Erfolgsfaktoren bei der Beratung - Wirtschaftspsychologie aktuell
Erfolgsfaktoren bei der Beratung - Wirtschaftspsychologie aktuell
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eDossier<br />
<strong>Erfolgsfaktoren</strong><br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
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eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
beraten und verkauft – mit dem Image <strong>der</strong> Berater steht es nicht zum Besten. Vermeintlich<br />
einfache Rezepte für komplexe Prozesse, verpackt in bunte Powerpoint-Präsen tationen,<br />
das sind nur einige <strong>der</strong> Vorwürfe.<br />
War so mancher Manager vor einigen Jahren noch beeindruckt von den flotten Sprüchen,<br />
so lassen sich die Einkäufer von Consulting-Leistungen heute nicht mehr so leicht blenden.<br />
Dennoch bleibt die Professionalisierung <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Beraterauswahl oft eine Wunschvorstellung.<br />
Denn je strukturierter und formalistischer ein Unternehmen den Auswahlprozess<br />
gestaltet, desto mehr Tricks finden die Mitar<strong>bei</strong>ter, um die Regeln zu umgehen.<br />
Das hat <strong>der</strong> Organisationsexperte Professor Alfred Kieser von <strong>der</strong> Universität Mannheim<br />
herausgefunden.<br />
Auch die <strong>Beratung</strong> selbst ist noch immer so etwas wie eine Blackbox. Keiner weiß genau,<br />
was dort eigentlich passiert und was wie wirkt. Was macht eine <strong>Beratung</strong> erfolgreich?<br />
Welche Rolle spielt die Persönlichkeit eines Beraters? Das alles sind psychologische Fragestellungen,<br />
die noch besser erforscht werden müssten. Mit ihrem Verfahren, das die<br />
Interaktionen zwischen Berater und Kunden analysiert, liefert die Braunschweiger Psychologieprofessorin<br />
Simone Kauffeld da<strong>bei</strong> einen wertvollen Ansatz mit teils erstaunlichen<br />
Ergebnissen.<br />
<strong>Beratung</strong> ist eine komplexe Tätigkeit, die vielfältige Kompetenzen erfor<strong>der</strong>t. Berater müssen<br />
fachliches Wissen vermitteln, Gespräche zeitlich strukturieren und in die gewünschte<br />
Richtung lenken. Sie müssen gute Kommunikatoren sein und brauchen das notwendige<br />
Einfühlungsvermögen, um ihren Gesprächspartner zu überzeugen. Doch je komplexer<br />
unsere Welt wird, desto gefragter sind Experten, die die vielen Fäden professionell entwirren<br />
und da<strong>bei</strong> helfen, sie wie<strong>der</strong> zu einem neuen Ganzen zusammen zu führen.<br />
powered by<br />
Bärbel Schwertfeger, Dipl.-Psych.<br />
Chefredakteurin <strong>der</strong> „<strong>Wirtschaftspsychologie</strong> <strong>aktuell</strong>“<br />
3
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
5<br />
11<br />
18<br />
24<br />
30<br />
powered by<br />
Der professionalisierte Klient: Wunschdenken o<strong>der</strong><br />
Wirklichkeit?<br />
N. Jung, A. Kieser<br />
Viele Unternehmen haben zwar den Einkauf von Beratern formalisiert und<br />
bürokratisiert, doch die Vorschriften werden oft unterlaufen, und die damit<br />
suggerierte Objektivität und Rationalität <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Auswahl von Beratern gibt es<br />
faktisch nicht. Das zeigt eine empirische Studie.<br />
Persönlichkeit bestimmt <strong>Beratung</strong>serfolg: Eine Studie<br />
zeigt Zusammenhänge<br />
H. Schnei<strong>der</strong>, S. Kauffeld<br />
Was macht einen Berater erfolgreich? Welche Rolle spielen da<strong>bei</strong> die Persönlichkeit<br />
und <strong>der</strong> berufliche Ehrgeiz eines Beraters? Die Ergebnisse einer Feldstudie<br />
im Bereich Verkaufsberatung geben Hilfestellungen für die richtige Personalauswahl.<br />
Wie statt warum: Was das Prinzip <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong> Personalmanagern bringt<br />
T. Leipoldt, B. Lenhart<br />
Die Erwartungen an Personaler als sogenannte Business-Partner in Bezug auf<br />
ihre <strong>Beratung</strong>s-, Coaching- und Change-Kompetenz sind hoch. Die lösungsorientierte<br />
<strong>Beratung</strong> ist da<strong>bei</strong> eine geeignete Methode, um in <strong>der</strong> Rolle eines internen<br />
Beraters rasch überzeugende Ergebnisse zu erzielen.<br />
Presencing – wie Lernen und Handeln von <strong>der</strong> Zukunft her<br />
funktionieren<br />
I. Kohlhofer, H. Jäckel<br />
Management-Methoden basieren meist auf alten mentalen Modellen und werden<br />
<strong>der</strong> immer komplexeren Realität nicht mehr gerecht. Die <strong>Beratung</strong> nach<br />
dem Presencing-Ansatz hinterfragt bisherige Erklärungsmuster, rückt neue<br />
Zusammenhänge in den Fokus und nutzt die Intuition, um eine bisher nicht<br />
denkbare Zukunft zu antizipieren.<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Core Story: Im Kern steht immer<br />
eine Geschichte<br />
M. Müller<br />
Die Entwicklung einer Core Story hilft Unternehmen und Einzelpersonen, ihre<br />
berufliche o<strong>der</strong> geschäftliche Identität zu schärfen, und bietet gleichzeitig eine<br />
Blaupause für die Kommunikation nach außen.<br />
4
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Der professionalisierte Klient:<br />
Wunschdenken o<strong>der</strong> Wirklichkeit?<br />
N. Jung, A. Kieser<br />
Viele Unternehmen haben zwar den Einkauf<br />
von Beratern formalisiert und bürokratisiert,<br />
doch die Vorschriften werden<br />
oft unterlaufen, und die damit suggerierte<br />
Objektivität und Rationalität <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Auswahl von Beratern gibt es faktisch<br />
nicht. Das zeigt eine empirische Studie.<br />
Es ist noch nicht allzu lang her, da wurden<br />
in <strong>der</strong> wissenschaftlichen Literatur wie<br />
auch in <strong>der</strong> Presse Berater als rhetorisch<br />
versierte „Händler in Problemen, Praktiken<br />
und Sinn“ charakterisiert. Sie würden<br />
Lösungen für Probleme verkaufen, von <strong>der</strong>en<br />
Existenz die Manager vor dem Auftritt<br />
<strong>der</strong> Berater nichts geahnt hätten. Manager<br />
wurden als Opfer <strong>der</strong> Überredungskunst<br />
<strong>der</strong> Berater geschil<strong>der</strong>t. Sie seien „beraten<br />
und verkauft“.<br />
Neuerdings wollen Beobachter <strong>der</strong> Szene<br />
jedoch eine Aufrüstung aufseiten <strong>der</strong> Klienten<br />
erkannt haben. Die Klienten, so wird<br />
vielfach betont, würden systematischer<br />
und selbstbewusster – rationaler – im Umgang<br />
mit Beratern. Sogar von einer „Klienten-Professionalisierung“<br />
ist die Rede, die<br />
die Klienten sozusagen auf Augenhöhe mit<br />
den Beratern als „Experten“ bringt (wo<strong>bei</strong><br />
allerdings oft übersehen wird, dass <strong>der</strong>en<br />
Expertentum längst nicht gesichert ist). In<br />
einer empirischen Untersuchung sind wir<br />
<strong>der</strong> Frage nachgegangen, wie stark sich das<br />
Management von <strong>Beratung</strong>sprozessen tatsächlich<br />
verän<strong>der</strong>t hat und welche Chancen<br />
und Risiken damit einhergehen.<br />
powered by<br />
Klienten-Professionalisierung – was<br />
ist das?<br />
Diejenigen, die über Klienten-Professionalisierung<br />
berichten – o<strong>der</strong> diese for<strong>der</strong>n –,<br />
lassen keine Zweifel an <strong>der</strong>en Vorteilen.<br />
Zweifelsohne trage sie etwa zu einer Erhöhung<br />
<strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>squalität und zu einer<br />
Senkung <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>skosten <strong>bei</strong>. Was sich<br />
tatsächlich hinter dem Begriff verbirgt, ist<br />
allerdings nicht so einfach auszumachen.<br />
Nach Michael Mohe, Juniorprofessor für<br />
Business Consulting an <strong>der</strong> Universität Oldenburg,<br />
geht es darum, Klienten mit Expertise<br />
zur Auswahl und Steuerung von<br />
Beratern sowie zur Kooperation mit ihnen<br />
auszustatten. Die Tipps für die Klienten leiten<br />
sich da<strong>bei</strong> nicht selten direkt aus ver-<br />
Dr. Nicole Jung,<br />
Diplom-Kauffrau,<br />
wissenschaftliche Mitar<strong>bei</strong>terin an<br />
<strong>der</strong> Universität Mannheim<br />
jung@orga.bwl.uni-mannheim.de<br />
Professor Dr. Dr. h. c.<br />
Alfred Kieser,<br />
Inhaber des Lehrstuhls für<br />
Allgemeine Betriebswirtschaftslehre<br />
und Organisation an <strong>der</strong><br />
Universität Mannheim<br />
kieser@bwl.uni-mannheim.de<br />
5<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
istockphoto/pinopic<br />
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Genehmigung von Budgets für Berateraufträge: Oft erst nach<br />
strikter Kosten-Nutzen-Rechnung<br />
muteten „Best Practices“ ab, die einzelne<br />
größere Unternehmen in ihrem Umgang<br />
mit Beratern zur Schau stellen. Was die Auswahl<br />
von Beratern anbelangt, wird etwa<br />
auf verschiedene Selektionsstufen und<br />
Auswahlrunden o<strong>der</strong> strategisch angepasste<br />
Beschaffungsstrategien verwiesen.<br />
Um die Steuerung von Beratern effektiver<br />
zu machen – die Rede ist in diesem Zusammenhang<br />
auch von Governance-Mechanismen<br />
<strong>der</strong> <strong>Beratung</strong> –, wird die Schaffung adäquater<br />
Anreiz- und Kontrollmechanismen<br />
empfohlen. Als Teil <strong>der</strong> Governance wird<br />
auch die Evaluation abgeschlossener <strong>Beratung</strong>sprojekte<br />
gesehen. Ergebnisse solcher<br />
Evaluierungen können dann wie<strong>der</strong> für<br />
Aus wahl ent schei dungen in zukünftigen<br />
Projek ten herangezogen werden.<br />
powered by<br />
Einschaltung zentraler Stellen<br />
Den Befürwortern einer Klienten-Professionalisierung<br />
erscheint es zweckmäßig,<br />
Expertise und Verfahren zu Auswahl und<br />
Steuerung <strong>der</strong> Berater in zentralen Einheiten<br />
des Unternehmens zu verankern, um<br />
<strong>der</strong>en Anwendung <strong>bei</strong> allen <strong>Beratung</strong>sprojekten<br />
in gleichem Umfang sicherzustellen.<br />
Dafür kommt etwa <strong>der</strong> zentrale<br />
Einkauf in Betracht, aber auch das Inhouse-<br />
Con sul ting kann eine wichtige Rolle <strong>bei</strong><br />
<strong>der</strong> Koordination und Evaluation von <strong>Beratung</strong>sprojekten<br />
übernehmen. Ein gewünschter<br />
Effekt <strong>der</strong> Einschaltung solcher<br />
zentralen Stellen ist es, die mitunter engen<br />
persönlichen Beziehungen zwischen Beratern<br />
und den sie anfor<strong>der</strong>nden Managern<br />
auf Distanz zu bringen, die in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
nicht selten zu überflüssigen <strong>Beratung</strong>saufträgen<br />
und übertrieben positiven<br />
Einschätzungen abgelaufener Projekte geführt<br />
haben. Nicht mehr persönliche Beziehungen<br />
sollen zu Aufträgen führen und <strong>der</strong><br />
wechselseitigen För<strong>der</strong>ung von Interessen<br />
dienen, son<strong>der</strong>n es soll nur eine absolut<br />
erfor<strong>der</strong>liche <strong>Beratung</strong> von den dazu am<br />
besten qualifizierten Beratern geben.<br />
Sinnvolle Professionalisierung?<br />
Auf den ersten Blick scheint eine solche<br />
Klienten-Professionalisierung ein sinnvolles<br />
und folgerichtiges Unterfangen. Auf den<br />
zweiten Blick ist das nicht mehr so klar. An<br />
welchen Merkmalen etwa kann <strong>der</strong> Klient<br />
eine objektiv fundierte Auswahl von Beratern<br />
durchführen, wenn er diese Leistung<br />
vor dem konkreten Projekt nicht greifen,<br />
sehen, schmecken o<strong>der</strong> hören kann und<br />
es auch nicht möglich ist, identische Leistungen<br />
zu reproduzieren? Er kann allenfalls<br />
die Lösungsvorschläge, die Präsentationen<br />
und die Persönlichkeit <strong>der</strong> Berater auf sich<br />
6<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
wirken lassen. Aber diese Eindrücke sagen<br />
kaum etwas über die in einem eventuellen<br />
Projekt tatsächlich erbrachten Leistungen<br />
aus. So vernünftig die For<strong>der</strong>ung nach<br />
einer Ex-post-Evaluierung von Projekten<br />
auch ist, <strong>bei</strong> genauerem Hinsehen dürfte<br />
sich ihre Umsetzung als höchst problematisch<br />
erweisen: Wie soll man die Leistung<br />
des Beraters von an<strong>der</strong>en Einflüssen isolieren,<br />
wie etwa <strong>der</strong> Konjunktur, den Aktivitäten<br />
<strong>der</strong> Wettbewerber o<strong>der</strong> den mehr<br />
o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> qualifizierten Beiträgen <strong>der</strong><br />
eigenen Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Implementierung<br />
einer Lösung? Zudem erfüllen Berater<br />
nicht nur die Funktion, überlegene Lösungen<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Gestaltung von Strategien<br />
o<strong>der</strong> Prozessen zu schaffen; sie werden<br />
auch geholt, weil sie einzuführende o<strong>der</strong><br />
bestehende Maßnahmen gegenüber den<br />
Banken, <strong>der</strong> Öffentlichkeit und den eigenen<br />
Mitar<strong>bei</strong>tern als beste Praktiken legitimieren.<br />
Wie soll man solche Funktionen<br />
bewerten? Derartige Fragen lassen Zweifel<br />
aufkommen, inwieweit die Klienten-Professionalisierung<br />
tatsächlich ein sinnvolles<br />
und realistisches Projekt darstellt.<br />
Ergebnisse einer empirischen Studie<br />
Überlegungen dieser Art haben uns zu einem<br />
empirischen Projekt veranlasst, in dem<br />
folgende Fragen im Mittelpunkt standen:<br />
Gibt es tatsächlich eine Entwicklung,<br />
die sich als Klienten-Professionalisie rung<br />
kennzeichnen lässt?<br />
Welches sind die Hintergründe für die<br />
Einführung neuer Praktiken, die in die<br />
Richtung von Klienten-Professionalisierung<br />
weisen?<br />
Wie werden neue Vorgehensweisen im<br />
Alltag eines <strong>Beratung</strong>sprojekts gehandhabt<br />
und gelebt, wie kommen sie zur<br />
Anwendung?<br />
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Welche (potenziellen) Chancen und Risiken<br />
sind mit den gefundenen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
aufseiten <strong>der</strong> Klienten verbunden?<br />
Welche Schlüsse lassen sich hieraus für<br />
die Frage nach dem Sinn einer Klienten-<br />
Professionalisierung ziehen?<br />
Wir sind diesen Fragen durch Fallstudien<br />
in acht Unternehmen unterschiedlicher<br />
Größe und Branchenzugehörigkeit nachgegangen.<br />
Ausnahmslos ging es da<strong>bei</strong> um<br />
<strong>Beratung</strong>sprojekte in Zusammenhang mit<br />
