E_1936_Zeitung_Nr.064
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12 Automobil-Revue — N c 64<br />
eine völlig glatte Platte hinweg. Von einem mog*<br />
liehst erhöhten Standpunkt aus sichert der Vorausgehende.<br />
Mit angestemmten Füssen schreitet oder<br />
pendelt der zweite über die Platte hinweg, gewinnt<br />
gangbaren Fels, und sichert, wieder überhöhend,<br />
auf gleiche Weise den Quergang des zweiten, der<br />
unter Umständen von seinem zuerst innegehabten<br />
Standort aus wieder einige Meter absteigen muss.<br />
Ist Sicherung um eine Felszacke nicht möglich, so<br />
schlägt man in einem solchen Falle einen Mauerhaken.<br />
So erfolgt der Aufstieg unter abwechslungsweiser<br />
Sicherung. Wo schräg aufsteigende<br />
Risse die einzige Aufstiegsmöglichkeit bieten, da<br />
verschafft man sich am Fels den nötigen Halt, in-<br />
* dem man sich mit den Händen am Risse emporarbeitet,<br />
währenddem man die Sohlen gegen den<br />
Fels presst, so dass der Körper durch sein eigenes<br />
Gewicht gegen die Wand verstemmt ist. Mit<br />
Stemmtechnik klimmt man auch in engen Kaminen<br />
empor, wobei man den Körper oft nur unter<br />
grösster Bewegungsbehinderung höherschieben<br />
kann. Hier arbeitet man sich also mit Hilfe der<br />
Reibungskraft aufwärts, währenddem von einem<br />
Stand oder Griff oft keine Rede ist. Es gibt an der<br />
Wand eine ungemeine Fülle der verschiedenartigsten<br />
Anforderungen an die Geschmeidigkeit und<br />
Kunst des Kletterers. Der Aufstieg über einen<br />
Grat verlangt schon bei sogenannten mittelschweren<br />
Routen vollständige Schwindelfreiheit. Auf<br />
schwierigen Touren passiert man auf Graten und<br />
auch in den Wänden Stellen höchster Exponiertheit,<br />
wo die steilen Felsabstürze unter uns Hunderte<br />
von Metern messen.<br />
Die subjektiven Gefahren in den Bergen bestehen<br />
in einer ungenügenden Vertrautheit mit<br />
allen Anforderungen, welche die Kletterkunst an<br />
den Bergsteiger stellt. Diese Gefahren fallen für<br />
den gewiegten Kletterer fast ganz dahin. Die objektiven<br />
Gefahren, welche eine Tour, und<br />
speziell eine Klettertour bietet, bestehen auch für<br />
den gewandten Berggänger — aber der erfahrene<br />
Alpinist weiss ihnen auszuweichen und hat es gelernt,<br />
diese Gefahrenquelle für sich auf ein Minimum<br />
zu reduzieren. Er wählt zum Beispiel für den<br />
Anstieg nicht ein unter Umständen bequem gangbares<br />
Couloir, sondern steigt im freien Fels empor,<br />
weil die Couloirs erfahrungsgemäss oft eine Gefahrenzone<br />
für Stein- und Eisschlag darstellen.<br />
Auch brüchigem, sogenanntem krankem Gefels<br />
gegenüber trifft er seine besonderen Verhaltungsmassregeln,<br />
orientiert sich genau über die Witterungsverhältnisse<br />
und macht sich die vielen Erfahrungsschätze<br />
zunutze, die der Alpinismus in den<br />
letzten Dezennien gesammelt hat. Es gibt Besteigungen,<br />
die der übergrossen objektiven Gefahren<br />
wegen nie ausgeführt und nie begangen werden<br />
sollten (Grandes Jorasses-Nordwand, Matterhorn-<br />
Nordwand, Eigerwand usw.), sonst fordern sie immer<br />
und immer wieder ihre Opfer. Bei solchen<br />
Unternehmungen kann nicht mehr von gesundem<br />
Bergsteigen gesprochen werden, sondern nur noch<br />
