E_1936_Zeitung_Nr.064
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BERN, Freitag, 7. August <strong>1936</strong><br />
Automobil-Revue, II. Blatt - Nr. 64<br />
Photo Froebel (Zingg)<br />
Im Bann der Berge<br />
unbeugsamen Willen und absolute körperlich<br />
Vollwertigkeit. Eine Niederlage im sportlich^<br />
Spiel ist erträglich, beim Klettern kann ein ä/<br />
Viehes Versagen sofort verhängnisvoll werden.<br />
Kletterer muss vor dem Begehen einer Rou<br />
seelischer und körperlicher Hinsicht die unbe<br />
Sicherheit zur Bewältigung der Aufgabe<br />
sonst -soll, er von seinem Unternehmen abstellt<br />
Die Berge bieten ia auch dem weniger Kundigen<br />
unzählige. Möglichkeiten, um ihre Schönheit in<br />
leichteren. Touren zu gemessen und inmitten ihrer<br />
Pracht-und. Erhabenheit neue Lebenskraft zu schöpfen.<br />
Der Ungeübte tut gut, sich von den besonderen<br />
Schwierigkeiten grösserer Besteigungen lieber<br />
nur, anhand von Bildern einen Begriff zu verschaffen,<br />
statt sich selbst in diese Schwierigkeiten<br />
zu begeben. Den schwierigeren Touren soll er sich<br />
nur etappenweise nähern; nach langen Vorübungen<br />
in .leichteren Klettereien und unter kundiger<br />
Leitung, wozu die Sektionen des Schweizerischen<br />
Alpenklubs alljährlich Gelegenheit bieten. Unter<br />
dieser Voraussetzung kann der einigermassen Begabte<br />
auch zu grösseren und spannenderen Erlebnissen<br />
heranreifen, die unser in den Bergwänden,<br />
auf den Graten, Zacken und Nadeln harren, welche<br />
schwieriger zu begehen sind, wennschon die<br />
ganz schweren Touren immer nur dem besonders<br />
Tüchtigen und Berggewandten vorbehalten bleiben.<br />
Uebung und Begabung sind auch beim Klettern<br />
wesentliche Voraussetzungen zur Meisterschaft.<br />
Dabei ist die geistige Vorbereitung ebenso wichtig<br />
wie die körperliche. Es ist daher bedauerlich, dass<br />
die grosse Fülle guter alpiner Literatur von vielen<br />
•angelesen in unseren Bibliotheken, ruht.<br />
lieber grüne Matten, steile.,Rasenhalden, langgezogene<br />
Firnflächen oder steile, zerschrundete<br />
Gletscher geht es dem Berg entgegen. Häufig leitet<br />
ein steiler Firn- oder Eishang oder ein mit Steinen<br />
schwarz gespickter Lawinehkegel zum Einstieg<br />
empor. Da schlagen wir mit kraftvollem Schwung<br />
Stufe um Stufe oder schreiten mit den Steigeisen<br />
über die hartgefrorene Unterlage. Um sicheren<br />
Stand auf den zehn zackigen Eisen zu haben,<br />
müssen gleichzeitig alle Zacken ins Eis greifen, so<br />
dass man mit stark auswärtsgebogenen Knöcheln<br />
aufwärts schreitet.<br />
Wir nähern uns den Felsen, und der Berg<br />
stellt uns sein erstes Bollwerk entgegen — den<br />
Bergschrund. Mit Technik oder List ,muss er<br />
überwunden werden. Vielleicht haben wir Glück<br />
und können ihn auf einer Brücke überschreiten,<br />
oder aber es gilt mit Schulterstand oder Stufen und<br />
Griffen im Eis seine obere Lippe zu überwinden,<br />
denn oft gähnt er wie ein Maul, oft wie ein ungeheurer<br />
Schlund, so dass wir von oberer und unterer<br />
Lippe des Bergschrundes sprechen.<br />