IT. Solche Projekte bieten den Vorteil, dass<br />
sie handfester sind und eine Beurteilung<br />
von Qualität eher zulassen als etwa Strategieprojekte.<br />
In unseren Interviews stellten<br />
wir zunächst <strong>bei</strong> etlichen Befragten ein<br />
großes Misstrauen bis hin zur Geringschätzung<br />
gegenüber <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>sbranche<br />
fest. Beratern zu vertrauen wird zunehmend<br />
als schwierig empfunden. Den <strong>Beratung</strong>en<br />
wird vorgeworfen, dass sie einen<br />
Großteil ihrer Ar<strong>bei</strong>t auf das Generieren<br />
von Managementmoden und Folgeaufträgen<br />
konzentrieren. Als beson<strong>der</strong>s kritisch<br />
gegenüber Beratern erweisen sich da<strong>bei</strong><br />
ehemalige Berater, die heute Führungspositionen<br />
in Unternehmen haben.<br />
Formalisierte Beantragung<br />
Deutlich zu spüren ist in den meisten Unternehmen<br />
auch eine Entwicklung in Richtung<br />
eines mehr formalisierten, deutlich<br />
stärker geregelten Weges <strong>der</strong> Beantragung<br />
von <strong>Beratung</strong>sprojekten. Budgets sind in<br />
fast allen Unternehmen nicht nur einer generellen<br />
Kürzung, son<strong>der</strong>n auch einer strikteren<br />
Verwaltung unterworfen. Zumindest<br />
größere Projekte müssen heute in nahezu<br />
allen Unternehmen <strong>bei</strong> abteilungs- und<br />
funk tions übergreifenden Projektgremien<br />
und im Rahmen einer Projektportfolio-<br />
7<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Steue rung formell beantragt werden. Ihnen<br />
müssen teilweise äußerst detaillierte<br />
Kosten-Nutzen-Rechnungen beziehungsweise<br />
sogenannte Business Cases präsentiert<br />
werden, die zum Beispiel anhand des<br />
Kapitalwerts eines Projekts dessen Vorteilhaftigkeit<br />
aufzeigen sollen. Genügte vormals<br />
ein Hinweis auf die Aktualität und den<br />
Neuig keitsgrad einer IT-Lösung, scheint<br />
dies nun nicht mehr ausreichend. Investitionen<br />
in neue Lösungen und innovative<br />
Projekte bedürfen ex ante einer Demonstration<br />
beziehungsweise Verifizierung ihres<br />
Beitrags und Nutzens für die Geschäftstätigkeit.<br />
Für den spezifischen Nutzen <strong>der</strong><br />
<strong>Beratung</strong>sleistung gilt dies indes nicht –<br />
hier sind nur die Kosten zu berücksichtigen,<br />
denen eine pauschale Erfolgsvermutung<br />
gegenüberzustehen scheint. In einigen<br />
Unternehmen wurden darüber hinaus<br />
Richt linien eingeführt, die die Überprüfung<br />
intern vorhandener und nicht ausgeschöpfter<br />
Kapazitäten vorschreiben.<br />
Buying Center und Beauty Contest<br />
Auch die Prozesse zur Auswahl von <strong>Beratung</strong>en<br />
unterliegen radikalen Än<strong>der</strong>ungen.<br />
Traditionell basierten Auswahlentscheidungen<br />
in den untersuchten Unternehmen<br />
vor allem auf bisherigen Erfahrungen und<br />
Beziehungen und wurden pragmatisch<br />
und dezentral gehandhabt. Heute gibt es<br />
vielfach ausführliche Richtlinien, die von<br />
formal geregelten Ausschreibungen über<br />
a priori festgezurrte Listen mit Auswahlkriterien,<br />
die Formung bereichs- und hierarchieübergreifen<strong>der</strong><br />
Buying Center bis hin<br />
zu sogenannten Beauty Contests reichen,<br />
<strong>bei</strong> denen mehrere Berater gegeneinan<strong>der</strong><br />
antreten. Nicht zuletzt schließen sie auch<br />
die Einschaltung beziehungsweise Aufwertung<br />
des zentralen Einkaufs ein. Während<br />
vor einigen Jahren auch Vertragsgestaltung<br />
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Formale Ausschreibungen und Beauty Contest: Die Berater<br />
müssen sich den neuen Auswahlprozessen stellen<br />
und -abschluss mit <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong> häufig<br />
durch die jeweiligen Anfor<strong>der</strong>er erfolgten,<br />
obliegt dies heute fast ausschließlich den<br />
Einkäufern. Diese führen im Anschluss an<br />
die Entscheidung für eine <strong>Beratung</strong> noch<br />
einmal umfassende Preisverhandlungen<br />
durch. Gleichzeitig werden juristische Aspekte<br />
mit <strong>der</strong> Rechtsabteilung abgeklärt<br />
und Rahmenverträge (sofern nicht bereits<br />
vorhanden) abgeschlossen. Die meisten<br />
<strong>der</strong> Unternehmen zielen da<strong>bei</strong> darauf ab,<br />
zwar nicht erfolgsorientierte beziehungsweise<br />
leistungsabhängige Vergütungselemente<br />
einzuführen, aber zumindest die<br />
bislang fast ausschließlich vorherrschenden<br />
Zeit- und Materialverträge durch Werk- und<br />
Festpreisverträge zu ersetzen. Nicht selten<br />
sind im Vorfeld eines Projekts auch Vorstudien<br />
mit begrenztem Umfang vorgesehen,<br />
um ein klareres Bild <strong>der</strong> gewünschten Ergebnisse<br />
zu erhalten.<br />
Deutlich weniger Aufmerksamkeit wird <strong>der</strong><br />
Erfolgskontrolle des abgeschlossenen Projekts<br />
gewidmet. Eine umfassende Evaluierung<br />
und Versuche einer zumindest ansatzweisen<br />
Isolierung o<strong>der</strong> gar Quantifizierung<br />
istockphoto/studiovision<br />
8<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
des Beitrags <strong>der</strong> Berater o<strong>der</strong> des Erfolgs<br />
<strong>der</strong> in Anspruch genommenen Leistungen<br />
waren in keinem <strong>der</strong> von uns untersuchten<br />
Unternehmen vorgesehen.<br />
Unterlaufen <strong>der</strong> Richtlinien<br />
Die befragten Manager sind mit <strong>der</strong> Zunahme<br />
an Formalisierung und Bürokratisierung<br />
des <strong>Beratung</strong>sprozesses nicht recht<br />
glücklich. Dies liegt insbeson<strong>der</strong>e an ihrem<br />
wahrgenommenen und/o<strong>der</strong> tatsächlichen<br />
Macht- und Kompetenzverlust, <strong>der</strong> vor allem<br />
mit <strong>der</strong> Zentralisierung von Entscheidungen<br />
und Kompetenzen einhergeht.<br />
Dieser Umstand führt auch zu – zumeist<br />
erfolgreichen – Versuchen, die formalen<br />
Richtlinien zu unterlaufen. Sowohl Manager<br />
als auch Einkäufer ließen durchblicken, dass<br />
nicht immer alles nach Vorschrift läuft. Entscheidungen<br />
für Berater würden oft bereits<br />
sehr früh durch die Beteiligten und (immer<br />
noch) nach Nasenfaktor getroffen; <strong>der</strong> formale<br />
Prozess müsse dann nachträglich für<br />
die Akten geführt werden. Auch würden<br />
größere Projekte in kleinere Pakete aufgeteilt,<br />
um nicht die Grenze zu überschreiten,<br />
ab <strong>der</strong> ein formaler Projektantrag o<strong>der</strong> die<br />
Beteiligung eines Lenkungsausschusses<br />
verlangt wird. Budgets würden <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Beantragung<br />
großzügig kalkuliert.<br />
Kosten reduzieren<br />
Festzuhalten ist zudem, dass weniger die<br />
skeptischeren Einstellungen gegenüber<br />
dem Leistungsvermögen <strong>der</strong> Berater o<strong>der</strong><br />
ein Bemühen um mehr <strong>Beratung</strong>squalität<br />
zur Umgestaltung des <strong>Beratung</strong>smanagements<br />
<strong>bei</strong>getragen haben. Vielmehr konnten<br />
sich die Manager in den untersuchten<br />
Unternehmen angesichts <strong>der</strong> Wirtschaftskrise<br />
<strong>der</strong> Notwendigkeit nicht verschließen,<br />
<strong>Beratung</strong>sleistungen – die einen großen,<br />
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direkten und gut sichtbaren Kostenblock<br />
bilden – zu reduzieren. In Krisensituationen<br />
ist es beson<strong>der</strong>s wichtig zu signalisieren,<br />
dass man kostenproduzierende Prozesse im<br />
Griff hat. Detaillierte Kosten-Nutzen-Analysen,<br />
eine umfassende Beteiligung verschiedener<br />
Personen, mehrere Auswahlrunden,<br />
„objektive“ Kriterienkataloge o<strong>der</strong> gar die<br />
generelle Überprüfung, ob überhaupt externe<br />
Hilfe notwendig ist, erwecken den<br />
Eindruck, dass das Unternehmen sowohl<br />
die Berater als auch die internen Prozesse<br />
unter Kontrolle hat. Angesichts <strong>der</strong> <strong>aktuell</strong>en<br />
Entwicklungen hat <strong>der</strong> „Mythos des<br />
Vertrauens in Berater“ (offiziell) ausgedient,<br />
und das Allheilmittel rationaler Vorgehensweisen<br />
sowie die Hinwendung zu einem<br />
neuen Expertentum kommen zum Einsatz.<br />
Der neue Klient entspricht dem Bedürfnis<br />
<strong>der</strong> Sharehol<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
nach Transparenz und einem aktiveren, kritischeren<br />
und kostenbewussteren Verhalten<br />
im Umgang mit <strong>Beratung</strong>en.<br />
Gleichzeitig sind die mit <strong>der</strong> neuen Formalisierung<br />
und Zentralisierung suggerierte<br />
Objektivität und Rationalität in <strong>der</strong> Auswahl<br />
faktisch nie gegeben. Kriterienkataloge <strong>bei</strong>nhalten<br />
immer auch subjektive Einschätzungen<br />
und Bewertungen. Die ganzen<br />
Verfahren seien, so bringt es ein von uns<br />
befragter Chief Information Officer auf den<br />
Punkt, selbst <strong>bei</strong> vollständiger Befolgung<br />
ein wenig „pseudo“. Im Endeffekt überlege<br />
man nach allen Auswahlrunden und Kriterien,<br />
mit wem man glaubt, zusammenar<strong>bei</strong>ten<br />
zu können, und wem man Vertrauen für<br />
dieses Projekt schenkt. Allerdings entlasten<br />
die formalisierten Verfahren die Manager<br />
von <strong>der</strong> Verantwortung für ihr Vertrauen –<br />
an<strong>der</strong>en, aber auch sich selbst gegenüber.<br />
Schließlich können sie sich rechtfertigen,<br />
sich Beratern (weiterhin) anzuvertrauen<br />
und sich (weiterhin) auf sie zu verlassen,<br />
9<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
weil sie alles Menschenmögliche getan haben<br />
und sich sicher sein können, dass die<br />
ausgewählten Berater vertrauenswürdige<br />
Exemplare einer ansonsten kritisch zu betrachtenden<br />
Branche sind.<br />
Chance für bessere Ergebnisse <strong>bei</strong><br />
<strong>Beratung</strong>sprojekten?<br />
Der Umstand, dass (einzelne) Manager<br />
<strong>der</strong> <strong>Beratung</strong> kritischer und reflektierter<br />
begegnen und dies vereinzelt sogar eine<br />
Selbst reflexion <strong>bei</strong>nhaltet, könnte jedoch<br />
eine Basis für bessere, zielführen<strong>der</strong>e Ergebnisse<br />
von <strong>Beratung</strong>sprojekten und<br />
damit eine Chance darstellen. Relevant ist<br />
in diesem Zusammenhang zudem, dass<br />
verstärkt Wert auf die Umsetzung vorgeschlagener<br />
Strategien und die Mitverantwortung<br />
<strong>der</strong> Berater gelegt wird, o<strong>der</strong> auf<br />
die stärkere und frühzeitigere Einbindung<br />
eigener Überlegungen <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter in<br />
ein Projekt. Gleichzeitig könnte allein die<br />
Signal wirkung, die mit den Maßnahmen<br />
einhergeht – die Klienten sind nicht nur<br />
kritischer und systematischer, son<strong>der</strong>n die<br />
Berater müssen sich auch auf harte Konkurrenz<br />
gefasst machen –, auf <strong>Beratung</strong>sseite<br />
Ansporn für höhere Anstrengungen und<br />
sauberere, individuellere und realistischere<br />
Konzeptionen sein. Und selbstverständlich<br />
können Maßnahmen wie etwa verschiedene<br />
Auswahlrunden, Teamar<strong>bei</strong>t o<strong>der</strong><br />
detaillierte Ausschreibungsunterlagen mit<br />
klaren, durchdachten Anfor<strong>der</strong>ungen dazu<br />
führen, dass die Angebote <strong>der</strong> Berater jenseits<br />
oberflächlicher Powerpoint-Folien<br />
eine höhere Qualität, Realitätsnähe und<br />
kundenindividuelle(re) Konzeptionen sowie<br />
ein realistisches Preis-Leistungs-Gefüge<br />
aufweisen (müssen) und Auswahlentscheidungen<br />
somit fundierter als zuvor getroffen<br />
werden können. Ob und inwieweit dies<br />
letztlich <strong>der</strong> Fall ist, hängt nicht nur davon<br />
powered by<br />
ab, wie konsequent die neuen Praktiken in<br />
den Projekten tatsächlich umgesetzt werden,<br />
son<strong>der</strong>n auch davon, inwieweit <strong>der</strong>en<br />
grundsätzliche Grenzen reflektiert und berücksichtigt<br />
werden. Auch die Frage niedrigerer<br />
<strong>Beratung</strong>skosten o<strong>der</strong> Einkaufspreise<br />
durch die zentralisierten Maßnahmen<br />
ist längst nicht geklärt. Die Unternehmen<br />
stellen die Kosten selten umfassend gegenüber,<br />
verwenden unterschiedliche Maßstäbe<br />
und beachten insbeson<strong>der</strong>e die (indirekten)<br />
Kosten, die durch höhere Formalisierung<br />
und Personalintensität entstehen,<br />
nicht. Wenige Anreize bestehen zudem unter<br />
<strong>aktuell</strong>en Voraussetzungen für den Berater,<br />
Ideen o<strong>der</strong> Verbesserungen, die etwa<br />
während des Projekts aufkommen, weiterzuverfolgen<br />
und grundlegende Aspekte zu<br />
hinterfragen. Schließlich legen Festpreisverträge<br />
den exakten Leistungsumfang<br />
fest, und aufwendige Än<strong>der</strong>ungsanfor<strong>der</strong>ungen<br />
kratzen am Image <strong>der</strong> Berater.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Jung, N. (2010). Fakten und Fiktionen <strong>der</strong><br />
Klientenprofessionalisierung: Eine kritische<br />
Analyse des Umgangs mit <strong>Beratung</strong>sleistungen.<br />
Wiesbaden: Gabler.<br />
Kieser, A. (2003). Wissenschaft und <strong>Beratung</strong>.<br />
Heidelberg: Winter.<br />
Mohe, M. (2003). Klientenprofessionalisierung.<br />
Marburg: Metropolis.<br />
Petmecky, A. & Deelmann, T. (Hrsg.)<br />
(2005). Ar<strong>bei</strong>ten mit Managementberatern:<br />
Bausteine für eine erfolgreiche Zusammenar<strong>bei</strong>t.<br />
Berlin: Springer.<br />
Treichler, C., Wiemann, E. & Morawetz,<br />
M. H. (Hrsg.). (2004). Corporate Governance<br />
und Managementberatung: Strategien<br />
und Lösungsansätze für den professionellen<br />
Beratereinsatz in <strong>der</strong> Praxis. Wiesbaden:<br />
Gabler.<br />
10<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Persönlichkeit bestimmt <strong>Beratung</strong>serfolg:<br />
Eine Studie zeigt Zusammenhänge<br />
H. Schnei<strong>der</strong>, S. Kauffeld<br />
Was macht einen Berater erfolgreich? Welche<br />
Rolle spielen da<strong>bei</strong> die Persönlichkeit<br />
und <strong>der</strong> berufliche Ehrgeiz eines Beraters?<br />
Die Ergebnisse einer Feld studie im Bereich<br />
Verkaufsberatung geben Hilfestellungen<br />
für die richtige Personalauswahl.<br />
<strong>Beratung</strong> nimmt in unserer Kultur einen<br />
hohen Stellenwert ein und stellt nicht nur<br />
