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E_1940_Zeitung_Nr.016

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ED AUTOMOBIL-REVUE DIENSTAG, 16. APRIL <strong>1940</strong> — N° 16<br />

len Innerafrikas oder die Gefahr wilder Tiere, giftiger<br />

Schlangen oder der Moskitos.<br />

In einem 1805 erschienenen Bericht eines englischen<br />

Seefahrers heisst es Ober die Insel-. «Sankt<br />

Helena besitzt ein mildes und gesundes Klima, obgleich<br />

die Insel in den Tropen liegt. Da ihre Oberfläche<br />

felsig und unbewaldet ist, sollte man meinen,<br />

dass die Hitze ausserordentlich drückend sei,<br />

besonders da das Eiland zweimal im Jahr den<br />

senkrechten Strahlen der Sonne ausgesetzt ist und<br />

oft unter grossen Dürren zu leiden hat. Dem ist<br />

jedoch nicht sol Die Insel besitzt eine so glückliche<br />

Lage, dass sie von allen jenen Plagen frei ist,<br />

die andere tropische Inseln heimsuchen.<br />

Die grosse Ungleichheit des Bodens ruft natürlich<br />

eine ausserordentliche Verschiedenheit des<br />

Klimas hervor. Die Temperatur wechselt [e nach<br />

der Höhe, in der man sich befindet. Die mittlere<br />

Temperatur beträgt W/ 2 Grad Reaumur oder<br />

etwas weniger. Die höchste Temperatur soll in<br />

Jamestown (der Hauptstadt) 23 Grad Reaumur<br />

sein, während auf den Höhen das Thermometer<br />

manchmal bis auf 10 Grad, sinkt.<br />

Dieses milde Klima verdanken die Berge und<br />

Täler der Insel dem südöstlichen Passatwind, der<br />

viel zur Gesundheit der Einwohner und der Fruchtbarkeit<br />

des Bodens beiträgt. Daher kann man auch<br />

feststellen, dass die Einwohner, die auf der Insel<br />

geboren sind, ein ausserordentlich hohes Alter erreichen.<br />

Ausserdem .haben sie nicht unter jenen<br />

Krankheiten zu leiden, von denen die Bewohner<br />

eines weniger gemässigten und regelmässigen Klimas<br />

heimgesucht werden. Die kranken Mannschaften<br />

der Schiffe, die in Sankt Helena anlegen, werden<br />

hier bald wieder gesund. Mehrere Soldaten<br />

von verschiedenen Regimentern, die man nach<br />

England schickte, weil sie dienstuntauglich waren,<br />

haben sich während ihres Aufenthaltes in Sankt<br />

Helena so schnell erholt, dass sie wieder Dienst<br />

tun konnten. Die Einwohner der Insel haben auch<br />

nicht unter ansteckenden Fiebern zu leiden und<br />

sind von schweren Krankheiten, die in anderen<br />

Ländern herrschen, verschont geblieben. Die Blattern<br />

z. B., jene grausame Krankheit, die so verheerend<br />

wirkt, sind nie in Sankt Helena aufgetreten.<br />

Einen anderen Bericht besitzen wir noch aus<br />

der Zeit Napoleons selbst. Es ist dies jenes interessante<br />

Memoirenwerk einer jungen, in Sankt<br />

Helena geborenen Engländerin, namens Betsy Balcombe,<br />

mit der der Kaiser sich oft unterhielt. Betsy<br />

war 14 Jahre alt, als Napoleon in Sankt Helenp<br />

eintraf und im Hause ihres Vaters wohnte, bis<br />

sein Landhaus in Lo'ngwood hergerichtet war.<br />

«Wir waren so glücklich:», schreibt Betsy Balcombe,<br />

«ausserhalb der Stadt Jamestown zu wohnen.<br />

Mein Vater besass nämlich ein reizendes<br />

Landhäuschen, «The Briarsv (die Heckenrosen) genannt.<br />

Es war im Stile der indischen Bangalos gebaut.<br />

