Z21/22 ReformaFiktion 5.5 vorab
Die Aufgabe im Produktions-Prozess 65 Seiten von voraussichtlich 120 Seiten
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f ü r Z u k u n f t<br />
REFORMA<br />
FIKTION 5.2<br />
DIE WELT FRAGT<br />
NICHT NACH KIRCHE<br />
SIE SUCHT ECHTES<br />
A u s g a b e # 2 1 / 2 2<br />
Z für Zukunft<br />
1<br />
w w w . Z f ü r Z u k u n f t . d e
Leitthema<br />
Foto: © DesktopPapers.co<br />
Reformafiktion 5.1<br />
Der zweite Teil einer Fiction, in der wir uns vorstellen, eine umfassende Reformation<br />
wäre möglich. Aber als erstes, vergessen wir, was wir uns von Reformation vorgestellt<br />
haben. Versetzen wir uns in das Jahr 2137.<br />
Peter Ischka<br />
Mit der<br />
HDS-Bank stieß<br />
Lary Bracks eine<br />
Kettenreaktion<br />
an und schuf<br />
einen Kollateral-<br />
Gewinn von<br />
unschätzbarem<br />
Wert<br />
Sie erinnern sich noch, was am 31.<br />
Oktober 2117 Tagesthema war?<br />
Nein, nicht das 600-Jahr-Jubiläum<br />
der Reformation, das hat kein Aufsehen<br />
erregt. Ich meine die Eröffnung<br />
der HDS-Bank, der Bank mit dem absurden<br />
Geschäftsmodell: Wer die Geschäftsbedingungen<br />
akzeptiert, bekommt alle seine Schulden erstattet<br />
und erhält einen monatlichen Prosperitätssatz bis<br />
zum Lebensende. Das hat eine umfassende Reformation<br />
ausgelöst, es hat unser Land tiefgreifend<br />
verändert. Was die Entmachtung von „Schuld“<br />
ausrichten kann – wir hätten es uns nicht träumen<br />
lassen.<br />
Alles ausgelöst durch Larry Bracks; der Billiardär<br />
investierte sein gesamtes Vermögen in diese<br />
Idee. Was er mit Worten nicht auszudrücken vermochte,<br />
fasste er ins HDS-Modell: Habit, Debit,<br />
Save!<br />
Als global vernetzter und äußerst korrupter<br />
Geschäftsmann hatte er zuvor unzählige Menschenleben<br />
auf dem Gewissen; dann war er zur<br />
falschen Zeit am falschen Ort und wurde Opfer<br />
eines Terroranschlags. Dem Tode nahe, stand ihm<br />
die Frage vor Augen: „Was ist ein Menschenleben<br />
eigentlich wert?“ Das hatte ihn noch nie gekümmert,<br />
aber nun wurde er diesen Gedanken nicht<br />
mehr los. Rob, ein schrulliger Außenseiter und<br />
Sohn eines guten Geschäftspartners, brachte ihn<br />
auf die Spur, wie er die volle Vergebung seiner<br />
unvorstellbaren Gräueltaten erlangen konnte.<br />
Bracks ist kein Mann großer Worte, aber er ver-<br />
6<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
steht etwas von Geld – und die Sprache des Geldes<br />
versteht doch jeder. So beschloss Bracks,<br />
seinen Zeitgenossen mithilfe der HDS-Bank zu<br />
zeigen, was Vergebung bewirkt und wie sich ein<br />
Leben ohne Schuld anfühlt.<br />
War es Zufall, dass am Tag der Eröffnung, am<br />
31. Oktober 2117, auch das Reformationsjubiläum<br />
begangen wurde? Oder wollte Bracks damit<br />
ein Zeichen setzen? Ursprünglich ging es bei<br />
der Reformation sechs Jahrhunderte zuvor doch<br />
um die Wiederentdeckung der bedingungslosen<br />
Entschuldung, der Rechtfertigung aus Glauben:<br />
Schuldvergebung ohne religiöses Wenn und Aber.<br />
Doch hat die lutherische Institution sich von ihrer<br />
Herkunft und ihrem Erbe so weit entfernt – durch<br />
linksliberale Ideologie und atheistisch-humanistische<br />
Denkmuster –, dass eine Beziehung zum historischen<br />
Ereignis jetzt nur noch von höchst spezialisierten<br />
Fachkräften erahnt werden kann.<br />
Die HDS-Erfolgsstory im Großen …<br />
Nach dem ersten Jahr hatte die HDS-Bank 2,49<br />
Millionen Kunden; 236 Milliarden Euro Schulden<br />
wurden ausgeglichen. Nach dem zweiten Jahr<br />
verzeichnete man bereits 19,64 Millionen Kunden,<br />
die Schuldentilgung erreichte über <strong>22</strong>,5 Billionen<br />
Euro (1 Billion = 1000 Milliarden, eine Eins<br />
mit zwölf Nullen). Der Passus in den Geschäftsbedingungen,<br />
dass Kunden den eigenen Schuldnern<br />
ebenfalls die Schulden erlassen müssen, stieß<br />
eine Kettenreaktion an und schuf einen Kollateral-Gewinn<br />
von unschätzbarem Wert – monetär,<br />
psychisch, sozial, metaphysisch.<br />
Inzwischen schreiben wir das Jahr 2137. Die<br />
Mitgliederzahl der Luther-Institution ist in den<br />
letzten beiden Jahrzehnten weiter gesunken,<br />
unter die 2-Prozent-Marke; parallel dazu sind<br />
über 40 Prozent der Bevölkerung direkt oder<br />
indirekt durch die HDS-Bank entschuldet. Was<br />
Luther einst wiederentdeckte, seine Nachfolgeinstitution<br />
aber schon lange nicht mehr vermitteln<br />
kann, realisiert nun eine Bank. Deren Kunden<br />
haben nicht nur ihre finanziellen Probleme in<br />
den Griff bekommen; sie bemerken auch Veränderung<br />
in ihren Beziehungen und in den eigenen<br />
Emotionen: Ihre Ängste haben sich verloren, sie<br />
sehen die Welt nun mit ganz anderen Augen, und<br />
Misstrauen und Neid lösen sich mehr und mehr<br />
auf. Das Prinzip „Vergebung“ findet universale<br />
Anwendung und zeitigt ungeahnte Vorteile: Es<br />
gibt immer weniger Grund, sich krankzusorgen;<br />
der Gesundheitszustand der HDS-Kunden hat<br />
sich enorm verbessert und die Krankheitsindustrie<br />
musste gravierende Einschnitte hinnehmen.<br />
… und im Kleinen<br />
In Teil 1 der Reportage (»Z« 19/20,Titelgeschichte)<br />
haben wir ein paar Schicksale kennengelernt:<br />
Kuno Bretschneider wurden 127 000 Euro an<br />
Schulden erstattet; seitdem erhält er monatlich<br />
einen Prosperitätssatz von 5430 Euro. Seine<br />
Geldsorgen waren ihm früher richtig unter die<br />
Haut gegangen; die psychosomatische Erkrankung<br />
hat er aber längst überwunden. Vielfach<br />
ausgezahlt hat sich die Weiterbildung in kreativer<br />
Kommunikation – inzwischen bekleidet er eine<br />
leitende Position in einer namhaften Werbeagentur.<br />
Aber auch in einem umfassenderen Sinn hat<br />
sich für ihn die Welt der Kommunikation eröffnet:<br />
Bretschneider hat festgestellt, dass man oft unter<br />
ein und demselben Wort etwas völlig anderes verstehen<br />
kann – das verspricht Missverständnisse<br />
en gros! Diesem Phänomen ist Kuno an die Pelle<br />
gerückt; sein „Wörterbuch der Missverständnisse“<br />
ist Bestseller geworden. –<br />
Manchmal denkt er zurück an die alten Zeiten<br />
mit den Schulden und der Angst, und dann ist er<br />
doppelt dankbar, dass er diese Last vom Hals hat.<br />
Tagtäglich profitiert er von den Auswirkungen auf<br />
die Kommunikation von Mensch zu Mensch.<br />
Der einst hoch verschuldete, dem Bankrott<br />
nahe Unternehmer Fries konnte sein Unternehmen<br />
in eine fast mitbewerberfreie Nische führen<br />
und hat kräftig expandiert. Von dem Passus in<br />
den HDS-Geschäftsbedingungen, dass den eigenen<br />
Schuldnern die Schulden zu erlassen sind,<br />
profitierten vor allem die langjährigen Mitarbeiter;<br />
die Folge: eine starke Identifikation mit der<br />
Firma. Das Misstrauen hat einer vorbildlichen<br />
Vertrauenskultur Platz gemacht, man kann sich<br />
auf ein Wort wieder verlassen.<br />
Was Luther<br />
einst wiederentdeckte,<br />
seine Nachfolgeinstitution<br />
aber<br />
schon lange<br />
nicht mehr<br />
vermitteln kann,<br />
realisiert<br />
inzwischen<br />
eine Bank<br />
Z für Zukunft<br />
7
Leitthema<br />
Larry Bracks war ganz oben im Finanzsystem dieser<br />
Welt; aber nach der Rettung aus den Trümmern<br />
der Flughafenhalle in Amsterdam und aus<br />
seinen Todesängsten beschloss er einen radikalen<br />
Systemwechsel. Er suchte Befreiung von<br />
einer unvorstellbaren inneren Schuldenlast:<br />
Seine skrupellosen Entscheidungen hatten Bürgerkriege<br />
ausgelöst, sie entzogen Ländern der<br />
Dritten Welt Rohstoffe in Billiardenhöhe; er vergeudete<br />
Menschenleben, um seine globale Expansionsmaschine<br />
am Laufen zu halten. Wie kann<br />
jemand für all das Vergebung erlangen? Unvorstellbar.<br />
Und doch – Brack fand sie!<br />
Die unbeschreibliche Freiheit, die sich Bracks<br />
dadurch eröffnete, motivierte ihn, das Unbeschreibliche,<br />
das er erlebt hatte, anderen zu vermitteln:<br />
Möglichst viele sollten erleben, wie es<br />
ist, wenn man von Schuldenlast befreit wird. So<br />
also entstand die HDS-Bank, deren ausschließliches<br />
Geschäftsziel es ist, die Schulden anderer<br />
zu tilgen.<br />
Foto: © U.S. National Archives and Records Administration<br />
Lary Bracks<br />
einsten<br />
skrupellosen<br />
Entscheidungen<br />
hatten Bürgerkriege<br />
ausgelöst<br />
und unzähliche<br />
Menschenleben<br />
gekostet<br />
Die einst alleinerziehende Mutter Jasmin<br />
Bauer hat den Vater ihres Kindes geheiratet und<br />
ein zweites Kind bekommen – glückliche Kindheit,<br />
wenn die Eltern keinen Mangel haben! Der Junge<br />
träumt davon, als Quantenphysiker in die Grundlagenforschung<br />
zu gehen; er steht kurz vor dem<br />
Abitur und ist Klassenbester. Nachdem die HDS-<br />
Bank Jasmins Schulden ausgeglichen hatte, strich<br />
sie dem Vater ihres Kindes die Schulden, also ihre<br />
Forderung an Unterhaltszahlungen, denen er sich<br />
entzogen hatte; das war der Anfang des Weges in<br />
eine glückliche Ehe.<br />
Geschäftsschädigend<br />
Die in Frankfurt gegründete Bank gibt es<br />
inzwischen in allen Ländern der Welt, auch im<br />
hintersten Winkel kann man sich jetzt seiner<br />
Schulden entledigen. Nicht jeder findet das gut,<br />
denn Schulden geben Macht – jenem, dem die<br />
Forderung zusteht. Schulden machen Angst und<br />
wer Angst hat, ist manipulierbar. So sind Schulden<br />
ein wichtiger Motor auch in der Politik und im<br />
Zusammenspiel der Völker. Weniger Angst heißt:<br />
Diese Menschen, diese Länder lassen sich nicht<br />
mehr so leicht manipulieren. Wer Manipulation<br />
strategisch einsetzt, der empfindet die HDS-Bank<br />
als geschäftsschädigend.<br />
So suchen IWF, FED und die EZB seit knapp<br />
zwanzig Jahren nach Wegen, um Larry Bracks<br />
Einhalt zu gebieten; auch Banken leben ja<br />
bekanntlich von den Schulden der anderen. Die<br />
Absurdität, eine Bank zu gründen, die Schulden<br />
bezahlt, versetzte das Finanzsystem erst einmal<br />
in Schockstarre; der Rest der Welt freute sich am<br />
befreiten Leben.<br />
Doch jetzt hat sich eine andere Angst eingestellt,<br />
die Angst vor Überwachung durch unsichtbare<br />
Datenkraken. Nach und nach haben große<br />
Internetkonzerne die Kontrolle erlangt über ein<br />
Vielfaches aller Daten von BND, NSA und FSB<br />
zusammengenommen. Wollte man nur mal wissen,<br />
wie lange man nach New York fliegt, wird<br />
man umgehend mit Werbung von New Yorker<br />
Coffee-Shops und ähnlichem zugemüllt. Die<br />
hörenden Freunde im Wohnzimmer, Alexa und<br />
Co, gehen einkaufen und machen sich im Internet<br />
schlau. Aber der unermüdliche Butler hört auch<br />
sonst mit und flüstert alles getreulich weiter –<br />
und das ist nur die Spitze eines riesigen Eisbergs.<br />
Wer weiß schon, wer alles wie viel über mich<br />
gespeichert hat? Und wie können wir uns die-<br />
8<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
ser Kontrolle entziehen? Regierungen stehen vor<br />
schier unlösbaren Aufgaben – schließlich finden<br />
sie diese Datenkraken selber ganz nützlich.<br />
Der Daten-Super-Deal<br />
Beim vorletzten Weltwirtschaftsgipfel gaben<br />
die großen Internetkonzerne den überforderten<br />
Regierungen ein Dokument in die Hand, einen<br />
Masterplan gegen diese Ängste: Künftig werden<br />
die Daten an den Bürger gewissermaßen zurückübertragen,<br />
damit muss er sie selber hüten;<br />
niemand darf darauf zugreifen, es sei denn, er<br />
erlaubte es freiwillig. Mit im Paket ist das großzügige<br />
Angebot der dafür nötigen Sicherheitsprüfung;<br />
den Konzernen steht ja eine bewährte Infrastruktur<br />
zur Verfügung. Ein Beispiel: Will jemand<br />
einen Versicherungsvertrag abschließen, liefern<br />
diese Konzerne die globale Sicherheit – Kredite<br />
gibt es nur inklusive Bonitätsprüfung. Wer die<br />
Versicherung möchte oder einen Kredit aufnehmen<br />
will, wird also gefragt, ob er seine Daten<br />
„freiwillig” zur Verfügung stellen möchte. Sonst,<br />
klar, es zwingt ihn ja keiner … Wer also am gesellschaftlichen<br />
Leben teilhaben möchte, wird früher<br />
oder später seine Daten „freiwillig” preisgeben;<br />
so geben viele aus eigenem Entschluss die Hoheit<br />
über ihre Daten wieder aus der Hand. Ein Masterplan<br />
so recht nach dem Geschmack der Regierungen,<br />
nimmt er ihnen doch komplexe Aufgaben ab.<br />
Geregelt würde das alles in der „Globalen Datenschutz-Grundverordnung”<br />
(GDSGVO): Der Bürger<br />
bekommt die Hoheit über seine Daten zurück<br />
und ist nun selbst verantwortlich dafür, sie freizugeben,<br />
wenn er „kaufen und verkaufen” will.<br />
Wer Daten ohne Einwilligung gebraucht,<br />
macht sich strafbar in Millionenhöhe. Wer eine<br />
Visitenkarte entgegennimmt, bräuchte sozusagen<br />
eine schriftliche Genehmigung, dass er diese personenbezogenen<br />
Daten auch aufbewahren und<br />
verwenden darf; andernfalls hätte er sich bereits<br />
straffällig gemacht. Man sollte also immer einige<br />
Exemplare der Einverständniserklärung zur<br />
Hand haben, man kann ja nie wissen, wen man<br />
kennenlernt.<br />
Fotos, auf den Menschen abgebildet sind, werden<br />
nun nicht mehr als Bilder gewertet, auch das<br />
sind jetzt personenbezogene Daten. Würde ein<br />
Foto veröffentlicht ohne die Einwilligung jedes<br />
Einzelnen, der darauf zu sehen ist, wäre das<br />
eine kriminelle Handlung. Wie schnell geschieht<br />
es, dass auf einem privaten Urlaubsfoto im Hintergrund<br />
andere Leute stehen? Schwere Zeiten<br />
für Whistleblower: Wenn ein Foto oder ein Text<br />
z. B. die kriminelle oder korrupte Handlung eines<br />
Unternehmers oder Politikers aufdecken, auch<br />
dann müsste dieser zuerst um Einwilligung gebeten<br />
werden.<br />
Sie erinnern sich an die Gründungsstory der<br />
HDS-Bank? Richtig, Larry Bracks eingeklemmt<br />
unter Teilen der Flughafenhalle. Islamistisch<br />
motivierter Selbstmordanschlag, hieß es damals;<br />
dank privaten Fotos konnte das aufgeklärt werden:<br />
Kurz vor den Wahlen wollten Linksradikale<br />
verunsichern und destabilisieren. Laut der neuen<br />
GDSGVO dürfen solche Fotos nicht mehr herangezogen<br />
werden, weil es unmöglich ist, die freiwillige<br />
Einwilligung aller Abgebildeten zu erlangen.<br />
Teilhabe gibt es also nur gegen die „freiwillige“<br />
Preisgabe der eigenen Daten, wer aber<br />
etwas ans Licht bringen will, der kann ganz leicht<br />
zum Schweigen gebracht werden.<br />
Das Spiel mit der Angst<br />
Larry Bracks hat dieses globale Spiel mit der<br />
Angst genau beobachtet. Inzwischen haben 135<br />
Millionen Kunden der HDS-Bank erlebt, wie<br />
durch ihre Entschuldung Angst von ihnen genommen<br />
wurde: Existenzangst, Angst, nicht genug zu<br />
Wer am<br />
gesellschaftlichen<br />
Leben teilhaben<br />
möchte, wird<br />
früher oder<br />
später seine<br />
Daten „freiwillig”<br />
preisgeben<br />
Wnschen demonstrieren mit<br />
einer Datenkrake, gebaut von<br />
dem Künstler Peter Ehrentraut<br />
für den FoeBuD e. V<br />
Foto: © -wikipedia, Matthias Hornung<br />
Z für Zukunft<br />
9
Leitthema<br />
Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />
Lary Bracks<br />
gründet<br />
eine etwas<br />
andere Bank,<br />
um zu erklären,<br />
was es bedeutet,<br />
wenn einem<br />
die Schulden<br />
erlassen<br />
werden<br />
haben, Angst, übervorteilt zu werden. Das hat Vertrauen<br />
aufgebaut. Man kann wieder offen miteinander<br />
kommunizieren. Wer keine Angst hat, übervorteilt<br />
zu werden, braucht auch nicht zu fürchten,<br />
dass Gesagtes und Geschriebenes missbraucht.<br />
Die Macht der Datenkraken …<br />
Larry Bracks weiß bestens, wie man globale<br />
Fäden zieht; er hat schnell durchschaut, dass mit<br />
der neuen GDSGVO den Internetkonzernen nur<br />
noch mehr Macht in die Taschen geschoben wird.<br />
Die Länderregierungen dagegen bleiben machtlos.<br />
Bracks hat eine wissenschaftliche Studie in<br />
Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob Google<br />
und Facebook wirklich die größten Datenkraken<br />
sind, die die Zeitgenossen identifizieren, analysieren,<br />
kategorisieren und von jedem Einzelnen<br />
ein individuelles Profil erstellen. Er wollte<br />
wissen, welche Firmen hinter dem gigantischen<br />
globalen Datenhandel stecken; die meisten arbeiten<br />
ja abseits der Öffentlichkeit und sind nahezu<br />
unbekannt. Dabei stellte sich heraus: Das US-<br />
Software-Unternehmen Oracle ist wohl einer der<br />
größten Datenhändler der Welt; ständig kauft es<br />
weitere Firmen im Big-Data-Business auf.<br />
Diese Firmen arbeiten daran, jedem Menschen<br />
eine eindeutige Identifikationsnummer zuzuordnen<br />
– über Lebensbereiche, Geräte, Plattformen<br />
hinweg. Dank der Cloud ist das immer besser<br />
möglich. Mittels Milliarden von Cookies werden<br />
Geräte-IDs auch von Smartphones gesammelt.<br />
Nachfolge-Firmen von „Cambridge Analytica“<br />
werten Emotions- und Persönlichkeitsanalysen<br />
aus, um personalisierte Botschaften zu senden<br />
und die Empfänger nach Wunsch des Auftraggebers<br />
zu manipulieren.<br />
… und die Bracks-Lösung<br />
Larry Bracks fragt sich, wie er seine Kunden vor<br />
dieser Manipulation schützen kann. Die Angst vor<br />
Geldsorgen konnte er ihnen nehmen; nun steht er<br />
vor der gigantischen Herausforderung, auch die<br />
Angst vor den Manipulier-Datenkraken zu lösen.<br />
Die Analyse gewährt ihm einen guten Überblick<br />
über die wichtigsten Unternehmen: Einige<br />
waren ihm schon bekannt, die meisten aber agieren<br />
verborgen, im Hintergrund, und die machen<br />
das eigentliche Big-Data-Business. Die Zahlen<br />
und Fakten liegen auf dem Tisch: Börsenwert insgesamt<br />
etwa 2578 Billionen Euro, Jahresrendite<br />
im Schnitt <strong>22</strong>,8 Prozent. Hmm. Wenn jeder HDS-<br />
Kunde 19,10 Euro investieren würde, könnte man<br />
den riesigen Datenkrakenladen in andere, in vertrauenswürdige<br />
Hände bringen.<br />
In geheimen Besprechungen mit seinen engsten<br />
Vertrauten entwickelt er eine Strategie, wie<br />
diese Überlegung umgesetzt werden könnte.<br />
Pünktlich zum 31. Oktober 2137 – keiner ahnte<br />
etwas –, kam es zu einer Börsen-Explosion: Mit<br />
einem Schlag wurden an diesem Tag 87 Prozent<br />
der Aktien der zehn bedeutendsten Daten-Konzerne<br />
aufgekauft. Keiner war fähig zu erklären,<br />
wie das sein konnte.<br />
Die extreme Nachfrage katapultierte die Werte<br />
dieser Aktien in astronomische Höhen; schon<br />
eine halbe Stunde nach Handelsbeginn legten<br />
die Werte der betroffenen Titel bis zu 287 Prozent<br />
zu, für die wenigen am Markt verbliebenen<br />
Aktien wurde jeder Preis gezahlt. Am Ende des<br />
Tages lagen die Kurse bei einem Plus von durchschnittlich<br />
<strong>22</strong>4 Prozent; die Megarallye hielt noch<br />
einige Tage an.<br />
Larry Bracks hat es durch sein HDS-Netz möglich<br />
gemacht: Alle 135 Millionen Kunden wurden<br />
mit einem Schlag zu Aktionären der größten<br />
Daten-Konzerne. 34 Prozent der Aktien wurden<br />
unverzüglich wieder abgestoßen, solange sie<br />
noch hoch im Kurs standen; auf diesem Wege<br />
10 Z für Zukunft
Leitthema<br />
konnten sofort zwei Drittel der Gesamtinvestition<br />
zurückgeholt werden. Das Ziel war erreicht:<br />
Die HDS-Aktiengemeinschaft hält nun 53 Prozent<br />
der Aktien der zehn größten Daten-Konzerne und<br />
nimmt direkt Einfluss auf die Unternehmensstrategie<br />
und den Umgang mit den Daten.<br />
Die EKD in der Klemme<br />
Wie bereits mitgeteilt, ist die Mitgliederzahl<br />
unter 2 Prozent der Bevölkerung geschrumpft.<br />
Aufgrund des demografischen Wandels hatte die<br />
Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2120 nur<br />
noch 62 Millionen Einwohner. Das sind 20 Millionen<br />
weniger als vor 100 Jahren; nur dem Zustrom<br />
von Migranten ist zu verdanken, dass die Auswirkungen<br />
weniger dramatisch ausgefallen sind als<br />
befürchtet.<br />
Wie die lutherische Institution gerade veröffentlicht<br />
hat, kann sie noch gut 1,1 Millionen Mitglieder<br />
verzeichnen; über die Jahre hat sie sich<br />
zu einem Nischenspezialist entwickelt: Aufgrund<br />
des starken Engagements für sexuelle Vielfalt hat<br />
sie aus diesem Segment großen Zuspruch erhalten.<br />
Nur – in der demografischen Realität ist diese<br />
Vielfalt in der Minderheit; trotz großer Veränderungen<br />
leben über 80 Prozent der Bevölkerung<br />
immer noch in Gemeinschaften, in denen Kinder<br />
von einem männlichen Vater und einer weiblichen<br />
Mutter erzogen werden. Die große Ausnahme<br />
sind die Pfarrer und Pfarrer*Innen: Über<br />
60 Prozent von ihnen leben in einer homosexuellen<br />
Beziehung.<br />
Die Ratsvorsitzende Belinda Stronofski erscheint<br />
bei ihren öffentlichen Auftritten meist in Begleitung<br />
ihrer Lebenspartnerin, wie kürzlich, als sie<br />
sich zum aktuellen Finanzbericht der EKD äußerte.<br />
Nach der Novelle von 21<strong>22</strong> des Staatskirchenrechts<br />
war endgültig Schluss mit den Entschädigungsleistungen<br />
des Staates für die Enteignung<br />
von Kirchengütern nach dem Reichsdeputationshauptschluss<br />
1803. Da der Mitgliederanteil unter<br />
die 4-Prozent-Linie eingebrochen ist, wurde auch<br />
die Erhebung der Kirchensteuer durch den Staat<br />
eingestellt. Die Umstrukturierung erwies sich für<br />
die EKD als kompliziert, die Einnahmenausfälle<br />
waren höher als erwartet. 63 Prozent der Liegenschaften<br />
konnten veräußert werden. Stronofski<br />
betont, man habe besonders darauf geachtet, dass<br />
die spirituelle Nutzung erhalten bliebe; so habe<br />
man den muslimischen Schwestern und Brüdern<br />
Raum schaffen können: Viele Kirchen wurden zu<br />
Moscheen umgewidmet. Wegen des Wegfalls der<br />
Subventionierung können drei Viertel der Kitas<br />
und diakonischen Einrichtungen nicht mehr wie<br />
bisher betrieben werden; damit fiel ein weiterer<br />
großer Einnahmenposten weg.<br />
Trotzdem gibt es immer noch zu viele ungenutzte<br />
kirchliche Immobilien. Personal- und<br />
Instandhaltungskosten sind kaum in den Griff<br />
zu bekommen, seit vielen Jahren übersteigen sie<br />
die Planzahlen. Die Verschuldung ist ins Unermessliche<br />
gestiegen. Man hat eben versäumt,<br />
die laufenden Kosten der sinkenden Mitgliederzahl<br />
anzupassen; die zugrunde liegenden Budgets<br />
stammen aus Zeiten, als noch 10 Prozent der<br />
Bevölkerung Kirchensteuer zahlte.<br />
In allen Gremien berät man sich über die<br />
Zukunft der EKD; die bundesweiten evangelischen<br />
Kirchenparlamente tagen in Wittenberg –<br />
die Generalsynode der VELKD, die Vollkonferenz<br />
der UEK und die Synode der EKD. Die Fakten liegen<br />
auf dem Tisch, die Überschuldung beträgt<br />
inzwischen 238 Milliarden.<br />
Euro. Die<br />
W-I-Frage steht im<br />
Raum: Wann ist der<br />
beste Zeitpunkt, die<br />
Insolvenz der EKD<br />
anzumelden?<br />
Ein Synodale<br />
aus Sachsen-Anhalt<br />
reicht eine Wortmeldung<br />
ein und<br />
fragt, ob man nicht<br />
in Erwägung ziehen<br />
könnte, den Überschuldungsfall<br />
bei<br />
der HDS-Bank einzureichen;<br />
seine<br />
privaten Schulden<br />
in Höhe von 37 000<br />
Euro seien umgehend<br />
und unbürokra-<br />
Wie kann man<br />
politisch korrekt<br />
die Schulden eingestehen<br />
und<br />
immer noch gut<br />
weg kommen?<br />
Foto © Agentur PJI, Mongage<br />
Z für Zukunft<br />
11
Leitthema<br />
Foto: © Agentur PJI, Montage<br />
Menschen umarmen sich,<br />
Mauern gesellschaftlicher<br />
Isulation werden<br />
durchbrochen. Es entstehen<br />
Beziehungen.<br />
Plötzlich redet<br />
man wieder miteinander<br />
und<br />
kommt in Beziehung.<br />
Das Grundmuster<br />
von<br />
Kirche wäre wiederhergestellt<br />
tisch getilgt wurden. Er skizziert die Geschäftsbedingungen<br />
und erklärt, man müsse seine Schulden<br />
eingestehen und den eigenen Schuldnern die<br />
Schulden erlassen; seines Wissens gelte dieses<br />
Angebot zwar bisher nur für Privatpersonen, aber<br />
es könnte sich lohnen, mit dem Management der<br />
HDS-Bank in Verhandlung zu treten.<br />
Man diskutiert, wie das politisch korrekt kommuniziert<br />
werden könne, die Schulden auf diese<br />
Weise einzugestehen und damit öffentlich zu<br />
machen. Wie steht die EKD dann da, mit all den<br />
Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte? Das<br />
käme ja einem Schuldgeständnis gleich!<br />
Schließlich wählt man aus dem Finanzausschuss<br />
eine dreiköpfige Delegation und<br />
beschließt, mit einem Insolvenzantrag noch zu<br />
warten, bis das Verhandlungsergebnis vorliegt.<br />
Bracks spricht Klartext<br />
Larry Bracks wurde unmittelbar über diesen<br />
Antrag informiert – und ließ es sich nicht nehmen,<br />
die Abordnung persönlich zu empfangen.<br />
Er erklärt das HDS-Geschäftsmodell: „Entschuldet<br />
aus Gnade“. Einer der Delegierten meint sich<br />
zu erinnern: „Da war doch was“ – ja, richtig, diesen<br />
alten Lehrsatz hat der konservative Flügel<br />
immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen<br />
versucht. „Gerechtfertigt aus Glauben“ – das war<br />
doch einfach nicht mehr zeitgemäß. Luther war<br />
eben Kind seiner Zeit und hatte nicht das Wissen,<br />
das die moderne Theologie inzwischen zu Tage<br />
befördert hat.<br />
Bracks hakt ein: HDS bediene keine theologischen<br />
Theorien, sondern beseitige ganz konkrete<br />
Geldschulden; zu philosophischen Träumereien,<br />
konservativ hin oder her, gebe er sich nicht her –<br />
„Wollen Sie nun die Schulden getilgt haben<br />
oder nicht?“ Ja, das wollte man natürlich.<br />
Blieb die Frage, wie die vier Punkte der<br />
Geschäftsbedingen in diesem Fall anzuwenden<br />
seien. Die EKD ist ja keine Privatperson, sondern<br />
eine Körperschaft mit noch 1,1 Millionen<br />
Mitgliedern.<br />
Die HDS-Geschäftsbedingungen:<br />
• Ich erlasse meinen Schuldnern alle Schulden zu<br />
100 % und verzichte vollständig und endgültig<br />
auf alle diese Forderungen.<br />
• 25 % meines Prosperitätssatzes verwende ich<br />
dafür, die Lebensbedingungen von Menschen in<br />
meinem Umfeld zu verbessern.<br />
• Ich wähle eine Erwerbstätigkeit und/oder ein<br />
Ehrenamt, in dem ich mich meinen Fähigkeiten<br />
und Begabungen entsprechend weiterentwickeln<br />
kann.<br />
• Ich treffe mich regelmäßig mit zwei bis drei Personen<br />
meines Vertrauens zum Essen, um mich<br />
über Fragen des Lebens und über Probleme<br />
des Alltags auszutauschen, von den Erfahrungen<br />
der anderen zu lernen und zu einer positiven<br />
Motivation beizutragen.<br />
Larry Bracks überlegt kurz und macht dann<br />
einen interessanten Vorschlag: „Wir bleiben unserem<br />
HDS-Konzept treu: Nur für Privatpersonen!<br />
Also legen wir die Verschuldung auf die Mitglieder<br />
um, macht Pi mal Daumen etwa 200 000 Euro pro<br />
Kopf. Diesen Betrag bekommt der Einzelne von<br />
der HDS-Bank ausbezahlt und spendet ihn der<br />
EKD. Das geht aber nur, wenn jeder Einzelne in ein<br />
Vertragsverhältnis mit HDS kommt und die weiteren<br />
drei Punkte der Geschäftsbedingungen auf<br />
privater Ebene erfüllt: Jedes Mitglied erhält einen<br />
Prosperitätssatz und verwendet davon wie vorgesehen<br />
25 Prozent dafür, die Lebensbedingungen<br />
von Menschen in seinem Umfeld zu verbessern,<br />
wählt ein Ehrenamt und trifft sich regelmäßig<br />
mit zwei, drei Personen, um eine Beziehungs- und<br />
Gesprächskultur zu entwickeln.“<br />
12<br />
Z für Zukunft
Die Delegation zog sich zur Beratung zurück:<br />
Ist das machbar? Dazu braucht die EKD die Einwilligung<br />
aller 1,1 Millionen Mitglieder. Ein komplexer<br />
Prozess – wann hat man das letzte Mal mit<br />
der Basis so direkt kommuniziert? Aber es könnte<br />
klappen, lautet der Konsens nach heftiger Diskussion.<br />
Denn das Angebot mit dem Prosperitätssatz<br />
als monatlichem bedingungslosem Betrag für<br />
jeden (einzige Bedingung ist die Verwendung der<br />
25 Prozent), das könnte doch für alle ein Anreiz<br />
sein, war man überzeugt. Damit könnten trotz der<br />
zunehmenden Isolation von Einzelnen die Barrieren<br />
überwunden und alle zu einem Ehrenamt und<br />
diesen Treffen motiviert werden.<br />
Mit diesen „Hausaufgaben“ wurde die Delegation<br />
entlassen. Die lutherische Institution muss<br />
nun einen Weg finden, die Einwilligung jedes einzelnen<br />
Mitglieds zu bekommen.<br />