eine psy cho logische Tätigkeit und Dienstleistung,<br />
son<strong>der</strong>n eine gesellschaftliche Institution<br />
dar. Menschen suchen immer häufiger<br />
Fach leute in verschiedensten Bereichen<br />
auf, um Lösungen für ihre Anliegen und<br />
Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Auch<br />
Unternehmen setzen verstärkt Verkaufsberater<br />
ein, um ihren Profit zu steigern. Daher<br />
ist es aus psychologischer Sicht sinnvoll<br />
und notwendig, genauer zu untersuchen,<br />
welche Faktoren <strong>Beratung</strong> erfolgreich machen.<br />
Welche Berater führen erfolgreich<br />
<strong>Beratung</strong>en durch? Welche Rolle spielt die<br />
Persönlichkeit eines Beraters? Beraten beruflich<br />
ehrgeizige Personen besser?<br />
Extrinsischer und intrinsischer<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
Beruflicher Erfolg ist das Ergebnis einer beruflichen<br />
Leistung. Eine Leistung ist dann<br />
als Erfolg zu werten, wenn ein persönliches<br />
berufliches Leistungsziel erreicht o<strong>der</strong><br />
übertroffen ist. Häufig wird da<strong>bei</strong> zwischen<br />
extrinsischem und intrinsischem Berufserfolg<br />
unterschieden. Extrinsischer Erfolg<br />
ist objektiv und beobachtbar. Zu dessen<br />
powered by<br />
Beschreibung werden meist drei Kriterien<br />
genannt: Einkommen, hierarchische Position<br />
o<strong>der</strong> beruflicher Aufstieg sowie berufliches<br />
Ansehen o<strong>der</strong> Stellung im Beruf.<br />
Unter intrinsischem Berufserfolg wird die<br />
subjektive Einstellung zum eigenen Beruf<br />
wie <strong>bei</strong>spielsweise die Ar<strong>bei</strong>tszufriedenheit<br />
verstanden. Während <strong>der</strong> Berater auf <strong>der</strong> einen<br />
Seite versucht, für seine eigenen Ziele<br />
zu ar<strong>bei</strong>ten (extrinsische Motivation), wird<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die Problemsituation<br />
des Klienten thematisiert und besprochen<br />
(intrinsische Motivation). Am Beispiel <strong>der</strong><br />
Finanz- und Versicherungsberatung werden<br />
diese zwei Faktoren des Erfolgs deutlich.<br />
Die extrinsische Motivation liegt meistens<br />
im Versuch begründet, den Kunden zu<br />
Henrike Schnei<strong>der</strong>,<br />
Diplom-Psychologin,<br />
wissenschaftliche Mitar<strong>bei</strong>terin<br />
am Institut für Psychologie,<br />
Lehrstuhl Ar<strong>bei</strong>ts-, Organisations-<br />
und Sozialpsychologie <strong>der</strong> Technischen<br />
Universität Braunschweig<br />
h.schnei<strong>der</strong>@tu-braunschweig.de<br />
Prof. Dr. Simone Kauffeld,<br />
Diplom-Psychologin,<br />
Professorin am Institut für Psychologie,<br />
Leiterin des Lehrstuhls<br />
Ar<strong>bei</strong>ts-, Organisations- und<br />
Sozialpsychologie <strong>der</strong> Technischen<br />
Universität Braunschweig<br />
s.kauffeld@tu-braunschweig.de<br />
11<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Gewissenhaftigkeit Gewissenhafte Personen kennzeichnet ihre sorgfältige, verlässliche,<br />
selbstdisziplinierte und organisierte Ar<strong>bei</strong>tsweise.<br />
Extraversion Extraversion beschreibt eine gesellige, herzliche, erlebnishungrige, aber<br />
auch aktive, durchsetzungsfähige und dominante Art.<br />
Emotionale<br />
Stabilität<br />
binden und ein Produkt zu verkaufen. Die<br />
Dienstleistung <strong>Beratung</strong> wird demnach<br />
zum Zweck <strong>der</strong> eigenen Profitsteigerung<br />
angeboten. Die intrinsische Motivation des<br />
Beraters besteht dagegen vor allem in <strong>der</strong><br />
empfundenen Zufriedenheit im Kontakt<br />
mit dem Kunden. Der Berater bemüht sich,<br />
zur besseren Befindlichkeit des Kunden <strong>bei</strong>zutragen.<br />
Dies kann durch die unmittelbare<br />
Befriedigung seiner psychischen und sozialen<br />
Bedürfnisse geschehen. Intrinsisch ist<br />
<strong>der</strong> Berater demnach erfolgreich, wenn er<br />
seine Tätigkeit als Hilfe für den Klienten <strong>bei</strong><br />
<strong>der</strong> Lösung seines Problems wahrnimmt.<br />
Beruflicher Ehrgeiz und<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
In Berufsfel<strong>der</strong>n, die durch eine hohe<br />
Selbstverantwortlichkeit und einen hohen<br />
Gestaltungsspielraum geprägt sind,<br />
kommt dem beruflichen Ehrgeiz eine beson<strong>der</strong>e<br />
Bedeutung als Antreiber zu. Beruflich<br />
Ehrgeizige streben nach Leistung,<br />
Anerkennung und Weiterkommen und<br />
richten ihr Handeln auf ihren beruflichen<br />
Erfolg aus. Sie setzen sich eher mit Qualitätsstandards<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t auseinan-<br />
powered by<br />
Von emotionaler Stabilität wird gesprochen, wenn eine Person in sich<br />
ruhend, zufrieden, ausgeglichen und rücksichtsvoll ist.<br />
Verträglichkeit Verträglichkeit beschreibt den Grad, in dem ein Individuum an<strong>der</strong>en<br />
gegenüber vertrauensvoll, altruistisch, gutherzig, kooperativ und tolerant<br />
agiert.<br />
Offenheit für neue<br />
Erfahrungen<br />
Merkmale <strong>der</strong> Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren<br />
Offenheit für neue Erfahrungen wird Menschen zugesprochen, die durch<br />
hohen Einfallsreichtum, Vielseitigkeit und Aufgeschlossenheit gekennzeichnet<br />
sind.<br />
<strong>der</strong> und haben den Anspruch, beson<strong>der</strong>e<br />
Leistungen zu erbringen und Qualitätsstandards<br />
zu erfüllen o<strong>der</strong> sogar zu übertreffen.<br />
Sie bevorzugen Aufgaben mit<br />
überdurchschnittlicher Schwierigkeit. Sie<br />
setzen sich aber nicht nur herausfor<strong>der</strong>nde<br />
Ziele für sich selbst und fühlen sich für<br />
diese verantwortlich, son<strong>der</strong>n suchen auch<br />
eine Ar<strong>bei</strong>tsumgebung, in <strong>der</strong> sie ein Feedback<br />
über ihre Leistung erhalten. Ein hoher<br />
beruflicher Ehrgeiz sollte somit einerseits<br />
extrinsischen Berufserfolg (in <strong>der</strong> Verkaufsberatung<br />
etwa abgeschlossene Geschäfte,<br />
Gehalt, Beför<strong>der</strong>ung, beruflicher Aufstieg)<br />
und an<strong>der</strong>erseits intrinsischen Berufserfolg<br />
(zum Beispiel Ar<strong>bei</strong>tszufriedenheit durch<br />
den Kontakt zum Kunden und Befriedi-<br />
Beruflicher<br />
Ergeiz<br />
Persönlichkeit<br />
Beruflicher<br />
Erfolg<br />
Beruflicher Ehrgeiz hat als Antreiber eine beson<strong>der</strong>e<br />
Rolle<br />
12<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
gung von dessen Bedürfnissen und Anliegen)<br />
för<strong>der</strong>n. In <strong>der</strong> Forschung gibt es Hinweise,<br />
dass in vertrieblichen <strong>Beratung</strong>sberufen<br />
eine erhöhte Leistungsorientierung<br />
zu Verkaufserfolg führt. Sie kann durch den<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter selbst o<strong>der</strong> durch äußere Einflüsse<br />
– wie das Vorleben durch den Vorgesetzten<br />
– geför<strong>der</strong>t werden. Durch welche<br />
vermittelnden Prozesse <strong>der</strong> Zusammenhang<br />
zwischen Leistungsorientierung und<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg zustande kommt, ist noch<br />
ungeklärt.<br />
Persönlichkeit und <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
Auch die Persönlichkeit eines Menschen<br />
beeinflusst seine individuelle berufliche<br />
Leistung – etwa das Engagement in sozialen<br />
Interaktionen. Die Persönlichkeit setzt<br />
sich aus verschiedenen Eigenschaften zusammen.<br />
Dies sind überdauernde Merkmale,<br />
in denen sich Menschen unterscheiden<br />
und die ihr Verhalten in konkreten Situationen<br />
beeinflussen. Seit den 1980er-Jahren<br />
hat sich mit dem sogenannten Big-Five-Ansatz<br />
von Paul T. Costa und Robert R. McCrae<br />
(deutsche Fassung von Peter Borkenau und<br />
Fritz Ostendorf, 1993) eine einheitliche<br />
und allgemeingültige Terminologie zur<br />
Beschreibung <strong>der</strong> Persönlichkeit durchgesetzt.<br />
In einer Vielzahl faktorenanalytischer<br />
Studien erwiesen sich folgende fünf abstrakte<br />
Faktoren als weitgehend stabil: Gewissenhaftigkeit,<br />
Extraversion, emotionale<br />
Stabilität, Verträglichkeit und Offenheit für<br />
neue Erfahrungen (siehe Tabelle oben).<br />
In <strong>der</strong> Literatur finden sich Belege, dass<br />
diese Persönlichkeitsfaktoren mit dem<br />
beruflichen Ehrgeiz von Verkaufsberatern<br />
in Verbindung stehen. Gewissenhaftigkeit<br />
zeigt die höchsten und Verträglichkeit<br />
die geringsten Zusammenhänge mit<br />
Leistungsmotivation. In <strong>der</strong> Studie soll da-<br />
powered by<br />
Das Hauptergebnis: verträgliche, umgängliche und offene<br />
Finanzberater(innen) sind beson<strong>der</strong>s erfolgreich<br />
her ein Modell über den Zusammenhang<br />
zwischen beruflichem Ehrgeiz und Persön<br />
lich keit über prüft werden. Unserem<br />
Modell zu fol ge vermitteln die einzelnen<br />
Persönlichkeits eigenschaften <strong>der</strong> Big Five<br />
die positive Beziehung zwischen beruflichem<br />
Ehrgeiz und extrinsischen sowie<br />
intrinsischen Aspekten des beruflichen Erfolgs<br />
von Beratern. Demnach soll eine Beziehung<br />
zwischen Leistungsorientierung<br />
und den Facetten des Erfolgs <strong>der</strong> Berater<br />
über die einzelnen Big-Five-Faktoren zustande<br />
kommen.<br />
Untersuchung im<br />
Finanzdienstleistungsbereich<br />
Für die Untersuchung wurde eine Onlinebefragung<br />
mit 214 Beratern des Finanzdienstleistungsbereichs<br />
durchgeführt. Ein<br />
Viertel <strong>der</strong> Befragungsteilnehmer waren<br />
Frauen. Das durchschnittliche Alter lag <strong>bei</strong><br />
M = 36,52 Jahren (Min = 21 Jahre; Max = 62<br />
Jahre).<br />
Die Befragungsteilnehmer wurden um<br />
eine Selbsteinschätzung zu den fünf Persönlichkeitseigenschaften<br />
gebeten. Hierzu<br />
wurde das Messinstrument „Ten-Item Personality<br />
Inventory“ (TIPI) eingesetzt (Gos-<br />
istockphoto/sturti<br />
13<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
1. Beruflicher Ehrgeiz 4.47 1.10<br />
2. Gewissenhaftigkeit 5.83 0.92 .29**<br />
ling, Rentfrow & Swann Jr., 2003; deutsche<br />
Fassung von Muck, Hell & Gosling, 2007). Zur<br />
Erhebung <strong>der</strong> Leistungsorientierung wurde<br />
eine Skala (beruflicher Ehrgeiz) des Fragebogens<br />
zur Messung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmotivation<br />
(AVEM) von Schaarschmidt und Fischer<br />
(1996, Schaarschmidt, 2004) verwendet.<br />
Zusätzlich beantworteten die Finanzberater<br />
Fragen, die sich auf ihr zuletzt geführtes<br />
<strong>Beratung</strong>sgespräch bezogen. Sie wurden<br />
gebeten einzuschätzen, ob sich <strong>der</strong> Kunde<br />
an ihre Empfehlungen halten würde (Übernahme<br />
des Rates), und sie bewerteten<br />
Aussagen zur Kundenbindung sowie zur<br />
Kundengewinnung. Diese Einschätzungen<br />
wurden als Kriterien für extrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
herangezogen. Als zusätzliche<br />
extrinsische Erfolgsmaße wurden die<br />
Teilnehmer nach ihrem Bruttojahresgehalt<br />
und nach ihrer <strong>aktuell</strong>en Position im Unternehmen<br />
(mit o<strong>der</strong> ohne Leitungsfunktion;<br />
Anzahl <strong>der</strong> unterstellten Mitar<strong>bei</strong>ter) gefragt.<br />
powered by<br />
M SD 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.<br />
3. Extraversion 5.39 1.19 .27** .14*<br />
4. Verträglichkeit 5.67 1.01 .07 .13 † .14*<br />
5. Emotionale<br />
Stabilität<br />
5.68 1.01 .18** .33** .34** .14*<br />
6. Offenheit 5.73 0.99 .30** .32** .36** .16* .73**<br />
7. Extrinsischer<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
8. Intrinsischer<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
4.73 0.64 .18** .14* .23** .23** .19** .21**<br />
5.26 0.46 .30** .17* .24** .29** .23** .29** .67**<br />
Anmerkungen: N = 214; **p≤.01; *p≤.05; †p≤.10; a: erhoben durch ein Item<br />
Die stärksten Zusammenhänge mit beruflichem Ergeiz finden sich für die Persönlichkeitsdimensionen Gewissenhaftigkeit,<br />
Extraversion und Offenheit<br />
Um den intrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolg abzubilden,<br />
wurden vier Kriterien verwendet.<br />
Die Fragen betrafen die Sicherheit des<br />
Beraters über die Korrektheit <strong>der</strong> Empfehlung,<br />
eine Einschätzung zur Qualität <strong>der</strong><br />
<strong>Beratung</strong> aus Kundensicht, eine Einschätzung<br />
zur Zufriedenheit aus Kundensicht<br />
und zum Nutzen für den Kunden. Diese vier<br />
Kriterien Sicherheit, Qualität, Zufriedenheit<br />
sowie Nutzen wurden zur Gesamtskala intrinsischer<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg zusammengefasst.<br />
Ergebnisse: Beruflicher Ehrgeiz und<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg hängen zusammen<br />
Die Analysen über korrelative Zusammenhänge<br />
zeigen, dass beruflicher Ehrgeiz<br />
positiv mit extrinsischem <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
(Gesamtskala, Kundenbindung und Kundengewinnung)<br />
zusammenhängt (siehe für<br />
alle Ergebnisse Tabelle oben). Zudem lässt<br />
sich auch ein positiver Zusammenhang<br />
zwischen beruflichem Ehrgeiz und intrin-<br />
14<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
sischem <strong>Beratung</strong>serfolg finden (Gesamt -<br />
skala, Sicherheit, Qualität, Zufriedenheit<br />
und Nutzen). Die Antwort auf unsere eingangs<br />
gestellte Frage, ob beruflich ehrgeizige<br />
Personen besser beraten, lautet:<br />
Beruflich ehrgeizige Personen haben mehr<br />
extrinsischen und mehr intrinsischen Berufserfolg.<br />
Inwieweit hängt <strong>der</strong> berufliche Ehrgeiz eines<br />
Beraters nun mit seiner Persönlichkeit<br />
zusammen? Die stärksten Zusammenhänge<br />
können wir für die Persönlichkeitsdimensionen<br />
Offenheit, Gewissenhaftigkeit<br />
und Extraversion finden. Keinen bedeutsamen<br />
Zusammenhang gibt es zwischen<br />
<strong>der</strong> Verträglichkeit <strong>der</strong> Finanzberater und<br />
ihrem beruflichen Ehrgeiz. Welche Berater<br />
beraten erfolgreich?<br />
Gewissenhaftigkeit: Der Persönlichkeitsfaktor<br />
Gewissenhaftigkeit korreliert<br />
tendenziell positiv mit extrinsischem<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg (Gesamtskala, Kundengewinnung).<br />
Zudem hängt die Gewissenhaftigkeit<br />
eines Beraters signifikant<br />
positiv mit dem intrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
(Gesamtskala, Sicherheit, Qualität<br />
und Zufriedenheit) zusammen. Diese Ergebnisse<br />