Ein Riss im Fels gestattet uns dann den eigentlichen<br />
Einstieg in den Berg, oder eine Verschneidung,<br />
in der man unter Umständen schon<br />
mit der Stemmarbeit beginnen muss. Schon hier<br />
wird auf Unterschiede in der Begabung der einzelnen<br />
Kletterer abgestellt: es gibt solche, die<br />
ganz besonders gute Kamin- und Risskletterer sind,<br />
andere, deren besondere Kunst sich an exponierten<br />
Kanten oder glatten Wänden zeigt. Je nach<br />
den Verhältnissen, die man am Berg antrifft, erfolgt<br />
sofort eine Gliederung der Seilschaft, die beim<br />
Klettern am besten nur aus zwei Mann besteht.<br />
Der für die gegebenen Verhältnisse am besten Befähigte<br />
übernimmt die Führung.<br />
Vielfach besteht die Meinung, dass man sich<br />
mit Hilfe von Mauerhaken nur so an der<br />
Wand emporangeln könne, wenn es nötig sei. Das<br />
ist ein Irrtum, aus verschiedenen Gründen. Die richtige<br />
Verwendung der Mauerhaken ist überhaupt<br />
ein Prüfstein für das Können und die Kunstauffassung<br />
des Bergsteigers. Der Mauerhaken soll nur<br />
als Sicherungsmittel dienen, nicht aber als Griff<br />
oder Stand. Auch das Seil ist beim Aufstieg nur<br />
ein Sicherungsmittel, das sich aber auch nur bei<br />
guter Beherrschung der Seiltechnik in diesem Sinne<br />
auswirken kann. Das Seil muss vom Vordermann<br />
sorgfältig und unter ständiger Beobachtung des<br />
nachfolgenden Bergkameraden nachgezogen werden,<br />
ohne aber einen Zug auf den letzteren auszuüben.<br />
Dabei befolgt der Vordermann alle son?<br />
stigen Sicherungsregeln. Auch der zweite der<br />
Seilschaft hat seine wichtige Aufgabe bei der Bedienung<br />
des Seils. Unablässig hat er die Bewegungen<br />
des Vorangehenden zu verfolgen, ob auch<br />
der Nacken schmerzt von beständigem Aufwärts'<br />
schauen, lose muss das Seil durch seine Finger<br />
gleiten, mit vorsichtigem Schwingen muss er es vom<br />
Fels befreien, wenn es sich verfängt. Der Vordermann<br />
darf keine Hemmung, keinen Ruck durch das<br />
Seil zu spüren bekommen. Die Festigkeit des Seils<br />
wird heute in besonderen Materialprüfungsanstalten<br />
genau ermittelt, insbesondere muss des Bergsteiger<br />
auch über die Frage orientiert sein, einen<br />
wie hohen Sturz dasselbe aushalten würde. Diese<br />
Materialqualitäten sind beim Seil, bei Steigeisen<br />
und Kletterschuhen ausserordentlich wichtig. Aber<br />
auch die beste technische Ausrüstung ersetzt niemals<br />
ein vollwertiges Können, eine gründliche<br />
Bergkenntnis und Erfahrung in allen Nebenumständen,<br />
die eine ungewöhnliche Erschwerung der<br />
ganzen Tour herbeiführen können.<br />
Der Aufstieg an einer Wand kann oft nur unter<br />
vielmaligem seitlichem Ausweichen vor ganz glatten,<br />
grifflosen oder stark überhängenden Felspartien<br />
erfolgen. Die Möglichkeit zu solchen Quergängen<br />
bieten Bänder oder Risse, oft auch nur<br />
spärliche Griffe. Doch selbst wenn weder Tritte<br />
noch Griffe für einen Quergang vorhanden sind,<br />
ist ein solcher dennoch möglich, zum Beispiel über.<br />
Wo sich die Saumpfade im Gestein verlieren,<br />