Auf dem Rückflug ist Larry Bracks in Gedanken<br />
versunken: Was wird wohl daraus werden?<br />
Die Mitglieder werden es honorieren, dass die<br />
EKD auf solche Weise ihren Bankrott erklärt, und<br />
die Einwilligung erteilen. Wer zu seinem Versagen<br />
steht, hat immer die besseren Karten. Gut,<br />
und der Prosperitätssatz wird allen ein Anreiz<br />
sein. Doch kaum auszumalen, was für eine unvorstellbare<br />
Dynamik das auslösen wird: Plötzlich<br />
werden alle im Ehrenamt aktiv, man redet wieder<br />
miteinander und kommt in Beziehung. Bracks<br />
schmunzelt: Das Grundmuster von Kirche wäre<br />
auf diesem Weg wiederhergestellt.<br />
Der Vorab-Test<br />
Achtung: Das war eine fiktive Geschichte; bitte<br />
nicht traurig sein, wenn Sie das noch nicht so<br />
erleben! Sie könnten aber mit Freunden einzelne<br />
Module testen; warten Sie nicht bis 2137, sondern<br />
probieren Sie aus, ob die Fiktion vielleicht<br />
schon heute Realität werden kann.<br />
Leitthema<br />
Möchten Sie mit uns<br />
zusammenarbeiten?<br />
2018 beginnen wir in den Unternehmen des deutschsprachigen<br />
Raumes „LEUCHTTÜRME“ zu pflanzen<br />
Die Umdenk-Akademie ® , Eigentümer der Marken „Menschenspezialist<br />
® “ und „Umdenk-Trainer ® “ hat bereits in den letzten<br />
10 Jahren über 7000 Menschen zu Menschenspezialisten ® ausgebildet<br />
und über 100 in einer mindestens 10-tägigen Intensiv-Ausbildung<br />
zu Umdenk-Trainern ® lizenziert, die das Gedankengut<br />
der Umdenk-Akademie ® in Wirtschaft und Gesellschaft<br />
tragen. Wir sind anerkannte Praktiker.<br />
Es geht um Menschen auf dieser Welt, nicht um Geld<br />
Ja, das sagen viele. Aber was tun wir dafür, dass diese Wahrheit<br />
immer mehr Unternehmen und Führungskräften zur<br />
bewussten Realität wird in ihrem täglichen Handeln?<br />
Die Umdenk-Akademie ® und ein Team von bewährten<br />
Führungskräften geht jetzt einen Schritt weiter:<br />
Wir pflanzen in vielen Unternehmen „LEUCHTTÜRME“<br />
Das sind DIPLOMIERTE MENSCHENSPEZIALISTEN ® , die – egal<br />
in welcher Position – Licht in die Unternehmen bringen, dort<br />
wo noch Finsternis regiert, die Menschen frustriert sind und<br />
oft keine Möglichkeit mehr vorfinden, ihre gottgegebenen<br />
Talente und Fähigkeiten zum Nutzen der Menschen mit<br />
viel Freude und Power einzusetzen.<br />
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Trainer oder Coach und können sich vorstellen<br />
entweder als „Leuchtturm“ in einem Unternehmen<br />
oder als Repräsentant, Trainer, Seminarleiter,<br />
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freuen wir uns sehr auf Ihre Antwort by Email an<br />
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Z für Zukunft<br />
13
Z-aktuell<br />
Foto: © Fil Luther 2003<br />
95 Humanismus-Antithesen<br />
an die Tore liberaler Kirchen<br />
Ignace Demaerel<br />
Humanismus<br />
bedeutet: Der<br />
Mensch steht im<br />
Mittelpunkt und<br />
macht sich zu<br />
Gott, zum Maß<br />
aller Dinge<br />
Luther ahnte nicht, dass seine Thesen<br />
eine Revolution auslösen und die<br />
geistliche Landschaft Europas völlig<br />
verändern würden. Seine 95 Thesen<br />
entsprangen seiner aufrichtigen<br />
Empörung – oder sogar einem heiligen Zorn –<br />
über falsches Handeln, das sich nicht mit der Bibel<br />
begründen ließ und auch dem gesunden Menschenverstand<br />
widersprach. Luther war ein Whistleblower<br />
seiner Zeit und es grenzt an ein Wunder,<br />
dass er das nicht mit dem Leben bezahlte.<br />
Heute ist der atheistische Humanismus ein<br />
tausendfach größeres Übel als seinerzeit das<br />
Ablass-Unwesen. Das Heil, das Gott als Geschenk<br />
anbietet, hat man damals aus Geldgier den Menschen<br />
verkauft. Sie wurden zwar geschröpft, aber<br />
hoffentlich dennoch gerettet.<br />
Diese „95 Thesen“ nun, die sich mit der Ideologie<br />
des Humanismus befassen, sind aus ähnlicher<br />
Empörung heraus entstanden. Der Aufbruch<br />
im Mittelalter gegen die Bevormundung und den<br />
Machtmissbrauch seitens der Institution Kirche<br />
führte in zwei Richtungen: einerseits hin zu Gott,<br />
andererseits total von ihm weg.<br />
Humanismus bedeutet: Der Mensch steht im<br />
Mittelpunkt. Der Mensch macht sich zu Gott, zum<br />
Maß aller Dinge. In der Befreiung von dem fal-<br />
14<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
schen Gottesbild, das eine machthungrige Kirche<br />
vermittelt hatte, hat man es über die Jahrhunderte<br />
nicht richtiggestellt, sondern Gott gleich<br />
ganz aus dem Bild gerückt. Da Gott aber nun mal<br />
unverrückbar ist, hat sich der Mensch selber ins<br />
Abseits gestellt und sich damit dem Segen Gottes<br />
entzogen, der doch die Quelle seiner Kraft ist.<br />
Zur Zeit Luthers wurde den Gläubigen gegen<br />
viel Geld das Heil verkauft (Ablass). Das war<br />
Betrug und Diebstahl aus purer Geldgier. Wenigstens<br />
wollten die Gläubigen damit noch vor Gott<br />
besser dastehen.<br />
Heute ist die Kirche in einem weit schlimmeren<br />
Zustand als zur Zeit Luthers: Der Humanismus<br />
hat das Denken durchdrungen und kaum einem<br />
ist noch bewusst, dass er einer Beziehung zu Gottes<br />
bedarf. Gott und Sünde wurden zuerst relativiert,<br />
dann mussten sie der Beliebigkeit ganz weichen.<br />
Die überhöhte Vernunft meint, sie könnte<br />
Gott beibringen, wie er sich zu verstehen habe.<br />
Der Vergleich von nützlicher Saat und Unkraut<br />
in den Evangelien veranschaulicht die Situation<br />
sehr gut: 1<br />
„Dass Jesus als souveräner König die Herrschaft<br />
hat, kann man vergleichen mit dem Bauern,<br />
der den guten Samen der Reformation auf<br />
seinen Acker säte. In der Nacht kam sein Feind<br />
und säte heimlich den Humanismus als Unkraut<br />
dazwischen.<br />
Als die Saat aufging, kam auch das Unkraut<br />
zum Vorschein. Was tun? ‚Sollen wir das Unkraut<br />
ausreißen?‘ – ‚Nein‘, war die Antwort, ‚ihr würdet<br />
mit dem Unkraut auch den Weizen ausreißen.<br />
Wenn die Ernte kommt, sollen die Erntearbeiter<br />
das humanistische Unkraut ausreißen und es verbrennen.<br />
Dann soll die Frucht einer umfassenden<br />
Reformation eingebracht werden!‘<br />
Kurz darauf redete Jesus mit seinen Freunden<br />
Klartext: ‚Der Mann, der den guten Samen<br />
aussät, ist der Menschensohn. Der Acker ist die<br />
Welt. Der gute Same sind die Menschen unter<br />
der Herrschaft Gottes; das Unkraut sind die Menschen,<br />
die dem Bösen folgen, und der Feind, der<br />
das Unkraut gesät hat, ist der Teufel. (Einem<br />
„vernünftigen“ Menschen wurde beigebracht, des<br />
gebe keinen Teufel. Das ist für diesen das beste<br />
Argument, in seinen bösen Aktivitäten ungestört<br />
zu bleiben). Die Ernte ist das Finale dieser Welt.<br />
Da wird alles aus meinem Reich entfernt werden,<br />
was nicht nach Gottes Ordnung ist. Und dann<br />
werden die aus Glauben Gerechtfertigten im<br />
Reich ihres Vaters leuchten wie die Sonne.‘“<br />
Wie viele Denkkonzepte nimmt man heute einfach<br />
hin, ohne sie ernsthaft zu hinterfragen?! Von<br />
den Medien werden sie gebetsmühlenartig wiederholt;<br />
so entsteht der Eindruck, jeder sähe es<br />
so. Doch bei näherer Betrachtung erweist sich<br />
vieles als heiße Luft.<br />
Verbannt man Gott aus dem Weltbild und macht<br />
den Menschen zum Maß aller Dinge, sind Probleme<br />
vorprogrammiert; wer erkennt schon, wie sehr der<br />
Zeitgeist im Widerspruch steht zum gesunden<br />
Menschenverstand und zur Würde des Menschen?<br />
Deshalb sollen diese neuen 95 Thesen zum Humanismus<br />
wie die Thesen Luthers eine Einladung sein<br />
zu einer grundlegenden Debatte – und sie sind der<br />
Rahmen für ein Buch mit gleichem Titel, das umfassend<br />
auf Zusammenhänge und Folgen eingeht. 2<br />
Dabei wollen wir differenzieren zwischen dem<br />
Humanismus als Denkmuster, als Ideologie, und<br />
seinen Vertretern, den Humanisten, unter denen<br />
es ehrenwerte, vorbildliche Menschen gibt, die<br />
viel Gutes bewirkt haben. Wir wollen die Konzepte<br />
und Werte analysieren, die hinter dem<br />
Humanismus stecken, und so dieses Denksystem<br />
entlarven.<br />
Das Muster ist<br />
uralt, es wird uns<br />
in einem der ersten<br />
Texte der Bibel überliefert,<br />
im Bericht<br />
vom sogenannten<br />
Sündenfall – und der<br />
führt uns zum Urproblem<br />
der Menschheit<br />
schlechthin: „Sollte<br />
Gott gesagt haben?“<br />
Die Kirche<br />
heute ist in einem<br />
weit schlimmeren<br />
Zustand als zur<br />
Zeit Luthers:<br />
Der Humanismus<br />
hat das Denken<br />
durchdrungen und<br />
kaum einem ist<br />
noch bewusst,<br />
dass er einer<br />
Beziehung zu<br />
Gottes bedarf<br />
Der Vergleich von<br />
nützlicher Saat<br />
und Unkraut in<br />
den Evangelien<br />
veranschaulicht die<br />
Situation sehr gut: In<br />
der Nacht kam der Feind<br />
und säte heimlich den<br />
Humanismus als Unkraut<br />
dazwischen.<br />
Foto: Wikipedia, Dalibri<br />
Z für Zukunft<br />
15
Z-aktuell<br />
Danach eröffnet Jesus den Jüngern, dass er<br />
demnächst in Jerusalem getötet wird. Petrus,<br />
ganz aufgebracht: „Gott behüte dich, Herr! Dies<br />
wird dir keinesfalls widerfahren.“ Jesus erwidert:<br />
„Geh hinter mich, Satan! Du willst mich zu Fall<br />
bringen. Was du denkst, das kommt nicht von<br />
Gott, sondern ist humanistisch!“ 3<br />
Antike Götter, die Vorbilder<br />
humanistischen Denkens:<br />
Cronus (Saturn) kastriert<br />
seinen Vater Uranus, den<br />
griechischen Himmelsgott<br />
bevor Zeus in Spiel kam.<br />
Fresko von Vasari &<br />
Cristofano Gherardi, um<br />
1560, Sala di Cosimo I,<br />
Palazzo Vecchio, Florenz.<br />
Es ist<br />
intellektuell<br />
aber unredlich,<br />
wenn man das<br />
Schlechteste<br />
vom Anderen<br />
mit dem eigenen<br />
Besten<br />
vergleicht<br />
Suchen wir nach Gottes Konzept, oder halten<br />
wir uns für schlauer? Im Buch Genesis (1. Mose)<br />
3 können wir es nachlesen: „Keinesfalls wird es so<br />
sein, wie Gott gesagt hat. [Klingt wie eine aktuelle<br />
TV-Doku.] Vielmehr werden eure Augen aufgehen<br />
und ihr werdet sein wie Gott [ihr werdet zum Maß<br />
aller Dinge], erkennend Gutes und Böses.“ Was<br />
war das Ergebnis dieses faulen Versprechens?<br />
Sie „erkannten“, dass sie ohne Beziehung zu Gott<br />
nackt waren, und mussten sich verstecken. Na<br />
super! Und ohne es richtig zu begreifen waren sie<br />
humanistisch und von der Abhängigkeit von Gott<br />
befreit – und flogen zum Paradies hinaus. Dumm<br />
gelaufen.<br />
Eine Begebenheit mit Jesus wirft zusätzlich<br />
Licht auf diese Thematik.<br />
Mit seinen Freunden macht er einen Ausflug<br />
nach Cäsarea Philippi, um ihnen etwas zu veranschaulichen<br />
am Tempel des Gottes Pan (von<br />
dem das Wort „Panik“ abgeleitet ist, weil er Menschen<br />
extrem erschreckt haben soll). Jesus fragt<br />
sie: „Was meint ihr, wer ich bin?“ Petrus antwortet:<br />
„Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen<br />
Gottes.“ Jesus darauf: „Volltreffer! Das ist<br />
keine humanistische, von Menschen stammende<br />
Erkenntnis, sondern eine Offenbarung direkt aus<br />
dem Himmeln, die hast du von meinem Vater.<br />
Ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diese Worte<br />
der Offenbarung meines Vaters werde ich meine<br />
ekklesia (Kirche) bauen, und die Pforten des<br />
Hades werden ihr nicht standhalten können.“<br />
Der Humanismus will Gottes Absichten durchkreuzen.<br />
Ist eine Kirche von humanistischem<br />
Denken infiziert, ist sie zum Scheitern verurteilt:<br />
die Pforten des Hades werden sie verschlingen.<br />
Der Tod ist im Topf.<br />
Die neuen 95 Thesen – Eine Kostprobe<br />
These 2: „Human” und „humanistisch” haben<br />
dieselben Wurzeln, aber unterscheiden sich<br />
genauso voneinander wie „sozial” und „sozialistisch”.<br />
Jeder „-ismus” ist eine unverhältnismäßige<br />
Ableitung von einem Prinzip oder einem Teil<br />
davon. Zu meinen, nur Sozialisten wären sozial,<br />
das würde vielen Unrecht tun, und nicht selten<br />
legen Sozialisten oder sozialistische Regimes ein<br />
äußerst unsoziales Verhalten an den Tag.<br />
These 7: Angriffe gegen die Kirche haben ihren<br />
Ursprung darin, dass die Kirche viel Nebensächliches<br />
um das Zentrum des christlichen Glaubens<br />
herum aufstellte, und manches als heilig, ewig und<br />
unfehlbar erklärte (z. B. Heiligenverehrung), das<br />
es gar nicht war. Diese Verwirrung und Veräußerlichung<br />
schwächte und verwässerte die Botschaft.<br />
Das lieferte Gegnern „billige Munition”.<br />
These 11: Der Humanismus zeigt eine sehr<br />
begrenzte Vorstellung von Religion, als wäre jede<br />
Religion per se einengend, als wäre Glaube nur<br />
eine sinnlose Unterwerfung unter irrationale Dogmen,<br />
ein Abschalten des Denkens … Man schließt<br />
aus, dass der christliche Glaube befreiend, bereichernd<br />
und erfreuend sein könnte. – Es ist intellektuell<br />
unredlich, wenn man das Schlechteste<br />
vom Anderen mit dem eigenen Besten vergleicht.<br />
Der Humanismus schafft zunächst eine Karikatur,<br />
diese zerlegt er dann – und meint, damit hätte er<br />
das Christentum ausgehebelt.<br />
16<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
These 16: Der Humanismus, die Renaissance<br />
und die Aufklärung wandten sich der klassischen<br />
Antike und deren Göttern zu, hielten sie für eine<br />
Alternative zur christlichen Lehre, und schlossen<br />
dabei die Augen für deren dunkle, irrationale Seiten.<br />
Die christliche Sicht über Gott und sein Wort<br />
wurden als naiv verachtet und als Erfindung abgetan;<br />
stattdessen hing man eigenartigen Mythen<br />
nach, widersprüchlichen Ideen und Göttern mit<br />
fragwürdigem Lebenswandel. Für die Aufklärung<br />
war die Bibel primitiv, aber selber wählte sie noch<br />
„primitivere” religiöse Formen, zog „Spielzeuggötter”<br />
dem wirklichen Gott vor.<br />
These 19: Der „Glaube an die Menschheit” wird<br />
verkündet als Alternative zum „Glauben an Gott”.<br />
Das Wort „Glauben” jedoch erhält je nach Objekt<br />
eine völlig andere Bedeutung – es ist doch ein großer<br />
Unterschied, ob man sagt: „Ich liebe meine<br />
Frau”, oder: „Ich liebe Eiscreme”. Wer will das<br />
glauben, dass der Mensch allmächtig, vollständig<br />
gut, allwissend oder unfehlbar wäre? Diese Idee<br />
brachte Verwirrung und ideologischen Nebel.<br />
These 25: In seinem Glauben an die Menschheit<br />
bezeichnet der Humanismus die Demokratie als<br />
eine der wichtigsten „Errungenschaften”. Doch<br />
deren treibende Kraft ist das große Misstrauen<br />
gegen den Menschen, nämlich die Befürchtung,<br />
er könnte seine Macht missbrauchen. Gegen<br />
diese Gefahr braucht Demokratie viele Schutzmechanismen,<br />
aber dieser Schutz kann eine Gesellschaft<br />
zum Erstarren bringen.<br />
These 29: Der Humanismus leidet unter einer<br />
gefährlichen Naivität. Sein Optimismus betreffs<br />
der Menschheit verschließt systematisch die<br />
Augen vor der Realität. Ein General, der so den<br />
Feind unterschätzte, würde viele Soldaten in den<br />
Tod schicken; das würde ihn den Job kosten und<br />
die Geschichte würde ihn verdammen. Jeder,<br />
der das Gute im Menschen als Dogma annimmt,<br />
leugnet die Wirklichkeit des Dämonischen (z. B.<br />
Süchte, Chauvinismus und Rassismus, blindes<br />
Wüten …) und gibt ihm Raum.<br />
These 30: Wer weiterhin Wissenschaft und<br />
Vernunft als den einzigen Zugang zu Erkenntnis<br />
sieht, wird bei einer materialistischen Weltsicht<br />
enden und die geistliche, höhere, unsichtbare<br />
Realität verpassen. Durch ein Mikroskop wird<br />
man niemals Sterne beobachten oder das große<br />
Ganze sehen können: Die Art der Linse bestimmt,<br />
was man sieht und was nicht.<br />
These 38: Der Humanismus appelliert an die<br />
Vernunft, lat. ratio, aber im Sprachgebrauch unterscheiden<br />
wir zwischen „rational” und „vernünftig”.<br />
Intellektualismus und Rationalismus sind von<br />
Natur aus unausgewogen. Sie sind kleinlich und<br />
machen beziehungsarm, sie behindern Kreativität<br />
und sind kalt und stolz; um sich zu schützen, wollen<br />
sie alles kontrollieren. Und umgekehrt: Luther<br />
sprach von der „Hure Vernunft”, die sich von allen<br />
missbrauchen lässt, die sie begehren.<br />
These 43: Die Ansicht, alle Religionen wären<br />
gleich und führten zum selben Ziel, scheint eine<br />
„höhere”, universelle Einsicht zu sein, eine überlegene<br />
Weisheit; sie ist aber nur Meinung von vielen.<br />
Das Aufkommen einer „universalen Religion” führt<br />
hingegen zu einem menschengemachten „religiösen<br />
Esperanto”, das keinen zufrieden stellt. Es<br />
gleicht einem Mann, der „die Frau” generell kennenlernen<br />
möchte und sich deshalb „allen Frauen”<br />
zuwendet und mit allen schläft. Kennt er „die Frau”<br />
deshalb besser, als ein treuer Ehemann es könnte?<br />
These 45: Der Humanismus predigt Autonomie<br />
und Selbstbestimmung: Auf philosophisch-moralischer<br />
Ebene widersetzt er sich fundamental<br />
Nicht selten legen<br />
Sozialisten oder<br />
sozialistische Regime<br />
äußerst unsoziales<br />
Verhalten an den Tag.<br />
Bild: Sowjetisches Probaganda-<br />
Plakat mit Marx, Engels, Lenin<br />
und Stalin<br />
Humanistische<br />
Ideologien des<br />
letzten Jahrhunderts<br />
haben<br />
unvorstellbar<br />
mehr Opfer<br />
gekostet als alle<br />
Religionskriege<br />
zusammen<br />
Mit einem<br />
Mikroskop<br />
wird man<br />
niemals<br />
Sterne<br />
beobachten<br />
können<br />
Z für Zukunft<br />
17
Z-aktuell<br />
„Freiheit führt<br />
das Volk an“<br />
Romantische historien<br />
malerei. Im Gedenken<br />
an die Französische<br />
Revolution von 1830<br />
Eugène Delacroix,<br />
Louvre, Paris<br />
Freiheit, das<br />
schönsten Ideale<br />
auf Erden.<br />
Im Mund von<br />
Demagogen wird<br />
es schnell zur<br />
billigen Phrase<br />
jeder Autorität; Werte und Normen bestimmt der<br />
Einzelne selber. In allen Lebensbereichen lässt<br />
der gesunde Menschenverstand erkennen, dass<br />
etwas Übergeordnetes nötig ist: in der Familie,<br />
beim Fußball, in der Wirtschaft, in Armee, Regierung,<br />
Schule … Wie widersinnig, wenn ausgerechnet<br />
in den wichtigsten Lebensbereichen jeder tun<br />
und lassen kann, was er möchte! Es gleicht einem<br />
Land, in dem jeder König ist – scheinbar „demokratisch”,<br />
frei und angenehm, aber das Endergebnis<br />
ist völlige Nivellierung und Anarchie.<br />
These 49: Der Humanismus behauptet, er<br />
strebe die Freiheit der Menschen an, und wehrt<br />
sich gegen alle Bedrückung durch religiöse Systeme.<br />
Aber jede Religion, Ideologie, politische<br />
Bewegung, Revolution, Therapie, Sekte … behauptet<br />
doch auch, Freiheit zu bringen! Jedes System<br />
oder Regime bringt eine gewisse Form von Unterdrückung<br />
mit sich, und der Humanismus ist da<br />
keine Ausnahme. Freiheit ist eines der schönsten<br />
Ideale auf Erden, aber schnell wird sie zur billigen<br />
Phrase im Mund von Demagogen. Je nach Art der<br />
„Freiheit” landet man dann eher in einer anderen,<br />
meist ärgeren Form von Sklaverei.<br />
These 50: „Toleranz” ist der höchste Wert des<br />
Humanismus; aber Toleranz hat ihre Grenzen –<br />
alles zu tolerieren (z. B. Pädophilie, Kindesmissbrauch,<br />
Vergewaltigung …) geht unmöglich! In<br />
der Realität jedoch wird der Begriff „Toleranz”<br />
mit Absicht als Waffe gebraucht: Im Konflikt<br />
beschuldigen sich beide Seiten der Intoleranz;<br />
„Sieger” wird, wer lauter schreit.<br />
These 53: Sind christliche Werte getrennt von<br />
der Quelle der Inspiration (Gott), dann gleicht das<br />
Schnittblumen in einer Vase: Eine Weile sehen sie<br />
hübsch aus, aber sie verwelken. Christliche Prinzipien<br />
von Gott zu trennen macht sie zu abstrakten<br />
Regeln und Allgemeinplätzen, bringt aber<br />
kein Leben hervor.<br />
These 63: Der Humanismus wurde in einer<br />
säkularen Gesellschaft zur neuen Staatsreligion:<br />
Die Entwertung der Kirche als Autorität führte zu<br />
einem Vakuum; das hat sich gefüllt mit einer radikalen<br />
Selbstbestimmung. Über Definitionen, Rahmenbedingungen<br />
und Bezugspunkte ist ein geistlicher<br />
„Krieg” entbrannt; wer lauter schreit, der<br />
drückt dem Anderen seine Weltsicht auf. Längst<br />
hat der Humanismus neue Regeln und Rahmenbedingungen<br />
festgelegt,unter dem Vorwand der<br />
„Neutralität”.<br />
These 64: Der Humanismus nennt ständig Religionen<br />
als Ursache von Kriegen und Blutvergießen,<br />
übersieht aber vorsätzlich die Tatsache,<br />
dass die aus humanistischen Ideologien geborenen<br />
atheistischen Diktaturen des letzten Jahrhunderts<br />
unvorstellbar mehr Opfer gekostet haben<br />
als alle Religionskriege zusammengenommen.<br />
(Man denke nur an die Sowjetunion, das Dritte<br />
Reich, China, Kambodscha, Nordkorea und zum<br />
Vergleich an den Siegeszug des Islams im frühen<br />
Mittelalter, den Kreuzzügen, dem Dreißigjährigen<br />
Krieg, Al-Kaida und IS …)<br />
These 65: Der Humanismus präsentiert sich<br />
gerne humaner als das Christentum, aber an seinen<br />
„Früchten” sehen wir das Gegenteil: Erniedrigung<br />
des Menschen. Bei der Anwendung seiner<br />
ethischen Einstellung, zum Beispiel zu Abtreibung<br />
und Euthanasie, wird das Leben des Menschen<br />
systematisch ab- und nicht aufgewertet.<br />
These 67: Der Humanismus hat die Sicht auf<br />
Sexualität radikal verändert; er brachte eine<br />
sogenannte „Befreiung” von der „Unterdrücker”-<br />
Ethik der christlichen Ehe. Heute wirkt diese<br />
sexuelle Freiheit zerstörerischer, als die Tabus<br />
von früher es je hätten sein können. Die Treue in<br />
18<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
der Ehe wird geopfert auf dem Altar des Individualismus;<br />
Kinder haben in der totalen Selbstbestimmung<br />
beider Eltern nicht wirklich Platz.<br />
These 71: Humanistisches Denken hat die<br />
christlichen Kirchen seit Jahrhunderten infiltriert.<br />
Jede gute Absicht in den „modernen” Kirchen,<br />
das Evangelium annehmbarer, niederschwelliger<br />
zu machen – alles „Anstoßerregende” zu beseitigen<br />
– war nur destruktiv: Die Folgen waren ein<br />
Verlust an Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft,<br />
ein Mehr an Anpassung und die Verwässerung<br />
des Glaubens. Kurz, das humanistische Denken<br />
führt zu einer kraftlosen Christenheit, die sich<br />
der Beliebigkeit preisgegeben hat.<br />
These 75: Mit den Anfangsworten der Bergpredigt<br />
„Selig sind die Armen im Geist” legte Jesus<br />
dem Humanismus eine Bombe, somit auch unserem<br />
oberflächlichen Selbstvertrauen und unserer<br />
Selbstgefälligkeit. Von Natur aus ist doch jeder<br />
mehr oder weniger humanistisch kontaminiert;<br />
jeder, der dieser Ideologie entgegentreten will,<br />
muss zunächst einigermaßen fertigwerden mit<br />
seiner Ich-Bezogenheit und Selbstgerechtigkeit<br />
sowie der seiner Kirche.<br />
These 77: Wer behauptet, das Evangelium „verbessern”<br />
zu wollen, erweist sich meist als arrogant;<br />
das Ergebnis zeigt genau das Gegenteil.<br />
Wer sich als Teil einer „humanistischen Bewegung<br />
in der Christenheit” sieht, muss sich entscheiden,<br />
um welchen Mittelpunkt er sich dreht<br />
– welchem Gott er dient: dem Gott der Bibel oder<br />
der Menschheit? Passen wir die Bibel an den Zeitgeist<br />
an oder richten wir unser Denken an der<br />
Gesinnung des Gottes der Bibel aus?<br />
These 79: „Moderne” Bewegungen in Kirchen<br />
als Ausdruck humanistischen Christentums laufen<br />
der Welt nach und folgen den Trends, statt<br />
prophetische Vorläufer zu sein. „Jesus verwandelte<br />
Wasser in Wein; auch die moderne Theologie<br />
wirkt ‚Wunder‘: Sie verwandelt Wein wieder<br />
zu Wasser!” Verständlich, dass viele dieses verwässerte,<br />
geschmacklose Christentum angewidert<br />
ausgespuckt haben. Der dramatische Verfall<br />
der Kirche in Europa zeigt, dass Gott nicht im<br />
Mittelpunkt stand.<br />
These 89: Die Finanz- oder Bankenkrise ist ein<br />
gutes Gleichnis für die aktuelle ideologische Krise:<br />
Wenn Derivate nicht mehr durch reale Werte<br />
gedeckt sind, bricht das System zusammen. Wie<br />
die Bankenkrise verursacht wurde durch übermäßiges<br />
Investment mit geborgtem Geld und durch<br />
Handel mit virtuellem Geld, so wird auch der<br />
„Markt der Ideologien” erschüttert – der Humanismus<br />
arbeitet nur mit „geborgten Werten”.<br />
These 79: Die Ichbezogenheit sitzt tief und ist<br />
nahezu unverwüstlich. Sie entspricht ganz unserer<br />
Natur und ist schwierig zu überwinden. Nur<br />
Gott kann uns befreien von dieser Tyrannei unseres<br />
Ichs! Nur ein vollkommener, guter und heiliger<br />
Gott ist der zentrale Bezugspunkt für Normen<br />
und Werte, für Lebenssinn und -zweck. Nur<br />
er kann ein unparteiischer Vermittler sein und<br />
uns helfen, den Irrgarten des Lebens von oben<br />
zu betrachten.<br />
Ignace Demaerel, Denker, Schriftsteller, Theologe, Kolumnist;<br />
Jahrgang 1961, lebt nahe Brüssel<br />
1 Nach Matthäus-Evangelium 13,24–30.38–43.<br />
2 Fördern Sie das Buchprojekt mit Ihrer Subskription:<br />
www.agentur-pji.com/95thesen.<br />
3 Matthäus-Evangelium 16,18–23.<br />
Auch die<br />
humanistische<br />
Theologie wirkt<br />
‚Wunder‘: Sie<br />
verwandelt<br />
Wein wieder<br />
zu Wasser!<br />
Humanismus:<br />
In einer<br />
säkularen<br />
Gesellschaft<br />
die neuen<br />
Staatsreligion<br />
Z für Zukunft<br />
19
Z-aktuell<br />
Foto: © Pixabay, MarleneBitzer<br />
Das Filetstück der Reformation<br />
Statt moralischer Berechnung – fröhlicher Austausch; durch Bekennen – Vergebung<br />
erlangen: Ohne diese anhaltende Erfahrung macht sich Kirche überflüssig<br />
Rainer Mayer<br />
Was soll Buße?<br />
Das bezeichtnet<br />
eine notwendige<br />
Richtungskorrektur,<br />
eine<br />
Umkehr: statt<br />
gegen die Wand,<br />
aufs Ziel zu<br />
Selbstgerechtigkeit –<br />
oder Umkehr zu Jesus Christus?<br />
Die erste der 95 Thesen Martin Luthers vom 31.<br />
Oktober 1517 lautet: „Da unser Herr und Meister<br />
Jesus Christus spricht: Tut Buße!, will er, dass<br />
das ganze Leben seiner Gläubigen eine stete und<br />
unaufhörliche Buße sein soll.” Diese These ist wie<br />
eine Überschrift mit Doppelpunkt; die folgenden<br />
Thesen entfalten diese Grundaussage weiter. –<br />
Was ist gemeint?<br />
Wenn das ganze Leben eines Christen eine<br />
stete und anhaltende Buße sein soll, dann brauchen<br />
wir eine grundsätzliche innere Haltung<br />
und neue Einstellung Gott gegenüber. Man kann<br />
mit Gott nicht wie im Business aufrechnen und<br />
gegenrechnen, nach dem Motto: „Du gibst mir<br />
Vergebung, ich gebe dir ‚gute Werke‘.“ Vielmehr<br />
ist alles, wirklich alles, reines Geschenk – also<br />
Gnade –, sowohl die Vergebung selbst als auch<br />
die daraus folgenden guten Taten.<br />
Denn beim Zuspruch der Vergebung im Namen<br />
von Jesus Christus wird nicht nur im juristischen<br />
Sinne die Schuld vor Gott getilgt, sondern durch<br />
die Kraft des Heiligen Geistes vollzieht sich eine<br />
Veränderung des Menschen. Zwar wird ein Christ<br />
lebenslang immer wieder von Verfehlungen übereilt<br />
werden, doch geschieht durch anhaltende<br />
Hingabe an Jesus Christus und die dabei empfangene<br />
Vergebung stetig Veränderung; der Einzelne<br />
merkt das selber oft weniger als seine Umgebung.<br />
Das Leben bekommt eine andere Gesamtrichtung;<br />
Liebe, Freude und Friede erfüllen die<br />
Persönlichkeit. Der Mensch wird umgestaltet<br />
durch die Kraft des Heiligen Geistes.<br />
Luthers fröhliche Wirtschaft<br />
Beim Generalkonvent des Augustiner-Ordens im<br />
April 1518 in Heidelberg sagte Luther in der letzten<br />
seiner dortigen 28 Thesen: „Die Liebe des<br />
Menschen entsteht an ihrem Gegenstand”, also<br />
z. B. an einem anderen Menschen, einem Kunst-<br />
20<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
werk oder der Natur; „aber die Liebe Gottes findet<br />
ihren Gegenstand nicht vor, sondern schafft<br />
ihn sich.” Es handelt sich um Neuschöpfung! –<br />
Schlicht und einfach heißt das: Im moralischen<br />
Sinne vermag ein Mensch gewiss viel Gutes zu<br />
tun, aber vor Gott kann er das nicht aufrechnen.<br />
Denn auch die Kraft zum Guten ist ein Geschenk<br />
Gottes! In seinem Lied von 1524 (EG 299,2) hat<br />
Luther es so ausgedrückt:<br />
„… es ist doch unser Tun umsonst,<br />
auch in dem besten Leben.<br />
