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II AUTOMOBIL-REVUE DIENSTAG, 23. APRIL <strong>1940</strong> — N° 17<br />

weil du mir Vorwürfe machst, merkt man, dass<br />

wir in einer Liebes-Ehe miteinander leben.><br />

«He, he, he! So ein Blech, ein gepresstes, was<br />

du da erzählst!» lachte er bösartig. Ich überging<br />

das kühl und fuhr fort:<br />

«Also, wenn wir noch ein ganz klein wenig<br />

Benzin bekommen, so wollen wir uns in aller<br />

Stille und ohne grosses Aufheben zu machen darüber<br />

freuen. Lieber fahren wir nur einmal im Monat<br />

aus; dafür aber recht. Als dann überhaupt<br />

nicht. Ich muss mich da drein fügen — und du<br />

halt eben auch. Da gibt es nichts zu husten. Wir<br />

gehören nur in die hinterste Klasse derer, die<br />

Benzin bekommen. Man zählt uns zu den verachteten<br />

Touristen. Früher, da wechselten wir immer<br />

schön ab. Mal ins Elsass, mal über den Gotthard<br />

nach Italien, dann wieder rings im Schweizerland<br />

herum; und überall freute man sich, uns eine nette<br />

Hotelrechnung zu präsentieren. Du wurdest mal<br />

hier, mal da nachgesehen und gewaschen. Ich ging<br />

jeden Sonntag in einem andern Gasthof zu Mittag<br />

essen. Kurz, wir bemühten uns, Geld unter die<br />

Leute zu bringen. Heute ist das alles unwichtig.<br />

Spielt keine Rolle mehr. Mir tun dabei nur die<br />

Hoteliers und die Gastwirte in der Seele leid!<br />

Aber was können wir zwei dagegen tun?<br />

Der Verkehr scheint beträchtlich abgenommen<br />

zu haben. Jedenfalls reden sie bereits ernsthaft<br />

von der Errichtung eines Verkehrsmuseums! Damit<br />

man wenigstens noch im Museum nachsehen kann,<br />

wie das alles einmal war. Schöne Geschichte, das!<br />

Gerade jetzt, wo wir sowieso nur noch die Schweiz<br />

mit unsern Abstechern beehren würden, weil man<br />

ja nirgends recht über die Grenzen kommt, ohne<br />

grosses Theater und Umstände. Da brummt einem<br />

der Schädel vor lauter Bewilligungen, Genehmigungen,<br />

Gutscheinen, Visa und Stempeln, Passeintragungen<br />

und Sonderfahrbewilligungen, bevor<br />

man nur angefangen hat, Pläne zu schmieden;<br />

bleibt man schon lieber in der Schweiz und fährt<br />

mit der Eisenbahn. Wozu ist man schliesslich<br />

Automobilist?<br />

Ja, wenn ich so denke! Diese wundervolle Frühlingsnacht<br />

heute. Eigentlich schon recht mild ist<br />

die Luft und es riecht, nach Knospen und Blüten.<br />

Die Sterne funkeln frischgewaschen von dort oben<br />

herunter zu uns. Kannst du sie auch sehen? Wenn<br />

man jetzt so abfahren könnte? Verdeck herunter<br />

und mitten in der Nacht los! So nach Bern, Thun,<br />

Interlaken. Und nach Meiringen und dann zum<br />

Sonnenaufgang auf der Grimsel oder auf der<br />

Furka oben? Schnee? Ja, da hast du wieder recht.<br />

Dazu sind wir noch zu früh dran. Aber derlei<br />

Dinge trieben wir doch oft zusammen früher. Oder<br />

so ganz in der Nähe im Jura herumgondeln, jede<br />

drittklassige Seitenstrasse in Angriff nehmen und<br />

mal einfach zusehen, wo sie hinführt! Weisst du<br />

noch? Oder ganz einfach, wenn man schnell in die<br />

Stadt musste, gleich einen halbstündigen Umweg<br />

machen, nur weil es grad so schönes Wetter war?<br />

Hm?<br />

So ist das nun eben leider. Schluss damit für<br />

den Moment. Sonst fangen wir alle beide noch an<br />