Man hätte es vielleicht nicht hübsch gefunden,<br />

wenn es nicht so schön gelegen gewesen<br />

wäre. Inmitten der kahlen Felsen jedoch war dieses<br />

grüne Fleckchen ein wahres Paradies. Eine schöne<br />

Feigenbaumallee führte zu dem Landhaus hin. Um<br />

das Haus herum standen überall gewaltige immergrüne<br />

Gummibäume, und Granatäpfel- und Myrthenbäume<br />

wuchsen dazwischen. Das Ganze war<br />

wie übersät von weissen Rosen. Ich muss auch<br />

dem Garten einige Zeilen widmen, denn er war<br />

so reizend und bildete den Lieblingsaufenthalt<br />

Napoleons während seiner Anwesenheit in «The<br />

Briars». In Gedanken durchwandle ich »noch oft<br />

seine Myrthengebüsche, und die Orangenbäume<br />

mit ihren prächtigen grünen Blättern, ihren entzückenden<br />

Blüten und goldenen Früchten erscheinen<br />

mir in der Erinnerung, wie es in den Tagen<br />

meiner glücklichen Kindheit war. Alle Arten tropischer<br />

Früchte wuchsen hier in üppiger Fülle, verschiedene<br />

Sorten Wein, Zitronen, Orangen, Feigen,<br />

Pompelmus, Guava, Mangopflaumen — alles<br />

gedieh in masslosem Ueberfluss.»<br />

Sensationen<br />

auf dem Operationstisch<br />

Die medizinische Wissenschaft hat in den letzten<br />

Jahren und Monaten immer neue Fortschritte<br />

erzielt. Das Kranksein ist heute auch in gefährlichen<br />

Fällen keine so beunruhigende Sache mehr.<br />

Hilfe ist rasch zur Stelle und wird mit Medikamenden<br />

oder auf dem Operationstisch nach den<br />

neuesten Errungenschaften der modernen ärztlichen<br />

Technik geleistet.<br />

Eigenes Blut auf Vorrat.<br />

In Chicago hat das Cook-County-Spital eine<br />

sehr interessahte Lösung des Problems der Blutübertragungen<br />

gefunden. Man hatte nämlich beobachtet,<br />

dass fast bei allen schwierigen Geburten<br />

später den Müttern gewisse Blutmengen übertragen<br />

werden mussten. Aber auch bei anderen"<br />

Operationen zeigte es sich, dass eine Blutübertragung<br />

immer eine rasche Besserung des Befindens<br />

des Kranken und eine Erhöhung seiner Widerstandskraft<br />

zur Folge hatte.<br />

Man führte also folgende Regelung ein: wenn<br />

eine Frau einer Niederkunft entgegensah, wenn<br />

sich jemand auf eine grosse Operation vorbereitete,<br />

dann ging er vorher wöchentlich einmal in<br />

das Krankenhaus und Hess sich dort eine gewisse<br />

Blutmenge abnehmen. Diese — seine eigene BluN<br />

menge — wurde auf Eis gelegt — das heisst unter<br />

Bedingungen gebracht, unter denen sich das Blut<br />

heute Wochen hindurch gut hält. So ist es möglich,<br />

auch in recht schweren Fällen durch derartige<br />

Vorbeugungen Blut aus den eigenen Adern<br />

schon auf Vorrat zu haben. Darüber hinaus aber<br />

nimmt man heute sogenanntes Vorratsblut, vor<br />

allem von Personen, die an Infektionskrankheiten<br />

litten, wobei das Blut der Genesenden wegen der<br />

starken Heilwirkung bei frischen Fällen gern Anwendung<br />

findet.<br />

Zurückgeholtes Leben.<br />

In zahlreichen Krankenhäusern, ferner in der<br />

Hand vieler moderner Aerzte befindet sich heute<br />

eine sogenannte « goldene Nadel >, ein sehr emp-,<br />

findliches Instrument. Man benutzt diese «golT*-<br />

dene Nadel > bei Herzkrankheiten, wenn ein Patient<br />

