wurde während den Ausfühlungeni<br />

immer wieder betont, dass der Polizeimann<br />

kein Feind der Jugend und Schüler sei, sondern di»<br />

Polizei wolle vielmehr die Kinder auf die Gefährlichkeit<br />

der Strassen und Plätze aufmerksam machen,<br />

und möchte ihnen hauptsächlich gerne behilflich<br />

sein, dieselben korrekt und gefahrlos begehen zu können.<br />

Aus diesem Grunde wurden die Kinder auch ersucht,<br />

dem Polizeimann vielmehr Vertrauen entgegenzubringen,<br />

seine Anweisungen zu befolgen und<br />

auch gegen ihn freundlich und höflich-zu sein.<br />

Freudestrahlend erklärte ein Schüler in der<br />

zweiten Unterrichtsstunde, sein Vater sei bis jetzt<br />

immer auf der Strasse gefahren, ohne den Radfahrer-<br />

Streifen zu benützen. Nun habe er ihn «aufgeklärt»,<br />

und sein Vater fahre von nun'an auch immer auf<br />

dem Radfahrerstreifen. Wie mir der Lehrer mitteilte,<br />

so sollen auch noch weitere Schüler ähnliche «Musterehen»<br />

von einem Erfolg erzählt haben.<br />

Was ich erfreulicherweise konstatieren konnte,<br />

•war, dass die Schüler während der ganzen Zeit aufmerksam<br />

den Ausführungen zuhörten, und auch mit<br />

Fragenstellen nicht zurückhielten.<br />

Wenn ich mir zum Schluss ein Urteil erlauben<br />

darf, möchte ich nicht unterlassen, zu sagen, dass der<br />

Lehrer sehr viel zu dem guten Gelingen dieses Versuches<br />

beigetragen hat. Die Art und Weise wie er die<br />

Sache bei den Schülern vorbereitete, hatte hauptsächlich<br />

die Wirkung nicht verfehlt, dass der Polizeimann<br />

den Weg zu den Schülern viel Jeichtei gefunden hatte.<br />

Für die Schüler der sechsten Klasse, welche<br />

diesen Unterricht genossen, war diese<br />

Unterweisung ein Erlebnis besonderer Art,<br />

das ihr Sinnen und Denken auf Monate hinaus<br />

erfüllte und somit auch einen bleibenden<br />

Niederschlag gefunden haben wird; Davon<br />

zeugt der Dankesbrief der ganzen Klasse an<br />

den Polizeivorstand, der wie folgt lautet:<br />

Sehr geehrter Herr Stadtrat!<br />

Im Namen unserer ganzen Klasse schreibe ich<br />

Ihnen «in Briefchen, das Ihnen Aufschluss gibt,<br />

was wir in den sehr interessanten Verkehrsstunden<br />

gelernt und gehört haben. Vorerst danken wir Ihnen,<br />

dass Sie uns die Erlaubnis gaben, uns durch einen<br />

Polizeimann in allen Verkehrsregeln unterrichten<br />

und uns auf unsere Fehler aufmerksam machen zu<br />

lassen. Am interessantesten war es in der letzten<br />

Verkehrsstunde, als wir in Zinzikon waren. Herr<br />

Hediger und Herr Rüegg nahmen sich die Mühe, uns<br />

ein Auto und ein Motorrad vorzuführen. Herr Hediger<br />

zeigte uns, wie man bremse und wie schnell.<br />

Er erklärte uns, dass man mit 10 km Geschwindigkeit<br />

durchschnittlich noch 16 Meter fahre, bis man halten<br />

könne. Er ermahnte uns daher, nicht vor einem<br />

Auto noch schnell hinüberzuspringen, denn man<br />

könne leicht umfallen, und das Unglück wäre geschehen.<br />

Er nahm sich die Mühe, mit dem schönen<br />

Auto uns dies vorzuführen. Hoffen wir, dass wir in<br />

Zukunft nicht mehr die Verkehrsregeln übertreten<br />

und unsern Mitmenschen, die darin noch nicht recht<br />

klar sind, behilflich sein werden. Nochmalis herzlichen<br />

Dank.<br />

Hochach tungs voll<br />

erüsst Sie: die ganze 6. Klasse u. Herr Bosshard.<br />

Nun. hat der Lehrer es nicht bei diesen Verkehrsdemonstrationen<br />

bewenden lassen, sondern<br />