zu heulen; mitten in der Nacht. Schmale Rationen<br />

Benzin, und damit müssen wir uns eben abfinden.<br />

Ja, ja, mein Lieber. Nichts zu machen. Man munkelt<br />

zwar von etwas freigebigeren Zuteilungen in<br />

absehbarer Zeit; aber wer weiss das? Gerüchte.<br />

Nur Gerüchte — und die soll man ja nicht weitersagen.<br />

Verstehst du? Nicht<br />

schweig schön still!»<br />

weitersagen! Also<br />

Das tat er auch. Ganz leid tat er mir, wie er<br />

so dastand. Schön rückwärts in die Garage eingefahren,<br />

blinzelte er mit seinen dunklen Lampen<br />

hinaus in die sternhelle Nacht. Wie ein sprungbereites<br />

Tier! Armer Kerl!<br />

«Was geht mich der ganze Krieg schon an. Hab<br />

ich etwa angefangen? Fahren will ich. Hörst du?<br />

Fahren!» rief er nun ganz wütend und verzweifelt<br />

aus.<br />

«Psch-sch-scht!» flüsterte ich ihm zu. «Ruhig.<br />

Die Liebe zur schweren Musik und zur Oper<br />

ist eine Angelegenheit der seelischen Disposition,<br />

über die sich nicht streiten lässt, an der auch<br />

nichts zu ändern ist. Aber nicht immer ist die<br />

schwere Oper so ernst, wie der Verneiner dieser<br />

Kunstgattung meint. Freilich der Humor ist in der<br />

Regel ungewollt, aber dafür um so wirksamer und<br />

erquickender. Der ernste Kunstkenner mag entsetzt<br />

sein, aber für den Zuschauer gibt es keine<br />

unvergesslichere Erinnerung, als wenn sich das<br />

Opernhaus vor Lachen gebogen hat.<br />

Die Taube im Haar.<br />

Eine bekannte italienische Opernsängerin, von<br />

gewaltiger Stimme, aber nicht weniger gewaltigem<br />

Umfang, befand sich in Südamerika auf einer Tournee.<br />

In Rio gibt es nun eine merkwürdige Sitte.<br />

Wenn man einer verehrten Sängerin oder Schauspielerin<br />

Worte der Anerkennung auf die Bühne<br />

schicken will, besorgt man das mit Tauben, denen<br />

man Gedichte — oder auch in besonders netten<br />

Fällen — Brillantringe an die Beine gebunden hat.<br />

Diese Tauben sind darauf dressiert, die Frau in<br />

der Mitte der Szene nach der Freilassung aus dem<br />

Zuschauerraum zu umschwirren.<br />

Die Italienerin war entzückt von dieser Idee,<br />

von der ihr der Manager erzählte. Sie sang gut,<br />

sehr gut. Die Tauben schwirrten, während im<br />

Saal der Beifall tobte. Eine Taube war besonders<br />

eifrig. Sie wollte sich unbedingt der Sängerin auf<br />

den Kopf setzen. Diese wehrte sich verzweifelt.<br />

Doch der Vogel verkrampfte sich in die Haare —<br />

kämpfte dann um seine Freiheit und nahm vom<br />

Kopf der Sängerin eine grosse, schwarze Perücke<br />

mit. Die Dame war fast kahl. — Noch in der gleichen<br />

Nacht verliess die Sängerin Rio und wurde<br />

dort nicht mehr gesehen.<br />

Kampf hinter den Kulissen.<br />

Der berühmte Dirigent hatte sich in seinem Hotel<br />

in London für die Fidelio-Aufführung einen<br />

glänzenden Einfall sorgfältig notiert. Am nächsten<br />

Tage ordnete er an, dass sich für die Schlußszene<br />

der erste Trompeter mit seinem Instrument aus<br />

dem Orchester entfernen und ganz weit rückwärts<br />

auf der Bühne, irgendwo hinter den Kulissen, das<br />

Signal blasen solle. Das musste grossartig wirken.<br />

Der Augenblick kam. Das Signal musste ertönen,<br />

aber alles blieb stumm. Eine unheimliche Stille<br />

