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Z21/22 ReformaFiktion 5.5 vorab

Die Aufgabe im Produktions-Prozess 65 Seiten von voraussichtlich 120 Seiten

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f ü r Z u k u n f t<br />

REFORMA<br />

FIKTION 5.2<br />

DIE WELT FRAGT<br />

NICHT NACH KIRCHE<br />

SIE SUCHT ECHTES<br />

A u s g a b e # 2 1 / 2 2<br />

Z für Zukunft<br />

1<br />

w w w . Z f ü r Z u k u n f t . d e


Leitthema<br />

Foto: © DesktopPapers.co<br />

Reformafiktion 5.1<br />

Der zweite Teil einer Fiction, in der wir uns vorstellen, eine umfassende Reformation<br />

wäre möglich. Aber als erstes, vergessen wir, was wir uns von Reformation vorgestellt<br />

haben. Versetzen wir uns in das Jahr 2137.<br />

Peter Ischka<br />

Mit der<br />

HDS-Bank stieß<br />

Lary Bracks eine<br />

Kettenreaktion<br />

an und schuf<br />

einen Kollateral-<br />

Gewinn von<br />

unschätzbarem<br />

Wert<br />

Sie erinnern sich noch, was am 31.<br />

Oktober 2117 Tagesthema war?<br />

Nein, nicht das 600-Jahr-Jubiläum<br />

der Reformation, das hat kein Aufsehen<br />

erregt. Ich meine die Eröffnung<br />

der HDS-Bank, der Bank mit dem absurden<br />

Geschäftsmodell: Wer die Geschäftsbedingungen<br />

akzeptiert, bekommt alle seine Schulden erstattet<br />

und erhält einen monatlichen Prosperitätssatz bis<br />

zum Lebensende. Das hat eine umfassende Reformation<br />

ausgelöst, es hat unser Land tiefgreifend<br />

verändert. Was die Entmachtung von „Schuld“<br />

ausrichten kann – wir hätten es uns nicht träumen<br />

lassen.<br />

Alles ausgelöst durch Larry Bracks; der Billiardär<br />

investierte sein gesamtes Vermögen in diese<br />

Idee. Was er mit Worten nicht auszudrücken vermochte,<br />

fasste er ins HDS-Modell: Habit, Debit,<br />

Save!<br />

Als global vernetzter und äußerst korrupter<br />

Geschäftsmann hatte er zuvor unzählige Menschenleben<br />

auf dem Gewissen; dann war er zur<br />

falschen Zeit am falschen Ort und wurde Opfer<br />

eines Terroranschlags. Dem Tode nahe, stand ihm<br />

die Frage vor Augen: „Was ist ein Menschenleben<br />

eigentlich wert?“ Das hatte ihn noch nie gekümmert,<br />

aber nun wurde er diesen Gedanken nicht<br />

mehr los. Rob, ein schrulliger Außenseiter und<br />

Sohn eines guten Geschäftspartners, brachte ihn<br />

auf die Spur, wie er die volle Vergebung seiner<br />

unvorstellbaren Gräueltaten erlangen konnte.<br />

Bracks ist kein Mann großer Worte, aber er ver-<br />

6<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

steht etwas von Geld – und die Sprache des Geldes<br />

versteht doch jeder. So beschloss Bracks,<br />

seinen Zeitgenossen mithilfe der HDS-Bank zu<br />

zeigen, was Vergebung bewirkt und wie sich ein<br />

Leben ohne Schuld anfühlt.<br />

War es Zufall, dass am Tag der Eröffnung, am<br />

31. Oktober 2117, auch das Reformationsjubiläum<br />

begangen wurde? Oder wollte Bracks damit<br />

ein Zeichen setzen? Ursprünglich ging es bei<br />

der Reformation sechs Jahrhunderte zuvor doch<br />

um die Wiederentdeckung der bedingungslosen<br />

Entschuldung, der Rechtfertigung aus Glauben:<br />

Schuldvergebung ohne religiöses Wenn und Aber.<br />

Doch hat die lutherische Institution sich von ihrer<br />

Herkunft und ihrem Erbe so weit entfernt – durch<br />

linksliberale Ideologie und atheistisch-humanistische<br />

Denkmuster –, dass eine Beziehung zum historischen<br />

Ereignis jetzt nur noch von höchst spezialisierten<br />

Fachkräften erahnt werden kann.<br />

Die HDS-Erfolgsstory im Großen …<br />

Nach dem ersten Jahr hatte die HDS-Bank 2,49<br />

Millionen Kunden; 236 Milliarden Euro Schulden<br />

wurden ausgeglichen. Nach dem zweiten Jahr<br />

verzeichnete man bereits 19,64 Millionen Kunden,<br />

die Schuldentilgung erreichte über <strong>22</strong>,5 Billionen<br />

Euro (1 Billion = 1000 Milliarden, eine Eins<br />

mit zwölf Nullen). Der Passus in den Geschäftsbedingungen,<br />

dass Kunden den eigenen Schuldnern<br />

ebenfalls die Schulden erlassen müssen, stieß<br />

eine Kettenreaktion an und schuf einen Kollateral-Gewinn<br />

von unschätzbarem Wert – monetär,<br />

psychisch, sozial, metaphysisch.<br />

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2137. Die<br />

Mitgliederzahl der Luther-Institution ist in den<br />

letzten beiden Jahrzehnten weiter gesunken,<br />

unter die 2-Prozent-Marke; parallel dazu sind<br />

über 40 Prozent der Bevölkerung direkt oder<br />

indirekt durch die HDS-Bank entschuldet. Was<br />

Luther einst wiederentdeckte, seine Nachfolgeinstitution<br />

aber schon lange nicht mehr vermitteln<br />

kann, realisiert nun eine Bank. Deren Kunden<br />

haben nicht nur ihre finanziellen Probleme in<br />

den Griff bekommen; sie bemerken auch Veränderung<br />

in ihren Beziehungen und in den eigenen<br />

Emotionen: Ihre Ängste haben sich verloren, sie<br />

sehen die Welt nun mit ganz anderen Augen, und<br />

Misstrauen und Neid lösen sich mehr und mehr<br />

auf. Das Prinzip „Vergebung“ findet universale<br />

Anwendung und zeitigt ungeahnte Vorteile: Es<br />

gibt immer weniger Grund, sich krankzusorgen;<br />

der Gesundheitszustand der HDS-Kunden hat<br />

sich enorm verbessert und die Krankheitsindustrie<br />

musste gravierende Einschnitte hinnehmen.<br />

… und im Kleinen<br />

In Teil 1 der Reportage (»Z« 19/20,Titelgeschichte)<br />

haben wir ein paar Schicksale kennengelernt:<br />

Kuno Bretschneider wurden 127 000 Euro an<br />

Schulden erstattet; seitdem erhält er monatlich<br />

einen Prosperitätssatz von 5430 Euro. Seine<br />

Geldsorgen waren ihm früher richtig unter die<br />

Haut gegangen; die psychosomatische Erkrankung<br />

hat er aber längst überwunden. Vielfach<br />

ausgezahlt hat sich die Weiterbildung in kreativer<br />

Kommunikation – inzwischen bekleidet er eine<br />

leitende Position in einer namhaften Werbeagentur.<br />

Aber auch in einem umfassenderen Sinn hat<br />

sich für ihn die Welt der Kommunikation eröffnet:<br />

Bretschneider hat festgestellt, dass man oft unter<br />

ein und demselben Wort etwas völlig anderes verstehen<br />

kann – das verspricht Missverständnisse<br />

en gros! Diesem Phänomen ist Kuno an die Pelle<br />

gerückt; sein „Wörterbuch der Missverständnisse“<br />

ist Bestseller geworden. –<br />

Manchmal denkt er zurück an die alten Zeiten<br />

mit den Schulden und der Angst, und dann ist er<br />

doppelt dankbar, dass er diese Last vom Hals hat.<br />

Tagtäglich profitiert er von den Auswirkungen auf<br />

die Kommunikation von Mensch zu Mensch.<br />

Der einst hoch verschuldete, dem Bankrott<br />

nahe Unternehmer Fries konnte sein Unternehmen<br />

in eine fast mitbewerberfreie Nische führen<br />

und hat kräftig expandiert. Von dem Passus in<br />

den HDS-Geschäftsbedingungen, dass den eigenen<br />

Schuldnern die Schulden zu erlassen sind,<br />

profitierten vor allem die langjährigen Mitarbeiter;<br />

die Folge: eine starke Identifikation mit der<br />

Firma. Das Misstrauen hat einer vorbildlichen<br />

Vertrauenskultur Platz gemacht, man kann sich<br />

auf ein Wort wieder verlassen.<br />

Was Luther<br />

einst wiederentdeckte,<br />

seine Nachfolgeinstitution<br />

aber<br />

schon lange<br />

nicht mehr<br />

vermitteln kann,<br />

realisiert<br />

inzwischen<br />

eine Bank<br />

Z für Zukunft<br />

7


Leitthema<br />

Larry Bracks war ganz oben im Finanzsystem dieser<br />

Welt; aber nach der Rettung aus den Trümmern<br />

der Flughafenhalle in Amsterdam und aus<br />

