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„Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.“ – Das Groteske in ...

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III. Personen<br />

Schon im Personenregister 99 fällt <strong>die</strong> allmähliche Ent<strong>in</strong>dividualisierung <strong>in</strong>s Auge: Bei den<br />

„Besuchern<strong>“</strong> wird Claire mit beiden Namensteilen, dem Geburtsnamen und dem<br />

Charakteristikum „Multimillionär<strong>in</strong><strong>“</strong> aufgeführt <strong>–</strong> „e<strong>in</strong>e Held<strong>in</strong>, von Anfang an<strong>“</strong> 100 . Im<br />

Gegensatz dazu erhalten <strong>die</strong> Gatten lediglich Ziffern, und ihre Begleiter unterscheiden sich<br />

„kaugummikauend<strong>“</strong> oder „bl<strong>in</strong>d<strong>“</strong> nur durch <strong>die</strong> verschiedenen Initialen.<br />

Der sich zur Hauptfigur entwickelnde Alfred Ill wird nur mit dem Nachnamen aufgeführt,<br />

e<strong>in</strong>ige der restlichen Güllener/„Besuchten<strong>“</strong>, „Sonstigen<strong>“</strong> und „Lästigen<strong>“</strong> erhalten<br />

Berufsbezeichnungen, <strong>die</strong> Übrigen müssen sich mit Ord<strong>in</strong>alzahlen (Der Erste etc., Erste<br />

Frau etc.) zufrieden geben. E<strong>in</strong> Funke Individualität könnte höchstens noch bei Fräule<strong>in</strong><br />

Luise registriert werden, der dann aber wieder durch deren Nicht-Präsenz im Drama <strong>–</strong><br />

wenn man von ihren beiden Bühnenüberschreitungen absieht 101 <strong>–</strong> aufgehoben wird. Die<br />

<strong>in</strong>dividuelle Persönlichkeit tritt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Masse zurück und wird e<strong>in</strong>dimensional. Es gibt so<br />

gut wie ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelmenschen mit unverwechselbaren Charakteren und Autonomie;<br />

Austauschbarkeit und kollektive Erfahrung herrschen vor, <strong>die</strong> nichts Positives bilden.<br />

A. <strong>Das</strong> Komische und <strong>Groteske</strong> der Güllener geht über e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Diskrepanz zwischen<br />

sowohl Handeln und Reden als auch Se<strong>in</strong> und Sche<strong>in</strong> h<strong>in</strong>aus. Es werden Figuren blamiert<br />

und komisch, da sie das E<strong>in</strong>treffen <strong>die</strong>ser Diskrepanz gar nicht e<strong>in</strong>schätzen oder<br />

voraussehen können. Sie vollzieht sich außerhalb jedweden Sprachmusters und -anliegens<br />

<strong>–</strong> es reicht das Aufe<strong>in</strong>andertreffen von autonomen Abläufen:<br />

DER BÜRGERMEISTER Verehrte, gnädige Frau. Als Bürgermeister von Güllen habe ich <strong>die</strong> Ehre, Sie,<br />

gnädige, verehrte Frau, als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d unserer Heimat …<br />

Durch das Geräusch des davonrasenden Zuges wird der Rest der Rede des Bürgermeisters, der<br />

unentwegt weiterspricht, nicht mehr verstanden.<br />

Aber: <strong>„Im</strong>mer geht es bei Dürrenmatt <strong>in</strong>haltlich um <strong>die</strong> grundsätzliche Ohnmacht des<br />

menschlichen Geistes.<strong>“</strong> 102 Es läuft auch auf <strong>die</strong> Divergenz von Handeln und Bewusstse<strong>in</strong><br />

h<strong>in</strong>aus, <strong>die</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „undurchschauten Selbsttäuschung<strong>“</strong> 103 fußt. H<strong>in</strong>zu kommen durchaus<br />

komödiantische Aspekte wie <strong>die</strong> zweckbewusste Lüge und <strong>die</strong> (gewollte) Verkennung der<br />

realen Situation; es treffen moralische Schwächen auf <strong>in</strong>tellektuelle Mängel,<br />

Verstandsversagen und nicht fortgeschrittenes Bewusstse<strong>in</strong>. 104 Der Mensch stößt an <strong>die</strong><br />

99<br />

Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame, S. 11f.<br />

100<br />

Ebd., S. 143. (Anmerkung I)<br />

101<br />

Ebd., S. 57 & S. 92.<br />

102<br />

Waldmann: Dürrenmatts paradoxes Theater, S. 30.<br />

103<br />

Profitlich: Friedrich Dürrenmatt, S. 83.<br />

104<br />

Müller: Komö<strong>die</strong> im Atomzeitalter, S. 125.<br />

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