sPositive_06_web
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AUSGABE 6 JUNI 2018<br />
Herz‐<br />
Mensch<br />
Kevin Schläpfer<br />
Ein Kult-Coach am<br />
Wendepunkt.<br />
WIRRWARR<br />
Warum Unordnung<br />
durchaus wirksam<br />
sein kann.<br />
WOHNSTÄTTE<br />
Das Stöckli: ein Teil<br />
der ländlichen Kultur<br />
im Oberaargau.<br />
WESENSZUG<br />
Der Geissbock wird<br />
oft missverstanden –<br />
und daher gemieden.
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Tel. <strong>06</strong>2 919 01 08 I Fax <strong>06</strong>2 919 01 09
EDITORIAL / INHALT<br />
Liebe Leserin,<br />
lieber Leser<br />
Es ist selten der Fall, dass man eine Persönlichkeit<br />
in völlig unterschiedlichen<br />
Lebenssituationen im Gespräch hat. 2016<br />
war Kevin Schläpfer noch der Shootingstar<br />
unter den Trainern im Schweizer Eishockey.<br />
Er coachte den Underdog EHC<br />
Biel drei Mal völlig überraschend in die<br />
Playoffs, war deswegen völlig zurecht die<br />
erste Wahl, als ein neuer Nationalcoach<br />
gesucht wurde. Doch es kam anders. Zwei<br />
Jahre später ist Kevin Schläpfer ohne Job.<br />
Es wird für ihn wohl nicht einfach, wieder<br />
eine neue Aufgabe im Eishockey zu finden.<br />
Es scheint, als ob diejenigen, die<br />
auch in Zeiten seines Erfolges an ihm<br />
zweifelten, recht behalten würden.<br />
Schläpfer ist nach seiner Freistellung<br />
beim EHC Biel in Kloten gescheitert. Doch<br />
in Biel kann von Scheitern keine Rede<br />
sein. Dafür war er im Seeland zu lange im<br />
Amt. Die lange Zeit in Biel spricht für ihn.<br />
Zumal die Erfolge ja wirklich bemerkenswert<br />
waren. Sein Scheitern in Kloten war<br />
jedoch vorhersehbar. Schläpfers Fehler<br />
war, dass er diese Aufgabe überhaupt angenommen<br />
hat. Offenbar brannte er so<br />
sehr auf eine neue Aufgabe, dass er die<br />
Gefahr völlig verdrängte. Hinterher ist<br />
man oftmals schlauer. Kevin Schläpfer<br />
stand uns in Zeiten des grossen Erfolgs<br />
Rede und Antwort. Er tut es auch in dieser<br />
Ausgabe. Wir finden, dies verdient<br />
grossen Respekt.<br />
Viel Spass beim Lesen<br />
Ihr Bruno Wüthrich<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: s’Positive AG,<br />
St. Urbanstrasse 31, 4914 Roggwil<br />
Tel. <strong>06</strong>2 929 24 25<br />
info@spositive.ch<br />
Redaktion: Bruno Wüthrich,<br />
Klaus Zaugg<br />
Geschäftsleitung:<br />
Sebastian Wüthrich<br />
Layout: tnt-graphics AG,<br />
www.tnt-graphics.ch<br />
Auflage: 75 000 Exemplare<br />
Erscheinung: monatlich<br />
Druck: Swissprinters AG,<br />
4800 Zofingen<br />
Versand: Die Post<br />
22<br />
4 SCHICKSALSWENDE<br />
Einst gefeierter Trainer<br />
des EHC Biel, wurde Kevin<br />
Schläpfer beim EHC Kloten<br />
entlassen. Im Interview<br />
spricht er über die Gründe<br />
seines Scheiterns.<br />
12 PRODUKTIVES CHAOS<br />
Ein aufgeräumter Arbeitsplatz<br />
mag nützlich sein.<br />
Chaoten kommen aber oftmals<br />
schneller zum Ziel als<br />
Ordnungsfanatiker.<br />
22 ALTERSSITZ<br />
Weshalb das Stöckli nicht<br />
bloss ein Bauernidyll,<br />
sondern die Antwort auf<br />
wirtschaftliche und soziale<br />
Herausforderungen war.<br />
32<br />
00 12<br />
34<br />
32 WUSSTEN SIE SCHON<br />
Über schnelle Regentropfen,<br />
das erste Umweltgesetz<br />
und stromfressende<br />
E-Mails.<br />
34 TRAURIGES DASEIN<br />
Übelriechend, verfressen,<br />
Symbol des Teufels: Der<br />
Geissbock geniesst keinen<br />
guten Ruf – zu Unrecht.<br />
38 DIE SEITE DER LESER<br />
Leserbriefe und Veranstaltungen.<br />
4<br />
s’Positive 6 / 2018 3
KEVIN SCHLÄPFER<br />
VOM<br />
HOCKEYGOTT<br />
ZUM MENSCHEN<br />
Auf sein Herz gehört, zu ungeduldig, zu naiv,<br />
gescheitert – so lässt sich der Niedergang von<br />
«Hockeygott» Kevin Schläpfer, der in der Entlassung<br />
beim EHC Kloten gipfelte, umschreiben. Im Gespräch<br />
erfahren wir, warum es so gekommen ist.<br />
TEXT: KLAUS ZAUGG; BILDER: MARCEL BIERI<br />
Kloten ist nicht Biel: Die zwei Einsätze als<br />
Nottrainer beim EHC Biel, die jeweils mit<br />
dem Liga erhalt in der NLA endeten, begründete<br />
Kevin Schläpfers Ruf als «Hockeygott».<br />
Beim EHC Kloten wurde er jedoch als Coach ersetzt,<br />
noch bevor die alles entscheidende Serie um den<br />
Liga erhalt überhaupt begann. Für Schläpfer bedeutet<br />
dies ein empfindlicher Dämpfer im Palmares, für<br />
den EHC Kloten endete die Saison trotzdem mit dem<br />
Abstieg in die NLB. Kevin Schläpfer empfängt uns<br />
bereits zum dritten Mal zum grossen Interview. Beim<br />
ersten Mal befand er sich auf dem Höhepunkt seiner<br />
Trainerkarriere, beim zweiten Mal am Wendepunkt<br />
und jetzt auf einem Tiefpunkt. Es spricht für den<br />
Menschen Kevin Schläpfer, dass er sich auch jetzt<br />
unseren Fragen stellt.<br />
s’Positive: Vor zwei Jahren war das Thema unseres<br />
Interviews Ihr grosser Erfolg. Sie waren der<br />
wohl charismatischste Hockeytrainer im Land.<br />
Jetzt unterhalten wir uns über Scheitern und Arbeitslosigkeit.<br />
Ist diese Wende des Schicksals unerwartet<br />
gekommen?<br />
Kevin Schläpfer: Erwartet nicht. Es wäre ja schlecht,<br />
im Sport den Misserfolg zu erwarten. Aber ich musste<br />
immer damit rechnen. Scheitern gehört zu einer Karriere<br />
im Sport. Jeder weiss, dass es im Sport nicht<br />
immer läuft. Eine Formschwäche gehört dazu.<br />
Bei Ihnen ist es extremer. Die Formschwäche hat<br />
zur Entlassung und zu Arbeitslosigkeit geführt.<br />
Das bringt die Besonderheit des Trainerberufes mit<br />
sich.<br />
Wie gehen Sie mit der Situation um?<br />
Wichtig ist die Analyse, die selbstkritische Aufarbeitung.<br />
Ich muss wissen, warum es so gekommen ist<br />
und die Fehler auch bei mir suchen. In meinem Fall<br />
gilt es auch, die besonderen Umstände zu berücksichtigen.<br />
Hat man dann eine Antwort, ist die Verarbeitung<br />
einfacher.<br />
Haben Sie diese Antwort gefunden?<br />
Ja, ich denke schon. Biel und Kloten sind zwei verschiedene<br />
Fälle. Gut, am Ende habe ich in Biel meine<br />
Arbeit vor Ablauf meines Vertrags beendet. Eine Entlassung<br />
wie in Kloten war es nicht. Ich hatte einfach<br />
keine Energie mehr und liess es meinen Sportchef<br />
Kevin Schläpfer<br />
48, führte den EHC Biel dreimal in die Playoffs und<br />
galt deshalb als Kult-Coach. Beim EHC Kloten erhielt<br />
seine Trainerkarriere aber einen Dämpfer.<br />
4 s’Positive 6 / 2018
s’Positive 6 / 2018 5
KEVIN SCHLÄPFER<br />
Schläpfer führte<br />
den EHC Biel zurück<br />
in die NLA.<br />
20<strong>06</strong> beendete<br />
Schläpfer seine<br />
Spielerlaufbahn.<br />
SPIELER IN DER<br />
NLA UND NLB<br />
Zwischen 1986 und<br />
2008 212 Spiele (21 Tore,<br />
38 Assists) in der<br />
NLA für Lugano, Zug,<br />
Olten und Lausanne.<br />
598 Spiele (173 Tore,<br />
365 Assists) in der NLB<br />
für Basel, Olten, Langnau,<br />
Chur, Biel und Langenthal.<br />
Kevin Schläpfers<br />
grösster Erfolg als<br />
Spieler war zweifellos<br />
der Titel des NLA-<br />
Schweizermeisters in<br />
der Saison 1989/90 mit<br />
dem HC Lugano. Bemerkenswert<br />
sind aber auch<br />
die drei Aufstiege in die<br />
NLA mit Olten (1993),<br />
Langnau (1998) und<br />
Chur (2000).<br />
SPORTCHEF UND TRAI-<br />
NER BEIM EHC BIEL<br />
Von 20<strong>06</strong> bis 2010<br />
Sportchef in Biel, als<br />
solcher führte er den<br />
Klub zurück in die NLA<br />
(2008, sein vierter Aufstieg).<br />
Zweimal rettete<br />
er als Nottrainer den<br />
EHCB in der Liga-Qualifikation<br />
vor dem Wiederabstieg,<br />
bevor er im<br />
Sommer 2010 in Biel<br />
sein erstes reguläres<br />
Traineramt in der NLA<br />
antrat. Drei Mal führte<br />
er den Klub in der Folge<br />
in die Playoffs, bevor er<br />
am 14. November 2016<br />
in seinem siebten Jahr<br />
aus dem noch bis 2019<br />
laufenden Vertrag entlassen<br />
wurde.<br />
wissen und daraufhin bin ich dann freigestellt<br />
worden. Es war einfach das Ende<br />
einer erfolgreichen Zeit. Inzwischen ist<br />
mir klar, dass es ein grosser Fehler war,<br />
die Arbeit wieder auf zunehmen, bevor<br />
ich wieder gesund war und mit Krücken<br />
an die Bande zu stehen (Kevin Schläpfer<br />
erlitt im Sommer 2015 eine schwere Infektion<br />
des Knies – die Red.)<br />
War es Selbstüberschätzung, so früh<br />
zurückzukehren?<br />
Nein, es war natürlicher Ehrgeiz. Wir waren<br />
bis dahin ja erfolgreich. Wenn es<br />
läuft, sagt niemand etwas. Am Anfang hat<br />
man noch gelacht, als ich während des<br />
Spiels auf einem Spezialstuhl an der Bande<br />
stand und ich machte selber Sprüche.<br />
Es war ein Fehler, aber hinterher ist man<br />
ja immer klüger.<br />
Eben doch Selbstüberschätzung: Sie<br />
glauben, dass es alles leiden mag.<br />
Nein, es war nicht Selbstüberschätzung.<br />
Es war der Gedanke: Ich muss das jetzt<br />
machen. Ich muss wieder zurück an meine<br />
Arbeit. Alle erwarteten das von mir<br />
und ich sah keinen Grund, warum es<br />
nicht möglich sein sollte. Niemand sagte:<br />
«Kevin, das wird nicht funktionieren, ich<br />
habe noch nie einen Trainer an Krücken<br />
gesehen.» Ich wollte einfach einen guten<br />
Job machen. Ich merkte erst nach und<br />
nach, dass ich nicht mehr die gleiche<br />
ZUSATZINFOS<br />
Die Karriere des Kevin Schläpfer<br />
TRAINER BEIM<br />
EHC KLOTEN<br />
Ab 24. Oktober 2017<br />
stieg Schläpfer als<br />
Headcoach beim stark<br />
kriselnden EHC Kloten<br />
ein, den er in der Folge<br />
aber nicht zu stabilisieren<br />
vermochte. Am 6.<br />
April 2018 wurde<br />
Schläpfer nach den verlorenen<br />
Playouts gegen<br />
Ambri aus dem noch bis<br />
2020 laufenden Vertrag<br />
in Kloten freigestellt<br />
und durch André Rötheli<br />
ersetzt. Durch den Abstieg<br />
von Kloten ist der<br />
bis 2020 laufende Vertrag<br />
nichtig geworden.<br />
Deshalb ist Kevin<br />
Schläpfer zur Zeit arbeitslos.<br />
Energie und Ausstrahlung hatte wie vorher,<br />
als ich noch gesund war. Meine Spieler<br />
kannten mich und es war ein riesiger<br />
Unterschied, ob ich forsch in die Kabine<br />
kam und explodierte oder ob mir jemand<br />
die Türe aufhalten muss, damit ich in die<br />
Kabine humpeln konnte.<br />
Aber letzte Saison – in Kloten – da waren<br />
Sie fit?<br />
Ja, ich war fit und es war für mich ein<br />
Abenteuer. Erstmals war ich an einem anderen<br />
Ort als in Biel Trainer.<br />
Und wie sieht die Analyse nach diesem<br />
Abenteuer aus?<br />
Es war ein Fehler, dass ich alleine nach<br />
Kloten gegangen bin und nicht einen Assistenten<br />
mitgenommen habe.<br />
Verzeihen Sie den Ausdruck – aber es<br />
ist Anfängerfehler, alleine einen Krisenklub<br />
zu übernehmen. Hans Kossmann<br />
hat beispielsweise diese Saison<br />
seinen Freund Leo Schumacher zu den<br />
ZSC Lions mitgenommen.<br />
Wenn Sie es so sagen, ja, dann war es ein<br />
Anfängerfehler. Es war das erste Mal, dass<br />
ich ausserhalb von Biel einen Trainerjob<br />
übernommen habe. Ein Fehler beim ersten<br />
Mal – ja, das ist ein Anfängerfehler.<br />
Haben Sie Ihre Wirkung überschätzt,<br />
als Sie während der Saison in Kloten<br />
eingestiegen sind?<br />
Nein, das glaube ich nicht. Ich wusste,<br />
dass es sehr schwierig würde und allen<br />
war von Anfang an klar, dass wir zu 95<br />
Prozent nicht um die Playouts herumkommen.<br />
Aber die Niederlage in den Playouts<br />
und den Sturz in die Liga-Qualifikation<br />
hatte niemand erwartet.<br />
Wir haben auch dieses Szenario besprochen<br />
und ich habe gesagt, dass es in<br />
einem solchen Falle darum geht, Ruhe zu<br />
bewahren.<br />
6 s’Positive 6 / 2018