stehen im Einklang mit bisherigen<br />
Forschungsstudien. Eine gewissenhafte<br />
Ar<strong>bei</strong>tsweise führt zu einer größeren<br />
Wahrscheinlichkeit, befriedigende<br />
formelle (zum Beispiel Gehalt o<strong>der</strong> Beför<strong>der</strong>ung)<br />
und informelle Ar<strong>bei</strong>tsbelohnungen<br />
(zum Beispiel Anerkennung<br />
o<strong>der</strong> Respekt) zu erhalten.<br />
Extraversion: Eine gesellige, herzliche,<br />
aber auch aktive und durchsetzungsstarke<br />
Persönlichkeit (Extraversion)<br />
hängt deutlich mit extrinsischem <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
(Gesamtskala, Übernahme<br />
des Rates, Kundenbindung, Kundenge-<br />
powered by<br />
winnung signifikant, Anzahl <strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
tendenziell) zusammen. Mit dem<br />
intrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolg lassen<br />
sich ebenfalls positive Korrelationen<br />
mit Extraversion finden (Gesamtskala,<br />
Sicherheit, Qualität, Zufriedenheit).<br />
Emotionale Stabilität: Unsere Ergebnisse<br />
zeigen, dass emotionale Stabilität<br />
positiv mit extrinsischem Erfolg (Bruttojahresgehalt,<br />
Übernahme des Rates,<br />
Kun den bin dung, Kunden gewinnung)<br />
und intrinsischem Erfolg (Gesamtskala,<br />
Sicher heit, Qualität, Zufriedenheit,<br />
Nutzen) zusammenhängt. Verkäufer<br />
müssen häufig mit einer hohen Anzahl<br />
nicht verkaufter Produkte und Absagen<br />
und zunehmenden Zweifeln an ihrer<br />
Vertrauens würdigkeit umgehen. Dies<br />
können ernst zu nehmende Stressoren<br />
sein. Personen, die negativen Stressoren<br />
stand halten können, lassen sich davon<br />
anscheinend nicht entmutigen und zeigen<br />
weiter gute Ar<strong>bei</strong>tserfolge.<br />
Verträglichkeit: Der Persönlichkeitsfaktor<br />
Verträglichkeit hängt ebenfalls positiv<br />
mit extrinsischem <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
zusammen. Zudem korreliert Verträglichkeit<br />
mit dem intrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolg.<br />
In Studien mit verschiedensten<br />
Berufsgruppen waren bisherige Ergebnisse<br />
zur Verträglichkeit sehr unterschiedlich.<br />
In einigen Studien fand man<br />
einen negativen Zusammenhang, in an<strong>der</strong>en<br />
einen positiven Zusammenhang<br />
zwischen Verträglichkeit und beruflichem<br />
Erfolg. Aktuell wird diskutiert, dass<br />
die Beziehung zwischen Verträglichkeit<br />
und beruflichem Erfolg von <strong>der</strong> Art des<br />
Berufs mo<strong>der</strong>iert wird. In Berufen, in denen<br />
Beziehungen und Interaktionen zu<br />
an<strong>der</strong>en im Vor<strong>der</strong>grund stehen, wirkt<br />
sich Verträglichkeit positiv auf den Erfolg<br />
15<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Mediator-Modell Anmerkung<br />
Gewissenhaftigkeit mediiert die positive Beziehung<br />
zwischen beruflichem Ehrgeiz und intrinsischem<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
Extraversion mediiert die positive Beziehung<br />
zwischen beruflichem Ehrgeiz und extrinsischem<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
Offenheit für neue Erfahrungen mediiert die positive<br />
Beziehung zwischen beruflichem Ehrgeiz und extrinsischem<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
Offenheit für neue Erfahrungen mediiert die positive<br />
Beziehung zwischen beruflichem Ehrgeiz und intrinsischem<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg<br />
Bestätigte vermittelnde Zusammenhänge<br />
aus. Dies bestätigen unsere Ergebnisse<br />
aus dem Berufsfeld Finanzberatung, das<br />
stark durch Interaktionen mit Kunden<br />
geprägt ist.<br />
Offenheit: Der Faktor Offenheit hängt<br />
positiv mit dem extrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
zusammen und korreliert<br />
mit intrinsischem <strong>Beratung</strong>serfolg.<br />
Individuelle Selbstwahrnehmung eng<br />
mit intrinsischem Erfolg verbunden<br />
Zusammenfassend lässt sich feststellen,<br />
dass alle Persönlichkeitseigenschaften Zusammenhänge<br />
mit dem erhobenen <strong>Beratung</strong>serfolg<br />
zeigen. Die stärksten Zusammenhänge<br />
zwischen den Persönlichkeitsdimensionen<br />
und beruflichem Erfolg finden<br />
wir für die Dimensionen Verträglichkeit,<br />
Extraversion und Offenheit. Insgesamt zeigen<br />
sich durchweg stärkere Beziehungen<br />
zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen<br />
und den intrinsischen <strong>Erfolgsfaktoren</strong> als<br />
zwischen den Persönlichkeitsmerkmalen<br />
und den extrinsischen <strong>Erfolgsfaktoren</strong>. Ein<br />
Grund dafür könnte darin liegen, dass individuelle<br />
Unterschiede in <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />
powered by<br />
Mit den intrinsischen Erfolgsaspekten: intrinsischer<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg (gesamt), Zufriedenheit<br />
und Qualität<br />
Mit Kundenbindung als Aspekt des extrinsischen<br />
<strong>Beratung</strong>serfolgs<br />
Mit Kundengewinnung als Aspekt des extrinsischen<br />
<strong>Beratung</strong>serfolgs<br />
Mit Qualität und Zufriedenheit als Aspekte<br />
des intrinsischen <strong>Beratung</strong>serfolgs<br />
die gefühlsmäßigen Reaktionen auf die eigene<br />
Ar<strong>bei</strong>t beziehungsweise die eigene<br />
Karriere beeinflussen. Dadurch bedingen<br />
die Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen,<br />
wie er sich selbst wahrnimmt. Die<br />
individuelle Selbstwahrnehmung ist eng<br />
mit intrinsischen und weniger mit extrinsischen<br />
Erfolgen verbunden.<br />
Mediator-Modelle<br />
Zusätzlich zu den korrelativen Zusammenhängen<br />
haben wir überprüft, ob die<br />
verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale<br />
als Mediator fungieren, das heißt, für die<br />
Beziehung zwischen beruflichem Ehrgeiz<br />
und <strong>Beratung</strong>serfolg verantwortlich sind.<br />
Für das Modell sprechen vier Indizien (im<br />
Kasten oben die bestätigten vermittelnden<br />
Zusammenhänge im Überblick). Zum einen<br />
zeigt sich Gewissenhaftigkeit als Mediator<br />
zwischen beruflichem Ehrgeiz und intrinsischem<br />
<strong>Beratung</strong>serfolg (Gesamtskala,<br />
Zufriedenheit, Qualität). Ist ein Berater sehr<br />
ehrgeizig, heißt das, er setzt sich herausfor<strong>der</strong>nde<br />
Ziele und strebt nach großem<br />
Erfolg. Aber nur vermittelt durch eine gewissenhafte,<br />
das heißt fleißige, diszipli-<br />
16<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
nierte und zuverlässige Ar<strong>bei</strong>tsweise, führt<br />
beruflicher Ehrgeiz zu intrinsischem Erfolg.<br />
Dann vermuten Berater, dass die <strong>Beratung</strong><br />
dem Kunden genutzt hat, weil sie eine gute<br />
<strong>Beratung</strong>sleistung vollbracht haben.<br />
Ehrgeizige extravertierte Berater sind<br />
gesellig und kontaktfreudig<br />
Darüber hinaus vermittelt Extraversion die<br />
Beziehung zwischen beruflichem Ehrgeiz<br />
und extrinsischem Erfolg. Sind Berater beruflich<br />
sehr ehrgeizig, zeigt sich das <strong>bei</strong><br />
extravertierten Beratern in einer geselligen<br />
und kontaktfreudigen Art. Extravertierte<br />
Berater fühlen sich anscheinend wohler<br />
im Umgang mit Fremden und genießen<br />
die Unterschiedlichkeit <strong>der</strong> verschiedenen<br />
Kontakte, die <strong>der</strong> Beruf des Verkaufens und<br />
Beratens mit sich bringt. An<strong>der</strong>e Studien<br />
zeigen den Einfluss von Networking (das<br />
Beziehungsnetz aktiv aufbauen und erweitern)<br />
auf Gehaltserhöhungen und Beför<strong>der</strong>ungen.<br />
Offenheit mediiert einerseits die Beziehung<br />
zwischen beruflichem Ehrgeiz und extrinsischem<br />
Erfolg (Kundengewinnung) und an<strong>der</strong>erseits<br />
die Beziehung zwischen beruflichem<br />
Ehrgeiz intrinsischem Erfolg (Qualität,<br />
Zufriedenheit). Dies verdeutlicht, dass es<br />
für beruflichen Erfolg in <strong>Beratung</strong>ssituationen<br />
Offenheit und Flexibilität aufseiten des<br />
Beraters benötigt, um auf individuelle Bedürfnissen<br />
<strong>der</strong> Kunden zu reagieren, damit<br />
die selbst gesteckten <strong>Beratung</strong>sziele, aber<br />
auch die Kundenziele erreicht werden.<br />
Fazit: Persönlichkeit sollte stärker<br />
beachtet werden<br />
Die Ergebnisse dieser Untersuchung können<br />
unter an<strong>der</strong>em <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Personalauswahl<br />
und <strong>bei</strong>m Einsatz von Beratern ge-<br />
powered by<br />
nutzt werden. Da<strong>bei</strong> sollte stärker auf die<br />
Persönlichkeit geachtet werden. So sollte<br />
<strong>bei</strong> Berufen, die beson<strong>der</strong>es Augenmerk<br />
auf die Kundenbindung legen, nach beruflich<br />
ehrgeizigen und extravertierten<br />
Beratern gesucht werden. Soll dagegen die<br />
Zufriedenheit <strong>der</strong> Kunden gesteigert werden,<br />
sollten eher beruflich ehrgeizige, offene<br />
o<strong>der</strong> gewissenhafte Berater eingesetzt<br />
werden.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Barrick, M. R., Steward, G. L. & Piotrowski,<br />
M. (2002). Personality and job performance:<br />
Test of mediating effects of<br />
motivation among sales representatives.<br />
Journal of Applied Psychology, 87, 43–51.<br />
Judge, T. A. & Kammeyer-Mueller, J. D.<br />
(2007). Personality and career success. In<br />
H. P. Gunz & M. A. Peiperl (Eds.), Handbook<br />
of Career Studies (pp. 59–78). Thousand<br />
Oaks, CA: Sage.<br />
Ng, T. W. H., Eby, L. T., Sorenson, K. L. &<br />
Feldman, D. C. (2005). Predictors of objective<br />
and subjective career success A<br />
meta-analysis. Personnel Psychology, 58,<br />
367–408.<br />
Seibert, S. E. & Kraimer, M. L. (2001). The<br />
five-factor model of personality and career<br />
success. Journal of Vocational Behavior,<br />
58, 1–21.<br />
Smithikrai, C. (2007). Personality traits and<br />
job success: An investigation in a Thai<br />
sample. International Journal of Selection<br />
and Assessment, 15, 134–138.<br />
Vinchur, A. J., Schippmann, J. S., Switzer<br />
F. S. & Roth, P. L. (1998). A meta-analytic<br />
review of predictors of job performance<br />
for salespeople. Journal of Applied Psychology,<br />
83, 586–597.<br />
17<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Wie statt warum: Was das Prinzip <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong> Personalmanagern bringt<br />
T. Leipoldt, B. Lenhart<br />
Die Erwartungen an Personaler als sogenannte<br />
Business-Partner in Bezug auf<br />
ihre <strong>Beratung</strong>s-, Coachingund Change-<br />
Kompetenz sind hoch. Die lösungsorientierte<br />
<strong>Beratung</strong> ist da<strong>bei</strong> eine geeignete<br />
Methode, um in <strong>der</strong> Rolle eines internen<br />
Beraters rasch überzeugende Ergebnisse<br />
zu erzielen.<br />
Viele Unternehmen haben in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
Verbesserungssysteme implementiert<br />
und ihre Prozesse optimiert.<br />
Doch weil <strong>der</strong> Druck, Produktivitätspotenziale<br />
zu realisieren, weiter anhält, konzentrieren<br />
viele sich nun verstärkt auf ihre<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter und <strong>der</strong>en Zusammenar<strong>bei</strong>t.<br />
Damit steigen auch die Erwartungen an<br />
die Coaching- und Change-Kompetenz<br />
<strong>der</strong> Personalmanager im Unternehmen.<br />
Personaler müssen aus einer Vielzahl von<br />
Weiterbildungsmöglichkeiten das Angebot<br />
auswählen, das sie für diese Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
bestmöglich qualifiziert. Wer<br />
sich da<strong>bei</strong> für eine bestimmte Methode<br />
entscheidet, sollte sich im ersten Schritt<br />
informieren, welches <strong>Beratung</strong>sverständnis<br />
ihr zugrunde liegt. Was ist das Grundverständnis,<br />
wodurch Verän<strong>der</strong>ung entsteht?<br />
Damit geht neben <strong>der</strong> Methode<br />
auch ein bestimmtes Rollenverständnis<br />
des Beraters einher, und nicht alle sind für<br />
unternehmensinterne Personalmitar<strong>bei</strong>ter<br />
geeignet. Wichtiger als die Methode selbst<br />
ist also, ob sie in einer Rolle anwendbar ist,<br />
die die Geschäftsführung <strong>bei</strong> <strong>der</strong> eigenen<br />
Personalabteilung akzeptiert.<br />
powered by<br />
Eine Reihe von Methoden beruht auf einem<br />
Verän<strong>der</strong>ungsverständnis, <strong>bei</strong> dem <strong>der</strong> Berater<br />
zum Fachmann wird. Dazu gehören<br />
Methoden, die davon ausgehen, dass Verän<strong>der</strong>ung<br />
durch besseres Wissen entsteht.<br />
Hier erkennt <strong>der</strong> Berater mit seiner kritischen<br />
Analysefähigkeit falsche Überzeugungen<br />
und findet bessere Alternativen,<br />
um in entsprechenden Situationen <strong>bei</strong>m<br />
Gesprächspartner die passenden Überzeugungen<br />
zu aktivieren. Der Berater fungiert<br />
als Experte für besseres Wissen.<br />
Ein weiteres Grundverständnis ist, dass<br />
Verän<strong>der</strong>ung durch besseres Verstehen<br />
entsteht und dass verborgene Motive zur<br />
ständigen Wie<strong>der</strong>holung problematischer<br />
Thilo Leipoldt,<br />
Diplom-Psychologe,<br />
Nie<strong>der</strong>lassungsleiter <strong>der</strong><br />
PTA – Praxis für teamorientierte<br />
Ar<strong>bei</strong>tsgestaltung, München<br />
t.leipoldt@pta-muenchen.de<br />
Benedikt Lenhart,<br />
Diplom-Ökonom,<br />
Vice President Human Resources,<br />
IMS Gear, Donaueschingen<br />
benedikt.lenhart@imsgear.com<br />
18<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
IMS Gear<br />
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Um Produkte und Prozesse zu optimieren, ist eine gute Zusammenar<strong>bei</strong>t wichtig<br />
Verhaltensweisen führen. Der Berater ist<br />
auch hier Fachmann – nämlich für die Entschlüsselung<br />
unerkannter Motive, Beziehungsmuster<br />
und Handlungsfaktoren. Ziel<br />
ist es, die Bremse zu lösen, anstatt stärker<br />
aufs Gas zu treten. Das Risiko <strong>bei</strong>m Einsatz<br />
solcher Methoden ist, dass Personaler als<br />
Besserwisser erlebt werden, die von <strong>der</strong><br />
Praxis keine Ahnung haben und die folglich<br />
von den Praktikern auch nicht akzeptiert<br />
werden. Der Prophet im eigenen Land gilt<br />
eben oftmals nichts, ganz gleich wie gut er<br />
ist.<br />
Berater auf Augenhöhe<br />
An<strong>der</strong>s ist es <strong>bei</strong> <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong>: Hier agiert <strong>der</strong> Berater auf Augenhöhe<br />