stellte sich für Sekunden ein. Der berühmte Dirigent<br />

begann Blut zu schwitzen. Dann fasste er sich<br />

und gab dem zweiten Trompeter das Zeichen, das<br />

Signal zu blasen. Dann ging alles ruhig weiter.<br />

Aber — als der Vorhang fiel, wartete der Dirigent<br />

keine Sekunde. Er stürzte hinter die Kulissen, um<br />

mein Freundchen. Nicht diese T5ne. Wir sind neutral<br />

hier. Und wir wollen froh sein, dass es uns<br />

so gut geht.»<br />

«Psch-sch-scht! » zischte er zurück. «Gute<br />

Nacht. Du hast wieder einmal recht.!»<br />

«Gute Nacht)» Leise schloss ich die Tür der<br />

Garage, und vom Turm schlug es eins...<br />

T)a bog sich das Opernhaus w* £achm...<br />

zu sehen, was es dort gegeben habe und dem säumigen<br />

Musiker den Kopf zu waschen. Aber — er<br />

fand dort einen Polizeibeamten, der mit seinem<br />

Musiker einen Ringkampf um die Trompete aufführte:<br />

«Geben Sie die Trompete her, Sie sind<br />

geisteskrank, Mann, Sie hönnen doch hier nicht<br />

einfach blasen, wenn da vorn eine Oper gegeben<br />

wird!» Was will man machen — der Polizeibeamte<br />

hatte es gut gemeint...<br />

«Mann über Bord!»<br />

Als man einmal in Neapel «Africana» gab, erlebten<br />

die Zuschauer eine einmalige Ueberraschuog.<br />

Im dritten Akt steuert Don Pedro sein<br />

Schiff über ein bewegtes Meer. Dieses Meer wurde<br />

einfach dadurch erreicht, dass man unter blaugrüner<br />

Leinwand ein Dutzend Männer mit Armen<br />

uüd Beinen strampeln Hess.<br />

Nun befand sich unter diesen Männern einer,<br />

der an Asthma litt. Als er unter dem staubigen<br />

Tuch sass und Staubteilchen in seine Lungen drangen,<br />

war er fest davon überzeugt, dass er nun ersticken<br />

müsse. Er riss also sein Taschenmesser<br />

aus der Hose und schnitt über sich ein Loch in<br />

die Leinwand, In dieser Sekunde bekam er einen<br />

Stoss von seinem Hintermann. Der Riss wurde<br />

gewaltig gross — so gross, dass der Hintermann<br />

mit Kopf und Schultern aus der Leinwand herausragte<br />

— und den erstaunten Zuschauern das Bild<br />

eines schwimmenden Mannes in Hemdärmeln bot.<br />

Aber dieser Mann liess sich nicht aus der Fassung<br />

bringen. Er rief laut: «Mann über Bord!» — glaubte<br />

so seine Anwesenheit motiviert zu haben und<br />

tauchte wieder unter, um für den Rest der Szene<br />

den Riss mit den Händen zuzuhalten.<br />

Der unterschätzte Wein.<br />

Ganz alte Opernbesucher erinnern sich noch<br />

'daran, dass der grösste Skandal der Oper auf Sizilien'ein<br />

Vorfall war, den man später angesichts<br />

der sonstigen Berühmtheit des Urhebers dieses<br />

Skandals gern vergass. Ein junger Sänger sollte<br />

Probe singen/ Er hatte eine prachtvolle Stimme —<br />

' das musste man zugeben. Aber er kannte nicht ein<br />

Wort des Textes. Und ausserdem lag der Sänger<br />

die gange Zeit entweder auf dem Boden oder lang<br />

auf einer Bank —- das war kein Benehmen — und<br />

auch sonst ja nicht üblich. Der Fall musste klargestellt<br />

werden. So liess man in Sizilien nicht mit<br />

sich umspringen. Die Nachfrage ergab, dass der<br />

Wein von dem Sänger unterschätzt worden war.<br />

Er konnte einfach nicht mehr auf den Beinen stehen,<br />

sondern musste liegen oder sitzen. Die Texte<br />

bekam er auch nicht mehr zusammen. Aber die<br />

