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Ambulantisierung der Pflege und das Pflege ...

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economica Management Handbuch <strong>Pflege</strong><br />

Management Handbuch <strong>Pflege</strong> / K Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen / K 1300 <strong>Ambulantisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Pflege</strong>-Weiterentwicklungsgesetz /<br />

Dr. phil. Roland Schmidt, Professor für Gerontologie <strong>und</strong> Versorgungsstrukturen<br />

K 1300<br />

<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Pflege</strong>-Weiterentwicklungsgesetz<br />

1 Zukunft <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> 1 – 6<br />

2 <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit im demographischen Wandel 7 – 14<br />

3 <strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG 15 – 39<br />

3.1 <strong>Pflege</strong>beratung 20 – 22<br />

3.2 <strong>Pflege</strong>stützpunkte 23 – 25<br />

3.3 Poolen von Leistungen 26 – 30<br />

3.4 Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz 31 – 39<br />

4 Fazit 40 – 44<br />

Literatur<br />

Internetquellen<br />

Schlagwortübersicht<br />

Ambulante Dienste 1, 33, 40<br />

<strong>Ambulantisierung</strong>sstrategien 15, 42<br />

Betreuung<br />

– niedrigschwellige 31, 34, 38 f.<br />

Betreuungsbegriffe 28<br />

Case Management 20 f.<br />

Heimsog 1, 3, 5<br />

<strong>Pflege</strong>bedürftigkeit 3, 8<br />

<strong>Pflege</strong>orte 9<br />

<strong>Pflege</strong>vertrag 30<br />

Rationalisierung <strong>der</strong> Versorgung 11<br />

Stressoren 13, 32, 39<br />

Verhin<strong>der</strong>ungspflege 37<br />

Versorgungspräferenzen 10<br />

Vertragstypen 17<br />

Wohngruppen<br />

– ambulant betreut 27<br />

Abstract:<br />

Eine zentrale Zielsetzung des <strong>Pflege</strong>-Weiterentwicklungsgesetzes (PflWG) ist es, den Vorrang ambulanter<br />

<strong>Pflege</strong> zu stärken. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Trends zur vollstationären <strong>Pflege</strong> – den die <strong>Pflege</strong>statistik<br />

belegt <strong>und</strong> <strong>der</strong> auch für die Zukunft prognostiziert wird – <strong>und</strong> angesichts des demographischen Wandels<br />

sollten, so <strong>der</strong> Anspruch des Gesetzgebers, Impulse zur Stärkung <strong>der</strong> häuslichen <strong>Pflege</strong> gesetzt werden.<br />

Der Beitrag stellt einleitend dar, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> so genannte Sog ins Heim unter Status-quo-Bedingungen<br />

Klinikwissen: Management Handbuch <strong>Pflege</strong> © 2008 by Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH<br />

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zweifellos an Verve gewinnen wird. Aber: Diese Bedingungen sind durchaus beeinflussbar, wenn es<br />

gelingen sollte, eine systematisch ausgerichtete, umfassende Strategie <strong>der</strong> <strong>Ambulantisierung</strong> (Rn. 12) zu<br />

realisieren. Es ist allerdings zu konstatieren, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> PflWG vor allem im Vertragsrecht <strong>und</strong> teilweise<br />

zudem im Leistungsrecht interessante Anstöße hierfür liefert, die aber eher punktuell <strong>und</strong> noch wenig<br />

umfassend ausgerichtet sind.<br />

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<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> /<br />

1 Zukunft <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong><br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> ambulanten <strong>Pflege</strong> in <strong>der</strong> jüngeren Vergangenheit ist im Vergleich <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>statistik<br />

des B<strong>und</strong>es <strong>der</strong> Jahre 1999 (erste Erhebung) <strong>und</strong> 2005 (letzte Erhebung) nachzuzeichnen. Sie wird vom<br />

Statistischen B<strong>und</strong>esamt im Zweijahresturnus erhoben. Folgende Trends sind retrospektiv zu<br />

konstatieren 1 :<br />

• Die Zahl <strong>der</strong> zu Hause versorgten <strong>Pflege</strong>bedürftigen ist annähernd konstant geblieben (jetzt 1,45 Mio.<br />

Personen). Zuwächse verzeichnen die stationären Einrichtungen (+ r<strong>und</strong> 100.000 Personen).<br />

• Weiterhin steigt die Zahl <strong>der</strong> Sachleistungsbezieher (Sachleistung pur o<strong>der</strong> Sachleistungsanteile in <strong>der</strong><br />

Kombinationsleistung) in <strong>der</strong> häuslichen <strong>Pflege</strong> an (+ 57.000 Personen), die Zahl <strong>der</strong> ausschließlich<br />

durch Angehörige Versorgten sinkt auf hohem Niveau leicht (bei Verschiebungen <strong>der</strong> Sorgearbeit weg<br />

von <strong>Pflege</strong>stufe II <strong>und</strong> III <strong>und</strong> hin zu <strong>Pflege</strong>stufe I).<br />

Die Zahl <strong>der</strong> ambulanten Dienste schwankte über die Erhebungszeiträume <strong>und</strong> verweilt heute in etwa auf<br />

dem Ausgangsniveau von 1999 (zuletzt: + 200 Einrichtungen b<strong>und</strong>esweit) bei steigenden<br />

Beschäftigtenzahlen (+ 30.000 Mitarbeiter). Die Dienste beschäftigen mehr Personal. Aber: Der Zuwachs<br />

an Beschäftigten schlägt sich v.a. in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Teilzeitbeschäftigten <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> geringfügig<br />

Beschäftigten nie<strong>der</strong>, während Vollzeitkräfte anteilsmäßig leicht rückläufig sind. Eine kontinuierliche<br />

Verschiebung innerhalb <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berufe weg von <strong>der</strong> Kranken- <strong>und</strong> hin zur Altenpflege (ein Minus bzw.<br />

ein Plus von 2 %) findet statt. Der Anteil privat gewerblicher Dienste nimmt laufend zu (+ 8 % zwischen<br />

2003 <strong>und</strong> 2005 auf nun r<strong>und</strong> 6.300 Dienste), <strong>der</strong> frei-gemeinnütziger Träger ab (– 3 Prozent zwischen 2003<br />

<strong>und</strong> 2005 auf nun r<strong>und</strong> 4.100 Dienste). Kommunale Dienste spielen eine marginale Rolle. Freigemeinnützige<br />

Dienste mit einem Marktanteil b<strong>und</strong>esweit von 39 %; versorgen 58 % <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>bedürftigen.<br />

Wobei zwischen den B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong>n erhebliche Differenzen bestehen; in Baden-Württemberg beträgt <strong>der</strong><br />

Marktanteil frei-gemeinnütziger Träger 2003 z. B. 76 %, Stadtstaaten hingegen sind bekanntlich <strong>das</strong><br />

Terrain privat-gewerblicher Anbieter. Die Zahl <strong>der</strong> durchschnittlich pro Dienst versorgten Personen steigt<br />

b<strong>und</strong>esweit nur geringfügig (von 38 Personen im Jahr 1999 auf 43 Personen 2005). Auch hier sind auf<br />

Län<strong>der</strong>ebene von B<strong>und</strong>estrend abweichende Entwicklungen zu beobachten. Der Anteil <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>pflege<br />

an den erbrachten Leistungen <strong>der</strong> ambulanten Dienste insgesamt erhöht sich Ende 2005 nochmals (von<br />

65 % in 1999 auf nun 69 % in 2005).<br />

Im Frühjahr 2007 erschien eine Studie von Reinhold Schnabel zur Zukunft <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> 2 , die im Kern <strong>das</strong><br />

Problem einer nachhaltigen Finanzierung <strong>der</strong> Sozialen <strong>Pflege</strong>versicherung erörtert <strong>und</strong> dabei einer<br />

Kapitalf<strong>und</strong>ierung an Stelle <strong>der</strong> heutigen Umlagenfinanzierung den Vorzug gibt. Unabhängig von diesem<br />

Fokus werden hier Entwicklungen modelliert, die im vorliegenden thematischen Zusammenhang von<br />

Interesse sind, weil sie u. a. den Blick auf die volkswirtschaftlichen Konsequenzen vermehrter Heimpflege<br />

lenken. Prognostiziert wird ein Anstieg <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>bedürftigen von <strong>der</strong>zeit r<strong>und</strong> 2,1 Mio. auf 3,0 bis 3,6 Mio.<br />

im Jahre 2030 <strong>und</strong> auf 4,1 bis 4,7 Mio. im Jahre 2050. Die Korridore entstehen dadurch, <strong>das</strong>s einmal<br />

Periodensterbetafeln (niedrigerer Wert) <strong>und</strong> einmal Kohortensterbetafeln (höherer Wert) <strong>der</strong> Projektion zu<br />

Gr<strong>und</strong>e gelegt wurden. Bezieht man darüber hinaus einen Rückgang <strong>der</strong> altersspezifischen <strong>Pflege</strong>risiken<br />

(Prävalenzrate) ein, könnte 2050 die Zahl <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>bedürftigen „nur“ 4,1 Mio. betragen. Angesichts <strong>der</strong><br />

reduzierten Verfügbarkeit von <strong>Pflege</strong> in <strong>der</strong> Familie wird erwartet, <strong>das</strong>s<br />

1<br />

2<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt: <strong>Pflege</strong>statistik 2005. <strong>Pflege</strong> im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung.<br />

Deutschlan<strong>der</strong>gebnisse, Wiesbaden 2007.<br />

Schnabel, R.: Zukunft <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>. Universität Duisburg-Essen <strong>und</strong> ZEW, o.O. 2. Mai 2007 (Ms.).<br />

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<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> /<br />

• <strong>der</strong> Trend zur Heimpflege dauerhaft anhält (von <strong>der</strong>zeit 33 % auf 48 % im Jahr 2050),<br />

• die Familienpflege abnimmt (von <strong>der</strong>zeit 48 % auf 23 % aller <strong>Pflege</strong>bedürftigen),<br />

• die Professionalisierung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> fortschreitet <strong>und</strong><br />

• sich die Zahl <strong>der</strong> Sachleistungsempfänger in <strong>der</strong> häuslichen <strong>Pflege</strong> gegenüber heute verdoppelt (auf<br />

dann 1,3 Mio. im Jahr 2050).<br />

Hierbei ist zu bedenken, <strong>das</strong>s die Annahme – es werden konstant r<strong>und</strong> 1 Mio. <strong>Pflege</strong>bedürftige durch<br />

Angehörige versorgt – optimistisch ist, denn <strong>das</strong> hieße, <strong>das</strong>s (a) zukünftig ein wachsen<strong>der</strong> Anteil<br />

Angehöriger zur <strong>Pflege</strong> zur Verfügung stehen (können) muss. Wollte man zudem (b) den heutigen Stand<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> ohne Sachleistungsbezug bis 2050 konstant halten, impliziert dies, <strong>das</strong>s die Zahl <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Familie Gepflegten auf r<strong>und</strong> 2 Mio. Fälle ansteigen müsste. Das würde eine Verdopplung des<br />

Ausgangsniveaus heute bedeuten, was unwahrscheinlich ist.<br />

Mehr Heimpflege <strong>und</strong> mehr Sachleistungsbezug bewirken steigende Beschäftigung in <strong>der</strong> Langzeitpflege.<br />

