LE-3-2016
LOGISTIK express Fachzeitschrift
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„Rechtssicherheit sieht anders aus“<br />
Nach über sechs Jahren heftiger Diskussionen hat der deutsche Bundestag<br />
Anfang Juni <strong>2016</strong> ein Gesetz beschlossen, das die Verbreitung freier WLAN-Netze<br />
fördern soll. Wer seine Hotspots für Dritte öffnet, soll nicht mehr für deren Verhalten<br />
einstehen. Die so genannte "Störerhaftung" gilt bisher als größter Hemmschuh für<br />
den Handel, seinen Kunden Online-Services über öffentliches Internet anzubieten.<br />
LOGISTIK Express sprach mit dem netzpolitischen Aktivisten und Journalisten aus<br />
Berlin, Markus Beckedahl. AUTOR: BIJAN PEYMANI<br />
LOGISTIK express: Mit einem neuen<br />
Gesetz stellt die Bundesregierung die<br />
Weichen für die Abschaffung der<br />
Störerhaftung. Warum überwiegt<br />
allgemein dennoch die Skepsis?<br />
Markus Beckedahl: Die Bundesregierung<br />
suggeriert, dass man in<br />
Deutschland nach Inkrafttreten seine<br />
WLANs öffnen kann und das Problem<br />
der Störerhaftung damit gelöst sei. Allerdings<br />
befürchten wir, dass weiterhin<br />
Abmahnungen verschickt werden und<br />
man trotzdem, um sich zu wehren, Anwälte<br />
einschalten muss und vielleicht<br />
vor Gericht Recht erhält.<br />
Markus Beckedahl wurde<br />
vor allem als Chefredakteur<br />
des 2002 von ihm gegründeten<br />
Blogs Netzpolitik.org<br />
bekannt, in dem Themen<br />
der Informationsgesellschaft<br />
behandelt werden. Die<br />
Plattform gilt als einer der<br />
bekanntesten Blogs im<br />
deutschsprachigen Raum<br />
und wurde 2014 mit dem<br />
Grimme-Online-Award ausgezeichnet.<br />
LOGISTIK express: Wie muss man verstehen,<br />
dass die Befreiung von der<br />
Störerhaftung nicht explizit im Gesetzestext<br />
auftaucht, sondern nur in der Begründung<br />
des Entwurfs?<br />
Beckedahl: Tatsächlich besagt die<br />
geänderte Telemediengesetz -Vorschrift<br />
nur, dass das sogenannte Providerprivileg<br />
auch für WLAN-Anbieter gilt. Da die<br />
Begründung - anders als der eigentliche<br />
Gesetzestext - für die Gerichte nicht bindend<br />
ist, ist keineswegs sichergestellt,<br />
dass die Rechtsprechung dem Wunsch<br />
des Gesetzgebers auch Folge leisten<br />
wird. Rechtssicherheit sieht anders aus.<br />
LOGISTIK express: Was ist der Entwurf<br />
letztlich wert? Die Haftung für öffentliche<br />
WLANs spielt sich doch vollständig<br />
im Bereich von vollharmonisiertem<br />
EU-Richtlinienrecht ab.<br />
Beckedahl: Wir lassen uns mal überraschen,<br />
welchen Eindruck dieses Gesetz<br />
auf Richterinnen und Richter machen<br />
wird. Möglicherweise behalten wir aber<br />
auch Recht, dass es sich eher um eine<br />
Mogelpackung handelt. Der Hinweis<br />
auf das Europarecht hilft jedenfalls<br />
leider nicht wirklich weiter, denn wenn<br />
das in Deutschland beachtet würde,<br />
dann hätte es nie Abmahnungen gegen<br />
WLAN-Betreiber geben dürfen – die<br />
entsprechenden Richtlinien gibt es ja<br />
schon seit mehr als zehn Jahren.<br />
LOGISTIK express: Gerade der deutsche<br />
Einzelhandel drängt darauf, Kunden<br />
endlich rechtssichere Services per<br />
Internet anbieten zu können. Wie soll er<br />
sich nun verhalten?<br />
Beckedahl: Wir raten derzeit dazu,<br />
WLAN in Kooperation mit einer lokalen<br />
Freifunk-Initiative anzubieten. Dadurch<br />
werden rechtliche Risiken minimiert,<br />
weil die Freifunker als Provider auftreten<br />
oder den Datenverkehr über das Ausland<br />
leiten, so dass die Störerhaftung<br />
nicht greift. Zugleich sind Spenden an<br />
Freifunker für Unternehmer auch aus<br />
PR-Gründen attraktiv, weil sie damit<br />
eine gute Sache unterstützen - womit<br />
sie wiederum werben können.<br />
LOGISTIK express: Selbst wenn der europäische<br />
Gerichtshof Rechtssicherheit<br />
für WLAN-Betreiber schafft: Könnten<br />
Verschlüsselung und Zugriffskontrolle<br />
dennoch Pflicht werden?<br />
Beckedahl: Eine Pflicht zur Verschlüsselung<br />
dürfte mit dem Europarecht<br />
nicht zu vereinbaren sein – das haben<br />
die Anträge des Generalanwalts<br />
beim Europäischen Gerichtshof deutlich<br />
gemacht. Was Netzsperren angeht,<br />
ist die Lage nicht ganz so eindeutig.<br />
Hier hoffen wir, dass der EuGH<br />
schlauer ist als der Bundesgerichtshof<br />
und einsieht, dass Netzsperren wirkungslos<br />
und daher kein verhältnismäßiges<br />
Mittel sind, um Urheberrechtsverletzungen<br />
zu verhindern. [BP]<br />
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