Was nicht der Fall war. Sie sind entlassen<br />
worden.<br />
Diese Entlassung kam für mich überraschend.<br />
Ich ging davon aus, dass ich die<br />
Liga-Qualifikation mindestens beginnen<br />
würde.<br />
Hätten Sie Kloten in der Liga-Qualifikation<br />
gerettet?<br />
Ja sicher, ich hätte es geschafft.<br />
Hoppla, was macht Sie da so sicher?<br />
Das muss ich doch so sagen. Sie kennen<br />
mich doch.<br />
Und jetzt ganz ernsthaft?<br />
Ja, ich hätte es geschafft.<br />
Warum?<br />
Die Liga-Qualifikation bringt ganz anderes<br />
Hockey und ich kenne das aus eigener<br />
Erfahrung. Deshalb hätte ich einen Vorteil<br />
gehabt und wahrscheinlich bereits<br />
eine der ersten beiden Partien gewonnen.<br />
Heisst Ihr Scheitern in Kloten, dass Kevin<br />
Schläpfer ausserhalb von Biel nicht<br />
funktioniert?<br />
Ja natürlich, diese Frage musste kommen.<br />
Sie wird jedem Trainer gestellt, der<br />
länger als zehn Jahre beim gleichen Klub<br />
tätig war. Dabei müssten Sie mir doch ein<br />
Kompliment machen, dass ich so viele<br />
Jahre lang in Biel als Sportchef und dann<br />
als Trainer erfolgreich war.<br />
Das Scheitern hat Sie also überrascht?<br />
Nein. Ich wusste sehr wohl, wie schwierig<br />
es werden würde. Beim ersten Meeting<br />
habe ich die Verantwortlichen darauf aufmerksam<br />
gemacht, dass der Trainerwechsel<br />
zu früh sei. Und so war es auch. Kaum<br />
war ich Trainer, kamen die schlechten<br />
Nachrichten über Spieler, die bereits vorzeitig<br />
bei anderen Klubs unterschrieben<br />
hatten. Dabei hatte man mir bei meinem<br />
«Alle erwarteten von<br />
mir, dass ich zurückkehre<br />
– ich sah keinen<br />
Grund, warum es nicht<br />
möglich sein sollte.»<br />
Amtsantritt versichert, dass Denis Hollenstein<br />
ganz sicher nicht zu den ZSC Lions<br />
wechseln werde.<br />
Sie sind also in Kloten zu früh eingestiegen?<br />
Ja, so ist es. Ich wollte helfen und bin gegen<br />
mein besseres Wissen zu früh Trainer<br />
geworden. Das war ein Fehler.<br />
Das tönt nach Naivität. Sie wussten,<br />
dass es ein Fehler ist und taten es doch.<br />
Ja, vielleicht war es Naivität.<br />
Sind Sie zu naiv für Trainerberuf?<br />
Nein. Eher zu wenig erfahren. Ich bin in<br />
Biel zum ersten Mal überhaupt entlassen<br />
worden. Diese Situation war neu für mich.<br />
Und dann kommt jemand und bietet Dir<br />
einen neuen Job an. In dieser Situation<br />
wäre es arrogant gewesen, hätte ich das<br />
Angebot abgelehnt. Kloten ist ein grosser<br />
Name im Eishockey. Da konnte mein Hockeyherz<br />
einfach nicht nein sagen.<br />
Sie könnten der Held der Hockey-Nation<br />
sein. Als sie noch Trainer in Biel waren,<br />
hat Ihnen der Verband den Posten<br />
eines Nationaltrainers angeboten.<br />
Als Stürmer des<br />
HC Lugano<br />
wurde Schläpfer<br />
1990 Schweizer<br />
Meister.<br />
s’Positive 6 / 2018 7
KEVIN SCHLÄPFER<br />
Daran denke ich nicht mehr. In dieser Sache<br />
bin ich mit mir im Reinen. Ich folgte<br />
der Stimme meines Gewissens. Ich konnte<br />
damals in Biel nicht davonlaufen. Mehr<br />
gibt es dazu nicht mehr zu sagen. Wichtig<br />
ist für mich, dass ich mit allen damals Beteiligten<br />
ein gutes Verhältnis habe. Alle<br />
können den Entscheid nachvollziehen.<br />
Jetzt mal Hand aufs Herz. Ich höre Ihre<br />
Worte wohl. Aber mir fehlt der Glaube.<br />
Was denken Sie denn?<br />
Dass diese ganze Sache Sie nach wie<br />
vor beschäftigt. Gerade wenn Sie nun<br />
sehen, dass Sie mit der Nationalmannschaft<br />
das Finale auch erreicht hätten.<br />
Nein, so ist es nicht. Die Nationalmannschaft<br />
ist nur noch ein Thema, weil ich<br />
nach wie vor ständig darauf angesprochen<br />
werde. Wie jetzt gerade von Ihnen.<br />
Waren Sie bei der WM in Kopenhagen<br />
vor Ort?<br />
Ja, ich war mit meiner Familie dort und<br />
wir haben alle mitgefiebert. Ich kenne ja<br />
Fischi (Nationaltrainer Patrick Fischer –<br />
die Red.) seit Jahren gut und ich wünsche<br />
wirklich niemandem im Sport den Misserfolg.<br />
Sie haben vorhin mehrmals das<br />
Wort «überschätzen» gebraucht. Hier ist<br />
es angebracht: Sie überschätzen die Bedeutung<br />
der ganzen Geschichte mit der<br />
Nationalmannschaft für mich.<br />
Aber es war der Fehlentscheid ihres<br />
Lebens?<br />
Wenn mich das jemand so direkt fragt wie<br />
Sie jetzt, dann werde ich nachdenklich.<br />
Ich bin ein Mensch, der mit dem Herz entscheidet<br />
und nicht mit dem Verstand. Der<br />
Kopf sagte, warte noch mit dem Wechsel<br />
nach Kloten. Aber das Herz sagte, mach es<br />
sofort, du musst helfen. Der Kopf sagte,<br />
«Ich möchte wenn<br />
immer möglich im Eishockey<br />
bleiben: Ich<br />
möchte wieder Trainer<br />
in der NLA sein.»<br />
das Angebot Nationaltrainer musst du annehmen.<br />
Das Herz sagte: Nein, du darfst<br />
jetzt Biel nicht im Stich lassen. Inzwischen<br />
ist mir klar: Wenn du dem Herzen folgst,<br />
zieht das manchmal Misserfolg nach sich.<br />
Aber meine Seele, mein Herz bleibt rein.<br />
Wenn du mit dem Kopf entscheidest, dann<br />
hast du eher Erfolg, aber das Herz und die<br />
Seele leiden. Für meine Lebensqualität ist<br />
es besser, dem Herzen zu folgen.<br />
Befassen wir uns mit der unromantischen<br />
Wirklichkeit: Sie sind Ihrem Herzen<br />
gefolgt und arbeitslos geworden.<br />
Ja, aber ich bin zuversichtlich, dass ich<br />
wieder Arbeit im Eishockey finde und<br />
wieder, wie in Biel, eine Chance bekomme,<br />
etwas voranzubringen. Ich bin sehr<br />
motiviert und mich plagen keine Existenzängste.<br />
Wirklich nicht?<br />
Jedenfalls jetzt noch nicht. (schmunzelt)<br />
Haben Sie nach dem Scheitern in Biel<br />
und Kloten weniger Freunde?<br />
Nein. Ich bin positiv überrascht, wie viel<br />
Unterstützung ich von vielen Seiten bekomme,<br />
beispielsweise auch von den Fans<br />
während der WM in Kopenhagen. Das<br />
gibt mir Kraft und motiviert mich.<br />
Können Sie sich vorstellen, ausserhalb<br />
des Eishockeys zu arbeiten?<br />
Ich hatte schon Anfragen aus dem Kommunikationsbereich.<br />
Aber ich möchte<br />
wenn immer möglich im Eishockey bleiben.<br />
Mein Ziel ist es, wieder Trainer in der<br />
NLA zu sein.<br />
Alle Trainerposten sind besetzt. Am<br />
ehesten wird sich für Sie im Falle einer<br />
Trainerentlassung während der Saison<br />
eine Chance zum Wiedereinstieg ergeben.<br />
Würden Sie nochmals einen «Feuerwehrjob»<br />
wie in Kloten annehmen?<br />
2015 hätte<br />
Schläpfer Nationaltrainer<br />
werden<br />
können – er sagte<br />
aber ab.<br />
8 s’Positive 6 / 2018
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KEVIN SCHLÄPFER<br />
Lieber nicht. Ich würde lieber von allem<br />
Anfang an etwas aufbauen. Das ist meine<br />
Stärke, das habe ich in Biel ja bewiesen.<br />
Wie verbringt eigentlich ein arbeitsloser<br />
Trainer den Tag?<br />
Ich beschäftige mich intensiv mit Eishockey<br />
und pflege weiterhin meine Kontakte.<br />
Ich kenne ja viele Leute und nütze<br />
die Zeit zur Weiterbildung. Ich war bei<br />
der WM und ich schaue mich bei anderen<br />
Klubs um. Beispielsweise war ich in Chicago<br />
und bei der NHL und bin daran, einige<br />
Stages in Skandinavien aufzugleisen.<br />
Ich werde bei Chris McSorley und<br />
Arno Del Curto vorbeischauen. So kann<br />
ich sehr viel lernen.<br />
Lernen ist gut. Aber wird es nicht langweilig,<br />
wenn die Herausforderung, die<br />
Spannung fehlen? Nichts kann doch<br />
die Spannung eines Spiels, den Pulverdampf<br />
an der Bande, ersetzen.<br />
Ja, das ist so und das ist auch ein Grund,<br />
warum ich zu früh in Kloten zugesagt habe.<br />
Es kommt eine schlimme Zeit auf mich<br />
zu: Die Hockeysaison beginnt und ich<br />
muss in einer passiven Rolle draussen bleiben.<br />
Zum Glück habe ich eine verständnisvolle<br />
Lebenspartnerin. Aber es ist schon<br />
so: Nichtstun, wenn die Hockeysaison<br />
läuft, ist ganz und gar nicht meine Sache.<br />
Wie lange halten Sie das aus?<br />
Im Sommer herrscht erst mal Ruhe. Wenn<br />
die Vorbereitungen und dann die Saison<br />
beginnen, hoffe ich, dass mich Trainingsund<br />
Spielbesuche etwas beruhigen.<br />
Gibt es nicht Unruhe, wenn Sie im Training<br />
ober beim Spiel auftauchen?<br />
Heisst es dann nicht: Aha, der Schläpfer<br />
sucht Arbeit…<br />
Das ist tatsächlich ein Problem. Darum<br />
gehe ich nur dort zum Training oder zum<br />
Spiel, wo man mich einlädt, wo der Trainer<br />
ein guter Freund von mir ist und<br />
weiss, dass ich keine Hintergedanken habe.<br />
Ich spiele mit offenen Karten und melde<br />
mich an, wenn ich zum Training oder<br />
«Es kommt jetzt eine<br />
schlimme Zeit auf mich<br />
zu: Die Hockeysaison<br />
beginnt und ich muss<br />
draussen bleiben.»<br />
zum Spiel gehen will. Ich kann aber nicht<br />
den Stadien fernbleiben, wenn Hockey<br />
gespielt wird.<br />
Werden Sie auch als vorerst gescheiterter<br />
Trainer immer noch zu Seminaren<br />
und zu Motivationsvorträgen eingeladen?<br />
Ja, ich habe immer wieder mal Anfragen.<br />
Was erzählen Sie nun den Teilnehmern?<br />
Ich beginne mein Referat mit der Erfolgsgeschichte<br />
Biel und kommen dann auf die<br />
fünf Monate in Kloten zu sprechen. Ich<br />
erkläre die Erfolgsfaktoren in Biel und<br />
warum es in Kloten nicht funktioniert hat.<br />
Und warum hat es in Kloten nicht funktioniert?<br />
Es braucht gewisse Voraussetzungen für<br />
den Erfolg und die waren in Kloten nicht<br />
gegeben.<br />
Welche Voraussetzungen sind das?<br />
Das möchte ich intern halten.<br />
Na, kommen Sie, machen Sie aus Ihrem<br />
Herzen keine Mördergrube…<br />
Nun, es gab zu viel Unruhe. Aber die<br />
Gründe für diese Unruhe behalten wir<br />
intern.<br />
Steigt Kloten im nächsten Frühjahr<br />
wieder auf?<br />
Das ist schwierig zu sagen. Wahrscheinlich<br />
nicht gleich im nächsten Frühjahr.<br />
Aber die Mannschaft ist gut genug, um<br />
vorne mitzuspielen. Kloten hat ein ähnliches<br />
Potenzial wie Langnau und die Lakers<br />
haben nach dem Abstieg den Wiederaufstieg<br />
auch geschafft. Ich sehe<br />
keinen Grund, warum Kloten nicht auch<br />
in die NLA zurückkehren kann.<br />
Und was sagt das Herz?<br />
Ja, Kloten steigt wieder auf.<br />
Und wo sehen Sie Biel nächste Saison?<br />
Zwischen Platz zwei und fünf.<br />
Wow, so gut?<br />
Ja, wenn Jonas Hiller die Erwartungen<br />
erfüllt, ist wieder ein Spitzenplatz möglich.<br />
Und so sehen Sie Langnau und Bern?<br />
Den SCB auf Platz 3, Langnau auf Rang 9.<br />
Wenn Sie wieder einen Trainerjob haben<br />
– werden wir dann einen anderen<br />
Kevin Schläpfer sehen?<br />
Ich bin wie ich bin, ich bleibe emotional<br />
und werde auch mal explodieren. Ein<br />
paar Sachen werde ich wohl anders machen.<br />
In Kloten wollte ich Ruhe und Harmonie<br />
in die Mannschaft und ihr Umfeld<br />
bringen. Die Spieler hatten ja auch sonst<br />
schon viel zu erdulden. Hinterher ist mir<br />
bewusst geworden, dass ich viel emotionaler<br />
hätte sein müssen. Ich hätte viel<br />
mehr die Peitsche schwingen müssen.<br />
Also ist die Lehre aus der Geschichte:<br />
Kevin Schläpfer muss Kevin Schläpfer<br />
bleiben?<br />
Ja, so ist es wohl.<br />
Bis April war<br />
Schläpfer Trainer<br />
des EHC Kloten.<br />
Schläpfer glaubt<br />
nach wie vor an<br />
den ECH Kloten.<br />
10 s’Positive 6 / 2018
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Ist Ordnung<br />
wirklich immer<br />
besser?<br />
Fühlen Sie sich schuldig, wenn Ihr<br />
Schreibtisch nicht aufgeräumt ist? Müssen Sie<br />
nicht, sagen Wissenschaftler. Das Chaos ist<br />
oft produktiver.