Klänge wusste er noch. Und der Sänger hiess —<br />

Enrico Caruso.<br />

APRIL<br />

Ich rüttle alle Läden auf!<br />

Rot schäumt der April herein.<br />

Gebt eurem Spinnwebkummer<br />

doch den Lauf!<br />

Ich seh schon Mais und Wein.<br />

Lasst Flöten, Lauten, Zimbeln klingen,<br />

wie in den alten bänderbunten Tagen!<br />

Der grüne Lenz<br />

prüft funkelnd seine Schwingen!<br />

Lasst, sternenüberglänzr,<br />

die Herzen schlagen!<br />

Edouard H. Steenken.<br />

„...vergiss die Peitsche nicht!"<br />

Der Ursprung eines oft zitterten Wortes.<br />

Die Bedeutung von Frau Elisabeth Förster-<br />

Nietzsche ist in ihrem schöpferischen Frauentum<br />

beschlossen. Sie setzte ihr Sein und ihr Können,<br />

ihre ganze Persönlichkeit ein, um das Werk ihres<br />

Bruders, dessen Wert sie als eine der ersten erkannt<br />

halte, zu hegen, zu fördern und zu verwalten.<br />

In ihrem letzten Buch «Friedrich Nietzsche und<br />

die Frauen seiner Zeit» findet sich ein launiger<br />

Bericht von der Entstehung des so oft zitierten und<br />

so oft missdeuteten Nietzsche-Wortes: «Du gehst<br />

zu Frauen, vergiss die Peitsche nichtI» Frau Förster-<br />

Nietzsche erzählt, dass sie als junges Mädchen<br />

ihrem Bruder, der als Student zu Hause weilte,<br />

Turgenjews Novelle «Erste Liebe» vorgelesen<br />

habe. Darin behandelt ein älterer Mann seine Geliebte<br />

oft brutal, und als er ihr bei einer Bitte mit<br />

der Peitsche über den nackten Arm schlägt, empörte<br />

das' Nietzsche aufs tiefste. Seine Schwester<br />

sagte ganz ruhig: «Fritz, es gibt bestimmt viele<br />

Frauen, die nur durch die absolute Machtbetonung<br />

des Mannes im Zaum gehalfen werden können<br />

und die, sobald sie nicht jene symbolische<br />

Peitsche über sich fühlen, frech und unverschämt<br />

werden.»<br />

Da lehnte der Bruder sich in komisch gespieltem<br />

Entsetzen auf dem Sofa zurück, schlug die Arme<br />

über dem Kopf zusammen und rief: «So rät das<br />

Lama» — wie er seine Schwester immer nannte —<br />

«dem Manne zur Peitsche!»<br />

Unter Lachen und Scherzen erklärte sie ihm,<br />

dass das nicht zu verallgemeinern sei, dass die<br />

normale Frau mit Zartheit und Rücksicht behandelt<br />

werden wolle, aber eben für eine gewisse Gattung<br />

von Frauen gelte das.<br />

Als sie ein Jahr darauf wieder mit ihrem Bruder<br />

zusammentraf, gab er ihr den ersten Teil des Zarathustra<br />

zu lesen, und sie kam an die Stelle, wo<br />

das alte Weibchen Zarathustra den Rat gibt: «Du<br />

gehst zu Frauen, vergiss die Peitsche nicht!» «Oh,<br />

Fritz», rief die Schwester erschrocken, «das alte<br />

Weibchen bin ichl» Der Bruder lachte und versprach,<br />

das wolle er keinem Menschen verraten.<br />

sönlichkeit gewesen, und von diesem Ruhm<br />

ging auch ein wenig auf den Neffen über.<br />

Aber nicht nur in dieser Hinsicht war Lenormand<br />

der Erbe und Nachfolger des alten<br />

Herrn. Dieser übertrug auch auf ihn den guten<br />

Geschmack als Kunstliebhaber und Kunstkenner.<br />

Lenormands Haus war jederzeit der<br />

Sammelpunkt vieler bedeutender Männer und<br />

Frauen, Künstler und Schöngeister. Voltaire,<br />

Montesquieu, der geistreiche Abbe de Bernis,<br />

Maupertuis, Cahusac und andere waren tägliche<br />

Gäste im Schlosse Etioles, in dem eine<br />

der reizendsten und anziehendsten Frauen<br />