„Mit Heimsog“ handelt es sich rechnerisch um eine jährliche Steigerungsrate von 3,2 % zusätzlicher<br />

<strong>Pflege</strong>kräfte ab sofort, „ohne Heimsog“ um ein Plus in Höhe von 2,4 %. Der Beitragssatz zur Sozialen<br />

<strong>Pflege</strong>versicherung müsste auf 4,4 % steigen. Unterstellt, dies würde so eintreffen, bedeutet <strong>das</strong> weiterhin,<br />

<strong>das</strong>s die heutige Relation (von 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind 2,1 Personen in <strong>der</strong><br />

Langzeitpflege tätig) „ohne Heimsog“ auf r<strong>und</strong> 7 <strong>und</strong> „mit Heimsog“ auf 10 in <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> Tätige im Jahr<br />

2050 steigen würde. Und dies mit <strong>der</strong> Konsequenz, <strong>das</strong>s<br />

• die Konkurrenz um Arbeitskräfte zwischen den Branchen bei sinkendem Erwerbspersonenpotential<br />

steigen wird,<br />

• dadurch auch Anreize für ein steigendes Lohnniveau gesetzt werden (was die Nachhaltigkeit <strong>der</strong><br />

Finanzierung von <strong>Pflege</strong> tangiert),<br />

• vermehrte Ausbildungsanstrengungen erfor<strong>der</strong>lich werden,<br />

• ein Anwerben von <strong>Pflege</strong>kräften im Ausland trotz aller Ambivalenz in <strong>der</strong> Langzeitpflege allen<br />

Verständigungsproblemen zum Trotz kaum zu vermeiden ist.<br />

Ob zukünftig aber vermehrt Dienstleistungsangebote im Ausland durch wan<strong>der</strong>ungsbereite<br />

<strong>Pflege</strong>bedürftige genutzt werden, was heute keineswegs <strong>der</strong> Fall ist – auch weil man die Sachleistung nicht<br />

ins Ausland „transportieren“ kann –, bleibt abzuwarten.<br />

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<strong>Pflege</strong>bedürftigkeit im demographischen Wandel /<br />

2 <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit im demographischen Wandel<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> stellt sich die Frage nach <strong>der</strong> Beeinflussbarkeit von <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit im<br />

demographischen Wandel. Entscheidend für die Nachfrage nach <strong>Pflege</strong> sind<br />

• <strong>der</strong> Zusammenhang von Mortalität <strong>und</strong> Morbidität (= Entwicklung <strong>der</strong> Prävalenz von<br />

<strong>Pflege</strong>bedürftigkeit),<br />

• die Entwicklung von Haushalts- <strong>und</strong> Familienstrukturen (= Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>orte),<br />

• die Wünsche von <strong>Pflege</strong>bedürftigen <strong>und</strong> <strong>Pflege</strong>haushalten (= Versorgungspräferenzen),<br />

• die Weiterentwicklung ges<strong>und</strong>heitlicher <strong>und</strong> pflegerischer Versorgung im Sinne sektoren- <strong>und</strong><br />

systemübergreifen<strong>der</strong> Diagnostik, Behandlung <strong>und</strong> Betreuung (= Rationalisierung <strong>der</strong><br />

Versorgungsstrukturen) sowie<br />

• die Flexibilisierung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> durch Überwindung <strong>der</strong> Dichotomie ambulant vs. stationär in neuen<br />

<strong>Pflege</strong>arrangements (= Generierung neuer <strong>Pflege</strong>dienstleistungen im Spektrum von Wohnen/<strong>Pflege</strong>/<br />

haushaltsnahen Dienstleistungen/Betreuung).<br />

Die <strong>der</strong>zeitige Prävalenz von <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit nach SGB XI wird nicht konstant bleiben. Das Statistische<br />

B<strong>und</strong>esamt geht in <strong>der</strong> 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung von einem weiteren, aber nun<br />

verlangsamten Anstieg <strong>der</strong> Lebenserwartung aus. 5 Positiv wirken auch in Zukunft die verbesserten<br />

Lebensumstände <strong>und</strong> die Verbesserung <strong>der</strong> medizinischen <strong>und</strong> sozialen Versorgung, dämpfend hingegen<br />

schlägt die Ausschöpfung <strong>der</strong> Sterblichkeitsreserve in jüngeren Jahrgängen zu Buche. Die Vermin<strong>der</strong>ung<br />

des Sterblichkeitsrisikos im Alter ab 60 Jahren ist v.a. durch den medizinischen Fortschritt bei <strong>der</strong><br />

Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ab ca. 1980 erreicht worden. Dieser Trend zur<br />

Ausschöpfung <strong>der</strong> Sterblichkeitsreserven könnte weiter andauern, sollte es gelingen, z. B.<br />

lebensverkürzende Effekte durch Übergewichtigkeit zu kompensieren. 6 Nach Erkenntnissen des Max-<br />

Planck-Instituts für demographische Forschung sinkt <strong>das</strong> Risiko, im Alter pflegebedürftig zu werden. Im<br />

demographischen Wandel steigt die Zahl <strong>der</strong> pflegebedürftigen Menschen zwar, jedoch nicht proportional.<br />

Eine Kompression <strong>der</strong> Morbidität mit mehr Lebensjahren ohne schädigungsbedingte Beeinträchtigungen<br />

deutet sich an. 7 Da <strong>das</strong> Risiko, pflegebedürftig zu werden, bei höherer Bildung sinkt (Gründe: besserer<br />

Zugang zur medizinischen Versorgung in Folge besserer Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen, höheres<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt: Die Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 11. koordinierte<br />

Bevölkerungsvorausberechnung. Bevölkerung Deutschlands bis 2050, Wiesbaden 2006.<br />

Annahmen für die Zukunft sind: „Basisannahme“ zur ferneren Lebenswartung ab 60 Jahre<br />

(langfristige, auf Periodensterbetafeln aufbauende Entwicklung + Einbeziehung des kurzfristigen<br />

Trends zum Rückgang <strong>der</strong> Sterblichkeit im Alter seit 1970): Frauen 29,1 Jahre, Männer 25,3 Jahre,<br />

„Hoher-Anstieg-Annahme“ (Gewichtung des Trends seit 1970 mittels Kohortensterbetafeln +<br />

Verbesserung <strong>der</strong> medizinischen Versorgung wie in den letzten 30 Jahren): Frauen 30,9 Jahre,<br />

Männer 27,2 Jahre.<br />

Ziegler, U. / Doblhammer, G.: Steigende Lebenserwartung geht mit besserer Ges<strong>und</strong>heit einher.<br />

Risiko <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit in Deutschland sinkt, in: Demographische Forschung, 1/2005, S. 1-2;<br />

Ziegler, U. / Doblhammer, G.: Reductions in the Indicence of Care Need in West and East Germany<br />

between 1991 <strong>und</strong> 2003: Compression-of-Morbidity or Policy Effect?, Rostock 2005.<br />

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<strong>Pflege</strong>bedürftigkeit im demographischen Wandel /<br />

Bewusstsein für ges<strong>und</strong>en Lebensstil), wird angesichts <strong>der</strong> Bildungsexpansion seit den 1960er Jahren ein<br />

auch zukünftig sinkendes <strong>Pflege</strong>risiko vermutet.<br />

Auch <strong>Pflege</strong>orte <strong>und</strong> <strong>Pflege</strong>arrangements werden Verän<strong>der</strong>ungen durchlaufen. Familienstrukturen<br />

tendieren im demographischen Wandel zur „Bohnenstangenverwandtschaft“ <strong>und</strong> durch erhöhte<br />

Mobilitätsanfor<strong>der</strong>ungen zur „multilokalen Familie“. 8 Wird Generationensolidarität in <strong>der</strong> Familie praktiziert<br />

<strong>und</strong> greifen beide Trends ineinan<strong>der</strong>, transformiert sich die direkte familiäre Unterstützung häufiger in ein<br />

Management häuslicher Arrangements über längere Distanzen hinweg bei emotionalem Zuspruch. Auf<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von Modellrechnungen zu den mittel- <strong>und</strong> langfristigen Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Haushaltsstrukturen<br />

kann argumentiert werden, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Trend zur Singularisierung überlagert wird durch die Pluralisierung<br />

<strong>der</strong> Lebensformen im (hohen) Alter. 9 Der Geburtenrückgang hierzulande resultiert vor allem aus dem<br />

steigenden Anteil von Frauen bzw. Paaren, die zeitlebens kin<strong>der</strong>los bleiben. Deren persönliche<br />

Ressourcen – hier: die soziale Unterstützung in <strong>der</strong> Familie im Falle von <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit – sind deutlich<br />

limitiert. 10 Insbeson<strong>der</strong>e diese Teilgruppe wird vermehrt auf Settings angewiesen sein, die verlässliche<br />

<strong>und</strong> ggf. verdichtete Dienstleistungen verbinden mit einer Wohnqualität, die Kompensation von<br />

Beeinträchtigungen durch Hilfe- <strong>und</strong> <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit ermöglicht.<br />

Die Versorgungspräferenzen <strong>der</strong> Menschen liegen eindeutig nicht bei <strong>der</strong> vollstationären Versorgung in<br />

Heimen. Man zieht i.a.R. nicht freiwillig in eine Institution, son<strong>der</strong>n dies erfolgt, weil es Erschwernisfaktoren<br />

in <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> gibt <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Stressoren im privaten Unterstützungsnetzwerk einen krisenförmigen Verlauf<br />

in Gang setzen. Eine konsequente <strong>Ambulantisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> setzt voraus, <strong>das</strong>s man personen- <strong>und</strong><br />

netzwerkbezogen Dienstleistungen entwickelt, die geeignet sind, die Selektivität <strong>der</strong> Leistungskomplexe<br />

in <strong>der</strong> häuslichen <strong>Pflege</strong> (v.a. keine soziale Betreuung, keine allgemeine Anleitung <strong>und</strong> Beaufsichtigung,<br />

keine Tagesstrukturierung) zielgenau zu überbrücken; vgl. Rn. 31-40).<br />

<strong>Pflege</strong>bedürftigkeit resultiert aus chronischer Krankheit <strong>und</strong>/o<strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung. Das Potential von<br />

Ges<strong>und</strong>heitsför<strong>der</strong>ung, Primärprävention <strong>und</strong> Tertiärprävention (= medizinische Rehabilitation) wurde bis<br />

dato allerdings nur unzureichend genutzt. Die Sektorengrenzen im Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong> die<br />

Systemgrenzen zwischen Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> <strong>Pflege</strong>wesen haben dies in <strong>der</strong> Vergangenheit wesentlich<br />

bewirkt. Es deutet(e) sich allerdings bereits im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) <strong>und</strong> nun<br />

im PflWG an, <strong>das</strong>s diese Grenzen partiell allmählich durchlässiger macht werden. Eine Rationalisierung<br />

<strong>der</strong> Versorgung wurde eingeleitet durch (a) strukturelle Impulse im SGB V (u. a. Konsentierung von<br />

wissenschaftsbasierten Ges<strong>und</strong>heitszielen zur Stärkung von Primär- <strong>und</strong> Tertiärprävention, strukturierte<br />