seinen Todesängsten beschloss er einen radikalen<br />

Systemwechsel. Er suchte Befreiung von<br />

einer unvorstellbaren inneren Schuldenlast:<br />

Seine skrupellosen Entscheidungen hatten Bürgerkriege<br />

ausgelöst, sie entzogen Ländern der<br />

Dritten Welt Rohstoffe in Billiardenhöhe; er vergeudete<br />

Menschenleben, um seine globale Expansionsmaschine<br />

am Laufen zu halten. Wie kann<br />

jemand für all das Vergebung erlangen? Unvorstellbar.<br />

Und doch – Brack fand sie!<br />

Die unbeschreibliche Freiheit, die sich Bracks<br />

dadurch eröffnete, motivierte ihn, das Unbeschreibliche,<br />

das er erlebt hatte, anderen zu vermitteln:<br />

Möglichst viele sollten erleben, wie es<br />

ist, wenn man von Schuldenlast befreit wird. So<br />

also entstand die HDS-Bank, deren ausschließliches<br />

Geschäftsziel es ist, die Schulden anderer<br />

zu tilgen.<br />

Foto: © U.S. National Archives and Records Administration<br />

Lary Bracks<br />

einsten<br />

skrupellosen<br />

Entscheidungen<br />

hatten Bürgerkriege<br />

ausgelöst<br />

und unzähliche<br />

Menschenleben<br />

gekostet<br />

Die einst alleinerziehende Mutter Jasmin<br />

Bauer hat den Vater ihres Kindes geheiratet und<br />

ein zweites Kind bekommen – glückliche Kindheit,<br />

wenn die Eltern keinen Mangel haben! Der Junge<br />

träumt davon, als Quantenphysiker in die Grundlagenforschung<br />

zu gehen; er steht kurz vor dem<br />

Abitur und ist Klassenbester. Nachdem die HDS-<br />

Bank Jasmins Schulden ausgeglichen hatte, strich<br />

sie dem Vater ihres Kindes die Schulden, also ihre<br />

Forderung an Unterhaltszahlungen, denen er sich<br />

entzogen hatte; das war der Anfang des Weges in<br />

eine glückliche Ehe.<br />

Geschäftsschädigend<br />

Die in Frankfurt gegründete Bank gibt es<br />

inzwischen in allen Ländern der Welt, auch im<br />

hintersten Winkel kann man sich jetzt seiner<br />

Schulden entledigen. Nicht jeder findet das gut,<br />

denn Schulden geben Macht – jenem, dem die<br />

Forderung zusteht. Schulden machen Angst und<br />

wer Angst hat, ist manipulierbar. So sind Schulden<br />

ein wichtiger Motor auch in der Politik und im<br />

Zusammenspiel der Völker. Weniger Angst heißt:<br />

Diese Menschen, diese Länder lassen sich nicht<br />

mehr so leicht manipulieren. Wer Manipulation<br />

strategisch einsetzt, der empfindet die HDS-Bank<br />

als geschäftsschädigend.<br />

So suchen IWF, FED und die EZB seit knapp<br />

zwanzig Jahren nach Wegen, um Larry Bracks<br />

Einhalt zu gebieten; auch Banken leben ja<br />

bekanntlich von den Schulden der anderen. Die<br />

Absurdität, eine Bank zu gründen, die Schulden<br />

bezahlt, versetzte das Finanzsystem erst einmal<br />

in Schockstarre; der Rest der Welt freute sich am<br />

befreiten Leben.<br />

Doch jetzt hat sich eine andere Angst eingestellt,<br />

die Angst vor Überwachung durch unsichtbare<br />

Datenkraken. Nach und nach haben große<br />

Internetkonzerne die Kontrolle erlangt über ein<br />

Vielfaches aller Daten von BND, NSA und FSB<br />

zusammengenommen. Wollte man nur mal wissen,<br />

wie lange man nach New York fliegt, wird<br />

man umgehend mit Werbung von New Yorker<br />

Coffee-Shops und ähnlichem zugemüllt. Die<br />

hörenden Freunde im Wohnzimmer, Alexa und<br />

Co, gehen einkaufen und machen sich im Internet<br />

schlau. Aber der unermüdliche Butler hört auch<br />

sonst mit und flüstert alles getreulich weiter –<br />

und das ist nur die Spitze eines riesigen Eisbergs.<br />

Wer weiß schon, wer alles wie viel über mich<br />

gespeichert hat? Und wie können wir uns die-<br />

8<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

ser Kontrolle entziehen? Regierungen stehen vor<br />

schier unlösbaren Aufgaben – schließlich finden<br />

sie diese Datenkraken selber ganz nützlich.<br />

Der Daten-Super-Deal<br />

Beim vorletzten Weltwirtschaftsgipfel gaben<br />

die großen Internetkonzerne den überforderten<br />

Regierungen ein Dokument in die Hand, einen<br />

Masterplan gegen diese Ängste: Künftig werden<br />

die Daten an den Bürger gewissermaßen zurückübertragen,<br />

damit muss er sie selber hüten;<br />

niemand darf darauf zugreifen, es sei denn, er<br />

erlaubte es freiwillig. Mit im Paket ist das großzügige<br />

Angebot der dafür nötigen Sicherheitsprüfung;<br />

den Konzernen steht ja eine bewährte Infrastruktur<br />

zur Verfügung. Ein Beispiel: Will jemand<br />

einen Versicherungsvertrag abschließen, liefern<br />

diese Konzerne die globale Sicherheit – Kredite<br />

gibt es nur inklusive Bonitätsprüfung. Wer die<br />

Versicherung möchte oder einen Kredit aufnehmen<br />

will, wird also gefragt, ob er seine Daten<br />

„freiwillig” zur Verfügung stellen möchte. Sonst,<br />

klar, es zwingt ihn ja keiner … Wer also am gesellschaftlichen<br />

Leben teilhaben möchte, wird früher<br />

oder später seine Daten „freiwillig” preisgeben;<br />

so geben viele aus eigenem Entschluss die Hoheit<br />

über ihre Daten wieder aus der Hand. Ein Masterplan<br />

so recht nach dem Geschmack der Regierungen,<br />

nimmt er ihnen doch komplexe Aufgaben ab.<br />

Geregelt würde das alles in der „Globalen Datenschutz-Grundverordnung”<br />

(GDSGVO): Der Bürger<br />

bekommt die Hoheit über seine Daten zurück<br />

und ist nun selbst verantwortlich dafür, sie freizugeben,<br />

wenn er „kaufen und verkaufen” will.<br />

Wer Daten ohne Einwilligung gebraucht,<br />

macht sich strafbar in Millionenhöhe. Wer eine<br />

Visitenkarte entgegennimmt, bräuchte sozusagen<br />

eine schriftliche Genehmigung, dass er diese personenbezogenen<br />

Daten auch aufbewahren und<br />

verwenden darf; andernfalls hätte er sich bereits<br />

straffällig gemacht. Man sollte also immer einige<br />

Exemplare der Einverständniserklärung zur<br />

Hand haben, man kann ja nie wissen, wen man<br />

kennenlernt.<br />

Fotos, auf den Menschen abgebildet sind, werden<br />

nun nicht mehr als Bilder gewertet, auch das<br />

sind jetzt personenbezogene Daten. Würde ein<br />

Foto veröffentlicht ohne die Einwilligung jedes<br />

Einzelnen, der darauf zu sehen ist, wäre das<br />

eine kriminelle Handlung. Wie schnell geschieht<br />

es, dass auf einem privaten Urlaubsfoto im Hintergrund<br />

andere Leute stehen? Schwere Zeiten<br />

für Whistleblower: Wenn ein Foto oder ein Text<br />

z. B. die kriminelle oder korrupte Handlung eines<br />

Unternehmers oder Politikers aufdecken, auch<br />

dann müsste dieser zuerst um Einwilligung gebeten<br />

werden.<br />

Sie erinnern sich an die Gründungsstory der<br />

HDS-Bank? Richtig, Larry Bracks eingeklemmt<br />

unter Teilen der Flughafenhalle. Islamistisch<br />

motivierter Selbstmordanschlag, hieß es damals;<br />

dank privaten Fotos konnte das aufgeklärt werden:<br />

Kurz vor den Wahlen wollten Linksradikale<br />

verunsichern und destabilisieren. Laut der neuen<br />

GDSGVO dürfen solche Fotos nicht mehr herangezogen<br />

werden, weil es unmöglich ist, die freiwillige<br />

Einwilligung aller Abgebildeten zu erlangen.<br />

Teilhabe gibt es also nur gegen die „freiwillige“<br />

Preisgabe der eigenen Daten, wer aber<br />

etwas ans Licht bringen will, der kann ganz leicht<br />

zum Schweigen gebracht werden.<br />

Das Spiel mit der Angst<br />

Larry Bracks hat dieses globale Spiel mit der<br />

Angst genau beobachtet. Inzwischen haben 135<br />

Millionen Kunden der HDS-Bank erlebt, wie<br />

durch ihre Entschuldung Angst von ihnen genommen<br />

wurde: Existenzangst, Angst, nicht genug zu<br />

Wer am<br />

gesellschaftlichen<br />