Vor dir niemand sich rühmen kann,<br />
des muss dich fürchten jedermann<br />
und deiner Gnade leben.“<br />
Hinzu kommt, dass das in unserer menschlichen<br />
Sicht vermeintlich Gute auch auf Irrtum<br />
beruhen kann und dann letztlich alles andere<br />
als gut ist. Auch können die Folgen einer Tat in<br />
all ihren Konsequenzen häufig nicht abgeschätzt<br />
werden, so dass unser guter Wille manchmal<br />
überhaupt nicht zum Guten beiträgt. Und umgekehrt<br />
kann Gott auch auf krummen Linien gerade<br />
schreiben. Menschliche Aktion kann ihn jedenfalls<br />
nicht aus seiner Weltregierung ausschließen.<br />
Dem Vorwurf, durch diese Sichtweise würde<br />
es überflüssig, Gutes zu tun, hat Luther entschieden<br />
widersprochen. 1520 veröffentlichte er<br />
einen „Sermon von den guten Werken“, und im<br />
Kleinen und Großen Katechismus stellte er die<br />
Zehn Gebote an den Anfang der Erklärung des<br />
Glaubens. Nein, Gutes zu tun ist weder überflüssig<br />
noch belanglos. Frei wird der Mensch jedoch<br />
erst, wenn er sich ganz und vorbehaltlos „mit<br />
Haut und Haaren“ der Gnade und Barmherzigkeit<br />
des himmlischen Vaters ausliefert. Es geht<br />
schlicht darum, loszukommen von einer rechnenden<br />
und berechnenden, ja letztlich fordernden<br />
inneren Haltung Gott gegenüber.<br />
Im zwölften Artikel seiner Schrift „Von der<br />
Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) hat<br />
Luther dafür das schöne Bild vom „fröhlichen<br />
Tausch“ gebraucht: Das Wollen und Vollbringen<br />
des gläubigen Menschen nennt er „Seele“; Jesus<br />
Christus nennt er den „Bräutigam“. Beim glaubenden<br />
Christen geschieht nun folgender Tausch:<br />
Wie Braut und Bräutigam in der Ehe eins werden,<br />
so geschieht es auch zwischen Christus und<br />
der menschlichen Seele, „… so dass, was Christus<br />
hat, das ist eigen der gläubigen Seele; was<br />
die Seele hat, wird eigen Christi. So hat Christus<br />
alle Güter und Seligkeit: die sind [nun] der Seele<br />
eigen; so hat die Seele alle Untugend und Sünde<br />
auf sich: die werden [nun] Christi eigen. Hier<br />
erhebt sich nun der fröhliche Wechsel … Ist nun<br />
das nicht eine fröhliche Wirtschaft, da der reiche,<br />
edle, fromme Bräutigam Christus das arme,<br />
verachtete, böse Hürlein [Seele] zur Ehe nimmt<br />
und sie entledigt von allem Übel, zieret mit allen<br />
Gütern? So ist’s nicht möglich, dass die Sünden<br />
sie verdammen, denn sie liegen nun auf Christo<br />
und sind in ihm verschlungen.“<br />
Freiheit ist nicht Beliebigkeit<br />
Erst durch solche innige Glaubensgemeinschaft<br />
– einer Verschmelzung mit Jesus Christus, die von<br />
allen Berechnungen absieht und ganz aus freudiger<br />
Dankbarkeit lebt – erst dadurch entsteht die<br />
Heilsgewissheit. Wohlgemerkt: Gewissheit, nicht<br />
aber falsche Sicherheit und Gleichgültigkeit. Wer<br />
von Dankbarkeit und Freude erfüllt ist, wird nicht<br />
gleichgültig – im Gegenteil, er ist leidenschaftlich<br />
und brennt!<br />
Damit ist allen Missverständnissen abgesagt,<br />
die die „Freiheit eines Christenmenschen“ mit<br />
Gleichgültigkeit, ja Beliebigkeit verwechseln. –<br />
Solchen Missbrauch gibt es freilich. Da wird dann<br />
die Sünde gerechtfertigt statt des Sünders. Falsche<br />
Sicherheit wird propagiert, statt zu echter<br />
Reue und Umkehr aufzurufen. Bonhoeffer nannte<br />
Verkündigung dieser Art „billige Gnade“; eine<br />
derartige Entstellung der Rechtfertigungsbotschaft<br />
verurteilte er aufs Schärfste.<br />
Gnade ist kein abstraktes<br />
Prinzip, sondern ein göttliches<br />
Geschenk, das im Lebensvollzug<br />
erfahren wird. Die Reformation<br />
war keine Verbilligung christlicher<br />
Lebenspraxis, sondern ist im<br />
Gegenteil eine große Konzentrationsbewegung<br />
weg vom Nebensächlichen<br />
hin auf das Zentrum:<br />
Nein, Gutestun<br />
wir durch Gnade<br />
nicht überflüssig.<br />
Frei wird<br />
der Mensch<br />
jedoch nur,<br />
wenn er sich<br />
der Gnade und<br />
Barmherzigkeit<br />
Gottes ausliefert<br />
Bonhoeffer sprach von<br />
billiger Gnade, leisen Sie<br />
dazu den Artikel „Billige<br />
Gnade, Todfeind der Kirche“<br />
Seite 38 Z#19/20<br />
Z für Zukunft<br />
21
Z-aktuell<br />
“Martin Luther<br />
inwendig voller Figur”,<br />
Aquarellzeichnung von<br />
Michael Mathias Prechtl,<br />
1983. Mit dem Titel ist<br />
Albrecht Dürer zitiert:<br />
“Dann ein guter Maler ist<br />
inwendig voller Figur ...”<br />
„Ihr sollt Nicht<br />
lutherisch, sondern<br />
Christen<br />
heißen. Was<br />
ist Luther? …<br />
ein stinkender<br />
Madensack, man<br />
soll die Kinder<br />
Christi nicht<br />
nach meinem<br />
heillosen Namen<br />
nennen!“<br />
Bibel, Gnade, Glaube<br />
sowie vor allem und<br />
in allem – hin zu Jesus<br />
Christus!<br />
Seelsorge, von<br />
Anfang bis Ende<br />
Die Wurzeln der<br />
Reformation liegen<br />
in der Seelsorge. Sein<br />
Leben lang ist Luther<br />
Beichthörer und Seelsorger<br />
gewesen und<br />
er hat selber Seelsorge<br />
in Anspruch<br />
genommen.<br />
Man kann nun<br />
unterscheiden zwischen<br />
Seelsorge im<br />
zentralen und im weiten<br />
Sinn. Zum weiten<br />
Verständnis der<br />
Seelsorge gehört jedes Miteinander, das im Ringen<br />
um Glauben und Tat geschieht. So schrieb<br />
Luther z. B. von der Veste Coburg aus Trostbriefe<br />
an Philipp Melanchthon, der beim Reichstag zu<br />
Augsburg (1530) als Wortführer die evangelische<br />
Sache vertrat und doch gar keine Kämpfernatur<br />
war.<br />
Bis zum Lebensende betrieb Luther Seelsorge:<br />
Er vermittelte in dem schlimmen Bruderstreit der<br />
beiden Landesherren Albrecht und Gebhard von<br />
Mansfeld, wo die Juristen nicht mehr weiterkamen.<br />
Nach dem guten Abschluss sorgte er dafür,<br />
dass „die Brüder wieder Brüder werden“.<br />
Auch das brüderlich-geschwisterliche Trösten<br />
gehört dazu; am Anfang allerdings steht die persönliche<br />
Beichte, von der aus auch die Reformation<br />
ihren Anfang nahm. Luther hat die „Ohrenbeichte“<br />
nicht abgeschafft, wie oft irrtümlich<br />
behauptet wird; er hat sie sein Leben lang geübt.<br />
Wer die Beichte verachtet, ist nach<br />
Luther gar kein Christ<br />
Im Anhang des Kleinen Katechismus findet sich<br />
eine Anleitung zur persönlichen Beichte, die auf<br />
Luther zurückgeht. Im Unterschied zu der Praxis,<br />
die Ausgangspunkt der 95 Thesen war, enthält<br />
diese Beichte (nur) zwei Hauptstücke, nämlich<br />
das ehrliche Bekenntnis des Herzens und vor<br />
allem die Absolution als vollmächtigen Zuspruch<br />
der Vergebung, gültig für Zeit und Ewigkeit.<br />
Für Luther war es undenkbar, dass ein Christ<br />
das Angebot der Beichte ausschlagen könnte. Im<br />
Großen Katechismus schreibt er gar: „Willst du es<br />
aber verachten und so stolz und ungebeichtet hingehen,<br />
so schließen wir das Urteil, dass du kein<br />
Christ bist … Denn du verachtest, was kein Christ<br />
verachten soll … und ist auch ein gewisses Zeichen,<br />
dass du das Evangelium verachtest.“<br />
Das Gegenteil von Stolz ist die Demut vor<br />
Gott. Luther lebte in dieser Demut. Er hat sich<br />
auch gegen Personenkult gewehrt: „Zum ersten<br />
bitte ich, man solle meines Namens schweigen<br />
und sich nicht lutherisch, sondern Christen heißen.<br />
Was ist Luther? … Wie käme denn ich armer<br />
stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder<br />
Christi nach meinem heillosen Namen nennen<br />
sollte?“<br />
Dietrich Bonhoeffer erläuterte den Zusammenhang<br />
mit der Demut in seiner Schrift „Gemeinsames<br />
Leben“: „In der Beichte geschieht der Durchbruch<br />
zum Kreuz. Die Wurzel aller Sünde ist der<br />
Hochmut, die superbia … Geist und Fleisch des<br />
Menschen sind vom Hochmut entzündet; denn<br />
der Mensch will gerade in seinem Bösen sein wie<br />
Gott. Die Beichte … schlägt den Hochmut furchtbar<br />
nieder.“ Aber: „Es ist ja kein anderer als Jesus<br />
Christus selbst, der den Schandtod des Sünders<br />
an unserer Stelle in aller Öffentlichkeit erlitten<br />
hat … es ist ja nichts anderes als unsere Gemeinschaft<br />
mit Jesus Christus, die uns in das schmachvolle<br />
Sterben der Beichte hineinführt, damit wir<br />
in Wahrheit teilhaben an seinem Kreuz.“<br />
Gewiss kann Seelsorge auch missbraucht werden.<br />
Aber Missbrauch hebt den rechten Gebrauch<br />
nicht auf. Machtmissbrauch wird am ehesten verhindert,<br />
wenn Beichte nicht an Hierarchien gebunden<br />
wird und nur derjenige Beichte hört, der selbst<br />
in der Beichte lebt. Das wäre auch der eigentliche<br />
Sinn des „Priestertums aller Gläubigen“.<br />
<strong>22</strong><br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
Vergebungskultur, nicht Schuldkultur<br />
Seelsorge im Kleinen, im persönlichen Bereich<br />
hat bedeutende Auswirkungen im Großen: Wo<br />
viele Einzelne in Buße leben, wird ein ganzes Volk<br />
verändert. In unserem Land wird von „protestantischer<br />
Schuldkultur” geredet. Das weist auf fehlende<br />
Seelsorge hin; denn wo Seelsorge lebt, entsteht<br />
das Gegenteil von Schuldkultur, nämlich die<br />
dankbare Gewissheit der Vergebung mit neuen<br />
„guten Früchten”: Vergebungskultur!<br />
Schuldkultur jedoch entsteht da, wo man die<br />
Schuld autonom „abarbeiten“ will, statt im Namen<br />
von Jesus Christus Vergebung zu suchen. Das ist<br />
ein höchst gefährlicher Weg, der besonders hierzulande<br />
verbreitet ist. Wer alles durch Moralismus<br />
wiedergutmachen will, gerät auf die abschüssige<br />
Bahn der Selbstrechtfertigung durch Leistung. Das<br />
Denken verkrampft. Die Menschen werden selbstgerecht<br />
– eine moderne Form des Ablasshandels!<br />
Nicht nur Wurzel, sondern Bestandsschutz<br />
Doch liegen in der Seelsorge nicht nur die<br />
Wurzeln der Reformation, sondern auch der<br />
Bestand ihrer vielfältigen Frucht. Denn ein Baum,<br />
den man von seiner Wurzel getrennt hat, stirbt ab<br />
– mitsamt all seinen guten Früchten. Eine Kirche,<br />
die Seelsorge vernachlässigt, wird zur bloßen<br />
Moralanstalt; der Moralismus strahlt aus bis auf<br />
die Politik, und schließlich spaltet sich die Gesellschaft<br />
in Gruppen, die sich gegenseitig beschuldigen.<br />
Dabei beruft sich jede Seite auf Moral, heute<br />
sagt man „Werte“, und schließlich kann der Staat<br />
seinen Ordnungsauftrag nicht mehr wahrnehmen.<br />
– Befinden wir uns auf einem solchen Weg?<br />
Darum: Zurück zu Jesus Christus, zurück zum<br />
Zentrum der Reformation! Die Kirche im Sinne<br />
der lebendigen Gemeinde Jesu Christi wird nicht<br />
untergehen; für die verfasste Kirche mit all ihren<br />
Institutionen und Strukturen gilt jedoch: Die Kirche<br />
der Zukunft wird eine Kirche der Seelsorge<br />
sein, eine, in der Schuld bekannt und Vergebung<br />
empfangen wird – oder sie wird nicht sein!<br />
Prof. Dr. Rainer Mayer, bis zum Ruhestand Professor für Systematische<br />
Theologie und Religionspädagogik an der Universität<br />
Mannheim.<br />
Z für Zukunft<br />
23
Z-aktuell<br />
Foto: © Gebetshaus Augsburg<br />
Das Missions-Manifest<br />
10 Thesen für ein „Comeback der Kirche”<br />
Die<br />
Katholischen<br />
Kirche auf<br />
der reformatorischen<br />
Überholspur<br />
Das sind mutige Reformations-Thesen,<br />
die da im Januar 2018 in Augsburg<br />
an die MEHR-Tür genagelt<br />
wurden. Gut, dass es keine 95 sind!<br />
Diese 10 hat man schnell gelesen,<br />
sie sind herausfordernd und gut nachvollziehbar<br />
(natürlich müssten sie auch noch gelebt werden).<br />
Damit gehen unsere katholischen Geschwister<br />
deutlich auf Überholspur, wogegen die lutherische<br />
Kirche in der Rückschau auf ihre Geschichte<br />
zur 500-Jahr-Feier den Missionsgedanken so<br />
ziemlich an den Nagel gehängt hat.<br />
Die Idee zu dem Manifest entstand im Juni 2017<br />
bei einem Treffen im Gebetshaus Augsburg. Zu<br />
den Initiatoren zählen der katholische Theologe<br />
Dr. Johannes Hartl, Leiter des Gebetshauses Augsburg;<br />
P. Karl Wallner, Zisterzienser und Direktor<br />
von Missio Österreich; Bernhard Meuser, Mitverfasser<br />
des Youcat (katholischer Jugendkatechismus);<br />
Martin Iten aus der Schweiz; Paul Metzlaff,<br />
Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonfe-<br />
renz; sowie Benedikt Michal, JAKOB (Jugendarbeit<br />
der Österreichischen Bischofskonferenz).<br />
Hier nun die zehn Augsburger MEHR-Thesen<br />
und anschließend mein Kommentar:<br />
THESE 1 — Uns bewegt die Sehnsucht,<br />
dass Menschen sich zu Jesus Christus<br />
bekehren. Es ist nicht mehr genug, katholisch<br />
sozialisiert zu sein. Die Kirche muss wieder wollen,<br />
dass Menschen ihr Leben durch eine klare<br />
Entscheidung Jesus Christus übergeben. Sie ist<br />
ja weniger eine Institution oder Kulturform als<br />
eine Gemeinschaft, mit Jesus in der Mitte. Wer<br />
Jesus Christus als seinem persönlichen Herrn<br />
nachfolgt, wird andere für eine leidenschaftliche<br />
Nachfolge Jesu entzünden.<br />
THESE 2 — Wir wollen, dass Mission zur<br />
Priorität Nummer eins wird. Und zwar durch<br />
eine Fokussierung der finanziellen und personellen<br />
Ressourcen der Kirche auf die Evangelisie-<br />
24<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
rung. „Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch!”<br />
(Ad gentes, 2) Der finale Auftrag Jesu<br />
an seine Freunde lautet: „Geht zu allen Völkern<br />
und macht alle Menschen zu meinen Jüngern”<br />
(Mt. 28,19). Eine Kirche, die nicht freudig und<br />
überzeugend auf alle zugeht, hat keine Mission;<br />
sie verliert ihr Warum und Wozu. Sie steht für<br />
nichts. Und sie schrumpft statt zu wachsen. Für<br />
unsere Länder heißt das: „The Church will send<br />
or the Church will end.”<br />
THESE 3 — Wir glauben, dass die Chancen<br />
nie größer waren als jetzt. Das Defizit an privater<br />
und gemeinsamer Hoffnung in der Welt wird<br />
von Tag zu Tag größer. Viele suchen und geben<br />
sich mit kleinen Antworten zufrieden. Dabei ist<br />
die denkbar größte Hoffnung bereits in der Welt.<br />
Das Evangelium hat nichts von seiner Attraktivität<br />
verloren. Wir Christen sind dazu da, diese<br />
Hoffnung zu teilen, statt sie für uns zu behalten.<br />
Wo das geschieht, wird es für Menschen unserer<br />
Zeit verlockend, Christ zu sein. Weltweit nehmen<br />
200 Millionen Christen sogar Verfolgungen in<br />
Kauf, weil sie von Jesus, ihrer einzigen Hoffnung,<br />
nicht lassen können.<br />
THESE 4 — Wir sprechen alle Menschen<br />
in unseren Ländern an und machen keinen<br />
Unterschied (wie Jesus keinen Unterschied<br />
gemacht hat). Wir gehen auf Christen, Nichtchristen,<br />
Andersgläubige und Menschen, die nicht<br />
mehr glauben, zu. Es gibt keinen Menschen, für<br />
den Jesus nicht gestorben ist und der Jesus nicht<br />
kennenlernen sollte. Gott ist „die Liebe” (1. Joh.<br />
4,16) und will, „dass alle Menschen gerettet werden<br />
und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen”<br />
(1. Tim. 2,4). Das wollen wir auch.<br />
THESE 5 — Wir glauben, dass unsere<br />
Mission so kraftvoll sein wird, wie es<br />
unsere Gebete sind. Ein missionarischer Neuaufbruch<br />
kann nicht anders beginnen als mit<br />
einem Neuaufbruch in Fasten und Gebet. Gott,<br />
der alle Menschen leidenschaftlich liebt, hat<br />
gehandelt und wird auch jetzt handeln, wenn wir<br />
ihn persönlich und rückhaltlos anrufen. Es werden<br />
Wunder geschehen. Gott wird den Menschen<br />
über den Weg laufen und sei es in Träumen und<br />
inneren Eingebungen. „Haben wir keine Scheu,<br />
Gott selbst um die schwierigsten Dinge zu bitten,<br />
wie die Bekehrung großer Sünder oder ganzer<br />
Völker” (Charles de Foucauld).<br />
THESE 6 — Wir danken allen Christen<br />
außerhalb der katholischen Kirche, die<br />
heute schon mit Hingabe missionieren,<br />
taufen und Menschen zu Jesus führen. Wir<br />
Christen in der katholischen Kirche sehen ihre<br />
Treue zur Heiligen Schrift und ihre entschiedene<br />
Nähe zu Jesus. Wir haben Wertschätzung für die<br />
positiven Impulse der Reformation. Wir wollen<br />
demütig lernen – auch und gerade von den Freikirchen<br />
– und mit allen unseren Geschwistern in<br />
der Ökumene kooperieren, um selbst missionarischer<br />
zu werden. Wir wissen, dass die Welt nur<br />
zu Christus findet, wenn wir die Einheit wiederfinden<br />
und sie in Gebet und Mission schon heute<br />
einüben (vgl. Joh. 17,21).<br />
THESE 7 — Wir müssen die Inhalte des<br />
Glaubens neu entdecken und sie klar und<br />
mutig verkündigen, sei es nun „gelegen oder ungelegen”<br />
(2. Tim. 4,2). Wir haben sie durch Gottes<br />
Offenbarung empfangen, finden sie gefasst im<br />
Urdokument der Heiligen Schrift und lebendig<br />
überliefert im Verstehen der Kirche, wie es der<br />
Katechismus lehrt. Die Geheimnisse des Glaubens<br />
müssen vollständig, ganzheitlich, in rationaler<br />
Klarheit und in der Freude der Erlösten verkündigt<br />
werden. Sie müssen leuchten. Wer anderen<br />
Menschen den Glauben verkünden will, darf nicht<br />
dilettieren; er muss zuerst an<br />
sich arbeiten – an seinem Leben,<br />
an seiner Liebe und an seinem<br />
Wissen. Der missionarische Aufbruch<br />
erfordert eine neue Lernbewegung<br />
des Glaubens, denn wir<br />
haben verlernt, was es heißt, missionarisch<br />
zu sein.<br />
„The<br />
Church will<br />
send or the<br />
Church<br />
will end!”<br />
Auch der Papst Franziskus<br />
bekam das 10 Thesen-<br />
Manifest überreicht.<br />
Foto:© Vatikanmedia<br />
Z für Zukunft<br />
25
Z-aktuell<br />
Drei der Initiatoreden des<br />
Mission Manifests:<br />
(v.l.n.r) Karl Wallner, Johannes<br />
Hartl und Bernhard Meuser<br />
Foto: © Gebetshaus Augsburg<br />
Jede<br />
Konfession<br />
hat ihr eigenes<br />
Verständnis von<br />
Begriffen.<br />
Was versteht<br />
man eigentlich<br />
unter Kirche?<br />
Weltweit gibt es<br />
immerhin etwa<br />
46 000 christliche<br />
Denominationen<br />
THESE 8 — Wir wollen missionieren, nicht<br />
indoktrinieren. Die Mission Jesu zu überbringen,<br />
hat stets den Charakter einer Einladung; Mission ist<br />
die Sehnsucht, die eigene Freude mit anderen zu teilen;<br />
ein freies, respektvolles Angebot an freie Menschen.<br />
Mission bedeutet, den Menschen die Füße zu<br />
waschen, nicht den Kopf. Sie überredet nicht, übt<br />
keinen Druck aus und ist mit Zwang oder Gewalt<br />
unvereinbar. Christen sind nicht nur tolerant gegenüber<br />
Andersdenkenden – sie engagieren sich sogar<br />
aktiv für Religionsfreiheit. Den Wahrheitsanspruch<br />
des christlichen Glaubens vertreten wir ohne jede<br />
Aggression. Wir können unmöglich schweigen von<br />
der Hoffnung, die uns erfüllt (1. Petr. 3,15).<br />
THESE 9 — Wir brauchen eine „Demokratisierung”<br />
von Mission. Nirgendwo steht,<br />
dass die Mission, die Jesus uns gegeben hat, sich<br />
auf Spezialisten, professionelle Verkündiger, Theologen,<br />
Kleriker oder Mitglieder von Ordensgemeinschaften<br />
beschränkt. Missionarisch zu sein<br />
ist der Auftrag Christi an alle Getauften. Mission<br />
beschränkt sich auch nicht auf bestimmte („nichtchristliche”)<br />
Länder, Kulturen und/oder Religionen.<br />
Mission ist jederzeit und überall. Sie ist die<br />
große, oft vergessene Querschnittsaufgabe aller<br />
Christen in allen Ländern und Kulturen.<br />
THESE 10 — Wir müssen uns selbst zur<br />
Freude des Evangeliums bekehren, um<br />
andere zu Jesus führen zu können. Wo wir<br />
uns im Denken, Handeln und Fühlen einem allgemeinen<br />
humanistischen Mainstream angepasst<br />
haben, müssen wir entschiedene Anstrengungen<br />
unternehmen, um uns, wie Papst Benedikt XVI.<br />
sagt, von der Weltlichkeit der Welt zu lösen. Nur<br />
als geisterfüllte „neue Menschen” haben wir missionarisches<br />
Profil. Wir sollten allerdings damit<br />
rechnen, dass der ersehnte Aufbruch im Glauben<br />
nicht immer nur eine Erfolgsgeschichte sein wird.<br />
Doch im treuen und freudigen Zeugnis für Jesus<br />
erstrahlt auch aus Leiden und Widerständen eine<br />
Schönheit, die früher oder später fruchtbar wird.<br />
Der Kommentar<br />
Die Initiatoren sind namhafte Vertreter der<br />
römisch-katholischen Kirche. Wenn hier also ganz<br />
allgemein von Kirche gesprochen wird, ist anzunehmen,<br />
dass die römisch-katholische gemeint ist.<br />
Dieses Manifest richtet sich auch als ersten an die<br />
katholischen Christen. Sie plädieren für ein Comeback.<br />
War sie denn weg? Oder was soll da zurückkommen?<br />
– Wie wäre es mit einer Kirche ohne den<br />
Ballast der Tradition, eben so, wie Jesus Christus<br />
sie gegründet hat?<br />
Jede Denomination, jede Konfession hat ihre<br />
eigene Bezeichnung und interpretiert die Begriffe<br />
für sich. Was ist eigentlich Kirche? Weltweit gibt es<br />
immerhin etwa 46 000 christliche Denominationen.<br />
Zu These 1: Die Sehnsucht, dass Menschen sich<br />
zu Jesus als ihrem persönlichen Herrn bekehren,<br />
ihm „folgen”: Ja, das ist der Kern der Sache. Ohne<br />
Mittler und religiösen Schnickschnack – das wäre<br />
genial.<br />
Zu These 2: Mission soll Priorität Nummer eins<br />
werden. Eine Kirche, die nicht missioniert, die<br />
steht für – nichts, das ist richtig. Aber Achtung:<br />
Wohin soll missioniert werden? Zu Jesus? Oder in<br />
eine katholische, evangelische, Baptisten- oder<br />
sonstige Organisation?<br />
Zu These 3: Wenn die Chance jetzt so groß ist<br />
wie noch nie, hilft uns das nur, wenn wir sie auch<br />
nutzen. Im Laufe der Kirchengeschichte gab es<br />
immer wieder große Chancen, die auch mutig<br />
genutzt wurden; die großen Kirchen haben das<br />
aber oft hart bekämpft.<br />
26<br />
Z für Zukunft
Leitthema<br />
Zu These 4: Das ist wirklich eine große Herausforderung,<br />
keinen Unterschied zu machen.<br />
Ja, Gott will, dass alle Menschen gerettet werden<br />
(1. Timotheus 2,4), und das ist schön. Will ich das<br />
auch? Zumindest für die Menschen, die ich kenne<br />
und zu denen ich Kontakt habe?<br />
Zu These 5: Kraftvolles Gebet war immer der<br />
Vorläufer wirksamer Erneuerung. Aber es ist<br />
trügerisch zu meinen, viel Gebet und Fasten<br />
bewirkte viel. Als ob wir Gott bestechen könnten.<br />
Viele Gebete sind von vornherein wirkungslos;<br />
das Modellgebet zeigt die Richtung: „Dein<br />
Wille geschehe, dein Reich komme …” Das impliziert,<br />
dass die Beter den Willen Gottes kennen<br />
und autorisiert sind, des Königs Herrschaft auszubreiten.<br />
Zu These 6: Der Respekt vor Christen außerhalb<br />
der katholischen Kirche ist bemerkenswert,<br />
und auch, dass sie als Vorbild für gelebte Mission<br />
geschätzt werden. Aber die große Frage ist: Wie<br />
geht Einheit? Unsere Antwort darauf ist weithin<br />
noch zu sehr institutionell geprägt. Gemäß These<br />
1 stelle ich fest: In dem Maß wie jemand eins ist<br />
mit Jesus Christus als seinem persönlichen Herrn,<br />
der kann auch eins sein mit jedem anderen, der in<br />
ähnlichem Maß eins ist mit Jesus.<br />
Zu These 7: Ja, wir müssen die Inhalte des<br />
Glaubens neu entdecken. Die Betonung liegt auf<br />
neu. Die Überlieferung der Kirche, das Verständnis,<br />
wie es der Katechismus lehrt, ist aber nicht<br />
„neu”, sondern überlagert von einer jahrhundertealten<br />
Decke der Tradition (Überlieferung).<br />
– Wer anderen Menschen den Glauben verkünden<br />
will, dürfe nicht dilettieren. Was heißt das? Dilettieren,<br />
das ist, wenn man etwas ohne Expertise<br />
tut, ohne Fachkenntnis. „Wenn ihr nicht werdet<br />
wie die Kinder …”! Das Geheimnis des Glaubens<br />
bleibt oft unerklärbar, hat aber durch das Leben<br />
umso größere Zeugniskraft.<br />
Zu These 8: Mission solle nicht indoktrinieren:<br />
diese These relativiert den subtile Indoktrinierungsanspruch<br />
der vorigen. – Absolut richtig:<br />
„Den Wahrheitsanspruch des christlichen<br />
Glaubens vertreten wir ohne jede Aggression,<br />
ohne Druck, im Respekt gegenüber Andersdenkenden.”<br />
Wenn wir zur Freiheit freigemacht sind<br />
(Galater 5,1), dann gilt das auch für die Art und<br />
Weise, wie wir weitergeben, was wir glauben.<br />
Zu These 9: „Demokratisierung” trifft es nicht<br />
ganz; was praktisch überall not tut, ist die „Entklerikalisierung”<br />
– das wäre die Lösung des Problems<br />
der Christenheit spätestens seit Konstantin<br />
im 4. Jahrhundert, als durch die Trennung „Hier<br />
Klerus, da Laien” dem Kirchenvolk die Mündigkeit<br />
abgesprochen und das „allgemeine Priestertum”<br />
verwehrt wurde.<br />
Zu These 10: Sich „von der Weltlichkeit der<br />
Welt lösen und die Gedankengebäude des humanistischen<br />
Mainstreams verlassen” – das klingt<br />
gut. Aber wohin soll die Reise gehen? Religiosität<br />
ist nur eine fromme Erscheinungsform der Weltlichkeit.<br />
Wenn diese These sagen will, dass wir<br />
uns erst einmal selber zum Evangelium bekehren<br />
sollten, gut, aber doch möglichst zum richtigen:<br />
Jesus sprach ausschließlich vom Evangelium des<br />
Reiches Gottes, und dieses Reich liegt bis heute<br />
im Widerstreit mit dem Reich dieser Welt. Wenn<br />
wir sprechen: „Dein Reich komme!”, dann wünschen<br />
wir doch einen Herrschaftswechsel, und<br />
zwar ganz konkret. Da können wir, wie in These<br />
7 verlangt, wirklich Neues entdecken: den Paradigmenwechsel<br />
von einem „Ich-meiner-mir-mich-<br />
Evangelium” zu dem Evangelium, in dem die<br />
Königsherrschaft Jesu im Alltag „aktiviert” wird,<br />
zur Geltung kommt.<br />
Zusammenfassend ist zu betonen: Glaube<br />
ist eine Herzenssache. Mit dem Herzen wird<br />
geglaubt (Römer 10,10); und wovon das Herz voll<br />
ist, davon geht der Mund über (Matthäus 12,34).<br />
Ist das Herz voll, sollte Mission kein so großes<br />
Problem sein.<br />
Quelle der 10 Thesen: www.missionmanifest.online,<br />
Missio – Päpstliche Missionswerke in Österreich<br />
Das Buch „Missions Manifest” finden Sie auf:<br />
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Es ist<br />
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Manifest<br />
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Das Buch zum Manifest hat<br />
240 Seiten und lohnt sich<br />
zu lesen<br />
Z für Zukunft<br />
27
Z-aktuell<br />
Foto: © Carlos Martínez<br />
Als Pantomime bereist<br />
Carlos Martínez seit mehr<br />
als 35 Jahren mit seinen<br />
Soloprogrammen die Welt.<br />
Dank seiner universellen<br />
Ausdruckssprache verfügt der<br />
Spanier über eine besondere<br />
Begabung, mit Menschen<br />
jeder Herkunft schnell einen<br />
Kontakt herzustellen. Seit<br />
seinem 12. Lebensjahr<br />
wohnt er in Barcelona.<br />
Foto: © Carlos Martínez<br />
Die Kirche der Zukunft<br />
wird wieder lachen<br />
Carlos Martínez auf der »SCHØN«-Konferenz im Gespräch mit Peter Ischka<br />
Zu Beginn meiner Pantomime-Karriere,<br />
in den achtziger Jahren, bekam<br />
ich oft zu hören: „Pantomime hat<br />
keine Zukunft“; man sagte mir, ich<br />
solle mich etwas anderem widmen.<br />
Ja, es war schwierig. Freunde klopften mir auf<br />
die Schulter und sagten: „Das ist eine brotlose<br />
Kunst.“ Als ich nach einigen Auftritten das erste<br />
Geld verdiente, meinten sie, ich hätte eben Glück<br />
gehabt, und bestanden darauf: Pantomime hat<br />
keine Zukunft. Dieses Jahr feiere ich mein 36-<br />
jähriges Bühnenjubiläum und stehe immer noch<br />
international auf vielen Bühnen.<br />
Das Geheimnis meines Erfolgs<br />
Auch heute bekommen viele junge Menschen,<br />
viele angehende Künstler solche Sätze zu hören.<br />
Ja, ich habe einen Beruf gewählt, der in den<br />
Augen vieler keine Zukunft zu haben scheint;<br />
die beste Antwort darauf ist ein Blick auf meinen<br />
Tourplan. Was war das Geheimnis? Ich möchte<br />
jungen Künstlern helfen; darum habe ich meine<br />
Karriere analysiert – also das Geheimnis ist: Du<br />
brauchst ein Team um dich herum! Baue es auf<br />
und fang mit dem Manager an.<br />
Die Zukunft der Kirche? Da sehe ich durchaus<br />
Parallelen. Mein Manager hat mich ganz am<br />
Anfang gefragt: „Willst du berühmt werden – oder<br />
28<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
willst du viele Jahre auftreten können?“ Für mich<br />
ist der Ruhm eine Konsequenz, aber kein Ziel. Auf<br />
jeden Fall wollte ich meine Kunst für viele Jahre<br />
ausüben und weiterentwickeln können. „Okay“,<br />
befand mein Manager, „genau in diese Richtung<br />
arbeiten wir dann.“<br />
Ich bin der Künstler, ich konzentriere mich auf<br />