von bedauerlichen Auswüchsen. Der Verzicht auf<br />
eine Unternehmung in den Bergen kann unter Umständen<br />
mehr bedeuten als die Ausführung selbst,<br />
und der Entschluss zum Verzicht stellt oft eine<br />
grössere Leistung dar und ist höher zu bewerten<br />
als die Durchführung einer Besteigung, bei der<br />
man weiss, dass grösste Gefahren lauern, die mit<br />
keiner Kunst zu umgehen sind.<br />
Für den Unkundigen sind die Gefahrenquellen<br />
in den Bergen so unversieglich wie die Gletscherbäche<br />
und oft sehr gross, bei einiger Besonnenheit<br />
und der Fähigkeit zum Verzicht am richtigen Platze<br />
aber nicht grösser als bei anderen sportlichen Betätigungen,<br />
zu deren ausreichender Erlernung es<br />
auch immer des Trainers, fortgesetzter Uebung und<br />
eines gesunden Geistes in einem gesunden Körper<br />
bedarf. Wer aber diese Bedingungen erfüllt, der<br />
soll Kraft und Mut in unseren schönen Schweizer<br />
Alpen üben und stählen, er wird damit sein Leben<br />
mit grossen und unvergesslichen Erlebnissen bereichern,<br />
die Schönheiten seines Vaterlandes immer<br />
mehr zu erkennen und zu würdigen verstehen.<br />
Otto Amstad.<br />
Der schnellste Mann<br />
der Welt<br />
Von Sir Malcolm Campbell:<br />
Sir MALCOLM CAMPBELL, der berühmte<br />
Rennfahrer, hat im September 1935 in Daytona<br />
mit 400 km Stundengeschwindigkeit<br />
alle eigenen Rekorde gebrochen und einen<br />
neuen Weltrekord aufgestellt. - Hier schildert<br />
er auf äusserst spannende Art ein Erlebnis<br />
aus dem Beginn seiner Laufbahn.<br />
Zu meinem ersten « Blauen Vogel » bin ich<br />
auf ganz merkwürdige Weise gekommen. Ich<br />
habe ihn nämlich beinahe von einem Misthaufen<br />
aufgelesen. Diesem Wagen verdanke ich<br />
einen der schrecklichsten Augenblicke meiner<br />
Karriere — er hätte tatsächlich fast meine<br />
Karriere zu einem jähen Ende gebracht.<br />
Das war noch nicht eine von den Maschinen,<br />
mit denen ich meine Weltrekorde im<br />
Schnellfahren aufstellte. Ich benützte eine<br />
ganze Anzahl von anderen Wagen — die ich<br />
ebenfalls alle « Blauer Vogel » nannte — lang<br />
bev.or ich die grossen Maschinen baute, mit<br />
denen ich in Daytona Beach auftauchte. Ich<br />
habe einen guten Grund, diesen Namen immer<br />
wieder zu gebrauchen, und eben diese Veranlassung<br />
will ich heute erzählen.<br />
Ich habe schon lange in Brooklands die<br />
Rennen mitgemacht, aber zu einer wahren Leidenschaft<br />
wurde es erst, als ich 1910 einen<br />
Peugeot kaufte. Damals war es Mode, den<br />
Wagen einen Namen zu geben, und nach langem<br />
Suchen nach einem geeigneten Wort entschloss<br />
ich mich für «Flapper », den Namen<br />
eines bekannten Rennpferdes. Aber weder das<br />
Rennpferd noch mein Peugeot siegten. Ich<br />
hatte mit diesem sowie mit einem zweiten<br />
Wagen, den ich « Flapper II » nannte, alle nur<br />
erdenklichen Unannehmlichkeiten. Der Mann,<br />
der das Auto von mir erstand, kam drei Monate<br />
später bei einem Zusammenstoss ums<br />
Leben. Es schien, als ob der Name immer Unglück<br />
bringe.<br />
Da hörte ich, dass die Maschine, auf der<br />
Victor Hemry 1909 den Vanderbilt-Cup gewonnen<br />
hatte, zu haben war. Es war ein Dar-,<br />
racq von ungewöhnlichem Umfang, der es be-,<br />