plötzlich einen Zusammenbruch durch eine<br />

Art Herzschlag erlitten hat.<br />

Es hat sich gezeigt, dass ein Mensch unter günstigen<br />

Umständen auch dann noch zum Leben zurückgerufen<br />

werden kann, wenn die Nadel erst<br />

nach einigen Minuten in die Herzmuskeln hineingesenkt<br />

werden kann. Man schickt durch die Nadel,<br />

die an der Spitze eine Zweiteilung aufweist,<br />

einen elektrischen Strom hindurch, der eine Kontraktion<br />

der Herzmuskeln nach sich zieht. Diese<br />

Kontraktion aber bewirkt in vielen Fällen eine<br />

Wiederaufnahme des Herzschlags. Und wenn das<br />

Herz erst wieder arbeitet, ist das Leben schon<br />

halb gerettet.<br />

Gleichfalls mit Elektrizität arbeiten die modernen<br />

Schneidegeräte, die unter elektrischem Strom<br />

in der Lage sind, die soeben erzeugte Wunde sofort<br />

wieder zu schliessen und das Blut zu verkrusten.<br />

Solche Operationen sind wichtig bei Eingriffen<br />

im Gehirn, ferner aber bei allen sonstigen<br />

sehr delikaten Operationen und bei der Behandlung<br />

von Blutern.<br />

Geheiltes Rückgrat.<br />

Wenn früher ein Mensch den Rücken brach,<br />

dann lag er meist viele Monate in Gips. Ausserdem<br />

hatte man keineswegs die Sicherheit, ob er<br />

jemals wieder seine Gliedmassen zum Gehen gebrauchen<br />

könne.. Nun hat ein Arzt ein System<br />

entwickelt, wonach in 85% aller Fälle eine Heilung<br />

erreicht werden kann.<br />

Nach diesem neuen Verfahren wird der Mann<br />

mit dem gebrochenen Rücken mit dem Gesicht<br />

nach unten auf zwei Tische, bzw. Stühle gelegt,<br />

zwischen denen ein grösserer Abstand ist. Die<br />

Beine und die Hüften ruhen auf dem einen Tisch,<br />

die Schultern und der Kopf auf dem anderen<br />

Tisch. Der in der Mitte also nicht unterstützte<br />

Körper senkt sich (natürlich vorsichtig unterstützt)<br />

nach unten und rückt die Wirbel wieder in die<br />

natürliche Position zurück. Erst jetzt wird der Gipsverband<br />

angelegt. Meist schon nach einigen Tagen<br />

können die ersten Armbewegungen ausgeführt<br />

werden. In 10 Tagen beginnt der Patient<br />

zu laufen.<br />

Unter Kälte — gut konserviert.<br />

Die Kälte spielt eine sehr wichtige Rolle. Muttermilch<br />

wird gefroren und nach Bedarf wieder<br />

aufgetaut. Auf dipse.Weise halten sich alle Bestandteile<br />

der Muttermilch ohne jede Veränderung.<br />

Es gibt gewisse Seren, die unter dem Einfluss der<br />

Zeit Veränderungen erleiden. Werden aber diese<br />

Seren in Kälte und ausserdem noch in einem Vakuum<br />

aufbewahrt, dann halten sie sich, solange<br />

man diesen Zustand nicht verändert.<br />

Auch die Operationssäle werden heute durch<br />

Kältewirkung, durch gewisse Anstriche, die Bakterien<br />

abtöten, und durch Beleuchtungen vollkommen<br />

keimfrei gemacht.<br />

Wenn Filmhelden davonlaufen.<br />

Mitwirkende, mit denen man nicht gerechnet hatte.<br />

Leopoldville,...<br />

Mitunter setzt sich ein Regisseur in den Kopf,<br />

es sei doch besser, wenn man einen Film ganz in<br />

der Natur drehe. So kam denn auch die belgische<br />

Filmgesellschaft zum Golf von Guinea, um hier<br />

Aufnahmen von einem Bootsuntergang an der dafür<br />

vorgesehenen Stelle zu drehen.<br />