die heutige Aufführung und vielleicht auch schon<br />
auf die von morgen, aber langfristig planen, das<br />
kann ich nicht. Als Künstler widme ich mich der<br />
Gegenwart. Mein Manager befasst sich mit der<br />
Zukunft.<br />
Ich denke, Pastoren haben mit Künstlern manches<br />
gemein; ich bin mir sicher, dass sie ein Team<br />
brauchen, damit sie ihre Arbeit viele Jahre lang<br />
gut machen können.<br />
Damit die Kunst Zukunft hat:<br />
Was ein guter Manager tut<br />
Ich erinnere mich an zwei Auftritte in der Schweiz,<br />
einer war am Mittwoch und der andere am Sonntag.<br />
Ich dachte, es wäre am besten, wenn ich am<br />
Dienstag fliegen und bis Sonntag bleiben würde,<br />
das Flugticket wäre so viel günstiger. Aber mein<br />
Manager sagte Nein – es habe Priorität, dass ich<br />
nach Hause komme und Zeit habe für meine Familie,<br />
auch wenn ich dafür etwas mehr Geld ausgeben<br />
müsse. Damit habe ich in meine Zukunft<br />
investiert, der Fokus liegt auf der emotionalen<br />
Stabilität und weniger auf der wirtschaftlichen.<br />
So viel zum Manager. Ansonsten sind da noch<br />
die Agentur, der PR-Fachmann, der Bühnen-<br />
Regisseur. In all diesen Jahren hatte ich nie einen<br />
„Burn-out”, und ich bin mir sicher, dass das unter<br />
anderem daran liegt, dass ich ein Team habe, das<br />
mich auf diesem Abenteuer begleitet hat und das<br />
gemeinsam mit mir die Verantwortung trägt. Aber<br />
wir sind alle nur Menschen; sowohl mein Manager<br />
und ich als auch der Rest des Teams, wir alle<br />
machen Fehler, treffen manchmal falsche Entscheidungen.<br />
Deshalb sollten wir unseren Blick auf den<br />
„Chef-Manager” richten und ihn um Rat bitten,<br />
damit wir langfristig weitermachen können.<br />
Foto: © Carlos Martínez<br />
Ab und zu wurden mir gut dotierte Jobs angeboten,<br />
aber mein Manager riet mir, abzulehnen.<br />
Vielleicht hätte ich viel Geld verdient, aber es<br />
passte nicht in die Linie, die wir professionell und<br />
geistig entwickelt hatten.<br />
Ich habe ständig verrückte Projekte und allerlei<br />
Ideen im Kopf. Nicht allein zu sein – das ist eine<br />
Entscheidung, die ich mir selber auferlegt habe;<br />
sie verpflichtet mich, meinem Team alle „Verrücktheiten”<br />
zu unterbreiten und dann herauszufinden,<br />
welche für meine Karriere die beste ist.<br />
Wenn ich mit Pastoren darüber rede, sagen<br />
sie mir oft: „Ich habe keinen Manager” – höchstens<br />
einen Mentor, der ihnen helfe, sich als Pastor<br />
weiterzuentwickeln – als Pfarrer, Geistlicher<br />
oder wie auch immer; sie sind so auf das Heute<br />
konzentriert, dass sie keine Zeit haben, ein Morgen<br />
zu planen. Ich glaube, auch Kirchen brauchen<br />
so etwas wie einen Manager, Menschen mit einer<br />
Die Zukunft<br />
der Kirche?<br />
Auch Pastoren<br />
bräuchten einen<br />
Manager<br />
Z für Zukunft<br />
29
Z-aktuell<br />
Der Chor hinter der Bühne bzw.<br />
dem Altar; auf der anderen<br />
Seite, vor dem Altar bzw. der<br />
Bühne, der Rest – als gäbe es<br />
zwei Kategorien von Menschen.<br />
Foto © Agentur PJI, Montage<br />
„Ich kann nicht<br />
für euch auftreten,<br />
wenn<br />
mir jemand im<br />
Rücken sitzt“<br />
spirituellen und strategischen<br />
Vision für die Zukunft.<br />
Die Kirche der<br />
Zukunft:<br />
Lächeln dank<br />
Auferstehung<br />
Meine eigentliche Empfehlung<br />
für die Kirche der<br />
Zukunft ist, dafür zu sorgen,<br />
dass ihre Mitglieder wieder<br />
lachen können. Die Leute<br />
haben vergessen, wie wichtig<br />
das Lachen ist. Ich kenne<br />
viele gute Prediger, die theologisch<br />
top ausgebildet sind,<br />
aber wenn sie es nicht schaffen,<br />
eine Prise Humor einzustreuen,<br />
dann schaltet das „Publikum” ab.<br />
Wenn ich auf den gekreuzigten Christus<br />
schaue, dann kann ich nicht lachen; der auferstandene<br />
Christus aber lässt mich wieder<br />
lächeln. Ich war schon in traurigen Gemeinden<br />
– es scheint, als hätten sie vergessen, dass Jesus<br />
lebt. Was uns Hoffnung gibt, ist die Auferstehung.<br />
Darin liegt die Zukunft der Kirche.<br />
Diese Auferstehung wirkt sich auch aus auf<br />
meinen künstlerischen Ausdruck. In meinen<br />
Shows gibt es inmitten der vielen Tragödien des<br />
Lebens immer eine Botschaft der Hoffnung. Wir<br />
müssen den Menschen ihr Lächeln zurückgeben.<br />
Nach einer Vorstellung kam ein Mann zu mir<br />
und sagte: „Danke. Seit Monaten, seit dem Tod<br />
meines Sohnes, konnte ich heute zum ersten Mal<br />
wieder lächeln.” Ich konnte seinen Sohn nicht von<br />
den Toten erwecken, aber ich habe mitgewirkt an<br />
der Erweckung seines Lächelns.<br />
Zweierlei Menschen?<br />
Einmal musste ich in einer Kirche auftreten, in<br />
der es wohl zweierlei Menschen gab: Auf der<br />
einen Seite war der Chor, der saß hinter der<br />
Bühne bzw. dem Altar; auf der anderen Seite,<br />
vor dem Altar bzw. der Bühne, saß der Rest – als<br />
gäbe es zwei Kategorien von Mensch. Als mein<br />
Auftritt an die Reihe kam, war mir klar, dass ich<br />
nur für eine dieser Gruppen auftreten konnte; die<br />
anderen würden meine Gesten nicht sehen. So<br />
erklärte ich dem Chorleiter: „Ich kann nicht für<br />
euch auftreten, außer ihr setzt euch zu dem Rest<br />
der Gemeinde, nach unten.” Das taten sie – und<br />
nach dem Gottesdienst erklärte mir der Pfarrer,<br />
zum ersten Mal seit Jahren habe die Gemeinde<br />
sich vereint gefühlt und einstimmig gelacht.<br />
Das wäre für mich die Kirche der Zukunft:<br />
wenn sie wieder zu lachen lernt.<br />
Die Kirche und ihre Künstler<br />
Wenn ein Arzt seinem Seelsorger anvertraut, im<br />
Krankenhaus habe er eine Versuchung, und ihn<br />
um Rat bittet, würde der Pastor – außer ihn zu<br />
ermahnen – ihm sehr wahrscheinlich versprechen:<br />
„Ich bete für dich.” Aber wenn es kein Arzt<br />
wäre, sondern ein Künstler, könnte es durchaus<br />
sein, dass der geistliche Leiter ihm rät, dieses<br />
verlockende Leben zu verlassen, und ihm empfiehlt,<br />
stattdessen einem „ordentlichen” Beruf<br />
nachzugehen.<br />
Selten würde der Pastor so etwas einem Arzt,<br />
einem Lehrer oder einem Anwalt raten. Versuchungen<br />
gehören zum Menschsein, unabhängig<br />
vom Beruf. Sogar Hirten haben damit zu kämpfen.<br />
Meine Gemeinde betet jeden Donnerstag für<br />
mich. Ich empfehle Künstlern, sich in ihrer Kirche<br />
zu engagieren und ihren Platz dort zu finden<br />
und auszufüllen, und ermutige die Pastoren, ihre<br />
Künstler zu segnen.<br />
Künstler, wie andere Fachleute auch, können<br />
Orte erreichen, an die Pastoren in der Regel nicht<br />
kommen. Wir sind Licht und als solches müssen<br />
wir hoch platziert werden, damit wir gut sichtbar<br />
sind. Man schaltet ja auch nicht ein Licht an und<br />
stülpt dann eine Kiste darüber, sondern man stellt<br />
es auf einen Leuchter; dann leuchtet es allen.1<br />
Das tun Künstler, wenn sie auf die Bühne treten.<br />
Aber Christen sind nicht nur das Licht, sondern<br />
auch das Salz.<br />
30<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Salzig sein, was ist das?<br />
Wenn wir im Spanischen sagen, dass jemand „salzig”<br />
ist, meinen wir: Der hat Pep, ist sympathisch<br />
und hat Humor. Das Salz, im richtigen Maß, gibt<br />
der Suppe einen guten Geschmack. Sollte die<br />
christliche Botschaft nicht auch eine würzige<br />
Note haben? Ich sage nicht, dass wir sie verändern<br />
müssten; sie soll ganzheitlich vermittelt<br />
werden: vertikal und horizontal – wir dürfen nicht<br />
ihre „menschliche” Seite aus den Augen verlieren:<br />
Streuen wir doch ein wenig Humor drüber.<br />
Ich weiß nicht, wie die Kirche der Zukunft sein<br />
wird; meine Aufgabe ist es, ihren Leitern Hilfsmittel<br />
anzubieten. Als Pantomime trainiere ich<br />
mit Pastoren die Körpersprache. Das hilft ihnen,<br />
jene kleinen Gesten hinzuzufügen, die die Wörter<br />
brauchen, damit man die Botschaft hören und<br />
sehen kann.<br />
Mein Ziel ist nicht nur, dass sie besser predigen,<br />
sondern dass sie ihren eigentlichen Platz in<br />
der Kirche entdecken. Meiner Meinung nach ist<br />
ihr Platz nicht nur auf der Kanzel, sondern ganz<br />
nah bei den Leuten. Körpersprache ist nicht nur<br />
am Altar wichtig, sondern im Kontakt mit dem<br />
Einzelnen. Der Körperausdruck, die Präsenz sind<br />
Teil der Botschaft.<br />
Meine Arbeit tue ich nicht nur auf der Bühne,<br />
sondern auch anschließend, wenn ich ungeschminkt<br />
am Ausgang stehe und mit den Leuten<br />
Kontakt aufnehme – ein Händedruck, ein Lächeln,<br />
ein Autogramm …<br />
Ein Traum wird wahr<br />
Einmal hatte ich eine Aufführung in einem kleinen<br />
Dorf mit nur 300 Einwohnern. Der Pastor wollte<br />
jedes Jahr den Traum eines Einheimischen wahr<br />
machen; in diesem Jahr hatte er eine Gruppe von<br />
Teens gefragt: „Wer von euch hat einen Traum?”<br />
Ein Junge sagte: „Mein Traum wäre, dass Carlos<br />
Martínez hier bei uns auftritt.” Das Problem: Keiner<br />
außer dem Jungen wusste, wer Carlos Martínez<br />
war. Gut, dass es das Internet gibt, und zum<br />
Glück fanden auch der Bürgermeister und einige<br />
Geschäftsleute aus der Gegend diese Idee gut. Sie<br />
Foto: © Carlos Martínez<br />
entdeckten mich online, unterschrieben den Vertrag<br />
mit meiner Agentur und ließen mich in der<br />
Mehrzweckhalle auftreten. Am Ende der Vorstellung<br />
bat ich den Jungen auf die Bühne und überreichte<br />
ihm meine Handschuhe.<br />
Sieben Jahre später traf ich ihn wieder. Er war<br />
zum Mann geworden und schmiedete als Student<br />
der Ingenieurwissenschaften an seiner Zukunft .<br />
Ich fragte ihn nach der Aufführung damals, und<br />
er strahlte. Die Handschuhe habe er immer noch,<br />
zur Erinnerung daran, dass Träume wahr werden<br />
können.<br />
Wenn Pastoren und Künstler ein Team um sich<br />
haben und Menschen, die sich um die Zukunft<br />
kümmern, können sie sich besser der Gegenwart<br />
widmen, dem Heute, dem Hier und Jetzt.<br />
Das heißt: Sie erarbeiten nicht nur theologisch<br />
korrekte Predigten oder erschaffen authentische<br />
Kunstwerke, sondern sie streuen auch etwas Salz<br />
darüber, diese Prise Humor, dank der die Kirche<br />
sich mit einem Lächeln neu entdecken kann.<br />
So in die Gegenwart zu investieren, das sorgt<br />
für die besten Zukunftsaussichten.<br />
www.carlosmartinez.de<br />
1 Lukas 11,33.<br />
Wenn ich mit<br />
Pastoren Körpersprache<br />
trainiere,<br />
geht es nicht<br />
darum, dass sie<br />
besser predigen,<br />
sondern dass sie<br />
ihren eigentlichen<br />
Platz in der Kirche<br />
entdecken.<br />
Z für Zukunft<br />
31
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Vertrieb), f.brandenberg@care-concept.de<br />
32<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Ende Juni 2018 fand im hessischen Kirchheim der erste „Christus Convent Deutschland“<br />
(CCD) statt; 200 Leiter von von ca. 100 Kirchen, Bewegungen, Werken und<br />
Gemeinschaften aus vielen Konfessionen kamen zusammen. Der CCD ist das bisher<br />
breiteste Treffen christlicher Leiter in diesem Land und hat etwas wahrhaft Historisches:<br />
Sein Ziel ist Einheit – aber nicht durch Übereinstimmung in allen Punkten, sondern<br />
durch den Blick auf Christus, durch Liebe zueinander und die Bereitschaft zur<br />
gemeinsamen Mission.<br />
Peter Ischka<br />
Von den drei CCD-Tagen gäbe es viele<br />
Highlights zu berichten; ich konzentriere<br />
mich hier auf drei Schlüssel-<br />
Beiträge. Sollten diese „Ohren finden,<br />
die auch in der Lage sind zu<br />
hören“, hätten sie elementare Sprengkraft für<br />
Kirche und Gesellschaft.<br />
Johannes Hartl vermittelte, was in ihm brennt:<br />
eine Ahnung von einer Kirche der Zukunft, etwas,<br />
das in vielerlei Hinsicht anders sein werde, als<br />
wir es bisher gewohnt seien – etwas Wunderbares.<br />
Er ist überzeugt: Die Gestalt von Christentum<br />
und Kirche muss sich auf entscheidende und tiefgreifende<br />
Weise verändern und reformieren – und<br />
das wird sie auch.<br />
Aber was mag dieses Neue sein? Das fragte<br />
Hartl sich und im Gebet Gott und stieß auf die<br />
TV-Sendung „Sing meinen Song“; hier singen<br />
bekannte Popstars einander ihre Lieder vor und<br />
erzählen aus dem Leben – mit höchsten Einschaltquoten.<br />
Erstaunlich: Fast in jeder Sendung ging<br />
es irgendwie auch um Gott, und oft fiel das Wort<br />
„spirituell“. Patrick Kelly zum Beispiel erzählte<br />
ganz offen, wie er zum Glauben an Jesus Christus<br />
gefunden hat. Bezeichnend die Frage an Kelly:<br />
„Du bist Christ, aber trotzdem gut drauf!?“ – Welches<br />
Bild hat man da wohl vom Christentum?,<br />
stellte Johannes Hartl in den Raum.<br />
In Kreativität und Kunst, hier: bei Musikern,<br />
liegen Fragen nach dem Spirituellen und nach<br />
Gott sehr nahe. In den Sendungen flossen auch<br />
Tränen, offensichtlich gab es Raum für Nähe;<br />
dabei habe man das Gefühl, dass hier niemand<br />
verurteilt werde; es sei okay, Gefühle zu zeigen.<br />
Viele Lieder handeln von Schmerz und Verlust,<br />
Johannes Hartl ist deutscher<br />
katholischer Theologe, Buchautor,<br />
Referent, Liedermacher und<br />
Gründer und Leiter eines<br />
Gebetshauses in Augsburg<br />
Z für Zukunft<br />
33
Z-aktuell<br />
Ende Juni 2018 fand im<br />
hessischen Kirchheim<br />
der erste „Christus Convent<br />
Deutschland“ (CCD)<br />
statt; 200 Leiter von<br />
Kirchen, Bewegungen,<br />
Werken und Gemeinschaften<br />
aus vielen Konfessionen<br />
kamen zusammen.<br />
Wir sind in einem<br />
Transformationsprozess,<br />
weg vom<br />
kleinkirchlichen<br />
Mauerdenken<br />
und hin zum<br />
Reich Gottes<br />
Tod und Abschied. Für Hartl hat dieses Setting<br />
nahezu etwas Therapeutisches, es zeige jedenfalls<br />
starke Empathie und Mitgefühl. Sein Resümee:<br />
Wenn diese vier zusammenkommen, Spiritualität,<br />
„gut drauf sein“, Kreativität und Empathie,<br />
dann öffnen Menschen ihr Herz.<br />
Und dann fragt Hartl die Zuhörer, und er<br />
schont sie nicht: Finden wir diese vier Elemente<br />
auch unter Christen? Wenn sich jemand in Ihrer<br />
Stadt „spirituell“ auf die Suche begibt, wo geht er<br />
hin – geht er in eine Kirche? Wenn man im Internet<br />
Angebote zur Spiritualität sucht, ist die Antwort<br />
klar: Diesen Markt hat die Christenheit verloren.<br />
Sind es nicht die Christen, die besser drauf<br />
sind, oder warum erntet Paddy Kelly einen solchen<br />
Kommentar? Und wie steht es unter Christen<br />
mit dem Künstlerischen und der Kreativität?<br />
Hartl zitiert einen Freund, der ist Barkeeper auf<br />
Sylt bei den Schönen und Reichen: „Das Leben<br />
meiner Freunde ist sinnlos und leer, aber alles,<br />
was sie machen, ist klasse. Wenn sie ein Hotel<br />
führen, gibt es dort super Service, sie sind<br />
freundlich, das Essen ist toll und alles sieht gut<br />
aus. Ihr Christen redet immer von Freundlichkeit<br />
und Schönheit, aber das Personal ist unfreundlich,<br />
die Tischdecken sind hässlich, das Essen<br />
schlecht und dann ist es nicht einmal billig.“<br />
Betroffen schaut Hartl in die Runde; dann die<br />
letzte seiner Fragen: Wenn du auf der Straße fragen<br />
würdest, wo die Leute hingehen würden,<br />
wenn es ihnen mies geht, also bei wem sie sich<br />
sicher sein könnten, dass sie nicht verurteilt würden<br />
– was würden sie dir antworten? „Zu den<br />
Christen“? Oder würden sie sagen: „Zu meinen<br />
schwulen Freunden, die verstehen mich; Christen<br />
würden mir eher erklären, was ich alles falsch<br />
gemacht habe“?<br />
Deshalb betont Hartl: Unsere Welt schreit<br />
nach Angenommensein, sie sehnt sich nach Hoffnung<br />
und wahrer Freude und sie ist für Geistliches<br />
grundsätzlich offen. Dann stellt er die entscheidende<br />
Frage: Was würden wir erleben, wenn<br />
diese vier Bereiche zusammenwirken, Spiritualität,<br />
„gut drauf sein“, Kreativität und Empathie?<br />
Ernsthaft: Es reicht natürlich nicht, einfach nur<br />
gut drauf und nett zu sein.<br />
Johannes Hartl, ein Reformator unserer Zeit,<br />
fasst seine Perspektiven nicht in 95 Thesen, sondern<br />
in eine einzige: „Wenn Spiritualität, ‚gut<br />
drauf sein‘, Kreativität und Empathie zusammenkommen,<br />
erleben wir die Kultur des Reiches Gottes.<br />
– Wir sind in einem Transformationsprozess,<br />
weg vom kleinkirchlichen Mauerdenken und hin<br />
zum Reich Gottes. Es gibt nur eine Sache, die<br />
am Christentum attraktiv ist, nur eines, was Kirchen<br />
attraktiv macht: und das ist Jesus Christus!“<br />
Alle evangelikalen Freunde, die hier gerne einwenden:<br />
Aber, aber, Herr Hartl ist doch katholischer<br />
Theologe!, mögen sich in Erinnerung rufen:<br />
Luther war das auch.<br />
Für Hartl hat diese Transformation zwei entscheidende<br />
Fundamente: Wort Gottes und Gebet;<br />
nur auf diesem Fundament kann die Kultur des<br />
Reiches Gottes hervorkommen und sich zeigen<br />
in Spiritualität, „gut drauf sein“, Kreativität und<br />
Empathie. Das wäre ein radikales Gegenmodell<br />
zur Welt. Um jedes Missverständnis auszuräu-<br />
34<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
men: Wir wollen gerade keine niederschwellige<br />
Kopie der Welt produzieren, sondern das glatte<br />
Gegenteil, denn nur das Echte erfüllt die tiefsten<br />
Sehnsüchte der Menschen.<br />
Johannes Hartl ist sich sicher, dass das Evangelium<br />
nichts an Kraft verloren hat; seiner Meinung<br />
nach wird es nur zu selten verkündigt und dort,<br />
wo es verkündigt wird, steht das Gesagte oft in<br />
krassem Gegensatz zu dem, was der Hörer erlebt.<br />
Laut Hartl schreit diese Generation: „Wir wollen<br />
das Reich Gottes erleben, nicht in Worten, sondern<br />
in Kraft – wie damals bei den ersten Christen!“<br />
Die Welt sehnt sich nicht nach Kirche, sehr<br />
wohl aber nach dem Reich Gottes; Hartl zitiert<br />
aus dem Römerbrief: Die ganze Schöpfung wartet<br />
darauf, sehnt sich danach, dass die Söhne Gottes,<br />
die sein Reich verkörpern, sichtbar werden. 1<br />
Die Teilnehmer des CCD fordert er heraus zu<br />
überlegen: Wie wäre es, wenn wir dem Herrn sagten,<br />
dass wir dem, was er an Neuem tut, nicht im<br />
Wege stehen wollen?<br />
Was Gewinn schien,<br />
als Verlust verbuchen<br />
Frau Prof. Mihamm Kim-Rauchholz doziert<br />
an der Internationalen Hochschule Bad Liebenzell.<br />
Sie wirft zwei Themen ins Feld; damit hat<br />
das Neue Testament immer schon für Zündstoff<br />
gesorgt: Tischgemeinschaft und Heidenmission –<br />
oder: Die Öffnung des Evangeliums über nationale<br />
Grenzen hinweg. An den aktuellen Schlagwörtern<br />
Außengrenzen, Obergrenzen, ausgrenzen und<br />
eingrenzen haben sich schon hochrangige Nachfolger<br />
Jesu der ersten Stunde wundgerieben.<br />
Prof. Kim-Rauchholz hatte entdeckt, dass von<br />
allen neutestamentlichen Autoren besonders Paulus<br />
über die Kulturen und Grenzen hinweg das<br />
Evangelium brachte, von Syrien bis nach Italien,<br />
vielleicht sogar bis nach Spanien. Das faszinierte<br />
sie; aber warum ausgerechnet Paulus? Warum er,<br />
der nach eigenen Angaben so überzeugt war von<br />
seiner eigenen Religion, seinem eigenen Volk und<br />
seinen eigenen Werten , dass er sogar bereit war,<br />
andere dafür zu töten?<br />
Prof. Kim-Rauchholz sieht verschiedene Gründe<br />
dafür; eine entscheidende Voraussetzung hat die<br />
Theologin in ihrer Radikalität immer wieder fasziniert<br />
– Paulus formuliert sie in einem Brief über<br />
sich selbst so: „Alles, was mir Gewinn war,<br />
habe ich als Schaden erachtet, als Kot, damit<br />
ich Christus gewinne; ja wirklich, ich erachte<br />
alles als Verlust um der unübertrefflichen<br />
Größe willen der Erkenntnis Jesu Christi,<br />
meines Herrn.“ 2<br />
Faszinierend für Frau Kim-Rauchholz ist: Paulus<br />
verwirft nicht seine schlechten Eigenschaften,<br />
seine Sünden; nein, er verwirft das, was uns<br />
erstrebenswert scheint, was uns in dieser Welt<br />
Vorsprung verschafft: unsere Bildung, unser Titel,<br />
unsere Position, unsere Prägung, unsere Traditionen,<br />
unsere Werte und Tugenden. Alles, was<br />
unsere Identität ausmacht.<br />
Wenn sich jemand etwas einbilden könnte auf<br />
seinen Status, dann Paulus: eindeutige Abstammung<br />
aus dem Volk Israel, ein Oberpharisäer,<br />
nach dem Gesetz fehlerlos. 3<br />
Titel, Positionen, Tradition: „Was mir Gewinn<br />
war“, erachtet Paulus als Dreck – diese radikale<br />
Botschaft hörten Bischöfe, Priester, Pastoren<br />
und Leiter der koptischen, orthodoxen, römischkatholischen,<br />
lutherischen, evangelikalen und<br />
Pfingst-Kirche aus dem Munde einer Frau, die<br />
einen Kopf kleiner ist als viele von ihnen.<br />
Das Statement von Paulus fordert die Entscheidung,<br />
Christus über alles zu stellen. Ihn, Paulus,<br />
hatte es jedenfalls alles gekostet: seine Kultur,<br />
seine Karriere in der religiösen Oberschicht, sein<br />
Ansehen, seine Identität und am Ende auch das<br />
Leben. Aber das gab ihm die Kraft, als einst glühender<br />
Verfechter seiner eigenen Religion und<br />
Nationalität die berühmten Worte an die Galater zu<br />
schreiben: „Hier ist nicht Katholik, noch Lutheraner,<br />
nicht Evangelikaler noch Pfingstler, auch nicht<br />
Toilettenputzer noch Bischof, hier ist auch nicht<br />
Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in<br />
Jesus Christus.“ 4 (Alle linksliberal-gegenderten Illusionen<br />
in so manchen Kirchen könnten dadurch mit<br />
einem Schlag wirksam beantwortet werden.)<br />
Mit ruhiger Stimme unterstreicht Prof. Kim-<br />
Rauchholz: „Mit weniger als dem, was Paulus hier<br />
schreibt, nämlich der radikalen Fokussierung auf<br />
Jesus Christus, können wir den Herausforderungen<br />
unserer Zeit nichts Substanzielles entgegenstellen.“<br />
Es geht um unsere Identität in Christus.<br />
Mihamm Kim-Rauchholz<br />
ist eine koreanische Theologin<br />
mit einem Lehrstuhl für Neues<br />
Testament und Griechisch an<br />
der Internationalen Hochschule<br />
Liebenzell (IHL)<br />
Titel, Positionen,<br />
Tradition: „Was<br />
mir Gewinn war“,<br />
als Verlust erachten<br />
– diese radikale<br />
Botschaft<br />
hörten Bischöfe,<br />
Priester, Pastoren<br />
auf dem CCD –<br />
um die Identität<br />
in Christus zu<br />
finden.<br />
Z für Zukunft<br />
35
Z-aktuell<br />
Der Fokolare-<br />
Bewegung ist<br />
es gelungen,<br />
Bischöfe<br />
aus allen<br />
Bischofskirchen<br />
zu sammeln<br />
Foto:: 2014 in Rom © SegVes<br />
Christian Krause<br />
ist evangelischer Theologe<br />
und ehemaliger Landesbischof<br />
der Evangelisch-Lutherischen<br />
Landeskirche in Braunschweig<br />
mit Sitz in Wolfenbüttel. Von<br />
1997-2003 Präsident des<br />
lutherischen Weltbundes<br />
Die bunten Bischöfe<br />
Bischof Christian Krause, Präsident des lutherischen<br />
Weltbundes (von 1997-2003), hat zusammen<br />
mit Kardinal Edward Idris Cassidy am 31.<br />
Oktober 1999 in Augsburg die „Gemeinsame<br />
Erklärung der Rechtfertigungslehre“ unterzeichnet.<br />
Dahinter standen immerhin 30 Jahre Dialog,<br />
in dem sich die Partner nichts geschenkt hatten.<br />
Bischof Krause erzählte von seinen Begegnungen<br />
mit Papst Johannes Paul II., die maßgeblich dazu<br />
beitrugen, dass die massiven Widerstände auf<br />
katholischer Seite gegen diese Erklärung überwunden<br />
werden konnten; auf der evangelischen<br />
Seite, so betonte er, waren es nur die Deutschen,<br />
die dagegen aufmarschierten.<br />
Damals entdeckte Krause die Fokolare-Bewegung<br />
mit Chiara Lubich und ihren vielen Jugendlichen;<br />
dieser Bewegung ist es gelungen, Bischöfe<br />
aus allen Bischofskirchen zu sammeln. Bischof<br />
Krause nennt sie die „bunten Bischöfe“. Sie sind<br />
nicht nach Hierarchie ausgewählt, sondern nach<br />
einem Gleichklang, diese Bischöfe der ost-orientalischen<br />
Kirchen, der Ostkirchen, der Anglikaner,<br />
der Katholiken und Lutheraner sowie der<br />
Methodistenkirche. Bischof Krause ist einer von<br />
etwa 50, die sich jedes Jahr an irgendeiner Stelle<br />
treffen, von der sie meinen, dass das Zeugnis dort<br />
wichtig sei. Sie geben keine Erklärung ab, sie sind<br />
einfach da, zum Beispiel an der Seite der Kopten<br />
in Kairo. Die „bunten Bischöfe“ kann man nicht<br />
übersehen, wenn sie auf der Straße marschieren.<br />
Letztes Jahr waren sie in Polen, um mit ihren<br />
Geschwistern über Europa zu reden; vor einigen<br />
Jahren waren sie in Istanbul und sie haben im<br />
letzten Augenblick Damaskus besucht.<br />
Diese Bischöfe verbindet eines: Jedes Mal, wenn<br />
sie sich treffen, schließen sie einen Pakt gegenseitiger<br />
Liebe. Ihr Gelübde sprechen sie jedes Jahr aufs<br />
Neue: „Im Namen Jesu vereint versprechen wir<br />
uns für das ganze Leben, dass wir vor allem und in<br />
allem einander lieben wollen, wie Jesus uns geliebt<br />
hat. Schenke uns, Vater, die Gnade, in deinem Geist<br />
so miteinander eins zu werden, dass das Kreuz des<br />
einen das Kreuz des anderen ist, die Freude des<br />
einen die Freude des anderen, die Sehnsucht des<br />
einen die Sehnsucht des anderen, damit alle eins<br />
seien und die Welt staune.“ Sie unterzeichnen dieses<br />
Gelübde feierlich und halten einen Gottesdienst<br />
– zusammen mit vielen Menschen, und er endet in<br />
einem Freudenfest.<br />
Bischof Krause erinnert sich: „Früher dachte<br />
ich: Und wenn einer dabei ist, den ich nicht leiden<br />
kann? Das könnte ja vorkommen in so einer<br />
großen Gruppe. Aber das ist nie so gewesen. Im<br />
Gegenteil, wir sind zueinandergekommen und es<br />
ist immer wieder eine große Freude, wenn wir<br />
uns sehen, denn das gilt: Dein Kreuz ist mein<br />
Kreuz, deine Freude ist meine Freude.“<br />
Fazit dieser drei Schlüssel-Beiträge<br />
Die Welt sehnt sich nicht nach Kirche, sehr wohl<br />
aber nach dem Reich Gottes – und das nicht in<br />
Worten, sondern in Kraft 5 . Was sich u. a. im Vierklang<br />
von Spiritualität, „gut drauf sein“, Kreativität<br />
und Empathie zeigt. Das Reich Gottes tritt in<br />
Erscheinung nicht als billige Kopie der Welt, sondern<br />
als radikales Gegenmodell.<br />
Die Gestalt von Christentum und Kirche wird,<br />
ja muss sich auf entscheidende und tiefgreifende<br />
Weise verändern und reformieren. In vielerlei<br />
Hinsicht wird sie anders sein, als wir es gewohnt<br />
waren.<br />
36<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Das Gewohnte, das wir bisher für Gewinn<br />
erachtet haben, wird gelegentlich als Schaden<br />
erkannt werden, um Christus zu gewinnen. Wenn<br />
unsere Bildung, unser Titel, unsere Positionen,<br />
unsere Prägungen, unsere Traditionen, unsere<br />
Werte und Tugenden unsere Identität ausmachen<br />
und nicht Christus, dann ist es, in der Radikalität<br />
von Paulus ausdrückt, scheiße! Mit weniger als<br />
dem, was Paulus in Philipper 3 schreibt, mit weniger<br />
als einer radikalen Fokussierung auf Jesus<br />
Christus, werden wir den Herausforderungen<br />
unserer Zeit nichts Substanzielles entgegenhalten<br />
können. Es gibt nur eines, was am Christentum<br />
attraktiv ist, nur eines, was Kirche attraktiv<br />
macht: Jesus Christus! Wer seine Identidät in<br />
Christus hat, kann mir jemanden, der seine Identität<br />
in Christus hat eins sein.<br />
Nehmen wir uns, auf welcher Ebene auch immer,<br />
an den „bunten Bischöfen“ ein Beispiel: „Wir wollen<br />
vor allem und in allem einander lieben. Lasst<br />
uns im Geist Gottes so miteinander eins werden,<br />
dass das Kreuz des einen das Kreuz des anderen<br />
ist, die Freude des einen die Freude des anderen,<br />
die Sehnsucht des einen die Sehnsucht des anderen,<br />
damit wir eins seien und die Welt staune.“<br />
Die Welt wird auch deshalb staunen, weil sie<br />
erlebt: Da kommt Reich Gottes und da geschieht<br />
Gottes Wille. Es erfüllt sich, was wir immer schon<br />
im Vaterunser gesprochen haben. So nebenbei<br />
wird dann Spiritualität, „gut drauf sein“, Kreativität<br />
und herzliche Empathie erlebt, wie es die<br />
Welt nicht bieten kann. Das könnten die Konturen<br />
einer Kirche der Zukunft sein.<br />
1 Römer 8,19.<br />
2 Philipper 3,7–8.<br />
3 Philipper 3,5–6.<br />
4 Galater 3,28 (freie Wiedergabe der Redaktion).<br />
5 1 Korinther 4,20<br />
„Einheit“, ein Thema, über das große Uneinigkeit herrscht.<br />
Eines aber ist sicher: Es gibt jemanden, der tut alles, um sie zu<br />
verhindern. Wo ihm das nicht gelingt, erzeugt er die schillernsten<br />
Imitationen von Einheit.<br />
