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E_1936_Zeitung_Nr.003

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BERN, Freitag, 10. Januar <strong>1936</strong><br />

Automobil-Revue, II. Blatt - Nr. 3<br />

Ursprung und Basse<br />

des Schweizervolkes<br />

Allzu lange hat man den Einzelmenschen als blosses<br />

Individuum betrachtet und seine übrigen Funktionen<br />

übersehen; denn der Mensch trägt nicht nur<br />

sein persönliches Ich mit sich herum, sondern auch<br />

ein kollektives Ich, und ausserdem eine riesige Erbmasse<br />

von unbekannter Schwere, die sich bald im<br />

persönlich-individuellen, bald im kollektiven Ich<br />

deutlicher bemerkbar macht. Der Mensch hat also<br />

nicht nur die Rolle einer Einzelperson, er ist auch<br />

Glied einer Kette, Faden im Gewebe, und ohne diese<br />

tiefen Zusammenhänge gar nicht zu denken.<br />

Wenn wir dem Ursprung des Schweizervolkes<br />

nachspüren wollen, so müssen wir uns zunächst von<br />

manchen Irrtümern des Schulwissens freimachen.<br />

Denn die Geschichte, die man in der Schule lernt, ist<br />

und war stets die Geschichte der Herrschenden;<br />

aber wo ist die Geschichte der Beherrschten? Die<br />

Herrscher lösen einander in deutlichen Epochen ab:<br />

Helvetier, Römer, Alemannen, Frankenkönige, Burgunder<br />

und Zähringer, Kyburger und Habsburger —<br />

das sind die Marksteine einer Geschichte der politischen<br />

Herrschaft, Zugehörigkeit und Kultur. Sie<br />

geben aber wenig Auskunft über die Geschichte<br />

des Volkes, seine Herkunft, Vermischung und Zusammenballung<br />

in dem natürlichen Raum zwischen<br />

Leman und Bodensee, Jura und Alpenkamm. Dieser<br />

natürliche Lebensraum des Schweizervolkes war zu<br />

allen Zeiten, da der Mensch in grösserer Zahl die<br />

Erde bevölkert hat, bewohnt; mit der Erforschung<br />

der Herkunft der Völkerschaften, die sich in diesem<br />

Becken und in den Alpentälern festgesetzt haben,<br />

rühren wir auch an die Frage nach der Rasse, der<br />

das Schweizervolk angehört. Die Verhältnisse sind<br />

sehr kompliziert. Nur genaue historische und prähistorische<br />

Forschungen mit Einbezug der anthropologischen<br />

Untersuchungsmethoden können in das<br />

Halbdunkel der Rassenfrage etwas Licht bringen.<br />

Hans Rudolf Schund<br />

Es ist interessant, zu beobachten, dass schon die<br />

Grabfunde aus den ältesten Zeiten — das heisst aus<br />

der Jungsteinzeit; denn aus der Altsteinzeit sind<br />

keine Gräber vorhanden — für unser Land keine<br />

einheitliche Bevölkerung annehmen lassen. In der<br />

Jungsteinzeit, oft in den gleichen Gräbern,finden sich<br />

Menschentypen mit Breitköpfen (Brachykephalen) und<br />

mit langköpfen (Dolichokephalen), so dass wir annehmen<br />

müssen, schon damals hätten Menschen<br />

verschiedener Rassen nebeneinander gewohnt —<br />

dies unter der Voraussetzung, dass die Schädelform<br />

wirklich als eindeutiges Rassenmerkmal zu betrachten<br />

ist! In der Steinzeit überwiegen die Breitköpfe,<br />

während die Bronzezeit hauptsächlich Langköpfe<br />

und Mittelköpfe (Mesokephalen) aufweist, was zum<br />

Schlüsse führt, es sei zu Beginn der Bronzezeit ein<br />