Leben teilhaben<br />

möchte, wird<br />

früher oder<br />

später seine<br />

Daten „freiwillig”<br />

preisgeben<br />

Wnschen demonstrieren mit<br />

einer Datenkrake, gebaut von<br />

dem Künstler Peter Ehrentraut<br />

für den FoeBuD e. V<br />

Foto: © -wikipedia, Matthias Hornung<br />

Z für Zukunft<br />

9


Leitthema<br />

Foto: © Agentur PJI UG, Montage<br />

Lary Bracks<br />

gründet<br />

eine etwas<br />

andere Bank,<br />

um zu erklären,<br />

was es bedeutet,<br />

wenn einem<br />

die Schulden<br />

erlassen<br />

werden<br />

haben, Angst, übervorteilt zu werden. Das hat Vertrauen<br />

aufgebaut. Man kann wieder offen miteinander<br />

kommunizieren. Wer keine Angst hat, übervorteilt<br />

zu werden, braucht auch nicht zu fürchten,<br />

dass Gesagtes und Geschriebenes missbraucht.<br />

Die Macht der Datenkraken …<br />

Larry Bracks weiß bestens, wie man globale<br />

Fäden zieht; er hat schnell durchschaut, dass mit<br />

der neuen GDSGVO den Internetkonzernen nur<br />

noch mehr Macht in die Taschen geschoben wird.<br />

Die Länderregierungen dagegen bleiben machtlos.<br />

Bracks hat eine wissenschaftliche Studie in<br />

Auftrag gegeben, um herauszufinden, ob Google<br />

und Facebook wirklich die größten Datenkraken<br />

sind, die die Zeitgenossen identifizieren, analysieren,<br />

kategorisieren und von jedem Einzelnen<br />

ein individuelles Profil erstellen. Er wollte<br />

wissen, welche Firmen hinter dem gigantischen<br />

globalen Datenhandel stecken; die meisten arbeiten<br />

ja abseits der Öffentlichkeit und sind nahezu<br />

unbekannt. Dabei stellte sich heraus: Das US-<br />

Software-Unternehmen Oracle ist wohl einer der<br />

größten Datenhändler der Welt; ständig kauft es<br />

weitere Firmen im Big-Data-Business auf.<br />

Diese Firmen arbeiten daran, jedem Menschen<br />

eine eindeutige Identifikationsnummer zuzuordnen<br />

– über Lebensbereiche, Geräte, Plattformen<br />

hinweg. Dank der Cloud ist das immer besser<br />

möglich. Mittels Milliarden von Cookies werden<br />

Geräte-IDs auch von Smartphones gesammelt.<br />

Nachfolge-Firmen von „Cambridge Analytica“<br />

werten Emotions- und Persönlichkeitsanalysen<br />

aus, um personalisierte Botschaften zu senden<br />

und die Empfänger nach Wunsch des Auftraggebers<br />

zu manipulieren.<br />

… und die Bracks-Lösung<br />

Larry Bracks fragt sich, wie er seine Kunden vor<br />

dieser Manipulation schützen kann. Die Angst vor<br />

Geldsorgen konnte er ihnen nehmen; nun steht er<br />

vor der gigantischen Herausforderung, auch die<br />

Angst vor den Manipulier-Datenkraken zu lösen.<br />

Die Analyse gewährt ihm einen guten Überblick<br />

über die wichtigsten Unternehmen: Einige<br />

waren ihm schon bekannt, die meisten aber agieren<br />

verborgen, im Hintergrund, und die machen<br />

das eigentliche Big-Data-Business. Die Zahlen<br />

und Fakten liegen auf dem Tisch: Börsenwert insgesamt<br />

etwa 2578 Billionen Euro, Jahresrendite<br />

im Schnitt <strong>22</strong>,8 Prozent. Hmm. Wenn jeder HDS-<br />

Kunde 19,10 Euro investieren würde, könnte man<br />

den riesigen Datenkrakenladen in andere, in vertrauenswürdige<br />

Hände bringen.<br />

In geheimen Besprechungen mit seinen engsten<br />

Vertrauten entwickelt er eine Strategie, wie<br />

diese Überlegung umgesetzt werden könnte.<br />

Pünktlich zum 31. Oktober 2137 – keiner ahnte<br />

etwas –, kam es zu einer Börsen-Explosion: Mit<br />

einem Schlag wurden an diesem Tag 87 Prozent<br />

der Aktien der zehn bedeutendsten Daten-Konzerne<br />

aufgekauft. Keiner war fähig zu erklären,<br />

wie das sein konnte.<br />

Die extreme Nachfrage katapultierte die Werte<br />

dieser Aktien in astronomische Höhen; schon<br />

eine halbe Stunde nach Handelsbeginn legten<br />

die Werte der betroffenen Titel bis zu 287 Prozent<br />

zu, für die wenigen am Markt verbliebenen<br />

Aktien wurde jeder Preis gezahlt. Am Ende des<br />

Tages lagen die Kurse bei einem Plus von durchschnittlich<br />

<strong>22</strong>4 Prozent; die Megarallye hielt noch<br />

einige Tage an.<br />

Larry Bracks hat es durch sein HDS-Netz möglich<br />

gemacht: Alle 135 Millionen Kunden wurden<br />

mit einem Schlag zu Aktionären der größten<br />

Daten-Konzerne. 34 Prozent der Aktien wurden<br />

unverzüglich wieder abgestoßen, solange sie<br />

noch hoch im Kurs standen; auf diesem Wege<br />

10 Z für Zukunft


Leitthema<br />

konnten sofort zwei Drittel der Gesamtinvestition<br />

zurückgeholt werden. Das Ziel war erreicht:<br />

Die HDS-Aktiengemeinschaft hält nun 53 Prozent<br />

der Aktien der zehn größten Daten-Konzerne und<br />

nimmt direkt Einfluss auf die Unternehmensstrategie<br />

und den Umgang mit den Daten.<br />

Die EKD in der Klemme<br />

Wie bereits mitgeteilt, ist die Mitgliederzahl<br />

unter 2 Prozent der Bevölkerung geschrumpft.<br />

Aufgrund des demografischen Wandels hatte die<br />

Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2120 nur<br />

noch 62 Millionen Einwohner. Das sind 20 Millionen<br />

weniger als vor 100 Jahren; nur dem Zustrom<br />

von Migranten ist zu verdanken, dass die Auswirkungen<br />

weniger dramatisch ausgefallen sind als<br />

befürchtet.<br />

Wie die lutherische Institution gerade veröffentlicht<br />

hat, kann sie noch gut 1,1 Millionen Mitglieder<br />

verzeichnen; über die Jahre hat sie sich<br />

zu einem Nischenspezialist entwickelt: Aufgrund<br />

des starken Engagements für sexuelle Vielfalt hat<br />

sie aus diesem Segment großen Zuspruch erhalten.<br />

Nur – in der demografischen Realität ist diese<br />

Vielfalt in der Minderheit; trotz großer Veränderungen<br />

leben über 80 Prozent der Bevölkerung<br />

immer noch in Gemeinschaften, in denen Kinder<br />

von einem männlichen Vater und einer weiblichen<br />

Mutter erzogen werden. Die große Ausnahme<br />

sind die Pfarrer und Pfarrer*Innen: Über<br />

60 Prozent von ihnen leben in einer homosexuellen<br />

Beziehung.<br />

Die Ratsvorsitzende Belinda Stronofski erscheint<br />

bei ihren öffentlichen Auftritten meist in Begleitung<br />

ihrer Lebenspartnerin, wie kürzlich, als sie<br />

sich zum aktuellen Finanzbericht der EKD äußerte.<br />

Nach der Novelle von 21<strong>22</strong> des Staatskirchenrechts<br />

war endgültig Schluss mit den Entschädigungsleistungen<br />

des Staates für die Enteignung<br />

von Kirchengütern nach dem Reichsdeputationshauptschluss<br />

1803. Da der Mitgliederanteil unter<br />

die 4-Prozent-Linie eingebrochen ist, wurde auch<br />

die Erhebung der Kirchensteuer durch den Staat<br />

eingestellt. Die Umstrukturierung erwies sich für<br />

die EKD als kompliziert, die Einnahmenausfälle<br />

waren höher als erwartet. 63 Prozent der Liegenschaften<br />

konnten veräußert werden. Stronofski<br />

betont, man habe besonders darauf geachtet, dass<br />

die spirituelle Nutzung erhalten bliebe; so habe<br />

man den muslimischen Schwestern und Brüdern<br />

Raum schaffen können: Viele Kirchen wurden zu<br />

Moscheen umgewidmet. Wegen des Wegfalls der<br />

Subventionierung können drei Viertel der Kitas<br />

und diakonischen Einrichtungen nicht mehr wie<br />

bisher betrieben werden; damit fiel ein weiterer<br />

großer Einnahmenposten weg.<br />

Trotzdem gibt es immer noch zu viele ungenutzte<br />

kirchliche Immobilien. Personal- und<br />

Instandhaltungskosten sind kaum in den Griff<br />

zu bekommen, seit vielen Jahren übersteigen sie<br />

die Planzahlen. Die Verschuldung ist ins Unermessliche<br />