Frankreichs die Honneurs machte. Niemand<br />

anders als Jeanne Antoinette Poisson, die<br />

spätere Marquise von Pompadour, war die<br />

Schlossherrin.<br />

Ueber ihrer Herkunft lagen dunkle Schatten.<br />

Ihre Mutter war die Geliebte des älteren Lenormand<br />

de Turneheim, der in der Wahl dieser<br />

Frau allerdings keinen guten Geschmack<br />

bewies. Frau Poisson, obwohl äusserlich eine<br />

schöne, ja sogar schönere Frau, als später ihre<br />

Tochter, besass einen sehr alltäglichen Charakter.<br />

Sie war eine vulgäre Person ohne<br />

jeden sittlichen Halt, die ihrem ebenso gewöhnlichen<br />

als brutalen Mann, Jean Baptiste<br />

Poisson, in nichts nachstand, Poisson war ein<br />

Zyniker, Trunkenbold, ein halber Verbrecher.<br />

Die Legende will, dass er von Beruf Fleischer<br />

gewesen sei. In Wirklichkeit war er nur Angestellter<br />

bei den grossen Heereslieferanten,<br />

den Gebrüdern Paris. Diese Firma wurde beim<br />

Regierungsantritt Ludwigs XV. mit vielen anderen<br />

Lebensmittelfabrikanten, die sich auf<br />

unredliche Weise ein Vermögen verdient hatten,<br />

vor Gericht gestellt. Da die Brüder Paris<br />

jedoch sehr einflussreich waren und hohe Protektion<br />

genossen, konnten sie nicht persönlich<br />

bestraft werden. Man hielt sich daher an ihren<br />

ersten Angestellten<br />

p oisson, der, wie seine<br />

Prinzipale, vieles auf dem Gewissen hatte.<br />

„Ausserdem schwebte ein Prozess wegen eines<br />

Sittlichkeitsverbrechens gegen ihn, und er<br />

wurde schliesslich zum Tod durch den Strang<br />

verurteilt. Seine hohen Helfershelfer hatten<br />

ihm jedoch rechtzeitig zur Flucht nach<br />

Deutschland verholfen, und so lebte er dort<br />

ungestört und in Frieden.<br />

1721 gab Madame Poisson einem Mädchen<br />

das Leben, das sie Jeanne Antoinette nannte.<br />

Herr Lenormand de Turneheim bekannte sich<br />

zwar nicht öffentlich zur Vaterschaft dieses<br />

Kindes, liess ihm aber die sorgfältigste Erziehung<br />

angedeihen und es im grössten Luxus<br />

aufwachsen. Besonders frühzeitig wurde das<br />

kleine Mädchen in alle Künste der Koketterie<br />

eingeweiht. Man lehrte es, alle seine Vorzüge<br />

zu gebrauchen und ins beste Licht zu stellen.<br />

Einer der glühendsten Verehrer des herangewachsenen<br />

Mädchens war der Neffe des<br />

alten Herrn von Turneheim, der vierundzwanzig<br />

jährige Charles Guilleaume Lenormand.<br />

Jeanne Antoinette war eben fünfzehn<br />

Jahre alt geworden, als die Heirat zwischen<br />

ihr und dem jungen Mann von ihrer Mutter<br />

und Turneheim zustande gebracht wurde. Der<br />

Gatte hatte äusserlich nichts Verführerisches<br />

an sich. Er war klein und schlecht gewachsen,<br />

sein Gesicht eher hässlich als hübsch. Aber<br />

er war eine glänzende Partie für das junge<br />

Mädchen. Sein reicher Onkel gab ihm als<br />

Mitgift die Hälfte seines Vermögens und das<br />

Schloss Ejioles zum Wohnsitz. Dass er ein<br />

herzensguter Mensch war und vor allem ein<br />

Ehrenmann, spielte für die Poissons weiter<br />

keine Rolle.<br />

So wurde Jeanne Antoinette Poisson Madame<br />

Lenormand d'Etioles, ohne dass man<br />

sie um ihre Meinung gefragt hätte. Sie kümmerte<br />

sich auch gar nicht viel um diese An-;<br />

Gelegenheit ihres Lebens. Von Natur aus;<br />