neues Volk von neuer Rasse eingewandert.<br />

Wer diese Völker waren und woher sie kamen,<br />

wird sich wohl nie mit Sicherheit feststellen lassen.<br />

Ueber das Wissenswerteste, nämlich die seelischen<br />

und soziologischen Eigenschaften, Sprache und<br />

geistige Lebensformen schweigen sich die Gräberfunde<br />

vollständig aus. Einzig über ihre materielle<br />

Kultur geben die Artefakten: Werkzeuge, Schmuck<br />

und Waffen, einige Anhaltspunkte. Doch wissen wir,<br />

dass während der Pfahlbauzeit unser Land schon<br />

verhältnismässig dicht besiedelt war; mehr als 400<br />

Pfahlbausiedelungen an Seen und Mooren sind bekannt;<br />

aber Hunderte von Weilern und Dörfern<br />

lagen auf den Höhen und Berglehnen.<br />

Auch wenn inzwischen wieder andere Völker auf<br />

den Plan traten und die Herrschaft über das Land<br />

an sich rissen, so werden die Eingesessenen wohl<br />

doch zum grössten Teil in die neue Volksgemeinschaft<br />

eingefügt, und nicht, wie man zu lange<br />

glaubte, ausgerottet worden sein. Die völlige Ersetzung<br />

einer Bevölkerung durch eine neue halten<br />

wir heute für gänzlich ausgeschlossen.<br />

Es ist deshalb durchaus nicht zu kühn, wenn wir<br />

jene fernen, urgeschichtlichen Völker in den Stammkreis<br />

des heutigen Schweizervolkes einbeziehen.<br />

Es ergibt sich daraus eine gewisse Kontinuität des<br />

Blutes bis in die Pfahlbauzeit zurück. Mit Keller-<br />

Tarnuzzer, einem der besten Kenner unserer Urgeschichte,<br />

betrachten wir die jungsteinzeitliche Bevölkerung<br />

als die eigentliche, in uns fortlebende<br />

Urbevölkerung der Schweiz. Keltische, ligurische<br />

und illyrische Stämme fügten sich im Laufe des leb<br />

ten vorchristlichen Jahrtausends bei, und als letzlis<br />

und jüngstes Element, im 4. und 5. Jahrhundert<br />

unserer Zeitrechnung, traten noch die Alemar/ien<br />

und Burgunden dazu.<br />

Die Römer, die inzwischen ein halbes Jahrtausend<br />

lang über das Gebiet der Schweiz geherrscr<br />

es mit ihren Provinzen verwaltet hatten, dürften in<br />

rassischer Beziehung kaum eine nennenswerte Veränderung<br />

der damaligen Bevölkerung bewirkt<br />

haben, etwa mit Ausnahme der Westschweiz. Wir<br />

dürfen nicht glauben; dass sich jemals eigentliche<br />

Römer in grosser Zahl in der Schweiz ansiedelten.<br />

Die Herrschaft Roms wurde durch Beamte und Legionäre<br />

ausgeübt; davon mögen die Beamten und<br />

Offiziere, als eine dünne Oberschicht, Römer oder<br />

Italiker gewesen sein, die Legionäre aber kaum.<br />

Trotzdem haben sie dem Land ihre Sprache und<br />

ihre Kultur beizubringen vermocht.<br />

Als die Alemannen sich im 5. Jahrhundert dauernd<br />

im nördlichen und östlichen Teil unseres Landes niederliessen,<br />

werden sie die Repräsentanten der römischen<br />

Herrschaft vertrieben, aber die ansässige<br />

Bevölkerung keineswegs vernichtet haben. Sie waren<br />

wohl auch nicht zahlreich genug, dass sie das<br />

ganze Land völlig hätten besiedeln können. Viel<br />

eher ist anzunehmen, dass die Alemannen sich als<br />

kriegerische Oberschicht mit der alteingessenen<br />

Bevölkerung in den Besitz des kulturfähigen Bodens<br />

geteilt haben — nicht immer friedlich, und vielleicht<br />

