Neue Szene Augsburg 2018-04
Stadtmagazin für Augsburg
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AUGSBÜRGER<br />
Puppenkisten-Theaterleiter<br />
Klaus Marschall<br />
Schaltet die Ampel auf Grün, lotst das Kasperle höchstpersönlich<br />
Fußgängern den Weg zu Klaus Marschalls Arbeitsplatz. In<br />
dritter Generation führt der 55-Jährige die von Großvater Walter<br />
Oehmichen nach dem zweiten Weltkrieg gegründete <strong>Augsburg</strong>er<br />
Puppenkiste. Als gallisches Dorf in der digitalen Unterhaltungslandschaft<br />
verdankt das Marionettentheater in der Spitalgasse sein<br />
Bestehen bis heute mehreren Faktoren: der innigen Publikumsliebe,<br />
dem Herzblut von rund 80 Mitwirkenden und der staatlichen Förderbereitschaft.<br />
Mit nahezu hundertprozentiger Auslastung trotzt<br />
der mittelständische Familienbetrieb dem Zeitgeist und begeistert<br />
nach wie vor Jung und Alt. Das Konzept, mit dem die unbeugsamen<br />
Kulturmacher um Klaus Marschall in die 70. Spielzeit gehen,<br />
ist hölzern, aber effektiv: „Wir wollen gute Geschichten verständlich<br />
erzählen und dabei Zuschauer in ihrer Fantasie fördern und fordern.<br />
In den schnellen, effektvollen, perfekt durchgestylten Pixar-Produktionen<br />
ist kein Raum mehr für eigene Fantasie. Das Figurentheater<br />
hingegen hat ein langsameres Erzähltempo und bietet unfertige Bilder,<br />
die der Zuschauer selbst vervollständigen muss.“<br />
Ein handgemachter Clown an ein paar dünnen Fäden und das<br />
alte Handpuppentheater der Großeltern reichten aus, um Marschall<br />
Ende der 60er mit dem Marionettenvirus zu infizieren. Mit Zwölf<br />
folgten im Elternhaus in Stadtbergen erste Kabarett-Vorstellungen<br />
für die Nachbarschaft. Dann der Ernstfall: „Eines Tages ereilte mich<br />
per Telefon ein Hilfeschrei meiner Eltern: ‚Komm sofort, uns fehlen<br />
zwei Hände!“’. Ich sollte also meine Hausaufgaben liegen lassen,<br />
mir ein Taxi nehmen und direkt ins Theater kommen, um die<br />
verzweifelte Zugehfrau auf der Spielbrücke abzulösen.“ Dass Marschall,<br />
der dem Kasperle seit vielen Jahren seine Stimme leiht, dem<br />
Traditionsbetrieb auch im Erwachsenenalter treu bleiben würde,<br />
schien Formsache. Nach der 10. Klasse ging er zunächst mit Mittlerer<br />
Reife vom Jakob-Fugger-Gymnasium ab, um eine Ausbildung<br />
als Dekorateur anzufangen. Nach der Bundeswehrzeit landete der<br />
Frischvermählte dann 1982 fest beim Theater, um ein Jahrzehnt<br />
später Vater Hanns-Joachim Marschall als Leiter und Mädchen für<br />
alles in der Puppenkiste abzulösen. Heute arbeiten neben dem älteren<br />
Bruder Jürgen, in der Schnitzwerkstatt, auch seine Frau und<br />
zwei der drei Kinder eng an Klaus’ Seite. Die nächste Herausforderung<br />
für das Mehrgenerationenprojekt steht schon bevor: Mit „Der<br />
Ring des Nibelungen“ feiert im Herbst die Adaption von Wagners<br />
vierteiligem Opernzyklus große Premiere!<br />
(Text & Foto: Fabian Schreyer)