schien sie ein kalter, egoistischer Charakter<br />

zu sein, dem Vergnügen, Luxus, Reichtum<br />

mehr galten als seelisches Glück. Sie kannte<br />

weder Leidenschaft noch Liebe. Ihr Gatte<br />

liebte sie zärtlich und vergötterte sie. Sie<br />

selbst hatte ihm weiter nichts zu geben als<br />

ihre äussere Schönheit, ihre junge Person,<br />

die seine Salons mit dem ihr eigenen Zauber<br />

erfüllte. Merkwürdigerweise war Herr von<br />

Etioles trotz so vieler Reize seiner Gattin<br />

nicht eifersüchtig. Er liess ihr alle Freiheit.<br />

Sehr oft war er abwesend, sie aber nahm ohne<br />

Verlegenheit oder Aengstlichkeit von ihrer<br />

Rolle als Schlossherrin Besitz. Stets war sie<br />

der anziehende Mittelpunkt ihrer Gesellschaft,<br />

die sich aus den bedeutendsten Geistern des<br />

alten und neuen Frankreichs und aus der<br />

hohen Finanzwelt zusammensetzte. Es bildete<br />

sich ein kleiner Hof um die reizende Frau,<br />

und mancher hoffte sie für sich erobern zu können,<br />

um so mehr,, da man bald merkte, dass<br />

sie sich sehr kühl mit Herrn von Etioles verheiratet<br />

hatte und in keiner Weise seine Leidenschaft<br />

erwiderte. Der junge Ehemann<br />

schien jedoch nichts von dieser Kälte zu spüren.<br />

Er war glücklich in seiner Liebe zu ihr,<br />

besonders als sie ihm Kinder schenkte. Das<br />

erste war ein Knabe, der aber bereits nach<br />

sechs Monaten starb. Das zweite Kind kam<br />

1743 zur Welt und war jene kleine Alexandrine,<br />

die später von der Marquise von Pompadour<br />

wahrhaft vergöttert wurde. Aber die<br />

Ehe war für Jeanne Antoinette Poisson weder<br />

Ziel noch Anfang oder Ende gewesen, sondern<br />

nur Mittel zum Zweck. Auf jeden Fall kam<br />

sie ihr für ihre kühnen Zükunftspläne zustatten.<br />

Die nun neunzehnjährige Madame d'Etioles<br />

nährte nämlich fast seit ihrer Kindheit einen<br />

einzigen Wunsch: einst vom König, der damals<br />

vierzig Jahre alt war und im Rufe eines<br />

Wüstlings stand, ausgezeichnet zu werden.<br />

Dieser kühne Wunsch war durch die Wahrsagerin<br />

Lenormand in ihrem jungen Herzen<br />

lebhaft geworden. Die zynische Mutter tat<br />

das ihrige, um in dem Kinde den Gedanken<br />

zum sehnlichsten Wunsche zu entwickeln.<br />

Hatte sie doch mehr als einmal im Beisein<br />

ihrer Tochter vor ihren Gästen entzückt ausgerufen:<br />

«Jeanne Antoinette ist ein Bissen für<br />

den König!»<br />

So träumte das heranwachsende Mädchen<br />

nur von dem Glück, einmal die Geliebte des<br />

galanten Königst zu sein, in Versailles eine<br />

Rolle zu spielen. Als Madame d'Etioles erweiterten<br />

sich ihre Pläne in dieser Hinsicht.<br />

Sie nahmen bereits Gestaltung an. Sie machte<br />

sich die phantastischsten Vorstellungen von<br />

den Auszeichnungen, die ihrer am Hofe Ludwigs<br />

XV. harrten.<br />

Im Jahre 1745 wurde Madame d'Etioles, geborene<br />

Poisson, die Geliebte Ludwigs XV.,<br />

und obwohl der Hochadel es dem König nie<br />

verzieh, dass er eine Bürgerliche als Maitresse<br />

wählte, vermochte es die Marquise, sich bis<br />

zu ihrem Tode in ihrer Stellung zu halten.<br />

Nahezu zwanzig Jahre lang regierte sie Frankreich,<br />

nicht wie eine königliche Geliebte, sondern<br />

wie eine unumschränkte Herrscherin.

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