Behandlungsprogramme zur Sek<strong>und</strong>ärprävention), (b) Formen Disziplin- <strong>und</strong> sektorenübergreifen<strong>der</strong><br />

Versorgung neben <strong>der</strong> Regelversorgung (Integrierte Versorgung) sowie (c) systemübergreifende<br />

Versorgung (z. B. Integrierte Versorgung unter Einbeziehung von <strong>Pflege</strong>kassen <strong>und</strong> Leistungserbringern<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> nach § 92b SGB XI o<strong>der</strong> die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die prinzipiell z. B.<br />

auch Heimbewohnern verordnet werden kann).<br />

8<br />

9<br />

10<br />

Deutscher B<strong>und</strong>estag (Hrsg.): Zweiter Zwischenbericht <strong>der</strong> Enquete-Kommission „Demographischer<br />

Wandel“, Bonn 1998.<br />

Deutscher B<strong>und</strong>estag. Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.): Enquete-Kommission Demographischer<br />

Wandel. Herausfor<strong>der</strong>ungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen <strong>und</strong> die Politik,<br />

Berlin 2002.<br />

Hoff, A.: Intergenerationale Familienbeziehungen im Wandel, in: Tesch-Römer, C. / Engstler, H. /<br />

Wurm, S. (Hrsg.): Altwerden in Deutschland. Sozialer Wandel <strong>und</strong> individuelle Entwicklung in <strong>der</strong><br />

zweiten Lebenshälfte, Wiesbaden 2004, S. 269 f.<br />

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<strong>Pflege</strong>bedürftigkeit im demographischen Wandel /<br />

Ein Exkurs: Man kann Folgen allein sektoraler Behandlung <strong>und</strong> Betrachtungsweisen am Beispiel <strong>der</strong><br />

Nichtberücksichtigung <strong>der</strong> besten erreichbaren Evidenz bei <strong>der</strong> Versorgung von an Demenz erkrankten<br />

Menschen darstellen. Eine Studie zum Verordnungsverhalten <strong>und</strong> zum Wissensstand über<br />

medikamentöse Therapie bei Alzheimer Demenz des Instituts für Medizinische Statistik 11 konnte auf <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>lage eines Vergleichs <strong>der</strong> Befragungsergebnisse aus den Jahren 2000 <strong>und</strong> 2002 nachweisen, <strong>das</strong>s<br />

praktischen Ärzten <strong>und</strong> Fachärzten durchaus bekannt ist, <strong>das</strong>s Cholinesterasehemmer die <strong>der</strong>zeit beste<br />

verfügbare Evidenz in <strong>der</strong> medikamentösen Therapie aufweisen. 67 % <strong>der</strong> Befragten würden dies als Mittel<br />

<strong>der</strong> Wahl einsetzen, wenn ein nahe stehen<strong>der</strong> Angehöriger an einer Alzheimer-Demenz erkrankte.<br />

Demgegenüber liegt die tatsächliche Verordnung bei 24 %. Die Differenz zwischen Verordnungsgebaren<br />

<strong>und</strong> Wissen erklären knapp 8 von 10 <strong>der</strong> befragten Ärzte mit <strong>der</strong> Budgetbelastung. Diese Belastung<br />

resultiert allerdings aus einer isolierten Bewertung finanzieller Aufwendungen. Eine Studie von 1999 aus<br />

den USA (Medicare), die nicht nur die Kosten für die Verordnung von Donepezil ausweisen, son<strong>der</strong>n die<br />

Gesamtmedikationskosten betrachten, zeigt, <strong>das</strong>s bei Einsatz mo<strong>der</strong>ner Antidementiva die<br />

Medikationsgesamtkosten pro Patient sinken (bei Verordnung von mindestens 270 Tagen: r<strong>und</strong> 4.200<br />

Dollar jährlich). Eine an<strong>der</strong>e Studie aus skandinavischen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> den Nie<strong>der</strong>landen, die den<br />

<strong>Pflege</strong>aufwand einer Interventionsgruppe (Verordnung von Donezepil) mit dem einer Kontrollgruppe<br />

(Plazebo) bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz vergleicht, gelangt zu dem<br />

Ergebnis, <strong>das</strong>s sich <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>aufwand in <strong>der</strong> Interventionsgruppe um durchschnittlich 400 St<strong>und</strong>en pro<br />

Jahr reduziert. Die Einsparungen bei den Behandlungskosten beliefen sich pro Patient auf durchschnittlich<br />

r<strong>und</strong> 1.100 Dollar. Hieraus ist zu folgern: Auch ein irreversibler <strong>Pflege</strong>bedarf kann graduell beeinflussbar<br />

sein, wenn Diagnostik, medikamentöse <strong>und</strong> nicht medikamentöse Behandlung, <strong>Pflege</strong> <strong>und</strong> Betreuung<br />

optimaler abgestimmt sind. Und: Eine bessere systemübergreifend (SGB V – SGB XI) <strong>und</strong><br />

sektorenübergreifend (ambulant – stationär) abgestimmte Versorgung könnte zudem den „Sog ins Heim“<br />

beeinflussen.<br />

Will man eine Stärkung <strong>der</strong> ambulanten <strong>Pflege</strong> einleiten – wie dies die Koalitionsfraktionen in <strong>der</strong><br />

Ausführungen über die „Reform zur nachhaltigen Weiterentwicklung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung“ vom<br />

19. Juni 2007 einleitend für sich in Anspruch nehmen, müsste man <strong>Pflege</strong>dienstleistungen gezielt dort<br />

profilieren, wo, empirisch gesichert, beson<strong>der</strong>e Belastungen (Stressoren) die häusliche Situation tangieren<br />

<strong>und</strong> ggf. <strong>das</strong> private Unterstützungsarrangement in die Zerreißprobe führen. Dies impliziert besser<br />

abgestimmte Care-Strukturen mit Blick auf Komplikationen<br />

• sowohl auf <strong>der</strong> Personenebene (z. B. Demenz in Verbindung mit aggressivem Verhalten o<strong>der</strong><br />

fortschreitende Demenz mit beginnen<strong>der</strong> Inkontinenz),<br />

• als auch auf <strong>der</strong> Person-Umwelt-Ebene (stressmin<strong>der</strong>nde Interventionen wie z. B. niedrigschwellige<br />

Betreuungsangebote, die den Sorge tragenden Angehörigen „<strong>Pflege</strong>pausen“ ermöglichen).<br />

Die Gr<strong>und</strong>konstruktion <strong>der</strong> deutschen <strong>Pflege</strong>versicherung ist in diesem Zusammenhang als hoch selektiv<br />

zu bewerten, weil sie Kontextfaktoren – die räumlich <strong>und</strong> soziale Umwelt – nur in engen Grenzen<br />

einbezieht. Dies stellt eine Folge zum einen des <strong>Pflege</strong>bedürftigkeitsbegriffs nach §§ 14, 15 SGB XI dar,<br />

zum an<strong>der</strong>en spiegelt sich hierin aber auch ein verkürztes, gleichwohl verbreitetes <strong>Pflege</strong>verständnis<br />

(Nursing statt Caring) in <strong>der</strong> Profession.<br />

11<br />

Stoppe, G. / Pirl, O. / Haupt, M.: Therapie <strong>der</strong> Alzheimer-Demenz mit <strong>der</strong> besten verfügbaren<br />

Evidenz – eine Utopie?, in: Das Ges<strong>und</strong>heitswesen, 1/2005, S. 20-26.<br />

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Management Handbuch <strong>Pflege</strong> / K Rechtliche Gr<strong>und</strong>lagen / K 1300 <strong>Ambulantisierung</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Pflege</strong>-Weiterentwicklungsgesetz / 3<br />

<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG /<br />

3 <strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG<br />

Um <strong>das</strong> weitere Wachstum des <strong>Pflege</strong>orts „Heim“ zu dämpfen, bietet es sich an, drei Strategien zu<br />

kombinieren: (1) Beendigung ökonomischer Fehlanreize im SGB XI (Strategie I: Eine Leistung unabhängig<br />

vom Setting), (2) Abbau rechtlicher Hemmnisse, die es <strong>der</strong>zeit erschweren o<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>n, <strong>das</strong>s sich<br />

<strong>Pflege</strong>arrangements pluralisieren <strong>und</strong> Sektoren öffnen (Strategie II: Flexibilisierung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong> durch neue<br />

Vertragstypen) <strong>und</strong> (3) Beachtung <strong>der</strong> Interdependenzen zwischen <strong>der</strong> rentenpolitisch gewollten<br />

Anhebung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sorgearbeit in <strong>der</strong> Familie (Strategie III:<br />

Bessere Vereinbarkeit von <strong>Pflege</strong> <strong>und</strong> Erwerbstätigkeit).<br />

Strategie I wird im PflWG nicht aufgegriffen. Die Nichteinbeziehung von Leistungen in den <strong>Pflege</strong>stufen I<br />

<strong>und</strong> II bei vollstationärer <strong>Pflege</strong> in die stufenweise Anhebung bis 2012 setzt hier keinen entscheidenden<br />

Impuls, son<strong>der</strong>n justiert allein die Relation zwischen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>stufen leicht nach. Durch die Schaffung<br />

neuer Vertragstypen (vgl. Rn. 18), die <strong>das</strong> bisherige Vertragsrecht flexibilisieren, ist Strategie II im PflWG<br />

erkennbar verankert worden. Mit dem „Gesetz über die <strong>Pflege</strong>zeit“ (Artikel 3 des PflWG) wurde ein erster,<br />

mutmaßlich noch begrenzt wirkungsvoller Anstoß in Richtung auf eine Strategie III geben. 19<br />

Diese neuen Vertragstypen sind (a) <strong>Pflege</strong>stützpunkte (Rn. 17–19) <strong>und</strong> (b) <strong>das</strong> Poolen von Leistungen<br />

(Rn. 20–23), die nachfolgend näher präsentiert werden. Hinzu kommen (c) erweiterte Möglichkeiten,<br />

Verträgen mit Einzelpflegekräften zu schließen (§ 77 SGB XI). <strong>Pflege</strong>kassen können mit einzelnen,<br />

geeigneten <strong>Pflege</strong>kräften in ausgeweitetem Umfang <strong>und</strong> nicht nur dann, wenn an<strong>der</strong>weitig die Versorgung<br />

nicht ermöglicht werden kann, Verträge abschließen. Sie können nun geschlossen werden, wenn diese<br />

Form <strong>der</strong> Versorgung beson<strong>der</strong>s wirksam <strong>und</strong> wirtschaftlich ist, wenn sie in beson<strong>der</strong>em Maße hilft, ein<br />

möglichst selbstständiges <strong>und</strong> selbst bestimmtes Leben zu führen, <strong>und</strong> dies dem Wunsch des<br />

<strong>Pflege</strong>bedürftigen zur Gestaltung <strong>der</strong> Hilfe entspricht. Mittels Verträgen mit Einzelpflegekräften könnten<br />

z. B. so genannte <strong>Pflege</strong>familien, die wenige <strong>Pflege</strong>bedürftige in einem privaten Haushalt versorgen,<br />

realisiert o<strong>der</strong> die Versorgung von Versicherten in Dörfern dünn besiedelter ländlicher Regionen<br />

sichergestellt werden (hier u.U auch bei Nutzung des Poolens von Leistungen). Schließlich wurde neu<br />

eingeführt (d) <strong>der</strong> Gesamtversorgungsvertrag (§ 72 SGB XI). Er ermöglicht, <strong>das</strong>s für mehrere o<strong>der</strong> alle<br />

selbstständig wirtschaftende Einrichtungen eines Einrichtungsträgers, die örtlich <strong>und</strong> organisatorisch<br />

miteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en sind, ein einheitlicher Versorgungsvertrag geschlossen werden kann. In <strong>der</strong><br />