WISSEN<br />
TEXT: BRUNO WÜTHRICH<br />
FOTOS: SHUTTERSTOCK.COM/FLEGERE/GEORGIOS KOLLIDAS<br />
Benjamin Franklin<br />
schaffte es nie, seinen<br />
Schreibtisch oder sein<br />
Tugendbuch ganz in<br />
Ordnung zu halten.<br />
Gib allen Dingen ihren Platz, räume<br />
allen Geschäftsdingen ihre<br />
Zeit ein», schrieb Benjamin<br />
Franklin in sein Notizbuch, das er<br />
sein Leben lang führte, weil er ein besserer<br />
Mensch werden wollte. Gleich 13 Tugenden<br />
wollte er anstreben – darunter<br />
Fleiss, Gerechtigkeit und Diplomatie,<br />
aber auch Gelassenheit und Mässigung.<br />
Jedes Mal, wenn er scheiterte, malte er<br />
einen schwarzen Punkt in sein Büchlein.<br />
Seine Bemühungen funktionierten. Die<br />
Punkte wurden im Verlaufe der Zeit immer<br />
weniger. Wäre da nur nicht diese eine<br />
Tugend gewesen, die nicht so recht klappen<br />
wollte. Die Ordnung.<br />
Die meisten Amerikaner haben Benjamin<br />
Franklin als einen Mann in Erinnerung,<br />
der im Sturm Drachen steigen liess.<br />
Als einen irgendwie seltsamen, exzentrischen<br />
Erfinder. Und als einen Autor volkstümlicher<br />
und geistreicher Bemerkungen.<br />
Zu seiner Zeit war er aber der wohl bekannteste<br />
der amerikanischen Gründerväter.<br />
Ein Wissenschaftler, Literat, Politiker<br />
und Diplomat. Der Sohn eines Seifensieders<br />
war fleissig, intelligent und talentiert.<br />
Er war Erfinder, Dichter, Verfasser von<br />
Druckschriften, Philosoph und ein angesehenes<br />
Mitglied von drei nationalen, wissenschaftlichen<br />
Akademien. Er war Postmeister<br />
von Philadelphia und Amerikas<br />
erster Postminister. Er gründete Philadelphias<br />
erste Polizei, die Feuerwehr und die<br />
erste Feuerversicherung, die Leihbücherei<br />
sowie die Akademie, die später die Universität<br />
von Pennsylvania werden sollte.<br />
Franklin gehörte als Delegierter der Verfassungsversammlung<br />
an, half beim Entwurf<br />
der Unabhängigkeitserklärung und<br />
gilt heute als einer der verdienstvollsten<br />
Staatsmänner Amerikas. Quasi nebenbei<br />
erfand er die Bifokalbrille und den Kaminofen,<br />
er bewies, dass Blitze eine Form der<br />
Elektrizität sind, er zähmte sie mit einem<br />
Blitzableiter und kartierte den Golfstrom.<br />
Und doch schaffte dieser grosse Mann<br />
diese eine seiner angestrebten Tugenden<br />
nicht wunschgemäss: die Ordnung. In allen<br />
anderen Tugenden wurde er ein Meister,<br />
seinen Schreibtisch oder sein Tugendbuch<br />
konnte er jedoch nie ganz in Ordnung<br />
halten, obwohl er 60 Jahre lang<br />
versuchte, sich zu bessern. Ein Besucher<br />
stellte im Hause Franklin erstaunt fest,<br />
«dass Papiere von grösster Wichtigkeit<br />
völlig achtlos über Tische und Fussböden<br />
verteilt waren».<br />
Aber war Franklins Streben nach Ordnung<br />
nicht eine Selbsttäuschung? Ordnung<br />
kann nützlich sein. Aber sie ist nicht<br />
immer eine Tugend. Der Irrtum ist weitverbreitet:<br />
Wir alle bewundern uns selbst,<br />
wenn wir mal einen aufgeräumten<br />
Schreibtisch hinterlassen, und wir fühlen<br />
uns unwohl, wenn dem nicht so ist. Der<br />
Unordnung kann ein Zauber inne wohnen.<br />
Franklins Vorsatz: «Gib allen Dingen<br />
ihren Platz» klingt logisch, vor allem weil<br />
Benjamin Franklin:<br />
Gründervater,<br />
Erfinder, Autor – und<br />
ein bisschen Chaot.<br />
Menschen ein exzellentes räumliches Gedächtnis<br />
haben. Und wir versuchen, uns<br />
Ordnerbezeichnungen auszudenken, in<br />
die wir eintreffende E-Mails einsortieren<br />
könnten. Und gleichzeitig wollen wir,<br />
dass diese Ordnungsstruktur Jahre gültig<br />
sein möge.<br />
AUS UNGENUTZT WIRD ÜBERFLÜSSIG<br />
Leider passen viele E-Mails in mehrere<br />
Kategorien. Einige markieren den Start<br />
eines Riesenprojekts, andere bedeuten<br />
einfach gar nichts – und oft erkennt man<br />
diesen Unterschied nicht in jenem Moment,<br />
in dem die E-Mail eintrifft. Wir<br />
denken uns in aller Eile irgendein Ordnungsprinzip<br />
aus und wenden es auf einen<br />
chaotischen Informationsfluss an.<br />
Einen Ansatz für den Umgang mit echtem<br />
Papier lieferte in den frühen 1990er-<br />
Jahren der japanische Autor Yukio Noguchi.<br />
Er verstaue jedes Dokument in einen<br />
Umschlag, auf dem er jeweils vermer-<br />
s’Positive 6 / 2018 13
WISSEN<br />
ke, was er enthalte. Die Umschläge stellt<br />
er in ein Regal, so dass man wie bei einem<br />
Buch auf den Inhalt schliessen kann. Benutzt<br />
er einen Umschlag, so stellt er ihn<br />
hinterher auf die linke Seite des Regals.<br />
Dies führt dazu, dass sich kürzlich benutzte<br />
Umschläge auf der linken Seite des<br />
Regals sammeln, während sich diejenigen,<br />
die nie benutzt wurden auf der rechten<br />
Seite ballen. Von Zeit zu Zeit wirft<br />
Noguchi die Dokumente rechts einfach in<br />
den Papierkorb.<br />
Auf dieselbe Weise organisieren die<br />
Computer ihre Speicherplätze: Sie benutzen<br />
«Memory Caches», die klein, aber<br />
schnell zugänglich sind. Das Management<br />
dieser Caches stellt den Rechner vor<br />
dieselbe Herausforderung wie den Menschen:<br />
Er muss entscheiden, welche Information<br />
weiter benötigt werden, und<br />
welche im Papierkorb landen. Denn<br />
«nicht benutzt» ist ein guter Indikator dafür,<br />
dass man das Dokument vielleicht gar<br />
nicht mehr braucht.<br />
«EINORDNER» UND «AUFHÄUFER»<br />
Stellen sich Ihnen bei einem derartigen<br />
Vorgehen die Haare zu Berge, könnte es<br />
sein, dass Sie eher ein «Einordner» als ein<br />
«Aufhäufer» sind. Diese Unterscheidung<br />
machte in den 1980er-Jahren Thomas<br />
Malone, ein Professor am Massachusetts<br />
Institute of Technology. Einordner-Typen<br />
wollen immer eine formelle Organisationsstruktur<br />
für ihre Papierdokumente<br />
einführen, während die Aufhäufer lieber<br />
mit kleinen oder grossen Bergen Papier<br />
auf oder neben ihrem Schreibtisch arbeiten.<br />
Und von Zeit zu Zeit auf brachiale<br />
Weise aufräumen.<br />
Die Wissenschaftler Steve Whittaker<br />
und Julia Hirschberg studierten 2001<br />
Menschen in einem echten Büroumfeld.<br />
Selbst Dokumente ohne<br />
langfristigen Wert legen<br />
die «Einordner» in ihre<br />
Aktensysteme ab wie in<br />
kompliziert gegliederte<br />
Papierkörbe.<br />
Sie fanden dabei heraus, dass die Einordner<br />
unter überladenen Archiven ächzten.<br />
Wenn immer neue Dokumente eintrafen,<br />
mussten sie eine Entscheidung treffen, wo<br />
diese einzuordnen sind: Die Papiere durften<br />
nicht auf dem Schreibtisch liegen<br />
Die Chaos-Theorie<br />
FOLGENSCHWERE ÄNDERUNGEN<br />
Der Flügelschlag eines Schmetterlings<br />
in Brasilien kann einen Tornado<br />
in Texas auslösen. Doch nicht<br />
wegen des Schneeballeffekts, der<br />
bedeutet, dass sich kleine Aktionen<br />
aufschaukeln können und somit ein<br />
Schneeball eine Lawine auslösen<br />
kann. Der Grund ist das sogenannte<br />
Chaos. Eine Regenwolke ist deterministisch.<br />
Das bedeutet, für ihre Existenz<br />
und ihr Verhalten gibt es Ursachen.<br />
Sie befindet sich an ihrem<br />
Platz, weil sie vom Wind dorthin getrieben<br />
wurde. Und das konnte sie,<br />
weil sie zuvor durch die Verdampfung<br />
von Meereswasser entstanden<br />
ist. Und für alle Schritte davor gibt<br />
es ebenfalls Ursachen.<br />
Im Umkehrschluss müsste das bedeuten,<br />
dass wir das Wetter perfekt<br />
vorhersagen können müssten,<br />
wenn wir irgendwann den aktuellen<br />
Stand genau beobachten können<br />
und somit die Ursachen für das<br />
kommende Wetter kennen. Aber so<br />
ist es nicht. Am besten verstehen<br />
wir dies, wenn wir uns einen Billardtisch<br />
ohne Löcher vorstellen.<br />
Spielt man die Kugel, stösst sie von<br />
Seite zu Seite, bis sie still steht.<br />
Schlägt man die Kugel in einem<br />
leicht anderen Winkel an, ist das<br />
Ergebnis lediglich ein bisschen<br />
anders. Doch geben wir dem Tisch<br />
statt Ecken Rundungen, machen wir<br />
das ganze zu einem chaotischen<br />
System. Wenn wir nun die Kugel in<br />
einem leicht anderen Winkel anstossen,<br />
legt sie einen vollkommen anderen<br />
Weg zurück. Noch ein leicht<br />
anderer Winkel – wieder ein völlig<br />
anderer Weg. Der kleinste Unterschied<br />
in den Anfangskonditionen<br />
sorgt für ein grundlegend anderes<br />
Ergebnis. Und bei Wettersimulationen<br />
merkt man auch, dass dessen<br />
Anfangskonditionen äusserst sensibel<br />
sind. Wenn sich nur ein Parameter<br />
minimal ändert, hat dies ein völlig<br />
anderes Wetter zur Folge. Für ein<br />
paar Tage lässt sich zwar eine wahrscheinliche<br />
Vorhersage treffen. Darüber<br />
hinaus ist die Ungenauigkeit<br />
immens. Und das schon, wenn wir<br />
die Simulation von einigen wenigen<br />
Parametern abhängig machen. In<br />
der Realität gibt es jedoch unglaublich<br />
viele. Überlegt sich ein Pilot,<br />
seine Triebwerke eine halbe Sekunde<br />
später zu starten, kann dies langfristig<br />
den Unterschied zwischen<br />
Gewitter und Sonnenschein machen.<br />
CHAOS KOMMT HÄUFIG VOR<br />
Wie das Wetter<br />
wird, hängt teils<br />
von kleinsten<br />
Faktoren ab.<br />
Aber in der Chaostheorie geht es<br />
bei weitem nicht nur ums Wetter.<br />
Auch sehr simple Dinge sind chaotisch.<br />
Hängt man an einen Pendel –<br />
eines der berechenbarsten Dinge<br />
überhaupt – ein weiteres Pendel,<br />
gibt es keine Chance mehr, die Bewegung<br />
zu berechnen. Ist der Startpunkt<br />
minimal verschoben, oder<br />
gibt es einen minimalen Luftzug,<br />
legt das Pendel eine Strecke zurück,<br />
die nichts mehr mit der vorherigen<br />
zu tun hat. Die Chaostheorie findet<br />
auch Anwendung im Verkehr, beim<br />
Aktienmarkt, bei psychischen<br />
Störungen oder den Krisen unserer<br />
Geschichte. Gewiss kann also ein<br />
Schmetterling für einen Tornado<br />
sorgen. Böse Tiere sind sie deswegen<br />
nicht. Denn wie Edward Lorenz<br />
sagte: Wenn der Flügelschlag eines<br />
Schmetterlings einen Tornado auslösen<br />
kann, so kann er auch den<br />
Effekt haben, ihn zu verhindern.<br />