des Gesprächspartners. Er bewirkt<br />
Verän<strong>der</strong>ungen, indem er verstärkt,<br />
was bereits wie gewünscht funktioniert.<br />
Wenn man in komplexen Situationen und<br />
Systemen die Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Beteiligten<br />
auf alles lenkt, was noch nicht wie<br />
powered by<br />
gewünscht funktioniert, und damit auf die<br />
Fehlersuche, dann entwickeln die Beteiligten<br />
eine hohe Kreativität, um die Schuld<br />
für den Ist-Zustand in die Schuhe an<strong>der</strong>er<br />
zu schieben. Hilfreicher ist oft, unvoreingenommen<br />
zu beobachten, was alles bereits<br />
wie gewünscht funktioniert, um in kleinen<br />
Schritten mehr davon zu tun. Der lösungsorientierte<br />
Berater lenkt die Aufmerksamkeit<br />
des Gesprächspartners auf beobachtbares<br />
Verhalten, auf die Ausnahmen<br />
vom Problemzustand und auf die eigenen<br />
Stärken und Kompetenzen. Das erlebt <strong>der</strong><br />
Gesprächspartner als positive Bestätigung,<br />
sodass Engagement und Kreativität für<br />
neue Wege freigesetzt werden. Der Berater<br />
bleibt in guter Erinnerung und wird gern<br />
wie<strong>der</strong> aufgesucht. Seine Akzeptanz im<br />
Unternehmen wird so gestärkt.<br />
Verantwortung für die Lösung<br />
Im unternehmerischen Kontext verbreitet<br />
sich die lösungsorientierte <strong>Beratung</strong> unter<br />
19<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
dem Begriff „Reteaming“. Sie hilft Teams,<br />
aber auch Einzelnen, Probleme konstruktiv<br />
zu lösen und Ziele auf effizientem Weg<br />
zu erreichen, verbessert die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
und gestaltet Verän<strong>der</strong>ungsprozesse<br />
nachhaltig. Entwickelt wurde Reteaming<br />
von dem Psychiater Ben Furmann und<br />
dem Sozialpsychologen Tapani Ahola,<br />
<strong>bei</strong>de Co-Direktoren des Instituts für Kurztherapie<br />
in Helsinki. Im deutschsprachigen<br />
Raum koordiniert <strong>der</strong> Pädagoge, Betriebswirt<br />
und Organisationsberater Wilhelm<br />
Geisbauer seit 1998 die Ausbildung zum<br />
Reteaming-Coach. Reteaming ist konsequent<br />
zukunfts- und lösungsorientiert und<br />
regt Menschen an, gewünschte Verän<strong>der</strong>ungen<br />
zustande zu bringen. Auf eine Problemanalyse<br />
wird da<strong>bei</strong> ganz verzichtet.<br />
Reteaming folgt dem Motto: „Keiner ist für<br />
das Problem, je<strong>der</strong> aber für die Lösung verantwortlich.“<br />
Neuorganisation in <strong>der</strong><br />
Personalabteilung<br />
Das mittelständische Unternehmen IMS<br />
Gear in Donaueschingen ist ein international<br />
aufgestellter Spezialist <strong>der</strong> Zahnradund<br />
Getriebetechnik mit einer klaren<br />
Vision und Strategie. Die stetige Pflege<br />
<strong>der</strong> Kundenbeziehungen und Kompetenzen<br />
sowie die Optimierung <strong>der</strong> Produkte<br />
und Prozesse bilden die Basis des Unternehmenswachstums.<br />
In den vergangenen<br />
zehn Jahren hat sich die stark administrativ<br />
ausgerichtete Personalabteilung des<br />
Automobilzulieferers über ihre Mitar<strong>bei</strong>t<br />
in Projekten weiterentwickelt. Ziel ist es,<br />
die <strong>Beratung</strong>skompetenz auszubauen<br />
und eine prozessorientierte Organisation<br />
umzusetzen. Mit <strong>der</strong> Standardisierung<br />
und Beschreibung <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsabläufe kam<br />
die Frage nach einem Standard für <strong>Beratung</strong>saufgaben<br />
auf. Alle neun Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
powered by<br />
<strong>der</strong> Personalabteilung an zwei Standorten<br />
sollten nach einem gemeinsamen Standard<br />
für die Lösung von menschlichen<br />
und zwischenmenschlichen Problemen<br />
geschult werden. Start <strong>der</strong> Qualifizierung<br />
war ein zweitägiger Abteilungsworkshop.<br />
Die <strong>aktuell</strong>e Situation war geprägt durch<br />
die zusätzlichen Aufgaben zur Umsetzung<br />
<strong>der</strong> Kapazitäts- und Kostenanpassungen<br />
im Unternehmen. Und das in einer Situation,<br />
in <strong>der</strong> die Personalabteilung zudem<br />
mit <strong>der</strong> Einar<strong>bei</strong>tung neuer Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
beschäftigt war. Die Mitar<strong>bei</strong>ter wussten<br />
nicht, wie sie das alles bewältigen sollten.<br />
Im Workshop sollten einerseits wirksame<br />
Lösungen für die Leitfrage entwickelt<br />
werden: „Wie gestalten wir unsere Zusammenar<strong>bei</strong>t,<br />
um die <strong>aktuell</strong>e Situation<br />
erfolgreich zu meistern?“ An<strong>der</strong>erseits<br />
sollten die Teilnehmer für sich selbst die<br />
lösungsorientierte Vorgehensweise kennenlernen<br />
und erfahren.<br />
Motivierendes Bild: Die bessere<br />
Zukunft im Blick<br />
Der Ablauf wurde nach dem Reteaming-<br />
Konzept gestaltet. Zunächst wurden die<br />
Workshop-Teilnehmer aufgefor<strong>der</strong>t, sich<br />
auszumalen, wie sie in Zukunft zusammenar<strong>bei</strong>ten<br />
müssten, um die <strong>aktuell</strong>e Situation<br />
erfolgreich zu meistern. Ergebnis: das motivierende<br />
Bild einer besseren Zukunft. Danach<br />
wurden Verhaltensziele gesammelt,<br />
um den angestrebten Zustand zu erreichen<br />
– als Brücke in die gewünschte Zukunft.<br />
Der nächste Schritt war die Einigung auf<br />
ein einziges dieser Ziele – nämlich darauf,<br />
sich gegenseitig so zu unterstützen, dass<br />
je<strong>der</strong> gemäß seinen Rollen und Aufgaben<br />
handeln kann. Die Konzentration auf ein<br />
Ziel erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit<br />
und beeinflusst häufig auch an<strong>der</strong>e Ziele<br />
günstig.<br />
20<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
powered by<br />
Traditionelles Verständnis von<br />
<strong>Beratung</strong><br />
Rolle des Beraters Experte o<strong>der</strong> Fachmann, <strong>der</strong> über<br />
einen Wissensvorsprung verfügt<br />
Wirkmechanismus für<br />
Verän<strong>der</strong>ung<br />
Berater richtet<br />
die Aufmerksamkeit<br />
auf ...<br />
Charakteristik <strong>der</strong><br />
Vorgehensweise<br />
Geeigneter<br />
Gegenstandsbereich<br />
Reparieren von Abweichungen zum<br />
Soll-Zustand<br />
• Problemzustand<br />
• Schwächen bzw. Entwicklungsbedarf<br />
• Abweichungen<br />
• Problemanalyse und Ursachenforschung<br />
• Projektplanung<br />
Dann wurde <strong>der</strong> Nutzen definiert, den die<br />
Personaler selbst und an<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> Erreichung<br />
dieses Ziels haben. Die Teilnehmer<br />
identifizierten die Stärken und Fähigkeiten<br />
im Team, die ihnen auf dem Weg zur Zielerreichung<br />
helfen würden. Sie planten die<br />
nächsten Schritte auf dem Weg zur Erreichung<br />
des gewählten Ziels und schätzten<br />
auf einer Skala von eins bis zehn ein, wo<br />
sie <strong>aktuell</strong> standen und wo sie nach sechs<br />
Monaten stehen wollten. Auch <strong>der</strong> Umgang<br />
mit möglichen Rückschritten wurde<br />
betrachtet – da man nach einem Schritt<br />
zurück oft besser und mit optimierter Strategie<br />
zum Ziel kommt.<br />
Lösungsorientierte <strong>Beratung</strong><br />
Agiert auf Augenhöhe<br />
Verstärken dessen, was bereits wie<br />
gewünscht funktioniert<br />
• Ausnahmen vom Problemzustand<br />
• Stärken und Kompetenzen<br />
• Fortschritte<br />
• Beschreibung des Zielzustands<br />
• Strategie <strong>der</strong> kleinen Schritte<br />
Technische Problemlösung Verän<strong>der</strong>ung von menschlichen<br />
Verhaltensweisen<br />
Auswirkungen • Reduzierter Aufwand <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Lösungsfindung<br />
• Gefahr, dass Problemanalysen zu<br />
Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen<br />
führen<br />
• Risiko, dass Zusammenar<strong>bei</strong>t erschwert,<br />
Kreativität beeinträchtigt<br />
und Motivation verhin<strong>der</strong>t wird<br />
• Stärkt die Verän<strong>der</strong>ungsfähigkeit<br />
des beratenden Systems<br />
• För<strong>der</strong>t die Eigenverantwortung<br />
• Setzt positive Energie und Motivation<br />
für die Lösungsfindung<br />
und Umsetzung frei<br />
Motto Jedem Problem seinen Experten Probleme sind verkleidete Ziele<br />
Unterschiede zwischen traditioneller und lösungsorientierter <strong>Beratung</strong><br />
Üben mit Kollegen <strong>bei</strong>m<br />
Qualifizierungsworkshop<br />
Ein halbes Jahr später fand dann ein eintägiger<br />
Qualifizierungsworkshop in lösungsorientierter<br />
<strong>Beratung</strong> statt. Der erste Teil<br />
bestand aus einem Rückblick auf die eigene<br />
Erfahrung mit lösungsorientiertem Ar <strong>bei</strong> -<br />
ten im Rahmen des Abteilungsworkshops<br />
sechs Monate vorher. Der zweite Teil war<br />
eine Einführung in die Grundlagen <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong>. Im dritten Teil<br />
übten die Teilnehmer, wie sie einen Kolle gen<br />
mit lösungsorientierten Fragen <strong>bei</strong> einem<br />
konkreten Anliegen unterstützen können.<br />
21<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Geplante Fortschritte: Alle ziehen am<br />
gleichen Strang<br />
Der Rückblick startete mit <strong>der</strong> Frage: Wer<br />
hat im vergangenen halben Jahr welchen<br />
wertvollen Beitrag zur Erreichung <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Zielsetzung geleistet? Zwar<br />
waren nicht alle nächsten Schritte, die sich<br />
die Gruppe im Abteilungsworkshop vorgenommen<br />
hatten, abgear<strong>bei</strong>tet. Trotzdem<br />
waren sich die Teilnehmer einig, dass sie<br />
den geplanten Fortschritt auf dem Weg<br />
zur Zielerreichung gemacht hatten. Bei <strong>der</strong><br />
konkreten Planung für die weitere Zielerreichung<br />
zählten die Mitar<strong>bei</strong>ter vier Maßnahmen<br />
auf, die schon angestoßen worden<br />
waren, wenn auch noch nicht umgesetzt.<br />
Das zeigte deutlich, wie gut die Gruppe<br />
ihre Aktivitäten auf ein gemeinsames Ziel<br />
hin ausgerichtet hatte: Alle ziehen am gleichen<br />
Strang in die gleiche Richtung.<br />
Die Grundlagen <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong> wurden durch einen Trainerinput<br />
und eine vertiefende Gruppendiskussion<br />
zu folgenden Themen vermittelt:<br />
das Verständnis von Verän<strong>der</strong>ung, das<br />
dem lösungsorientierten Ansatz zugrunde<br />
liegt;<br />
die Unterschiede zur traditionellen<br />
problemorientierten Herangehensweise<br />
zur Bear<strong>bei</strong>tung menschlicher und<br />
zwischenmenschlicher Probleme und<br />
lösungsorientierte Fragen, um lösungsorientierte<br />
<strong>Beratung</strong> möglichst schnell<br />
selbst anzuwenden und zu üben.<br />
Das Frage-Set zur Vorbereitung auf das<br />
praktische Üben im dritten Teil des Qualifizierungsworkshops<br />
lautete wie folgt:<br />
Was ist Ihre Frage?<br />
Was genau wollen Sie erreichen? Wel-<br />
powered by<br />
Schafft positive Stimmung: Die Gesprächspartner <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Entwicklung<br />
eigener Ideen zur Lösung unterstützen<br />
che Ideen haben Sie schon, wie Sie das<br />
angehen können?<br />
Welche Stärke beziehungsweise beson<strong>der</strong>e<br />
Fähigkeit haben Sie, die Ihnen da<strong>bei</strong><br />
hilft?<br />
Was ist Ihr nächster Schritt?<br />
Der lösungsorientierte Berater will den<br />
Gesprächspartner da<strong>bei</strong> unterstützen, sich<br />
darüber klar zu werden, was er erreichen<br />
will. Er will ihn anregen, erste Ideen zur<br />
Zielerreichung zu entwickeln – und zuletzt<br />
dazu, den nächsten Schritt konkret zu machen.<br />
Die ersten <strong>bei</strong>den Fragen helfen, die<br />
Ausgangssituation und den gewünschten<br />
Zielzustand zueinan<strong>der</strong> in Bezug zu bringen.<br />
Die Fragen drei und vier aktivieren<br />
die Kreativität des Gesprächspartners, eigene<br />
Lösungen zu entwickeln. Die fünfte<br />
Frage übersetzt die Lösungsidee in einen<br />
umsetzbaren, konkreten Schritt – ganz im<br />
Sinne <strong>der</strong> in Unternehmen gefor<strong>der</strong>ten<br />
Umsetzung.<br />
Stolperstein „Warum?“<br />
Die praktische Anwendung in Übungsgesprächen<br />
unter den Teilnehmern zeigten<br />
IMS Gear<br />
22<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
zwei Stolpersteine. Erstens bemerkten<br />
die Teilnehmer, wie stark sie in <strong>der</strong> traditionellen<br />
Vorgehensweise verhaftet sind,<br />
Problem lösung mit Ursachenforschung zu<br />
beginnen. Häufig tauchten in den Übungsgesprächen<br />
Warum-Fragen auf – zum Beispiel<br />
„Warum hast du das so gemacht?“.<br />
Das „Warum“ zwingt aber die Gesprächspartner,<br />
sich zu rechtfertigen, warum etwas<br />
nicht funktioniert. In <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong> wird deshalb mit „Wie?“ gefragt.<br />
Das „Warum“ ist untersagt. Das „Wie“<br />
bewirkt dagegen Antworten, die stärker<br />
beschreibend und weniger wertend sind<br />
und die Lösungen vorbereiten.<br />
Unterstützung <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Ideen-<br />
Entwicklung: Einfach, aber nicht leicht<br />
Zweitens bemerkten die Teilnehmer, wie<br />
stark die Neigung ist, als Berater eigene<br />
Lösungen vorzuschlagen, anstatt den Gesprächspartner<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Entwicklung eigener<br />
Ideen zu unterstützen. Aber: Die eigenen<br />
Ideen umzusetzen macht mehr Spaß<br />
und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.<br />
Der lösungsorientierte Berater nutzt seine<br />
Ideen, indem er die dazu passende Frage<br />
stellt – die Frage, auf die die Lösung im Kopf<br />
des Beraters eine mögliche Antwort wäre.<br />
Damit erschließt <strong>der</strong> Berater eine Quelle für<br />
Fragen, mit denen er das kreative Potenzial<br />
des Gesprächspartners freisetzt. Fazit: Die<br />
lösungsorientierte Methode ist einfach,<br />
aber nicht leicht.<br />
Die Teilnehmer erlebten bereits das Kennenlernen<br />
<strong>der</strong> Methode als Entlastung, weil<br />
sie fortan nicht mehr versuchen mussten,<br />
die Probleme an<strong>der</strong>er zu lösen. Menschen<br />
da<strong>bei</strong> zu unterstützen, eigene Ideen umzusetzen,<br />
steigert zudem die Wirksamkeit <strong>der</strong><br />
eigenen <strong>Beratung</strong>. Als Erleichterung erlebten<br />
die Teilnehmer die starke Fokussierung<br />
powered by<br />