Aber — kaum war der Star ins Wasser gefallen<br />

— wie es im Text verlangt wurde, als sich<br />

auch schon einige Krokodile heranmachten. Das<br />

Hilfegeschrei des Stars lockte nur noch immer<br />

mehr Krokodile aus dem Schlamm hervor, so dass<br />

das Wasser schliesslich von diesen wenig angenehmen<br />

Tieren wimmelte. Mit einiger Mühe<br />

brachte man den vor Angst halbtoten Star in<br />

ein rasches Boot und fuhr eiligst davon. Den Rest<br />

der Aufnahmen wird man doch lieber im Atelier<br />

machen ...<br />

Schon ausgerottet?<br />

Die in den letzten zwei Jahren von europäischen<br />

und amerikanischen Zoos stark gesuchten<br />

Pandas sind in den Grenzgebieten von Tibet und<br />

China bereits fast vollkommen ausgerottet worden.<br />

Heinrich VIII. heilt einen Richter<br />

Heinrich VIII. von England hatte sich auf der<br />

Jagd verirrt und gelangte spätabends erst in das<br />

Dorf Reading, wo er — «als Gardist aus dem Gefolge<br />

des Königs», wie er sich nannte — bei dem<br />

Richter gastfreundliche Aufnahme fand. Eine vortreffliche<br />

Ochsenzunge nebst einem Krug köstlichen<br />

Bieres war das freigebig gespendete Abendmahl.<br />

Eine Zeitlang sah der Richter dem tüchtigen<br />

Esser und vermeintlichen Gardisten wortlos zu,<br />

dann sagte er: «Ich wollte hundert Pfund geben,<br />

wenn mir eine Ochsenzunge wie Euch schmeckte.<br />

Aber leider ist es mit meinem Magen schlimm bestellt,<br />

kein Arzt kann da helfen.»<br />

Kurze Zeit danach wurde der Richter nach<br />

London gerufen und dort ohne Verh5r bei Wasser<br />

und Brot ins Gefängnis gesteckt. Die Leibesfülle<br />

ging beträchtlich zurück, und als ihm nach drei<br />

Wochen eine Ochsenzunge vorgesetzt wurde, verspeiste<br />

er sie mit einem wahren Heisshunger. Da<br />

klopfte ihm jemand von hinten auf die Schulter —<br />

der gleiche, der sich damals als Gardist ausgegeben<br />

hätte, nun aber durch einen demütigen<br />

Fussfall seines einstigen Gastgebers geehrt wurde.<br />

«Es freut mich, dass Euch die Ochsenzunge bei<br />

mir geschmeckt hat», nahm der König das Wort,<br />

«und als geschickter Arzt, an dem Ihr schon gezweifelt<br />

habt, darf ich wohl die versprochenen<br />

hundert Pfund als rechtmässiges Honorar in Empfang<br />

nehmen. Entweder Ihr zahlt oder Ihr werdet<br />

von mir lebenslänglich als Kranker behandelt werden.»<br />

Der Richter beeilte sich sehr mit dem Zahlen.<br />

Stummer Tonfilm<br />

Von Pauline Klinger.<br />

Wenn man in Patras, der grossen, modernen<br />

und lebendigen Hafenstadt, den kleinen griechischen<br />

Dampfer besteigt, so landet man nach vier<br />

Stunden an einer Insel. «Landen» kann man diesen<br />

Prozess kaum nennen: das Schiff hält etwa tausend<br />

Meter entfernt draussen im Meer, während<br />

eich vom Ufer im Wettrudern sich überschlagende<br />

ßoote mit wild schreienden Männern nahen. Diese<br />

schwingen sich — wie sie das machen, ist unklar<br />

— auf das Schiff (die leeren Boote schwanken<br />

führerlos auf den Wellen) und stürzen sich auf die<br />

Ankommenden und deren Gepäck. Ehe man es<br />

sich versieht, wird man zur herabgelassenen<br />

Treppe geschleppt: aber die sieht so gefährlich<br />

aus, dass man vorzieht, sich vom Schiff ans in die<br />