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14 s’Positive 6 / 2018
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WISSEN<br />
bleiben, denn dies hätte Unordnung bedeutet.<br />
Viele Dokumente haben jedoch<br />
keinerlei langfristigen Wert. Trotzdem<br />
verfrachteten die Einordner sie in ihre<br />
Aktensysteme wie in kompliziert strukturierte<br />
Papierkörbe. Man könne die eigene<br />
Informations zukunft nicht vorhersehen,<br />
sagt Whittaker, der heute Professor für<br />
Psychologie an der Universität von Santa<br />
Cruz ist. «Oft stehen Einordner Monate<br />
später fassungslos vor ihren sinnlos gewordenen<br />
Archiven».<br />
Sich von Dokumenten zu trennen, die<br />
man selbst erstellt oder bearbeitet hat,<br />
falle schwer, erklärt Whittaker. Es gehe da<br />
wirklich ans Eingemachte. «Menschen<br />
sind psychologisch sehr stark an ihre Arbeit<br />
gebunden. Wenn es in ihren Jobs um<br />
Information geht, dann fühlen sie sich mit<br />
dieser Information verbunden.<br />
Mit der Suchfunktion<br />
lassen sich E-Mails<br />
schneller finden als mit<br />
einer komplizierten<br />
Ordnerstruktur.<br />
ORGANISATION FÖRDERT MOTIVATION<br />
Viele Erkenntnisse Whittakers und anderer<br />
Forscher sind noch zu Zeiten des Papiers<br />
entstanden. Sind sie zu Zeiten der<br />
E-Mails sinnlos geworden? Bereits 1996,<br />
als Whittaker seine Untersuchungen<br />
durchführte, litten in den USA Menschen<br />
unter E-Mail-Überlastung. «Wir sahen unnütze<br />
Ordner, in denen nur zwei E-Mails<br />
lagen.» Wie zu Zeiten des Papiers entschieden<br />
sich die ordnungsliebenden Büromenschen<br />
für Kategorien, die sie voreilig<br />
festlegten und die längerfristig nicht<br />
funktionierten. Die<br />
Frage lautet demnach:<br />
Verschwende<br />
ich meine Zeit, wenn<br />
ich versuche, meine<br />
E-Mails zu organisieren?<br />
Ja, lautete<br />
die Antwort der Wissenschaftler.<br />
«Studienteilnehmer,<br />
die<br />
ihre E-Mails ungeordnet<br />
liessen und sich einfach auf die<br />
Suchfunktion verliessen, fanden E-Mails<br />
deutlich schneller als jene, die sich auf<br />
komplizierte Ordnerstrukturen stützten.»<br />
Aber wie sieht es mit unseren Terminkalendern<br />
aus? Tragen wir jede Aufgabe<br />
mit einem festen Termin in den Kalender<br />
ein und nutzen ihn als Todo-Liste, oder<br />
ignorieren wir den Kalender weitestgehend<br />
und tragen lediglich verabredete<br />
Treffen ein? Ersteres wäre analog der Einordner<br />
oder auch von Benjamin Franklin,<br />
der allen Geschäftsdingen ihre Zeit einräumen<br />
wollte. Was funktioniert besser?<br />
Drei US-Psychologen machten vor 34<br />
Jahren den Versuch: Sie teilten junge Studenten<br />
in drei Gruppen. Eine von ihnen<br />
war die Kontrollgruppe, die einfache<br />
Zeiteinteilungsaufgaben<br />
lösen und<br />
zehnminütige Pausen<br />
innerhalb von<br />
Lernphasen zwischen<br />
30 und 90 Minuten<br />
einlegen sollte.<br />
Die beiden anderen<br />
Gruppen, und<br />
um diese beiden<br />
geht es hier, bekamen<br />
kompliziertere Aufgaben: Die eine<br />
sollte sich Studienziele setzen und die<br />
Lernphasen dementsprechend organisieren,<br />
und zwar gleich über den Zeitraum<br />
eines Monats. Die andere Gruppe sollte<br />
von Tag zu Tag denken, sich also tägliche<br />
Ziele setzen. Sie mussten also ihre Tage<br />
deutlich mehr durchstrukturieren.<br />
Die Erwartung war, dass die kurzfristige<br />
Gruppe wesentlich besser abschneiden<br />
würde, weil ihre Organisationsziele leichter<br />
überschaubar schienen. Doch dies erwies<br />
sich als Irrtum: Zwar starteten die<br />
Laut Wissenschaftlern<br />
ist das Organisieren<br />
von E-Mails<br />
Zeitverschwendung.<br />
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auf dem Arbeitsplatz<br />
führen schnell zu<br />
Unordnung.<br />
Täglich-Planer sehr gut, waren dann aber<br />
schnell demotiviert. Am Ende lernten die<br />
Studenten dieser Gruppe nur noch acht<br />
Stunden in der Woche. Die langfristig<br />
denkende Gruppe arbeitete indes konstant<br />
25 Stunden in der Woche, ihre Studienleistungen<br />
waren entsprechend besser.<br />
ERFOLG MIT LOCKERER PLANUNG<br />
Doch wo lagen die Gründe? Es zeigte<br />
sich, dass das Durchplanen jedes einzelnen<br />
Tages schnell mühsam wurde, weil<br />
die Planungen immer wieder durcheinander<br />
gerieten: Jedes verpasste Weckerläuten,<br />
jeder ungeplante Zahnarzttermin<br />
oder ein unverhoffter Besuch brachte die<br />
Struktur des Tages durcheinander. Diese<br />
Studenten benutzten ihren Kalender als<br />
Todo-Liste und scheiterten. Der Arbeitsplan<br />
der langfristigen Gruppe war sehr<br />
viel lockerer gestaltet, weniger perfekt<br />
und viel veränderbarer. Und er funktionierte<br />
in einer nicht perfekten, sich ständig<br />
verändernden Welt recht gut. Der<br />
perfektionistische Plan der kurzfristig<br />
planenden Gruppe scheiterte an einer<br />
unordentlichen Welt. Es gibt Beispiele<br />
erfolgreicher Menschen, die sich gemäss<br />
diesem Experiment organisieren: Seit einem<br />
Jahrzehnt benützt Marc Andreessen,<br />
Netscape-Gründer und Milliardär,<br />
seinen Kalender nicht mehr. Muss etwas<br />
wirklich getan werden, so soll dies sofort<br />
geschehen. «Es geht mir damit so viel<br />
besser, es ist kaum zu glauben!», schrieb<br />
er damals.<br />
Arnold Schwarzenegger hält seinen<br />
Terminkalender weitestgehend frei.<br />
DEN ZUFÄLLEN PLATZ EINRÄUMEN<br />
Bereits als Hollywoodstar und später auch<br />
als Gouverneur von Kalifornien bestand<br />
Arnold Schwarzenegger darauf, seinen<br />
Terminkalender frei zu halten. Verabredungen<br />
seien ein echtes No-Go. Das Gleiche<br />
gelte für Vorausplanung, sagte er damals<br />
der New York Times. Bei Schwarzenegger<br />
ging es zu wie bei einem simplen<br />
Stehimbiss. Politiker, Lobbyisten und Aktivisten<br />
hatten anzustehen, bis sie an der<br />
Reihe waren. Natürlich steckte in diesem<br />
Verhalten auch Machtgehabe. Doch<br />
Schwarzenegger wusste: Ein voller Terminkalender<br />
erlaubt keinerlei Anpassung<br />
an plötzlich veränderte Umstände.<br />
Können das, was sich Andreessen und<br />
Schwarzen egger leisten dürfen, auch<br />
normale Menschen tun und die Welt warten<br />
zu lassen? Nein, so weit dürfen wir<br />
nicht gehen. Aber wir könnten ein Stück<br />
in diese Richtung gehen, indem wir weniger<br />
feste Verabredungen eingehen und<br />
uns mehr Flexibilität einräumen. Dies<br />
hilft uns, mit den Herausforderungen des<br />
Lebens umzugehen.<br />
Quellen: PM-Magazin, Tim Harford<br />
FOTOS: SHUTTERSTOCK.COM/JAT3<strong>06</strong>/ANDRE LUIZ MOREIRA<br />
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Teilen, den sog. Läufen aus Chromstahl, für<br />
Rechts- oder Linksschläger. Eine einheitliche<br />
Form und technische Richtlinien für das Aufstellen<br />
gewährleisten für alle Mannschaften<br />
gleiche Schlagbedingungen. Die vor dem Bock<br />
aufgestellte Schussblende fängt schlecht getroffene<br />
Hornusse auf und schützt somit die<br />
vordersten Abtuer vor tieffliegenden, schlecht<br />
sichtbaren Hornussen. Die Absperrwand, das<br />
grosse grüne Tuch hinter dem Bock, dient der<br />
Abgrenzung zwischen Schläger und Zuschauer<br />
und macht den Schläger auch für die hintersten<br />
Abtuer besser sichtbar.<br />
20 s’Positive 6 / 2018
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s’Positive 6/ 2018 21
DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />
Das Stöckli<br />
Die ganz besondere Bedeutung des Stöckli in der<br />
Kultur des Oberaargaus ist beinahe vergessen<br />
gegangen. Die Geschichte einer architektonischen,<br />
wirtschaftlichen und sozialen Besonderheit.<br />
22 s’Positive 6 / 2018
Das stöckli<br />
steht abseits eines<br />
grossen Bauernhauses.<br />
Bäuerliche<br />
der<br />
TEXT: KLAUS ZAUGG;<br />
FOTOS: MARCEL BIERI<br />
einmal: Woher kommt die<br />
Bezeichnung? Stock oder Stück<br />
sind abgetrennte Teile eines Ganzen.<br />
Eine alleinstehende, hochragende<br />
Erhebung wird im Bernbiet als<br />
WohnkulturZuerst<br />
Stock bezeichnet. Und ein alleinstehendes<br />
Gebäude als Stock oder Stöckli. Das<br />
Stöckli ist also, wie es der Name sagt, ein<br />
alleine abseits des grossen Bauernhauses<br />
Generationen<br />
stehendes Haus.<br />
Viele Stöckli sind nicht gemauert. Als<br />
Holzbau ist es meistens nur in den Fundamenten<br />
gemauert. Ist es ganz aus<br />
Stein, dann ist es ein «Herrenstöckli».<br />
Diese Bezeichnung steht für ein besonders<br />
schönes, gemauertes Stöckli und<br />
zeigt den Reichtum des Bauern. Bei Simon<br />
Gfeller lesen wir in der Geschichte<br />
«Em Hag no» vom alten Zimp, einem Maurer,<br />
der dem reichen Öschmattenbauer ein<br />
solches Stöckli bauen darf: «Hüser u Stöckli<br />
het me schüscht im Öschegrabe hinge<br />
nume hölzigi gseh. Aber der Öschmatter het<br />
am Gäld nüt bruchtz’borge u gärn öppis Appartigs<br />
gha u drum isch dr alt Zimp doch no<br />
einisch derzue, chönne z’zeige, was de alls<br />
hingerem steckt. E so-n-es Stöckli vom Sockel<br />
bis ungere Dachstuehl uchen in luter Steinen<br />
ufzfüehre, botz Heiterefahne!»<br />
URSPRÜNGLICH OFEN- ODER BACKHÄUSER<br />
Die ältesten Stöckli aus den 1500er und frühen<br />
1600er Jahren waren ursprünglich Ofen- und<br />
Backhäuser, auf deren Backraum eine Wohnung<br />
aufgebaut wurde. «Ob sie ein Stöckli hätten?<br />
Nein, sagte Anna Bäbi, öppä äs rächts Stöckli nid,<br />
aber es Ofehus, me chann im aber ou Stöckli säge,<br />
wenn me will» lesen wir bei Gotthelf.<br />
s’Positive 6 / 2018 23
DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />
Die ältesten<br />
Stöckli wären einst<br />
Ofen- oder Backhäuser.<br />
Das Stöckli steht neben dem hablichen<br />
Bauernhaus. Es ist jünger als der auch<br />
zum Hof gehörende Speicher. Es ist auch<br />
weniger zahlreich vorhanden als der<br />
Speicher. Schon deshalb, weil bereits ab<br />
den früheren 1900er Jahren selten mehr<br />
neuer Speicher gebaut, hingegen immer<br />
wieder neue Stöckli errichtet worden<br />
sind.<br />
IM OBERAARGAU AUS HOLZ<br />