Amtlichen Begründung wird weiter ausgeführt, <strong>das</strong>s auf dieser vertraglichen Gr<strong>und</strong>lage dann nur eine<br />

verantwortliche <strong>Pflege</strong>fachkraft vorzuhalten ist.<br />

Zu vermuten ist, <strong>das</strong>s sich durch solche neuen Vertragstypen die bisherige Dichotomie „ambulant vs.<br />

stationär“ allmählich auflösen lässt <strong>und</strong> somit eine Ausdifferenzierung von Versorgungsangeboten<br />

einsetzen kann, die <strong>Pflege</strong>haushalten mehr Möglichkeiten mit Blick auf die Gestaltung von<br />

<strong>Pflege</strong>arrangements bei Gewichtung <strong>der</strong> jeweiligen Versorgungspräferenzen eröffnet.<br />

Neben diesen neuen Vertragstypen sind im PflWG an entscheidenden Stellen gezielt<br />

Leistungsausweitungen vorgenommen worden. Dies betrifft den Rechtsanspruch auf kostenlose<br />

<strong>Pflege</strong>beratung (Rn. 15–16) <strong>und</strong> die Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz (Rn. 24–31). Aber<br />

auch die spürbare Ausweitung <strong>der</strong> Leistungen bei teilstationärer <strong>Pflege</strong> (§ 41 SGB XI) ist im vorliegenden<br />

Kontext von Belang, denn hierbei geht es in <strong>der</strong> Nebensache auch um die Stabilisierung bzw. Ermöglichung<br />

von <strong>Pflege</strong> <strong>und</strong> Leben zu Hause. Tagespflege ist seit Jahren eingeführt – <strong>und</strong> soll daher im Weiteren auch<br />

19<br />

Dies soll nachfolgend jedoch nicht vertieft werden. Das im Zuge des PflWG eingeführte neue<br />

<strong>Pflege</strong>zeitgesetz stärkt die häusliche <strong>Pflege</strong> nicht nur in <strong>der</strong> Wohnung des <strong>Pflege</strong>bedürftigen, son<strong>der</strong>n<br />

auch im Haushalt eines Angehörigen, in einem Wohnheim o<strong>der</strong> in Wohneinrichtungen, in denen keine<br />

vollstationären Leistungen erbracht werden (vgl. Linke, B.: Das neue <strong>Pflege</strong>zeitgesetz, in: Linke, B. /<br />

Linke, T.: Die Reform <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung <strong>und</strong> die neue <strong>Pflege</strong>zeit, Freiburg/Berlin/München<br />

2008, S. 82).<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG /<br />

nicht ausführlicher erörtert werden –, sie traf aber in <strong>der</strong> Vergangenheit nur auf begrenzte Nachfrage, weil<br />

<strong>der</strong> Sachleistungsanspruch rasch ausgeschöpft war <strong>und</strong> die Grenze zur Zuzahlung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>haushalte<br />

überschritten wurde. Diese Grenze wird nunmehr später erreicht sein.<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.1 <strong>Pflege</strong>beratung /<br />

3.1 <strong>Pflege</strong>beratung<br />

Ab 1. Januar 2009 haben Personen, die Leistungen nach SGB XI beziehen, einen Rechtsanspruch auf<br />

individuelle Beratung <strong>und</strong> Hilfestellung durch „<strong>Pflege</strong>berater“, die die <strong>Pflege</strong>kasse 21 als Anstellungsträger<br />

ihren Versicherten bei Nachfrage anbieten. <strong>Pflege</strong>berater veranlassen nun aber nicht mehr die zur<br />

Durchführung eines Versorgungsplans erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen, wie noch im Gesetzentwurf<br />

vorgesehen, son<strong>der</strong>n haben nur mehr beim zuständigen Leistungsträger auf erfor<strong>der</strong>liche Maßnahmen<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Genehmigung hinzuwirken. <strong>Pflege</strong>beratung konzentriert sich nicht allein auf Leistungen nach<br />

SGB XI, son<strong>der</strong>n auf in Betracht zu ziehende Sozialleistungen insgesamt (u. a. auch SGB V, SGB XII).<br />

Der Versorgungsplan, den <strong>Pflege</strong>berater in einem Case-Management-Prozess entwickeln, beinhaltet<br />

demgemäß Empfehlungen zu (a) im Einzelfall erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen, (b) dem dazu vorhandenen<br />

örtlichen Leistungsangebot <strong>und</strong> – so erfor<strong>der</strong>lich – (c) zur Überprüfung <strong>und</strong> Anpassung <strong>der</strong> empfohlenen<br />

Maßnahmen. Anträge auf Leistungen nach SGB V <strong>und</strong> SGB XI können auch beim <strong>Pflege</strong>berater gestellt<br />

werden, <strong>der</strong> diese weiterleitet.<br />

Ob durch <strong>Pflege</strong>beratung <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Versorgungsplanung tatsächlich ein verbessertes<br />

Versorgungsmanagement erzielen kann, hängt<br />

• zum einen ab von <strong>der</strong> Sach- <strong>und</strong> Methodenkompetenz <strong>der</strong> mit <strong>Pflege</strong>beratung beauftragten Mitarbeiter<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen ab (Kenntnisse über sozialen Leistungen <strong>und</strong> case-managementgestützte<br />

Prozesssteuerung),<br />

• zum an<strong>der</strong>en von einer zeitnahen Bewilligung sozialer Leistungen durch die jeweiligen Leistungsträger<br />

(z. B. SGB XI, SGB V, SGB XII).<br />

Eine zeitlich den rechtlichen Vorgaben entsprechende Begutachtung im Krankenhaus findet <strong>der</strong>zeit<br />

beispielsweise nirgends statt. Die verkürzte Begutachtungsfrist innerhalb einer Woche gilt nun zusätzlich<br />

auch für Hospize <strong>und</strong> ambulante palliative Versorgung (§ 18 SGB XI). Die zeitnahe Begutachtung <strong>und</strong><br />

Leistungsbewilligung ist aber substantiell: Denn ein Versorgungsmanagement kann nur dann praktisch<br />

wirksam werden, wenn die in einem Fall in Betracht kommenden Leistungsträger auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage ihrer<br />

jeweiligen Begutachtungs- <strong>und</strong> Bewilligungsverfahren (a) zeitnah <strong>und</strong> (b) abgestimmt verantwortlich tätig<br />

werden (z. B. im Rahmen einer Versorgungsplankonferenz analog zum Hilfeplanverfahren im SGB VIII).<br />

Hier ist ein Proce<strong>der</strong>e, wie im SGB IX (Rehabilitation <strong>und</strong> Teilhabe) normiert, im Gr<strong>und</strong>satz weitaus<br />

konsequenter ausgestaltet. Denn <strong>der</strong> erstangegangene Rehabilitationsträger führt verantwortlich die<br />

Koordination herbei.<br />

21<br />

Die Informationspflicht <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen (§ 7 SGB XI) erstreckt sich neben <strong>der</strong> Leistungs- <strong>und</strong><br />

Preisvergleichsliste neuerdings auch auf <strong>Pflege</strong>stützpunkte <strong>und</strong> die unentgeltliche <strong>Pflege</strong>beratung.<br />

<strong>Pflege</strong>kassen haben weiterhin zu informieren über Festlegungen in Verträgen zur Integrierten<br />

Versorgung nach § 92b SGB XI, an denen sie beteiligt sind. Dem <strong>Pflege</strong>bedürftigen ist eine Beratung<br />

über die in seiner Situation in Betracht kommenden Leistungen anzubieten. Er ist auf Ergebnisse von<br />

Qualitätsprüfungen hinzuweisen <strong>und</strong> im Falle eines erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs<br />

(§ 5a SGB XI) über anerkannte niedrigschwellige Angebote zu unterrichten <strong>und</strong> zu beraten.<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.2 <strong>Pflege</strong>stützpunkte /<br />

3.2 <strong>Pflege</strong>stützpunkte<br />

Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>stützpunkte ist die umfassende, unabhängige Auskunft <strong>und</strong> Beratung. Es geht nicht<br />

um die Bereitstellung abgestimmter pflegerischer <strong>und</strong> sozialer Versorgungs- <strong>und</strong> Betreuungsangebote,<br />

son<strong>der</strong>n nur mehr um <strong>der</strong>en Vernetzung. Auf vorhandene Beratungsstrukturen ist zurückzugreifen. 23 Die<br />

an <strong>Pflege</strong>stützpunkten beteiligten Kostenträger <strong>und</strong> Leistungsträger können für <strong>das</strong> Einzugsgebiet<br />

Verträge zur wohnortnahen integrierten Versorgung schließen – hier ist mit <strong>der</strong> Maßgabe, <strong>das</strong>s <strong>Pflege</strong><strong>und</strong><br />

Krankenkassen gemeinsam <strong>und</strong> einheitlich handeln, § 92b SGB XI anzuwenden. Träger eines<br />

<strong>Pflege</strong>stützpunktes kann auch eine im Land zugelassene <strong>und</strong> tätige <strong>Pflege</strong>einrichtung sein. Das<br />

eingesetzte Personal wird im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung anteilig getragen.<br />

Für die Einrichtung von <strong>Pflege</strong>stützpunkten sind <strong>Pflege</strong>- <strong>und</strong> Krankenkassen zuständig, wenn die oberste<br />

Landesbehörde dies bestimmt. Dies wird dazu führen, <strong>das</strong>s <strong>Pflege</strong>stützpunkte kein republikweit präsentes<br />

Element <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>infrastruktur darstellen. Nach einer solchen Entscheidung <strong>der</strong> obersten Landesbehörde<br />

hat die Errichtung von <strong>Pflege</strong>stützpunkten innerhalb von sechs Monaten zu erfolgen. Sind innerhalb von<br />

drei Monaten entsprechende Verträge nicht geschlossen, haben die Landesverbände <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen<br />

den Inhalt <strong>der</strong> Verträge innerhalb eines weiteren Monats festzulegen <strong>und</strong> dabei die Interessen von<br />

Ersatzkassen <strong>und</strong> Krankenkassen, die sich an den <strong>Pflege</strong>stützpunkten zu beteiligen haben,<br />

wahrzunehmen. Wi<strong>der</strong>spruch <strong>und</strong> Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung. Das<br />

B<strong>und</strong>esversicherungsamt entnimmt aus dem Ausgleichsfonds <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung höchstens 60<br />

Millionen Euro (statt ursprünglich 80 Millionen Euro im Gesetzentwurf) an För<strong>der</strong>mitteln zur<br />

Anschubfinanzierung. Sie werden gemäß Königsteiner Schlüssel zwischen den Län<strong>der</strong>n aufgeteilt. Der<br />

hieraus resultierende Betrag stellt zugleich die För<strong>der</strong>höchstgrenze dar. 24 Landesverbände <strong>der</strong><br />