Boote werfen zu lassen, was mit den Koffern bereits<br />

geschehen ist. Und in all diesem Trubel und<br />

dieser scheinbaren Lebensgefahr kann man nicht<br />

umhin, die mathematische Sicherheit dieser Leute<br />

zu bewundern, die genau berechnen, wann das<br />

hin- und herschlagende Boot so schiffsnahe sein<br />

wird, um die herabgeworfenen Menschen und Sachen<br />

aufzufangen. Zu ihrer Ehre sei es gesagt,<br />

dass diesen Jongleuren noch nie ein Kunstfehler<br />

unterlaufen ist.<br />

'<br />

Ein Fuhrwerk bringt uns auf die andere Seite<br />

der Insel. Sind es wirklich nur vier Stunden, seit<br />

wir Patras verlassen haben? Alle Weltrekorde der<br />

Schnelligkeit verblassen gegen unsere Meisterschaft:<br />

wir sind in vier Stunden aus dem 20. Jahrhundert<br />

ins Altertum gelangt. Meer- und sagenumsponnen<br />

mutet das kleine Dorf an; die Menschen,<br />

ihre Gesichter, ihre Kleidung, ihre Sitten;<br />

die kleinen, verfallenen Häuser, die Esel- und<br />

Ziegentreiber, die Ruhe und Stille der Landschaft<br />

— ja, das ist das alte Griechenland. Willenlos und<br />

beglückt geben wir uns dem Zauber hin; und wir<br />

danken den Göttern — auch darin fühlen wir<br />

schon antik — dass sie unser Schifflein an diese<br />

Küste gesteuert, wo nichts, aber auch gar nichts<br />

an das Heute mit seinen ewigen Neuerungen und<br />

seinen ewigen Beunruhigungen erinnert. Wir waren<br />

sicher, endlich einmal zur Mutter Natur zurückgekehrt<br />

zu sein.<br />

Man wird daher unser Erstaunen begreifen, als<br />

wir eines Abends bei der Heimkehr in unser<br />

Haus, noch ganz benommen von der mit nichts<br />

zu vergleichenden Farbenpracht, die die untergehende<br />

Sonne auf die kahle griechische Felsenlandschaft<br />

malt, einen mit unbeholfener Hand beschriebenen<br />

Zettel fanden, der eine heute nacht<br />

stattfindende Vorführung eines Operettenfilms ankündigte.<br />

Man möge sich um 10 Uhr beim «Kafeneion»<br />

einfinden.<br />

Wir fielen aus den Wolken: das hatten wir<br />

nicht erwartet. Aber die Neugierde — oder war<br />

es ein Rückfall in eine vielleicht doch nicht so<br />

ganz abgestreifte liebe Gewohnheit? — trieb uns<br />

hinunter. Am Meer, dort, wo die Barken liegen,<br />

ist der einzige grosse Platz des Ortes. Und auf<br />

diesem Platz ist das Kafeneion, das Kaffeehaus.<br />

Eigentlich ist der ganze Platz das Kaffeehaus, denn<br />

er ist angeräumt mit unzähligen, winzig kleinen<br />

Tischchen, die im Halbrund von je fünf Stühlen<br />

umgeben sind. Trotz der vielen Sitzgelegenheiten<br />

ist aber so ein Tisch nur für eine einzige Person<br />

gedacht; denn jeder Grieche braucht fünf Stühle:<br />

einen zum Sitzen, die Lehnen der beiden rechts<br />

und links davon für seine Arme und die Sprossen<br />

der beiden äussersten für seine Füsse. Treffen<br />

sich zwei Personen zur gemeinsamen Unterhaltung,<br />

so stellt der Wirt mit unnachahmlicher Geschwindigkeit<br />

einen zweiten Tisch mit seinen fünf Stühlen<br />

daneben. Das Lokal selbst besteht aus einem<br />

kleinen dunklen Raum: da nichts anderes zu haben<br />

ist als türkischer Kaffee, der bej Bedarf tässchenweise<br />

in einem langstieligen Kocher zubereitet<br />