reits zu einer Stundengeschwindigkeit von<br />
hundert Meilen gebracht hatte — beängstigend<br />
viel für die damalige Zeit.<br />
Ich machte mich auf, um den Wagen einzuholen,<br />
und fand ihn in einem Fabrikverschlag<br />
in Kennington, mitten in einem Abfallhaufen.<br />
Nur der Oberteil war noch sichtbar. Der Darracq<br />
hatte bereits seit ungefähr einem Jahr<br />
dort gestanden, und es dauerte einige Zeit, bis<br />
er von allen Rädern, Schrauben und verrosteten<br />
Metallteilen befreit war und ausprobiert<br />
werden konnte. Nun erst bemerkte ich, dass<br />
alle Mechaniker den Wagen fürchteten. Keiner<br />
wollte die Führerstange auch nur berühren,<br />
und ich konnte sie nur mit Mühe dazu bringen,<br />
mir ein wenig behilflich zu sein.<br />
Endlich war der Motor in Gang gebracht,<br />
und ich machte mich in einer Rauchwolke auf<br />
den weiten Weg von Kennington bis zu meinem<br />
Haus in Bromley. Die Maschine war für<br />
gewöhnlichen Verkehr nicht geeignet, und es<br />
war ausgesprochen aufregend, den Hundertmeilen-Wagen<br />
durch die Strassen des Vorkriegs-London<br />
zu lenken. Trotzdem langte ich<br />
heil an meinem Bestimmungsort an und bestellte<br />
bei einem Garagenbesitzer einen neuen<br />
Oberteil, in dem ich schon damals die je.tzt<br />
Mein erster „Blauer Vogel*<br />
üblichen Theorien über Stromlinienbau verwirklichte.<br />
Ich konnte es kaum erwarten, mit der Maschine<br />
zu starten. Als ich am Vorabend des<br />
Rennens gerade « Flapper III» auf die Haube<br />
malen wollte, meinte ein Freund, dass dieser<br />
Name mir doch nur Unglück gebracht habe,<br />
und er schlug den. Titel des neuen Theaterstückes<br />
von Maeterlinck, das damals gerade<br />
mit viel Erfolg in London aufgeführt wurde,<br />
« Blauer Vogel », vor.<br />
Der Name gefiel mir so sehr, dass ich noch<br />
in letzter Stunde den ganzen Wagen blau bemalte,<br />
um den Namen irgendwie zu rechtfertigen.<br />
Die Farbe war noch nicht trocken, als<br />
ich am nächsten Tag in Brooklands startete,<br />
aber das hinderte nicht, dass der Wagen zwei<br />
der drei angesetzten Rennen gewann.<br />
Als ich aber ein anderes Mal die Geschwindigkeit<br />
über die hundert Stundenmeilen hinauszusteigern<br />
versuchte, brachte mich mein<br />
Vogel in grösste Lebensgefahr. Es war im<br />
August 1912 in Brooklands; mir lag damals<br />
besonders viel daran, zu gewinnen, und beim<br />
Endspurt hatte ich tatsächlich nur mehr drei<br />
Wagen vor mir.<br />
Das Ziel war mit drei Fahnen markiert. Es<br />
war kein Zweifel, dass ich alle Aussicht auf<br />
den Sieg hatte. Ich Hess das Drosselventil weit<br />
offen und peitschte aus dem alten Wagen mit<br />
den hölzernen Rädern und den Luftreifen aus<br />
Segeltuch die höchstmögliche Geschwindigkeit<br />
heraus. Alles ging gut — bis plötzlich das<br />
eine Vorderrad brach.<br />
Sofort legte sich der Wagen auf die Seite.<br />
Ich bearbeitete heftig das Steuerrad, um die<br />
Maschine im Kurs zu halten, verringerte aber<br />
nicht die Geschwindigkeit: denn es war höchstens<br />
noch eine Viertelmeile bis zu den Fahnen,<br />
und ich Hess das Drosselventil nach wie<br />
vor weit offen. Aber natürlich funktionierte<br />
der schwer havarierte Wagen nicht mehr einwandfrei.<br />