gestiegen. Man hat eben versäumt,<br />

die laufenden Kosten der sinkenden Mitgliederzahl<br />

anzupassen; die zugrunde liegenden Budgets<br />

stammen aus Zeiten, als noch 10 Prozent der<br />

Bevölkerung Kirchensteuer zahlte.<br />

In allen Gremien berät man sich über die<br />

Zukunft der EKD; die bundesweiten evangelischen<br />

Kirchenparlamente tagen in Wittenberg –<br />

die Generalsynode der VELKD, die Vollkonferenz<br />

der UEK und die Synode der EKD. Die Fakten liegen<br />

auf dem Tisch, die Überschuldung beträgt<br />

inzwischen 238 Milliarden.<br />

Euro. Die<br />

W-I-Frage steht im<br />

Raum: Wann ist der<br />

beste Zeitpunkt, die<br />

Insolvenz der EKD<br />

anzumelden?<br />

Ein Synodale<br />

aus Sachsen-Anhalt<br />

reicht eine Wortmeldung<br />

ein und<br />

fragt, ob man nicht<br />

in Erwägung ziehen<br />

könnte, den Überschuldungsfall<br />

bei<br />

der HDS-Bank einzureichen;<br />

seine<br />

privaten Schulden<br />

in Höhe von 37 000<br />

Euro seien umgehend<br />

und unbürokra-<br />

Wie kann man<br />

politisch korrekt<br />

die Schulden eingestehen<br />

und<br />

immer noch gut<br />

weg kommen?<br />

Foto © Agentur PJI, Mongage<br />

Z für Zukunft<br />

11


Leitthema<br />

Foto: © Agentur PJI, Montage<br />

Menschen umarmen sich,<br />

Mauern gesellschaftlicher<br />

Isulation werden<br />

durchbrochen. Es entstehen<br />

Beziehungen.<br />

Plötzlich redet<br />

man wieder miteinander<br />

und<br />

kommt in Beziehung.<br />

Das Grundmuster<br />

von<br />

Kirche wäre wiederhergestellt<br />

tisch getilgt wurden. Er skizziert die Geschäftsbedingungen<br />

und erklärt, man müsse seine Schulden<br />

eingestehen und den eigenen Schuldnern die<br />

Schulden erlassen; seines Wissens gelte dieses<br />

Angebot zwar bisher nur für Privatpersonen, aber<br />

es könnte sich lohnen, mit dem Management der<br />

HDS-Bank in Verhandlung zu treten.<br />

Man diskutiert, wie das politisch korrekt kommuniziert<br />

werden könne, die Schulden auf diese<br />

Weise einzugestehen und damit öffentlich zu<br />

machen. Wie steht die EKD dann da, mit all den<br />

Fehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte? Das<br />

käme ja einem Schuldgeständnis gleich!<br />

Schließlich wählt man aus dem Finanzausschuss<br />

eine dreiköpfige Delegation und<br />

beschließt, mit einem Insolvenzantrag noch zu<br />

warten, bis das Verhandlungsergebnis vorliegt.<br />

Bracks spricht Klartext<br />

Larry Bracks wurde unmittelbar über diesen<br />

Antrag informiert – und ließ es sich nicht nehmen,<br />

die Abordnung persönlich zu empfangen.<br />

Er erklärt das HDS-Geschäftsmodell: „Entschuldet<br />

aus Gnade“. Einer der Delegierten meint sich<br />

zu erinnern: „Da war doch was“ – ja, richtig, diesen<br />

alten Lehrsatz hat der konservative Flügel<br />

immer wieder auf die Tagesordnung zu bringen<br />

versucht. „Gerechtfertigt aus Glauben“ – das war<br />

doch einfach nicht mehr zeitgemäß. Luther war<br />

eben Kind seiner Zeit und hatte nicht das Wissen,<br />

das die moderne Theologie inzwischen zu Tage<br />

befördert hat.<br />

Bracks hakt ein: HDS bediene keine theologischen<br />

Theorien, sondern beseitige ganz konkrete<br />

Geldschulden; zu philosophischen Träumereien,<br />

konservativ hin oder her, gebe er sich nicht her –<br />

„Wollen Sie nun die Schulden getilgt haben<br />

oder nicht?“ Ja, das wollte man natürlich.<br />

Blieb die Frage, wie die vier Punkte der<br />

Geschäftsbedingen in diesem Fall anzuwenden<br />

seien. Die EKD ist ja keine Privatperson, sondern<br />

eine Körperschaft mit noch 1,1 Millionen<br />

Mitgliedern.<br />

Die HDS-Geschäftsbedingungen:<br />

• Ich erlasse meinen Schuldnern alle Schulden zu<br />

100 % und verzichte vollständig und endgültig<br />

auf alle diese Forderungen.<br />

• 25 % meines Prosperitätssatzes verwende ich<br />

dafür, die Lebensbedingungen von Menschen in<br />

meinem Umfeld zu verbessern.<br />

• Ich wähle eine Erwerbstätigkeit und/oder ein<br />

Ehrenamt, in dem ich mich meinen Fähigkeiten<br />

und Begabungen entsprechend weiterentwickeln<br />

kann.<br />

• Ich treffe mich regelmäßig mit zwei bis drei Personen<br />

meines Vertrauens zum Essen, um mich<br />

über Fragen des Lebens und über Probleme<br />

des Alltags auszutauschen, von den Erfahrungen<br />

der anderen zu lernen und zu einer positiven<br />

Motivation beizutragen.<br />

Larry Bracks überlegt kurz und macht dann<br />

einen interessanten Vorschlag: „Wir bleiben unserem<br />

HDS-Konzept treu: Nur für Privatpersonen!<br />

Also legen wir die Verschuldung auf die Mitglieder<br />

um, macht Pi mal Daumen etwa 200 000 Euro pro<br />

Kopf. Diesen Betrag bekommt der Einzelne von<br />

der HDS-Bank ausbezahlt und spendet ihn der<br />

EKD. Das geht aber nur, wenn jeder Einzelne in ein<br />

Vertragsverhältnis mit HDS kommt und die weiteren<br />

drei Punkte der Geschäftsbedingungen auf<br />

privater Ebene erfüllt: Jedes Mitglied erhält einen<br />

Prosperitätssatz und verwendet davon wie vorgesehen<br />

25 Prozent dafür, die Lebensbedingungen<br />

von Menschen in seinem Umfeld zu verbessern,<br />

wählt ein Ehrenamt und trifft sich regelmäßig<br />

mit zwei, drei Personen, um eine Beziehungs- und<br />

Gesprächskultur zu entwickeln.“<br />

12<br />

Z für Zukunft


Die Delegation zog sich zur Beratung zurück:<br />

Ist das machbar? Dazu braucht die EKD die Einwilligung<br />

aller 1,1 Millionen Mitglieder. Ein komplexer<br />

Prozess – wann hat man das letzte Mal mit<br />

der Basis so direkt kommuniziert? Aber es könnte<br />

klappen, lautet der Konsens nach heftiger Diskussion.<br />

Denn das Angebot mit dem Prosperitätssatz<br />

als monatlichem bedingungslosem Betrag für<br />

jeden (einzige Bedingung ist die Verwendung der<br />

25 Prozent), das könnte doch für alle ein Anreiz<br />

sein, war man überzeugt. Damit könnten trotz der<br />

zunehmenden Isolation von Einzelnen die Barrieren<br />

überwunden und alle zu einem Ehrenamt und<br />

diesen Treffen motiviert werden.<br />

Mit diesen „Hausaufgaben“ wurde die Delegation<br />

entlassen. Die lutherische Institution muss<br />

nun einen Weg finden, die Einwilligung jedes einzelnen<br />

Mitglieds zu bekommen.<br />

Auf dem Rückflug ist Larry Bracks in Gedanken<br />

versunken: Was wird wohl daraus werden?<br />

Die Mitglieder werden es honorieren, dass die<br />

EKD auf solche Weise ihren Bankrott erklärt, und<br />

die Einwilligung erteilen. Wer zu seinem Versagen<br />

steht, hat immer die besseren Karten. Gut,<br />

und der Prosperitätssatz wird allen ein Anreiz<br />

sein. Doch kaum auszumalen, was für eine unvorstellbare<br />

Dynamik das auslösen wird: Plötzlich<br />

werden alle im Ehrenamt aktiv, man redet wieder<br />

miteinander und kommt in Beziehung. Bracks<br />

schmunzelt: Das Grundmuster von Kirche wäre<br />

auf diesem Weg wiederhergestellt.<br />

Der Vorab-Test<br />

Achtung: Das war eine fiktive Geschichte; bitte<br />

nicht traurig sein, wenn Sie das noch nicht so<br />

erleben! Sie könnten aber mit Freunden einzelne<br />

Module testen; warten Sie nicht bis 2137, sondern<br />

probieren Sie aus, ob die Fiktion vielleicht<br />

schon heute Realität werden kann.<br />

Leitthema<br />

Möchten Sie mit uns<br />

zusammenarbeiten?<br />

2018 beginnen wir in den Unternehmen des deutschsprachigen<br />

Raumes „LEUCHTTÜRME“ zu pflanzen<br />

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® “ und „Umdenk-Trainer ® “ hat bereits in den letzten<br />

