E_1938_Zeitung_Nr.051
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BERN, Freitag, 24. Juni <strong>1938</strong><br />
Automobil-Rivue<br />
II. Blatt, Nr. 51<br />
Johannes Vincent Venner:<br />
m 6er Dämmerung<br />
Htit 6ätncr fäge<br />
Die Dämmerung breitet jetzt zuweilen leichte<br />
Nebelschleier über die Aare, die in grossem<br />
Bogen die alte Zähringerstadt umfliesst. Langsam<br />
steigen sie empor und legen in Gassen<br />
und Lauben einen dünnen Flor um die Lichter...<br />
Immer wieder muss ich in dieser von Zauber<br />
und Märchen erfüllten Dämmerung über die<br />
Brücken schlendern, um das geliebte Bild —<br />
das alte und ewig junge Bild — mit berauschtem<br />
Auge ein andermal zu umfangen.<br />
Ein edles Wahrzeichen weist der Münsterturm<br />
ins Ewige empor. Glocken klingen und<br />
mahnen an das Davoneilen der Stunden. Mögen<br />
sie fliehen: was sie in der Kindheit mir<br />
ins Herz gelegt haben, wird nicht mit ihnen<br />
verwehen. Wie eine köstliche Melodie singt<br />
es in mir fort...<br />
Was gibt es für einen Heimatsucher Schöneres<br />
als die Brücken, die alten Lauben und Gassen,<br />
die feierlichen Plätze seiner Stadt! Oder<br />
die Münsterplattform, wo man so gut in die<br />
Aare hinunterträumen kann! Innig ist der rauschende,<br />
blaue Fluss, der zu Zeiten so ungeberdig<br />
werden kann, mit unsern Knabenjahren<br />
im Altenberg verbunden.<br />
Wie in meine frühesten Erinnerungen ragen<br />
in Nebel und Dämmerung des einsamen<br />
Träumergangs Brunnen, auf denen die gewichtigen<br />
Männer in wehrhafter Rüstung und stählernen<br />
Harnischen stehen. Sie thronen wie zur<br />
Kinderzeit noch immer auf ihren Postamenten<br />
gleich Wächtern über Stadt und Arkaden, über<br />
Kirchen und Brücken. Aus den blanken Messingröhren<br />
springt das kristallklare Wasser<br />
nach den vier Himmelsrichtungen und ergiesst<br />
sich in die weiten, tiefen Tröge.<br />
Ich betrachte andächtig wie vor vierzig Jahren<br />
die Wappentiere und sagenhaften Gestalten,<br />
die Elfen und Nymphen, die Griechengötter<br />
und christlichen Heiligen, die Könige und<br />
Krieger, die Dudelsackpfeifer und Rattenfänger<br />
und der Totentanz des Nikiaus Manuel.<br />
Auf Sockeln und Trögen ersteht wieder die<br />
Zauberwelt meiner Kindheit, die mich so oft<br />
in Schlaf und Traum begleitete.<br />
Als ich klein war, versuchte ich meine Hände<br />
in das betörende Rauschen dieser wunderbaren<br />
Fontänen — so sagte meine Grossmutter<br />
— zu tauchen: aber so hoch ich mich reckte,<br />
ich erreichte das Wasser nicht.<br />
Vom Kindlifresser auf seinem hohen Brunnenstock<br />
erzählte sie mir allerlei Geschichten;<br />
aber ich schaute dreist zu dem hungrigen<br />
Schreck empor, der die zappelnden Kleinen<br />
in sein unersättliches Maul schob.<br />
* Grossmutter wohnte in einem alten Haus in<br />
der Linde draussen, nahe dem Bremgartenwald.<br />
Wenn sie in die Stadt musste, trappelte<br />
sie gebeugt und vorsichtig durch die Villette<br />
dem Christoffeltor zu. Den Namen Bubenbergplatz<br />
hörte ich nie von ihr: für sie war hier<br />
immer noch die Ross-Schwemme, der Burgerspital<br />
und der Christoffelturm. Sie konnte<br />
sich nicht an die neue Zeit gewöhnen, die alles<br />
Altgewohnte zusammenriss und eine fremde<br />
Stadt erstehen Hess. Mit ihren Augen sehe ich<br />
noch heute die Stadt und vermisse manche versunkene<br />
Schönheit...<br />
Aber auf meinem Gang in der Dämmerung<br />
fühle ich mich vom Hauch der Jahrhunderte<br />
umfangen. Die Märchenstadt ersteht %ieder,<br />
Wiedersehen mit Bern<br />
in der die grosse Vergangenheit lebendig geblieben<br />
ist, wo die berühmten Ritter und Feldherren<br />
in eisernen Rüstungen und die würdigen<br />
Gelehrten und Ratsherren mit Zopf oder<br />
Allongeperücken zum mitternächtlichen Geisterspuk<br />
von den Brunnen und Postamenten<br />
steigen und die Altstadt mit ihren niederen<br />
Arkaden und engen Gässchen, den langen,<br />
steilen, gedeckten Treppen, den weiten Höfen<br />
