E_1938_Zeitung_Nr.038
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wenigstens mit der Angst zu tun und bekannte<br />
sich, kaum aus eigener Ueberlegung als vielmehr<br />
unter dem Drucke aussenpolitischer Umstellungen,<br />
endlich kleinlaut zur Notwendigkeit<br />
einer Förderung der Motorisierung. Man<br />
verstand nun plötzlich die Tragweite der in<br />
verschiedenen bundesrätlichen Botschaften<br />
zum Ausdruck kommenden Forderungen nach<br />
Vermehrung des armeetauglichen Motorfahrzeugbestandes.<br />
Am 29. April <strong>1938</strong> gab der Chef des Eidg.<br />
Militärdepartementes vor versammeltem Nationalrate<br />
zu, dass eben doch das Motorfahrzeug<br />
das modernste Transportmittel für Armeezwecke<br />
darstelle, das nicht zuletzt in Anbetracht<br />
der infolge Fliegerangriffen auf Bahnanlagen<br />
zu befürchtenden Unterbrechungen<br />
des Bahnbetriebes unersetzlich sei und dass<br />
wir bei fehlenden Motorfahrzeugersatzteilen<br />
in einem Kriegsfalle ganz einfach lackiert<br />
wären I Heute endlich bequemt man sich zum<br />
Geständnis, es könne von der wünschbaren<br />
Ausdehnung der Motorisierung unserer Armee<br />
unter den herrschenden Verhältnissen nicht die<br />
Rede sein; heute endlich anerkennt man, dass<br />
die Erfordernisse unserer Wehrbereitschaft<br />
gleichgerichtet seien mit den Interessen der<br />
einheimischen Automobilindustrie.<br />
Diese Feststellungen bedeuten eigentlich<br />
nicht gerade einen überzeugenden Befähigungsausweis<br />
für unsere obersten Behörden.<br />
Wochenlang sah man zu, wie eidgenössische<br />
Beamte und Angestellte, wie 1000 Gemeindepräsidenten<br />
Unterschriften für eine Initiative<br />
sammelten? 1 die den primärsten Forderungen<br />
der Landesverteidigung zuwiderläuft. An dieser<br />
bedenklichen Duldsamkeit, an der Unverantwortlichkeit<br />
des Unterfanges als solchem<br />
ändert auch das vom Litrapräsidenten im<br />
Ständerate nachträglich eingereichte Postulat<br />
zum Schütze der schweizerischen Lastwagenindustrie<br />
keinen Deut. Wir erinnern uns noch<br />
viel zu gut des Windes, der in diesem eisenbahnfreundlichen<br />
Wochen geweht!<br />
Lager bis vor ein paar<br />
Doch was heute not tut, ist mehr als bundesrätliche<br />
Feststellungen, mehr als Beruhigungsmittelchen<br />
in Form rappenweisen Benzinpreisabschlages.<br />
Was nützen uns Automobilfabriken,<br />
die sich im Schussbereich von jenseits<br />
unserer Grenzen aufgestellten Geschützen<br />
befinden?<br />
Wie soll sich schon in Friedenszeiten die<br />
Motorfahrzeugtechnik entwickeln, der Fahrer<br />
die Beherrschung seines Vehikels auch unter<br />
schwierigen Umständen lernen, bei Gewichtsbegrenzungen<br />
und Nachtfahrverboten?<br />
Was helfen die Mahnungen und Warnungen<br />
eines Generalstabschefs oder des Kommandanten<br />
der Schulen für Motorwagentruppen,<br />
wenn gleichzeitig der Chef der Kriegstechnischen<br />
Abteilung für einen weitern Benzinpreisaufschlag<br />
plädiert, weil auf diese Weise die<br />
Kosten der Haltung von Treibstofflagern gedeckt<br />
werden sollen?<br />
Wozu dürften Kostenvergleiche zwischen<br />
Unterhalt einer Frau und Unterhalt eines Motorrades<br />
gut sein, während die brennende Frage<br />
der verbilligten Abgabe von militärtauglichen<br />
Motorrädern noch durch weitere Jahre erdauert<br />
werden muss?<br />
Was tragen mit sonderbarem Studienmaterial<br />
fundierte Mahnungen des Litrapräsidenten,<br />
sofern dessen ungeachtet gewerbsmässiger<br />
Verkehr und Werkverkehr in denselben<br />
Tiegel wandern?<br />
Fiskus zu dienen, länger den gefährlichen Luxus<br />
einer rückläufigen Motorisierungskurve gestatten.<br />
Genügend weite Sicht muss trotz dem gegenwärtigen<br />
Vorherrschen militärischer Gesichtspunkte<br />
die Einordnung des Motorfahrzeuges<br />
in den nationalen Transportapparat<br />
gemäss den friedenswirtschaftlichen Werten,<br />
welche dieses Verkehrsmittel zu schaffen in der<br />