wird, bedarf es weder einer Küche, noch eines<br />

Büffets.<br />

Auf diesem Platz sahen wir nun eine Leinwand<br />

gespannt, wenn man ein recht lose an zwei<br />

Stäben befestigtes, vom Winde wellenförmig bewegtes<br />

Stück weissen Stoffes so nennen kann.<br />

Knapp davor sah man zwei halbwüchsige Jungen<br />

streitend an einer Art Laterna magica hantieren.<br />

Im Hintergrunde, der Leinwand gegenüber, war<br />

auf einem Tisch ein alter Kleiderschrank verkehrt<br />

aufgestellt: in die der Leinwand zugekehrte Rückwand<br />

war ein grosses viereckiges Loch gesägt.<br />

Von der aufgeregt umherstehenden und heftig gestikulierenden<br />

Menge erfuhren wir, dass ein «findiger<br />

Grieche» auf den Dörfern herumreise, ausgerüstet<br />

mit allen Bestandteilen und Erfordernissen<br />

eines Kinos. Sogar das Radio hatte er mitgebracht.<br />

Obwohl wir nicht recht begriffen, wieso<br />

das Radio zu den Notwendigkeiten eines Films<br />

gehöre, stellten wir keine weiteren Fragen, um so<br />

mehr, als wir sahen, dass das Publikum sich<br />

eilends Platz suchte. Des grossen Ereignisses<br />

wegen mussten sich die Gäste allerdings mit je<br />

einem Stuhl begnügen, was nicht ganz ohne Streit<br />

abging. Endlich trat Beruhigung ein. Der «findige<br />

Grieche» war in den Kleiderschrank gestiegen,,<br />

der Wirt hatte sich neben das Radio postiert und<br />

die beiden Laterna-magica-Jungen steckten ihr<br />

Lichtlein an. Das Spiel konnte beginnen.<br />

Es begann. Aber so ganz anders, als irgend<br />

eine Phantasie es sich vorstellen konnte. Ein<br />

Lichtschein fiel suchend auf die Leinwand: gleichzeitig<br />

ertönte ein lautes Knattern und Rasseln,<br />

aus dem sich eine Art Geräusch und schliesslich<br />

die abgebrochenen Klänge eines Musikstückes<br />

mühsam vernehmbar machten. Es war wohl eine<br />

Bachsche Fuge von irgendwoher, durchprasselt von<br />

allen Störungsteufelchen eines schlechten Radios.<br />

Auf der Leinwand erschien der von einem Kreis<br />

schöner, Mädchen umgebene, durch die vom Winde<br />

bewegte Leinwand heftig schlotternde Tenor, der,<br />

wie wir an seinem weit geöffneten Munde ersehen<br />

konnten, die Antrittsarie sang." Hören konnte man<br />

nichts, da das aufgeregte Publikum ihn mit einem<br />

tosenden Gebrüll begrüsste. Und mit kleinen,<br />

durch die magische Laterne gezogenen Zette'lchen<br />

wurde in kaum lesbarer Schrift erklärt, was er zu<br />

saßen und zu singen hatte. Langsam beruhigten<br />

sich die begeisterten Zuschauer und es trat völlige<br />

Stille ein. Aber — wir trauten unseren Augen,<br />

vielmehr unseren Ohren nicht — auch auf der<br />

Leinwand herrschte völlige Stille, Wohl riss der<br />

schöne Tenor seinen Mund auf, dass die Zähne<br />

nur so blitzten, auch die schönen Mädchen hatten<br />

ihre zierlichen Lippen weit geöffnet. Aber zu<br />

hören war nichts, absolut nichts. Nur aus dem<br />

prasselnden Radio ertönte — die blasse Bachsche<br />

Fuge war wohl inzwischen beendet — die Stimme<br />

eines Ansagers, der in irgend einer fremden<br />

Sprache irgendwelche neueste Nachrichten verkündete.<br />

Die Liebhaberin trat auf: auch sie begann<br />

den Mund zu öffnen, dann öffneten beide<br />

gleichzeitig, offenbar zum grossen Liebesduett, die<br />