10 Jahren über 7000 Menschen zu Menschenspezialisten ® ausgebildet<br />

und über 100 in einer mindestens 10-tägigen Intensiv-Ausbildung<br />

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der Umdenk-Akademie ® in Wirtschaft und Gesellschaft<br />

tragen. Wir sind anerkannte Praktiker.<br />

Es geht um Menschen auf dieser Welt, nicht um Geld<br />

Ja, das sagen viele. Aber was tun wir dafür, dass diese Wahrheit<br />

immer mehr Unternehmen und Führungskräften zur<br />

bewussten Realität wird in ihrem täglichen Handeln?<br />

Die Umdenk-Akademie ® und ein Team von bewährten<br />

Führungskräften geht jetzt einen Schritt weiter:<br />

Wir pflanzen in vielen Unternehmen „LEUCHTTÜRME“<br />

Das sind DIPLOMIERTE MENSCHENSPEZIALISTEN ® , die – egal<br />

in welcher Position – Licht in die Unternehmen bringen, dort<br />

wo noch Finsternis regiert, die Menschen frustriert sind und<br />

oft keine Möglichkeit mehr vorfinden, ihre gottgegebenen<br />

Talente und Fähigkeiten zum Nutzen der Menschen mit<br />

viel Freude und Power einzusetzen.<br />

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oder als Repräsentant, Trainer, Seminarleiter,<br />

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freuen wir uns sehr auf Ihre Antwort by Email an<br />