Mit Jeremias Gotthelf hat das Stöckli Eingang<br />
in die Weltliteratur gefunden. Er<br />
schildert in seinen Geschichten so manchen<br />
Besuch im Stöckli. Er ist dort von der<br />
freundlichen Grossmutter mit Bauernhamme<br />
und Apfelküchlein bewirtet<br />
worden. Aber er hat im Stöckli auch den<br />
misstrauischen und abweisenden stöcklikranken<br />
Joggeli auf der Glungge kennengelernt<br />
(Uli der Knecht).<br />
Nach der Form ist das Stöckli mit dem<br />
Stammhaus architektonisch verwandt. Es<br />
gibt meistens den lokalüblichen Baustil in<br />
einfacher Weise wieder. Im Oberaargau<br />
überwiegt beim Bauernhaus bei weitem<br />
der Holzbau, entsprechend ist das Stöckli<br />
aus Holz erstellt. Die Zimmermannskunst<br />
hat im Oberaargau eine lange,<br />
ruhmreiche Geschichte und zahlreiche<br />
Bauten zeugen heute noch von der Geschicklichkeit<br />
der alten Meister. Das Innere<br />
des Stöckli enthält im Erdgeschoss die<br />
Küche, deren Türe meistens gleichzeitig<br />
die Haustüre ist. An die Küche schliessen<br />
sich zwei Zimmer oder Stübli an («Chuchistübli»),<br />
wenn möglich nach Süden<br />
orientiert. In die Wohnung im oberen<br />
Stockwerk, die den gleichen Grundriss<br />
hat, führt eine Innen- oder Aussentreppe<br />
in die Laube.<br />
Die schöne Bauart, die geschickte<br />
Wahl des Standortes und die treffliche<br />
Anpassung an die Landschaft machen die<br />
Für die Oberaargauer<br />
gilt, was Emanuel Friedli<br />
über die Emmentaler<br />
geschrieben hat: «Was<br />
der Emmentaler baut,<br />
mues e Gatti mache.»<br />
Stöckli im Vergleich zu den «Altershäuschen»<br />
in anderen Landesgegenden oder<br />
in anderen Ländern einzigartig. Gerade<br />
für die Oberaargauer gilt, was der legendäre<br />
Emanuel Friedli über die Emmentaler<br />
geschrieben hat: «Was der Emmentaler<br />
baut, mues e Gatti mache. Das macht<br />
ihn zum Bau-Ästhetiker.»<br />
Die früheste schriftliche Erwähnung des<br />
Stöckli gibt es aus dem Jahre des Herrn<br />
1667 im Chorgerichtsmanual von Oberburg<br />
bei Burgdorf. Caspar Dietschi und<br />
Samuel Kun sind wegen «vollsaufen im<br />
Stöckli» abgemahnt worden. Dass es vor<br />
1600 im Oberaargau erst vereinzelt Stöckli<br />
gab, hat einen Grund: Der Bau eines<br />
Alterswohnhauses setzte einen gewissen<br />
Wohlstand der Bauern voraus. Ein solcher<br />
trat erst im Laufe der ersten Hälfte der<br />
1600er und vor allem in den 1700er Jahren<br />
ein, als sich die bernische Obrigkeit<br />
nach der Krise des Bauernkrieges (1653)<br />
beim Landvolk um Versöhnung bemühte.<br />
Ackerland wurde in Wiesland verwandelt,<br />
der Getreideanbau ging auf Kosten der<br />
Milchwirtschaft zurück. Der Handel mit<br />
Milchprodukten nahm einen raschen Aufschwung.<br />
Die Obrigkeit gab den Käse- und<br />
Viehhandel frei und neu kam der Kartoffelanbau<br />
hinzu. Auch die Pferdezucht<br />
blühte. Es gab im 18. Jahrhundert Jahre,<br />
in denen aus dem Bernbiet 10 000 Pferde,<br />
meistens Artilleriepferde, ins Ausland –<br />
besonders nach Italien – verkauft wurden.<br />
Die Bauern kamen zu Geld.<br />
GESCHLOSSENE VERERBUNG<br />
Den Wohlstand förderte eine juristische<br />
Besonderheit: Anders als in vielen Gegenden<br />
der Schweiz und im Oberland oder<br />
24 s’Positive 6 / 2018
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DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />
Sind sie ganz<br />
aus Stein, spricht<br />
man von «Herrenstöckli».<br />
im Seeland wurden im Emmental und im<br />
Oberaargau beim Erbgang die Höfe nicht<br />
«zerstückelt». Hier herrschte die geschlossene<br />
Vererbung vor. So konnte sich<br />
das Erbrecht durchsetzen, dass dem<br />
jüngsten Sohn der gesamte Hof zusteht.<br />
Seine Geschwister mussten gehen, anderorts<br />
Arbeit suchen oder blieben als ledige<br />
Knechte auf dem Hof.<br />
Dank diesem ganz besonderen Erbrecht<br />
hat es bereits in den 1600er Jahren<br />
im Oberaargau geschlossene Bauerngüter<br />
von 60 bis 80 Jucharten gegeben. Nur<br />
bei einem Hof mit einer gewissen Ausdehnung<br />
machte ein Stöckli Sinn. Das Stöckli<br />
konnte sich also nur in Gegenden mit<br />
einer geschlossenen Vererbung und stattlichen<br />
Bauerngütern einbürgern. Mit<br />
Ausnahme des Sensebezirkes ist deshalb<br />
das Stöckli ausserhalb des Bernbietes nirgends<br />
anzutreffen.<br />
AUSGEPRÄGTER FAMILIENSINN<br />
Es spielt wohl auch eine Rolle, dass den<br />
Bauern im Bernbiet, im Oberaargau, das<br />
Bewusstsein vom Wert der Familie und<br />
des bäuerlichen Standes traditionell stark<br />
war und im Grunde noch immer ist. Das<br />
Besondere dieses Bauerntums liegt in der<br />
Tiefe des bernischen Charakters und Gemütes.<br />
Bei Gotthelf lesen wir: «Ein alter<br />
herumziehender Schnapsbruder aus dem<br />
Luzernischen sagte, allemal wenn er in<br />
den Kanton Bern herüberkomme, so sei es<br />
ihm, als komme er in eine warme Stube».<br />
So hatte sich im Bernbiet und gerade<br />
im Oberaargau der «Hofgeist» entwickelt.<br />
Der Hof bleibt, die Menschen<br />
ZUSATZINFOS<br />
Bis 1960 keine Gerichtsfälle<br />
Wir können davon ausgehen,<br />
dass eine Hofübergabe<br />
mit dem<br />
Rückzug ins Stöckli in<br />
den alten Zeiten, noch<br />
bevor es die AHV gab<br />
– die kam ja erst nach<br />
mehreren Volksabstimmungen<br />
1948 – so vorbildlich<br />
über die Bühne<br />
gegangen ist, wie wir es<br />
in der Erzählung «Mys<br />
Dörfli» von Carl Albert<br />
Loosli (1877 bis 1959)<br />
nachlesen können. In<br />
den alten Zeiten hatte<br />
der Gemeindeschreiber<br />
noch die Autorität und<br />
Vollmacht, um eine Hofübergabe<br />
vorzunehmen.<br />
FAMILIENSACHE<br />
«Was, Du wotsch<br />
ds’Heimet abhäyche?<br />
Was Du nid seisch, Sepp!<br />
Isch dr de d’s Pure verleidet?»<br />
meinte der<br />
Gmeinschryber ganz<br />
verdutzt. «Säb nid, aber<br />
der Fritz chunt jietz so<br />
süferli us de Chauberjahre-n-use-un<br />
isch<br />
mannber, u do tüechts<br />
mi es syg Zyt das er<br />
Meister wird.» –<br />
«Z’letztscht am Änd<br />
hesch rächt», entgegente<br />
der Gmeinschryber ,<br />
«we’s anger Lüt ou eso<br />
mieche su gäbs auwäg<br />
a mängem Ort minger<br />
Verdruss…» meint der<br />
Gmeinschryber» …<br />
«Auso i übergibe-n-uf<br />
nächschti Liechtmäss<br />
em Fritz Huus mit Schiff<br />
u Gschir u Waar u Heimet<br />
z’eige. Es ghöre<br />
feufenachzg Jucherte<br />
Acher- u Mattland,<br />
dreiesächzg-un ä haubi<br />
Jucherte Waud, drei<br />
Jucherte-un-es Vierteli<br />
Ried, d’s Wohnhuus,<br />
beed Schüre un aui<br />
Ofehüsli u Schöpf derzue.<br />
D’s Stöckli hingägä<br />
u d’Husmatt wott i mer<br />
bis zu mym Abläbe vorebha.<br />
Derzue mues mer<br />
der Fritz d’s Wasserrächt<br />
am Husbrunne lah<br />
u de bhäbeni no d’s Bargäut<br />
für mi, bis i mues<br />
d’Bei strecke. D’s Muetterguet<br />
hingägä, es sy<br />
feufevierzg tuusig Franke,<br />
zahle-n-im uf Lichtmäss<br />
us».<br />
Ist diese Hofübergabe,<br />
die uns da der grosse<br />
Dichter erzählt, bloss<br />
Romantik? Nein, es war<br />
ein Teil der bäuerlichen<br />
Kultur, die Dinge so zu<br />
regeln. Ja, es brachte<br />
gar Schande, wenn man<br />
einen der nichtsnutzigen<br />
Advokaten zur Regelung<br />
eines Geschäftes beiziehen<br />
musste, das anständige<br />
Leute «öppä wys dr<br />
Bruuch isch» unter sich<br />
regelten. Es ist bemerkenswert,<br />
dass es kaum<br />
je zu gerichtlichen Auseinandersetzungen<br />
über<br />
den Umzug ins Stöckli<br />
und die Hofübergabe<br />
gekommen ist.<br />
DIE GUTE, ALTE ZEIT<br />
Professor Hermann Rennefahrt,<br />
der wohl beste<br />
Kenner der bernischen<br />
und oberaargauischen<br />
Rechtsgeschichte sagte<br />
1960, er habe gar nie<br />
einen Rechtsfall um ein<br />
Stöckli gefunden. Das<br />
war halt noch die gute<br />
alte Zeit. Heute werden<br />
Rechtshändel um ein<br />
Stöckli wohl höchstens<br />
mit den Bauvögten der<br />
Gemeinde und des Kantons<br />
ausgefochten, wenn<br />
es ums Umbauen geht.<br />
26 s’Positive 6 / 2018
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Sonntag: 10.00–20.00 Uhr<br />
November bis Januar:<br />
Mi & Do: 14.00–23.00 Uhr<br />
Freitag: 14.00–02.00 Uhr<br />
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DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />
kommen und gehen. Bauer und Bäuerin<br />
stehen im Mittelpunkt der Hofgesellschaft.<br />
Zu dieser gehören ferner die Kinder,<br />
die Knechte, die Mägde und die Verwandten.<br />
Die Hofgemeinschaft stellt eine<br />
erweiterte Arbeitsgemeinschaft dar;<br />
denn das gemeinsame Band, das alle miteinander<br />
verknüpft, ist die Arbeit. Wenn<br />
nun die Familie wächst, so kann sich das<br />
Haus nicht dehnen. Nun duldet der Hof<br />
nur einen Bauern und eine Bäuerin. So<br />
wie das Königreich nur einen König und<br />
eine Königin duldet. Beim Verbleib der<br />
alten Eltern im gleichen Haus würden<br />
Spannungen, die dem Hofbetrieb und<br />
damit dem wirtschaftlichen Erfolg abträglich<br />
wären, nicht ausbleiben.<br />
So kam man auf die Idee, die Eltern in<br />
einem gesonderten Haus unterzubringen<br />
und sie doch, wie es der Familiensinn verlangt,<br />
in der Nähe zu behalten. Auf diese<br />
Weise ist das Stöckli im Oberaargau ein<br />
fester, nicht mehr wegzudenkender Teil<br />
der ländlichen Kultur geworden.<br />
EIN STÜCK HEIMAT<br />
Das Stöckli war früher viel mehr als heute<br />
der Inbegriff des Geborgenseins. Das<br />
schöne Häuschen unter der Linde oder<br />
dem Nussbaum, das keine Sorgen mehr<br />
kennt, wo Frieden und Ruhe regieren.<br />
Wenn städtische Beobachter in der Stöckli-Kultur<br />
ein besonders romantisches<br />
oberaargauisches Bauernidyll sehen, so<br />
wird gerne vergessen, dass dahinter eine<br />
praktische Lösung von wirtschaftlichen<br />
und sozialen Herausforderungen steht.<br />
Der Einzug des alten Bauern ins Stöckli<br />
erfolgte mit der Übergabe des Hofes an<br />
den Jungen. Der Hof wurde entweder an<br />
die Jungen verkauft oder verpachtet. Je<br />
nach dem Stand seiner Kräfte und noch<br />
mehr je nach dem Vertrauen zu den Jungen<br />