In dem Buch kommen wir dem näher, was Jesus meinte, als er von<br />
Einheit sprach. Worum hat er in Johannes 17 eigentlich gebetet?<br />
– Erstaunlicher Weise nicht um Einheit. Er hat um drei andere<br />
Dinge gebetet, damit dadurch Einheit überhaupt erst möglich<br />
wird. Versäumen wir diese drei Dinge, bleibt Einheit weiterhin ein<br />
Traum. Wir sollten auch dieses Gebet Jesu, als Prototyp wie das<br />
Vaterunser verstehen.<br />
In dem Buch finden sie eine Anleitung für ihr persönliches „Einheits-<br />
Entwicklungs-Labor“ und ganz konkrete Hinweise, wo Einheit<br />
anfängt und wie Einheit in ihrer Stadt aktiviert werden<br />
kann. – Sie selbst spielen dabei eine Schlüsselrolle!<br />
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Z für Zukunft<br />
37
Z-aktuell<br />
Fotos: © Afrikanerin:<br />
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Araber: Pixabay, ArmyAmber<br />
Südamerikaner:<br />
wikipedia, Cacophony<br />
Chinesin: Pixabay,<br />
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Sind Sie auch Christ?<br />
Entschuldigen sie diese indiskrete Frage. Der persönliche Glaube gehört inzwischen ja<br />
zum Intimbereich. Wir wurden christlich sozialisiert und weil wir in eine christlich geprägt<br />
Kultur hineingeboren wurden, zählen wir uns einfach dazu. Aber stimmt denn das?<br />
Erkennen Sie<br />
die Christen<br />
aus Afrika, dem<br />
Nahen Osten,<br />
Südamerika und<br />
China?<br />
Früher war das noch deutlicher: Wessen<br />
Glauben der Fürst, so auch das<br />
Volk. Wer anders glaubte, sollte besser<br />
das Land wechseln. Nach siegreichen<br />
kriegerischen Auseinandersetzungen<br />
wurden ganze Völker annektiert und<br />
Zwangstaufen, christianisiert. Niemand hat sie<br />
nach einer Überzeugung gefragt. Die meisten<br />
wussten gar nicht worum es ging.<br />
Das passiert bis heute, nur sicher etwas<br />
freundlicher. Aber damals, als sie als Baby rituell<br />
befeuchtet wurden, hat sie genauso keiner<br />
gefragt, ob sie das wollen, wie damals im 17 Jh.<br />
Bei Kirchenstatistiken gibt es die Rubrik „Austritte”<br />
und dem gegenüber werden in einer Spalte<br />
„Taufen” aufgeführt. Wenn die Zahl der Austritte<br />
und der Taufen ausgeglichen sind, simuliert das<br />
Zufriedenheit. Diese Art von Taufe kann so quasie<br />
38<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
als eine ungefragte Mitgliederrekrutierung, als<br />
Neuzugänge verstanden werden.<br />
Konkret: Köksal, der Teppichhändler<br />
Bei einem Türkei-Aufenthalt freundete ich mich<br />
mit einem Teppichhändler im Basar an. Er war<br />
muslimisch sozialisiert – keiner würde von so<br />
jemandem erwarten, dass er sich für einen Christen<br />
hält. Über seine alten Teppiche kamen wir<br />
dann auch auf das Christentum zu sprechen, ist<br />
doch die antike Türkei dessen Wiege.<br />
Eines Nachts hatte Köksal 1 einen Traum: Er<br />
sah sich am Boden liegen, in Ketten gefesselt; vor<br />
ihm eine Person, hell gekleidet, und ich stand an<br />
der Seite. Mit der Hand wies der Mann in Weiß<br />
auf den Teppichhändler und aus der Handinnenfläche<br />
kam ein starker Lichtstrahl, der die Ketten<br />
sprengte. Dann wies er auf mich: „Den Weg, den<br />
er geht, den gehe!”<br />
Als wir uns das nächste Mal trafen, wollte<br />
Köksal unbedingt wissen, welchen Weg ich gehe;<br />
der Traum bewegte ihn immer noch. Ich erklärte<br />
ihm, dass ich Jesus nachfolge – er ist sozusagen<br />
der Regierungschef in meinem Leben. „Wenn du<br />
auch diesen Weg gehen möchtest, brauchst du so<br />
etwas wie einen Wechsel der Staatsbürgerschaft:<br />
Du musst den Herrschaftsbereich des Islams verlassen<br />
und Staatsbürger im Reich Gottes werden;<br />
dort regiert Jesus, den du im Traum gesehen<br />
hast. Der übrigens alle Autorität im Himmel und<br />
auf der Erde hat.” 2<br />
Der Traum war für ihn so deutlich gewesen, ja,<br />
unbedingt, diesen Weg wolle er gehen. So knieten<br />
wir uns auf den schönen Teppichen nieder<br />
und Köksal bat um Vergebung dafür, dass er bisher<br />
unter anderer Herrschaft war, und für alles,<br />
was aus dieser Abhängigkeit heraus schiefgelaufen<br />
ist – und nahm die Erlösung, die Jesus am<br />
Kreuz erwirkt hat, für sich in Anspruch. Er erbat<br />
und erhielt Vergebung; er übergab Jesus die Herrschaft<br />
über sein Leben und lud den Heiligen Geist<br />
ein, ihm zu helfen, Jesus nachzufolgen. Anschließend,<br />
um das freudige Ereignis zu feiern, nahmen<br />
wir das Herrenmahl: „Nehmt das Brot, es steht<br />
für meinen Leib, der für euch gegeben wurde,<br />
sagte Jesus. Nehmt den Wein, er steht für das Blut<br />
des Bundes, das für euch vergossen wurde. Damit<br />
ihr so richtig mit mir im Bunde stehen könnt.” 3<br />
Etwas später ließ Köksal sich im Meer taufen,<br />
als Ausdruck seiner Entscheidung – durch komplettes<br />
Untertauchen identifizierte er sich mit<br />
dem Tod von Jesus: mitgestorben! Im Auftauchen<br />
drückte er aus: Ich habe Anteil am Auferstehungsleben<br />
von Jesus. 4 Nachdem Köksal aus dem Wasser<br />
aufgetaucht war, zitierte er etwa fünfzehn Minuten<br />
lang Bibelstellen, die er zuvor noch nie gelesen<br />
oder gehört hatte – das war wie eine prophetische<br />
Aussicht auf das, was er bald erleben sollte, und<br />
das war alles andere als ein Spaziergang! Wenn ein<br />
Muslim sich zu Jesus, dem Sohn Gottes, bekehrt,<br />
hat das oft schlimme Folgen. Köksal kam nur ins<br />
Gefängnis, aufgrund falscher Anschuldigungen.<br />
(Das ist eine Geschichte für sich, zu lesen in dem<br />
Buch „Auf der Suche nach Kraft”).<br />
Ich erzähle diese Geschichte, weil sie so klar<br />
zeigt, wie jemand Christ wird. In Köksals Fall verstehen<br />
wir das. In unseren Breiten aber hält man<br />
sich oft für einen Christen, ohne tatsächlich einer<br />
zu sein, und aufgrund dieses Missverständnisses<br />
wird die Einladung, Christ zu werden, häufig<br />
ausgeschlagen: „Was wollen Sie, ich bin doch<br />
Christ … ich bin ja Mitglied in der …” Schön und<br />
gut, aber man hat nicht die „Staatsbürgerschaft”<br />
gewechselt und ist somit nicht Bürger dieses Reiches,<br />
in dem Jesus regiert.<br />
Ein neuer Pass<br />
Das Bild von einer neuen Staatsbürgerschaft<br />
veranschaulicht den Sachverhalt recht gut. Ein<br />
Flüchtling verlässt seine Heimat, weil er Diktatur<br />
und Unterdrückung entfliehen will, und sucht<br />
sich ein Land, das ihm Freiheit gewährt. Wenn er<br />
die Einbürgerung bekommt, erhält er einen neuen<br />
Pass. Alle Einträge im alten Pass, die ihn belasten<br />
würden, sind nicht mehr vorhanden. Er<br />
hat sozusagen eine neue Identität. 5<br />
Der Vater im Himmel hat uns errettet<br />
aus dem Machtbereich der Finsternis und<br />
uns versetzt in das Reich seines geliebten<br />
Sohnes, in dem wir die Erlösung haben,<br />
nämlich die Vergebung der Sünden. 6<br />
Von einem<br />
Teppichhändler<br />
in einem<br />
türkischen Basar,<br />
würde niemand<br />
erwarten, dass<br />
er sich für einen<br />
Christen hält<br />
Die ganze Geschichte über Köksal<br />
lesen Sie in diesem Buch mit<br />
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Z für Zukunft<br />
39
Z-aktuell<br />
Ian McCormack berichte<br />
von seinen Erfahrungen<br />
nach dem er gestorben war<br />
Foto © Agentur PJI<br />
Nach Kant<br />
haben wir<br />
uns in der<br />
Aufklärung<br />
von einer selbstverschuldeten<br />
Bevormundung<br />
befreit, einer<br />
höheren<br />
Ordnung<br />
über uns<br />
Buch und DVD<br />
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Tappen im Dunkeln<br />
Der westeuropäische Kulturkreis wurde in den<br />
letzten Jahrhunderten von einem humanistischen<br />
und zunehmend atheistischen Denkkonzept<br />
geprägt: der Mensch sieht sich als das Maß aller<br />
Dinge, als Gott. Nach Immanuel Kant haben wir<br />
uns in der Aufklärung von einer selbstverschuldeten<br />
Bevormundung befreit, einer höheren Ordnung<br />
über uns, also Gott. Die „Vernunft” wurde<br />
dabei zu neuen Religion erhöht.<br />
Auch wenn eine Mehrheit behauptet: „Es gibt<br />
keinen Gott”, hat das auf die Wirklichkeit seiner<br />
Existenz keinen Einfluss. Einer meiner Professoren<br />
sagte öfters: „Die Masse ist blöd!” Ich weiß nicht,<br />
ob er recht hat, aber solche Denkkonzepte oder<br />
Festlegungen hindern natürlich daran, Wirklichkeiten<br />
zu erkennen, die unseren Horizont übersteigen.<br />
Die Ursache liegt in eben in dieser Finsternis,<br />
über die der Apostel Paulus an seine Freunde in<br />
Kolossä schreibt: 5 „Sie tappen im Dunkeln …”<br />
Erscheint es nicht anmaßend, aus einer niedrigen<br />
Ordnung eine höhere erklären zu wollen?<br />
Also: wenn Menschen Gott erklären wollen? Wäre<br />
es nicht vernünftiger, die Erklärungen heranzuziehen,<br />
die Gott über sich verfügbar gemacht hat?<br />
Eine nüchterne Entscheidung<br />
Durch die rituelle Befeuchtung eines Babys wird<br />
man nur Mitglied einer kirchlichen Organisation,<br />
aber nicht Bürger des Reiches Gottes.<br />
Mit aller Bestimmtheit sagte Jesus zu einem<br />
Theologen seiner Zeit: „Wenn jemand nicht von<br />
Neuem (d. h. geistlich) geboren wird, kann er das<br />
Reich Gottes nicht sehen – für ihn bleibt es finster.<br />
Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass<br />
er seinen einzigen, in dieser Art geborenen Sohn<br />
gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren<br />
geht, sondern ewiges Leben hat. Wer an den<br />
Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem<br />
Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen,<br />
wegen der Abwesenheit Gottes in ihm.” 7<br />
Christ zu werden, das bedarf der freiwilligen<br />
Entscheidung, die „Staatsbürgerschaft” zu wechseln;<br />
der Neubürger wechselt vom Reich der<br />
Finsternis dieser Welt zum Reich der Liebe. Wer<br />
bewusst sagt: „Gott, dein Reich komme in meinem<br />
Leben! Dein Wille geschehe durch mich” 8 ,<br />
der begibt sich aktiv unter den Einfluss des Königs<br />
Jesus Christus. Und wer sich unter seine Regierung<br />
stellt, wird Bürger seines Reiches. Ganz<br />
logisch. Und er akzeptiert die dazugehörende Verfassung,<br />
die in der Bibel zugrunde gelegt ist.<br />
Das ist kein frommer Gefühlsdusel; hier ist<br />
eine ganz nüchterne Entscheidung gefragt: Ich<br />
komme vom Herrschaftsbereich des Fürsten dieser<br />
Welt unter die Herrschaft von Jesus Christus.<br />
– Treffe ich diese nüchterne Entscheidung nicht,<br />
bleibe ich weiterhin unter dem Einfluss des bisherigen<br />
Regimes, ob mir das bewusst ist oder nicht.<br />
Sterbe ich unter dieser Herrschaft, bin ich auch<br />
danach unter diesen Machtverhältnissen.<br />
Die Drohung mit der Hölle: „Wenn du nicht<br />
glaubst …” vor dem Hintergrund eines strafenden,<br />
bösen Gottes erzeugt ein völlig verzerrtes,<br />
falsches Bild. Nicht Gott straft, sondern jeder<br />
bestraft sich selbst, wenn er zu blöd ist (oder zu<br />
stolz), diesen jedem zugänglichen Herrschaftswechsel<br />
zu vollziehen.<br />
Konkret: Sunnyboy auf Mauritius<br />
Der aufgeklärte Mensch sieht sich über diesen<br />
Dingen stehend, das meint er zumindest. Himmel<br />
und Hölle schickt er in die Märchenabteilung.<br />
Mein Freund Ian starb bei einem Tauchunfall;<br />
er wurde von fünf Nesseln eines der giftigsten<br />
Lebewesen getroffen, der Würfelqualle. Nachdem<br />
40<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
er gestorben war, hatte er Einblick in Himmel und<br />
Hölle nehmen können. Zuvor war er alles andere<br />
als fromm gewesen; man kann also nicht sagen,<br />
er hätte nur die Projektion seiner Wunschvorstellungen<br />
wahrgenommen.<br />
Auf dem Seziertisch des Krankenhauses kam<br />
er ins Leben zurück; inzwischen hat er Abertausenden<br />
davon berichtet.<br />
Ian hatte das Leben genossen: Als Sunnyboy<br />
ging er vor Mauritius surfen; die anderen großen<br />
Themen seines Lebens waren „Sex, Drugs and<br />
Rock’n’Roll”.<br />
Er wusste, dass ein Schlag von der Würfelqualle<br />
tödlich ist. In seinem Todeskampf erinnerte<br />
er sich an die Worte seiner Mutter: „Wenn<br />
du in Not bist, ruf zu Jesus.” Aber er hatte keine<br />
Ahnung, was er da rufen sollte. Im Rettungswagen<br />
erschienen ihm die Worte des Vaterunsers<br />
vor seinen Augen: „Dein Reich komme … Dein<br />
Wille geschehe … Vergib mir meine Schuld, wie<br />
ich meinen Schuldnern vergebe …”<br />
Der Weg ins Krankenhaus dauerte zu lange.<br />
Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun.<br />
Er sah sich selbst dort liegen und entschwand<br />
in bedrückende, absolute Dunkelheit. Ein Lichtstrahl<br />
zog ihn heraus; er fand sich wieder vor<br />
einer Person, die so hell war, dass er nichts<br />
erkennen konnte; nur eine unbeschreibliche<br />
Liebe überwältigte ihn, die von dieser Person ausging.<br />
Er sah Landschaften, unglaublich schön.<br />
„Ich habe das nicht verdient”, dachte er bei sich<br />
und erhielt zur Antwort, sein Stoßgebet in letzter<br />
Minute habe alles verändert: „Du hast damit<br />
dieses Reich gewählt und du hast vergeben – und<br />
deshalb wurde auch dir vergeben.” 9<br />
Für seine Mutter war Ian der verlorene Sohn,<br />
der die Sünde liebte, und dieser Schmerz sollte<br />
von ihr genommen werden; Ian wollte, dass sie<br />
erfährt, dass sich sein Leben gravierend geändert<br />
hatte. So konnte er zurück in seinen Körper, aber<br />
nicht nur, um es seiner Mutter zu sagen; Tausenden<br />
und Abertausenden hat er seitdem bezeugt,<br />
dass der Himmel Realität ist. Am nächsten Tag<br />
verließ er das Krankenhaus, völlig wiederhergestellt.<br />
10<br />
Aber es geht dabei primär gar nicht darum,<br />
dass wir einmal in den Himmel kommen. Nur<br />
deshalb gläubig zu werden, wäre etwas zu kurz<br />
gedacht, sogar ein wenig egoistisch. Das mag verwundern,<br />
aber der Himmel ist nur eine logische<br />
Folgeerscheinung.<br />
Die Episode im Garten Eden<br />
Und Gott sprach: „Lasst uns Menschen machen<br />
nach unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen<br />
über die verschiedenen Lebewesen und über die<br />
ganze Erde. … Von jedem Baum des Gartens darfst<br />
du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten<br />
und Bösen nicht; denn an dem Tag, da du davon<br />
isst, musst du sterben!” Da sagte die Schlange zur<br />
Frau: „Keineswegs werdet ihr sterben! Sondern<br />
Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure<br />
Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie<br />
Gott, erkennend Gutes und Böses.”<br />
Sie aßen davon – da gingen beiden die Augen<br />
auf. Sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie<br />
bedeckten sich mit Feigenblättern. 11<br />
Was ist damals passiert? Parabel hin oder<br />
her, hier geht es um ein elementares Prinzip.<br />
Ursprünglich wurde dem Menschen die Erde<br />
als Herrschaftsgebiet übergeben; davon handelt<br />
diese Geschichte, doch Herrschaftsansprüche<br />
sind nicht „in Stein gemeißelt”, Regierungsautorität<br />
kann in andere Hände gelangen – durch Heirat,<br />
durch Siege oder auch durch Betrug.<br />
In der Anfangszeit war es für den Menschen völlig<br />
normal gewesen, Gott<br />
zu begegnen und mit ihm<br />
ganz direkt einige Worte<br />
zu wechseln. Es gab eine<br />
unmittelbare Beziehung<br />
(und diese Beziehung<br />
war es, die damals starb).<br />
„Sollte Gott gesagt<br />
haben?“ Diese Frage<br />
wird aus atheistischhumanistischer<br />
Perspektive<br />
auch heute jeden Tag<br />
gestellt – damals nahm<br />
sie ihren Anfang.<br />
Sollte Gott<br />
gesagt haben?<br />
... Nein, wenn<br />
ihr von dieser<br />
Frucht esst,<br />
werdet ihr nur<br />
Humanisten,<br />
sein wie Gott<br />
Bild: Ausschnitt aus<br />
„Adam und Eva im Garten<br />
Eden“, Lucas Cranach d. Ä.:<br />
Z für Zukunft<br />
41
Z-aktuell<br />
Es wurde nicht<br />
nur den Schuldschein<br />
des Einzelnen<br />
eleminiert,<br />
sondern<br />
Machtverhältnisse<br />
wurde völlig auf<br />
den Kopf gestellt<br />
Dem Menschen war die Herrschaft über die<br />
Erde gegeben, aber Satan wollte sie unbedingt<br />
selber haben. Was tun? Er schlug einen äußerst<br />
linken Deal vor: verbotene Frucht essen gegen<br />
eine Art Neuprogrammierung mit Bewusstseinserweiterung:<br />
„Keineswegs werdet ihr sterben!<br />
Eure Augen werden geöffnet und ihr werdet sein<br />
wie Gott.” – Das Maß aller Dinge … Die Augen<br />
gingen ihnen jedenfalls auf – und was sahen sie?<br />
Dass sie nackt waren. – Super!<br />
Der Mensch hat sich übel austricksen lassen<br />
und sein Erbrecht für ein „Linsengericht” verkauft,<br />
– hat die Herrschaft über die Erde eingetauscht<br />
gegen den Genuss dieser ominösen<br />
Frucht. Die unmittelbare Beziehung zu Gott starb<br />
und Satan wurde zum „Fürsten dieser Welt”.<br />
Wie diesen linken Deal<br />
wieder rückgängig machen?<br />
In Anknüpfung an diese Katastrophe wird Jesus<br />
„der letzte Adam” genannt. 12 Durch seinen Tod am<br />
Kreuz und die Auferstehung hat er das Verlorene<br />
zurückgekauft. Darin steckt aber viel mehr, als<br />
üblicherweise gesehen wird! In einer Ankündigung<br />
seines Todes zeigt Jesus, wie sehr alles auf diesen<br />
Fürsten dieser Welt abzielte: „Jetzt ist das Gericht<br />
dieser Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen<br />
werden. … Der Fürst dieser Welt<br />
kommt, aber in mir hat er keine Anrechte.“ 13<br />
Was hatte er nicht, dieser „Fürst dieser Welt“?<br />
Er hatte keinen Deal mit Jesus, es gab kein Vertragsverhältnis,<br />
worauf er hätte Anspruch erheben<br />
können. Durch diesen ursprünglichen „linken Deal“<br />
waren zunächst die ersten Menschen, „der erste<br />
Adam“, und anschließend die ganze Menschheit<br />
in einer Vertragsabhängigkeit gefangen. Jesus als<br />
„der letzte Adam“ aber war davon frei und konnte<br />
deshalb nicht korrumpiert werden. Dadurch hatte<br />
Jesus Christus das volle Recht und die Möglichkeit,<br />
die Menschheit aus dieser tödlichen Abhängigkeit<br />
herauszukaufen und uns das ursprüngliche Recht,<br />
über die Erde zu herrschen, zurückzugeben.<br />
Der Apostel Paulus hat das zutiefst erkannt:<br />
„Ihr wart tot in euren Verfehlungen, in denen ihr<br />
unterwegs wart gemäß dem Zeitgeist dieser Welt,<br />
gemäß seinem Fürsten, als Söhne des Ungehorsams.“<br />
14 Das Evangelium will uns nicht in erster<br />
Linie nicht nur der Konsequenz unserer Sünden<br />
entheben (das natürlich auch); es bezweckt<br />
vor allem die Veränderung von Machtverhältnissen;<br />
Sündenvergebung ist dabei eine notwendige<br />
Nebenwirkung! „Er hat uns errettet aus den<br />
Machtverhältnissen der Finsternis und uns versetzt<br />
in den Herrschaftsbereich des Sohnes seiner<br />
Liebe; dadurch haben wir auch die Erlösung von<br />
den Verfehlungen unserer Sünden im Beipack.“ 15<br />
Paulus selbst hat seinen Auftrag so beschrieben:<br />
„… den Menschen die Augen zu öffnen, dass<br />
sie sich von der Finsternis zum Licht und von dem<br />
Machtanspruch des Satans zu Gott bekehren,<br />
damit sie Vergebung der Sünden empfangen und<br />
ein Erbe im Reich Gottes.“ 16<br />
Den vollen Umfang verstehen<br />
Es fällt uns nicht leicht zu begreifen, wie umfassend<br />
das war, was Jesus Christus in Tod und Auferstehung<br />
erreicht hat; zu sehr sind wir geprägt<br />
von einem verkürzten Evangelium humanistischer<br />
Denkart.<br />
„Gottes Gerechtigkeit aber durch den Glauben<br />
an Jesus Christus gilt für alle, die glauben. Denn<br />
es ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und<br />
erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden<br />
umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade,<br />
durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“ 17<br />
Das war die umwerfende Erkenntnis des jungen<br />
Martin Luther – und sie ist unverzichtbar für<br />
jeden Einzelnen, der die Vergebung der Sünden<br />
42<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
zu erlangen sucht und die Rechtfertigung vor<br />
Gott. Wohlgemerkt: ohne Gegenleistung!<br />
So weit, so gut, und jedes Wort ist wahr. Aber<br />
die Auswirkung des Kreuzes ist weit umfassender,<br />
ja „universell“, ganz und gar systemverändernd.<br />
Jesus Christus hat nämlich nicht nur den<br />
Schuldschein eleminiert, der gegen uns gerichtet<br />
war, indem er ihn ans Kreuz nagelte; sondern vor<br />
allem hat er die Gewalten und die Mächte (des<br />
Fürsten dieser Welt) völlig entwaffnet und sie<br />
öffentlich blos gestellt. In Christus hat Gott den<br />
Triumph über diese Mächte voll ausgedrückt. 18<br />
Urteil und Vollstreckung<br />
Wenn wir uns nun die Weltlage anschauen, kommen<br />
wir in einen Konflikt; alles sieht schlimmer<br />
aus denn je, und man hat gar nicht den Eindruck,<br />
dass das Böse irgendwo entwaffnet wäre. Korruption<br />
und Terror scheinen sich auszubreiten. Hat<br />
Jesus Christus den Fürsten dieser Welt nun hinausgeworfen<br />
oder nicht?<br />
Der Autor des Hebräerbriefes gibt darüber<br />
Aufschluss: „Gott ließ nichts übrig, was er Christus<br />
nicht unterworfen hätte. Jetzt aber sehen wir<br />
ihm noch nicht alles unterworfen.“ 19 An anderer<br />
Stelle heißt es: „Christus wartet, bis seine Feinde<br />
zu seinem Fußschemel gemacht werden.“ 20<br />
Das könnte man vergleichen mit dem Richter-<br />
Henker-Prinzip: Der Richter fällt ein Urteil, das<br />
aber bedarf der Vollstreckung. In der Zwischenzeit<br />
ändert sich für den Verurteilten nicht viel und<br />
auch nicht für die Geschädigten, die auf Gerechtigkeit<br />
hoffen.<br />
Daher ist es wichtig, dass das umfassende<br />
Evangelium Beachtung findet: Die Frohe Botschaft<br />
ist zunächst für jeden persönlich die Vergebung<br />
der Sünden und die Rechtfertigung aus<br />
Glauben; aber darüber hinaus und übergeordnet<br />
verkündet sie, dass der Fürst dieser Welt alles<br />
Recht an der Welt verloren hat und per Gerichtsurteil<br />
entmachtet ist. – Aber das Urteil muss zur<br />
Vollstreckung gebracht werde.<br />
Welche Rolle spielen wir?<br />
Gott will das Herrschaftsverhältnis, das bei der<br />
Schöpfung ursprünglich vorgesehen war, wiederherstellen:<br />
„Christus muss freilich im Himmel<br />
aufgenommen werden bis zu den Zeiten der Wiederherstellung<br />
aller Dinge, von denen Gott durch<br />
seine Propheten von jeher geredet hat.“ 21<br />
Jeder einzelne Mensch, der die Erlösung Jesu<br />
im Glauben für sich in Anspruch nimmt, also Christ<br />
im eigentlichen Sinne des Wortes geworden ist<br />
und die Veränderung der Herrschaftsverhältnisse<br />
erkennt und an sich vollzogen hat, nimmt die neue<br />
Staatsbürgerschaft des Reiches Gottes an. Wer<br />
„von Neuem“, also aus dem Geist Gottes geboren<br />
ist (hier wird das geboren, was damals im Garten<br />
gestorben war), der überwindet die Welt und wechselt<br />
die Machtverhältnisse – er ist also nicht mehr<br />
gleichförmig mit diesem Weltsystem, nicht mehr<br />
von ihm ferngesteuert. Diese „Wiedergeborenen“<br />
können über sich und Christus sagen: „Wir haben<br />
die Welt überwunden. Denn der, der in uns ist, ist<br />
größer und stärker als der, der in der Welt ist.“ <strong>22</strong><br />
Jesu Worte an Gott, seinen Vater, machen das<br />
noch deutlicher: „Ich habe ihnen dein Wort, das<br />
Evangelium vom Reich Gottes, weitergegeben;<br />
dafür hasst sie die Welt, weil sie ihr nicht gleichförmig<br />
sind, so wie auch ich nicht zur Welt gehöre.<br />
Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt herauszunehmen;<br />
aber ich bitte dich, sie vor dem Bösen zu<br />
bewahren. Sie gehören so wenig zur Welt, wie ich<br />
zur Welt gehöre. So wie du mich aus deinem Reich<br />
in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie als Vertreter<br />
meines Reiches in die Welt gesandt.“ 23<br />
Hier schließt sich der Kreis: „Wer überwindet,<br />
der wird mit mir auf dem Thron sitzen, wie<br />
auch ich überwunden und mich mit meinem Vater<br />
auf seinen Thron gesetzt habe.“ 24 Wer sitzt auf<br />
dem Thron? Üblicherweise der, der regiert. Der<br />
Mensch als Überwinder wäre dann wieder genau<br />
in der Position wie bei der ursprünglichen Auftragserteilung:<br />
„Sie sollen herrschen über die<br />
ganze Erde und über alle Lebewesen.” 25<br />
Total inkompatibel<br />
Aber alles, was gleichförmig ist mit dieser Welt, ist<br />
absolut inkompatibel mit dem Reich Gottes – und<br />
umgekehrt. Deshalb der energische Aufruf: „Seid<br />
nicht gleichförmig mit dieser Welt!” Jede Gleichförmigkeit<br />
bedeutet Kooperation mit dem Fürsten<br />
dieser Welt und nährt dessen unrechtmäßigen,<br />
längst verurteilten Herrschaftsanspruch. Er hat<br />
Welche Rolle<br />
spielen Sie<br />
in diesem<br />
Sachverhalt?<br />
Wer will nicht<br />
auf der<br />
Siegerseite<br />
stehen?<br />
Wer auf dem Thron sitzt,<br />
regiert üblicherweise.<br />
Die ursprünglichen<br />
Auftragserteilung soll wieder<br />
hergestellt werden: „Sie sollen<br />
herrschen über die ganze Erde<br />
und über alle Lebewesen.”<br />
Foto: © pinterest.de<br />
Z für Zukunft<br />
43
Muslime<br />
träumen von<br />
Jesus! Lesen Sie<br />
in diesem Buch<br />
tolle Berichte<br />
davon<br />
Z-aktuell<br />
nämlich nur die Macht, die ihm dummerweise eingeräumt<br />
wird von jenen Christen, die nur Mitläufer<br />
einer Organisation sind und das Evangelium nicht<br />
umfassend kennen. Aber wo immer ihm widerstanden<br />
wird, entzieht ihm das seine Macht; das lässt<br />
ihn zum Fußschemel werden.<br />
Ein spannender Bericht von Pilgerreisen auf den Spuren des Apostels Paulus. Sie<br />
werden zur Suche nach der Kraft des Glaubens und führen zu aufschlussreichen<br />
historischen Plätzen der ersten Christen in „Kleinasien“, der heutigen Türkei.<br />
Herrliche Panoramabilder begleiten den mitreißenden Text (80 Farb- und 34 s/w-Fotos).<br />
Der Leser spürt etwas von der Leidenschaft der ersten Christenheit.<br />
Geschichte und Gegenwart verschmelzen: Istanbul – Konstantinopel, das Tor zum<br />
Orient. Über Ankara geht es zu den tausend Höhlenkirchen in Kappadokien. Auch die<br />
Stätten der sieben apokalyptischen Gemeinden fehlen nicht.<br />
An der türkischen Südküste, wo die erste Reise des Paulus ihren Ausgang nahm,<br />
sollte Peter Ischka vieles selbst erleben, wovon in der Apostelgeschichte berichtet wird:<br />
Er bekommt den „Auftrag“, einen jungen Christen, der auf Grund seiner Bekehrung<br />
ins Gefängnis kam, daraus zu befreien. In diesem Buch lesen Sie, wie das Unmögliche<br />
tatsächlich geschah. Daumennagelgroße Nierensteine verschwinden nach schlichtem<br />
Gebet. Jesus begegnet Muslimen in Träumen und Visionen.<br />
Sogar ein Esel wird von dieser Kraft übernatürlich berührt.<br />
Dieses Buch liest sich wie die Fortsetzung der Apostelgeschichte<br />
und macht Mut, längst in Vergessenheit geratenes<br />
Glaubensgut wieder beim Wort zu nehmen.<br />
Gebunden, 160 S., 32 Seiten Panorama-Fotos, 17 x 25 cm, Best.-Nr. 453.103.778<br />
17,95<br />
http://shop.agentur-pji.com<br />
QR zur Leseprobe<br />
Widerstand und bessere Karten<br />
Widerstand – wie soll das gehen? Ganz einfach.<br />
Sagen Sie jeden Tag: „Dein Reich komme. König<br />
Jesus, regiere du in meinem Leben. In mir und<br />
meinem Leben hat der Fürst dieser Welt keine<br />
Regierungsgewalt mehr! Ich habe die Staatsbürgerschaft<br />
gewechselt. Vater, dein Wille geschehe<br />
in meinem Leben und nicht die bösen Pläne dieser<br />
Welt.” – Und schon hat sich das Reich Gottes<br />
um ein paar Zentimeter erweitert. Dort, wo Jesus<br />
regieren kann, da ist Reich Gottes. Lesen Sie<br />
regelmäßig in seiner Verfassung, in der Bibel.<br />
Wie wäre es, wenn Sie die Staatsbürgerschaft<br />
wechseln und Bürger des Reiches werden, dessen<br />
Regent Liebe in Vollendung ist und außerdem alle<br />
Macht und Autorität im Himmel und auf der Erde<br />
hat? Mit Christus als persönlichem Regierungschef<br />
sind sie Christ im eigentlichen Sinne und<br />
haben dazu noch eindeutig die besseren Karten.<br />
1 Name geändert.<br />
2 Matthäus 28,18.<br />
3 Lukas-Evangelium <strong>22</strong>,19–20.<br />
4 2. Timotheus 2,11; Kolosser 2,12.<br />
5 2. Korinther 5,17.<br />
6 Kolosser 1,13–14.<br />
7 Johannes 3,3;16;36.<br />
8 Matthäus 6,10.<br />
9 Matthäus 6,14–15.<br />
10 Ausführlich berichten davon das Buch „Ich war tot” und inzwischen<br />
auch ein Kinofilm: „Die perfekte Welle” mit Scott Eastwoods<br />
Sohn Clint in der Hauptrolle.<br />
11 1. Mose 1,26; 2,17; 3,4–5; 3,7.<br />
12 1. Korinther 15,45.<br />