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Z für Zukunft<br />

13


Z-aktuell<br />

Foto: © Fil Luther 2003<br />

95 Humanismus-Antithesen<br />

an die Tore liberaler Kirchen<br />

Ignace Demaerel<br />

Humanismus<br />

bedeutet: Der<br />

Mensch steht im<br />

Mittelpunkt und<br />

macht sich zu<br />

Gott, zum Maß<br />

aller Dinge<br />

Luther ahnte nicht, dass seine Thesen<br />

eine Revolution auslösen und die<br />

geistliche Landschaft Europas völlig<br />

verändern würden. Seine 95 Thesen<br />

entsprangen seiner aufrichtigen<br />

Empörung – oder sogar einem heiligen Zorn –<br />

über falsches Handeln, das sich nicht mit der Bibel<br />

begründen ließ und auch dem gesunden Menschenverstand<br />

widersprach. Luther war ein Whistleblower<br />

seiner Zeit und es grenzt an ein Wunder,<br />

dass er das nicht mit dem Leben bezahlte.<br />

Heute ist der atheistische Humanismus ein<br />

tausendfach größeres Übel als seinerzeit das<br />

Ablass-Unwesen. Das Heil, das Gott als Geschenk<br />

anbietet, hat man damals aus Geldgier den Menschen<br />

verkauft. Sie wurden zwar geschröpft, aber<br />

hoffentlich dennoch gerettet.<br />

Diese „95 Thesen“ nun, die sich mit der Ideologie<br />

des Humanismus befassen, sind aus ähnlicher<br />

Empörung heraus entstanden. Der Aufbruch<br />

im Mittelalter gegen die Bevormundung und den<br />

Machtmissbrauch seitens der Institution Kirche<br />

führte in zwei Richtungen: einerseits hin zu Gott,<br />

andererseits total von ihm weg.<br />

Humanismus bedeutet: Der Mensch steht im<br />

Mittelpunkt. Der Mensch macht sich zu Gott, zum<br />

Maß aller Dinge. In der Befreiung von dem fal-<br />

14<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

schen Gottesbild, das eine machthungrige Kirche<br />

vermittelt hatte, hat man es über die Jahrhunderte<br />

nicht richtiggestellt, sondern Gott gleich<br />

ganz aus dem Bild gerückt. Da Gott aber nun mal<br />

unverrückbar ist, hat sich der Mensch selber ins<br />

Abseits gestellt und sich damit dem Segen Gottes<br />

entzogen, der doch die Quelle seiner Kraft ist.<br />

Zur Zeit Luthers wurde den Gläubigen gegen<br />

viel Geld das Heil verkauft (Ablass). Das war<br />

Betrug und Diebstahl aus purer Geldgier. Wenigstens<br />

wollten die Gläubigen damit noch vor Gott<br />

besser dastehen.<br />

Heute ist die Kirche in einem weit schlimmeren<br />

Zustand als zur Zeit Luthers: Der Humanismus<br />

hat das Denken durchdrungen und kaum einem<br />

ist noch bewusst, dass er einer Beziehung zu Gottes<br />

bedarf. Gott und Sünde wurden zuerst relativiert,<br />

dann mussten sie der Beliebigkeit ganz weichen.<br />

Die überhöhte Vernunft meint, sie könnte<br />

Gott beibringen, wie er sich zu verstehen habe.<br />

Der Vergleich von nützlicher Saat und Unkraut<br />

in den Evangelien veranschaulicht die Situation<br />

sehr gut: 1<br />

„Dass Jesus als souveräner König die Herrschaft<br />

hat, kann man vergleichen mit dem Bauern,<br />

der den guten Samen der Reformation auf<br />

seinen Acker säte. In der Nacht kam sein Feind<br />

und säte heimlich den Humanismus als Unkraut<br />

dazwischen.<br />

Als die Saat aufging, kam auch das Unkraut<br />

zum Vorschein. Was tun? ‚Sollen wir das Unkraut<br />

ausreißen?‘ – ‚Nein‘, war die Antwort, ‚ihr würdet<br />

mit dem Unkraut auch den Weizen ausreißen.<br />

Wenn die Ernte kommt, sollen die Erntearbeiter<br />

das humanistische Unkraut ausreißen und es verbrennen.<br />

Dann soll die Frucht einer umfassenden<br />

Reformation eingebracht werden!‘<br />

Kurz darauf redete Jesus mit seinen Freunden<br />

Klartext: ‚Der Mann, der den guten Samen<br />

aussät, ist der Menschensohn. Der Acker ist die<br />

Welt. Der gute Same sind die Menschen unter<br />

der Herrschaft Gottes; das Unkraut sind die Menschen,<br />

die dem Bösen folgen, und der Feind, der<br />

das Unkraut gesät hat, ist der Teufel. (Einem<br />

„vernünftigen“ Menschen wurde beigebracht, des<br />

gebe keinen Teufel. Das ist für diesen das beste<br />

Argument, in seinen bösen Aktivitäten ungestört<br />

zu bleiben). Die Ernte ist das Finale dieser Welt.<br />

Da wird alles aus meinem Reich entfernt werden,<br />

was nicht nach Gottes Ordnung ist. Und dann<br />

werden die aus Glauben Gerechtfertigten im<br />

Reich ihres Vaters leuchten wie die Sonne.‘“<br />

Wie viele Denkkonzepte nimmt man heute einfach<br />

hin, ohne sie ernsthaft zu hinterfragen?! Von<br />

den Medien werden sie gebetsmühlenartig wiederholt;<br />

so entsteht der Eindruck, jeder sähe es<br />

so. Doch bei näherer Betrachtung erweist sich<br />

vieles als heiße Luft.<br />

Verbannt man Gott aus dem Weltbild und macht<br />

den Menschen zum Maß aller Dinge, sind Probleme<br />

vorprogrammiert; wer erkennt schon, wie sehr der<br />

Zeitgeist im Widerspruch steht zum gesunden<br />

Menschenverstand und zur Würde des Menschen?<br />

Deshalb sollen diese neuen 95 Thesen zum Humanismus<br />

wie die Thesen Luthers eine Einladung sein<br />

zu einer grundlegenden Debatte – und sie sind der<br />

Rahmen für ein Buch mit gleichem Titel, das umfassend<br />

auf Zusammenhänge und Folgen eingeht. 2<br />

Dabei wollen wir differenzieren zwischen dem<br />

Humanismus als Denkmuster, als Ideologie, und<br />

seinen Vertretern, den Humanisten, unter denen<br />

es ehrenwerte, vorbildliche Menschen gibt, die<br />

viel Gutes bewirkt haben. Wir wollen die Konzepte<br />

und Werte analysieren, die hinter dem<br />

Humanismus stecken, und so dieses Denksystem<br />

entlarven.<br />

Das Muster ist<br />

uralt, es wird uns<br />

in einem der ersten<br />

Texte der Bibel überliefert,<br />

im Bericht<br />

vom sogenannten<br />

Sündenfall – und der<br />

führt uns zum Urproblem<br />

der Menschheit<br />

schlechthin: „Sollte<br />

Gott gesagt haben?“<br />

Die Kirche<br />

heute ist in einem<br />

weit schlimmeren<br />

Zustand als zur<br />

Zeit Luthers:<br />

Der Humanismus<br />

hat das Denken<br />

durchdrungen und<br />

kaum einem ist<br />

noch bewusst,<br />

dass er einer<br />

Beziehung zu<br />

Gottes bedarf<br />

Der Vergleich von<br />

nützlicher Saat<br />

und Unkraut in<br />

den Evangelien<br />

veranschaulicht die<br />

Situation sehr gut: In<br />

der Nacht kam der Feind<br />

und säte heimlich den<br />

Humanismus als Unkraut<br />

dazwischen.<br />

Foto: Wikipedia, Dalibri<br />

Z für Zukunft<br />

15


Z-aktuell<br />

Danach eröffnet Jesus den Jüngern, dass er<br />

demnächst in Jerusalem getötet wird. Petrus,<br />

ganz aufgebracht: „Gott behüte dich, Herr! Dies<br />

wird dir keinesfalls widerfahren.“ Jesus erwidert:<br />

„Geh hinter mich, Satan! Du willst mich zu Fall<br />

bringen. Was du denkst, das kommt nicht von<br />

Gott, sondern ist humanistisch!“ 3<br />

Antike Götter, die Vorbilder<br />

humanistischen Denkens:<br />

Cronus (Saturn) kastriert<br />

seinen Vater Uranus, den<br />

griechischen Himmelsgott<br />

bevor Zeus in Spiel kam.<br />

Fresko von Vasari &<br />

Cristofano Gherardi, um<br />

1560, Sala di Cosimo I,<br />

Palazzo Vecchio, Florenz.<br />

Es ist<br />

intellektuell<br />

aber unredlich,<br />

wenn man das<br />

Schlechteste<br />

vom Anderen<br />

mit dem eigenen<br />

Besten<br />

vergleicht<br />

Suchen wir nach Gottes Konzept, oder halten<br />

wir uns für schlauer? Im Buch Genesis (1. Mose)<br />

3 können wir es nachlesen: „Keinesfalls wird es so<br />

sein, wie Gott gesagt hat. [Klingt wie eine aktuelle<br />

TV-Doku.] Vielmehr werden eure Augen aufgehen<br />

und ihr werdet sein wie Gott [ihr werdet zum Maß<br />

aller Dinge], erkennend Gutes und Böses.“ Was<br />

war das Ergebnis dieses faulen Versprechens?<br />

Sie „erkannten“, dass sie ohne Beziehung zu Gott<br />

nackt waren, und mussten sich verstecken. Na<br />

super! Und ohne es richtig zu begreifen waren sie<br />

humanistisch und von der Abhängigkeit von Gott<br />

befreit – und flogen zum Paradies hinaus. Dumm<br />

gelaufen.<br />

Eine Begebenheit mit Jesus wirft zusätzlich<br />

Licht auf diese Thematik.<br />

Mit seinen Freunden macht er einen Ausflug<br />

nach Cäsarea Philippi, um ihnen etwas zu veranschaulichen<br />

am Tempel des Gottes Pan (von<br />

dem das Wort „Panik“ abgeleitet ist, weil er Menschen<br />

extrem erschreckt haben soll). Jesus fragt<br />

sie: „Was meint ihr, wer ich bin?“ Petrus antwortet:<br />

„Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen<br />

Gottes.“ Jesus darauf: „Volltreffer! Das ist<br />

keine humanistische, von Menschen stammende<br />

Erkenntnis, sondern eine Offenbarung direkt aus<br />

dem Himmeln, die hast du von meinem Vater.<br />

Ich sage dir: Du bist Petrus, und auf diese Worte<br />

der Offenbarung meines Vaters werde ich meine<br />

ekklesia (Kirche) bauen, und die Pforten des<br />

Hades werden ihr nicht standhalten können.“<br />

Der Humanismus will Gottes Absichten durchkreuzen.<br />

Ist eine Kirche von humanistischem<br />

Denken infiziert, ist sie zum Scheitern verurteilt:<br />

die Pforten des Hades werden sie verschlingen.<br />

Der Tod ist im Topf.<br />

Die neuen 95 Thesen – Eine Kostprobe<br />

These 2: „Human” und „humanistisch” haben<br />

dieselben Wurzeln, aber unterscheiden sich<br />

genauso voneinander wie „sozial” und „sozialistisch”.<br />

Jeder „-ismus” ist eine unverhältnismäßige<br />

Ableitung von einem Prinzip oder einem Teil<br />