und nach dem Mass an Weitsicht und<br />
Weisheit entschloss sich der Vater frü-<br />
ZUSATZINFOS<br />
Die Stöcklikrankheit und die Stöcklikatze<br />
Wie weit steht eigentlich<br />
das Stöckli vom Bauernhaus<br />
entfernt? Es gab eine Grundregel:<br />
Es sollte möglich sein,<br />
die Distanz von der Haustüre<br />
des Bauernhauses bis zur<br />
Haustüre des Stöcklis mit<br />
einer Laterne auszuleuchten.<br />
Taschenlampen gab es,<br />
als die meisten Stöckli gebaut<br />
worden sind, ja noch<br />
nicht. Wenn die Grossmutter<br />
vom Abendsitz im Bauernhaus<br />
ins Stöckli hinüber ging<br />
oder wenn die junge Frau<br />
vom Stöckli ins Haus zurückkehrte,<br />
so sollte ein Lichtstrahl<br />
alles Böse von ihnen<br />
abhalten.<br />
NEUE AUFGABEN<br />
Bevor es im Ober aargau<br />
elektrischen Strom gab,<br />
fürchtete man sich in der<br />
Nacht vor bösen Geistern;<br />
und selbst die mutigsten<br />
Kilter (junge Männer, die<br />
nächstens Mädchen in ihrem<br />
bäuerlichen Schlafgemach<br />
aufsuchten) trieben<br />
sich nachts grundsätzlich<br />
nie allein herum. Man sieht<br />
auch daraus den tiefen Familiensinn:<br />
Die Stöcklilüt, in<br />
erster Linie der Grossvater<br />
und die Grossmutter, aber<br />
oft auch die ledigen Geschwister<br />
des Besitzers, der<br />
Stöckligötti oder die Stöckligotte,<br />
wollten mit dem Hof<br />
in naher Verbindung bleiben.<br />
Die räumliche Distanz<br />
war so gering, dass es für<br />
den Bauer und die Bäuerin,<br />
Die «Stöcklilüt» halfen immer noch auf dem Hof mit.<br />
wenn sie sich ins Stöckli zurückzogen,<br />
nicht den völligen<br />
Rückzug von der Arbeit<br />
bedeutete. Ein rechter Bauersmann<br />
besuchte wohl täglich<br />
den Hof, den jetzt der<br />
Sohn oder der Tochtermann<br />
führte, schaute in den Stall,<br />
überwachte Saat und Ernte,<br />
half auch mit in strengen<br />
Tagen. Gerade der Wald<br />
stand meist noch unter Aufsicht<br />
des alten Bauern, der<br />
Holzhandel war seine Sache.<br />
Und oft hatte nun der alte<br />
Bauer Zeit zu einem späten<br />
Einzug in die Welt «draussen»:<br />
Er widmete sich der<br />
lokalen Politik, diente als<br />
Gemeinderat oder in verschiedenen<br />
Kommissionen.<br />
Selbst Mitglieder eines<br />
Bankverwaltungsrates,<br />
Amtsrichter, Grossräte und<br />
schliesslich auch der legendäre<br />
Bundesrat Rudolf Minger<br />
wohnten im Stöckli.<br />
Die alte Bäuerin waltete in<br />
der Küche und half der jungen<br />
Frau vor allem an Backund<br />
Waschtagen. Daneben<br />
hatte sie nun endlich Zeit,<br />
ihr Gärtlein zu pflegen: Die<br />
Rosen, die Lilien, die Nelken,<br />
den Rosmarin auf dem Fenstersims<br />
und die spätsommerlichen<br />
Stockrosen am<br />
Gartenzaun. Im Winter blieb<br />
sie gerne im wärmen Stübli<br />
und strickte: Denn die kleinen<br />
Enkelkinder brauchten<br />
warme Strümpfe und Unterkleider.<br />
TIERISCHE GESELLSCHAFT<br />
Wenn die alte Bäuerin zwischen<br />
dem Bauernhaus und<br />
dem Stöckli hin- und her<br />
wanderte, so wurde sie oft<br />
von der Stöcklikatze begleitet.<br />
Meistens lebte im Stöckli<br />
eine Katze, die sich bei der<br />
alten Bäuerin eingeschmeichelt<br />
hatte und von ihr ausgiebig<br />
gestreichelt wurde.<br />
Die Stöcklikatze schaute<br />
der alten Bäuerin beim<br />
«Lismen» zu, schlich ihr in<br />
Küche und Vorratskammer<br />
nach und hoffte darauf, dass<br />
ab und zu etwas Fressbares<br />
vom Tisch fiel. Sie war im<br />
Wesen freundlich und sanft<br />
und unterschied sich deutlich<br />
von den aggressiveren<br />
Hofkatzen, die oft keinen<br />
Zugang zum Wohnraum der<br />
Menschen hatten.<br />
PROVOZIERTE KONFLIKTE<br />
Es gab aber nicht nur die<br />
Stöckliidylle und Stöckliromantik.<br />
Manchmal zog sich<br />
der Bauer zu früh von der<br />
Arbeit zurück und wusste<br />
mit seiner freien Zeit nichts<br />
anzufangen. Dann befiel ihn<br />
die sogenannte Stöcklikrankheit.<br />
Sie zeigte sich etwa in<br />
Nörgelsucht und Misstrauen<br />
gegenüber jedermann und<br />
provozierte Konflikte mit<br />
dem jungen Bauern und<br />
dessen Frau im Bauernhaus.<br />
Die Stöcklikrankheit galt als<br />
unheilbar, liess sich aber<br />
manchmal mit gutem Zureden<br />
und Geduld etwas lindern.<br />
Wo sie Einzug gehalten<br />
hatte, gab es auch keine<br />
wohlerzogene Stöcklikatzen.<br />
Die sensiblen Tiere flohen<br />
dem Hader und der Streitsucht.<br />
Weshalb kluge Leute<br />
früher sagten: Sage mir, ob<br />
es eine Stöcklikatze gibt und<br />
ich sage Dir, wie es auf dem<br />
Hof zu- und hergeht.<br />
28 s’Positive 6 / 2018
Bänz Friedli<br />
Bernhard Giger<br />
Pedro Lenz<br />
Klaus Zaugg<br />
—<br />
Wo das Tram<br />
nicht hinfährt,<br />
sind wir daheim<br />
Das YB-Meisterbuch 2018<br />
—<br />
«Das Meisterbuch 2018»<br />
Ein Bestsellerautor, ein Kabarettist, ein Filmemacher und<br />
der mehrmalige «Schweizer Sportjournalist des Jahres»<br />
begleiteten YB zum Meistertitel.<br />
Jetzt liegt das Buch vor, das die einmalige Saison Revue<br />
passieren lässt. Lustig geschrieben, liebevoll gestaltet,<br />
voller gelb-schwarzer Leidenschaft.<br />
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buch@knapp-verlag.ch | Fr. 18.98 | plus 5.– Porto/Verpackung
DIE GESCHICHTE DES STÖCKLI<br />
Die ältesten<br />
Stöckli stammen<br />
aus den 1500er und<br />
frühen 1600er<br />
Jahren.<br />
her oder später zur Übergabe des Hofes.<br />
Aber eins war sicher, er tat es erst, wenn<br />
er sich vergewissert hatte: Es geht. Es<br />
geht finanziell und es geht auf dem Hof<br />
recht weiter.<br />
Der alte Bauer zog erst dann ins Stöckli,<br />
wenn die Hofübergabe aufgrund von<br />
wohlerwogenen Abmachungen geregelt<br />
war. Alleine die Tatsache, dass ein Stöckli<br />
da ist, bedeutete im Bewusstsein eine<br />
Sicherung. Es gab keine Ungewissheiten,<br />
keine Sorgen und Ängste, wie der Alltag<br />
nach der Hofübergabe aussehen wird:<br />
Das Stöckli ist als Wohnraum vorhanden.<br />
Ein Wohnraum, mit dem man zeitlebens<br />
vertraut war. Wo schon die Vorväter ihren<br />
Lebensabend verbracht hatten. Das<br />
Stöckli war ein Stück Heimat, der Zusammenhang<br />
der Familie blieb gewahrt. Und<br />
es war im weitesten Sinne ein Zufluchtsort.<br />
Als im Jahre 1917 die entthronte<br />
griechische Königsfamilie in der Schweiz<br />
um Asyl nachsuchte, schrieb das «Emmenthaler<br />
Blatt»: «We si i d’Schwyz chöme,<br />
so wird ne der Bundesrat scho öppe<br />
für nes Stöckli luege…»<br />
Mit dem Stöckli gab es<br />
keine Ungewissheiten,<br />
Sorgen oder Ängste,<br />
wie der Alltag im Alter<br />
nach der Hofübergabe<br />
aussehen wird.<br />
ENTSCHÄRFTE KONFLIKTE<br />
Alte Menschen haben das starke Bedürfnis,<br />
wenn immer möglich unabhängig<br />
und selbstständig zu bleiben. Nicht nur<br />
finanziell, sondern auch in ihrer ganzen<br />
Lebensführung. Sie wollen ihren Tagesablauf<br />
und ihren Tagesinhalt frei gestalten<br />
und nach ihrem eigenen Lebensgefühl<br />
ihren Lebensabend geniessen. Aus diesem<br />
Grund sträuben sich viele Betagte, in<br />
ein Altersheim einzutreten, wo sie sich<br />
einer ungewohnten Hausordnung unterziehen<br />
und sich in eine fremde Umwelt<br />
einfinden müssen. Und aus jahrhundertelanger<br />
Erfahrung weiss man, dass es zwischen<br />
jung und alt leicht Spannungen<br />
gibt. Die Alten sind geneigt, in ihrer Lebenserfahrung<br />
die allein gültige Norm zu<br />
sehen, ferner zu glauben, es in ihrer Jugend<br />
besser gemacht und sich besser benommen<br />
zu haben, als die Jugend von<br />
«heutzutage». Alte Menschen, die sich<br />
immer wieder auf die früheren, besseren<br />
Zeiten berufen, wirken verdriesslich auf<br />
die Jungen, die sich mit der Bewältigung<br />
der Gegenwart abmühen. Solche Gegensätze<br />
können, wenn alle unter einem<br />
Dach leben, zu einem Generationenkonflikt<br />
führen, der den gesamten Betrieb<br />
und damit den wirtschaftlichen Erfolg in<br />
Frage stellt. Durch den Umzug ins Stöckli<br />
wurde dieser Konflikt entschärft.<br />
Wir sehen also, wie klug das Stöckli in<br />
sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht<br />
war. Das Stöckli ist eine Einrichtung, die<br />
im bernischen, im oberaargauischen<br />
Brauchtum selbst gewachsen ist und es<br />
steht als Beispiel einer Lösung des Generationenproblems<br />
durch einen originellen<br />
Wohngedanken.<br />
HEUTE GANZ NORMALER WOHNRAUM<br />
Die Stöckli-Kultur hat im 21. Jahrhundert<br />
ihre Bedeutung durch den gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Wandel verloren.<br />
Der Anteil der in der Landwirtschaft<br />
Erwerbstätigen ist von mehr 40 Prozent<br />
ums Jahr 1900 auf rund 20 Prozent Anfang<br />
der 1950er Jahre auf weniger als zwei<br />
Prozent im 21. Jahrhundert zurückgegangen.<br />
Die vom Stöckli geprägte Form des<br />
Zusammenlebens der Generationen hat<br />
heute stark an Bedeutung und Verbreitung<br />
verloren. Das Stöckli ist heute weitgehend<br />
ganz normaler Wohnraum geworden.<br />
Literatur:<br />
Das bernische Stöckli von<br />
Dr. A.L. Vischer.<br />
Geschichte Berns von Richard. Feller.<br />
D’Stöcklikrankheit von Karl Grunder<br />
Das bernische Stöckli, Band 47 Berner<br />
Heimatbücher von Walter Laederach<br />
30 s’Positive 6 / 2018
Humus<br />
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SHUTTERSTOCK.COM/NATALY STUDIO
WUSSTEN SIE SCHON<br />
ABHÄNGIG VON GRÖSSE UND WIND<br />
Wie schnell sind Regentropfen? 1<br />
Wie schnell das Wasser vom Himmel<br />
fällt, hängt vor allem von der Grösse der<br />
Regentropfen ab. Denn die Tempounterschiede<br />
bei Nieselregen, Platzregen oder<br />
Starkregen sind gewaltig. Regentropfen<br />
messen zwischen 0,1 und fünf Milimetern,<br />
und die Fallgeschwindigkeit eines<br />
Tropfens in Metern pro Sekunde ist<br />
gleich dem doppelten Tropfendurchmesser<br />
in Millimetern. Ein vier Millimeter<br />
grosser Tropfen fällt also mit acht Metern<br />
pro Sekunde. Dies entspricht 29 Stundenkilometern.<br />
Feiner Regen mit seinen<br />
feinen Tröpfchen wird etwa acht bis neun<br />
