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„Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.“ – Das Groteske in ...

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Entscheidung zu f<strong>in</strong>den. In ihm ist <strong>die</strong> paradoxe Erfahrung verborgen, <strong>die</strong> Möglichkeit der<br />

Humanität. Die Güllener verraten <strong>die</strong>se, Ill rettet sie als Idee. 116<br />

Auch im Tötungsakt selbst wird das <strong>Groteske</strong> herausgekehrt, <strong>in</strong>dem Ill <strong>die</strong> tragische<br />

Komponente e<strong>in</strong>nimmt und gestaltet, und durch <strong>die</strong> Reporter und das Verschleierungsspiel<br />

(„Schmierentheater<strong>“</strong> 117 ) der Güllener e<strong>in</strong> möglicher heldenhafter Tod entheroisiert 118 wird.<br />

Die Schilderung kehrt sich vom Menschlichen (Ende e<strong>in</strong>es Lebens) zum Unmenschlichen<br />

(„Die Gasse verwandelt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Menschenknäuel, lautlos, der sich ballt, der langsam<br />

niederkauert. Stille.<strong>“</strong> 119 ), 120 fördert das Nebene<strong>in</strong>ander von Distanz und Betroffenheit.<br />

C. Claire Zachanassian, <strong>die</strong> groteske Zentralfigur des Stücks, 121 <strong>die</strong><br />

sich außerhalb der menschlichen Ordnung bewegt, ist […] etwas Unabänderliches, Starres geworden,<br />

ohne Entwicklung mehr, es sei denn <strong>die</strong>, zu verste<strong>in</strong>ern, e<strong>in</strong> Götzenbild zu werden. 122<br />

Äußerlich s<strong>in</strong>d Lebendig-Menschliches und Masch<strong>in</strong>enhaft-Totes zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit<br />

verschmolzen. Sie ist „alt geworden und fett<strong>“</strong> 123 , aber wiederum „nicht umzubr<strong>in</strong>gen<strong>“</strong> 124 .<br />

Künstliche Teile (Prothesen) ahmen Menschliches nach, treten an <strong>die</strong> Stelle von<br />

Körperteilen, <strong>die</strong> sie mit der Nutzung von Masch<strong>in</strong>en (Auto, Flugzeug) verloren hat. Der<br />

Mensch ist verd<strong>in</strong>glicht und das D<strong>in</strong>g vermenschlicht, Natürlichkeit wird von<br />

Künstlichkeit verdrängt, wird also zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>heit verschmolzen. Weiterh<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>det sie<br />

Schönes und Hässliches <strong>in</strong> sich, <strong>die</strong> Grazie (bzw. e<strong>in</strong> Teil von ihr) wird durch das<br />

Abstoßende e<strong>in</strong>genommen, das <strong>in</strong> <strong>die</strong> Welt des Schönen und damit Wahren, Guten und<br />

Positiven e<strong>in</strong>greift. H<strong>in</strong>ter der Fassade des Gewohnten und Vertrauten, das <strong>die</strong> Güllener <strong>in</strong><br />

der ehemaligen Mitbürger<strong>in</strong> Klärchen Wäscher sehen, verbirgt sich das Fremde und<br />

Andere, aber auch Erschreckende von Claire, der „reichste[n] Frau der Welt<strong>“</strong> 125 .<br />

116<br />

Müller: Komö<strong>die</strong> im Atomzeitalter, S. 117f.<br />

117<br />

Ebd., S. 120.<br />

118<br />

Profitlich: Friedrich Dürrenmatt, S. 81.<br />

119<br />

Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame, S. 129.<br />

120<br />

„In der Wurstelei unseres Jahrhunderts, <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Kehraus der weißen Rasse, gibt es ke<strong>in</strong>e Schuldigen<br />

und auch ke<strong>in</strong>e Verantwortlichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. Es geht<br />

wirklich ohne jeden. Alles wird mitgerissen und bleibt <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>em Rechen hängen. Wir s<strong>in</strong>d kollektiv<br />

schuldig, zu kollektiv gebettet <strong>in</strong> <strong>die</strong> Sünden unserer Väter und Vorväter. […] <strong>Das</strong> ist unser Pech, nicht<br />

unsere Schuld: Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat.<strong>“</strong><br />

Dürrenmatt: Theaterprobleme, S. 59.<br />

121<br />

„Von rechts kommt Claire Zachanassian, zweiundsechzig, rothaarig, Perlenhalsband, riesige goldene<br />

Armr<strong>in</strong>ge, aufgedonnert, unmöglich, aber gerade darum wieder e<strong>in</strong>e Dame von Welt, mit e<strong>in</strong>er seltsamen<br />

Grazie, trotz allem <strong>Groteske</strong>n.<strong>“</strong> Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame, S. 21f.<br />

122<br />

Ebd., S. 143. (Anmerkung I)<br />

123 Ebd., S. 26.<br />

124 Ebd., S. 40.<br />

125 Ebd., S. 142. (Anmerkung I)<br />

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