die Eindrücke der Schüler für den weiteren<br />

Unterricht nutzbar gemacht. Hierüber<br />

erfahren wir von ihm selbst:<br />

Die Stunden der Verkehrsbelehrung durch<br />

einen Polizeimann brachten nicht nur viel<br />

Belehrung, sondern bedeuteten für meine<br />

Schüler vor allem auch ein grosses Erlebnis,<br />

das noch lange nachwirkte. Damit war,<br />

wie die Dinge in der Schule liegen, sehr viel<br />

gewonnen, und es ist nun ganz selbstverständlich,<br />

dass ich daraus pädagogische<br />

Münze schlug und die Verkehrsstunden unterrichtlich<br />

auswertete.<br />

Vor allem spielte das Thema «Strassenverkehr»<br />

nun eine wichtige Rolle in den Gesprächen,<br />

die ich mit den Kindern im mündlichen<br />

Unterricht und besonders gerne ungezwungenerweise<br />

in den Unterrichtspausen<br />

führe. Da wurde viel erzählt, noch mehr gefragt<br />

Es verging kaum ein Tag, ohne dass<br />

Beobachtungen und Erlebnisse aus dem Verkehrsleben<br />

berichtet, in der <strong>Zeitung</strong> Gelesenes<br />

mitgeteilt oder <strong>Zeitung</strong>sausschnitte (Verkehrsunfälle<br />

1) mitgebracht wurden. Im<br />

mündlichen und schriftlichen Sprachunterricht<br />

ist dies dann alles verwertet worden.<br />

Die <strong>Zeitung</strong>sausschnitte wurden vorgelesen<br />

und besprochen. Wir versuchten, die Verkehrsregeln<br />

in möglichst knappe Form zu<br />

kleiden, ein ABC für Fussgänger und Velofahrer<br />

aufzustellen. Wir schrieben Aufsätze,<br />

unter anderem ein Interview mit einem Verkehrspolizisten,<br />

verfassten Dankschreiben an<br />

das Polizeiamt und an den Polizeikorporal,<br />

der uns unterwiesen hatte.. Das Sachgebiet<br />

«Verkehr» wurde in den Mittelpunkt verschiedener<br />

Rechnungsstunden gestellt. (Berechnen<br />

von Geschwindigkeiten, Verwendung<br />

von statistischen Angaben, «Was das Autofahren<br />

kostet» etc.) Der Zeichenunterricht<br />

bot Gelegenheit, die Verkehrszeichen und<br />

-tafeln sich auch zeichnerisch einzuprägen,<br />

Planskizzen von Verkehrsunfällen zu zeichnen.<br />

Ueberhaupt gab die moderne Verkehrsstrasse<br />

mit ihren Verkehrsmitteln mannigfache<br />

Anregung, besonders die aerodynamischen<br />

Normen hatten es den jungen Zeichnern<br />

angetan. Einige Schüler erfanden Verkehrsspiele,<br />

arbeiteten sie zeichnerisch und<br />

textlich aus und stellten auf diese Weise ihre<br />

Kenntnisse und ihr Verständnis für Verkehrsordnung<br />

und Verkehrsregelung unter Beweis.<br />

Viele Anknüpfungspunkte bot auch der<br />

Sittenlehrunterricht. Oft kamen wir auf unsere<br />

Hauptregel zurück: Auf der Strasse<br />

Vorsicht und Rücksicht! Wir fanden, dass<br />

man vorsichtig sein solle nicht nur für sich,<br />

sondern auch für andere, rücksichtsvoll aber<br />

besonders gegenüber Gebrechlichen und Verkehrsungewohnten,<br />

und dass man auf der<br />

Strasse heute so reiche Gelegenheit habe,<br />

schönste menschliche Eigenschaften zu betätigen,<br />

edel zu sein, hilfreich und gut.<br />

Dieser Versuch, der nach allen Richtungen<br />

als durchaus gelungen bezeichnet werden<br />

darf, sollte nun doch die Schulbehörden veranlassen,<br />

es weder in Winterthur noch anderswo<br />

bei diesem Einzelfall bewenden zu<br />

lassen, sondern auf Grund der günstigen Erfahrungen<br />

hier systematisch vorzugehen und<br />

im Schulplan entsprechend durchzugreifen.<br />

Es bedarf deshalb durchaus nicht einer<br />