13 Johannes 12,31; 14,13.<br />
14 Epheser 2,1–2.<br />
15 Kolosser 1,12–14.<br />
16 Apostelgeschichte 26,18.<br />
17 Römer 3,<strong>22</strong>–24.<br />
18 Kolosser 2,14–15.<br />
19 Hebräer 2,8.<br />
20 Hebräer 10,13.<br />
21 Apostelgeschichte 3,21.<br />
<strong>22</strong> 1. Johannes 5,4; 4,4.<br />
23 Johannes 17,14–18.<br />
24 Offenbarung 3,21.<br />
25 1. Mose 1,26.<br />
44<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Luther und die Neuzeit<br />
Die evangelische Kirche ist heute durch eine Inflation des Kreuzes gekennzeichnet,<br />
stellt Norbert Bolz leidenschaftlich fest.<br />
Nur noch selten hört man etwas<br />
über das Ärgernis und den Skandal<br />
des Wortes von dem einen<br />
Kreuz, wie es im Zentrum der Paulus-Briefe<br />
steht. Dafür bekommt<br />
man sonntags viel zu hören über die Kreuze dieser<br />
Welt – Hunger, Flüchtlingselend, Klimakatastrophe<br />
und so weiter, und dazu die Zusammenhalt-Parole<br />
„Reden wir miteinander“.<br />
Für Sören Kierkegaard war das schon vor 160<br />
Jahren „Geschwätz“. Der Pfarrer kommt immer<br />
häufiger als Gutmensch daher – in der Sprache<br />
des Neuen Testaments: Pharisäer, und die Predigt<br />
verkommt zu einem sentimentalen Moralismus.<br />
„Nichts entvölkert unsere Kirchen so sehr, als<br />
dass man es in ihrem Gottesdienst so viel mit den<br />
persönlichen Ansichten ihrer Prediger zu tun hat“,<br />
attestierte schon der Kirchenhistoriker Franz<br />
Overbeck. Sentimentales Moralisieren – eine<br />
Hauptquelle der protestantischen Heuchelei.<br />
Die evangelische Kirche heute geht Konflikten<br />
aus dem Weg, indem sie immer weniger behauptet.<br />
Sie hat Angst vor den eigenen Dogmen und möchte<br />
um keinen Preis als orthodox erscheinen. Aber nicht<br />
orthodox sein zu wollen, das ist für einen Glauben<br />
paradox. Kennt die evangelische Kirche überhaupt<br />
noch den Unterschied zwischen Christentum und<br />
einem diffusen Humanitarismus?, fragt Prof. Bolz.<br />
Sie ersetzt den Skandal des Gekreuzigten zunehmend<br />
durch einen neutralen Kult der Menschlichkeit.<br />
Thomas Mann hat das schon vor hundert Jahren<br />
„Verrat am Kreuz“ genannt.<br />
Dieses Wohlfühlchristentum befriedigt ein tiefes<br />
Bedürfnis nach Betäubung. Wenn Marx vom<br />
„Opium des Volkes“ sprach und Nietzsche von<br />
einem „opiatischen Christentum“, meinten sie<br />
eigentlich: Nicht Religion an sich ist Opium, sondern<br />
der moderne Mensch macht aus Religion ein<br />
Opiat. Das Christentum als Droge, zur Beruhigung.<br />
Jede Spur christlicher Erschütterung wird<br />
sorgfältig vermieden. Man lässt sich zwar noch<br />
von Jesus-Geschichten rühren, z. B. an Weihnachten;<br />
aber vom Jüngsten Gericht will niemand<br />
Kennt die<br />
evangelische<br />
Kirche überhaupt<br />
noch den Unterschied<br />
zwischen<br />
Christentum und<br />
einem diffusen<br />
Humanitarismus?<br />
Z für Zukunft<br />
45
Z-aktuell<br />
Foto: © Die zehn Gebote, Screenshot<br />
Das goldene Kalb, um das<br />
heute getanzt wird, ist der<br />
Götzen „Mensch“. Man<br />
liebt die Menschheit, um<br />
Gott verdrängen<br />
zu können.<br />
Aus<br />
Gott wurde<br />
„der liebe Gott“,<br />
aus Jesus ein<br />
guter Mensch<br />
– ein Integrationsbeauftragter<br />
höherer<br />
Ordnung.<br />
Der Erlöser<br />
hingegen wird<br />
verdrängt<br />
etwas hören. Aus Gott wurde „der liebe Gott“ und<br />
aus Jesus ein guter Mensch – gewissermaßen ein<br />
Integrationsbeauftragter höherer Ordnung, wie<br />
Norbert Bolz es ausdrückt. Jesus, der Erlöser<br />
Christus wird verdrängt.<br />
Gott als Vater ansprechen, das hat die moderne<br />
evangelische Kirche als Gefühlsduselei missverstanden.<br />
Der Soziologe Max Weber hat sie immer<br />
wieder daran erinnert, dass der Vater des Gottessohns<br />
„kein zärtlicher moderner Papa“ ist, sondern<br />
eher ein strenger Hausvater. Doch dass Gott kein<br />
netter Papa ist und Jesus nicht sozial war, das wagt<br />
die Kirche heute kaum mehr auszusprechen. Prof.<br />
Bolz will an Luthers schlichten Wesenskern erinnern,<br />
nämlich: an Christus und das Kreuz zu glauben<br />
und Mildtätigkeit gegen die Armen zu zeigen.<br />
Wohlfühlchristentum ohne Happyend<br />
Neben den Wohlfühlchristen des Wohlstandsalltags<br />
gibt es aber auch die intellektuellen Esoteriker<br />
eines Christentums ohne Happy End, also<br />
ohne Auferstehung.<br />
Die letzten Worte Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht“,<br />
hat der evangelische Theologe Rudolf<br />
Bultmann so gedeutet, „dass mit dem Kreuz Jesu<br />
Werk abgeschlossen ist und keiner Ergänzung<br />
durch eine körperliche Auferstehung bedarf“. Bolz<br />
fragt, ob eine christliche Theologie ihre Aufgabe<br />
in der modernen Gesellschaft denn noch erfüllen<br />
kann, wenn sie in Jesus nur noch jemanden ohne<br />
Auferstehung, ohne ewiges Leben sieht?<br />
Die Geschichte am Karfreitag findet also<br />
nicht hindurch zum leeren Grab, an das sich das<br />
Dogma der Auferstehung hält; man hört nur den<br />
Urschrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du<br />
mich verlassen?“ Für das esoterische Christentum<br />
ohne Happy End gibt es nur die Wahrheit dieses<br />
Schreis, „der noch an den ‚toten Gott‘ gerichtet<br />
sein könnte“. Es gibt also keine Erwartungen.<br />
Jesus war, aber er ist nicht mehr.<br />
Sowohl die Wohlfühlchristen als auch die intellektuellen<br />
Esoteriker hängen also einem halbierten<br />
Christentum an. Die einen hören gerne Jesus-<br />
Geschichten, wollen vom Karfreitag aber nichts<br />
wissen. Die anderen wollen nur an den Karfreitag<br />
glauben, an Ostern jedoch nicht. Nur: Ohne Kreuz<br />
und Auferstehung gibt es keinen christlichen<br />
Glauben! Papst Benedikt XVI.: „Mit der Auferstehung<br />
beginnt eine neue Schöpfung. Gott greift<br />
hier nicht nur mit seinem Wort, sondern unmittelbar<br />
materiell in die Geschichtswelt ein.“ Ähnlich<br />
wie die Jungfrauengeburt ist das für das moderne<br />
Denken unerträglich. Für die alten Griechen war<br />
das Wort vom Kreuz ein Ärgernis, für die Juden<br />
war es ein Skandal. Für den modernen Menschen<br />
aber ist die Auferstehung das Ärgernis, das kann<br />
er mit seiner Vernunft einfach nicht vereinbaren.<br />
Das leere Grab passt nicht in sein Weltbild.<br />
„Zivilreligion“ als Glaubnesminimum<br />
Bolzens Ruf „Zurück zu Luther!“ richtet sich aber<br />
nicht nur gegen Wohlfühlchristen und intellektuelle<br />
Esoteriker; er richtet sich auch gegen die<br />
Reduktion des christlichen Glaubens auf eine<br />
„Zivilreligion“ – so nennt er die Schwundstufe<br />
eines Christentums, das nicht mehr in seinem<br />
Wahrheitsanspruch ernst genommen wird, sondern<br />
nur noch wegen seiner ethisch und politisch<br />
stabilisierenden Funktion.<br />
Der Staat fragt heute selbst nach den integrierenden<br />
Werten der modernen Gesellschaft;<br />
man kennt diese Frage aus den Weihnachtsansprachen<br />
der Politiker. Die Zivilreligion fasst die<br />
religiösen Restbestände zusammen: die Kirchen,<br />
in denen wir getauft werden und heiraten; die<br />
Grundgesetze, die ohne göttliche Abkunft leer<br />
wären; die Schwüre bei Gott, mit denen Staatsoberhäupter<br />
ihr Amt antreten.<br />
46<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
„Grundwerte“ als das Dogma dieser Zivilreligion?<br />
Eine Paradoxie, wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter<br />
Ernst-Wolfgang Böckenförde<br />
klar gesehen hat: „Der freiheitliche, säkularisierte<br />
Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht<br />
garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das<br />
er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Man<br />
will die Bibel durch die Verfassung ersetzen.<br />
Die Zivilreligion ist also das Glaubensminimum,<br />
resümiert Prof. Bolz, das wir gegenüber<br />
Andersgläubigen und auch gegenüber Ungläubigen<br />
zur Geltung bringen müssen, damit eine<br />
moderne Gesellschaft funktioniert. Also Glaubensinhalt,<br />
den man zwar nicht glauben, aber dem<br />
man doch Geltung verschaffen muss.<br />
Humanismus statt Inhalt<br />
Für eine Zivilreligion hat der Protestantismus die<br />
großen Themen wie Kreuz, Erlösung und Gnade<br />
aufgegeben und durch einen diffusen Humanismus<br />
ersetzt. Damit ist er in die Modernitätsfalle<br />
geraten. Franz Overbecks Studie über die Christlichkeit<br />
heutiger Theologie endet mit der scharfen<br />
These, „dass die Theologie stets modern gewesen<br />
ist, und eben darum auch stets die natürliche Verräterin<br />
des Christentums war“. Ihr fehlt der Mut<br />
zur Unzeitgemäßheit. „Gerade das Unhandliche<br />
des Paulinismus, gerade das Weltfremde, Unpopuläre<br />
des Protestantismus ist sein bestes Teil“,<br />
so heißt es bei Karl Barth.<br />
Weil sie so modern und „aufgeklärt“ ist, kann<br />
die evangelische Kirche nicht mehr das Heil versprechen,<br />
keine neue Welt prophezeien. Selbst<br />
Nietzsche hat das gesehen: „Je mehr man sich<br />
von den Dogmen loslöste, umso mehr suchte man<br />
gleichsam die Rechtfertigung dieser Loslösung in<br />
einem Kultus der Menschenliebe.“<br />
So sieht Norbert Bolz das goldene Kalb, um<br />
das heute getanzt wird, in dem Götzen „Mensch“.<br />
Das müsste für einen Theologen genauso evident<br />
sein wie für einen Psychoanalytiker: Man liebt die<br />
Menschheit, um Gott verdrängen zu können. Und<br />
hier wird die christliche Lehre vom Antichrist<br />
brennend aktuell: So wie der Antichrist am Ende<br />
der Tage kommen wird, um Christus zu imitieren,<br />
so erscheint in der Moderne der Götze Mensch<br />
als teuflischer Nachahmer des Menschensohns.<br />
Seit es das Christentum gibt, ist Gott der große<br />
Störfaktor in der Gesellschaft. Kein Wunder also,<br />
dass man ihn immer wieder fälschen, verdrängen,<br />
ersetzen wollte. In der Moderne ist Gott erst<br />
durch die Gesellschaft ersetzt worden und dann<br />
durch das Individuum.<br />
Atheistische Religio:<br />
Erlösung durch Gesellschaft:<br />
Mit dem Untergang des Kommunismus schien<br />
zwar die atheistische Religion, die den Glauben<br />
an die Erlösung durch Gesellschaft gepredigt<br />
hat, ruiniert zu sein. Aber in der Rede von der<br />
„sozialen Gerechtigkeit“ hält sich diese Religion<br />
weiter am Leben. Diese Ersatzreligion herrscht<br />
fast uneingeschränkt über die Seelen moderner<br />
Menschen. Aber was antwortet sie auf die große<br />
Frage: Was darf ich hoffen?<br />
Zum Kult des Sozialen fügt sich heute passgenau<br />
der Kult des Individuums, präzisiert Prof.<br />
Bolz. Man müsse nur die Zauberwörter „Selbstverwirklichung“<br />
und „soziale Gerechtigkeit“<br />
aussprechen, um die moderne Massendemokratie<br />
in politische Trance zu versetzen. Mit diesen<br />
Zauberwörtern könne man alle Widerworte zum<br />
Schweigen bringen. „Das Ich und das Soziale sind<br />
die beiden Götzen“, hat die französische Philosophin<br />
Simone Weil einmal sehr schön gesagt.<br />
Das moderne Individuum entstand schon vor<br />
500 Jahren auf der Suche nach dem eigenen Heil –<br />
und genau das wird durch Luthers Leben und Werk<br />
markiert. Aber in der Zwischenzeit hat das moderne<br />
Individuum den Weg vom Seelenheil zum Sozialheil<br />
zurückgelegt. Und<br />
zugleich versenkt<br />
es sich in sich selbst,<br />
weil es das eigene<br />
Heil nicht mehr von<br />
außen erwartet, wie<br />
Bolz feststellt. Das<br />
Individuum wurde<br />
zu seinem eigenen<br />
Willkürgott.<br />
Das leere<br />
Grab ist für<br />
modernen<br />
Menschenein<br />
Ärgernis und<br />
passt nicht in<br />
sein Weltbild<br />
Foto: © www.turnbacktogod.com<br />
Z für Zukunft<br />
47
Z-aktuell<br />
Das Individuum<br />
wurde zu seinem<br />
eigenen<br />
Willkürgott.<br />
Wer sich selbst<br />
sucht, findet sich<br />
– das ist seine<br />
Strafe, die Hölle<br />
Das Resultat der<br />
Aufklärung war ja die<br />
Entzauberung der Welt.<br />
Die Erde ist nicht der<br />
Mittelpunkt, der Mensch<br />
ist auch nur ein Tier.<br />
Bild: Wikipedia,<br />
Camille Flammarion, 1888<br />
Und damit beginnt die Religion der Einmaligkeit.<br />
Ihre Varianten sind bekannt: Ich erlöse<br />
mich selbst, kaufe mir in einer Religionsboutique<br />
einen europäisch verschlankten Buddhismus.<br />
Errege mich selbst durch Drogen. Fordere<br />
mich selbst heraus, indem ich an einem Gummiseil<br />
von der Brücke springe. Ich beschäftige mich<br />
mit mir selbst, indem ich meine eigenen Leiden<br />
und Beschädigungen studiere – am besten in einer<br />
Selbsterfahrungsgruppe: die Suche nach dem Heil<br />
im eigenen Selbst. Kultzentrum ist das „Selbst“<br />
jedes Einzelnen. Man berauscht sich an sich<br />
selbst – Selbstverwirklichungs-Opiate. Fénelon<br />
spricht vom Götzendienst des Ich: „Wer sich selbst<br />
sucht, findet sich – das ist seine Strafe, die Hölle.<br />
Um aus dieser Sackgasse herauszufinden, braucht<br />
der Mensch die Beziehung auf den ganz Anderen.<br />
Er braucht die Öffnung zur Transzendenz.“<br />
Entzauberung der Welt<br />
Es gibt keine Persönlichkeit ohne Transzendenz,<br />
weiß Norbert Bolz. Das ist dem aufgeklärten<br />
Bewusstsein der Neuzeit besonders schwer zu<br />
vermitteln, weil es sich mit dem Götzendienst<br />
des Ich gepanzert hat gegen die eigenen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse.<br />
Das Resultat der Aufklärung war ja die Entzauberung<br />
der Welt; schmerzhaft wurde sie vor<br />
allem als Entzauberung des Menschen in einer<br />
Folge narzisstischer Kränkungen. Diese Kränkungen<br />
seines Selbstwertgefühls beginnen mit<br />
Kopernikus und gehen über Darwin und Freud<br />
bis hin zu Alan Turing. Ihre Erkenntnisse sind für<br />
den menschlichen Geist unerträgliche Zumutungen:<br />
Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt,<br />
der Mensch ist auch nur ein Tier, das Ich ist nicht<br />
Herr im eigenen Haus, und<br />
Intelligenz ist eine Dienstleistung<br />
von Maschinen.<br />
Aber auch schon Luther<br />
bringt eine der großen narzisstischen<br />
Kränkungen: Der Mensch<br />
ist auch nicht der Mittelpunkt<br />
der Schöpfung. Dass er die Welt<br />
durch die christliche Wahrheit<br />
kränkt, erhebt Luther geradezu<br />
zum Programm: Er will ärgern! Luther zeigt sich<br />
hier immer wieder als das extremste Gegenteil<br />
eines Relativisten – er ist der Antipode des Skeptikers.<br />
Kurt Flasch hat von Luthers Behauptungsstil,<br />
ja Behauptungswut gesprochen.<br />
Fatale Selbstsicherheit<br />
Dass der Mensch im Mittelpunkt stehen will, ist<br />
für Luther das entscheidende Problem. Von dieser<br />
falschen Selbstsicherheit befreit uns nur die<br />
Erkenntnis, dass wir Sünder sind. Denn wer von<br />
Sünde weiß, der kommt an Gott nicht vorbei, und<br />
er kennt seine Unzulänglichkeit.<br />
In Glauben und Liebe zeige ich mich als<br />
bedürftig: Ich stehe nicht im Mittelpunkt, ich bin<br />
nicht souverän. Das Ich ist nicht mein Zentrum.<br />
Ich habe Hilfe nötig. Genau das wird durch den<br />
Begriff „Existenz“ zum Ausdruck gebracht: Das<br />
Wesentliche kommt von außen. Existieren heißt<br />
endlich sein, abhängig sein, angewiesen sein auf<br />
Hilfe von außen. Gewissheit finden wir also nur<br />
außerhalb von uns selbst. Das ist gemeint mit<br />
„Öffnung zur Transzendenz“.<br />
Allgemeine Verunsicherung<br />
Wenn Norbert Bolz auf Luthers Behauptungswut<br />
und seine Formel absoluter Gewissheit hinweist,<br />
so ist das vor dem Hintergrund einer allgemeinen<br />
Verunsicherung zu sehen; wenige Daten mögen<br />
hier genügen: 1452 entsteht die Gutenberg-Bibel<br />
nach der von Johannes Gutenberg entwickelten<br />
Technik des Drucks mit beweglichen Lettern.<br />
1492 entdeckt Christoph Kolumbus Amerika.<br />
1509 entwickelt der Astronom Nikolaus Kopernikus<br />
in seinem noch nicht für die Öffentlichkeit<br />
bestimmten „Commentariolus“ (Kleiner Kommentar)<br />
das neue heliozentrische Weltbild. Denn im<br />
kopernikanischen Weltbild gibt es ja nicht mehr<br />
das über der Erde aufgeschlagene Himmelszelt<br />
– anders ausgedrückt: Der Himmel ist leergeräumt.<br />
Jacob Taubes resümiert: „Auf der kopernikanischen<br />
Erde kann die Erlösung allein das Werk<br />
der Gnade sein, zu der der Mensch nicht das Mindeste<br />
beizutragen hat.“<br />
Zitiert aus und nach: Norbert Bolz, „Zurück zu Luther“. Wilhelm<br />
Fink Verlag 2016, ISBN 978-3-7705-6086-8, Seite 101–108,<br />
redaktionell bearbeitet.<br />
48<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Norbert Bolz über sich:<br />
Wie viele andere auch, wurde ich vom Zeitgeist der<br />
1970er-Jahre geprägt und als Student der Geisteswissenschaften<br />
war ich natürlich links. Die wenigen,<br />
die das nicht waren, die blieben unter der<br />
Wahrnehmungsschwelle. Das war damals weniger<br />
von Ideologie geprägt; es war einfach Mode.<br />
Als ich nach Berlin kam, traf ich an der Freien<br />
Universität Berlin auf einige wichtige Personen;<br />
einer davon war der Philosoph und Judaist Jakob<br />
Taubes, mein späterer Chef. Was ich von ihnen<br />
zu hören bekam, war einerseits faszinierend und<br />
andererseits völlig neu; mit diesen Welten hatte<br />
ich bis dahin überhaupt nichts zu tun gehabt.<br />
Ich dachte vielmehr, Philosophie hieße „Adorno,<br />
Frankfurter Schule und Kritische Theorie“, und<br />
darüber hinaus brauche man nichts zu wissen.<br />
Das Bekenntnis zur Kritischen Theorie implizierte<br />
aber auch eine Menge Tabus; vieles durfte man<br />
gar nicht lesen – u. a. Heidegger.<br />
Faszinierend unverständlich<br />
Es war mir unerklärlich, warum Taubes mich zu<br />
seinem Assistenten gemacht hatte. Ich war nicht<br />
einmal einer seiner Schüler gewesen, einfach aus<br />
Ignoranz, weil ich dem allem nicht folgen konnte.<br />
Alles war faszinierend, aber gleichzeitig unverständlich.<br />
Für mich war das wie eine Inkubationszeit;<br />
erst Jahre später ist herausgebrochen, was<br />
damals in mir angelegt wurde.<br />
Dass ich zu so einem Thema wie Luther<br />
schreibe, brauchte eine längere Entwicklung.<br />
Allerdings gab es schon einen Startschuss bei<br />
meiner Habilitationsschrift „Auszug aus der entzauberten<br />
Welt“. Wie der Untertitel verdeutlicht,<br />
„Philosophischer Extremismus zwischen<br />
den Weltkriegen“, war die intellektuelle Zeit zwischen<br />
1919 und 1939 deshalb so aufregend, weil<br />
es damals in der Einschätzung der Situation zwischen<br />
den extrem linken und extrem rechten Denkern<br />
kaum Unterschiede gab. Das war für mich<br />
unglaublich – nach dem üblichen Verständnis war<br />
die Welt ja in Gut und Böse eingeteilt: die Linken<br />
waren die Guten und die Rechten die Bösen.<br />
Mein Chef Taubes forderte mich auf: Hören Sie<br />
doch auf mit der kindischen Angst vor der Reaktion<br />
anderer, wenn Sie die „falschen“ Autoren studieren<br />
– es ist doch lächerlich zu glauben, es gäbe<br />
Autoren, die tabu seien. – Das war ein wichtiger<br />
Impuls für mich: Lerne etwas von diesen „bösen<br />
Buben“! In diesem Zusammenhang wurde ich<br />
mit vielen Überlegungen konfrontiert, die mich<br />
zunächst völlig aushebelten. Ich war damals wirklich<br />
ein Adornit.<br />
Bei meiner Habilitationsarbeit wollte ich mich<br />
ganz mit Adorno beschäftigen. Taubes fragte,<br />
warum ich dann nicht gleich Benjamin machen<br />
würde, da stehe sowieso alles drin, was Adorno<br />
gedacht habe, nur unendlich viel mehr. So kam<br />
ich mit Walter Benjamin in Berührung – und das<br />
brachte den Stein erst richtig ins Rollen: Themen<br />
wie „Politische Theologie“ und Gnosis bekamen<br />
Bedeutung.<br />
Ich bin konservativ, was soll´s<br />
Mein politisches Spektrum hat sich inzwischen<br />
sehr verändert. Erst mit dem Alter, und das ist<br />
bei mir noch nicht lange her, hatte ich den Mut<br />
zu sagen: „Ich bin konservativ, was soll’s.“ Im universitären<br />
Bereich, gerade in den Geisteswissenschaften<br />
ist das eine Position, durch die man sich<br />
von allem ausschließt.<br />
„Hören Sie<br />
doch auf mit<br />
der kindischen<br />
Angst vor der<br />
Reaktion<br />
anderer“<br />
Z für Zukunft<br />
49
Z-aktuell<br />
Das humanitaristische<br />
Gerede, der<br />
evangelischen<br />
Kirchevertreter,<br />
war mir einfach<br />
unerträglich<br />
Die Lehre Luthers ist klar<br />
und einfach. Man muss<br />
einfach hinschaut,<br />
was dasteht.<br />
Foto: © Norbert Bolz<br />
So bin ich in diese theologischen Reflexionen<br />
immer tiefer vorgedrungen, war aber nicht<br />
etwa gläubig – war ja aus der Kirche ausgetreten,<br />
wie man das damals so gemacht hat. Dogmatische<br />
Themen hatten mich nie gekümmert. Das<br />
änderte sich aber, weil die Themengebiete des<br />
Religiösen eine immer größere Rolle spielten.<br />
„Politische Religion“ ist eine solche Dimension,<br />
aber auch Dogmen – die christlichen Religionen<br />
in der Spannung zu dem, was die Neuzeit zur<br />
Neuzeit gemacht hat. Dazu ist Hans Blumenbergs<br />
Buch „Die Legitimität der Neuzeit“ für mich eines<br />
der großartigsten Bücher. Die Ablösung aus der<br />
christlichen Tradition, die Selbstbehauptung des<br />
neuzeitlichen Geistes gegen den Absolutismus<br />
der Gottgläubigkeit Luthers – all das war für mich<br />
von außerordentlicher Bedeutung.<br />
Mein Buch: Zurück zu Luther“<br />
Mein Buch ist, wenn man so will, das Komplementärbuch<br />
zu dem von Blumenberg, nur nicht so seitenstark.<br />
Das „neuzeitliche Selbstverständnis“<br />
bei Blumenberg ist eine hervorragende Ergänzung<br />
zu dem, was wir bei Luther als Glaubensüberzeugung<br />
finden.<br />
Was war nun der konkrete Anlass zu diesem<br />
Buch „Zurück zu Luther“?<br />
Ich bin wieder in die Kirche eingetreten, aus<br />
einem ganz besonderen Grund – der in dem Buch<br />
klar zum Ausdruck kommt, denn es hat ja auch<br />
eine polemische Seite. Dieses humanitaristische<br />
Gerede, das ich von Vertretern der evangelischen<br />
Kirche zu hören bekam, war mir einfach unerträglich.<br />
Ich hatte immer den Eindruck: „Das<br />
kann doch nicht wahr sein – und es entspricht<br />
auch nicht dem Geiste Luthers.“ Das war aber<br />
zunächst nur ein Gefühl.<br />
Dann tauschte ich mich mit einem Kollegen<br />
und Freund darüber aus: „Was hältst du von meinem<br />
Unbehagen, kann man das konkretisieren<br />
und begründen?“ – „Ja, aber du musst Luther<br />
gründlich lesen.“ Nun ist Luther-Latein sehr<br />
schwer zu lesen und auch die unbearbeiteten<br />
deutschen Texte sind nicht leicht genießbar. Aber<br />
es gibt eine Übersetzung der wichtigsten Texte<br />
von Luther, sie stammt von Aland; die habe ich<br />
von A bis Z studiert. Dann war ich mir sicher, dass<br />
ich so ein Buch schreiben könnte. Denn irgendwie<br />
hat alles zusammengepasst! Bei einem komplexen<br />
Autor ist es ja normalerweise so, dass es<br />
verschiedene Fäden gibt, und die zerfasern sich<br />
leicht – man versteht nicht alles, und dann weiß<br />
man doch nicht so recht, wie man es auf den<br />
Punkt bringen kann.<br />
Als religiös Unmusikalischer<br />
Aber hier war es für mich genau umgekehrt: Alles<br />
hat von Anfang an zusammengepasst. Wenn das<br />
für mich Laien, den religiös „Unmusikalischen“,<br />
gilt, dann müsste das doch erst recht für die nachvollziehbar<br />
sein, die einen Glauben haben (oder<br />
zumindest per Taufe und Geburt dieser Kirche<br />
angehören), aber jeden Sonntag unglücklich sind<br />
über das, was sie in der Predigt zu hören bekommen.<br />
– Das also war der Anlass für dieses Buch.<br />
Darin habe ich versucht, zwei Dimensionen zu<br />
vereinigen. Zum einen diese polemische Dimension<br />
gegen den Istzustand der evangelischen<br />
Kirche – ich habe versucht, nicht einfach nur zu<br />
sagen: „Ich finde es schrecklich!“, sondern zu<br />
begründen, warum das so ist. Und zum anderen<br />
eine Art analytische, pädagogische Dimension:<br />
Ich habe die Hauptlehrstücke von Luther herausgegriffen<br />
und versuche, zu jeder dieser Lehrfragen<br />
auf wenigen Seiten eine klare Antwort zu<br />
geben – zum Beispiel: Was heißt Erbsünde? Was<br />
heißt „gnädiger Gott“? Was ist die Zwei-Reiche-<br />
Lehre? Es soll eindeutig werden, was mit diesen<br />
Begriffen gemeint ist. Denn allgemein wird suggeriert,<br />
das alles sei sehr zweifelhaft, sehr strittig<br />
und mehrdeutig; das entspricht aber überhaupt<br />
nicht meinem Eindruck.<br />
Was Luther zu sagen hat, kann man ganz klar<br />
wiedergeben. Es müsste keine großen Kontroversen<br />
über Luther geben. Wenn man einfach hinschaut,<br />
was dasteht – also seine Lehre ist klar und<br />
einfach, und deshalb kann man sie auch einfach<br />
und klar darstellen. Genau das wollte ich mit diesem<br />
Buch zum Ausdruck bringen.<br />
Aus einem Vortrag in der Bibliothek des Konservatismus, Berlin,<br />
Februar 2017<br />
50<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Foto: © Willow-Kongress<br />
Willow-Kongress –<br />
und die Kirche der Zukunft?<br />
Auf dem Willow-Leiterkongress Anfang Februar in Dortmund habe ich eine außerordentliche<br />
Erfahrung gemacht – sie kommt einer „Erleuchtung“ nahe, einer erschreckenden<br />
allerdings: Trotz hohem Vernetzungsgrad so isoliert, dass die Rechte nicht<br />
bemerkt was bei der Linken gerade geschieht?<br />
Gigantisch: 12 000 Teilnehmer, starker<br />
Lobpreis, super Bühne mit<br />
allen technischen Effekten. Willow<br />
steht für Exzellenz. „Willow Creek<br />
Deutschland“ hat eine über 20-<br />
jährige Geschichte; unzählige erfolgreiche Projekte<br />
in den evangelischen Kirchen in Deutschland<br />
gehen auf Willow-Kongresse und -Impulse<br />
zurück. Ihren Ursprung hat die Organisation in<br />
der „Willow Creek Community Church“ in South<br />
Barrington (Chicago); mit 24 000 Gottesdienstbesuchern<br />
ist das eine der größten Gemeinden<br />
der USA. Weltweit zählen sich über 10 000<br />
Gemeinden zum Willow-Netzwerk; Willow-Leiterkongresse<br />
finden in 128 Ländern statt. Durch dieses<br />
Netzwerk wurden viele Tausende mit Jesus<br />
bekannt, und jedes Mal wurde im Himmel dafür<br />
ein Fest gefeiert!<br />
Foto: © Willow-Kongress<br />
Das große Thema des Kongresses in Dortmund<br />
war die Kirche der Zukunft; darüber sprach im<br />
Besonderen der katholische Theologe und Generalvikariatsrat<br />
Dr. Christian Hennecke. Auf seine<br />
hervorragenden Impulse komme ich später zurück;<br />
zuerst meine „erschreckende Erleuchtung“:<br />
Hybels: nur noch 248 Arbeitstage<br />
Bill Hybels, Gründer der „Willow Creek Community<br />
Church“, hat nach 15 460 Arbeitstagen nur<br />
Hybels neue<br />
Idee hatte<br />
Cunningham<br />
vor 43 Jahren<br />
– kann das<br />
Zukunft<br />
sein?<br />
Z für Zukunft<br />
51
Z-aktuell<br />
Heather Larson und<br />
Steve Carter treten in die<br />
Fußstapfen von Bill Hybels<br />
Foto: © Bildzitat aus Willow-<br />
Magazin 4/17<br />
Bill Hybels<br />
hat eine neue<br />
Idee, Loren<br />
Cunningham hat<br />
sie veröffentlicht<br />
– aber schon vor<br />
43 Jahren<br />
Loren Cunningham, Gründer<br />
von Jugend mit einer Mission<br />
Foto: © YWAM<br />
noch 248 vor sich, dann übergibt er an seine<br />
Nachfolger. Sechs Jahre hat man sich darüber<br />
Gedanken gemacht, wer das sein könnte. Ein<br />
säkularer Berater analysierte messerscharf: „Was<br />
macht Bill eigentlich? Er leitet und er lehrt, und<br />
dafür braucht er 85 Stunden in der Woche.“ Der<br />
Berater wollte wissen, wer denn so einen Job<br />
haben möchte. Die Lösung: Sie suchten bei Willow<br />
den besten Leiter und den besten Lehrer –<br />
und wurden fündig. In Zukunft werden also zwei<br />
Personen Bill Hybels ersetzen: Heather Larson<br />
(42) wird leiten und Steve Carter (38) lehren.<br />
Bill Hybels hat eine neue Idee<br />
Was wird Bill Hybels nun tun? Mehr segeln als bisher,<br />
aber er erzählte auch von einer ganz neuen<br />
Idee: Die Missstände der Gesellschaft hingen<br />
zusammen mit dem Zustand des Menschenherzens;<br />
in seiner neuen Vision sieht er die Kirche in<br />
der Gesellschaft umgeben von der Geschäftswelt,<br />
der Politik, dem Bildungswesen, dem Gesundheitswesen<br />
und Unterhaltungsbusiness. Die Geschäftsleute<br />
in den Gemeinden sollten ein Segen sein für<br />
die Geschäftswelt – und überhaupt: jeder für den<br />
Gesellschaftsbereich, in dem er tätig ist.<br />
Was ist daran erschreckend, fragen Sie?<br />
Loren Cunningham, der Gründer von „Jugend<br />
mit einer Mission“, hat das schon 1975 von Gott<br />