davon. Zu meinen, nur Sozialisten wären sozial,<br />

das würde vielen Unrecht tun, und nicht selten<br />

legen Sozialisten oder sozialistische Regimes ein<br />

äußerst unsoziales Verhalten an den Tag.<br />

These 7: Angriffe gegen die Kirche haben ihren<br />

Ursprung darin, dass die Kirche viel Nebensächliches<br />

um das Zentrum des christlichen Glaubens<br />

herum aufstellte, und manches als heilig, ewig und<br />

unfehlbar erklärte (z. B. Heiligenverehrung), das<br />

es gar nicht war. Diese Verwirrung und Veräußerlichung<br />

schwächte und verwässerte die Botschaft.<br />

Das lieferte Gegnern „billige Munition”.<br />

These 11: Der Humanismus zeigt eine sehr<br />

begrenzte Vorstellung von Religion, als wäre jede<br />

Religion per se einengend, als wäre Glaube nur<br />

eine sinnlose Unterwerfung unter irrationale Dogmen,<br />

ein Abschalten des Denkens … Man schließt<br />

aus, dass der christliche Glaube befreiend, bereichernd<br />

und erfreuend sein könnte. – Es ist intellektuell<br />

unredlich, wenn man das Schlechteste<br />

vom Anderen mit dem eigenen Besten vergleicht.<br />

Der Humanismus schafft zunächst eine Karikatur,<br />

diese zerlegt er dann – und meint, damit hätte er<br />

das Christentum ausgehebelt.<br />

16<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

These 16: Der Humanismus, die Renaissance<br />

und die Aufklärung wandten sich der klassischen<br />

Antike und deren Göttern zu, hielten sie für eine<br />

Alternative zur christlichen Lehre, und schlossen<br />

dabei die Augen für deren dunkle, irrationale Seiten.<br />

Die christliche Sicht über Gott und sein Wort<br />

wurden als naiv verachtet und als Erfindung abgetan;<br />

stattdessen hing man eigenartigen Mythen<br />

nach, widersprüchlichen Ideen und Göttern mit<br />

fragwürdigem Lebenswandel. Für die Aufklärung<br />

war die Bibel primitiv, aber selber wählte sie noch<br />

„primitivere” religiöse Formen, zog „Spielzeuggötter”<br />

dem wirklichen Gott vor.<br />

These 19: Der „Glaube an die Menschheit” wird<br />

verkündet als Alternative zum „Glauben an Gott”.<br />

Das Wort „Glauben” jedoch erhält je nach Objekt<br />

eine völlig andere Bedeutung – es ist doch ein großer<br />

Unterschied, ob man sagt: „Ich liebe meine<br />

Frau”, oder: „Ich liebe Eiscreme”. Wer will das<br />

glauben, dass der Mensch allmächtig, vollständig<br />

gut, allwissend oder unfehlbar wäre? Diese Idee<br />

brachte Verwirrung und ideologischen Nebel.<br />

These 25: In seinem Glauben an die Menschheit<br />

bezeichnet der Humanismus die Demokratie als<br />

eine der wichtigsten „Errungenschaften”. Doch<br />

deren treibende Kraft ist das große Misstrauen<br />

gegen den Menschen, nämlich die Befürchtung,<br />

er könnte seine Macht missbrauchen. Gegen<br />

diese Gefahr braucht Demokratie viele Schutzmechanismen,<br />

aber dieser Schutz kann eine Gesellschaft<br />

zum Erstarren bringen.<br />

These 29: Der Humanismus leidet unter einer<br />

gefährlichen Naivität. Sein Optimismus betreffs<br />

der Menschheit verschließt systematisch die<br />

Augen vor der Realität. Ein General, der so den<br />

Feind unterschätzte, würde viele Soldaten in den<br />

Tod schicken; das würde ihn den Job kosten und<br />

die Geschichte würde ihn verdammen. Jeder,<br />

der das Gute im Menschen als Dogma annimmt,<br />

leugnet die Wirklichkeit des Dämonischen (z. B.<br />

Süchte, Chauvinismus und Rassismus, blindes<br />

Wüten …) und gibt ihm Raum.<br />

These 30: Wer weiterhin Wissenschaft und<br />

Vernunft als den einzigen Zugang zu Erkenntnis<br />

sieht, wird bei einer materialistischen Weltsicht<br />

enden und die geistliche, höhere, unsichtbare<br />

Realität verpassen. Durch ein Mikroskop wird<br />

man niemals Sterne beobachten oder das große<br />

Ganze sehen können: Die Art der Linse bestimmt,<br />

was man sieht und was nicht.<br />

These 38: Der Humanismus appelliert an die<br />

Vernunft, lat. ratio, aber im Sprachgebrauch unterscheiden<br />

wir zwischen „rational” und „vernünftig”.<br />

Intellektualismus und Rationalismus sind von<br />

Natur aus unausgewogen. Sie sind kleinlich und<br />

machen beziehungsarm, sie behindern Kreativität<br />

und sind kalt und stolz; um sich zu schützen, wollen<br />

sie alles kontrollieren. Und umgekehrt: Luther<br />

sprach von der „Hure Vernunft”, die sich von allen<br />

missbrauchen lässt, die sie begehren.<br />

These 43: Die Ansicht, alle Religionen wären<br />

gleich und führten zum selben Ziel, scheint eine<br />

„höhere”, universelle Einsicht zu sein, eine überlegene<br />

Weisheit; sie ist aber nur Meinung von vielen.<br />

Das Aufkommen einer „universalen Religion” führt<br />

hingegen zu einem menschengemachten „religiösen<br />

Esperanto”, das keinen zufrieden stellt. Es<br />

gleicht einem Mann, der „die Frau” generell kennenlernen<br />

möchte und sich deshalb „allen Frauen”<br />

zuwendet und mit allen schläft. Kennt er „die Frau”<br />

deshalb besser, als ein treuer Ehemann es könnte?<br />

These 45: Der Humanismus predigt Autonomie<br />

und Selbstbestimmung: Auf philosophisch-moralischer<br />

Ebene widersetzt er sich fundamental<br />

Nicht selten legen<br />

Sozialisten oder<br />

sozialistische Regime<br />

äußerst unsoziales<br />

Verhalten an den Tag.<br />

Bild: Sowjetisches Probaganda-<br />

Plakat mit Marx, Engels, Lenin<br />

und Stalin<br />

Humanistische<br />

Ideologien des<br />

letzten Jahrhunderts<br />

haben<br />

unvorstellbar<br />

mehr Opfer<br />

gekostet als alle<br />

Religionskriege<br />

zusammen<br />

Mit einem<br />

Mikroskop<br />

wird man<br />

niemals<br />

Sterne<br />

beobachten<br />

können<br />

Z für Zukunft<br />

17


Z-aktuell<br />

„Freiheit führt<br />

das Volk an“<br />

Romantische historien<br />

malerei. Im Gedenken<br />

an die Französische<br />

Revolution von 1830<br />

Eugène Delacroix,<br />

Louvre, Paris<br />

Freiheit, das<br />

schönsten Ideale<br />

auf Erden.<br />

Im Mund von<br />

Demagogen wird<br />

es schnell zur<br />

billigen Phrase<br />

jeder Autorität; Werte und Normen bestimmt der<br />

Einzelne selber. In allen Lebensbereichen lässt<br />

der gesunde Menschenverstand erkennen, dass<br />

etwas Übergeordnetes nötig ist: in der Familie,<br />

beim Fußball, in der Wirtschaft, in Armee, Regierung,<br />

Schule … Wie widersinnig, wenn ausgerechnet<br />

in den wichtigsten Lebensbereichen jeder tun<br />

und lassen kann, was er möchte! Es gleicht einem<br />

Land, in dem jeder König ist – scheinbar „demokratisch”,<br />

frei und angenehm, aber das Endergebnis<br />

ist völlige Nivellierung und Anarchie.<br />

These 49: Der Humanismus behauptet, er<br />

strebe die Freiheit der Menschen an, und wehrt<br />

sich gegen alle Bedrückung durch religiöse Systeme.<br />

Aber jede Religion, Ideologie, politische<br />

Bewegung, Revolution, Therapie, Sekte … behauptet<br />

doch auch, Freiheit zu bringen! Jedes System<br />

oder Regime bringt eine gewisse Form von Unterdrückung<br />

mit sich, und der Humanismus ist da<br />

keine Ausnahme. Freiheit ist eines der schönsten<br />

Ideale auf Erden, aber schnell wird sie zur billigen<br />

Phrase im Mund von Demagogen. Je nach Art der<br />

„Freiheit” landet man dann eher in einer anderen,<br />

meist ärgeren Form von Sklaverei.<br />

These 50: „Toleranz” ist der höchste Wert des<br />

Humanismus; aber Toleranz hat ihre Grenzen –<br />

alles zu tolerieren (z. B. Pädophilie, Kindesmissbrauch,<br />

Vergewaltigung …) geht unmöglich! In<br />

der Realität jedoch wird der Begriff „Toleranz”<br />

mit Absicht als Waffe gebraucht: Im Konflikt<br />

beschuldigen sich beide Seiten der Intoleranz;<br />

„Sieger” wird, wer lauter schreit.<br />

These 53: Sind christliche Werte getrennt von<br />

der Quelle der Inspiration (Gott), dann gleicht das<br />

Schnittblumen in einer Vase: Eine Weile sehen sie<br />

hübsch aus, aber sie verwelken. Christliche Prinzipien<br />

von Gott zu trennen macht sie zu abstrakten<br />

Regeln und Allgemeinplätzen, bringt aber<br />

kein Leben hervor.<br />

These 63: Der Humanismus wurde in einer<br />

säkularen Gesellschaft zur neuen Staatsreligion:<br />

Die Entwertung der Kirche als Autorität führte zu<br />

einem Vakuum; das hat sich gefüllt mit einer radikalen<br />

Selbstbestimmung. Über Definitionen, Rahmenbedingungen<br />

und Bezugspunkte ist ein geistlicher<br />

„Krieg” entbrannt; wer lauter schreit, der<br />

drückt dem Anderen seine Weltsicht auf. Längst<br />

hat der Humanismus neue Regeln und Rahmenbedingungen<br />

festgelegt,unter dem Vorwand der<br />

„Neutralität”.<br />

These 64: Der Humanismus nennt ständig Religionen<br />

als Ursache von Kriegen und Blutvergießen,<br />

übersieht aber vorsätzlich die Tatsache,<br />

dass die aus humanistischen Ideologien geborenen<br />

atheistischen Diktaturen des letzten Jahrhunderts<br />

unvorstellbar mehr Opfer gekostet haben<br />

als alle Religionskriege zusammengenommen.<br />

(Man denke nur an die Sowjetunion, das Dritte<br />

Reich, China, Kambodscha, Nordkorea und zum<br />

Vergleich an den Siegeszug des Islams im frühen<br />

Mittelalter, den Kreuzzügen, dem Dreißigjährigen<br />

Krieg, Al-Kaida und IS …)<br />

These 65: Der Humanismus präsentiert sich<br />

gerne humaner als das Christentum, aber an seinen<br />

„Früchten” sehen wir das Gegenteil: Erniedrigung<br />