und Hallen unsicher machen.<br />
Wie liebe ich diese Stadt...!<br />
Die ausdrucksvollen Fassaden der Häuser<br />
und Paläste, die hohen, mit stolzen Wappen,<br />
frommen Fresken und streng gegliederten Reliefs<br />
geschmückten Toreingänge, die versonnenen<br />
Lauben, die jeder Gasse ihr besonderes<br />
Antlitz verleihen, die weiten Plätze, über die<br />
einst feierliche Prozessionen und rüstige<br />
Kriegsleute schritten, halten eindringliche<br />
Zwiesprache mit mir.<br />
Uralter Kulturboden ist es, auf dem ich<br />
wandle...<br />
Wenn ich über den imposanten Platz schreite,<br />
auf dem, wie ein erhabener Schöpfungstraum<br />
in Stein, sich das Münster mit seinem glorreichen<br />
Turm erhebt, muss ich weit in die Erinnerung<br />
zurückkehren, um ein ebenso überwältigendes<br />
Städtebild zu finden. Ich denke an die<br />
mittelalterlichen Dome Italiens, an die gotischen<br />
Kathedralen Belgiens und Frankreichs.<br />
Aber Vergleiche sind arm und unzulänglich,<br />
wenn das Herz urteilt.<br />
Ich gehe in der Dämmerung träumend durch<br />
meine Stadt. An hohen Giebelhäusern und<br />
schmucken Barockbauten vorüber und bleibe<br />
da und dort vor einer Marmorgedenktafel andachtsvoll<br />
stehen und lasse die Jahrhunderte<br />
über mich hinziehen ...<br />
Einst zogen die hochbepackten Wagenzüge<br />
der Handelsherren der alten Zähringerstadt,<br />
begleitet von einem bewaffneten Tross, hinaus<br />
auf die grossen Handelsstrassen: nach Norden<br />
und Süden, nach Osten und Westen. Ich gebe<br />
mich auf meinen Träumerwegen in der Dämmerung<br />
dem romantischen Zauber dieser Gassen<br />
und Plätze erlebnisfreudigen und willigen<br />
Herzens hin, und wäre nicht erstaunt gewesen,<br />
in der Stille der Junkerngasse den Edlen der<br />
Vergangenheit, den Staatsmännern, Kriegern,<br />
Gelehrten und Künstlern zu begegnen...<br />
Sturm und Drang brandete an die grauen<br />
Mauern meiner Stadt. Die Jahrhunderte haben<br />
ihr den Stempel aufgedrückt: jedes einzeln,<br />
wie es kam und ging, und der Geist und<br />
die Ahnung vergangener Dinge werden hier nie<br />
sterben. Der Rhythmus der vorwärtsdrängenden<br />
Zeit klingt hier gedämpfter, weniger aufdringlich<br />
als in andern Städten: es ist immer<br />
noch die Stadt der Dichter und Träumer...<br />
Mein Gang in der Dämmerung führte mich<br />
schlieslich in den kleinen Weinkeller an der<br />
Gerechtigkeitsgasse, wo ich wieder einmal<br />
langsam und geniesserisch milden alten Veltliner<br />
trank, der in mir Duft und Erinnerung<br />
und Sehnsucht schenkte. Die vertrauten Gestalten<br />
aus der Jugendzeit erfüllten den Raum<br />
wie selige Geister, und schöne Stunden erwachten<br />
zum tausend und einen Male zu<br />
neuem, glutvollem Leben<br />
Den köstlichen Wein Hess ich Tropfen um<br />
Tropfen auf der Zunge verduften, und die ergriffene<br />
Zeit der Jugend und der Liebe floss<br />
leise und ausgekostet in meine Seele, wie süsser<br />
Honig aus schweren Waben...<br />
Es isch eso a blybt drby:<br />
Mir Bärner säge Dihr, nid Sy!<br />
Da chönne lang si b'richte,<br />
«Dihr» sygi grob, «Sy» sygi rächt.<br />
He na so deh — warum deh acht<br />
Wird ds «Dihr» gäng bruueht bim Dichte?<br />
« Vous » seit dr Wältsch ganz comme il faut,<br />
« You » säge d'Aengeländer oh,<br />
Mir Bärner wei's oh b'halte<br />
's isch ds elter Guetdütsch weder « Sy »;<br />
Drum wei mer hinderhääggig sy<br />
U nid vertuusche ds Alte.<br />
« Sy Bäbi», seit jitz d'Frau deh gly,<br />
« Sy b'schütten Sy den Chabis chly,<br />
Dann gäben Sy den Söuen! »<br />
U zu de Chnächte rüeft dr Fritz:<br />
« Sy, wei Sy ächter ufstah jitz,<br />
Sy müessen gagen heuen!»<br />
Das isch e Sprach, dass 's Gott erbarm!<br />
Es lüpft m'r allimal dr Arm,<br />
Dam « Syner » Eis ga z'recke.<br />
O, redet üüses Bärndütsch doch!<br />
Das Chrousimousi tuet i ds Loch<br />
U fest mit Mutte decke!<br />
Tagtäglich wallfahrtet gross und klein nach dem Bärengraben<br />
bernische Attraktion»<br />
Gottfried Strasser.<br />
denn<br />
das Mutzender ist eine<br />
(Photo S*no)