<strong>Pflege</strong>kassen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Krankenkassen sowie Ersatzkassen <strong>und</strong> nach Landesrecht zuständige Träger von<br />

Altenhilfe <strong>und</strong> Hilfe zur <strong>Pflege</strong> nach SGB XII können Rahmenverträge zur Arbeit <strong>und</strong> zur (Dauer-)<br />

Finanzierung von <strong>Pflege</strong>stützpunkten vereinbaren. Dabei sind die Bestimmungen <strong>der</strong> obersten<br />

Landesbehörde zu berücksichtigen. Der Spitzenverband B<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen sowie an<strong>der</strong>e im Gesetz<br />

genannte Akteure auf B<strong>und</strong>esebene können Empfehlungen zur Arbeit <strong>und</strong> zur Finanzierung von<br />

<strong>Pflege</strong>stützpunkten erarbeiten.<br />

Die <strong>Pflege</strong>kassen wirken durch <strong>Pflege</strong>stützpunkte auf eine Vernetzung <strong>der</strong> regionalen <strong>und</strong> kommunalen<br />

Versorgungsstrukturen hin. Dies ist in § 12 SGB XI neu als weitere Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen definiert.<br />

23<br />

24<br />

Es ist sicherzustellen, <strong>das</strong>s in den in einem B<strong>und</strong>esland implementierten <strong>Pflege</strong>stützpunkten (92 c<br />

SGB XI) <strong>Pflege</strong>beratung in Anspruch genommen werden kann <strong>und</strong> die Unabhängigkeit <strong>der</strong> Beratung<br />

gewährleistet ist. Bis zum 30. Juni 2011 legt <strong>der</strong> Spitzenverband B<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen einen unter<br />

Beteiligung wissenschaftlicher Begleitung erstellten Bericht über die Erfahrungen mit <strong>der</strong><br />

<strong>Pflege</strong>beratung dem BMG vor. Noch zu regelnde Details sind: Bis 31. August 2008 gibt <strong>der</strong><br />

Spitzenverband B<strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen Empfehlungen zur erfor<strong>der</strong>lichen Anzahl <strong>und</strong> Qualifikation<br />

<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>berater ab. Die Qualifikationsanfor<strong>der</strong>ungen müssen bis 30. Juni 2011 erfüllt sein. Bis<br />

31. Oktober 2008 haben die <strong>Pflege</strong>kassen im Land <strong>Pflege</strong>berater nach Anzahl <strong>und</strong> örtlicher<br />

Zuständigkeit aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt bereit zu stellen. Hierzu ist einheitlich <strong>und</strong> gemeinsam eine<br />

Vereinbarung zu treffen. Diese Aufgabe kann den Landesverbänden <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen übertragen<br />

werden.<br />

Die Absenkung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>summe <strong>und</strong> ihre Verteilung gemäß Königsteiner Schlüssel wird zur Folge<br />

haben, <strong>das</strong>s Län<strong>der</strong> wie z. B. Rheinland-Pfalz, die bereits über eine entsprechende flächendeckende<br />

Struktur von analogen Organisationen verfügen, die Mittel i. S. eines Mitnahmeeffektes abrufen.<br />

An<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>, die nicht über eine solche Struktur verfügen, werden angesichts <strong>der</strong> limitierten Höhe<br />

<strong>der</strong> För<strong>der</strong>summe kaum Anreiz verspüren, solche <strong>Pflege</strong>stützpunkte im Land aufbauen zu wollen.<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.2 <strong>Pflege</strong>stützpunkte /<br />

Sie sollen örtliche o<strong>der</strong> regionale Arbeitsgemeinschaften nach § 94 Abs. 2 bis 4 SGB X bilden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e durch die o. g. <strong>Pflege</strong>beratung stellen die <strong>Pflege</strong>kassen sicher, <strong>das</strong>s Leistungen nahtlos <strong>und</strong><br />

störungsfrei ineinan<strong>der</strong> greifen (genannt sind: Gr<strong>und</strong>pflege, Behandlungspflege, ärztliche Behandlung,<br />

spezialisierte Pallitivversorgung, Leistungen zur Prävention, zur medizinischen Rehabilitation <strong>und</strong> zur<br />

Teilhabe sowie hauswirtschaftliche Versorgung). 25 Weiterhin nutzen die <strong>Pflege</strong>kassen darüber hinaus<br />

auch <strong>das</strong> Instrument <strong>der</strong> Integrierten Versorgung nach § 92b SGB XI <strong>und</strong> wirken hin auf Kooperationen,<br />

die stationäre <strong>Pflege</strong>einrichtungen mit nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten eingehen, o<strong>der</strong> auf Verträge zur<br />

ambulanten Behandlung in stationären <strong>Pflege</strong>einrichtungen nach 119 b SGB V. Mit diesen Vorgaben<br />

beabsichtigt <strong>der</strong> Gesetzgeber, gezielt Brücken zu schlagen, die systemübergreifende Versorgungspfade<br />

zwischen SGB V <strong>und</strong> SGB XI ermöglichen. Ob dies allein bereits tauglich ist, bleibt abzuwarten. An an<strong>der</strong>er<br />

Stelle wurde stattdessen die Integration <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung in die Krankenversicherung gefor<strong>der</strong>t.<br />

Problem ist <strong>und</strong> bleibt, <strong>das</strong>s die Krankenversicherung Präventionsleistungen zur Vermeidung o<strong>der</strong> zur<br />

Min<strong>der</strong>ung von <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit zu finanzieren hat, die ihren Etat belasten, jedoch im an<strong>der</strong>en System,<br />

dem SGB XI, im Erfolgsfall Einsparungen hervorrufen. Diese Verletzung des Finalprinzips <strong>der</strong><br />

Sozialversicherung in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>konstruktion einer von <strong>der</strong> GKV getrennten <strong>Pflege</strong>versicherung wurde<br />

bereits in <strong>der</strong> Vergangenheit mehrfach kritisch debattiert. 26<br />

25<br />

26<br />

Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen von Fuchs, H.: „Impulse zur Versorgungsintegration an den<br />

Schnittstellen von SGB XI <strong>und</strong> SGB V“ in diesem Werk, die <strong>der</strong> Verfasser des vorliegenden Beitrags<br />

teilt.<br />

So Deutscher B<strong>und</strong>estag. Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.): a.a.O., S. 569 ff. <strong>und</strong><br />

www.b<strong>und</strong>estag.de, Suchbegriff „Gutachten 2005: Koordination <strong>und</strong> Qualität im Ges<strong>und</strong>heitswesen“;<br />

siehe auch die Kommentierung des PflWG von Wasem, J., Ges<strong>und</strong>heitsökonom, <strong>und</strong> Ballast, T.,<br />

Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong> des VdAK/AEV, auf dem Hauptstadtkongress 2008, Berlin (Care konkret<br />

24/2008, S. 1 f.).<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.3 Poolen von Leistungen /<br />

3.3 Poolen von Leistungen<br />

Durch <strong>das</strong> PflWG wurde in § 36 SGB XI mit den hinzugefügten Sätzen 4 <strong>und</strong> 5 nun mehr ermöglicht, <strong>das</strong>s<br />

mehrere <strong>Pflege</strong>bedürftige <strong>Pflege</strong>- <strong>und</strong> Betreuungsleistungen sowie hauswirtschaftliche Versorgung<br />

gemeinsam als Sachleistung in Anspruch nehmen können. Ein solcher Anspruch auf<br />

Betreuungsleistungen als Sachleistung setzt jedoch voraus, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> im Einzelfall ermittelte Bedarf an<br />

Gr<strong>und</strong>pflege <strong>und</strong> hauswirtschaftlichen Leistungen gedeckt ist. Die Entscheidung, sich an einem Pool zu<br />

beteiligen, liegt beim Versicherten. Die Initiative zur Poolbildung wie<strong>der</strong>um kann von Dritten ausgehen.<br />

Hier denkt <strong>der</strong> Gesetzgeber insbeson<strong>der</strong>e an <strong>Pflege</strong>stützpunkte, so sie in einem B<strong>und</strong>esland eingeführt<br />

sind. Mit Blick auf die Einglie<strong>der</strong>ungshilfe wird ergänzend hervorgekehrt, <strong>das</strong>s Betreuungsleistungen als<br />

Sachleistungen nach SGB XI nachrangig sind.<br />

In den Amtlichen Begründungen zum Gesetzentwurf <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esregierung wird deutlich gemacht, <strong>das</strong>s<br />

<strong>das</strong> Poolen an verschiedenen Orten realisiert werden kann: in einer Wohngemeinschaft 31 , in einem<br />

Gebäude o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Nachbarschaft. Poolen ist also nicht zwingend an „neue Wohnformen“ wie ambulant<br />

betreute Wohngruppen geb<strong>und</strong>en. Damit eröffnet <strong>der</strong> Gesetzgeber weitere Optionen <strong>der</strong> Versorgung. Ziel<br />

des Poolens ist die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven mittels Zeit- <strong>und</strong> Kostenersparnis. Die<br />

frei werdende Zeit soll ausdrücklich allein im Interesse des <strong>Pflege</strong>bedürftigen genutzt, <strong>das</strong> wird in den<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen für die Vergütungsregelung (§ 89 SGB XI) nochmals herausgestellt, <strong>und</strong> zur Betreuung <strong>der</strong><br />

am Pool beteiligten <strong>Pflege</strong>bedürftigen eingesetzt werden. Poolen ist keine Sparoption für die <strong>Pflege</strong>kassen.<br />

Gleichwohl steht zu vermuten, <strong>das</strong>s insbeson<strong>der</strong>e in ambulant betreuten Wohngruppen die Erschließung<br />

von Wirtschaftlichkeitsreserven in Folge gemeinsamer Haushaltsführung realisiert werden kann. Daher<br />

liegt <strong>der</strong> Zusammenhang von „Poolen von Leistungen“ mit „ambulant betreuten Wohngruppen“ an <strong>der</strong><br />

Schnittstelle von SGB XI <strong>und</strong> Heimgesetz nahe. 32 Auch Einzelpflegekräfte (§ 77 SGB XI) können, so die<br />

Amtliche Begründung, hier in Betracht gezogen werden.<br />

Für Betreuungsleistungen als Sachleistungen sind nach § 89 SGB XI Vergütungen zu vereinbaren. Unter<br />

„Betreuung“ werden in <strong>der</strong> Amtlichen Begründung folgende Leistungen subsumiert: „beson<strong>der</strong>er Angebote<br />

<strong>der</strong> allgemeinen Anleitung <strong>und</strong> Beaufsichtigung“ (nach § 45b SGB XI) <strong>und</strong> „soziale Betreuung“ (nach § 43<br />

31<br />

Unter Bedingungen <strong>der</strong> Experimentierklausel <strong>der</strong> Sozialen <strong>Pflege</strong>versicherung (§ 8 Abs. 3 SGB XI)<br />

konnte in NRW – also einem „<strong>Pflege</strong>hochpreisland“ – ein Vergleich <strong>der</strong> Gesamtkosten für ambulant<br />

betreute Wohngruppen mit einer ausgewählten Referenzeinrichtung <strong>der</strong> vollstationären <strong>Pflege</strong>, die<br />

nach dem Hausgemeinschaftsprinzip arbeitet, angestellt werden (Schnei<strong>der</strong>, K.: Modellprojekt:<br />