grundlegenden Umgestaltung des Lehrprogramms.<br />

Wie bereits früher betont, haben nur solche<br />

Dispositionen auf dem Gebiete der allgemeinen<br />

Verkehrserziehung Aussicht auf<br />

einen dauernden Erfolg, die vor allem die<br />

Jugend berücksichtigen. Ihnen gehört die<br />

\UTOMOBIL-REVn?: <strong>1935</strong> — N° 10<br />

kommende Zeit, die uns nur noch eine weitere<br />

Intensivierung des motorisierten Strassenverkehrs<br />

bringen wird und daher noch<br />

höhere Anforderungen an alle Beteiligten<br />

stellt. Mit jeder Schulgeneration, die ohne<br />

Verkehrsbildung ins praktische Leben hinausgeschickt<br />

wird, laden die Behörden eine<br />

grössere Verantwortung auf sich, denn unter<br />

ihr werden sich eben wiederum so und so<br />

viele Elemente befinden, die sich im späteren<br />

Lebensalter nicht mehr belehren lassen<br />

und damit selbst ein wesentliches Gefährdungsmoment<br />

in den Verkehr tragen. Ganz<br />

besonders in Sachen Verkehrsdisziplin gilt<br />

der alte Spruch: «was ein Häkchen werden<br />

will, krümmt sich beizeiten!» Man unterlasse<br />

es daher keinesfalls in den zur Zeit im ganzen<br />

Lande herum und von den verschiedensten<br />

Instanzen geprüften Möglichkeiten zur<br />

Hebung der Verkehrssicherheit, die Erziehung<br />

der Jugend in den Vordergrund zu stellen<br />

und ihr ein Hauptaugenmerk zu widmen. An<br />

ihren guten Folgen wird man am meisten<br />

Freude erleben.<br />

Und was in Oberwinterthur einem verkehrsverständigen<br />

Lehrer in Zusammenarbeit<br />

mit dem initiativen Winterthurer Polizeivorstand<br />

und seinen Organen als einfacher Versuch<br />

möglich war, das sollte sich gewiss auf<br />

breiter Basis und als fester Bestandteil des<br />

Lehrplanes vorläufig wenigstens in allen<br />

städtischen Schulen erreichen lassen. Wir<br />

müssen auch auf diesem Gebiete endlich einmal<br />

über das Versuchsstadium hinauskommen.<br />

Darum weg von der Klagemauer und<br />

frisch ans Werk: der einzuschlagende Weg<br />

ist vorgezeichnet und keineswegs beschwerlich.<br />

Besser in jeder Klasse durch den Verkehrsunterricht<br />

ein Kind am Leben erhalten<br />

oder vor Krüppelhaftigkeit bewahren, als es<br />

mit etwas mehr theoretischem Wissen beladen,<br />

aber als unfertiger Strassenbenützer in<br />

die Welt hinauszuschicken!<br />

Strenge Strafrechtspraxis.<br />

Aus dem Bundesgericht<br />

Angesichts der zahlreichen Strassenunfälle<br />

ist die Strafrechtspraxis bei Verkehrsdelikten<br />

wieder strenger geworden, was nicht nur im<br />

Strafmass sondern auch in der Verweigerung<br />

des bedingten Straferlasses zum Ausdruck<br />

kommt. Vor kurzem hat das Zürcher<br />

Kassationsgericht entschieden, wenn die im<br />

kantonalen Gesetze geforderten und in der<br />

Person des Täters liegenden Voraussetzungen<br />

des bedingten Straferlasses vorhanden<br />

seien, so dürfe der Richter dem Angeklagten<br />

diese Rechtswohltat nicht deshalb, verweigern,<br />

weil er abschreckend auf die Gesamtheit<br />

der Rechtsgenossen einwirken wolle,<br />

denn dieser Zweck der Generalprävention<br />

sei dem bedingten Straf erlasse wesensfremd.<br />

Nun hat aber ein staatsrechtlicher Rekursentscheid<br />

des Bumdesgerichtes vom 16. Februar<br />

erklärt, diese Verweigerung des bedingten<br />

Straferlasses-zum Zwecke der Generalprävention<br />

sei jedenfalls nicht willkürlich<br />

und verstosse somit nicht gegen den in Art 4<br />