Immer wieder fiel er von der Mitte<br />
der Strasse an den Rand, und ich war knapp<br />
vor den Fahnen, als der geplatzte Pneumatik<br />
auf einen Kerbstein anprallte. Wenige Zentimeter<br />
weiter, und ich wäre glücklich vorbeigekommen.<br />
Aber so wie die Dinge nun einmal<br />
lagen, zerschellte bei diesem Anprall das<br />
ganze vordere Rad.<br />
Es war mir sofort klar, dass auch das rückwärtige<br />
Rad.auffahren musste, und ich wusste,<br />
dass es ebenso zerbrechen musste, und dass<br />
auch seine Splitter herumfliegen mussten. Das<br />
geschah auch, und zwar den Bruchteil einer<br />
Sekunde später, mir jedoch schien es eine<br />
Ewigkeit, bevor ich den Krach hörte. Die Teile<br />
des Rades sausten durch die Luft, und die<br />
Eisenstücke verfehlten knapp meinen Kopf. Im<br />
selben Augenblick neigte sich das Auto, das<br />
nun beide Räder auf einer Seite verloren hatte,<br />
in einem bösen Winkel zur Erde.<br />
Ich fuhr mit annähernd Hundertmeilengeschwindigkeit<br />
weiter — zerbrochene Speichen<br />
wirbelten um mich, Metallteile schlugen<br />
gegen den Wagen, Staub wirbelte auf — immer<br />
ganz nahe am Strassenrand entlang. Ich<br />
wusste, wenn das Auto umschmiss, war ich<br />
verloren. Die Lage wurde noch dadurch verschlimmert,<br />
dass der Mechaniker, der neben<br />
mir sass, auf mich geworfen worden war. so<br />
dass ich am Lenkrad auch noch sein Gewicht<br />
zu tragen hatte. Gemeinsam versuchten wir,<br />
den Wagen im Gleichgewicht zu halten.<br />
Hätte ich gebremst, wäre der Vogel sofort<br />
umgekippt. Ich konnte nichts anderes tun, als<br />
die einmal eingeschlagene Geschwindigkeit<br />
aufrecht halten. Und es war gerade die grosse<br />
Schnelligkeit, die die Katastrophe verhütete<br />
und das Auto aufrecht hielt. Und so näherte<br />
ich mich mit dem Wagen, über den ich fast<br />
vollends die Herrschaft verloren hatte, der<br />
am Ziele harrenden Menge.<br />
Die Leute rührten sich nicht, sie waren vor<br />
Schrecken wie zu Stein erstarrt. < Niemand<br />
dachte daran, vor dem drohenden Unheil davonzulaufen.<br />
Die Furcht, dass der Wagen in<br />
sie hineinfahren könnte, hatte ihnen den Atem<br />
geraubt Und gerade als ich durch das Ziel<br />
fuhr, brach auch noch das Steuer.<br />
Nutzlos hielt ich das Rad in der Hand, und<br />
wie durch ein Wunder verlangsamte der Wagen<br />
das Tempo, während er in derselben Richtung<br />
weiterfuhr — in der Richtung, in der die<br />
Menge stand, die jetzt begriffen haben musste,<br />
dass ich die Herrschaft über den Wagen verloren<br />
hatte.<br />
Erst jetzt rührten sich die Zuschauer von<br />
der Stelle, während mein Auto langsam einen<br />
kurzen Abhang hinunterglitt, auf der andern<br />
Seite herauffuhr und schliesslich zum Stehen<br />
kam.<br />
Niemand war verletzt worden. Auch mir<br />
war nichts geschehen — und die Maschine war<br />
als vierte durchs Ziel gefahren. Das ganze<br />
Ereignis stellt die grösste Lebensgefahr, dar,<br />
in die ich je als Rennfahrer gekommen bin»<br />
Ich war sehr glücklich, gut abgeschnitten zu<br />
haben, und man wird jetzt auch vielleicht verstehen,<br />
warum ich allen meinen Wagen den<br />
Namen « Blauer Vogel » gab.<br />
(Deutsch von Dr. Berta Schönmann.)<br />
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