auf Stärken und Ressourcen. Der Fokus auf<br />
das Gute schafft eine positive Stimmung, in<br />
<strong>der</strong> es mehr Spaß macht, Neues auszuprobieren.<br />
Das setzt <strong>bei</strong> allen Beteiligten konstruktives<br />
Engagement frei. Zum Abschluss<br />
bewerteten die Teilnehmer die Methode<br />
<strong>der</strong> lösungsorientierten <strong>Beratung</strong> als absolut<br />
praktikabel.<br />
Training <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungsfähigkeit<br />
Für das Unternehmen sind in <strong>der</strong> lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong> qualifizierte Mitar<strong>bei</strong>ter<br />
in <strong>der</strong> Personalabteilung eine lohnende<br />
Investition. Die Form <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
schärft den Blick für die Wahrnehmung<br />
<strong>der</strong> eigenen Rolle. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />
für die Übernahme <strong>der</strong> Verantwortung in<br />
den fachlichen Befugnissen in Abgrenzung<br />
zur Unterstützung <strong>der</strong> Führungskräfte in<br />
ihren Führungsfragen. Personaler führen<br />
viele Gespräche über alle Hierarchiestufen<br />
hinweg. Lösungsorientierte Fragen schaffen<br />
da<strong>bei</strong> schnell einen Nutzen <strong>bei</strong>m Gesprächspartner.<br />
Sie bewirken Impulse zur<br />
Problemlösung, regen die Eigenmotivation<br />
<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter an und för<strong>der</strong>n so letztlich<br />
auch ihre Verän<strong>der</strong>ungsfähigkeit im Sinne<br />
<strong>der</strong> Gesamtziele des Unternehmens.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Eidenschink, K. (2003). Grundverständnis:<br />
Was bewirkt Verän<strong>der</strong>ung? Wirtschaft +<br />
Weiterbildung, 11–12/2003, 15.<br />
Geisbauer, W. (Hrsg.). (2006). Reteaming:<br />
Methodenhandbuch zur lösungsorientierten<br />
<strong>Beratung</strong> (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer.<br />
Ulrich, D. (1998). Das neue Personalwesen:<br />
Mitgestalter <strong>der</strong> Unternehmenszukunft.<br />
Harvard Businessmanager, 20, 59–69.<br />
23<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Presencing – wie Lernen und Handeln von<br />
<strong>der</strong> Zukunft her funktionieren<br />
I. Kohlhofer, H. Jäckel<br />
Management-Methoden basieren meist<br />
auf alten mentalen Modellen und werden<br />
<strong>der</strong> immer komplexeren Realität nicht<br />
mehr gerecht. Die <strong>Beratung</strong> nach dem<br />
Presencing-Ansatz hinterfragt bisherige<br />
Erklärungsmuster, rückt neue Zusammenhänge<br />
in den Fokus und nutzt die<br />
Intuition, um eine bisher nicht denkbare<br />
Zukunft zu antizipieren.<br />
Die <strong>aktuell</strong>e Krise ist noch nicht bewältigt<br />
und wird uns auch noch länger beschäftigen.<br />
Was wir jedoch dadurch gelernt haben:<br />
Unsere globalisierte Welt hat einen<br />
Vernetzungsgrad und eine Komplexität<br />
erreicht, die mit herkömmlichen Management-Methoden<br />
kaum noch zu bewältigen<br />
ist. Die Zukunft wird an<strong>der</strong>s sein als<br />
eine Variante <strong>der</strong> Vergangenheit und <strong>der</strong><br />
gegenwärtigen Realität. Ein Schlüssel für<br />
einen wirkungsvollen Umgang mit Krisen<br />
liegt daher darin, die Fähigkeit des schöpferischen<br />
Tätigwerdens gemeinsam neu zu<br />
erlernen. Welches sind die inneren Quellen,<br />
aus denen heraus Einzelne o<strong>der</strong> Gruppen<br />
wirksam werden, wenn sie wahrnehmen,<br />
kommunizieren und handeln? Claus Otto<br />
Scharmer, Dozent an <strong>der</strong> Sloan School of<br />
Management am Massachusetts Institute of<br />
Technology (MIT) in Boston, hat mit seinen<br />
Kollegen die Bedingungen für fundamentale<br />
Innovationsund Erneuerungsprozesse<br />
erforscht. Das Ergebnis ist ein Ansatz für<br />
Führung und Lernen, um Zugang zu noch<br />
nicht manifesten zukünftigen Potenzialen<br />
zu erhalten, diese in die Welt zu bringen<br />
powered by<br />
und umzusetzen. Scharmer bezeichnet<br />
dieses Lernen und Handeln von <strong>der</strong> Zukunft<br />
her als „Presencing“. Dahinter steht<br />
ein Kunstwort aus „Presence“ (Gegenwart)<br />
und „Sensing“ (hinspüren).<br />
Zukünftiges Potenzial realisieren?<br />
Presencing erlaubt, tiefere Fel<strong>der</strong> <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Wahrnehmung und Willensbildung<br />
zu erschließen. Da<strong>bei</strong> lautetet<br />
die zentrale Frage für eine transformative<br />
Verän<strong>der</strong>ung: „Wie können wir aus den<br />
Mustern <strong>der</strong> Vergangenheit aussteigen<br />
und das beste zukünftige Potenzial realisieren?“<br />
Unser Denken und Handeln basiert<br />
auf Gewohnheitsmustern (mentalen Mo-<br />
Ingrid Kohlhofer,<br />
Mag. phil., Studium <strong>der</strong> Katholischen<br />
Theologie und Geschichte,<br />
Gesellschafterin <strong>bei</strong> Trigon<br />
München<br />
ingrid.kohlhofer@trigon.de<br />
Harald Jäckel,<br />
Dipl.-Kfm., Studium <strong>der</strong><br />
Betriebswirtschaft,<br />
Gesellschafter <strong>bei</strong> Trigon München<br />
harald.jaeckel@trigon.de<br />
24<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
dellen), <strong>bei</strong> denen ein vertrauter Stimulus<br />
eine gewohnte Reaktion auslöst. Es sind<br />
tief verwurzelte Annahmen, die in unser<br />
Tun einfließen. Sie repräsentieren das, was<br />
in unserer Vergangenheit erfolgreich war<br />
und was uns auch in Zukunft erfolgreich<br />
machen lassen soll. Wie eine Landkarte, die<br />
wesentliche Merkmale einer Landschaft<br />
darstellt, aber nicht die Landschaft selbst<br />
ist, geben uns unsere mentalen Modelle<br />
Orientierung und ermöglichen sinnvolles<br />
Handeln. Sie helfen uns, unsere Erfahrung<br />
zu interpretieren. Es sind individuelle Landkarten<br />
und sie repräsentieren die eigene,<br />
spezifische Sichtweise. Eine gemeinsame<br />
Sicht verschiedener Personen entsteht erst<br />
durch Kommunikation. Um sich aus den<br />
Verhaltensmustern <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />
lösen (Komfortzone), ist eine tiefere Ebene<br />
<strong>der</strong> Aufmerksamkeit nötig. Erfor<strong>der</strong>lich ist<br />
eine Öffnung des Denkens, des Fühlens<br />
und des Willens, die mit drei Kernkompetenzen<br />
verbunden ist. Die Fähigkeit zur<br />
Öffnung des Denkens basiert auf dem<br />
Vermögen, analytisch und intellektuell<br />
unvoreingenommen zu denken und zu ar<strong>bei</strong>ten.<br />
Die Fähigkeit zur Öffnung des Fühlens<br />
ist gleichbedeutend mit emotionaler<br />
Intelligenz (<strong>der</strong> Fähigkeit, sich in an<strong>der</strong>e<br />
und an<strong>der</strong>e Kontexte hineinzufühlen). Die<br />
Öffnung des Willens hängt mit dem Vermögen<br />
zusammen, die alte Intention loszulassen<br />
und neue Intentionen kommen<br />
zu lassen. Presencing setzt voraus, dass<br />
diese Kompetenzen auf individueller und<br />
kollektiver Ebene ausgebildet werden. Um<br />
die Zukunft in <strong>der</strong> Gegenwart zu erspüren,<br />
sind die Verän<strong>der</strong>ung grundlegen<strong>der</strong> seelischer<br />
Gewohnheiten und die Gestaltung<br />
neuer Bewusstseinsqualitäten notwendig.<br />
Es geht darum:<br />
aufmerksam zu werden und aus Gewohnheitshandeln<br />
auszusteigen;<br />
powered by<br />
bekannte Erklärungsmuster zu verlassen<br />
und mit offenem Blick hinzu schauen;<br />
Fähigkeiten des Fühlens aus dem emotionalen<br />
Reagieren zu befreien und zum<br />
Erspüren <strong>der</strong> Realität zu kommen;<br />
den eigenen Willen so zu lockern und<br />
zu öffnen, damit die Zukunftssignale<br />
spürbar werden können;<br />
mit schöpferischer Fantasie Ideen für<br />
die Zukunft zu entwickeln;<br />
konkrete Handlungen und Prototypen<br />
für die zukünftige Realität auszuar<strong>bei</strong>ten;<br />
neue Vorgehensweisen, Strukturen und<br />
Prozesse zu schaffen, in denen sich das<br />
Neue verkörpern kann.<br />
Wie handelt man gemeinsam?<br />
Die größte Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>bei</strong> Verän<strong>der</strong>ungsprozessen<br />
liegt unserer Erfahrung<br />
nach im gemeinsamen Handeln. Die unterschiedlichen<br />
Weltbil<strong>der</strong>, Verhaltensmuster<br />
und Interessen <strong>der</strong> Akteure lassen zwar oft<br />
die Erar<strong>bei</strong>tung gemeinsamer Ziele und<br />
Strategien zu. Das heißt aber nicht, dass die<br />
Akteure dann auch zügig und mit Engagement<br />
gemeinsam handeln. Viele Unternehmen<br />
konnten nicht auf Verän<strong>der</strong>ungen in<br />
ihrem Umfeld eingehen, obwohl sie diese<br />
sehen konnten. Um gemeinsam zu handeln,<br />
bedarf es einer gemeinsamen Willensbildung.<br />
Sonst bleiben Prozesse in den Strukturen<br />
<strong>der</strong> Vergangenheit („Wir nicken und<br />
machen weiter wie bisher“) stecken. Doch<br />
um die Öffnung des Denkens, des Fühlens<br />
und des Willens hinzubekommen, müssen<br />
wir uns inneren Wi<strong>der</strong>ständen stellen:<br />
„Die Stimme des Urteilens“ blockiert die<br />
Öffnung des Denkens durch das Abspulen<br />
alter Denkschablonen.<br />
„Die Stimme des Zynismus“ blockiert<br />
die Öffnung des Fühlens: Zynismus um-<br />
25<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
fasst emotionale Handlungen, die zur<br />
Distanzierung führen.<br />
„Die Stimme <strong>der</strong> Angst“ blockiert die<br />
Öffnung des Willens: Angst vor ökonomischem<br />
Misserfolg o<strong>der</strong> Scheitern hin<strong>der</strong>t<br />
uns loszulassen.<br />
In unserer Zeit <strong>der</strong> Überflutung mit Bil<strong>der</strong>n<br />
und Informationen sind wir gezwungen,<br />
Wesentliches von Unwesentlichem zu<br />
trennen. Was da<strong>bei</strong> verloren gehen kann,<br />
ist die Fähigkeit, sich in eine Situation empathisch<br />
und vorbehaltlos hineinzuversetzen<br />
und nicht schon innerlich Ja o<strong>der</strong><br />
Nein zu sagen. Im Presencing-Konzept hat<br />
die Beobachtung <strong>der</strong> Ist-Situation – ohne<br />
Beurteilung – höchste Priorität. Es gibt<br />
immer tausend Gründe, die Ist-Situation<br />
zu relativieren o<strong>der</strong> als aussichtslos zu interpretieren<br />
(„Das haben wir schon hun<strong>der</strong>t<br />
Mal versucht, und nie ist es etwas<br />
geworden!“). Presencing setzt darauf, zunächst<br />
mit Stakehol<strong>der</strong>-Interviews und Erkundungsreisen<br />
Material zur Diagnose zu<br />
sammeln. Ziel ist die unverstellte Sicht auf<br />
das, was ist.<br />
Wie wir auch aus <strong>der</strong> <strong>aktuell</strong>en Gehirnforschung<br />
wissen, ist ein Entschluss, <strong>der</strong> nur<br />
auf einem intellektuellen Konzept beruht,<br />
in <strong>der</strong> Umsetzung nicht nachhaltig. Die<br />
Diagnose muss beeindrucken, also die<br />
Gefühle <strong>der</strong> Beteiligten ansprechen und<br />
Betroffenheit auslösen. Nur dann entsteht<br />
trotz Risiken Handlungsbereitschaft. Doch<br />
bevor das Neue sich zeigt, muss das Alte<br />
Platz machen. So heißt es nach <strong>der</strong> intensiven<br />
Diagnose und dem Ins-Bild-Setzen<br />
(zum Beispiel durch Metaphern, gespielte<br />
Szenen, Unternehmenstheater), innerlich<br />
Abstand zu gewinnen, eine Auszeit zu nehmen<br />
und die Eindrücke dem Unbewussten<br />
zur Verar<strong>bei</strong>tung anzuvertrauen. Dann<br />
kann <strong>der</strong> Glücksmoment eintreten, dass<br />
powered by<br />
das Bild einer zukunftsorientierten Lösung<br />
entsteht, die stufenweise ausgemalt und<br />
im Kontakt mit <strong>der</strong> Umwelt umgesetzt<br />
werden muss.<br />
Presencing ist zuallererst eine Haltung,<br />
die bestimmte methodische Indikationen<br />
nach sich zieht. Zu einem <strong>Beratung</strong>sansatz<br />
wird es erst durch den jeweiligen Berater<br />
selbst. Da<strong>bei</strong> gibt es unterschiedliche Anwendungsformen.<br />
Einige verwenden Teile<br />
des Ansatzes als Erklärungsmodelle (zum<br />
Beispiel in Trainings), an<strong>der</strong>e nutzen ihn<br />
als Innovationsmethodik. Bei <strong>der</strong> Entwicklungsberatung<br />
Trigon verbinden wir den<br />
Ansatz mit eigenen Methoden und verwenden<br />
ihn auf <strong>der</strong> Organisationsebene<br />
– für Themen wie die strategische Neuausrichtung<br />
<strong>der</strong> Organisation, die Vorbereitung<br />
auf neue Entwicklungen o<strong>der</strong> die<br />
Identifizierung strategischer Wachstumsfel<strong>der</strong>.<br />
Ein Praxis<strong>bei</strong>spiel<br />
20 Geschäftsführer von Non-Profit-Organisationen,<br />
die alle Mitglie<strong>der</strong> eines Verbands<br />
sind, sorgen sich um dessen Zukunftsfähigkeit.<br />
Sie entscheiden zunächst in einem<br />
eineinhalbtägigen Workshop, Innovationsimpulse<br />
für die Zukunft zu erar<strong>bei</strong>ten. Alle<br />
Personen sind seit vielen Jahren in ihrem<br />
Beruf tätig und besitzen sehr hohe Fachkompetenz.<br />
Aufmerksam werden, innehalten<br />
Ausgangspunkt eines Presencing-Prozesses<br />
ist immer eine klare Frage, die sich im<br />
Lauf des Prozesses verän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> verdichten<br />
kann. Je<strong>der</strong> Teilnehmer formuliert<br />
seine Frage zur Zukunft des Verbands und<br />
untersucht sie mit zwei Kollegen hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Kriterien: Klarheit, Konkretheit, Lösungsorientierung.<br />
26<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
fotolia/Woodapple<br />
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Presencing bedeutet aufmerksam zu werden, hinzuspüren, loszulassen und mit dieser Haltung Probleme zu lösen<br />
Mit offenem Blick hinsehen<br />
Im zweiten Schritt wird die Frage auf die<br />
Diagnose <strong>der</strong> Situation des Verbands gerichtet.<br />
Als Instrument dient das Quadrantenmodell<br />
nach Ken Wilber (siehe Grafik<br />
Seite 28). In vier Fel<strong>der</strong>n wird zusammengetragen,<br />
wie man die Situation als<br />
Person innerlich erlebt, wie sie in <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />
innerlich erlebt wird, wie sich<br />
das Verhalten des Verbands o<strong>der</strong> seiner<br />
Mitglie<strong>der</strong> aus objektiverer Sicht darstellt<br />
und wie <strong>der</strong> Verband im Gesamtsystem<br />
wirkt. Die Ergebnisse werden im Plenum<br />
gezeigt und verdichtet. Im Dialog wird<br />
aus den vielen Fragen die zentrale Frage<br />
für die Zukunft des Verbands herausgear<strong>bei</strong>tet.<br />
Hinspüren<br />