der Bundesverfassung niedergelegten Grundsatz<br />

der Rechtsgleichheit.<br />

Der Rekurrent fuhr im Juli 1933 mit dem<br />

Auto von Laupen her über die gedeckte<br />

Saanenbrücke gegen die spitzwinklige Strassengabeiung,<br />

welche rechts nach Gümmenen,<br />

links nach Murten führt. Da das gegen Gümmenen<br />

führende Strassenstück erst kurz vor<br />

der Gabelung überblickt werden kann, sah<br />

er einen ihm von dort entgegenfahrenden<br />

Radfahrer erst im letzten Augenblick, versuchte<br />

aber trotzdem, noch vor diesem durch<br />

Gasgeben und' Linksschwenken die Abzwei-<br />

gung gegen Murten zu gewinnen, anstatt<br />

rechts zu halten und zu verlangsamen. Die<br />

Folge war ein Zusammenstoss, bei dem der<br />

Radfahrer getötet wurde.<br />

Nach dem bernischen Gesetze von 1907<br />

kann der bedingte Straferlass bei Freiheitsstrafen<br />

unter einem Jahre unter bestimmten<br />

Voraussetzungen gewährt werden, welche<br />

sämtlich vorhanden sein müsse»: er kann<br />

gewährt werden, wenn der Täter « nach seinem<br />

Vorleben, nach seinem Charakter und<br />

seiner Tat als der Vergünstigung würdig erscheint»,<br />

namentlich wenn er zum erstenmale<br />

wegen einer strafbaren Handlung verurteilt<br />

wird; weitere Erfordernisse sind der<br />

Ersatz des Schadens nach Massgabe seiner<br />

Mittel, auch darf der Täter bisher nicht wegen<br />

einer in bernischen Gesetzen mit Zuchthaus<br />

bedrohten Handlung und in den letzten<br />

5 Jahren nicht wegen des nämlichen oder<br />

eines gleichartigen Deliktes bestraft worden<br />

sein. Im vorliegenden Falle wurde der Autofahrer<br />

von der II. Strafkammer des bernischen<br />

Obergerichts wegen Widerhandlung<br />

gegen das eidg. Aufomobilgesetz und wegen<br />

fahrlässiger Tötung zu 2 Monaten Korrektionshaus,<br />

umgewandelt in 30 Tage Einzelhaft,<br />

verurteilt; der bedingte Straferlass<br />

wurde nicht gewährt. Der Verurteilte rekurrierte<br />

gegen die Verweigerung des bedingten<br />

Straferlasses ans Bundesgericht, indem<br />

er ausführte, die gesetzlichen Voraussetzungen<br />

des bedingten Straferlasses seien<br />

gegeben und dieser könne ihm daher nicht<br />

nach Willkür verweigert werden.<br />

In seinem Rekursentscheid stellt das Bundesgericht<br />

zunächst fest, dass der Richter<br />

nach dem Berner Gesetze den bedingten<br />

Straferlass unter den erwähnten Voraussetzungen<br />

gewähren « kann », ihn also nach seinem<br />

Ermessen gewährt oder verweigert,<br />

wobei freilich von diesem Ermessensspielraum<br />

kein willkürlicher Gebrauch gemacht<br />

werden darf. Im vorliegenden Fall ist der<br />

Straferlass mit der Begründung verweigert<br />

worden, der Tod des Radfahrers sei auf<br />

grob fahrlässige Weise verschuldet worden<br />

und die ständige Zunahme solcher Unfälle<br />

verlange ein Einschreiten, das in weiten<br />

Kreisen Eindruck mache und das Pflichtgefühl<br />

stärke. Nach einer weitverbreiteten<br />

Lehre gehört zum Strafzweck neben der<br />

Spezialprävention (Einwirkung auf den Täter)<br />

auch die Generalprävention (Einwirkung<br />

auf die Gesamtheit der Rechtsgenossen). Da<br />

das bernische Recht den letzteren Zweck<br />

nicht ausschliesst, kann ihn der Richter ohne<br />

Willkür auch durch Verweigerung des bedingten<br />

Straferlasses trotz des Vorliegens<br />

der gesetzlichen Voraussetzungen berücksichtigen.<br />

Dies mag zur Bekämpfung gewisser<br />