Gemeinsam sein. Evaluation <strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit. Münster 2008, Ms.). Die Modellrechnung ergibt,<br />

<strong>das</strong>s sich die Gesamtkosten (inkl. Investitionskostenför<strong>der</strong>ung) im Vergleich „ambulant-stationär“<br />

nicht relevant unterscheiden (in den Jahren 2006/07 ambulant EUR 1.096.000 gegenüber stationär<br />

EUR 1.087.000). Die vergleichbare Höhe <strong>der</strong> Kosten ambulanter Versorgung ist auch auf die<br />

Deckelung <strong>der</strong> Betreuungskosten durch den Sozialhilfeträger zurückzuführen, die auch an<strong>der</strong>enorts<br />

praktiziert wird. Von Gewicht sind die stark abweichenden Belastungen <strong>der</strong> einzelnen Kostenträger.<br />

Die ambulant betreute Wohngruppe ist für <strong>Pflege</strong>kassen deutlich preiswerter (EUR 253.000<br />

gegenüber EUR 400.000). Belastet werden im Wohngruppensetting v.a. die Krankenkassen (EUR<br />

154.000 gegenüber EUR 0,-). Fiskalisch bedeutet diese Versorgungsform eine Verschiebung <strong>der</strong><br />

Aufwendungen weg von <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kasse <strong>und</strong> hin zur Krankenkasse. Eher konstant sind die<br />

Aufwendungen des Bewohners (EUR 527.000 gegenüber EUR 536.000) <strong>und</strong> des Sozialhilfeträgers<br />

(EUR 153.000 gegenüber 160.000). Wie immer die Zahlenrelationen unter regionalen<br />

Marktbedingungen ausfallen: Die Tendenz ist verallgemeinerbar, weil sie sozialrechtlich „geschient“<br />

ist (hier: Differenz <strong>der</strong> Sachleistungsbeträge in <strong>Pflege</strong>stufe I <strong>und</strong> II ambulant <strong>und</strong> stationär,<br />

medizinische Behandlungspflege als Teilleistung gemäß allgemeinem <strong>Pflege</strong>begriff in <strong>der</strong><br />

vollstationären <strong>Pflege</strong>). Gewinner des Poolens ist finanziell – wird ein Heimeinzug vermieden o<strong>der</strong><br />

hinausgeschoben – immer die <strong>Pflege</strong>kasse.<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.3 Poolen von Leistungen /<br />

Abs. 2 SGB XI). Einbezogen sind also im erstgenannten Fall bedarfsspezifische <strong>und</strong> im letztgenannten<br />

allgemeine, jedoch nach dem jeweiligen Bedarf in <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>planung zu konkretisierende<br />

Betreuungsleistungen:<br />

• Bei Angeboten allgemeiner Anleitung <strong>und</strong> Beaufsichtigung begleitet <strong>und</strong> supervidiert eine<br />

<strong>Pflege</strong>fachkraft die eingesetzten (ehrenamtlichen) Helfer, was auch unabhängig vom ambulanten<br />

Dienst selbst organisiert werden kann.<br />

• „Soziale Betreuung“ hingehen ist als Teilleistung von <strong>Pflege</strong> definiert. D. h. alle manageriellen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an die Fachpflege, insbeson<strong>der</strong>e die <strong>Pflege</strong>prozesssteuerung, treffen auf diese<br />

Teilleistung zu, was mitunter übersehen wird.<br />

Im SGB XI wird „soziale Betreuung“ nicht näher definiert. Konkretisierungen finden im <strong>Pflege</strong>vertragsrecht<br />

statt. Allerdings enthalten die relevanten Verträge (B<strong>und</strong>esrahmenempfehlung nach § 75 SGB XI,<br />

Maßstäbe <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätze nach § 80 SGB XI aus den Jahren 1996 <strong>und</strong> 2003) keine in sich konsistente<br />

Konzeption sozialer Betreuung.<br />

Über die jeweilige Form <strong>der</strong> Betreuung können im <strong>Pflege</strong>vertrag bei häuslicher <strong>Pflege</strong> (§ 120 SGB XI), <strong>der</strong><br />

zwischen ambulantem Dienst <strong>und</strong> den am Pool beteiligten <strong>Pflege</strong>bedürftigen abzuschließen ist, nähere<br />

Aussagen getroffen werden. Auf Anfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen ist <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>vertrag auszuhändigen. Dies<br />

wird im Falle des Poolens von Leistungen wahrscheinlich i. S. einer Regelanfor<strong>der</strong>ung zu erwarten sein.<br />

Denn seitens <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen ist sicherzustellen, <strong>das</strong>s die Benachteiligung eines an einem Pool<br />

beteiligten <strong>Pflege</strong>bedürftigen bei individuell erfor<strong>der</strong>licher Gr<strong>und</strong>pflege <strong>und</strong> Hauswirtschaft<br />

ausgeschlossen wird. Die Amtliche Begründung stellt zudem die Verantwortung des Leistungserbringers<br />

heraus. Um Benachteiligungen auszuschließen besteht gegenüber (a) den am Pool beteiligten<br />

Versicherten eine Fürsorgeverantwortung <strong>und</strong> (b) den <strong>Pflege</strong>kassen Leistungserbringerverpflichtungen.<br />

32<br />

Denn: Geht man von dieser Wohnform aus, ist zu konstatieren, <strong>das</strong>s in <strong>der</strong> Vergangenheit nicht <strong>das</strong><br />

Fehlen gepoolter SGB XI-Leistungen <strong>das</strong> zentrale Implementierungshin<strong>der</strong>nis darstellte, son<strong>der</strong>n die<br />

schwierige heimrechtliche Bewertung von ambulant betreuten Wohngruppen. Dies ist durch die<br />

Fö<strong>der</strong>alismusreform <strong>und</strong> die einsetzende Ausdifferenzierung des Heimrechts nach Landesspezifika<br />

nicht eben übersichtlicher geworden. Während sich manche B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> im Frühjahr 2008 längst<br />

auf dem Weg zu einer Novellierung des Heimrechts befinden – <strong>und</strong> in diesem Kontext u. a.<br />

Unterscheidungskriterien zwischen <strong>der</strong> heimgemäßen Betreuung <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Settings normieren,<br />

die heranzuziehen sind, um ggf. auf eine solche Wohngruppe (a) <strong>das</strong> Heimrecht in Gänze nicht o<strong>der</strong><br />

(b) nur bestimmte heimgesetzliche Vorgaben anzuwenden. Stichworte sind hier: Qualität <strong>der</strong><br />

Vertragsbeziehungen, Grad <strong>der</strong> Selbstbestimmung <strong>und</strong> Selbstregulierung des Verbrauchers sowie<br />

Beratung <strong>der</strong> Initiatoren als qualitätssicherndes Element –, ist an<strong>der</strong>enorts heute noch nicht<br />

antizipierbar, was Landesregierungen wann unternehmen werden o<strong>der</strong> nicht. Solange diese<br />

Unwägbarkeiten aber in einem B<strong>und</strong>esland andauern, ist die Realisierung ambulant betreuter<br />

Wohngruppen, v.a. wenn ein sozialwirtschaftliches Unternehmen sie initiiert, risikobehaftet (vgl.<br />

Pawletko, K.-W.: Der Teufel steckt – wie immer – im Detail. Ambulant betreute Wohngemeinschaften<br />

in den neuen Heimgesetzen (Teil 1). In: Care konkret 20/2008, S. 9).<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.4 Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz /<br />

3.4 Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz<br />

<strong>Pflege</strong>bedürftigen, die nach § 45a SGB XI in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind, erhalten bereits<br />

im geltenden Recht (SGB XI a.F) einen Erstattungsbetrag für Aufwendungen <strong>der</strong> allgemeinen Betreuung<br />

in Höhe von EUR 460.- je Kalen<strong>der</strong>jahr. Mit diesem Budget können gegen Vorlage <strong>der</strong> Rechnung<br />

zusätzliche Leistungen erstattet werden: (1) <strong>der</strong> Tages- o<strong>der</strong> Nachtpflege, (2) <strong>der</strong> Kurzzeitpflege, (3) <strong>der</strong><br />

allgemeinen Anleitung <strong>und</strong> Beaufsichtigung, die ambulante Dienste anbieten (bei denen es sich nicht um<br />

Gr<strong>und</strong>pflege <strong>und</strong> hauswirtschaftliche Leistungen handelt) <strong>und</strong> (4) <strong>der</strong> nach Landesrecht geför<strong>der</strong>ten bzw.<br />

för<strong>der</strong>fähigen niedrigschwelligen Betreuungsangebote. Im Falle <strong>der</strong> Ziffern 1 <strong>und</strong> 2 handelt es sich um<br />

zusätzliche Tage <strong>der</strong> Inanspruchnahme von im Gesetz <strong>und</strong> durch Vertrag definierten<br />

<strong>Pflege</strong>dienstleistungen. Ziffer 3 hingegen ist optional ausgestaltet. Die Angebote ambulanter Dienste sind<br />

nur negativ gegenüber den Leistungskomplexen in <strong>der</strong> häuslichen <strong>Pflege</strong> abgegrenzt. Wird diese<br />

Abgrenzung eingehalten, besteht Spielraum, um allgemeine Betreuungsleistungen unterschiedlicher Art<br />

zu generieren. Ziffer 4 definiert gleichfalls nicht abschließend, was unter niedrigschwelligen<br />

Betreuungsleistungen zu verstehen ist. Auch hier ist Experimentieren möglich. Gleichwohl existieren<br />

b<strong>und</strong>esweit Prototypen <strong>der</strong> Versorgung: die Betreuungsgruppe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Besuchsdienst (Langzeitpflege).<br />

In Thüringen kommen z. B. hinzu familienentlastende Dienste (Behin<strong>der</strong>tenhilfe).<br />

Mit diesen Leistungen verfolgt <strong>der</strong> Gesetzgeber zwei Ziele. Zum einen geht es um die Bereitstellung<br />

angemessener Betreuungsangebote vorrangig für Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind. Zum<br />

an<strong>der</strong>en sind hier aber auch die Angehörigen (genauer: die private Hauptpflegeperson) im Blick, um ihnen<br />

stressmin<strong>der</strong>nde „Auszeiten“ zu ermöglichen. 35 Das ist fachlich nahezu zwingend, weil bekanntlich ein<br />

Heimumzug von Menschen mit Demenz häufig nicht in erster Linie durch die Situation des Erkrankten<br />

unabdingbar wird, son<strong>der</strong>n, weil <strong>das</strong> private Unterstützungsnetzwerk in die Zerreißprobe geraten <strong>und</strong> am<br />

Dekompensieren ist. In solchen Fällen ist eine soziale <strong>und</strong> nicht eine medizinisch-pflegerische Indikation<br />

ausschlaggebend für den Wechsel des <strong>Pflege</strong>orts.<br />

Allgemeine Betreuungsleistungen nach § 45a-c SGB XI stellen einen Beitrag zur <strong>Ambulantisierung</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Pflege</strong> dar. Dabei ist aus Sicht <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>dienste nicht primär entscheidend, <strong>das</strong>s sich hierdurch ein<br />

attraktives zusätzliches Geschäftsfeld öffnet. Bedeutsam ist vielmehr die Möglichkeit, mit Hilfe solcher<br />

allgemeinen Betreuungsangebote K<strong>und</strong>en, die Gr<strong>und</strong>pflege <strong>und</strong> hauswirtschaftliche Leistungen beim<br />