sich die Felswände schroff erheben und die Gratzacken<br />
in den Himmel ragen, da lebt der uralte<br />
Geist der Berge. Wie ein tiefer Burggraben schützt<br />
der Bergschrund das Gebiet, auf dem sich dieser<br />
Berggeist im Verlaufe der Jahrhunderttausende die<br />
höchsten und gewaltigsten Türme seiner ungeheuren<br />
Festung baute, auf deren Zinnen er noch heutigen<br />
Tages ab und zu seine mächtigen Schneefahnen<br />
hisst. Den Menschen ist er gut gesinnt, sein<br />
ganzes Reich steht ihrem Taten- und Forscherdrange<br />
offen. Es herrschen jedoch in diesem Reich<br />
der Berge ganz besondere Gesetze, die man kennen<br />
muss und an deren Erforschung Generationen<br />
mutiger und entschlossener Männer hart gearbeitet<br />
haben. Das unvergängliche Ergebnis dieser<br />
grossen Arbeit ist die Erschliessung unserer herrlichen<br />
Alpen, die Entdeckung ihrer Schönheit.<br />
Die Arbeit am Berg verlangt die Beherrschung<br />
einer ganz bestimmten Technik. Die Eis- und<br />
Kletterarbeit setzt ein mindestens ebenso<br />
gründliches Training .voraus wie die planmässige<br />
Ausübung irgendeines schwierigeren Sportspieles.<br />
Wie- zum Beispiel der Ruderer nicht ohne peinlichste<br />
Vorbereitung und ausgiebiges Training an<br />
einer Regatta startet, so soll der Bergsteiger nicht<br />
einfach ohne entsprechende Vorschulung zu Klettertouren<br />
ausrücken. In seinen freien Stunden muss<br />
der Kletterer die Kraft und Ausdauer seiner ganzen<br />
Körpermuskulatur schon zu Hause mit turnerischen<br />
Uebungen steigern, wobei die ganze Stufenleiter<br />
der bekannten Uebungen unserer Turner<br />
in Frage kommt, angefangen bei Kniebeugen und<br />
Liegestütz zur Stärkung der Arm- und Beinmuskeln<br />
bis hinauf zu den komplizierteren turnerischen Leistungen.<br />
Wer kann uns verbieten, am Türrahmen<br />
unseres Zimmers die Klimmzüge zu üben, die man<br />
in der Bergwand beherrschen muss? Dass man<br />
dabei nur mit den Fingerspitzen am Türrahmen<br />
hängt, ist sehr vorteilhaft, den auch in den Bergen<br />
findet man oft an der mehr oder weniger glatten<br />
Wand keine besseren Griffe für den Anstieg. Man<br />
dürfte auch nicht überrascht sein, den Kletterer zu<br />
Hause gelegentlich im Türrahmen eingestemmt zu<br />
finden, in bestem Zuge, sich mit Stemmübungen auf<br />
diese Spezielle Arbeit am Fels vorzubereiten, wo<br />
er im glatten Kamin oder in Verschneidungen der<br />
Wand nur noch mit Emporstemmen des Körpers<br />
weiterkommt. Wenn Sie einmal einen Menschen<br />
hoch oben an einer Hauswand angeseilt auf dem<br />
Fenstersims werden schlafen sehen, so müssen Sie<br />
wissen: das ist ein Kletterer, der sich auf irgendein<br />
unbequemes Biwak in irgendeiner Felswand vorbereitet,<br />
die oft keine bessere Schlafgelegenheit<br />
bietet! (Ich selbst habe das Training zwar noch nie<br />
so weit getrieben.)<br />
Die Kletterarbeit verlangt Kraft, Ausdauer und<br />
Geschmeidigkeit, zähes Ausharren, einen starken;<br />
Seilsicheruiv7 Machziehen des Seils in typischer<br />
Sicherungsstellung.<br />
Hangeltraverse in fast grifflosem Gestein,<br />
Photo Flachsmann