Um das Gefühl einzubeziehen, werden<br />
etwa hun<strong>der</strong>t Farbbil<strong>der</strong> ausgelegt. Die<br />
Teil nehmer wählen spontan eins davon –<br />
passend zur Frage und ihrem inneren Erle-<br />
powered by<br />
ben – und suchen in Dreier-Gruppen nach<br />
tiefer liegenden unterbewussten Motiven<br />
ihrer Wahl. Da<strong>bei</strong> sind oft viele überrascht,<br />
welche Botschaften in den Bil<strong>der</strong>n stecken.<br />
Der gemeinsame Austausch zu Fragen wie<br />
„Was fehlt mir?“, „Was suche ich, was nicht<br />
möglich ist?“ o<strong>der</strong> „Von welchen Hypothesen<br />
gehe ich da<strong>bei</strong> aus?“ objektiviert<br />
die Einzelsichtweisen und führt meist zu<br />
erstaunlichen Gemeinsamkeiten in <strong>der</strong><br />
Einschätzung <strong>der</strong> Situation. Es wird schnell<br />
deutlich, was den Beteiligten am Verband<br />
fehlt – zum Beispiel fehlen<strong>der</strong> Austausch,<br />
lange schwelende Konflikte, persönliche<br />
Kränkungen – all die „heißen“ Themen,<br />
über die vorher geschwiegen wurde.<br />
Loslassen<br />
Nachdem sich je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Beteiligten seine<br />
Gefühle vergegenwärtigt hat, heißt die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung: zwei Stunden an nichts<br />
zu denken, sich stressfrei zu beschäftigen<br />
und sich innerlich zu befreien, zum Beispiel<br />
27<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
individuell<br />
kollektiv<br />
allein spazieren gehen, auf dem Bett liegen<br />
– und die Seele ar<strong>bei</strong>ten lassen.<br />
Moment <strong>der</strong> Intuition<br />
Fast alle Menschen kennen spontane Intuition:<br />
Man fasst augenblicklich einen wichtigen<br />
Entschluss und weiß, was zu tun ist.<br />
Daran gilt es anzuknüpfen. Die Mitglie<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Gruppe beschreiben sich gegenseitig<br />
Erlebnisse, Umstände o<strong>der</strong> Orte, die <strong>bei</strong> ihnen<br />
zu intuitivem Handeln geführt haben.<br />
Eine Möglichkeit ist, sich innerlich wie<strong>der</strong><br />
dort hinzubegeben und mit <strong>der</strong> <strong>aktuell</strong>en<br />
Frage an das vergangene eigene Erlebnis<br />
anzuknüpfen. Dieser Schritt ist eine Sequenz<br />
<strong>der</strong> Stille und Öffnung auf hohem<br />
konzentriertem Niveau. Man muss sich<br />
meditativ vorbereiten und dann bewusst<br />
wahrnehmen, was an zukünftigen Lösungen<br />
erscheint.<br />
Das Zukunftsbild ausmalen<br />
Der Austausch über die individuellen Erleb-<br />
powered by<br />
Ich<br />
Vier Perspektiven des Lebens (Quadrantenmodell nach Ken Wilber)<br />
innerlich äußerlich<br />
Persönliches inneres Erleben<br />
Gedanken<br />
Gefühle/Bedürfnisse<br />
Willensimpulse<br />
Meine inneren Fähigkeiten<br />
Du/Wir<br />
Gemeinschaftliches inneres Erleben<br />
Kultur/Werte<br />
Resonanz auf soziales Miteinan<strong>der</strong><br />
Resonanz auf Vorgehen<br />
Einschätzen/Bedeutung <strong>bei</strong>messen/Beurteilen<br />
in <strong>der</strong> Gruppe<br />
Es (Singular)<br />
Objektiv wahrnehmbares Verhalten<br />
Beschreibbare Verhaltensdynamik<br />
Äußere Fähigkeiten<br />
Es (Plural)<br />
System/Organisation<br />
Aufbau/Ablauforganisation<br />
Input/Output<br />
Daten/Fakten<br />
nisse ist für die Teilnehmer spannend und<br />
energiespendend. Die unterschiedlichen<br />
Ansätze lassen sich im Dialog wie Puzzleteile<br />
zusammensetzen. Eine Zukunftsgestalt<br />
zeigt sich und bietet konkrete Ansätze<br />
zur Ausar<strong>bei</strong>tung. Beim Verband ist eine<br />
Neustrukturierung fällig, Konflikte müssen<br />
aktiv bear<strong>bei</strong>tet werden, und ein neues<br />
Handlungsfeld muss erschlossen werden.<br />
Hier endet <strong>der</strong> Workshop, und das Material<br />
wird an die verantwortliche Kerngruppe<br />
übergeben.<br />
Prototypen bilden – hervorbringen<br />
Eine Kerngruppe aus dem Kreis <strong>der</strong> Teilnehmer<br />
und Mitar<strong>bei</strong>tern des Verbands setzt<br />
sich mit den Zukunftsimpulsen auseinan<strong>der</strong>.<br />
Sie erar<strong>bei</strong>ten im kontroversen Dialog<br />
Möglichkeiten <strong>der</strong> Umsetzung. Wichtig ist<br />
es in dieser Phase, engagierte Akteure aus<br />
verschiedenen Bereichen und Hierarchieebenen<br />
des Systems zusammenzubringen,<br />
die für zukünftige Ergebnisse vor Ort ver-<br />
28<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
antwortlich sind. Wenn die Konzeption bis<br />
zum Ende durchdacht ist, entstehen erste<br />
Prototypen und klare Handlungsansätze<br />
für die nächsten ersten Umsetzungsschritte.<br />
Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten<br />
werden definiert. Die Umsetzung<br />
kann beginnen. Es wird ein neues<br />
Strukturmodell des Verbands entwickelt:<br />
Neuordnung <strong>der</strong> Führungskonzeption, Definition<br />
<strong>der</strong> notwendigen Organe, Beschreibung<br />
<strong>der</strong> Funktionen und die Vorbereitung<br />
ihrer personellen Besetzung.<br />
Erproben und umsetzen<br />
In den Phasen <strong>der</strong> Konkretisierung und<br />
Realisierung tauchen ständig neue Fragen<br />
auf. Die verantwortliche Kerngruppe<br />
bezieht dann immer wie<strong>der</strong> Personen aus<br />
dem Innen- und Außenkreis des Verbands<br />
ein und kommuniziert den Weg <strong>der</strong> Umsetzung<br />
stetig. So ist zusätzlich ein Netzwerk<br />
entstanden, das mit neuen Augen und<br />
hohem Verantwortungsbewusstsein auf<br />
die weitere Entwicklung schaut. Ein Beirat<br />
überwacht aus Sicht verschiedener Stakehol<strong>der</strong>-Gruppen<br />
die Ar<strong>bei</strong>tsergebnisse und<br />
gibt Impulse für kontinuierliches Lernen.<br />
Fazit: Aktives Nutzen <strong>der</strong> Intuition<br />
ermöglicht Antizipieren <strong>der</strong> Zukunft<br />
Viele Management-Methoden basieren<br />
auf alten, mentalen Modellen. Sie lassen<br />
nur eine bestimmte Anzahl von Variablen<br />
zu und schreiben meist die Vergangenheit<br />
einfach weiter. Bestimmte Glaubenssätze<br />
wie etwa das „Business Mantra“ vom ewigen<br />
Wachstum werden nicht hinterfragt.<br />
So taucht die For<strong>der</strong>ung nach Nachhaltigkeit<br />
vielleicht in <strong>der</strong> Zielformulierung auf,<br />
wird aber <strong>bei</strong>m konkreten Vorgehen nicht<br />
beachtet. Presencing ist ein systemischer<br />
Ansatz, <strong>der</strong> einlädt, die tieferen Quellen gemeinsamer<br />
Wahrnehmung und Willensbil-<br />
powered by<br />
dung zu erschließen. Bisherige Erklärungsmuster,<br />
Selbst- und Fremdbil<strong>der</strong> werden<br />
hinterfragt und Zusammenhänge in den<br />
Fokus gerückt, die bisher nicht bedacht<br />
wurden. Die aktive Nutzung <strong>der</strong> Intuition<br />
ermöglicht, die Zukunft zu antizipieren. Das<br />
bisher „Nicht-Denkbare“ wird denkbar, und<br />
das Ergebnis ist ein originäres und neues<br />
Produkt.<br />
Weiterführende Literatur<br />
Scharmer, C. O. (2009). Theorie U: Von <strong>der</strong><br />
Zukunft her führen. Heidelberg: Carl-<br />
Auer.<br />
Ballreich, R. (2004). Presencing: Wie<br />
kommt das Neue in die Welt? Trigon<br />
Themen, 1/2004, 4–6. Verfügbar unter:<br />
http://www.trigon.at/german/news/pdf/<br />
TrigonThemen_104.pdf [10.8.2010]<br />
29<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Core Story:<br />
Im Kern steht immer eine Geschichte<br />
M. Müller<br />
Die Entwicklung einer Core Story hilft<br />
Unternehmen und Einzelpersonen, ihre<br />
berufliche o<strong>der</strong> geschäftliche Identität<br />
zu schärfen, und bietet gleichzeitig eine<br />
Blaupause für die Kommunikation dieser<br />
Identität.<br />
Zum Kick-off-Meeting mit dem Berater<br />
sind <strong>der</strong> Geschäftsführer und zwei leitende<br />
Mitar<strong>bei</strong>ter einer kleinen Internetfirma<br />
gekommen, die eine lokale Handwerkersuche<br />
im Internet anbietet. Die Geschäfte des<br />
Unternehmens laufen mittelprächtig, und<br />
wie das Vorgespräch ergeben hat, erhoffen<br />
sich <strong>der</strong> Geschäftsführer und sein Investor,<br />
dass <strong>der</strong> Umsatz durch eine Verbesserung<br />
des Internetauftritts wächst. Ziel <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
ist daher die Neukonzeption und Fokussierung<br />
des Internetportals. Nach <strong>der</strong><br />
Auftragsklärung stellt <strong>der</strong> Berater die Frage<br />
nach <strong>der</strong> Core Story des Unternehmens.<br />
Er erläutert, dass die Core Story als eine<br />
Art „Geschichte in einem Satz“ den Kern<br />
<strong>der</strong> Geschäftstätigkeit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Marke des<br />
Unternehmens zusammenfasst. So könnte<br />
etwa die Core Story eines Autoherstellers<br />
lauten: „Wir bauen hochwertige Autos, um<br />
Menschen Spaß am Fahren zu vermitteln.“<br />
Sie könnte aber auch lauten: „Wir entwickeln<br />
nachhaltige Konzepte, um die Mobilitätsbedürfnisse<br />
von morgen befriedigen<br />
zu können.“ Beide Core Storys drücken<br />
verschiedene strategische Ansätze aus und<br />
erzählen unterschiedliche Geschichten<br />
des Unternehmens in die Zukunft hinein:<br />
Im ersten Fall konzentriert sich das Unter-<br />
powered by<br />
nehmen ganz auf das Bauen von Autos, im<br />
zweiten sind die Autos nur ein (wenn auch<br />
im Moment noch zentraler) Teil <strong>der</strong> Tätigkeit.<br />
Der Berater bittet den Geschäftsführer und<br />
seine <strong>bei</strong>den Mitar<strong>bei</strong>ter, die Core Story<br />
ihres Unternehmens aufzuschreiben. Sie<br />
haben nur zwei Minuten Zeit dafür. Nach<br />
einigen Diskussionen steht folgende Aussage<br />
auf dem Flipchart: „Wir bieten eine<br />
umfassende Handwerkerplattform für alle<br />
Bedürfnisse.“<br />
„Dumme Fragen“ für konkrete<br />
Antworten<br />
Nun beginnt die eigentliche Ar<strong>bei</strong>t. Der Berater<br />
beginnt, „dumme Fragen“ zu stellen:<br />
Was heißt „alle Bedürfnisse“? Was meinen<br />
Sie mit „umfassend“? Bedeutet das wirklich,<br />
dass auf <strong>der</strong> Plattform alle Fragen, die im<br />
Zusammenhang mit Handwerkern auftreten,<br />
beantwortet werden? „Nein, das nicht“,<br />
meint <strong>der</strong> Geschäftsführer. Also wird ein<br />
an<strong>der</strong>er Begriff für „umfassend“ benötigt.<br />
Dr. Michael Müller,<br />
Professor für Medienanalyse und<br />
Medienkonzeption an <strong>der</strong> Hochschule<br />
<strong>der</strong> Medien in Stuttgart,<br />
Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Beratergruppe<br />
System + Kommunikation in<br />
München<br />
mueller@sys-kom.de<br />
30<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Und so geht es weiter. Nach zwei Stunden<br />
harter gemeinsamer Ar<strong>bei</strong>t ist die folgende<br />
Formulierung gefunden: „Die Plattform XY<br />
ermöglicht dem Kunden durch ein ausgefeiltes<br />
Suchsystem, genau den richtigen<br />
Handwerker für seinen Bedarf zu finden.“<br />
Dir Formulierung ist länger geworden, konkreter<br />
und genauer; die Suchfunktion wird<br />
zum Alleinstellungsmerkmal. Mit diesem<br />
Ergebnis vertagen wir uns für eine Woche<br />
und vereinbaren, bis dahin alle Konsequenzen<br />
und konzeptionellen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
zu sammeln, die sich aus dieser Core Story<br />
für den Internetauftritt ergeben, um dann<br />
auf sicherer Basis in die Neukonzeption einzusteigen.<br />
Wozu braucht man eine Core Story?<br />
Die erste Reaktion <strong>der</strong> meisten Unternehmer<br />
o<strong>der</strong> Unternehmensteams auf die Bitte,<br />
in einem Satz aufzuschreiben, was den<br />
Kern ihres Geschäfts, ihrer Tätigkeit ausmacht,<br />
ist eher entspannt: Das kann doch<br />
nicht so schwer sein! Dann scheiden sich<br />
die Geister: Während manche schnell einen<br />
Satz hinschreiben (oft ist es <strong>der</strong> Slogan des<br />
Unternehmens), kommen an<strong>der</strong>e ins Grübeln,<br />
schreiben, streichen aus, schreiben<br />
wie<strong>der</strong> etwas und bekennen, dass sie nicht<br />
gedacht hätten, wie schwer es sein könne,<br />
die eigene Core Story zu formulieren.<br />
Etwa 80 Prozent <strong>der</strong> Klienten erleben diese<br />
Schwierigkeiten, die für sie bereits eine erste<br />
Selbsterkenntnis sind: Im Grunde können<br />
wir gar nicht genau sagen, was wir eigentlich<br />
tun. Auch die Anfor<strong>der</strong>ung, einen Satz<br />
zu formulieren und nicht nur Stichpunkte<br />
aufzulisten, wird von den an Powerpoint-<br />
Präsentationen gewöhnten Managern<br />
meist als klärende Herausfor<strong>der</strong>ung empfunden:<br />
Sie erleben, wie das Formulieren<br />
von ganzen Sätzen zur Klarheit zwingt.<br />
powered by<br />
Wie auch immer die erste Formulierung<br />
entsteht – sie wird auf ein Flipchart geschrieben<br />
und ist <strong>der</strong> Ausgangspunkt für<br />
die weitere Ar<strong>bei</strong>t. Jetzt ist das Gespür des<br />
Beraters für die unklaren Stellen <strong>der</strong> Geschichte<br />
gefor<strong>der</strong>t, seine Fähigkeit, genau<br />
die Fragen zu stellen, die verborgenes Wissen<br />
an die Oberfläche bringen, neue Ideen<br />
entstehen lassen und dem Unternehmen<br />
erlauben, weiterzugehen auf dem Weg zur<br />
Klarheit: „Was bedeutet denn ... genau?“,<br />
„Welchen an<strong>der</strong>en Begriff könnte man für<br />
... verwenden?“, „Was verstehen Ihre Kunden<br />
unter ...?“ Die Haltung des Beraters ist<br />
ressourcenorientiert. Denn niemand kennt<br />
sein eigenes Geschäft so gut wie <strong>der</strong> Geschäftsführer<br />
o<strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> eines Unternehmens.<br />
Doch dieses Wissen schlummert<br />
oft im Ungefähren und im Nicht-Bewussten.<br />
Die Ar<strong>bei</strong>t an <strong>der</strong> Core Story ist damit<br />
ein Prozess des Bewusstmachens dessen,<br />
was man immer schon tut. Wie häufig in<br />
<strong>der</strong> <strong>Beratung</strong> ist auch hier das Ergebnis<br />
(die formulierte Core Story) nur <strong>der</strong> halbe<br />
Zweck <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>t; die an<strong>der</strong>e Hälfte ist das<br />
Erleben des Prozesses, des „langsamen Verfestigens<br />
<strong>der</strong> Gedanken“. Dieser Prozess ist<br />
gewissermaßen die nachträgliche gedankliche<br />
Gründung des Unternehmens: die<br />
Selbstvergewisserung <strong>der</strong> eigenen Identität.<br />
Karriereplanung mit <strong>der</strong> Core Story<br />