Kilometer schnell, während die allergrössten,<br />
fünf Millimeter grossen Tropfen<br />
eines mediteranen oder tropischen<br />
Regengusses 35 km/h erreichen. Auch<br />
der Wind spielt eine Rolle. Er kann aufund<br />
abwärts wehen und die Tropfen<br />
dementsprechend beschleunigen. Mehr<br />
als 40 km/h sind aber auch bei schlimmsten<br />
Wetterbedingungen nicht drin. Anders<br />
sieht es aber beim Hagel aus. Dessen<br />
Körner schaffen es auf eine Geschwindigkeit<br />
von bis zu 70 km/h. Sie beschädigen<br />
damit Glasscheiben und Autos. Aussergewöhnlich<br />
grosse Hagelkörner mit einem<br />
Durchmesser von zehn Zentimetern<br />
fallen sogar mit bis zu 150 km/h. Ein<br />
Treffer wäre für einen Menschen lebensgefährlich.<br />
WUSSTEN<br />
SIE SCHON?<br />
32 s’Positive 6 / 2018
1 MILLION NEUE BÄUME<br />
Wo entstand das erste Umweltgesetz?<br />
2<br />
Von seinem Vater zum Studium nach Paris<br />
gesandt, freundete sich Simon Bolivar<br />
mit Alexander von Humbold (1769-<br />
1859) an. Der Sohn eines reichen Plantagenbesitzers<br />
aus Caracas war fasziniert<br />
von den Südamerika-Abenteuern des Gelehrten.<br />
In langen Gesprächen mit dem<br />
Preussen begann Bolivar, sein Leben und<br />
seine Ziele zu überdenken. Schliesslich<br />
schwor er, seine Heimat von der spanischen<br />
Herrschaft zu befreien. Als Revolutionär<br />
kehrte er nach Südamerika zurück<br />
und tatsächlich konnte er nach einem<br />
langen Bürgerkrieg die Macht ergreifen.<br />
Er gründete Grosskolumbien, welches die<br />
heutigen Staaten Kolumbien, Panama,<br />
Ecuador und Venezuela sowie Teile von<br />
Peru und Guyana umfasste. Er installierte<br />
sich selbst als erster Präsident. Die Freiheitsliebe<br />
war indes nicht das Einzige,<br />
womit Humbold ihn angesteckt hatte.<br />
Auch des Gelehrten Naturbegriff und die<br />
Überzeugung, dass der Mensch der Natur<br />
schade, hatten es Bolivar angetan. Auf<br />
den spanischen Plantagen Südamerikas<br />
liessen sich bereits damals Umweltsünden<br />
nachweisen.<br />
Am 19. Dezember 1825 unterzeichnete<br />
Simon Bolivar das Dekret von Chuquisaca:<br />
Das Land verpflichtete sich, eine Million<br />
neue Bäume zu pflanzen, und zwar<br />
dort, wo sie am nötigsten gebraucht wurden.<br />
Zwar ist heute unklar, inwieweit das<br />
Dekret auch tatsächlich umgesetzt wurde.<br />
Doch zum ersten Mal wurde eine Regierung<br />
im Umweltschutz aktiv.<br />
2<br />
269 MILLIARDEN MAILS PRO TAG<br />
Verschmutzen E-Mails die Umwelt?<br />
3<br />
Das verblüfft: Forscher der französischen<br />
Umweltbehörden fanden heraus, dass eine<br />
banale E-Mail durchaus Auswirkungen<br />
auf unsere Umwelt hat. Eine Mail mit einem<br />
Megabyte-Anhang, also einem Foto<br />
oder einer aufwendigen Firmensignatur,<br />
emittiert etwa 19 Gramm Kohlenstoffdioxid.<br />
Acht Mails verschmutzen die Umwelt<br />
demnach etwa so, wie wenn wir einen<br />
Kilometer mit dem Auto fahren. Eine<br />
E-Mail wird durchschnittlich über zehn<br />
Server geschickt, bevor sie den Empfänger<br />
erreicht. Diese Server sind echte<br />
Stromfresser. Eine einzige Mail mag nicht<br />
viel ausmachen, aber die Summe sorgt<br />
für eine erhebliche Umweltbelastung. Jeden<br />
Tag werden 269 Millarden Mails versandt.<br />
Hochgerechnet ergibt sich daraus<br />
ein Energiebedarf, wie ihn die Schweiz<br />
jährlich ausweist.<br />
s’Positive 6 / 2018 33
DER GEISSBOCK<br />
Vom Elend,<br />
ein Geissbock<br />
zu sein<br />
Nur wenigen Tieren geschieht so viel Unrecht<br />
wie dem Geissbock. Wenn der Geissbock<br />
glückselig ist, wenden sich die Menschen von<br />
ihm ab und er muss auch noch als Symbol für<br />
den bocksfüssigen Teufel herhalten.<br />
Alle Ziegen gehören in die Verwandschaft der<br />
Steinböcke – das Klettern liegt in ihrer Natur.<br />
34 s’Positive 6 / 2018
TEXT: KLAUS ZAUGG<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/IANREDDING/PHOTOWIND/CONSTANTIN-CIPRIAN<br />
Zuerst ein kleiner Überblick über<br />
die Ziegen im Allgemeinen. Ziegen<br />
meckern ständig. Es liegt in<br />
ihrer Natur wie bei den Hunden<br />
das Bellen. Ziegen finden Meckern in<br />
Ordnung, was wir davon halten, interessiert<br />
sie wahrscheinlich nicht. Überhaupt<br />
sind ihnen die Menschen offenbar gleichgültig.<br />
Anders als die mit ihnen ziemlich<br />
nahe verwandten Schafe scharen sie sich<br />
nicht gern um die Hirten. «Schafe zählen»<br />
ist ein beliebtes Ritual zum Einschlafen.<br />
«Ziegen zählen» funktioniert hingegen<br />
nicht als Mittel gegen Schlaflosigkeit. Wo<br />
Ziegen wirklich gezählt werden sollten,<br />
ist das meist ein schier unmögliches Unterfangen.<br />
Denn sie klettern nicht nur<br />
über Stock und Stein, sondern auch auf<br />
Bäume, in deren Kronen sie sich ziemlich<br />
gut verstecken können.<br />
UNZUGÄNGLICHE KLETTERMEISTER<br />
Schätzungen zufolge (exakte Zählungen<br />
sind ja nicht möglich) gibt es auf der Erde<br />
über siebenhundert Millionen Ziegen. Die<br />
Ziege ist nach Rind, Schaf, Schwein und<br />
Hund das fünfthäufigste Nutztier. Ein beträchtlicher<br />
Anteil davon lebt verwildert<br />
irgendwo auf Inseln, in schwer zugänglichen<br />
Gebirgen oder im dornigen Buschwerk.<br />
Auf Corvo, der kleinsten und westlichsten<br />
Insel der Azoren, werden Ziegen<br />
ausgesetzt und später gejagt. Diese Ziegenjagd<br />
ist eines der wenigen Vergnügen<br />
der Inselbewohner.<br />
Die Zahl der mehr oder weniger voneinander<br />
unterscheidbaren Ziegenrassen<br />
geht in die Hunderte. Gezüchtet werden<br />
Ziegen sind<br />
bekannt für ihre<br />
Milch, Böcke für<br />
ihren stinkenden<br />
Sexuallockstoff.<br />
sie in drei Richtungen, nämlich als<br />
Fleischziegen, Milchziegen oder wegen<br />
ihrer Haare, die bei einigen Rassen mit<br />
zum Feinsten gehören, was sich an Wolle<br />
finden lässt. Zu den besonderen Spezies<br />
gehören die Vierhornziegen und die<br />
handzahmen Zwergziegen, die in zoologischen<br />
Gärten oft zur Unterhaltung der<br />
Kinder im Einsatz sind. Alle Ziegen gehören<br />
in die Verwandtschaft der Steinböcke<br />
und deshalb entspricht ihre Lust am Klettern<br />
ihrer wahren Natur. Mangels Kletterfelsen<br />
besteigen sie oft das Dach ihres<br />
Nur Durst und Hunger<br />
machen Ziegen gefügig,<br />
nicht aber eine Bindung<br />
zum Menschen. Das unterscheidet<br />
sie von den<br />
Schafen und Hunden.<br />
Stalles, um ihre Blicke in die Ferne<br />
schweifen zu lassen. Es ist dann nicht so<br />
einfach, sie wieder hinunter zu locken.<br />
Sie lassen sich nicht einfach mit einer<br />
Handvoll würziger Kräuter ködern. Ohnehin<br />
haben sie eine natürliche Abneigung<br />
gegen Gesellschaft. Um sich ihren<br />
Feinden zu entziehen, vertrauen sie lieber<br />
ihren Fähigkeiten zum Klettern, als<br />
dem Schutz einer Herde oder eines Stalles.<br />
Schafe zu bewachen ist deshalb ein<br />
Kinderspiel im Vergleich zum Ziegenhü-<br />
ten. Nur Durst und Hunger machen Ziegen<br />
gefügig, nicht aber eine Bindung zum<br />
Menschen. Das unterscheidet sie stark<br />
von den Schafen oder den Hunden.<br />
DER GEISSBOCK STINKT<br />
Und nun kommen wir zum Elend, ein<br />
Geissbock zu sein. Selbst wer sich nicht<br />
mit Ziegen auskennt und sich nicht für<br />
Nutztiere interessiert, weiss es: Der Geissbock<br />
stinkt. Und zwar fürchterlich. Wer<br />
sich nur ganz kurze Zeit in seiner Nähe<br />
aufhält, muss die Kleider wechseln, und<br />
wer längere Zeit, etwa auf einer Alp, mit<br />
einem Geissblock unter dem gleichen<br />
Dach lebt, bringt den penetranten Geruch<br />
nicht einmal mit Duschen sofort aus dem<br />
eigenen Körper.<br />
Dabei ist das Stinken ein Zeichen von<br />
Lebenslust und Potenz. In dem Augenblick,<br />
in dem der Geissbock so richtig gut<br />
drauf ist, wendet sich der Mensch also von<br />
ihm ab. Der Gestank ist in Tat und Wahrheit<br />
ein Sexuallockstoff, für unsere Nasen<br />
halt überdosiert. Erst recht, wenn der<br />
Geissbock in den Stall gesperrt wird. Das<br />
Dasein im Stall entspricht nicht seiner Natur.<br />
Der Geissbock sollte in der felsigen<br />
Natur erhöhte, prominente Positionen<br />
einnehmen können, von wo aus die Luftströmungen<br />
seine lustvolle Botschaft verbreiten.<br />
Die irgendwo im Dickicht fressenden<br />
Geissen-Damen wissen dann anhand<br />
des köstlichen, erregenden Duftes, wohin<br />
sie sich wenden können, wenn sie eine<br />
Begattung wünschen. Den konkurrierenden<br />
Böcken teilt die Schärfe des Duftes<br />
zugleich mit, in welcher körperlichen<br />
s’Positive 6 / 2018 35
DER GEISSBOCK<br />
Ziegen sind<br />
Allesfresser: Lässt<br />
man sie unbeaufsichtigt,<br />
kann das<br />
der Vegetation<br />
schaden.<br />
Verfassung sich der Platzhalter befindet<br />
und ob es sich lohnt, ihn zum Kampf herauszufordern.<br />
Je schlimmer der Gestank,<br />
desto kräftiger, potenter der Bock. Kein<br />
Wunder also, dass ein eingesperrter Ziegenbock<br />
so entsetzlich stinkt, wenn ihm<br />
beides verwehrt wird: die freie Luft und<br />
der an- und aufregende Kampf mit seinen<br />
Rivalen. Und wenn er nicht draussen auf<br />
einem Felsen stehen und seinen Duft verbreiten<br />
kann, dann muss er alles daransetzen,<br />
noch ärger zu stinken, damit sein<br />
Lockstoff vielleicht den Weg aus dem Stall<br />
zur Geissendamenwelt findet. Es kann<br />
dann sein, dass der eingesperrte Geissbock<br />
mangels Rivalen den Kampf mit dem<br />
Menschen sucht – gerade ein stinkender,<br />
angriffslustiger Geissbock kann für den<br />
Menschen sehr gefährlich werden.<br />
VERKÖRPERUNG DES BÖSEN<br />
Es ist sowieso kein Vergnügen, als Bock<br />
zur Welt zu kommen: Die starke Durchdringung<br />
des Körpers mit den Sexuallockstoffen<br />
macht sein Fleisch zur aparten<br />
Spezialität, an der jedoch nur wenige<br />
Geschmack finden, so sehr stinkt das<br />
Fleisch nach Bock (es «böckelet»). Anders<br />
als etwa Stierkälber sind Böcke also nicht<br />
für die lohnende Fleischproduktion nutzbar.<br />
Da Böckchen und Geisslein von Natur<br />
aus etwa gleich häufig geboren werden,<br />
ergeht es den jungen Ziegenböcken wie<br />