Dienst beziehen, in latenten Krisensituationen häuslicher <strong>Pflege</strong> länger zu binden <strong>und</strong> zu versorgen. Es<br />

geht zentral um den Erhalt <strong>der</strong> sozialen Umwelt, in <strong>der</strong> eine pflegebedürftige Person lebt. Das ist seit<br />

Verabschiedung des <strong>Pflege</strong>-Leistungsergänzungsgesetzes (PflEG) auf bescheidenem Level bereits<br />

möglich. Durch die am 1. Juli 2008 erfolgende Ausweitung des Kreises <strong>der</strong> Anspruchsberechtigten <strong>und</strong><br />

durch die Erhöhung des Erstattungsbeitrags wird die Nachfrage vermutlich stimuliert <strong>und</strong> werden<br />

Unterstützungsmöglichkeiten intensiviert.<br />

In § 45a SGB XI wird eine Ausweitung des Kreises <strong>der</strong> Anspruchberechtigten auch auf Personen<br />

vorgenommen, die zwar einen Hilfebedarf in Gr<strong>und</strong>pflege <strong>und</strong> hauswirtschaftlicher Versorgung haben,<br />

aber nicht die <strong>Pflege</strong>stufe I erreichen. Damit werden erstmals die <strong>Pflege</strong>kassen punktuell zuständig für<br />

Menschen, die unter die so genannte <strong>Pflege</strong>stufe 0 fallen. Entscheidend ist, <strong>das</strong>s zusätzliche<br />

Betreuungsleistungen ab 1. Juli 2008 in zwei Stufen <strong>und</strong> nun deutlich angehobener Leistungshöhe gewährt<br />

werden, um für zusätzliche Betreuung entstandene Kosten (= Vorleistung durch Versicherten, <strong>der</strong> seine<br />

beglichene Rechnung bei seiner <strong>Pflege</strong>kasse einreicht) höchstens ersetzen zu können (§ 45b SGB XI):<br />

• EUR 100.- monatlich als „Gr<strong>und</strong>betrag“ o<strong>der</strong><br />

35<br />

Siehe auch Sauer, P.: Fünf Jahre niedrigschwellige Angebote – eine sozialpolitische Bewertung, in:<br />

Sauer, P./Wissmann, P. (Hrsg.): Niedrigschwellige Hilfen für Familien mit Demenz. Ffm. 2007, S. 199.<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.4 Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz /<br />

• EUR 200.- monatlich als „erhöhter Betrag“.<br />

Die Höhe des Anspruchs wird von den <strong>Pflege</strong>kassen auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Empfehlung des MDK<br />

festgelegt. 36 Ein in einem Kalen<strong>der</strong>jahr nicht verbrauchter Betrag kann weiterhin in <strong>das</strong> folgende<br />

Kalen<strong>der</strong>halbjahr übertragen werden.<br />

Die Definition eingeschränkter Alltagskompetenz, die dem Assessment zu Gr<strong>und</strong>e liegt, wurde unverän<strong>der</strong>t<br />

beibehalten. Zur Bemessung <strong>der</strong> jeweiligen Höhe sind auf B<strong>und</strong>esebene Richtlinien über einheitliche<br />

Maßstäbe zur Bewertung des Hilfebedarfs auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Schädigung <strong>und</strong> Fähigkeitsstörungen in den in<br />

§ 45a Abs. 2 Nr. 1 bis 13 aufgeführten Bereichen zu beschließen (§ 45b SGB XI). Die Erarbeitung dieser<br />

erweiterten Begutachtung ist Aufgabe <strong>der</strong> im Gesetz genannten Akteure <strong>und</strong> Beteiligten. Zu letzteren sind<br />

nach § 45a SGB XI neuerdings auch Selbsthilfe- <strong>und</strong> Behin<strong>der</strong>tenorganisationen zu zählen. 37<br />

Leistungen nach § 45b sind gr<strong>und</strong>sätzlich mit Verhin<strong>der</strong>ungspflege (§ 39 SGB XI), die auch st<strong>und</strong>enweise<br />

bewilligt werden kann, zu verbinden. Das ist auch im alten Recht bereits <strong>der</strong> Fall. Man kann also zwei<br />

Budgets kombinieren. Die Voraussetzung, die für die Inanspruchnahme von Verhin<strong>der</strong>ungspflege im Falle<br />

einer erstmaligen Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>person erfüllt sein müssen, wurde zudem von zwölf auf sechs<br />

Monate verkürzt (§ 39 SGB XI). Dort, wo <strong>das</strong> „Poolen von Sachleistungen“ als neuer Vertragstyp (§ 36<br />

SGB XI) vereinbart wurde, können die zusätzlichen Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI in den Pool<br />

einbezogen werden, sofern die erfor<strong>der</strong>liche Gr<strong>und</strong>pflege <strong>und</strong> die hauswirtschaftliche Versorgung, wie<br />

dargelegt, im Einzelfall sichergestellt sind.<br />

Die Anteilsfinanzierung durch die <strong>Pflege</strong>kassen für den Auf- <strong>und</strong> Ausbau niedrigschwelliger<br />

Betreuungsangebote sowie für Modellvorhaben ist aufgestockt worden. Nun mehr beträgt die<br />

För<strong>der</strong>höchstsummen EUR 25 Millionen pro Kalen<strong>der</strong>jahr (§ 45c SGB XI). Zusammen mit dem Zuschuss<br />

des Landes o<strong>der</strong> von Gebietskörperschaften stehen maximal 50 Millionen EUR pro Kalen<strong>der</strong>jahr zur<br />

Verfügung. Aber: Erhalten geblieben ist die Bestimmung, nach <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen <strong>und</strong> Land bzw.<br />

Gebietskörperschaften die För<strong>der</strong>summe im Verhältnis 1:1 erbringen müssen, was in einzelnen Fällen bei<br />

mangelndem Engagement des Landes zu Kürzungen auch <strong>der</strong> Finanzmittel nach § 45c SGB XI führte<br />

(z. B. Thüringen) . Die För<strong>der</strong>mittel können nach § 45d SGB XI neuerdings auch zum Auf- <strong>und</strong> Ausbau<br />

entsprechend tätiger Gruppen Ehrenamtlicher <strong>und</strong> Selbsthilfegruppen/-organisationen eingesetzt werden.<br />

Ambulante <strong>Pflege</strong>dienste haben sich in <strong>der</strong> Vergangenheit vornehmlich auf leicht refinanzierbare<br />

Leistungen nach SGB XI <strong>und</strong> SGB V konzentriert. Niedrigschwellige Angebote sind weniger hoch reguliert,<br />

son<strong>der</strong>n mit Blick auf Inhalte <strong>der</strong> Intervention <strong>und</strong> Preisbildung offener. Träger, die sich in diesem<br />

Leistungsspektrum zukünftig betätigen wollen, sollten folgende Überlegungen in ihre Konzeptarbeit<br />

einbeziehen: Mit Blick auf <strong>das</strong> Setting ist abzuwägen, ob solche Dienste mit Erfolg eher solitär o<strong>der</strong> besser<br />

in Kooperation initiiert werden. Bedingt durch den Umstand, <strong>das</strong>s die Leistungen v.a. nach § 45c<br />

SGB XI einen Mix spezialisierter Fachlichkeit mit Bürgerengagement erfor<strong>der</strong>n, liegt es durchaus nahe,<br />

Vernetzungen mit z. B. Angeboten <strong>der</strong> offenen Altenhilfe anzustreben. Man benötigt in jedem Fall den<br />

ambulanten <strong>Pflege</strong>dienst aus Gründen <strong>der</strong> Akquisition <strong>und</strong> Nachfragestimulierung. Die <strong>Pflege</strong>beratung im<br />

36<br />

37<br />

Der MDS geht davon aus, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> erhöhte Betreuungsbetrag in Folge einer Gewichtung <strong>der</strong><br />

Kriterien, die im eingeführten Assessment demenzspezifische Formen eingeschränkter<br />

Alltagskompetenz darstellen, v.a. Menschen mit Demenz zu Gute kommt <strong>und</strong> etwa 50 % <strong>der</strong><br />

Erkrankten die zweite Stufe erreichen (vg. Care konkret 24/2008, S. 11).<br />

Seit dem 10. Juni 2008 liegt die überarbeitete „Richtlinie zur Feststellung von Personen mit erheblich<br />

eingeschränkter Alltagskompetenz <strong>und</strong> zur Bewertung des Hilfebedarfs“ vor. Das bisherige<br />

Assessment mit 13 Items gilt unverän<strong>der</strong>t. Um den erhöhten Betrag zu beziehen muss – neben zwei<br />

mit „Ja“ beantworteten Items – zusätzlich ein „Ja“ in bestimmten Bereichen (<strong>das</strong> sind 1-5, 9 o<strong>der</strong> 11)<br />

angegeben worden sein.<br />

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<strong>Ambulantisierung</strong> <strong>und</strong> PflWG / 3.4 Leistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz /<br />

Falle von <strong>Pflege</strong>geldbezug (§ 37 SGB XI) eröffnet die Möglichkeit, im <strong>Pflege</strong>haushalt <strong>und</strong> bei dort subjektiv<br />

wahrgenommener, hoher Belastung „passgenau“ <strong>das</strong> stressreduzierende Angebot zu kommunizieren.<br />

Bedingung ist, <strong>das</strong>s <strong>Pflege</strong>beratung fachlich <strong>der</strong> Person-Umwelt-Relation – <strong>und</strong> nicht allein<br />

Verrichtungsdefizite – Aufmerksamkeit schenkt. Niedrigschwellige Angebote haben bürgerschaftliches<br />

Engagement zur Gr<strong>und</strong>lage, <strong>das</strong> durch spezifisch qualifizierte Fachlichkeit begleitet wird. Damit werden<br />

zwei durchaus divergierende Logiken sozial unterstützen<strong>der</strong> Hilfen zusammengeb<strong>und</strong>en: <strong>das</strong> Haupt- <strong>und</strong><br />

<strong>das</strong> Ehrenamt. Ambulante <strong>Pflege</strong>dienste sind in vielen Fällen ausschließlich geprägt durch<br />

<strong>Pflege</strong>fachlichkeit <strong>und</strong> Tätigsein gegen Entgelt. Beide Charakteristika sind mit Blick auf <strong>das</strong> beson<strong>der</strong>e<br />

Anliegen einer zielgerichteten Verschränkung mit bürgerschaftlichem Potential zu ergänzen durch die<br />

spezielle Kompetenz bei <strong>der</strong> Gewinnung, Begleitung <strong>und</strong> Anerkennung sozial engagierter Personen sowie<br />

bei <strong>der</strong> Arbeit in hybriden Strukturen, in <strong>der</strong> divergierende Organisationslogiken verquickt sind.<br />

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Fazit /<br />

4 Fazit<br />

Mit dem PflWG gibt <strong>der</strong> Gesetzgeber Anstöße in Richtung <strong>Ambulantisierung</strong>. Nicht im Sinne eine<br />

umfassenden Strategie, wie dargelegt, wohl aber im Hinblick auf größere Flexibilisierung <strong>der</strong><br />