Lage ist, gewährleisten. Weitblick gehört dazu,<br />
um in der Forderung nach vermehrter Motorisierung<br />
auch das Bedürfnis nach gutem und<br />
raschem Strassenaus- und -neubau als gleichzeitiger<br />
produktiver Arbeitsbeschaffung zu erkennen.<br />
Weitsichtig sein im ideellen Sinne<br />
Die Schweiz hat als Hüterin der Alpenpässe<br />
in Europa eine Mission zu erfüllen,<br />
diese Verpflichtung wurde vom Bundesrate<br />
in seiner Neutralitätserklärung ausdrücklich<br />
anerkannt. Um die ganze Tragweite dieser<br />
alpenstrassenpo'litischen Aufgabe erkennen<br />
zu können, muss man sich hinsichtlich der<br />
grossen, durch die Paßstrassen der Alpen<br />
festgelegten Verkehrsrichtungen im klaren<br />
sein. Treiben wir also ein wenig Geschichte:<br />
Der Norditalien vom europäischen Kontinent<br />
abschliessende Alpenbogen schrieb durch<br />
seine natürlichen Einschnitte dem Strassenbau<br />
diejenigen Stellen selbst vor, an denen<br />
der Verkehr den Wall traversieren sollte. In<br />
diesem Zusammenhange wäre hervorzuheben,<br />
dass. abgesehen vom reinen Touristenverkehr,<br />
die Ziele des die Alpen bezwingenden<br />
Verkehrs im weiten Sinne zur Hauptsache<br />
ausserhalb des eigentlichen Alpengebietes<br />
liegen. Nichtsdestoweniger sind sie aber für<br />
die Verkehrsrichtungen ausschlaggebend.<br />
Wann der erste regelmässige Verkehr über<br />
den Alpenwall begonnen, lässt sich nicht<br />
mehr genau ermitteln. Immerhin beweist<br />
Was vermögen die überzeugendsten Beteuerungen<br />
des Kriegsministers, solange der eidgenössische<br />
Finanzminister und 25 kantonale<br />
Finanzdirektoren das Heft in Händen halten?<br />
Auf den Weitblick wird es ankommen und Hannibals berühmter Marsch über die Westalpen,<br />
dass schon 218 v. Chr. eine fahrbare<br />
auf rasches, konsequentes Handeln in allen<br />
Dingen, die mit den Motorisierungsbedürfnissen Alpenstrasse existiert haben muss. Noch weiter<br />
zurück dürfte der Verkehr wohl zum Teil<br />
der Armee zusammenhängen. Genügend weiter<br />
Blick wird verhindern, dass wir uns in falsch über das heutige Marseille und zum Teil über<br />
verwirklichtem Bestreben, den Bahnen und dem Venedig umgeleitet worden sein.<br />
AUTOMOBIL-REVUE DIENSTAG, 10. MAI 1038 — N° 38<br />
•heisst die Sache und nicht die Persönlichkeit<br />
in den Vordergrund stellen, dass nicht etwa,<br />
wie kürzlich geschehen, ein Zementindustrieller<br />
erklärt, an einem Abbau des Benzinzolles<br />
habe er kein Interesse, denn sonst hätte der<br />
Staat am Ende nicht mehr soviel Geld für den<br />
Bau von Betonstrassen zur Verfügung!<br />
Mehr Weitblick und bessere Einordnung in<br />
die Gesamtinteressen des Landes, im Hinblick<br />
auf die Belange der Landesverteidigung,<br />
rasches und konsequentes Handeln bilden die<br />
Voraussetzungen für den Erfolg der neuen<br />
verkehrspolitischen Aera, deren Auftakt das<br />
Postulat Feldmann verkörpert!<br />
Unsere Mission verpflichtet!<br />
Forlsetzung von Seile 1.<br />
Die 5 Hauptverkehrsrichtungen über den Alpenbogen.<br />
Im Mittelmeer trug der Verkehr, welcher<br />
die wenigen Gebirgspfade belebte, vornehmlich<br />
handeis- und militärpolitischen Charakter<br />
oder aber Pilger zogen ihres Weges. Der<br />
Ursprung dieses Verkehrs lag demnach grösstenteils<br />
beidseitig der Alpen, selten nur innerhalb<br />
der eigentlichen Gebirgszone. Den südlichen<br />
Pol bildete stets Italien, zur Poebene<br />
und den Märkten von Genua und Venedig<br />
oder Rom als dem Sitz des Papstes strebte<br />
der von Westen, Norden und Osten kommende<br />
Verkehr. Jenseits des Alpenbogens<br />
dagegen wechselten die verkehrsbegründenden<br />
Märkte und Handelsstädte in unaufhörlicher<br />
Folge.<br />
Vorherrschend war anfänglich die Verkehrsrichtung<br />
Ost-West nach der Rhonemündung<br />
und dem südlichen Gallien. An diese<br />
schloss sich etwas mehr nördlich, zur Zeit<br />