In ähnlicher Weise wird die Methode auch<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Karriereberatung o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> beruflichen<br />
Neuorientierung von Einzelpersonen<br />
angewendet – unabhängig davon,<br />
ob diese selbstständig o<strong>der</strong> als Angestellte<br />
ar<strong>bei</strong>ten. Auch hier geht es um die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> beruflichen Identität – im Zentrum<br />
je<strong>der</strong> erfolgreichen Laufbahn steht eben<br />
auch eine gute Geschichte.<br />
31<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Peter M., 49, leitet seit acht Jahren die Unternehmenskommunikation<br />
eines mittelständischen<br />
Unternehmens mit etwa 800<br />
Mitar<strong>bei</strong>tern. Er hat das Gefühl, in Routine<br />
zu ersticken und gleichzeitig in einer beruflichen<br />
Sackgasse zu stecken. Bei seinem<br />
Unternehmen, aber auch <strong>bei</strong> an<strong>der</strong>en Mittelständlern<br />
gibt es für ihn in <strong>der</strong> Unternehmenskommunikation<br />
nach eigener<br />
Einschätzung keine neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
mehr, und in einem Großunternehmen<br />
müsste er wohl wie<strong>der</strong> von unten anfangen,<br />
da man ihm als Mittelständler nicht<br />
zutraut, die Kommunikation eines Konzerns<br />
zu leiten. Das hat man ihn in mehreren Bewerbungsgesprächen<br />
spüren lassen. Die<br />
<strong>bei</strong>den Optionen, die M. offenbar zur Verfügung<br />
stehen, als er zur <strong>Beratung</strong> kommt,<br />
erscheinen ihm daher wenig verlockend:<br />
Er kann in seiner jetzigen Position „bis zur<br />
Rente“ bleiben o<strong>der</strong> <strong>bei</strong> einem Großunternehmen<br />
wie<strong>der</strong> „von unten“ anfangen. Er<br />
sagt selbst, er sei ratlos, was seine Karriere<br />
und damit auch die Zufriedenheit mit <strong>der</strong><br />
beruflichen Tätigkeit betreffe.<br />
Werte herausar<strong>bei</strong>ten<br />
Der Berater bittet M., seine Berufsbiografie<br />
zu erzählen – mit den wichtigsten Stationen,<br />
den Erlebnissen und Ereignissen, die<br />
beson<strong>der</strong>s im Gedächtnis geblieben sind,<br />
den angenehmen ebenso wie den unangenehmen.<br />
Wenn <strong>der</strong> Klient mit seiner Erzählung<br />
zu Ende ist, wird darüber gesprochen,<br />
was ihm selbst <strong>bei</strong>m Erzählen und<br />
was dem Berater <strong>bei</strong>m Zuhören aufgefallen<br />
ist. M. findet es erstaunlich, dass er ziemlich<br />
ausführlich von seinem ersten Job erzählt<br />
hat, <strong>bei</strong> dem er in <strong>der</strong> Personalentwicklung<br />
eines großen Unternehmens beschäftigt<br />
war. Er berichtete mit spürbarer Freude von<br />
Projekten, die er betreut, und Ideen, die er<br />
eingebracht hat. Er selbst hatte diese Pha-<br />
powered by<br />
se ganz aus seinem Fokus verdrängt, sah<br />
sich beruflich nur als Kommunikator. Aufbauend<br />
auf diesem Gespräch werden die<br />
Werte herausgear<strong>bei</strong>tet, die ihm beruflich<br />
wichtig sind, und dann in mehreren Stufen<br />
seine berufliche Core Story. Am Ende<br />
<strong>der</strong> etwa zweistündigen Sitzung haben wir<br />
folgende Formulierung gefunden: „Ich mache<br />
Menschen und Unternehmen erfolgreich,<br />
indem ich sie professionell <strong>bei</strong> ihrer<br />
Kommunikation und <strong>der</strong> Entwicklung ihrer<br />
Möglichkeiten unterstütze.“<br />
Feintuning für die Geschichte<br />
In den folgenden Sitzungen wird die Kerngeschichte<br />
einem Feintuning unterzogen<br />
und die sich daraus ergebenden konkreten<br />
Handlungsoptionen für M. erar<strong>bei</strong>tet: Welche<br />
Tätigkeitsfel<strong>der</strong> passen dazu und welche<br />
nicht? M. erlebt es als Befreiung, dass<br />
er einerseits nicht mehr nur im engen Feld<br />
<strong>der</strong> Unternehmenskommunikation suchen<br />
muss, an<strong>der</strong>erseits aber durch die Core Story<br />
eine Richtschnur hat, welche Voraussetzungen<br />
eine Stelle erfüllen muss, damit sie<br />
für ihn und seine Wünsche passt.<br />
Räume öffnen und Grenzen ziehen<br />
Die Entwicklung einer stimmigen Core Story<br />
nimmt we<strong>der</strong> <strong>bei</strong> Unternehmen noch<br />
<strong>bei</strong> Einzelpersonen den gesamten <strong>Beratung</strong>sprozess<br />
ein, steht aber an einer zentralen<br />
Stelle. Eine gut erar<strong>bei</strong>tete Geschichte<br />
öffnet einerseits Räume, setzt an<strong>der</strong>erseits<br />
aber auch Grenzen und bietet damit Orientierung.<br />
Einzelpersonen hilft sie, ihre Karriereplanung<br />
o<strong>der</strong> Jobsuche zu fokussieren.<br />
Peter M. etwa konnte sich mit seiner neuen<br />
Core Story von seiner Fixierung auf die<br />
Unternehmenskommunikation befreien. Er<br />
suchte fortan nach Aufgaben, die Personalentwicklung<br />
und Kommunikation mitein-<br />
32<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
istockphoto/Yuri_Arcurs<br />
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Wenn die Mitar<strong>bei</strong>ter die Core Story ihres Unternehmens aufschreiben sollen, wird klar: Nicht Fakten, son<strong>der</strong>n<br />
Geschichten treiben sie an<br />
an<strong>der</strong> verbanden, und fand schließlich eine<br />
Position in einem Technikkonzern, <strong>bei</strong> dem<br />
er für die Evaluation und interne Kommunikation<br />
<strong>der</strong> Führungskräfteentwicklung zuständig<br />
ist. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite schränkt<br />
eine gut formulierte Kerngeschichte aber<br />
auch die Optionen ein. Reine Jobs als Kommunikator<br />
kamen für M. ab diesem Zeitpunkt<br />
nicht mehr in Frage.<br />
Ähnlich verhält es sich <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Core Story einer<br />
Firma: Sie lenkt den Fokus auf bestimmte<br />
Entwicklungsmöglichkeiten und schließt<br />
an<strong>der</strong>e aus. Für ein Unternehmen, das im<br />
Internet ein Reiseportal betrieb, wurde<br />
im <strong>Beratung</strong>sprozess die Core Story „XY<br />
bietet im Internet die beste und sicherste<br />
Buchung für Reisen aller Art an“ entwickelt.<br />
Damit hatte sich das Unternehmen auf einen<br />
konkreten Fokus festgelegt, <strong>der</strong> künftig<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> Unternehmensentwicklung, aber<br />
powered by<br />
auch in <strong>der</strong> Unternehmenskommunikation<br />
im Mittelpunkt stehen würde: die Qualität<br />
und Sicherheit des Buchungssystems. An<strong>der</strong>e<br />
Services „rund um die Reise“ (wie <strong>der</strong><br />
Geschäftsführer den Unternehmenszweck<br />
zu Beginn unseres Prozesses beschrieben<br />
hatte), etwa die Entwicklung eines aufwendigen<br />
Online-Reiseführers, fielen weg<br />
o<strong>der</strong> rutschten in <strong>der</strong> Prioritätenliste ganz<br />
nach unten. Das Unternehmen konnte sich<br />
ganz darauf konzentrieren, was den Kern<br />
seiner Geschäftstätigkeit und damit auch<br />
den Kern seiner Positionierung im Wettbewerb<br />
ausmachte: Man war überzeugt,<br />
die sicherste, benutzerfreundlichste und<br />
schnellste Buchungstechnologie zu haben.<br />
Identität ist das, was erzählt wird<br />
Die Entwicklung einer Core Story ist letztlich<br />
nichts an<strong>der</strong>es als die Entwicklung und<br />
33<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
Schärfung <strong>der</strong> beruflichen o<strong>der</strong> geschäftlichen<br />
Identität in narrativer Form. Der<br />
amerikanische Psychologe Jerome Bruner<br />
hat bereits Ende des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
in seinem Buch „Sinn, Kultur und Ich-Identität“<br />
auf die Bedeutung von Geschichten<br />
für die Identität hingewiesen. Denn es sind<br />
die Geschichten, die man selbst über sich<br />
erzählt, aber auch die Geschichten, die an<strong>der</strong>e<br />
über einen selbst erzählen, o<strong>der</strong> diejenigen,<br />
in denen man in irgendeiner Art<br />
„vorkommt“, die zusammen unsere Identität<br />
ausmachen: Ich bin <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> in<br />
eine bestimmte Familie hineingeboren ist,<br />
die selbst eine Geschichte hat und in <strong>der</strong><br />
Geschichten erzählt werden. Ich bin <strong>der</strong>jenige,<br />
<strong>der</strong> bestimmte Erlebnisse hatte, Erfahrungen<br />
machte, an Ereignissen beteiligt<br />
war und über den bestimmte Geschichten<br />
von an<strong>der</strong>en erzählt werden. Nicht umsonst<br />
verwenden wir ja mit dem Lebenslauf,<br />
dem Curriculum Vitae, eine narrative<br />
Form, wenn wir Fremden eine erste Vorstellung<br />
von uns geben wollen.<br />
Episodisches Gedächtnis<br />
Die mo<strong>der</strong>ne Gehirnforschung hat die außerordentliche<br />
Bedeutung von Geschichten<br />
für die Identitätsbildung weiter hervorgehoben.<br />
Man weiß mittlerweile, dass je<strong>der</strong><br />
Mensch unterschiedliche im Gehirn verortbare<br />
Typen von Gedächtnis hat. Einer dieser<br />
Gedächtnistypen ist das episodische beziehungsweise<br />
autobiografische Gedächtnis,<br />
das Episoden, Geschichten speichert und<br />
das unter an<strong>der</strong>em die Aufgabe hat, identitätsrelevante<br />
Inhalte aufzubewahren, wie<br />
es <strong>der</strong> Gehirnforscher Gerhard Roth (2003)<br />
in seinem Buch „Fühlen, Denken, Handeln“<br />
beschreibt.<br />
Die Erar<strong>bei</strong>tung und die Bewusstmachung<br />
<strong>der</strong> eigenen beruflichen Core Story sind<br />
powered by<br />
also eine Ar<strong>bei</strong>t an einem Teil <strong>der</strong> eigenen<br />
Identität: Wofür stehe ich mit meiner<br />
beruflichen Ar<strong>bei</strong>t und was will ich damit<br />
erreichen/verän<strong>der</strong>n? Ähnliches gilt natürlich<br />
auch für die Identität eines Unternehmens,<br />
eines Teams, einer Ar<strong>bei</strong>tsgruppe.<br />
Die Kerngeschichte schärft die berufliche<br />
o<strong>der</strong> geschäftliche Identität: Wofür stehe<br />
ich, was tue ich und mit welchem Ziel?<br />
Der Begriff Core Story betont da<strong>bei</strong> nicht<br />
nur, dass es um den Kern dieser Identität<br />
geht, son<strong>der</strong>n auch, dass sie den Kern aller<br />
Geschichten darstellt, die diese Identität<br />
(er)fassbar und kommunizierbar macht.<br />
Eine Geschichte ist eine zeitlich geordnete<br />
Folge von Ereignissen, innerhalb <strong>der</strong>er eine<br />
Verän<strong>der</strong>ung geschieht. Die Core Story<br />
bietet gewissermaßen die Blaupause, nach<br />
<strong>der</strong> sich jede (erzählbare) Geschichte des<br />
Unternehmens, des Individuums (in beruflicher<br />
Hinsicht) entwickeln muss. Wenn<br />
Peter M. von nun an erzählt, was er beruflich<br />
macht, ist das eine Geschichte, in <strong>der</strong><br />
er von den Verän<strong>der</strong>ungen berichtet, die<br />
durch seine kommunikativen und för<strong>der</strong>nden<br />
Tätigkeiten angestoßen o<strong>der</strong> begleitet<br />
wurden. Und das Internetunternehmen,<br />
das ein Handwerkerportal betreibt, wird<br />
vor allem Geschichten erzählen, in denen<br />
Menschen den richtigen Handwerker auch<br />
für schwierige Anfor<strong>der</strong>ungen gefunden<br />
haben.<br />
Handeln und Kommunizieren aus<br />
einem Kern heraus<br />
Eine Core Story bietet damit gleich zwei<br />
große Vorteile: Sie stellt eine Leitlinie für<br />
das geschäftliche und berufliche Handeln<br />
zur Verfügung und sie ist gleichzeitig Hohlform<br />
für die Kommunikation. Denn aus ihr<br />
lassen sich Geschichten entwickeln und<br />
Erlebnisse zu Geschichten schärfen, die ge-<br />
34<br />
Zum Inhaltsverzeichnis
eDossier <strong>Erfolgsfaktoren</strong> <strong>bei</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong><br />
wissermaßen den Kern <strong>der</strong> Marke (auch <strong>der</strong><br />
Marke „Ich“) ausdrücken. Eine <strong>der</strong> konkreten<br />
Geschichten von Peter M. lautete etwa:<br />
„Ich habe gesehen, dass ein Geschäftsfeld<br />
unseres Unternehmens Mitar<strong>bei</strong>ter mit<br />
bestimmtem Profil braucht. Ich habe mir<br />
dann einige Mitar<strong>bei</strong>ter ausgewählt und<br />
für sie eine Qualifizierungsmaßnahme organisiert.<br />
Da<strong>bei</strong> war es nicht immer leicht,<br />
die Vorgesetzten dieser Mitar<strong>bei</strong>ter von <strong>der</strong><br />
Notwendigkeit <strong>der</strong> Maßnahme zu überzeugen.<br />
Aber jetzt geben mir alle recht: Der Geschäftsbereich<br />
hat eindeutig gewonnen.“<br />
Leitlinie für Kommunikation<br />
Mit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Core Story eines<br />
Unternehmens o<strong>der</strong> einer Einzelperson<br />
hat man daher nicht nur die Identität entwickelt<br />
und geschärft, son<strong>der</strong>n gleichzeitig<br />
eine Leitlinie für die gesamte Kommunikation<br />
dieser Identität gewonnen. Denn<br />
Kommunikation, die wirklich <strong>bei</strong> den Menschen<br />
ankommt, ist die Kommunikation<br />
in Geschichtenform. Der Gehirnforscher<br />
Manfred Spitzer (2007) formulierte das so:<br />
„Nicht Fakten, son<strong>der</strong>n Geschichten treiben<br />
uns an, lassen uns aufhorchen, betreffen<br />
uns und gehen uns nicht mehr aus<br />
dem Sinn. Wir vergessen gerne, dass wir<br />
viel mehr von Geschichten bestimmt sind,<br />
als wir wahrhaben wollen. (...) Geschichten<br />
enthalten Fakten, aber diese Fakten verhalten<br />
sich zu den Geschichten wie das Skelett<br />
zum ganzen Menschen.“<br />
Weiterführende Literatur<br />
Bruner, J. (1997). Sinn, Kultur und Ich-Identität:<br />
Zur Kulturpsychologie de Sinns. Heidelberg:<br />
Carl-Auer.<br />
Frenzel, K., Müller, M. & Sottong, H.<br />
(2005). Das Unternehmen im Kopf: Story-<br />
powered by<br />
telling und die Kraft zur Verän<strong>der</strong>ung.<br />
Wolnzach: Kastner.<br />
Frenzel, K., Müller, M. & Sottong, H.<br />
(2006). Storytelling: Die Kraft des Erzählens<br />
fürs Unternehmen nutzen. München: dtv.<br />
Roth, G. (2003). Fühlen, Denken, Handeln:<br />
Wie das Gehirn unser Verhalten steuert.<br />
Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />
Spitzer, M. (2007). Lernen: Gehirnforschung<br />
und die Schule des Lebens. München:<br />
Spektrum.<br />
35<br />
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Layout und Satz<br />
Tanja Bregulla, Aachen<br />
Bildnachweise<br />
Cover, Seite 27: Fotolia<br />
Seite 6, Seite 8, Seite 13, Seite 33:<br />
istockphoto<br />
Seite 19, Seite 22: IMS Gear<br />
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