Vergehen wünschbar erscheinen, wenn<br />

viele den angedrohten Strafen zu wenig Beachtung<br />

schenken, solange bei der erstmaligen<br />

Bestrafung der bedingte Straferlass gewährt<br />

wird.<br />

Wp.<br />

Schweizerische Rundschau<br />

Genfer Salon. Als offizieller Vertreter des<br />

Bundesrates wird der Vorstehen der eidg.<br />

Justiz- und Polizeidepartementes, Bundesrat<br />

Baumann, unsere oberste Landesbehörde an<br />

der Genfer Veranstaltung vertreten und diese<br />

eröffnen. Von allen Zweigen der Bundesverwaltung<br />

steht der Chef des Justizdepartementes<br />

dem Motorfahrzeug und seinen Belangen<br />

am nächsten, so dass in Automobilistenkreisen<br />

die Abordnung von Bundesrat Baumann<br />

zweifellos freudig begrüsst wird.<br />

ten, dass Annie nicht vergesse, beim Servie-<br />

Ten des Champagners die Serviette so um<br />

die Flasche zu legen, dass die faszinierende<br />

Aufschrift «Roger» auf der Etikette gerade<br />

noch sichtbar bliebe. Die Zitrone für die<br />

Garnierung des Truthahns. Sitzkarten mit<br />

handgemalten Ecken. Gelbe Kerzen für die<br />

Majolikagirandolen, die (ohne dass John es<br />

wusste) von einem vornehmen Kunsthändler<br />

zur Ansicht gesendet worden waren und<br />

morgen schweren Herzens wieder zurückgeschickt<br />

werden mussten. Mandeln. Unter<br />

den vierten ein wenig zu kurzen Fuss der<br />

Anrichte musste eine gefaltete Spielkarte<br />

gelegt werden, damit es nicht so klappere,<br />

wenn Annie vorbeiging. Dem Tabakhändler<br />

an der Ecke musste sie eine leere Havannaschachtel<br />

ablisten, um, darin die vier fünfzig<br />

Cent-Zigarren anbieten zu können. Zwei<br />

neue Puderquasten für den Toilettetisch und<br />

unter .verschiedenen Haarnadeln auch solche<br />

aus- Aluminium für die angeblich bereits<br />

graue Mrs. Rhincoop. Rosafarbe für das<br />

Schlagobers. Sechs frische Stiefmütterchen<br />

für die Fingernäpfchen. Denn im Fensterbeet<br />

gab es keine. Aber genug Efeu, der als<br />

Tafelschmück dienen sollte, in dem Clunyspitzengewirr<br />

der Tischdecke, und Geranien<br />

für eine jadefarbene Blumenschüssel, und für<br />

die Mitte, der Tafel die Orchidee. Die Orchidee,<br />

die gehegt und gepflegt worden war für<br />

jene Gelegenheit, die eines solchen Mordes<br />

•wert sein mochte.<br />

Selene weinte nicht allzuleicht. Doch<br />

konnte ihr Herz lange, ehe sich die Augen<br />

feuchteten, unter den Tränen leiden. Aber<br />

an dem Tage des Dinners ereignete sich etwas<br />

um die Orchidee, das nervöse Träneli<br />

in zwei Strömen die Wangen Sejenes herunterrollen<br />

Hess.<br />

Denn Annie, unfähig wirklich zu helfen<br />

und nur in der Wartung Joans besonders<br />

aufmerksam, war imstande, mit einer geradezu<br />

halbidiotischen Frechheit im Wege, zu<br />

sein. Auch an dem wichtigsten Tage unter<br />

allen, an dem Tage des Dinners.<br />

Mit einer vollkommenen einhüllenden<br />

Schürze bekleidet und einem Fleck von rosa<br />

Schlagobers an der Wange, war die arme<br />

Selene gerade dabei, die Orchidee abzuschneiden»<br />

als Annie ihr in den Arm fiel mit<br />

einem Schrei, der sie so sehr erschreckte,<br />

dass sie die Schere knapp an ihrem Fuss<br />

vorbei zu Boden fallen Hess.<br />

«Nein! Nein! Das dürfen Sie nicht! Die<br />

Blume! Bitte nicht!»<br />

«Oh! Wie Sie mich erschreckt haben!<br />

Sie! Sie entsetzliches Mädchen! Wie können<br />