gehört; er sprach von sieben Bereichen, in die wir<br />
als Missionare hineinwirken. Noch am selben Tag,<br />
an dem Cunningham diese Vision hatte, erhielt er<br />
von Bill Bright (Campus für Christus) einen Anruf<br />
– der hatte dieselbe Vision! Damit nicht genug:<br />
Drei Wochen später sah Lorens Frau Darlene im<br />
Fernsehen einen Vortrag von dem Theologen und<br />
Philosophen Dr. Francis Schäffer („Wie können<br />
wir denn leben?“), und auch er sprach über diese<br />
sieben Bereiche. Heute sind diese Gedanken als<br />
das „7-Berge-Prinzip“ in verschiedenen Bewegungen<br />
im Gespräch; in den letzten zehn Jahren sind<br />
etliche Bücher dazu erschienen. (Wer bemerkt,<br />
was mich hier so erschreckt?)<br />
Am Stand von Gott24.TV konnte ich die »Z«<br />
präsentieren; dabei kam ich mit einigen der Top-<br />
Leitern ins Gespräch. Wir kennen uns seit Jahren,<br />
sie haben das »Z«-Magazin in ihrer Post. Auf<br />
meine Frage, ob sie in die letzte Ausgabe, die zum<br />
Thema Reformation, schon mal hineinschauen<br />
konnten, antworteten alle mit großem Aufstöhnen:<br />
„Wie stellst du dir das vor, bei den Türmen<br />
Papier, die sich auf meinem Schreibtisch stapelt!“<br />
Das kann ich natürlich gut nachvollziehen.<br />
Top-Leiter – sicher auch mit 85 Wochenstunden<br />
… Könnte das der Grund sein, warum Bill<br />
Hybels bisher nichts von dem Sieben-Bereiche-<br />
Prinzip gehört hat, über das Loren Cunningham<br />
seit 43 Jahren spricht (und nach ihm sicher weitere<br />
fünfzig namhafte Leiter)? Hätte Bill Hybels<br />
diese „neue“ Vision schon vor 15 oder 20 Jahren<br />
gehabt, könnten heute bereits Hunderttausende<br />
die Früchte davon genießen.<br />
Trotz hohem Vernetzungsgrad isoliert?<br />
Ist es nicht ein teuflischer Raub, dass wir trotz<br />
großer Netzwerke in unseren Denominationen<br />
oft isolierter sind, als wir denken? Wir treffen uns<br />
mit gleichgesinnten Top-Leitern, klopfen uns auf<br />
die Schultern und bestärken einander in dem uns<br />
bereits Bekannten. Wie soll da etwas Neues entstehen?<br />
Kann das die Zukunft sein?<br />
Doch wie kann diese Mauer durchbrochen<br />
werden? Wie kann eine vielleicht bedeutende<br />
Vision eines nicht so namhaften Leiters die Festung<br />
der 85-Stunden-Berge durchdringen?<br />
Zwei sind besser als einer,<br />
dem Handbuch entsprechen würden fünf<br />
Noch älter als die Vision der sieben Gesellschaftsbereiche<br />
von Loren Cunningham ist die Strategie<br />
des Top-5-Leiterteams, das schon der alte Fuchs<br />
Paulus den Ephesern erklärte: „Wenn ihr so etwas<br />
wie Willow ordentlich leiten wollt, dann braucht ihr<br />
exzellente Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten<br />
und Lehrer.“ Einer, ein Einziger ist nur Gott,<br />
52<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
alle anderen brauchen einander. Also Bill Hybels ist<br />
gegenüber vielen anderen dem eigentlichen Konzept<br />
jedenfalls einen Schritt nähergekommen: Man<br />
hat für seine Nachfolge ein Zweierteam gewählt.<br />
Zwei sind besser als einer, aber das sind immer<br />
noch nicht fünf. Und eins habe ich bei Willow noch<br />
nie gehört: dass hier von Propheten die Rede ist.<br />
Dabei zählen die Propheten doch zur Grundlage<br />
der Gemeinde, auf die aufgebaut werden sollte!<br />
Die Kirche der Zukunft?<br />
Nun die Impulse von Dr. Hennecke: Bei dem dichten<br />
Programm war er für mich das Glanzlicht zum<br />
Thema „Kirche der Zukunft“.<br />
Der Katholik zitiert Bonhoeffer: „Das Wort Gottes<br />
so aussprechen, dass sich dadurch die Welt verändert<br />
und erneuert.“ Das wäre dann prophetisch!<br />
Unser größtes Hindernis sei, wenn wir uns weiter<br />
um uns selbst kreisen. Wir brauchen Umkehr<br />
und eine neue Geburt. Das könne schmerzhaft<br />
sein. Wenn man meine, man habe ja genügend<br />
Finanzen und Macht – das verzögere nur alles.<br />
Nicht nach hinten schauen! „Siehe, ich wirke<br />
Neues! Jetzt sprosst es auf. Erkennt ihr es nicht?“<br />
(Jesaja 43,19). Sollten wir das Neue nicht mitbekommen,<br />
Gott mache es trotzdem.<br />
Wie Hennecke sich die Kirche der Zukunft vorstellt?<br />
So: Gott wird sie auf den Kopf stellen.<br />
Nur Christus macht Kirche zur Kirche. Christus<br />
in unserer Mitte – das ist entscheidend.<br />
Die Kirche der Zukunft sei mit Sicherheit katholisch,<br />
weil sie die umfassende Weite habe. Und sie<br />
sei jedenfalls evangelisch, weil sie nur vom Evangelium<br />
herkommen könne. Sie ist unbedingt<br />
orthodox, weil sich daraus viele Traditionen neu<br />
erschlössen; und sie sei natürlich pfingstlich, denn<br />
was sollten wir ohne den Geist Gottes anfangen!<br />
Dr. Hennecke zitiert Lothar Zenetti, den katholischen<br />
Theologen, Priester und Schriftsteller:<br />
„Frag 100 Katholiken: Was ist das Wichtigste<br />
an der Kirche? Und sie werden dir sagen: Die<br />
Messe. Frag 100 Katholiken: Was ist das Wichtigste<br />
an der Messe? Und sie werden dir sagen:<br />
Die Wandlung. Sag 100 Katholiken: Das Wichtigste<br />
an der Kirche ist die Wandlung. Und sie<br />
werden sich empört abwenden.“ Sie wollen, das<br />
alles so bleibte, wie es ist.<br />
Foto: © Wikipedia, Sandstein<br />
Ja, das sei die Frage: Ob wir Wandlung wollen.<br />
Wandlung, Veränderung habe nämlich mit Sterben<br />
und Auferstehen zu tun. Es dürfe also ruhig<br />
etwas sterben. Ein wesentlicher Teil des Wandels<br />
sei deshalb nicht kirchliche Intensivmedizin, sondern<br />
Hospizarbeit. Im Glauben wüssten wir, dass<br />
dann etwas Neues entstehe. Wandel: vom Machen<br />
und Herrschen zum Dienen und Ermöglichen.<br />
Die Zukunft der Kirche hängt mit dem<br />
Reich Gottes zusammen<br />
Die Kirche, die kommt, diese Kirche ist das Volk Gottes,<br />
in dem alle gleich würdig sind, in dem die Gaben<br />
und Talente hervorgerufen werden. Damit Christus<br />
herrschen darf und sein Wort das Sagen hat.<br />
Sie ist die Blumentopf-Kirche: Die Leiter bilden<br />
den Boden des Blumentopfs und tun alles, damit<br />
die Blumen herrlich in die Welt hinaussprießen.<br />
Wie wäre es, wenn sich Top-Leiter mit vier anderen<br />
zusammentun würden und gemeinsam den<br />
Boden von solchen Blumentöpfen bildeten? Dann<br />
hätten sie wieder Zeit, auf den Herrn zu warten, um<br />
zu hören, was der Geist heute der Gemeinde sagt.<br />
Wie kann diese vernetzte Isolation<br />
durchbrochen werden?<br />
Die Kirche der<br />
Zukunft: Gott<br />
wird sie auf den<br />
Kopf stellen<br />
Dr. Christian Hennecke,<br />
katholische Theologe<br />
und Generalvikariatsrat,<br />
Hildesheim<br />
Foto: © Willow-Kongress<br />
Z für Zukunft<br />
53
Z-aktuell<br />
Hyper-Grace<br />
die noch billigere Gnade<br />
Michael L. Brown schreibt in seinem Buch „Gnade ohne Ende?“ über die Problematik<br />
der modernen Gnaden-Bewegung.<br />
Michael L. Brown, Autor,<br />
Professor und Leiter der<br />
Coalition of Conscience,<br />
North Carolina, USA.<br />
Foto: © Wikipedia<br />
Es stellt sich die Frage, auf welcher<br />
Seite man vom Pferd fallen möchte:<br />
auf der Seite der religiösen Gesetzlichkeit<br />
oder auf der Seite einer selbstfokussierten<br />
Hyper-Gnade. Dabei wäre<br />
es viel komfortabler, fest im Sattel zu sitzen.<br />
Die zerstörerische Wirkung von Gesetzlichkeit<br />
haben wir gesehen – die Frucht einer von außen<br />
auferlegten Religion, von Regeln ohne Beziehung,<br />
von Gesetzen ohne Liebe. Brown hat die<br />
befreiende Auswirkung der Gnade selbst massiv<br />
erlebt. Er kann sich nicht vorstellen, auch nur<br />
eine Minute lang ohne diese Gnade Gottes leben<br />
zu wollen, auch beabsichtigt er auf keinen Fall,<br />
Gottes Gnade zu schmälern oder sie für selbstverständlich<br />
zu halten.<br />
Aber Gnade kann leider auch missverstanden<br />
werden; sie ist nicht nur die unverdiente Gunst<br />
Gottes, die auch als „Reichtum Gottes auf Christi<br />
Kosten“ erklärt wird (englisch: „God’s Riches At<br />
Christ’s Expense“). Gnade ist auch seine beständige<br />
Bevollmächtigung, seine kontinuierliche<br />
Arbeit an uns, die wir gerettet sind. Brown zitiert<br />
A. M. Hunter: „Gnade ist vor allem die geschenkte<br />
vergebende Liebe Gottes in Christus für Sünder<br />
und ihre Wirkung im Leben von Christen.“<br />
In den letzten Jahren ist die Botschaft von<br />
der Gnade, mit schwerwiegenden Verzerrungen<br />
und Irrtümern vermischt, als neue Offenbarung<br />
oder gar als „Gnadenrevolution“ auf den Markt<br />
gekommen. Brown kennt viele Berichte von positiven<br />
Lebensveränderungen dank dieser Bewegung,<br />
sieht aber auch viel Negatives durch diesen<br />
54<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
neuen Trend der „Hyper-Grace“ – von Kirchenspaltungen<br />
und Abwegen durch Verirrungen ganz<br />
zu schweigen.<br />
Brown schreibt, er habe dieses Thema nicht<br />
gesucht, vielmehr sei er mit dieser „Gnaden-<br />
Lehre“ konfrontiert worden durch eine übertriebene,<br />
biblisch fragwürdige und aufdringliche Art<br />
und Weise.<br />
Die HyperGrace-Vertreter rückgefragt<br />
Er habe sich sehr intensiv mit alledem auseinandergesetzt<br />
und damit gerungen, weil er nicht aus<br />
einer rückständigen Perspektive habe schreiben<br />
wollen. Mit seinem Buch wolle er Gnade hochhalten,<br />
er wolle aufbauen und nicht niederreißen<br />
und habe sein Bestes gegeben, um Irrtümern<br />
dem Gesamtbild der Bibel entgegenzusetzen, so<br />
Dr. Brown.<br />
Dazu hat er eine Reihe von Leitern kontaktiert,<br />
mit deren Lehren er nicht einverstanden war, um zu<br />
fragen, ob er ihre Position richtig verstanden habe<br />
bzw. ob sie immer noch ihre Ansichten verträten.<br />
Die Bezeichnung „HyperGrace“ wird von den<br />
einen im Sinne von „hervorragend, grandios“ verstanden;<br />
andere verstehen darunter „übertrieben,<br />
verfälscht, gefährlich“.<br />
In seinem Buch bezeichnet Brown diese Botschaft<br />
auch als „die moderne Gnadenbotschaft“,<br />
aber nicht als „gefälschte Gnade“, weil er glaubt,<br />
dass viele dieser Leiter wunderbare Wahrheiten<br />
über Gnade verbreiten und dadurch schon viele<br />
profitieren konnten und von gesetzlichen Konzepten<br />
frei wurden. In Anbetracht dessen war Brown<br />
bestrebt, sich sehr vorsichtig auszudrücken, um<br />
nicht die zu berauben, die durch die moderne Gnaden-Botschaft<br />
Hilfe erfahren haben. Und für jene,<br />
die wegen einseitiger Darstellung und deren Auswirkung<br />
Gnade sogar ablehnen, hofft er, dass sie<br />
doch einen ausgewogenen Zugang dazu finden.<br />
Die Vermischung mit Gutem ist die Krux<br />
In Michael Browns Augen ist die moderne Gnadenbotschaft<br />
ziemlich vermischt; sie kombiniert gute<br />
Einsichten, mit ernsthafter Fehlinterpretation der<br />
Bibel, „gnadenloser“ Rhetorik und überzogenen<br />
Reaktionen gegenüber Andersdenkenden. Zu oft<br />
bekommt sie Applaus von jenen Christen, die nicht<br />
nur von Gesetzlichkeit frei werden wollen, sondern<br />
gleich von allen Maßstäben Gottes.<br />
Mit Hyper-Grace sieht Brown eine Bewegung<br />
aufkommen, die ihre eigene Form von Gesetzlichkeit<br />
hat, indem sie die einzigartige Wahrheit des<br />
Wortes Gottes mit destruktivem Irrtum vermischt.<br />
Dabei ist es für ihn keine Frage, dass die<br />
Kirche von heute, besonders in der westlichen<br />
Welt, eine massive Reformation und Veränderung<br />
brauchen könnte.<br />
Er befürworte nicht alles, was frühere Reformer<br />
gebracht hätten, beteuert Brown; so folge er nicht<br />
dem Calvinismus von Johannes Calvin und dessen<br />
Taufverständnis; da sehe er sich auf der Seite der<br />
Wiedertäufer, auch gegen Martin Luther.<br />
Die Hyper-Grace-Botschaft liefert in Browns<br />
Augen eine verzerrende Fehlinterpretation des<br />
Wortes Gottes. Er findet es erstaunlich, dass dieser<br />
Trend gerade jetzt aufkomme, in einer Zeit,<br />
in der die Kirche der westlichen Welt einen eindringlichen<br />
Weckruf zu einer neuen Begegnung<br />
mit Jesus brauche, heraus aus einer Phase lähmenden<br />
Schlafes.<br />
Brown zitiert Pastor Whitten (einen der Hyper-<br />
Grace-Prediger): „Wer verlangt, einen fortwährenden<br />
Prozess der Heiligung zu trainieren, der predigt<br />
‚Verhaltensveränderung‘. Der<br />
ist im (lukrativen!) Geschäft des<br />
‚Sündenmanagements‘ tätig<br />
und propagiert ‚dieselbe<br />
geistliche mörderische Lüge‘,<br />
wie Luther und Calvin es<br />
taten. Sie brauchen die<br />
großartige Offenbarung<br />
dieser neuen Reformation,<br />
der Gnadenrevolution.“<br />
Eine der Grundlagen der Hyper-<br />
Grace-Botschaft lautet, dass in dem<br />
Moment, in dem jemand errettet wurde,<br />
Gott ihm nicht nur die früher begangenen<br />
Sünden vergeben hat und die, die er im Moment<br />
begeht, sondern auch die, die er in Zukunft<br />
begeht.<br />
Ken Whitten, Pastor, Idlewild<br />
Baptist Church, Florida, USA<br />
Es ist nur die<br />
Frage, auf welcher<br />
Seite man<br />
vom Pferd fallen<br />
möchte: auf der<br />
religiösen oder auf<br />
der einer selbstfokussierten<br />
Hyper-<br />
Gnade<br />
Z für Zukunft<br />
55
Z-aktuell<br />
Joseph Prince, Sprecher<br />
auf der Holy Spirit Night<br />
Stuttgart, des Gospel-Forum<br />
Foto: Screenshot vom Promotions-<br />
Video<br />
Was<br />
Michael Brown<br />
beunruhigt,<br />
ist die Gnadenlosigkeit,<br />
mit der<br />
jene diffamiert<br />
werden, die<br />
nicht zu ihrem<br />
Lager gehören<br />
Philip Gulley und James<br />
Mulholland, die Autoren des<br />
Buches „If Grace Is True<br />
Fotos: © YiuTube u. facebook<br />
Ist das Vaterunser wirklich out?<br />
Jede Kirche in der Welt, die in ihrer Liturgie noch<br />
das Vaterunser betet, bekräftige damit „schlechte<br />
Nachrichten“. Gemäß der Hyper-Grace-Auffassung<br />
ist es nämlich verkehrt, Gott um Vergebung zu bitten,<br />
wenn man heute sündigt. Doch das Vaterunser<br />
beinhaltet genau diese Bitte: „Vergib uns unsere<br />
Schuld [und damit ist Sünde gemeint], wie auch<br />
wir vergeben unsern Schuldigern“ [das sind diejenigen,<br />
die gegen uns sündigen], und Jesus fügt<br />
noch hinzu: „Denn wenn ihr den Menschen ihre<br />
Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer<br />
Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den<br />
Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater<br />
eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ 1<br />
Die modernen Gnadenlehrer bestehen darauf,<br />
dieses von Jesus gelehrte Gebet sei nicht den<br />
Christen heute gegeben worden.<br />
Der All-Versöhnungs-Faktor<br />
Aber die Ansichten dieser Bewegung gehen noch<br />
viel weiter: Wenn Sie immer noch glauben, dass<br />
Millionen von (nicht bekehrten) Menschen das<br />
Gericht der Hölle erleiden werden, dann haben Sie<br />
die Gnade vielleicht noch nicht weit genug gefasst.<br />
Diesen Denkansatz behandeln Philip Gulley und<br />
James Mulholland in ihrem Buch „If Grace Is True:<br />
Why God Will Save Every Person“ (Wenn Gnade<br />
wahr ist: Warum Gott jeden Menschen erretten<br />
wird). Darin vertreten Gulley und Mulholland die<br />
These, dass letztendlich alle Menschen gerettet<br />
werden. – Aber warum sollten wir bei der Errettung<br />
aller Menschen stehenbleiben? Warum dann<br />
nicht gleich glauben, dass sogar die Dämonen und<br />
Satan selbst gerettet werden?<br />
Kreuz und Spaß – passt das zusammen?<br />
John Crowders „Mystical Union“ (Mystische Einheit)<br />
liefert noch einen Aspekt. Er schreibt:<br />
„Wenn Sie an das Kreuz denken, denken Sie dann<br />
an Spaß? Wenn die Antwort ‚Nein‘ lautet, dann<br />
wurde Ihnen das Kreuz nicht richtig gelehrt.“ Dieser<br />
Autor behauptet: Wer angesichts des qualvollen<br />
Todes Jesu am Kreuz nicht an „Spaß“ denke,<br />
der liege schief.<br />
Aber oft ist es nicht die Botschaft von der<br />
Gnade selbst, die die Kontroversen entfacht; es<br />
ist eine Fehlinterpretation der Gnadenbotschaft,<br />
die Widerspruch hervorruft.<br />
Wo ist die Gnade<br />
im Hyper-Grace-Lager?<br />
Wo ist die Sanftheit des Geistes, die Freundlichkeit<br />
des Herzens, die tiefe Sicherheit, die sich<br />
nicht schnell erzürnen lässt, die Christus-ähnliche<br />
Haltung, die darauf verzichtet zu kontern, die<br />
gnädige Geisteshaltung derer, die Gnade empfangen<br />
haben?<br />
Was Michael L. Brown besonders beunruhigt,<br />
ist die Gnadenlosigkeit, in der sie die diffamieren,<br />
die nicht zu ihrem Lager gehören.<br />
Ein früherer Leiter aus diesem Lager veröffentlichte<br />
was ihm mitgeteilt wurde, nachdem<br />
er die Bewegung verlassen hatte: „Ich wurde<br />
als ›Mix-Prediger‹, ›Pharisäer‹, ›Gesetzes-Hurenbock‹<br />
und als ›die christliche Gedankenpolizei‹<br />
etikettiert, und viele Male wurde mir gesagt, ich<br />
solle doch ›endlich mal erwachsen werden‹.“<br />
Die zentrale Frage in dieser Kontroverse lautet<br />
also: Hat Gott uns auch unsere zuküftigen Süden<br />
bereits vergeben? Wenn Ja: Was bedeutet das<br />
praktisch und was bedeutet es nicht?<br />
Brown lässt immer wieder Joseph Prince zu<br />
Wort kommen, einen Hauptvertreter der Gnaden-<br />
Lehre: „Seine [Gottes] Gnade wird billig gemacht,<br />
wenn Sie denken, dass er Ihnen nur die Sünden<br />
bis zu dem Zeitpunkt Ihrer Errettung vergeben<br />
hat und Sie danach von Ihrem Sündenbekenntnis<br />
abhängig sind, um Vergebung zu erhalten. Gottes<br />
Vergebung wird nicht auf Raten gegeben.“<br />
56<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Pastor Ryan Rufus betont: „Aber sogar nach<br />
dem ‚wenn wir sündigen‘ fangen Sie nicht an,<br />
Gott um Vergebung zu bitten. Versuchen Sie<br />
nicht, diese Sünde zu bekennen. Wandeln Sie weiter<br />
im Bund der Gnade. Verkünden Sie weiter Ihre<br />
absolute Vergebung.“<br />
Es ist wahr, dass zu dem Zeitpunkt, als Jesus<br />
für die Menschheit starb, unsere Sünden noch<br />
„zukünftig“ waren, wir waren ja noch nicht<br />
einmal geboren. Insofern Ja: Jesus starb und<br />
bezahlte für unsere „zukünftigen“ Sünden. Aber<br />
hatten wir damals bereits Sündenvergebung?<br />
– Absolut nicht! Erst mit dem Schritt der Bekehrung<br />
sei das, was zuvor potenziell vorhanden<br />
war, für den einzelnen Christen aktiviert worden,<br />
betont Michael L. Brown.<br />
Einmal errettet, immer erettet?<br />
Da Hyper-Grace-Lehrer glauben, einmal errettete<br />
Christen bräuchten Gott ihre Sünden nicht zu<br />
bekennen noch ihn um Vergebung zu bitten.<br />
Der Apostel Johannes klärt diesen Irrtum in<br />
seinem ersten Brief eindeutig auf: „Wenn wir<br />
unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht,<br />
dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt<br />
von jeder Ungerechtigkeit.“ 2<br />
Aber Ryan Rufus sieht das anders: „Als ein von<br />
Neuem geborener Gläubiger des neuen Bundes<br />
hinzugehen und um Vergebung zu bitten, nachdem<br />
man gesündigt hat, ist eine Sünde. Es ist die<br />
Sünde des Unglaubens. Sie glauben nicht an das<br />
vollendete Werk des Kreuzes.“<br />
Ob er da nicht etwas total missversteht?<br />
Kostenfreie Autowäschen garantiert<br />
David Ravenhill gebraucht ein anschauliches Bild<br />
für diesen Sachverhalt: „Stellen Sie sich ein Autohaus<br />
vor, das jedem Autokäufer kostenfreie Autowäschen<br />
garantiert, solange er das Auto besitzt.<br />
Der Verkäufer versichert Ihnen, alle zukünftigen<br />
Autowäschen, die Sie jemals brauchen, sind<br />
mit dem Autokauf vollständig bezahlt. Einige<br />
Tage später fahren Sie durch schlammige Schlaglöcher<br />
einer Landstraße, der Wagen ist von oben<br />
bis unten vollgespritzt. Aber kein Problem, Sie<br />
können Ihre kostenfreie Autowäsche ja nützen.<br />
Aber einer Ihre Freunde teilt Ihnen mit, dass Sie<br />
nicht mehr dorthin zu fahren bräuchten, die erste<br />
Autowäsche wäre absolut ausreichend gewesen.<br />
Jede Überlegung, eine weitere Autowäsche zu brauchen,<br />
sei nicht nur falsch, sondern eine Lüge. 3<br />
In der Tat: Alles, was wir brauchen, ist vom<br />
Sohn Gottes bezahlt worden und steht uns zur<br />
Verfügung. Gelegentlich müssen wir trotzdem<br />
noch zur Waschstation, aber dafür müssen wir<br />
nichts bezahlen und wir brauchen dabei auch<br />
kein schlechtes Gewissen zu haben. Während wir<br />
mit Jesus durch die Welt laufen, empfangen wir<br />
Vergebung, Reinigung, Führung und Versorgung,<br />
so wie wir es brauchen – sei es Tag für Tag oder<br />
von einem Augenblick zum nächsten.<br />
Jesus sagt: „Ich überführe und züchtige alle,<br />
die ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße! 4 Überführung<br />
und Züchtigung ist doch nichts Schlechtes,<br />
es ist ein Zeichen für Gottes Liebe zu uns, ein<br />
Ausdruck seiner Gegenwart und Güte.<br />
„Aber“, wendet vielleicht jemand ein, „der Heilige<br />
Geist möchte nicht, dass ich mich schlecht<br />
fühle. Er will nur, dass ich mich gut fühle!“ Hier<br />
wird Michael L. Brown sehr direkt: „Dies ist eine<br />
sehr unreife Haltung. Es ist eine unglaublich<br />
oberflächliche Einstellung gegenüber dem Leben<br />
ganz allgemein.“<br />
Wohfühl-Christen sind so mit sich selber<br />
beschäftigt. Werden sie jemals in der Lage sein,<br />
dieser Welt etwas zu geben?<br />
Auszug aus Michael L. Brown, „Gnade ohne Ende? -<br />
Die moderne Gnaden-Bewegung“, Glaubenszentrum e.V.,<br />
ISBN 978-3-9816146-7-1,<br />
http://shop.agentur-pji.com/gnade-ohne-ende.html<br />
1 Matthäus 6,12.14–15.<br />
2 1. Johannes 1,9.<br />
3 David und Nancy Ravenhill, „Rooting Out Fuzzy Theology<br />
Behind the Hyper-Grace Message”, CharismaNews.com, 13.<br />
April 2013, http://www.charismanews.com/opinion/39015-<br />
rooting -out-fuzzy-theology-behind-the-hyper-grace-message<br />
(aufgerufen am 3. September 2013).<br />
4 Offenbarung 3,19.<br />
„Der Heilige Geist<br />
möchte nicht, dass<br />
ich mich schlecht<br />
fühle.“<br />
„Dies ist wohl<br />
eine sehr<br />
unreife Haltung.<br />
Wohfühl-Christen<br />
sind zu sehr<br />
mit sich selber<br />
beschäftigt<br />
John Crowders<br />
Foto: © LinkedIn<br />
Ryan Rufus<br />
Foto: © www.newnatureministries.org<br />
David Ravenhill<br />
Foto: © www.davidravenhill.com<br />
Z für Zukunft<br />
57
Z-aktuell<br />
Hinrichtung<br />
von Wiedertäufern<br />
Stick von Jan Luyken<br />
(1649 - 1712)<br />
Der rote Faden, Teil zwei<br />
Der erste Teil fand seinen Abschluss mit dem Tod von Hans Denck 1 ; nach jahrelanger<br />
Verfolgung starb er 1527 geschwächt im Haus eines Freundes in Basel, wahrscheinlich<br />
noch keine dreißig Jahre alt.<br />
Hans Denck war sehr<br />
einflussreich unter den<br />
Wiedertäufern. Er fragte:<br />
Was fehlt der Lehre Luthers?<br />
Kindertaufe oder Glaubenstaufe? Diese<br />
Frage trennt bis heute; jahrhundertelang<br />
war die Taufe, so wie im Neuen<br />
Testament von ihr berichtet wird,<br />
verboten und wurde mit dem Tode<br />
bestraft. Heute kann man nur seinen Job verlieren,<br />
falls man z. B. in einem kirchlichen beschäftigt<br />
wäre.<br />
Der Schweizer Reformator Johannes Zwingli<br />
forderte die Todesstrafe gar für diejenigen, die in<br />
Lehrfragen von seiner Ansicht abwichen. In früheren<br />
Jahren hatte er enge Verbindung zu Wiedertäufern,<br />
befasste sich ernsthaft mit der Tauffrage<br />
– und stellte fest, dass für die Kindertaufe sich in<br />
der Schrift kein Beleg finde. Aber die zivile Gewalt<br />
sorgte rigoros für die Durchsetzung auch kirchlicher<br />
Beschlüsse, daher änderte er seine Haltung.<br />
Hans Denck, 1500–1527<br />
Gehen wir für den zweiten Teil unseres „Roten<br />
Fadens” einen Schritt zurück und beginnen wir<br />
mit dem Bayern Hans Denck 1 (1500–1527; auch<br />
Johannes oder Johann Denk oder Dengk). In Basel<br />
hatte er promoviert; dort war er mit Erasmus<br />
in Berührung gekommen und mit anderen klugen<br />
Köpfen, die sich alle mit den verordneten<br />
Denkmustern ihrer Zeit nicht abfinden wollten.<br />
Dann wurde Denck nach Nürnberg berufen, dort<br />
sollte er an einer namhaften Schule unterrichten.<br />
Nürnberg, eine Hochburg der Reformation – mit<br />
hohen Erwartungen macht Denck sich auf den<br />
Weg, sicher herrschen hier Sittlichkeit und Aufrichtigkeit.<br />
Aber Denck wird bitter enttäuscht, er<br />
findet das genaue Gegenteil. Wie kann das sein?<br />
58<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Da muss etwas nicht ausgewogen sein an Luthers<br />
Lehre: richtig, die Betonung der Rechtfertigung<br />
aus Glauben, ohne Werke! Ja, Luther hat viele<br />
Missstände behoben, die sich in der römischen<br />
Kirche etabliert haben. Aber die Folge des christlichen<br />
Glaubens muss doch – ein mündiger Gehorsam<br />
sein!? Das fehlt Denck: Die Lehre aus Wittenberg<br />
mache nur „sicher und sorglos“. Denn eine<br />
Lehre, die sich gegen „fleischliche Begierden“<br />
wendet, hört man auch im „neuen Glauben“ nicht<br />
gern. Man möchte als Christ angesehen werden;<br />
reicht es denn nicht, dass Gott uns für gerecht<br />
hält? – So durften sich sogar die Schlimmsten,<br />
gerade auch unter dem Klerus, zu den Heiligen<br />
zählen. Wer zur Buße von dem sündigen Wandel<br />
aufforderte, der konnte sein Bündel schnüren und<br />
woanders ein neues Publikum suchen; und das<br />
war noch eine milde Konsequenz.<br />
Hans Denck prangerte das an. Über ein öffentliches<br />
Streitgespräch wird berichtet, „dass Denck<br />
sich so tüchtig zeigte, dass man es für zwecklos<br />
ansah, mündlich mit ihm zu streiten“. Man forderte<br />
von ihm, sieben Hauptpunkte schriftlich<br />
niederzulegen, denen wollte man entgegnen;<br />
aber auch dazu war man nicht fähig. Das Ergebnis:<br />
Denck wurde aufgefordert, Nürnberg noch<br />
vor Nacht zu verlassen. Die Begründung: Er habe<br />
unchristliche Irrlehre eingeführt und gewagt, sie<br />
zu verteidigen, und er sei unbelehrbar. Seine Antworten<br />
seien so unehrlich und listig, dass ein Versuch,<br />
ihnen zu begegnen, zwecklos sei.<br />
Denck sprach über die Verderbtheit des Menschen<br />
und dessen Verlangen nach Leben und<br />
Seligkeit. Diese könne man ja durch Glauben<br />
erlangen, hielt man ihm entgegen; aber für Denck<br />
war Glauben mehr als die bloße Zustimmung<br />
zu dem, was man gehört oder gelesen hat. Er<br />
stellte fest, die Schrift könne man nicht durch<br />
bloß „äußerliches Lesen“ verstehen, sondern<br />
nur, wenn der Heilige Geist sie dem Herzen und<br />
Gewissen eröffne.<br />
Ein Dokument lutherischer Geistlicher zu<br />
Dencks Vertreibung besagte, er meine es gut,<br />
seine Worte seien mit solch christlichem Verständnis<br />
geschrieben, dass seine Gedanken und<br />
Ansichten wohl gestattet werden könnten; doch<br />
aus Rücksicht auf die Einheit der lutherischen<br />
Kirche sei es nötig, anders zu handeln.<br />
In Augsburg fand Denck Aufnahme und Arbeit;<br />
dort begann er, jene Bürger zu sammeln, die inmitten<br />
des allgemeinen Sittenverfalls ihren christlichen<br />
Glauben im Alltag leben wollten. Unter<br />
denen, die es ernst meinten mit dem Glauben<br />
und Leben, waren viele „glaubensgetauft“, hatten<br />
sich also aus eigenem Entschluss taufen lassen.<br />
Ein Besuch Dr. Balthasar Hubmayrs (1485–1528,<br />
starb als Täufer den Märtyrertod) 2 brachte Denck<br />
zu dem Entschluss, sich ihnen anzuschließen und<br />
sich ebenfalls taufen zu lassen.<br />
Ein Schreiber jener Zeit hielt fest: „Es war ein<br />
schönes Ideal, das den reinen Geistern unter den<br />
Wiedertäufern vorschwebte. Mit Verlangen schauten<br />
sie auf die herrliche Zeit, da die ersten Apostel<br />
von Stadt zu Stadt zogen und die ersten Christengemeinden<br />
gründeten, wo alle im Geist der Liebe<br />
als Glieder eines Leibes zusammenkamen.“<br />
Sektierertum<br />
Sekte bedeutet „Begrenzung“, „Abgrenzung“:<br />
Man begreift eine Aussage, einen Teil der Heiligen<br />
Schrift, das Herz antwortet darauf und nimmt<br />
es an. Die erkannte Wahrheit wird betont, erklärt,<br />
verteidigt, ihre Kraft und Schönheit begeistert ihre<br />
Anhänger. Eine andere Seite dieser Wahrheit, eine<br />
weitere Sicht, die auch zur Schrift gehört, scheint<br />
die Wahrheit, die man als so kraftvoll empfindet,<br />
aber zu schwächen oder ihr gar zu widersprechen;<br />
so werden in eifersüchtiger Besorgnis um die vertretene<br />
Lehre die ausgleichenden Aspekte abgewertet,<br />
wegerklärt oder bestritten.<br />
So gründen sich Sekten auf einen Teil einer<br />
Wahrheit des Wortes Gottes, das aber begrenzt<br />
und ist unausgeglichen, weil sie nicht das ganze<br />
Spektrum sehen. Ihren Anhängern wird damit<br />