Der Ziegenbock musste<br />
schon immer für das<br />
Drastische herhalten.<br />
Früher sah man in ihm<br />
das Bild des Teufels.<br />
den männlichen Jungen vieler anderer<br />
Nutztiere: Sie fallen vorzeitig der sexuellen<br />
Selektion zum Opfer, weil die Züchter<br />
nicht viele Böcke haben wollen. Die blosse<br />
Tatsache, männlich zu sein, ist bei einer<br />
Reihe von Nutztieren bereits ein tödlicher<br />
Nachteil, beim Geissbock erst recht.<br />
Es ist also wirklich ein Elend, ein Ziegenbock<br />
zu sein. Der Ziegenbock musste<br />
schon immer für das Drastische herhalten.<br />
Im Mittelalter und bis in die frühe<br />
Neuzeit hinein sah man im Ziegenbock<br />
das Bild des Teufels. Obwohl man ihm<br />
nicht nachweisen konnte, dass er, wie der<br />
Teufel, das Weihwasser fürchtet. Aber tatsächlich<br />
mag es der Geissbock nicht,<br />
wenn seine Augen mit Wasser besprengt<br />
werden. Das Böse verkörpert er so oder so<br />
seit Anbeginn der Zeiten. Aus dem Dunkel<br />
des Waldes kam in der vorchristlichen<br />
Antike Pan, der ziegenfüssige Gott mit der<br />
Flöte, der panische Angst auslöste und<br />
Mädchen verführte. Mit Pan als Vorbild<br />
war im Christentum die Mutation zum<br />
Teufel, zum Bockfüssigen, nur noch ein<br />
kleiner Schritt.<br />
POTENT UND VERFRESSEN<br />
Ziegen, nicht nur Böcke, sind leider auch<br />
Schädlinge. Zusammen mit Ratten und<br />
Katzen gehören sie zu den grössten Bedrohungen<br />
des Lebens auf vielen ozeanischen<br />
Inseln. Weil sie die Vegetation gnadenlos<br />
kurz und klein fressen. Vor Jahrhunderten<br />
waren die Ziegen von Seefahrern, meistens<br />
von Seeräubern, auf einsame Inseln<br />
gebracht worden, damit sie sich vermehrten<br />
und im Bedarfsfall als Frischfleisch<br />
genutzt werden konnten. Dank der Potenz<br />
der Ziegenböcke und der Genügsamkeit<br />
der Geissen war praktisch jede dieser Aussiedlungen<br />
ein Erfolg. Allerdings mit der<br />
Konsequenz, dass die Vegetation der Insel<br />
alsbald stark geschädigt oder zerstört<br />
wurde. Gut, haben wir im Oberaargau die<br />
Ziegenpopulation unter Kontrolle. Könnten<br />
sich die Ziegen ungehindert vermehren,<br />
würden sie unsere schöne Heimat<br />
über die Zeit so kahlfressen, dass der<br />
Oberaargau nach hundert Jahren wahrscheinlich<br />
ähnlich aussehen würde wie<br />
eine Hügellandschaft im Nahen Osten.<br />
Literatur:<br />
Haustiere von Josef H. Reichholf<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/DUDAREV MIKHAIL<br />
36 s’Positive 6 / 2018
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IN EIGENER SACHE<br />
Leserbriefe & Veranstaltungen<br />
Erinnerungen<br />
Den Bericht «Rohrbacher Pioniere»<br />
von Klaus Zaugg habe ich in einem<br />
Zug lesen müssen. Ich fühlte mich in<br />
meine Kinder- und Jugendzeit<br />
zurückversetzt.<br />
Der Sagivati (Gottfried Lanz) gehört zu<br />
einer von meinen vielen schönen<br />
Kindheitserinnerungen.Wenn er zu einem<br />
«Zwöierli Rote» bei uns im<br />
Lokal einkehrte, durfte ich als ganz<br />
kleines Meiteli auf seinen Knien sitzen<br />
und ein Sirüpli trinken. Für alle Gäste<br />
hatte er ein offenes Ohr und schaute<br />
gerne beim Jassen zu.<br />
Weitere Erinnerungen: Mittags um<br />
halb zwölf und abends um sechs Uhr<br />
bildeten sich auf dem Trottoir kleine<br />
Schlangen von Männern, die von der<br />
Sagiarbeit nach Hause zum Essen gingen.<br />
In der Bäckerei kauften einige Familien<br />
mit dem «Ufschriibi-Büechli»<br />
ein, d.h. sie liessen ihre Einkäufe während<br />
zweier Wochen aufschreiben, und<br />
wenn in der Säge Zahltag war, kamen<br />
sie bar bezahlen. Es gab damals in<br />
Rohrbach sechs Bäckereien.<br />
Beim Bahnhof hielten die mit Trämel<br />
beladenen Güterzüge, um das Holz für<br />
die Sägerei abzuladen. Dieses wurde<br />
dann mit Pferdefuhrwerken in die Sägerei<br />
transportiert. Schwerstarbeit für<br />
die dort arbeitenden Männer, aber äusserst<br />
interessant für die vielen kleinen<br />
Zuschauer. Fast chli wie Fernsehen<br />
heute!<br />
Gegenüber der Säge standen ein paar<br />
sehr alte Häuser mit Rauchküche. In<br />
eines davon konnte man von der<br />
Hausmetzgete das Fleisch zum Räuchern<br />
bringen. Schinken und Speck<br />
wurden an der Küchendiele aufgehängt.<br />
In einem anderen Haus wurden<br />
Skier fabriziert. Anschauungsunterricht<br />
für uns Kinder.<br />
Wie lebten wir damals doch in einem<br />
kurzweiligen Dorf. Fast in jedem Haus<br />
stand eine Milch spendende Kuh und<br />
es grunzten ein paar Schweine. Wir<br />
Kinder streunten von Haus zu Haus,<br />
um überall den verschiedenen Handwerkern<br />
zuzuschauen. Und Lädeli, wo<br />
das Petrolfass neben einem Sack Hörnli<br />
stand, gab es in zweistelliger Zahl.<br />
Von Kohler-Coiffeur bis zur Schmittenbrücke<br />
konnten wir Schlagball spielen<br />
oder im Winter «schliifschuene». Auto<br />
war praktisch ein Fremdwort für uns.<br />
Ich freue mich für die heutigen Kinder,<br />
dass Herr Bösiger an sie gedacht<br />
hat!<br />
Hedi Zulauf, 4938 Rohrbach<br />
Auch in der Schweiz<br />
Mit Interesse las ich Ihren Bericht<br />
über das Projekt in Kambodscha. Ich<br />
gebe Ihnen nicht ganz recht in Ihrer<br />
Stellungnahme, dass es hilft, wenn<br />
von 100 % Geld 80 % in irgendwelchen<br />
Kanälen verschwinden. Es gibt durchaus<br />
Möglichkeiten, auch 100 % seines<br />
Einsatzes zu sehen und zu erkennen.<br />
Ich gehöre einer Gemeinschaft von<br />
Spitex-Mitarbeitern an, die täglich bedürftige<br />
Menschen sehen, und das sogar<br />
hier in der Schweiz, genauer gesagt<br />
in Langenthal. Auch wenn ich erst<br />
seit 1.5 Jahren zum Langenthal-Team<br />
gehöre, so kristallisierte sich schnell<br />
heraus, dass viele von uns sich auch<br />
privat noch engagieren. Seien es nun<br />
Hilfsdienste, Besuche, Unterstützungen<br />
oder auch Gartenarbeiten, alles<br />
wird unentgeltlich verrichtet – eben<br />
für hilfsbedürftige Menschen hier vor<br />
Ort.<br />
Auch in der sogenannten reichen<br />
Schweiz gibt es Menschen die Hilfe<br />
benötigen, d.h. nicht unbedingt finanzieller<br />
Art, sondern gerade im täglichen<br />
Leben. Wir sind eine eingeschworene<br />
Gemeinschaft und unterstützen<br />
uns auch gegenseitig, sowohl privat<br />
als auch dienstlich. Der Dank der Menschen,<br />
denen wir helfen, ist sehr herzlich<br />
und, das spüren wir jeden Tag,<br />
auch das ist ein Lohn. Die Menschen<br />
schätzen unseren sinnvollen Einsatz,<br />
den wir ehrenamtlich verrichten, und<br />
wir haben Freude an unserer Arbeit.<br />
Ob nun Kambodscha, Afrika oder hier<br />
in der Schweiz, wenn sich noch mehr<br />
Menschen für Menschen engagieren<br />
würden, dann wäre die Welt friedlicher<br />
und viele Menschen zufriedener,<br />
auch die, die sich engagieren.<br />
Hidde Paulmann<br />
Ihre Meinung interessiert uns<br />
Sind Sie mit etwas nicht einverstanden?<br />
Haben Sie Fragen, die auch andere Leser<br />
interessieren könnten? Oder haben<br />
Sie eine Ergänzung zu einem Artikel?<br />
Dann schreiben Sie uns. Ab der kommenden<br />
Ausgabe reservieren wir Platz<br />
für Sie. Oder möchten Sie über ein Thema,<br />
das wir noch nicht gebracht haben,<br />
mehr erfahren? Wir können Ihnen zwar<br />
keinen Artikel darüber garantieren.<br />
Aber prüfen werden wir Ihren Vorschlag<br />
ganz bestimmt.<br />
Wir wissen noch nicht, was auf uns zukommt,<br />
wenn wir die Möglichkeit zu<br />
Leserreaktionen bieten. Möglich, dass<br />
keine einzige kommt. Ebenfalls möglich,<br />
dass wir nicht alle Ihre E-Mails<br />
und Briefe publizieren können, und<br />
deshalb eine Auswahl treffen müssen.<br />
Werden Sie bitte nicht zu lang. Sonst<br />
müssten wir Ihren Beitrag eventuell<br />
kürzen.<br />
Beiträge mit beleidigenden, diffamierenden,<br />
rassistischen und sexistischen<br />
Inhalt werden nicht veröffentlicht.<br />
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St. Urbanstrasse 31<br />
4914 Roggwil<br />
FOTO: ZVG<br />
38 s’Positive 6 / 2018
Au<br />
Au<br />
den<br />
den<br />
Spuren<br />
Spuren<br />
der<br />
der<br />
berchgten<br />
berchgten<br />
ikinger<br />
ikinger<br />
durch<br />
durch<br />
das<br />
das<br />
Polarmeer<br />
Polarmeer<br />
Spitzbergen Grönland Island<br />
Spitzbergen - Grönland - Island<br />
Preis pro Person<br />
im Preis Doppelzimmer pro Person<br />
im Fr. Doppelzimmer<br />
8'975.-<br />
Fr. 8'975.-<br />
Anmeldeschluss: 01. Oktober 2018<br />
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Entdecken Sie Spitzbergen, Grönland und<br />
Island:<br />
Entdecken<br />
Ein Abenteuer,<br />
Sie Spitzbergen,<br />
das man<br />
Grönland<br />
mit nichts<br />
und<br />
auf<br />
Island:<br />
der<br />
Ein<br />
nördlichen<br />
Abenteuer,<br />
Hemisphäre<br />
das man<br />
vergleichen<br />
mit nichts<br />
kann.<br />
auf der nördlichen<br />
Sobald wir<br />
Hemisphäre<br />
den unberührten<br />
vergleichen<br />
Naonalpark<br />
kann. Sobald<br />
erreicht<br />
wir den<br />
haben,<br />
unberührten<br />
sehen wir<br />
mitunter<br />
Naonalpark<br />
tagelang<br />
erreicht<br />
keine<br />
haben,<br />
anderen<br />
sehen<br />
Schiffe.<br />
wir<br />
Die<br />
mitunter<br />
Chance,<br />
tagelang<br />
auf einen<br />
keine anderen<br />
Polarwolf<br />
Schiffe.<br />
oder<br />
Eisbären<br />
Die Chance,<br />
zu treffen,<br />
auf einen<br />
ist hier<br />
Polarwolf<br />
weit größer,<br />
oder<br />
als<br />
Menschen<br />
Eisbären zu<br />
zu<br />
treffen,<br />
begegnen.<br />
ist hier weit größer, als<br />
Menschen zu begegnen.<br />
M/S M/S Roald Roald Amundsen<br />
NEU EXKLUSIV MIT<br />
GERBER<br />
NEU & EXKLUSIV<br />
REISEBEGLEITUNG<br />
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Limierte Plätze etzt buchen & Plätze sichern<br />
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TEL: <strong>06</strong>2 916 50 50 oder www.gerber-reisen.ch<br />
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Die große Gerber Epedionsreise vom 25. uli 0. August 2019<br />
Die große Gerber Epedionsreise vom 25. uli - 0. August 2019