Lippen, der Mädchenchor raste : aber zu hören<br />

war nichts. Wir sahen uns an — und brachen in<br />

ein unaufhaltsames Gelächter aus. Was bedeutete<br />

der mühsame Weg vom stummen zum tönenden,<br />

vom schwarzen zum farbigen, vom flächlichen zum<br />

plastischen Film?... Dies hier war der dernier<br />

cri, die Sensation, das neueste; der stumme<br />

Tonfilm!<br />

Und je weiter es ging, desto schöner wurde es,<br />

desto grösser waren die Ueberraschungen. Es traf<br />

sich ja so glücklich, dass, gerade während die<br />

Diva, wie an ihrem pikanten Augenaufschlag zu<br />

erkennen war, ein Chanson, offenbar den Schlager<br />

der Operette, sang, im 'Radio ein tiefer Bariton<br />

den «Erlkönig» vortrug und dass während des<br />

«Chores der Verschwörer» die letzten Bankkurse<br />

gemeldet wurden. Als man sich, was aus der auf<br />

der Leinwand sich versammelnden Menschenmasse<br />

klar hervorging, dem Schluss näherte, stellte der<br />

Wirt, der begreiflicherweise auch etwas sehen<br />

wollte, kurzerhand das Radio ab und mischte sich<br />

unter das Publikum ; und die kleinen magischen<br />

Knaben, die bisher noch ab und zu durch einen<br />

Rippenstoss der hinter ihnen sitzenden unsanft gemahnt,<br />

irgend einen, mit der laufenden Handlung<br />

auch nicht den mindesten Zusammenhang habenden<br />

Papierstreifen durch ihr Kästchen gezogen<br />

hatten, waren schliesslich von den Vorgängen auf<br />

der Leinwand so ergriffen und hingerissen, dass<br />

sie ihr Amt endgültig aufgaben. Nur der kurbelnde<br />

Kinomann war noch schwach in Tätigkeit, was<br />

sich in einem immer langsameren Tempo der<br />

Schauspieler bemerkbar machte. Und in dieser,<br />

jetzt auch durch nichts mehr gestört oder unterbrochenen<br />

Lautlosigkeit blühte das Finale auf:<br />

das beglückte Paar mit auf- und zuklappenden<br />

Mündern inmitten des von Mundsperre befallenen<br />

Chores, umwiegt von den jfleichmässigen Tanzschritten<br />

eines musiklosen Balletts, in dessen<br />

Rhythmen schliesslich sie alle hin- und herschwankten<br />

— der stumme Tonfilm in Vollendung !<br />

Als der «findige Grieche» nach dem Schluss<br />

absammeln ging und mit seinem Tellerchen zu uns<br />

kam, konnten wir ihm mit ehrlicher Begeisterung<br />

sagen, dass wir uns noch nie so amüsiert und noch<br />

nie so herzlich gelacht hätten, wie heute. Und<br />

dass wir diesen Abend nicht vergessen würden.<br />

Zwei Tage später — wir begaben uns zu einem<br />

nächtlichen Fischfang auf eines der in dpr Nähe<br />

des Kafeneion liegenden Boote — waren alle Spuren<br />

jenes köstlichen Kinos verschwunden. Nur die<br />

Leinwand war hängen geblieben. Und davor sausen<br />

auf dem sonst menschenleeren Platze einige Kinder,<br />

die mit seltsam verträumten und erwartungsvollen<br />

Gesichtern auf den wie ein Vorhang im<br />

Winde flatternden Stoff sahen. Vielleicht fühlten<br />

diese Kinderseelen in ihrer Primitivität, was wir<br />

-Erwachsene und von Genüssen Uebersättigte erst<br />

viel später begreifen: dass das Schönste am Theater<br />

doch die kurze Zeitspanne ist in der man<br />

vor dem geschlossenen Vorhang sitzt und auf die<br />

Herrlichkeit wartet.

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