nicht nur eine Reihe von Zusagen der Bibel vorenthalten,<br />
sie werden auch von der Gemeinschaft<br />
mit anderen Gläubigen abgetrennt.<br />
Wen wollte man da des Sektierertums bezichtigen<br />
in dieser von Lehrfragen so bewegten Zeit,<br />
und wen nicht?<br />
Dr. Balthasar Hubmayr<br />
brachte Hans Denck dazu,<br />
sich taufen zu lassen<br />
Sekten gründen<br />
sich auf einen Teil<br />
einer Wahrheit des<br />
Wortes Gottes, das<br />
begrenzt und ist<br />
unausgeglichen,<br />
man sieht nicht das<br />
ganze Spektrum.<br />
Ihren Anhängern<br />
wird damit nicht<br />
nur einiges vorenthalten,<br />
sie trennen<br />
sich auch von<br />
anderen ab<br />
Z für Zukunft<br />
59
Z-aktuell<br />
Foto: © nightphotos.de, Roland Falk<br />
Im Turm der Lambertikirche<br />
hängen noch immer die 3 Käfige,<br />
in denen 1536 die Leichen<br />
der öffentlich hingerichteten<br />
Anführer der Täuferbewegung<br />
zur Schau gestellt wurden.<br />
Menno Simons<br />
Caspar von schwenkfeld<br />
Menno Simons 3 , 1496–1561<br />
„Siebzehn Jahre lang habe ich der Lehre von<br />
Münster 4 widerstanden und dagegen gekämpft<br />
in Wort und Schrift. Jene, die wie die Leute von<br />
Münster das Kreuz Christi verwerfen, das Wort<br />
des Herrn verachten und irdischen Lüsten unter<br />
der Vorgabe rechten Tuns nachgehen, werden wir<br />
nie als unsere Brüder anerkennen. Wenn unsere<br />
Ankläger behaupten, dass wir, da wir äußerlich in<br />
der gleichen Weise getauft worden sind wie jene,<br />
auch der gleichen Gemeinschaft zugezählt werden<br />
müssen, antworten wir: Wenn äußerliche Taufe so<br />
viel vermag, dann mögen sie selbst bedenken, welche<br />
Art Gemeinschaft die ihre ist, denn es ist klar,<br />
dass Ehebrecher und Mörder und ähnliche dieselbe<br />
Taufe empfangen haben wie sie!“<br />
Das schrieb der niederländisch-friesische<br />
Priester Menno Simons, von dem die Mennoniten<br />
ihren Namen haben. Nach den Ausschreitungen<br />
zu Münster wurden alle als Gläubige Getauften<br />
der Mittäterschaft beschuldigt und heftiger verfolgt<br />
denn je. Trotz größter Gefahr suchte Menno<br />
Simons die verstreuten und gehetzten Übriggebliebenen<br />
auf und stärkte sie im Glauben.<br />
Über seine jungen Jahre schrieb er: „Was die<br />
Schrift angeht, so habe ich sie noch nie im Leben<br />
angerührt, denn ich fürchtete, dass, wenn ich sie<br />
läse, ich verführt werden könnte. Später kam mir, so<br />
oft ich in der Messe mit Brot und Wein zu tun hatte,<br />
der Gedanke, dies könnte vielleicht doch nicht des<br />
Herrn Fleisch und Blut sein.“ Wenn unter Kollegen<br />
die Rede auf die Heilige Schrift kam, wusste er sich<br />
nur darüber lustig zu machen.<br />
„Dann beschloss ich, das Neue Testament<br />
einmal sorgfältig zu lesen. Ich war noch nicht<br />
weit gekommen, als mir aufging, dass wir betrogen<br />
worden waren. Tag für Tag machte ich Fortschritte<br />
in der Kenntnis der Schrift.“ [Es bestätigt<br />
sich immer wieder: Selber lesen lohnt sich!]<br />
„Bis dahin hatte ich noch nie von Wiedertäufern<br />
gehört. Damals geschah es, dass ein ehrenwerter,<br />
frommer Mann enthauptet wurde, weil er<br />
sich zum zweiten Mal hat taufen lassen. Es klang<br />
eigentümlich in meinen Ohren, dass da von einer<br />
anderen Taufe gesprochen wurde. Ich las genau<br />
darüber in der Schrift, aber ich konnte nichts über<br />
die Kindertaufe finden. Als ich das erkannt hatte,<br />
sprach ich darüber mit meinem Priester und wir<br />
mussten feststellen, dass die Kindertaufe in der<br />
Schrift keine Grundlage hat.“ Menno zog weitere<br />
Brüder zu Rate und fragte bei Luther nach, bei<br />
Brucer und anderen – und jeder nannte ihm einen<br />
anderen Grund für die Kindertaufe, aber nichts<br />
davon stimmte mit der Schrift überein.<br />
„Dann fing ich an, öffentlich von der Kanzel<br />
das Wort von der Buße zu verkündigen, das Volk<br />
auf den schmalen Weg zu weisen, alle Sünden und<br />
Gottlosigkeit zu verurteilen, auch Götzendienst<br />
und falschen Gottesdienst, und frei zu bezeugen,<br />
was Taufe und Herrenmahl nach dem Willen<br />
Christi bedeuten, soweit ich bis dahin Gnade von<br />
Gott empfangen hatte.“<br />
Menno Simons verschrieb sich der Sammlung<br />
und Auferbauung der Christen, die durch die Verfolgung<br />
zerstreut waren, zunächst in den Niederlanden,<br />
bis er 1543 geächtet und auf seinen Kopf<br />
ein Preis gesetzt wurde; wer ihn versteckte, war<br />
des Todes schuldig, jeder Verbrecher aber, der<br />
ihn dem Henker überliefern würde, sollte begnadigt<br />
werden. Nach vielen Wanderungen und<br />
Gefahren fand er in Holstein Zuflucht.<br />
Caspar von Schwenkfeld 5 , 1490–1561<br />
Schwenkfeld hielt sich von der römisch-katholischen<br />
wie auch von der lutherischen und reformierten Kirche<br />
fern; er schloss sich auch nicht den Wiedertäufern<br />
an, und doch hatte der schlesische Adelige großen<br />
Einfluss. Er machte Geschäfte mit deutschen<br />
60<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
Fürstenhöfen und hatte mit dem Glauben nicht viel<br />
am Hut; mit etwa dreißig Jahren aber stieß er auf<br />
Luther, die „wunderbare Trompete Gottes”.<br />
Es dauerte nicht lange, bis er in Luthers Lehre<br />
einige Punkte zu beanstanden fand, besonders seine<br />
Abendmahlslehre – worauf Luther ihn heftig angriff;<br />
er setzte seine Macht ein und brandmarkte ihn als<br />
Ketzer. Schwenkfeld riet seinen Anhängern: „Lasst<br />
uns glaubensvoll für sie (unsere Gegner) zu Gott<br />
beten, denn es muss endlich die Zeit kommen, da<br />
sie mit uns allen gemeinsam unsere Unwissenheit<br />
vor dem einen Meister, Christus, zugeben.“<br />
Schwenkfeld wurde zum leidenschaftlichen<br />
Bibelleser; er überließ es dem Heiligen Geist, ihn<br />
beim Lesen zu leiten. „Christus“, so sagt er, „ist die<br />
Summe der ganzen Bibel“, und „der Hauptzweck<br />
der ganzen Heiligen Schrift ist, dass wir den Herrn<br />
Christus völlig erkennen“. Als sichere Regel für<br />
den Ausleger gab er an: „Bei strittigen Stellen<br />
muss der gesamte Text herangezogen werden,<br />
Schrift muss Schrift erklären, Einzelstellen müssen<br />
im Zusammenhang gelesen und miteinander<br />
verglichen werden, man muss die Bedeutung feststellen,<br />
nicht nur nach dem äußeren Erscheinungsbild<br />
der einzelnen Stelle, sondern entsprechend<br />
dem Sinn der ganzen Schrift.“<br />
„Wenn wir nicht alles verstehen“, so Schwenkfeld,<br />
„wollen wir deshalb nicht die Schrift tadeln,<br />
sondern vielmehr unsere Unwissenheit.“ – „Wenn<br />
wir die Kirche reformieren wollen, müssen wir<br />
die Heilige Schrift und besonders die Apostelgeschichte<br />
zur Hand nehmen. Da kann man klar<br />
erkennen, wie es am Anfang war und was recht<br />
und was nicht recht ist.“<br />
Er fragte, wo schriftgemäße Versammlungen<br />
„heute“ zu finden seien: „Die Schrift kennt keine<br />
anderen als solche, die Christus als ihr Haupt anerkennen<br />
und sich willig der Leitung des Heiligen<br />
Geistes unterstellen, der sie mit geistlichen Gaben<br />
und Erkenntnis ausrüstet.“ Jegliche Einschränkung<br />
des allgemeinen Priestertums der Gläubigen war<br />
für Schwenkfeld eine Einschränkung des Heiligen<br />
Geistes. „Wenn man zur Zeit Pauli so gehandelt und<br />
nur denen zu predigen erlaubt hätte, die von der<br />
Behörde ernannt wurden, wie weit wäre dann der<br />
christliche Glaube wohl gekommen?“ Einige seien<br />
zu besonderem Dienst erwählt; der Geist Gottes<br />
befähige sie dazu und nicht etwa Studium, Auswahl<br />
oder Ordinierung; dass Christus mit ihnen sei, zeige<br />
sich in Gnade, Kraft und Segen.<br />
1529 musste Schwenkfeld seine Heimat verlassen;<br />
die restlichen 30 Jahre seines Lebens war<br />
er Wanderer, verfolgt von der lutherischen Kirche.<br />
Seine Verbannung führte zur weiteren Ausbreitung<br />
seiner Lehre.<br />
Verbotenes Herrenmahl<br />
in Frankreich<br />
Im Jahre 1533 hatten Gläubige in Südfrankreich<br />
den Wunsch, häufiger zum Lesen der Schrift zusammenzukommen.<br />
Zu der Zeit heiratete Margarete,<br />
Königin von Navarra (1492–1549), in diese Gegend;<br />
mit ihr kamen der Theologe und Bibelübersetzer<br />
Jacques Lefèvre d’Étaples (1450/1455–1536) 6 und<br />
sein Schüler Gérard Roussel (um 1500–1550) 7 .<br />
Sie pflegten die katholische Kirche zu besuchen<br />
und anschließend im Schloss Zusammenkünfte mit<br />
einem biblischen Vortrag abzuhalten, wozu auch<br />
viele aus der Bevölkerung erschienen.<br />
Einige hatten den Wunsch, das Mahl des Herrn<br />
zu feiern, trotz der damit verbundenen Gefahr.<br />
Man wählte eine große Halle, abseits öffentlicher<br />
Aufmerksamkeit; hier wurde ein Tisch mit Brot<br />
und Wein aufgestellt und alle nahmen am Herrnmahl<br />
teil, ohne jede kirchliche Form. Die Königin<br />
und die aus niedrigem Stand bekundeten ihre<br />
Gleichheit in der Gegenwart des Herrn. Das Wort<br />
Gottes wurde gelesen und ausgelegt, man nahm<br />
eine Sammlung für die Armen vor, und dann ging<br />
man wieder auseinander.<br />
Um die gleiche Zeit war dort auch Johannes Calvin<br />
(1509–1564) 8 , der wegen seiner Lehre genötigt<br />
worden war, Paris zu verlassen. Man sprach über<br />
Luther und Zwingli und ihre Lehren, und die katholische<br />
Kirche wurde offen kritisiert. Als es gefährlich<br />
wurde, gingen die Christen in eine unbewohnte<br />
Gegend außerhalb der Stadt und trafen sich in<br />
einer größeren Höhle, dort brach man unter Gebet<br />
und Schriftlesung das Brot; und wer den Eindruck<br />
hatte, dass der Heilige Geist ihm ein Wort der<br />
Ermahnung oder Auslegung gegeben hatte, konnte<br />
in aller Freiheit reden.<br />
„Wenn wir die<br />
Kirche reformieren<br />
wollen, müssen wir<br />
die Heilige Schrift<br />
und besonders die<br />
Apostelgeschichte<br />
zur Hand nehmen.<br />
Da kann man klar<br />
erkennen, wie es<br />
am Anfang war und<br />
was recht und was<br />
nicht recht ist.“<br />
Margarete, Königin von Navarra<br />
Jacques Lefèvre d’Étaples<br />
Johannes Calvin<br />
Z für Zukunft<br />
61
Z-aktuell<br />
Paris während der<br />
Bartholomäusnacht.<br />
Die Häuser der Hugenotten<br />
waren gekennzeichnet,<br />
Männer, Frauen und Kinder<br />
wurden gnadenlos erschlagen.<br />
Zeitgenössisches Gemälde von<br />
François Dubois<br />
Jeanne d‘Albret<br />
Papst Pius V<br />
König Heinrich IV<br />
Ab 1560: Die Hugenotten<br />
Die Mitglieder von solchen Versammlungen wurden<br />
oft „Evangeliumsleute” genannt oder „die Frommen”<br />
und schließlich als „Hugenotten” gebrandmarkt.<br />
Im Südosten Frankreichs war der überwiegende<br />
Teil der Bevölkerung hugenottisch; anderswo<br />
waren die Hugenotten nur eine kleine Minderheit.<br />
Ein Erlass des Königs gewährte eine gewisse<br />
Freiheit des Gottesdienstes; es bestand Hoffnung,<br />
die Unterdrückung könne überwunden werden.<br />
Die Königin-Mutter von Medici, Jeanne III. von<br />
Navarra, besser bekannt als Jeanne d‘Albret<br />
(1528–1572), 9 schrieb an Papst Pius V: „Die Zahl<br />
derer, die sich von der römischen Kirche getrennt<br />
haben, ist so groß, dass sie nicht länger durch<br />
die Strenge des Gesetzes oder durch Waffengewalt<br />
unterdrückt werden können. Sie sind durch<br />
die adeligen Beamten, die sich der Partei angeschlossen<br />
haben, so stark geworden, sie halten so<br />
fest zusammen, dass sie in allen Teilen des Königreichs<br />
mehr und mehr gefürchtet werden.“<br />
Der Papst, der später heiliggesprochen wurde,<br />
war jedoch dagegen, die Evangeliumsleute gewähren<br />
zu lassen, und beide Parteien machten sich<br />
bereit für militärische Auseinandersetzungen.<br />
1572: Die Bartholomäusnacht<br />
1562 wurde eine große Versammlung unbewaffneter<br />
Gottesdienstbesucher in einer Scheune<br />
umzingelt; die wehrlosen Opfer wurden abgeschlachtet.<br />
Ein Bürgerkrieg war die Folge, er verwüstete<br />
große Teile Frankreichs.<br />
1572 kam es zur Hochzeit von Heinrich von<br />
Béarn, König von Navarra (1533– 1610 10 ),<br />
inzwischen Führer der hugenottenischen Sache,<br />
und Margarete 11 (1553–1615), Tochter der Katharina<br />
von Medici. Für die Hugenotten sah es aus,<br />
als bringe das Frieden, daher versammelte sich<br />
eine große Zahl von ihnen in Paris, um den Feierlichkeiten<br />
beizuwohnen.<br />
Eine Woche nach der Hochzeit in Notre-Dame,<br />
in der Nacht zum Tag des heiligen Bartholomäus,<br />
überraschten katholische Truppen die Nichtsahnenden;<br />
es kam zu einem Blutbad. Zuvor waren<br />
die Häuser der Hugenotten gekennzeichnet worden,<br />
Männer, Frauen und Kinder wurden gnadenlos<br />
erschlagen. In ganz Frankreich kam es zu<br />
ähnlich grauenhaften Handlungen. Die Zusammenkünfte<br />
der Hugenotten wurden verboten und<br />
man entzog ihnen ihre Kinder, um sie im Kloster<br />
katholisch zu erziehen.<br />
1594 bestieg Heinrich von Navarra als Heinrich<br />
IV. den Thron Frankreichs. Er war kein religiöser<br />
Mensch und sah die Hugenotten eher als politische<br />
Partei. Als protestantischer Herrscher in<br />
einem katholischen Land hatte er es nicht leicht.<br />
Um seinen Thron zu sichern, wurde er katholisch,<br />
nutzte aber seine Stellung, um Gesetze zugunsten<br />
der Hugenotten zu erlassen. 1598 wurde durch<br />
das Edikt von Nantes den Hugenotten die Freiheit<br />
des Gewissens und des Gottesdienstes zuerkannt.<br />
Zwölf Jahre danach wurde der König ermordet,<br />
die Hugenotten kamen wieder in Bedrängnis.<br />
1685 wurde das Edikt von Nantes aufgehoben.<br />
Alle Prediger mussten innerhalb von 14 Tagen das<br />
Land verlassen, 800 Versammlungsstätten wurden<br />
zerstört. Wer sich nicht „bekehren“ wollte:<br />
Männer kamen lebenslang auf Galeeren, Frauen<br />
ins Gefängnis. Heimlich, auf verbotenen Pfaden,<br />
versuchten viele mit ihren kleinen Kindern, den<br />
Alten und Kranken das Land zu verlassen – ein<br />
Exodus der Besten des französischen Volkes. Für<br />
die Länder, die die Flüchtlinge aufnahmen – die<br />
Schweiz, Preußen, Holland, England, Nordamerika<br />
und andere – waren sie eine Bereicherung,<br />
diese tüchtigen, ehrlichen Menschen; neben ihrer<br />
Gottesfurcht brachten sie auch ihre Fähigkeiten<br />
in Handwerk und Handel mit und engagierten<br />
sich in der Politik.<br />
62<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
1620: Aufbruch in eine neue Welt<br />
Meinungsverschiedenheiten unter den nicht<br />
katholischen Christen waren gang und gäbe: Die<br />
einen vertraten die Glaubenstaufe, andere sahen<br />
gute Gründe, die Kindertaufe beizubehalten. Die<br />
einen waren der Ansicht, der Staat habe kein Recht,<br />
sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen<br />
oder irgendeine Richtung zu begünstigen; andere<br />
hielten es für seine Pflicht, eine gewisse Aufsicht<br />
und Kontrolle über die Kirche auszuüben. Und nicht<br />
wenige, die selber protestierten gegen die Zwangsmaßnahmen,<br />
unter denen sie litten, verweigerten<br />
diese Freiheit denen, die ihren Glauben anders lebten<br />
und anders dachten als sie.<br />
Der Gedanke, in der „Neuen Welt“ jenseits des<br />
Atlantiks Gewissens- und Glaubensfreiheit zu finden,<br />
bewegte viele Christen, naturgemäß besonders<br />
die, die genug hatten von den Entbehrungen<br />
der Flucht.<br />
Eines der ersten Schiffe mit den Verfolgten,<br />
das sich nach Westen aufmachte, war 1620 die<br />
Speedwell 12 . Am Delfter Hafen wurde den Scheidenden<br />
die Worte des englischen Puritaners<br />
John Robinson (1575–1625) 13 auf den Weg mitgegeben:<br />
„Wenn Gott euch irgendetwas durch ein<br />
anderes seiner Werkzeuge offenbart, seid bereit, es<br />
so willig anzunehmen, wie ihr die Wahrheiten hier<br />
angenommen habt. Denn ich bin überzeugt, dass<br />
der Herr noch weitere Wahrheiten hat, die aus<br />
seinem heiligen Wort geschöpft werden können.<br />
Ich kann den Zustand der reformierten Kirche<br />
nicht genug beklagen, die zum Stillstand gekommen<br />
ist und heute nicht weiter geht als ihre<br />
Reformatoren. Die Lutheraner können nicht dazu<br />
gebracht werden, über das hinauszugehen, was<br />
Luther sah; was auch immer unser Gott Calvin<br />
offenbart haben mag: sie werden lieber sterben<br />
als es annehmen; und die Calvinisten stecken da<br />
fest, wo sie von dem großen Gottesmann gelassen<br />
worden sind, der doch auch nicht alles gesehen<br />
hat. Das ist eine beklagenswerte Not, denn<br />
obwohl sie zu ihrer Zeit brennende Lichter waren,<br />
drangen sie doch nicht in den ganzen Ratschluss<br />
Gottes ein. Denn es ist nicht möglich, dass die<br />
christliche Welt, die erst vor Kurzem aus so tiefer<br />
antichristlicher Finsternis herausgekommen ist,<br />
die volle Erkenntnis auf einmal erfasste.“<br />
Zur Speedwell gesellte sich die Mayflower<br />
(„Maiblume“), die eine Gruppe aus England hinüber<br />
in die „neue Welt“ brachte. Beide Schiffe stachen<br />
in See; ein Leck an der Speedwell zwang sie<br />
jedoch zur Umkehr nach Plymouth. Dort drängten<br />
sich alle auf der kleinen Mayflower zusammen. Ein<br />
furchtbarer Sturm zwang auch sie fast zur Umkehr,<br />
aber entschlossen setzen die Pioniere die Reise fort,<br />
kämpften sich durch und nach neun schrecklichen<br />
Wochen landeten 102 Personen in der Plymouth-Bai<br />
in Neuengland. Hier gründeten sie einen Staat, der<br />
nie das Gepräge des Charakters der Männer und<br />
Frauen verlieren sollte, die ihn in Gottesfurcht und<br />
Freiheitsliebe ins Leben riefen.<br />
John Wesley, 1703–1791 14<br />
Johns Mutter Susanna war eine würdige Ehefrau<br />
ihres Mannes, eines anglikanischen Geistlichen;<br />
wenn dieser abwesend war – und das war<br />
er oft – hielt die Mutter von 19 Kindern (neun<br />
starben sehr früh) selber die Familienandacht, da<br />
wurde in der Schrift gelesen und darüber gesprochen.<br />
Auch andere baten darum, teilnehmen zu<br />
dürfen; bisweilen versammelten sich über hundert<br />
Personen. Man beschwerte sich bei ihrem<br />
Mann, sie maße sich einen Platz an, der ihr als<br />
Frau nicht zustehe; sie entgegnete: „Ich bin Frau,<br />
aber genauso bin ich Herrin einer großen Familie.<br />
Und in deiner Abwesenheit kann ich doch nichts<br />
anderes tun, als auf jede Seele zu achten, die du<br />
meiner Obhut unterstellt hast.”<br />
Mayflower & Speedwell im Hafen<br />
von Dartmouth, Gemälde von<br />
Leslie Wilcox<br />
Der Gedanke,<br />
in der „Neuen<br />
Welt“ Gewissensund<br />
Glaubensfreiheit<br />
zu finden,<br />
bewegte viele<br />
Christen<br />
John Robinson im Gebet auf der<br />
Speedwell<br />
Z für Zukunft<br />
63
Z-aktuell<br />
Als Wesley die Kanzel der<br />
Pfarrkirchen verboten war,<br />
begann er im Freien<br />
zu predigen<br />
Bild: © Wellcome Collection<br />
Peter Böhler<br />
Nikolaus Ludwig<br />
Graf von Zinzendorf<br />
George Whitefield<br />
Susannas Söhne Charles und John wurden<br />
wie ihr Vater anglikanische Geistliche, aber auch<br />
nach ihrer Ordinierung konnten sie noch keinen<br />
eigenen Glauben bezeugen. Auf einer Reise nach<br />
Amerika lernten sie „mährische Brüder“ 15 kennen<br />
(Herrnhuter). Ihre Demut, ihr Friede und ihr Mut<br />
machten auf John Wesley großen Eindruck.<br />
Die Reise war für ihn ein Fehlschlag: „Ich ging<br />
nach Amerika, um die Indianer zu bekehren. Aber<br />
ach! wer bekehrt mich?“ 1738, wieder zurück in<br />
England, traf er abermals Herrnhuter, und mehrere<br />
tiefgründige Gespräche mit Peter Böhler<br />
öffneten ihm die Tür zum Glauben. Auf die zweifelnde<br />
Frage, ob er das Predigen aufgeben sollte,<br />
antwortet Böhler: „Nein, predige den Glauben,<br />
bis du ihn hast; danach wirst du, weil du ihn hast,<br />
den Glauben predigen.“<br />
So verkündigte John Wesley in vielen Londoner<br />
Kirchen eifrig das „freie (unverdient geschenkte<br />
und unverdienbare) Heil durch den Glauben an<br />
das Blut Christi“; und in einer nach der anderen<br />
wurde ihm mitgeteilt, das sei seine letzte Predigt<br />
hier gewesen.<br />
Daraufhin besuchte er Herrnhut und begegnete<br />
dort auch Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf,<br />
das war ihm eine große Hilfe.<br />
Wieder in England, traf er in Bristol seinen<br />
alten Freund George Whitefield (1714–1770);<br />
dem erging es ähnlich wie John: Der Klerus war<br />
so aufgebracht, dass auch ihm der Zugang zu fast<br />
allen Kanzeln verwehrt wurde. Freunde rieten<br />
ihm, er könne ja den Kumpels in den Kohlegruben<br />
predigen, um die kümmere sich keiner. Was Whitefield<br />
denn auch tat: „Da mir die Kanzeln<br />
verschlossen waren und die armen Kohlearbeiter<br />
aus Mangel an Erkenntnis umzukommen drohten,<br />
ging ich zu ihnen und predigte auf einem Berg<br />
vor über zweihundert Arbeitern. Das Eis war<br />
gebrochen und ich hatte wieder Boden gewonnen.“<br />
Bei seiner nächsten Predigt kamen zehntausend!<br />
Whitefields Predigt ging ihnen durchs<br />
Herz – die Tränen hinterließen weiße Spuren auf<br />
ihren schwarzen Wangen.<br />
Whitefield bat John Wesley, ihm zu helfen. Wesley<br />
war der Ansicht gewesen, Seelen retten könne man<br />
nur in einer Kirche; nun predigte er zum ersten Mal<br />
im Freien: „Ich sprach von einer kleinen Anhöhe<br />
nahe der Stadt vor ungefähr 3000 Menschen.“<br />
Nun war das Evangelium aus den grauen Kirchenmauern<br />
herausgekommen, und es eroberte<br />
das Land: Nicht nur die Ärmsten in den Elendsvierteln<br />
bekehrten sich, auch der Adel wurde erreicht.<br />
Es mangelte an Geistlichen, aber nicht lange, und<br />
der Theologe Wesley erkannte, dass der Heilige<br />
Geist zahlreiche Laien befähigte, das Evangelium<br />
mit Kraft zu verkündigen – auch ohne Ausbildung<br />
waren sie mächtige Zeugen Jesu. Anfangs gab es<br />
bei den Zusammenkünften seltsame Erscheinungen:<br />
Zuhörer stürzten mit Zuckungen zu Boden<br />
und schrien vor Reue oder Furcht.<br />
Wesley, Whitefield und andere waren ständig<br />
auf Reisen, durchzogen England und Wales. Eine<br />
große Erweckung erfasste das Land und ergriff<br />
auch Irland, Schottland und sogar Neuengland in<br />
Amerika.<br />
Lehr- und Meinungsverschiedenheiten<br />
Es verwundert nicht, dass es auch Meinungsverschiedenheiten<br />
gab über die „neuen”, bis dahin<br />
vernachlässigten Wahrheiten. Bei Lehrstreitigkeiten<br />
steht nicht immer Wahrheit gegen Irrtum; so<br />
hat die auch Lehre von der Rechtfertigung allein<br />
aus Glauben, ohne Werke, ein Gegenüber: die der<br />
Notwendigkeit guter Werke als Folge und Beweis<br />
des Glaubens. In der Tat hat jede große Lehre<br />
der Heiligen Schrift ein Gegenstück; erst beide<br />
zusammen lassen das Ganze sehen.<br />
Einige betonten mehr die eine Seite, andere<br />
wieder eine andere Seite; und jeder neigte dazu,<br />
seiner Ansicht mehr Nachdruck zu verleihen und<br />
64<br />
Z für Zukunft
Z-aktuell<br />
in der anderen eine Gefahr zu wittern. Die Größe<br />
und Vielseitigkeit von Gottes Offenbarung führt<br />
oft dazu, dass sie nur zu einem Teil und unterschiedlich<br />
begriffen wird.<br />
So war es auch bei Wesley und den Herrnhutern<br />
– nach und nach kam es über verschiedene<br />
Punkte zu unterschiedlichen Ansichten. Ihre Herkunft<br />
und ihre Geschichte verlieh den Herrnhutern<br />
Züge, die Wesley abgehoben und weltfremd<br />
vorkamen; seine Persönlichkeit war pragmatisch,<br />
praktisch, zupackend.<br />
Schon früh unterschieden sich auch Wesley und<br />
Whitefield in Lehrfragen; die calvinistische Sicht<br />
Whitefields sagte Wesley gar nicht zu. Ihre Beziehung<br />
litt aber nicht darunter, und beider Verkündigung<br />
der Rechtfertigung aus Glauben war gleich<br />
wirksam: Sowohl bei Wesley als auch bei Whitefield<br />
bekehrten sich die Sünder in Scharen.<br />
Auch die Predigtstile der beiden unterschieden<br />
sich sehr, und doch zeigten sie die gleiche Wirkung.<br />
Whitefield predigte leidenschaftlich, geradezu<br />
dramatisch – Wesley war klar und logisch,<br />
seine Predigten enthielten vor allem Auslegung,<br />
und doch fesselten sie auch die rohesten Zuhörer.<br />
Und heute?<br />
Ist Kirche, sind Versammlungen nach dem Vorbild<br />
des Neuen Testaments heute noch möglich?<br />
Die Antwort darauf – also ob Kirche heute der<br />
Lehre und dem Vorbild des Neuen Testaments<br />
gerecht werden kann –, hängt sehr davon ab, aus<br />
welchem Blickwinkel man es betrachtet; gelingt<br />
es, die traditionellen Vorgaben zu integrieren, zu<br />
modifizieren, oder müssen wir sie eliminieren?<br />
1. Das „Vorbild“ dürfte den Ritualkirchen nicht<br />
allzu erstrebenswert erscheinen; meint man dort<br />
doch, über die Jahrhunderte habe man etwas<br />
Besseres erreicht als das, was anfangs praktiziert<br />
wurde; die Schrift wurde durch Überlieferung<br />
„erweitert“ oder gar verdrängt.<br />
2. Der Rationalismus betrachtet es ebenfalls als<br />
Rückschritt, wenn man auf die originalen Muster<br />
zurückgreift. Für ihn ist die Schrift nicht<br />
bindende Autorität.<br />
3. Reformatoren bestehender Kirchen – Luther,<br />
Spener und andere – versuchten, einen Kompromiss<br />
zu erwirken; in manchem blieben sie<br />
hinter dem zurück, was sie erkannt hatten.<br />
4. Einige, wie die Mystiker, gaben auf und strebten<br />
nur noch nach einer Art Isolations-Heiligung<br />
und der engen Verbindung zu Gott.<br />
„Äußerlichkeiten“ wie Taufe und Abendmahl<br />
wurden vernachlässigt; man lehnt die verbindliche<br />
Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ab<br />
und spricht vom „Zerfall der Kirche“.<br />
5. Evangelistische Bewegungen hielten diese Fragen<br />
nicht für so wichtig; sie befassten sich vorwiegend<br />
mit der Bekehrung von Sündern und<br />
wie man sie anschließend organisieren kann.<br />
6. Zu allen Zeiten hat es aber auch solche gegeben,<br />
die die Frage nach dem „Zurück zum<br />
Original“ mit Ja beantwortet haben: Katharer,<br />
Novatianer, Paulizianer, Bogomilen, Albigenser,<br />
Waldenser, Wiedertäufer und unzählige<br />
andere (ausführlich dazu siehe „Der rote<br />
Faden“ Teil 1, »Z« 19/20, ab S. 48). Sie waren<br />
eins in dem Bestreben, im Neuen Testament zu<br />
forschen und dem Vorbild der neutestamentlichen<br />
Gemeinde zu folgen.<br />
Rezension mit Auszügen aus „2000 Jahre Gemeinde Jesu –<br />
Schmach und Segen christlicher Pilgerschaft“. Eine spannende<br />
Kirchengeschichte besonderer Art von E.H. Broadbent, CV Dillenburg<br />
2016 (redaktionell bearbeitet).<br />
http://shop.agentur-pji.com/2000-jahre-gemeinde-jesu-3.html<br />
1 Hans Denck (auch Johann(es) Den(c)k, authentische Namensform<br />
Dengk<br />
2 Balthasar Hubmaier (auch Huebmör, Hubmör, Hubmair, Hubmayr,<br />
Hubmeier; Friedberger, um 1485–1528) war eine führende<br />
Täuferpersönlichkeit der Reformationszeit, was ihn das<br />
Leben kostete.<br />
3 Menno Simons, 1496–1561, niederländisch-friesischer Theologe.<br />
Simons war einer der führenden<br />
4 Das „Täuferreich von Münster” in den 1530er-Jahren in Münster<br />
(Westfalen) um den Prediger Bernd Rothmann war eine sich<br />
zunehmend radikalisierende Bewegung hin zu einem das Ende<br />
der Welt erwartenden Regime. Die Stadt wurde von katholischen<br />
Truppen eingekesselt und ausgehungert; das „Täuferreich”<br />
griff zu offener Gewalt. Auch in Lehrfragen und in der<br />
Sittlichkeit kam es zu groben Verirrungen.<br />
5 Caspar von Schwenkfeld (1490–1561), auch Kaspar<br />
Schwen(c)kfeld von Ossig, war Theologe, Reformator und Verfasser<br />
christlicher Bücher.<br />
6 Jacques Lefèvre d’Étaples (auch Jacobus Faber Stapulensis<br />
(1450/1455–1536) war französischer Theologe und Humanist.<br />
Sein Name verbindet sich vor allem mit „La Sainte Bible en français”<br />
(1523–30), der ersten vollständigen französischen Bibelübersetzung.<br />
7 Gérard Roussel (lateinisch: Girardus Ruffus, um<br />
1500–1550) war ein französischer Humanist und<br />
In Streitigkeiten<br />
steht nicht immer<br />
Wahrheit gegen<br />
Irrtum: Die Rechtfertigung<br />
allein aus<br />
Glauben, ohne Werke.<br />
Die guten Werke als<br />
notwendigen Folge<br />
des Glaubens.<br />
Jede große Lehre der<br />
Heiligen Schrift hat<br />
einen scheinbaren<br />
Gegensatz.<br />
Erst beide<br />
zusammen lassen<br />
das Ganze sehen.<br />
„2000 Jahre Gemeinde Jesu<br />
– Schmach und Segen christlicher<br />
Pilgerschaft“. E.H. Broadbent,<br />
CV Dillenburg 2016<br />
http://shop.agentur-pji.com/<br />
2000-jahre-gemeinde-jesu-<br />
3.html<br />
Z für Zukunft<br />
65