Sie mich so erschrecken? Heben Sie die<br />

Schere auf! Oh Sie! Wie können Sie!»<br />

schrie Selene und ihre Nervosität und Wut<br />

Hessen ihre Tränen sofort in Strömen fliessen.<br />

«Habe ich ihnen nicht befohlen, draussen<br />

in der Küche zu bleiben und den Truthahn<br />

mit Wasser zu begiessen? Kann man<br />

es denn nicht erreichen, dass Sie das tun,<br />

was man Ihnen aufgetragen hat?»<br />

:<br />

- -<br />

«Die Blume — Mrs. Herrick — die — wie<br />

—nennen— Sie — sie nur, —die — die...»<br />

•,, «Die Orchidee? Sie dummes Mädel! Lassen<br />

Sie meinen Arm doch los!»<br />

«Schneiden Sie sie nicht ab, Mrs. Herrick,<br />

Sie haben selbst gesagt — wie wundervoll<br />

sie sich gehalten hat, sogar hier in dem Fensterbeet.,<br />

Die schöne Blume, die in einem<br />

Glashaus... Und wie sie da in dem Fensterbeet<br />

gewachsen ist, wo sie doch unter<br />

Glas" hätte sein sollen...» '<br />

Selene erinnerte sich, dass sie es ihr tatsächlich<br />

einmal erklärt hatte; und Annie hatte<br />

in den Unterhaltungen mit ihren Freundinnen<br />

oft von ' der seltsamen Hartnäckigkeit<br />

dieser exotischen Blüte erzählt.<br />

«Mächen Sie sich nicht lächerlich, Annie.<br />

Ich brauche die Orchidee für heute abend.»<br />

Und das ärgerliche dumme Mädchen weinte<br />

wirkliche Tränen, als die Schere den Stengel<br />

abbiss. Als ob der Tag an sich nicht schon<br />

genug Aufregung bedeutet hätte, auch ohne<br />

dieses überflüssige Getue Annies, die Selene<br />

durch ihr Weinen und dass sie ihr in den<br />

Arm gefallen war bereits derart enerviert<br />

hatte, dass sie einen der sechs venezianischen<br />

Fingernäpfe zerbrach.<br />

Aber trotz allem, es war ein Erfolg.<br />

Sogar John Lester, der in Aussicht auf<br />

das, was ihm bevorstehen sollte, geseufzt<br />

hatte, musste es zugeben. Herbert Wing, ein<br />

grosser klobiger Mann, der den kleinen Salon<br />

vollständig auszufüllen schien, hatte seiner<br />

Gastgeberin in einer entzückenden Weise<br />

den Hof gemacht, wie seit ihrer Heirat noch<br />

nie mit ihr geflirtet worden war.<br />

Es gefiel ihr. Natürlich bloss zu ihrem<br />

Amüsement, wenngleich ein leiser Schauer<br />

ihr den tief ausgeschnittenen Rücken hinunterrann.<br />

Und John Lester, von dem sie gewollt<br />

hätte, dass er ein wenig leichter und<br />

unterhaltsamer mit Mrs. Wing plaudere, sass<br />

still da, füllte gerade noch des alten Richters<br />

Weinglas nach, und war dann am alierschwerfälligsten,<br />

wenn sich eine der beiden<br />

Damen an ihn wandte.<br />

John Lester konnte nicht Konversation<br />

machen; und Selene wand sich bei dem<br />

Schauspiel, ihn dort so täppisch zwischen<br />

der reizenden alten Mrs. Rhincoop und der<br />

charmanten Greta Wing sitzen zu sehen. Sie<br />

wollte, dass er sich «zeige». Zumindest, dass<br />

diese beiden Frauen ihn von einer vorteilhafteren<br />

Seite kennenlernten. John, der so<br />

glänzend, wenn niemand ausser ihr und den<br />

vier Wänden zuhören konnte, über soziale,<br />

wissenschaftliche, politische und literarische<br />

Fragen sprach, sass vollkommen glanzlos<br />

zwischen einer lieben alten Dame, die nett<br />

zu ihm sein wollte, und der spröden und gescheiten<br />

Greta Wing, die immer bereitwilligst<br />

interessant war, sobald sich ihr eine Gelegenheit<br />

hiezu bot.<br />

(Fortsetzung im »Autler-FeierabendtJ

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