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„Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.“ – Das Groteske in ...

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<strong>Das</strong> von Dürrenmatt forcierte Stilmittel des E<strong>in</strong>falls, das er schon Aristophanes zuschreibt,<br />

falle „<strong>in</strong> <strong>die</strong> Welt wie Geschosse, <strong>die</strong> […] <strong>die</strong> Gegenwart <strong>in</strong>s Komische, aber dadurch auch<br />

<strong>in</strong>s Sichtbare verwandeln<strong>“</strong> 40 . <strong>Das</strong> bedeutet, dass sich der gedankliche E<strong>in</strong>fall (des Dichters)<br />

durch se<strong>in</strong>e Zügellosigkeit und Plötzlichkeit gar zu e<strong>in</strong>em unberechenbaren, verändernden<br />

E<strong>in</strong>fall (auf den Verlauf) umdeuten ließe, also durch ihn e<strong>in</strong>e Möglichkeit der Moderne<br />

aufgezeigt wird. Er mutiert durch se<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung mit der oben erwähnten<br />

Unwahrsche<strong>in</strong>lichkeit zum Zufall (anstatt des göttlichen Fatums 41 ), welcher wiederum<br />

dazu <strong>die</strong>nen mag das <strong>Groteske</strong> im menschlichen Planen bloßzustellen 42 und menschliche<br />

Vernunftgebilde zu verzerren.<br />

Es geht Dürrenmatt aber weder um den Zufall als besondere Möglichkeit, noch um <strong>die</strong><br />

Preisgabe der Welt an solche Zufälle, sondern vielmehr um das Erf<strong>in</strong>den und Vorstellen<br />

von möglichen Konstellationen, das vor allem auf <strong>die</strong> Gegenwart als e<strong>in</strong>e eigentliche<br />

Möglichkeit h<strong>in</strong>weist, <strong>die</strong> <strong>–</strong> entgegen Heuer <strong>–</strong> nicht nur als nie wiederkehrende Chance<br />

dargestellt wird. Der E<strong>in</strong>fall durchschlägt dabei durch se<strong>in</strong>e äußerste Situation fest<br />

gewordene Gewohnheiten. 43<br />

Allen dargestellten Spielarten des <strong>Groteske</strong>n ist <strong>die</strong> ästhetische Wirkung auf den<br />

Rezipienten geme<strong>in</strong>: Es wird e<strong>in</strong>e bestimmte Art des Lachens erzeugt. Dessen Typus<br />

könnte man als satanisch, überrascht oder im Halse stecken geblieben beschreiben, aber<br />

selbstverständlich muss <strong>die</strong>s e<strong>in</strong>e bestimmte Sichtweise, aber auch Erkenntnis beim Leser<br />

voraussetzen, damit das <strong>Groteske</strong> erkannt wird. Damit <strong>die</strong> Situation nicht re<strong>in</strong><br />

grauenerregend oder bizarr bleibt, muss e<strong>in</strong>e bestimmte gleichwertige, näher nicht<br />

konkretisierbare 44 Mischung von Lächerlichem und Dämonischem vorliegen. Im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en kommt es zur Schaffung e<strong>in</strong>es „spukhaften Es<strong>“</strong> 45 , das <strong>die</strong> Entfremdung der<br />

Friedrich Dürrenmatt: Dramaturgische Überlegungen zu den ‚Wiedertäufern’. In: Ders.: Gesammelte<br />

Werke. Bd. 7: Essays. Gedichte. Zürich 1996, S. 94-105, h.: S. 102.<br />

40<br />

Dürrenmatt: Theaterprobleme, S. 59.<br />

41<br />

Sander: Form und <strong>Groteske</strong>, S. 310.<br />

42<br />

Helbl<strong>in</strong>g: <strong>Groteske</strong>s und Absurdes, S. 251.<br />

43<br />

Heuer: <strong>Das</strong> <strong>Groteske</strong> als poetische Kategorie, S. 744.<br />

44<br />

„He [Dürrenmatt; S.F.] uses the grotesque to summon up horror as well as laughter and is alive to the<br />

enterta<strong>in</strong>ment value of each. Imperceptiply one is led to the term ‘Galgenhumor’.”<br />

Johnson: Grotesqueness and <strong>in</strong>justice, S. 268.<br />

<strong>–</strong> Inwieweit <strong>die</strong> Semantik des Wortes Galgenhumor e<strong>in</strong>e ausgewogene Gleichstellung von Grauen und<br />

Lachen zulässt, müsste bestimmt genauer untersucht werden, würde aber an <strong>die</strong>ser Stelle zu weit führen.<br />

Aber zur vere<strong>in</strong>fachten Vorstellung <strong>die</strong>nt der Begriff allemal. „The word ‚Galgenhumor’ [… is], if not a<br />

def<strong>in</strong>ition of much of the macabre humour <strong>in</strong> our writer, at least a recipe for it.” Ebd., S. 269.<br />

45<br />

Kayser: <strong>Das</strong> <strong>Groteske</strong>, S. 137.<br />

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