Versorgungsstruktur <strong>und</strong> gezielte Ausweitungen von Leistungen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>kassen. Gefor<strong>der</strong>t sind nun<br />

Leistungsträger <strong>und</strong> Leistungserbringer, die Spielräume in <strong>der</strong> Versorgungspraxis aufzugreifen <strong>und</strong> zu<br />

nutzen.<br />

Marktentwicklungen in <strong>der</strong> vollstationären <strong>Pflege</strong> werden allgemein beeinflusst durch <strong>das</strong> Volumen <strong>der</strong><br />

Nachfrage nach <strong>Pflege</strong>dienstleistungen. Dass dieses steigen wird, steht außer Zweifel. Unklar ist aber,<br />

wie eingangs gezeigt, <strong>der</strong> Umfang des Zugewinns. Denn: Die Verteilung <strong>der</strong> Nachfrage auf<br />

unterschiedliche <strong>Pflege</strong>orte <strong>und</strong> <strong>Pflege</strong>arrangements ist durch ambulante Leistungserbringer<br />

beeinflussbar – vor allem dann, wenn dies durch den Gesetzgeber flankiert wird. Anzunehmen ist, <strong>das</strong>s<br />

angesichts <strong>der</strong> Haushalts- <strong>und</strong> Familienstrukturentwicklung häufiger Verdichtungen von Dienstleistungen<br />

<strong>und</strong> Konstanz mittels abgestimmter, gemanagter Leistungserbringung erfor<strong>der</strong>lich werden, die mit Blick<br />

auf Bedarf <strong>und</strong> Versorgungspräferenzen zudem individuell abgestimmt sind. Solche Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

können fachlich nicht nur vollstationär bewältigt werden, son<strong>der</strong>n auch in dem Heim vorgelagerten<br />

Settings – von <strong>der</strong> privaten Häuslichkeit bis hin zu eingeführten Angeboten im Spektrum neuer<br />

Wohnformen. Entscheidend wird sein, ob sich Leistungserbringer demnächst verstärkt in solchen Fel<strong>der</strong>n<br />

engagieren. Die <strong>der</strong>zeitige ambulante Struktur weist hier auf Gr<strong>und</strong> ihrer Kleinteiligkeit <strong>und</strong> ökonomischen<br />

Fragilität Grenzen auf. Es bleibt abzuwarten, ob zukünftig finanziell stabilere <strong>und</strong> innovationsfähige Träger<br />

verstärkt <strong>Ambulantisierung</strong>sstrategien im Zuge <strong>der</strong> weiteren Profilierung ihrer Dienstleistungen aufgreifen<br />

<strong>und</strong> somit auch die dargestellten Spielräume nutzen, die <strong>der</strong> Gesetzgeber im PflWG nun zu öffnen bereit<br />

war.<br />

In <strong>der</strong> jüngeren Vergangenheit gab es zahlreiche Mahnungen aus Expertensicht, die ambulante<br />

Versorgung zu stärken 41 – verb<strong>und</strong>en auch mit Auffor<strong>der</strong>ungen an die Praxis, ihrerseits gewünschte o<strong>der</strong><br />

bedarfsnotwendige Dienstleistungen vorzuhalten o<strong>der</strong> mit Hilfe von Vertragspartnern zu organisieren <strong>und</strong><br />

zu managen. Also: Einen Prozess <strong>der</strong> Diversifizierung einzuleiten. Hierzu existieren bis dato keine<br />

empirischen Studien. Mittels Literaturrecherche (Zeitraum: 2002 bis Mitte 2006) über neue Angebote in<br />

<strong>der</strong> häuslichen Versorgung konnten in <strong>der</strong> Literaturdatenbank GeroLit des Deutschen Zentrums für<br />

Altersfragen 77 relevante Dokumente identifiziert werden, in denen über die Generierung neuer<br />

Dienstleistungen aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Versorgungspraxis berichtet wird. 42 Diese Dokumente lassen<br />

sich folgen<strong>der</strong>maßen gruppieren:<br />

• Dienstleistungen im Um- <strong>und</strong> Vorfeld <strong>der</strong> Langzeitpflege: 23 Dokumente <strong>und</strong><br />

• Marktentwicklungen in <strong>der</strong> Langzeitpflege: 54 Dokumente.<br />

Das Spektrum <strong>der</strong> entwickelten „Produkte im Um- <strong>und</strong> Vorfeld von <strong>Pflege</strong>“ ist eher klar konturiert <strong>und</strong> zielt<br />

insbeson<strong>der</strong>e auf Alleinstehende. Produkte sind <strong>das</strong> Betreute Wohnen zu Hause auf <strong>der</strong> Basis<br />

haushaltsbezogener Dienstleistungen sowie die K<strong>und</strong>en- <strong>und</strong> die Guthabenkarte mit je unterschiedlichem,<br />

gleichwohl fokussiertem Leistungsspektrum. Unter „Marktentwicklungen in <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>“ sind hingegen eher<br />

heterogene Initiativen zu subsumieren. U. a. fallen hierunter die Bildung von Netzwerken zur Vermittlung<br />

41<br />

42<br />

So z. B. die Beiträge zu dem Rea<strong>der</strong> Hasseler, M. / Meyer, M. (Hrsg.): Ambulante <strong>Pflege</strong>: Neue Wege<br />

<strong>und</strong> Konzepte für die Zukunft, Hannover 2004.<br />

Im Detail vgl. Schmidt, R.: Neue Dienstleistungen in <strong>der</strong> ambulanten <strong>Pflege</strong> – ein Studienprojekt, in:<br />

Theorie <strong>und</strong> Praxis <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, 1/2007, S. 21-29.<br />

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Fazit /<br />

<strong>und</strong> Organisation von Dienstleistungen „aus einer Hand“, die 24-St<strong>und</strong>en-Betreuung, die sich an Menschen<br />

richtet, die nicht im Heim versorgt werden wollen, o<strong>der</strong> auch <strong>das</strong> <strong>Pflege</strong>hotel zur Versorgung von<br />

pflegebedürftigen Patienten bei bestimmter Indikation durch Hausarzt <strong>und</strong> <strong>Pflege</strong>dienst in angemieteten<br />

Räumen einer Kurzzeitpflegeeinrichtung mit dem Ziel, Krankenhausbehandlung zu vermeiden.<br />

Man kann gewiss von dem Schrifttum nicht auf Feldentwicklungen insgesamt Rückschlüsse ziehen.<br />

Deutlich wird aber, <strong>das</strong>s bereits vor Inkrafttreten des PflWG Leistungserbringer initiativ wurden, um die<br />

klassische Angebotspalette in <strong>der</strong> häuslichen <strong>Pflege</strong> (Leistungskomplexe) zu arrondieren. Ob solche<br />

Initiativen unter Nutzung <strong>der</strong> skizzierten rechtlichen Spielräume zukünftig mehr Breitenwirkung entfalten,<br />

bleibt abzuwarten.<br />

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Literatur /<br />

Literatur<br />

Deutscher B<strong>und</strong>estag (Hrsg.): Zweiter Zwischenbericht <strong>der</strong> Enquete-Kommission „Demographischer<br />

Wandel“, Bonn 1998.<br />

Deutscher B<strong>und</strong>estag. Referat Öffentlichkeitsarbeit (Hrsg.): Enquete-Kommission Demographischer<br />

Wandel. Herausfor<strong>der</strong>ungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen <strong>und</strong> die Politik,<br />

Berlin 2002.<br />

Gutzmann, H. / Zank, S.: Demenzielle Erkrankungen. Medizinische <strong>und</strong> psychosoziale Interventionen,<br />

Stuttgart 2005.<br />

Hasseler, M. / Meyer, M. (Hrsg.): Ambulante <strong>Pflege</strong>: Neue Wege <strong>und</strong> Konzepte für die Zukunft,<br />

Hannover 2004.<br />

Hoff, A.: Intergenerationale Familienbeziehungen im Wandel, in: Tesch-Römer, C. / Engstler, H. /<br />

Wurm, S. (Hrsg.): Altwerden in Deutschland. Sozialer Wandel <strong>und</strong> individuelle Entwicklung in <strong>der</strong><br />

zweiten Lebenshälfte (S. 231-287), Wiesbaden 2004.<br />

Linke, B.: Das neue <strong>Pflege</strong>zeitgesetz, in: Linke, B. / Linke, T.: Die Reform <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung <strong>und</strong><br />

die neue <strong>Pflege</strong>zeit (S. 81-116), Freiburg/Berlin/München 2008.<br />

Pawletko, K.-W.: Der Teufel steckt – wie immer – im Detail. Ambulant betreute Wohngemeinschaften<br />

in den neuen Heimgesetzen (Teil 1), in: Care konkret, 20/2008, S. 9.<br />

Sauer, P.: Fünf Jahre niedrigschwellige Angebote – eine sozialpolitische Bewertung, in: Sauer, P. /<br />

Wissmann, P. (Hrsg.): Niedrigschwellige Hilfen für Familien mit Demenz (S. 199), Frankfurt a. M. 2007.<br />

Schmidt, R.: Neue Dienstleistungen in <strong>der</strong> ambulanten <strong>Pflege</strong> – ein Studienprojekt, in: Theorie <strong>und</strong><br />

Praxis <strong>der</strong> Sozialen Arbeit, 1/2007, S. 21-29.<br />

Schnabel, R.: Zukunft <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>. Universität Duisburg-Essen <strong>und</strong> ZEW, o.O. 2. Mai 2007 (Ms.).<br />

Schnei<strong>der</strong>, K.: Modellprojekt: Gemeinsam sein. Evaluation <strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit, Münster 2008 (Ms.).<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt: Die Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 11. koordinierte<br />

Bevölkerungsvorausberechnung. Bevölkerung Deutschlands bis 2050, Wiesbaden 2006.<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt: <strong>Pflege</strong>statistik 2005. <strong>Pflege</strong> im Rahmen <strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>versicherung.<br />

Deutschlan<strong>der</strong>gebnisse, Wiesbaden 2007.<br />

Stoppe, G. / Pirl, O. / Haupt, M.: Therapie <strong>der</strong> Alzheimer-Demenz mit <strong>der</strong> besten verfügbaren Evidenz –<br />

eine Utopie?, in: Das Ges<strong>und</strong>heitswesen, 1/2005, S. 20-26.<br />

Wasem, J. / Ballast, T.: Auf dem Hauptstadtkongress 2008, Berlin, in: Care konkret, 24/2008, S. 1 f.<br />

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Literatur /<br />

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<strong>der</strong> <strong>Pflege</strong>bedürftigkeit in Deutschland sinkt, in: Demographische Forschung, 1/2005, S. 1-2.<br />

Ziegler, U. / Doblhammer, G.: Reductions in the Indicence of Care Need in West and East Germany<br />

between 1991 <strong>und</strong> 2003: Compression-of-Morbidity or Policy Effect?, Rostock 2005.<br />

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Internetquellen /<br />

Internetquellen<br />

www.b<strong>und</strong>estag.de,<br />

Suchbegriff „Gutachten 2005: Koordination <strong>und</strong> Qualität im Ges<strong>und</strong>heitswesen“, (Abgerufen:<br />

06.02.2007).<br />

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