war ihre Herrschaft hart; die über das ganze Land<br />

verbreiteten Sagen von Bedrückung der Bauern und<br />

. darauf folgenden lokalen Aufständen der Bauern<br />

wider die Herren dürften manchenorts einen historischen<br />

Kern vermuten lassen. In einzelnen Gegenden<br />

mögen die Alemannen zahlenmässig in der<br />

Mehrheit, in andern in der Minderheit gewesen sein.<br />

Ausserdem fand die Besitzergreifung nicht von<br />

einem Tag auf den andern statt, sondern sie vollzog<br />

sich allmählich im Verlauf von grösseren Zeiträumen.<br />

Wenn auch die Alemannen die römische Kultur,<br />

die sie im Lande vorfanden, nicht übernahmen, wie<br />

ihre germanischen Stammesbrüder, die Burgunden,<br />

in der Westschweiz, ist trotzdem nicht zu glauben,<br />

dass sie alles kurz und klein schlugen. Wenn sie<br />

etwa die gemauerten Bauwerke nicht weiter pflegten,<br />

so rührt es daher, dass sie sich aufs Mauern<br />

nicht verstanden und selbst mit Holz bauten. Der<br />

Zerfall von menschlichen Bauwerken, zu deren Erhaltung<br />

keine Hand sich rührt, geht so rasch vor sich,<br />

dass nach einigen Jahrhunderten eine ganze Stadt<br />

dem Erdboden gleich wird; eine Humusschicht überzieht<br />

langsam das in sich zerfallende Mauerwerk,<br />

der Stein zermürbt, das Holz zerfällt, ein Wald erhebt<br />

sich auf vergessenen Ruinen, und wo einst blühendes,<br />

bewegtes Leben war, breitet die Natur<br />

ihren grünen Mantel aus, und alles wird wieder Urzustand<br />

und beginnt von vorn.<br />

Ein anderes aber ist es mit den Menschen. Eroberer<br />

und Unterworfene bilden bald eine neue Gemeinschaft,<br />

und die Kinder und Enkel derer, die<br />

einst Krieg gegeneinander geführt, verwachsen bald<br />

zu einer neuen Familie. So entsteht aus Elementen<br />

verschiedener Herkunft — ja, verschiedener Sprache<br />

— ein neues Volk, ein neuer Schlag.<br />

Wenn wir die lebenden Schweizer auf ihre rassischen<br />

Merkmale untersuchen, sind wir nicht, wie<br />

bei den vergangenen Geschlechtern, auf blosse<br />

Schädel- und Skelettmessungen angewiesen. Da<br />

können wir die gesamte Wuchsform berücksichtigen,<br />

und vor allem auch die Beschaffenheit der<br />

Farbe von Haaren, Haut und Augen, also die Pigmentierung,<br />

nach welcher man je und je die Hauptj<br />

gruppen der Völker und Rassen voneinander unterschieden<br />

hat.<br />

Der Anthropologe Schwerz hat vor dem Kriege<br />

auf Grund genauer und langwieriger Erhebungen,<br />

die von der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft<br />

an allen Schulkindern vorgenommen wurden,<br />

etwa folgendes festgestellt. Von der schweizerischen<br />

Bevölkerung gehören 16,1 Prozent dem<br />

hellfarbigen, das heisst blondblauäugigen Typus<br />

an (gegen 64,5 Prozent im Badischen und 10,3 Prozent<br />

in Italien); 39,7 Prozent Schweizer sind braunhaarig<br />

und braunäugig (im Badischen 12,6, in Italien<br />

69,1 Prozent); 44,2 Prozent der schweizerischen Bevölkerung<br />

weist gemischtfarbigen Typus auf, das<br />

heisst dunkelblonde bis hellbraune Haare und me-<br />

#^ J<br />

Photos Schildknecht. St. Gallen.

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