der Kriegszüge Cäsars, eine rein gallische<br />
Richtung an. Die Eroberung der helvetischen<br />
und norddeutschen Gebiete bringt die direkte<br />
Nord-Südrichtung auf. Daneben bestand schon<br />
I sehr früh aber auch eine Ostrichtung durchs<br />
Stromgebiet von Save und Donau ins Klagenfurter<br />
Becken.<br />
Dann zerfiel das Römerreich; es kam die<br />
Zeit der Völkerwanderung, in deren Folgezeit<br />
dann der Verkehr aus Frankreich in die Poebene,<br />
und zwar mit der rheinischen Richtung,<br />
dominierte. Während der deutschen<br />
Kaiserzeit überwiegt wiederum die Nord-<br />
Südrichtung. Zur Mitte des 16. Jahrhunderts,<br />
also zur Zeit der Habsburger und des Machtzentrums<br />
Wien, treten die nordost-südwest-<br />
Iichen Verkehrsrichtungen in den Vordergrund.<br />
Infolge der Auseinandersetzungen<br />
zwischen Frankreich und der habsburgischen<br />
Kaisermacht kommt dann fast gleichzeitig<br />
auch die Ost-Westrichtung innerhalb des Alpengebietes<br />
auf.<br />
Dann gerieten die Alpenwege allmählich in<br />
Vergessenheit und erst<br />
der neuzeitliche Reise- und Touristenverkehr<br />
schuf hier gründlich Wandel. Da waren einmal<br />
die Engländer, welche, durch Frankreich<br />
und den Rhein aufwärts fahrend, die Alpen<br />
in beiden Richtungen traversierten. Doch<br />
auch den Deutschen zog's gar mächtig nach<br />
dem Süden: über Gotthard und Brenner erreichte<br />
er Italien. Diesen Verkehr nahm dann<br />
in der zweiten Hälfte des Iezten Jahrhunderts<br />
die Schiene in zunehmendem Masse auf. Die<br />
Postkutschen wurden unmodern; die Strassen<br />
verödeten zusehends. Doch auch die Bahnen<br />
folgten den ältesten Verkehrsrichtungen, d. h.<br />
der Schienenstrang wurde entweder parallel<br />
zu oder unter den alten Paßstrassen verlegt<br />
(Mont Cenis — Sitnplon — Gotthard — Brenner<br />
— Semmering).<br />
Es kam das Motorfahrzeug und Hand in<br />
Hand mit seiner rapiden Entwicklung ging<br />
nicht nur die<br />
Nenbelebune der alten Paßstrassen,<br />
sondern darüber hinaus eine vollkommene<br />
Wandlung aller 'Faktoren strassenbautechnischer<br />
und militärpolitischer Natur. Gleich<br />
blieb sich das Hauptmerkmal des alpinen<br />
Querrichtungsverkehrs, das konzentrierte Zusammenströmen<br />
in der oberitalienischen Tiefebene.<br />
Gleich geblieben ist. trotz starkem<br />
Wandel von Ausmass und Hauptrichtung des<br />
Alpenverkehrs, die Trasseführung der verschiedenen<br />
Paßstrassen. Auf Verfall folgte<br />
neuerlicher Ausbau; an der Linienführung<br />
aber wurde durch Jahrhunderte, ja sogar<br />
durch Jahrtausende nichts geändert.<br />
Und heute? der tiefere Sinn der am 21 März<br />
dieses Jahres durch unsere oberste Landesbehörde<br />
abgegebenen Neutralitätserklärung<br />
lautet doch wohl:<br />
Es heisst auf der Hut sein in den Quellgebieten<br />
der Rhone und des Rheins, des<br />
Inn und des Tessins! Die Schweiz hat inmitten<br />
des brodelnden Europas eine bedeutungsvolle,<br />
verpflichtende Mission. Sie<br />
muss alles daran setzen, um ihr gerecht zu<br />
werden.<br />
Nun zieht sich aber einem roten Faden<br />
gleich durch so manche Vernehmlassung der<br />
jüngsten Zeit die bange Sorge um die<br />
ausbaues.<br />
Zu Unrecht? Gewiss nicht! Sehen wir uns<br />
nur die heutige militärpolitische Lage des<br />
Kantons Gaubünden an, dann haben wir ein<br />
Musterbeispiel bisheriger schweizerischer<br />
Strassenbaupolitik vor uns. Was Kurzsichtigkeit<br />
im Verein mit rein lokaler Orientierung,<br />
unter Ausserachtlassung der Interessen<br />
des ganzen Landes, verschulden können, das<br />
wird hier illustriert. Jahrelang lagen sich unsere<br />
Miteidgenossen an der Ostmark um der<br />
Linienführung der Walenseetalstrasse willen<br />
in den Haaren. Für eine Verbindung Glarnerland<br />
- Vorderrheintal - Lukmanier war Chur<br />
/ Glockhaut<br />
&c ^m%r^<br />
Die LÄnienführunz der projektierten Sustenstraese.