des Menschen. Bei der Anwendung seiner<br />

ethischen Einstellung, zum Beispiel zu Abtreibung<br />

und Euthanasie, wird das Leben des Menschen<br />

systematisch ab- und nicht aufgewertet.<br />

These 67: Der Humanismus hat die Sicht auf<br />

Sexualität radikal verändert; er brachte eine<br />

sogenannte „Befreiung” von der „Unterdrücker”-<br />

Ethik der christlichen Ehe. Heute wirkt diese<br />

sexuelle Freiheit zerstörerischer, als die Tabus<br />

von früher es je hätten sein können. Die Treue in<br />

18<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

der Ehe wird geopfert auf dem Altar des Individualismus;<br />

Kinder haben in der totalen Selbstbestimmung<br />

beider Eltern nicht wirklich Platz.<br />

These 71: Humanistisches Denken hat die<br />

christlichen Kirchen seit Jahrhunderten infiltriert.<br />

Jede gute Absicht in den „modernen” Kirchen,<br />

das Evangelium annehmbarer, niederschwelliger<br />

zu machen – alles „Anstoßerregende” zu beseitigen<br />

– war nur destruktiv: Die Folgen waren ein<br />

Verlust an Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft,<br />

ein Mehr an Anpassung und die Verwässerung<br />

des Glaubens. Kurz, das humanistische Denken<br />

führt zu einer kraftlosen Christenheit, die sich<br />

der Beliebigkeit preisgegeben hat.<br />

These 75: Mit den Anfangsworten der Bergpredigt<br />

„Selig sind die Armen im Geist” legte Jesus<br />

dem Humanismus eine Bombe, somit auch unserem<br />

oberflächlichen Selbstvertrauen und unserer<br />

Selbstgefälligkeit. Von Natur aus ist doch jeder<br />

mehr oder weniger humanistisch kontaminiert;<br />

jeder, der dieser Ideologie entgegentreten will,<br />

muss zunächst einigermaßen fertigwerden mit<br />

seiner Ich-Bezogenheit und Selbstgerechtigkeit<br />

sowie der seiner Kirche.<br />

These 77: Wer behauptet, das Evangelium „verbessern”<br />

zu wollen, erweist sich meist als arrogant;<br />

das Ergebnis zeigt genau das Gegenteil.<br />

Wer sich als Teil einer „humanistischen Bewegung<br />

in der Christenheit” sieht, muss sich entscheiden,<br />

um welchen Mittelpunkt er sich dreht<br />

– welchem Gott er dient: dem Gott der Bibel oder<br />

der Menschheit? Passen wir die Bibel an den Zeitgeist<br />

an oder richten wir unser Denken an der<br />

Gesinnung des Gottes der Bibel aus?<br />

These 79: „Moderne” Bewegungen in Kirchen<br />

als Ausdruck humanistischen Christentums laufen<br />

der Welt nach und folgen den Trends, statt<br />

prophetische Vorläufer zu sein. „Jesus verwandelte<br />

Wasser in Wein; auch die moderne Theologie<br />

wirkt ‚Wunder‘: Sie verwandelt Wein wieder<br />

zu Wasser!” Verständlich, dass viele dieses verwässerte,<br />

geschmacklose Christentum angewidert<br />

ausgespuckt haben. Der dramatische Verfall<br />

der Kirche in Europa zeigt, dass Gott nicht im<br />

Mittelpunkt stand.<br />

These 89: Die Finanz- oder Bankenkrise ist ein<br />

gutes Gleichnis für die aktuelle ideologische Krise:<br />

Wenn Derivate nicht mehr durch reale Werte<br />

gedeckt sind, bricht das System zusammen. Wie<br />

die Bankenkrise verursacht wurde durch übermäßiges<br />

Investment mit geborgtem Geld und durch<br />

Handel mit virtuellem Geld, so wird auch der<br />

„Markt der Ideologien” erschüttert – der Humanismus<br />

arbeitet nur mit „geborgten Werten”.<br />

These 79: Die Ichbezogenheit sitzt tief und ist<br />

nahezu unverwüstlich. Sie entspricht ganz unserer<br />

Natur und ist schwierig zu überwinden. Nur<br />

Gott kann uns befreien von dieser Tyrannei unseres<br />

Ichs! Nur ein vollkommener, guter und heiliger<br />

Gott ist der zentrale Bezugspunkt für Normen<br />

und Werte, für Lebenssinn und -zweck. Nur<br />

er kann ein unparteiischer Vermittler sein und<br />

uns helfen, den Irrgarten des Lebens von oben<br />

zu betrachten.<br />

Ignace Demaerel, Denker, Schriftsteller, Theologe, Kolumnist;<br />

Jahrgang 1961, lebt nahe Brüssel<br />

1 Nach Matthäus-Evangelium 13,24–30.38–43.<br />

2 Fördern Sie das Buchprojekt mit Ihrer Subskription:<br />

www.agentur-pji.com/95thesen.<br />

3 Matthäus-Evangelium 16,18–23.<br />

Auch die<br />

humanistische<br />

Theologie wirkt<br />

‚Wunder‘: Sie<br />

verwandelt<br />

Wein wieder<br />

zu Wasser!<br />

Humanismus:<br />

In einer<br />

säkularen<br />

Gesellschaft<br />

die neuen<br />

Staatsreligion<br />

Z für Zukunft<br />

19


Z-aktuell<br />

Foto: © Pixabay, MarleneBitzer<br />

Das Filetstück der Reformation<br />

Statt moralischer Berechnung – fröhlicher Austausch; durch Bekennen – Vergebung<br />

erlangen: Ohne diese anhaltende Erfahrung macht sich Kirche überflüssig<br />

Rainer Mayer<br />

Was soll Buße?<br />

Das bezeichtnet<br />

eine notwendige<br />

Richtungskorrektur,<br />

eine<br />

Umkehr: statt<br />

gegen die Wand,<br />

aufs Ziel zu<br />

Selbstgerechtigkeit –<br />

oder Umkehr zu Jesus Christus?<br />

Die erste der 95 Thesen Martin Luthers vom 31.<br />

Oktober 1517 lautet: „Da unser Herr und Meister<br />

Jesus Christus spricht: Tut Buße!, will er, dass<br />

das ganze Leben seiner Gläubigen eine stete und<br />

unaufhörliche Buße sein soll.” Diese These ist wie<br />

eine Überschrift mit Doppelpunkt; die folgenden<br />

Thesen entfalten diese Grundaussage weiter. –<br />

Was ist gemeint?<br />

Wenn das ganze Leben eines Christen eine<br />

stete und anhaltende Buße sein soll, dann brauchen<br />

wir eine grundsätzliche innere Haltung<br />

und neue Einstellung Gott gegenüber. Man kann<br />

mit Gott nicht wie im Business aufrechnen und<br />

gegenrechnen, nach dem Motto: „Du gibst mir<br />

Vergebung, ich gebe dir ‚gute Werke‘.“ Vielmehr<br />

ist alles, wirklich alles, reines Geschenk – also<br />

Gnade –, sowohl die Vergebung selbst als auch<br />

die daraus folgenden guten Taten.<br />

Denn beim Zuspruch der Vergebung im Namen<br />

von Jesus Christus wird nicht nur im juristischen<br />

Sinne die Schuld vor Gott getilgt, sondern durch<br />

die Kraft des Heiligen Geistes vollzieht sich eine<br />

Veränderung des Menschen. Zwar wird ein Christ<br />

lebenslang immer wieder von Verfehlungen übereilt<br />

werden, doch geschieht durch anhaltende<br />

Hingabe an Jesus Christus und die dabei empfangene<br />

Vergebung stetig Veränderung; der Einzelne<br />

merkt das selber oft weniger als seine Umgebung.<br />

Das Leben bekommt eine andere Gesamtrichtung;<br />

Liebe, Freude und Friede erfüllen die<br />

Persönlichkeit. Der Mensch wird umgestaltet<br />

durch die Kraft des Heiligen Geistes.<br />

Luthers fröhliche Wirtschaft<br />

Beim Generalkonvent des Augustiner-Ordens im<br />

April 1518 in Heidelberg sagte Luther in der letzten<br />

seiner dortigen 28 Thesen: „Die Liebe des<br />

Menschen entsteht an ihrem Gegenstand”, also<br />

z. B. an einem anderen Menschen, einem Kunst-<br />

20<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

werk oder der Natur; „aber die Liebe Gottes findet<br />

ihren Gegenstand nicht vor, sondern schafft<br />

ihn sich.” Es handelt sich um Neuschöpfung! –<br />

Schlicht und einfach heißt das: Im moralischen<br />

Sinne vermag ein Mensch gewiss viel Gutes zu<br />

tun, aber vor Gott kann er das nicht aufrechnen.<br />

Denn auch die Kraft zum Guten ist ein Geschenk<br />

Gottes! In seinem Lied von 1524 (EG 299,2) hat<br />

Luther es so ausgedrückt:<br />

„… es ist doch unser Tun umsonst,<br />

auch in dem besten Leben.<br />

Vor dir niemand sich rühmen kann,<br />

des muss dich fürchten jedermann<br />

und deiner Gnade leben.“<br />

Hinzu kommt, dass das in unserer menschlichen<br />

Sicht vermeintlich Gute auch auf Irrtum<br />

beruhen kann und dann letztlich alles andere<br />

als gut ist. Auch können die Folgen einer Tat in<br />

all ihren Konsequenzen häufig nicht abgeschätzt<br />

werden, so dass unser guter Wille manchmal<br />

überhaupt nicht zum Guten beiträgt. Und umgekehrt<br />

kann Gott auch auf krummen Linien gerade<br />

schreiben. Menschliche Aktion kann ihn jedenfalls<br />

nicht aus seiner Weltregierung ausschließen.<br />

Dem Vorwurf, durch diese Sichtweise würde<br />

es überflüssig, Gutes zu tun, hat Luther entschieden<br />

widersprochen. 1520 veröffentlichte er<br />

einen „Sermon von den guten Werken“, und im<br />

Kleinen und Großen Katechismus stellte er die<br />

Zehn Gebote an den Anfang der Erklärung des<br />

Glaubens. Nein, Gutes zu tun ist weder überflüssig<br />

noch belanglos. Frei wird der Mensch jedoch<br />

erst, wenn er sich ganz und vorbehaltlos „mit<br />

Haut und Haaren“ der Gnade und Barmherzigkeit<br />

des himmlischen Vaters ausliefert. Es geht<br />

schlicht darum, loszukommen von einer rechnenden<br />

und berechnenden, ja letztlich fordernden<br />

inneren Haltung Gott gegenüber.<br />

Im zwölften Artikel seiner Schrift „Von der<br />

Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) hat<br />

Luther dafür das schöne Bild vom „fröhlichen<br />

Tausch“ gebraucht: Das Wollen und Vollbringen<br />

des gläubigen Menschen nennt er „Seele“; Jesus<br />

Christus nennt er den „Bräutigam“. Beim glaubenden<br />

Christen geschieht nun folgender Tausch:<br />

Wie Braut und Bräutigam in der Ehe eins werden,<br />

so geschieht es auch zwischen Christus und<br />

der menschlichen Seele, „… so dass, was Christus<br />

hat, das ist eigen der gläubigen Seele; was<br />

die Seele hat, wird eigen Christi. So hat Christus<br />

alle Güter und Seligkeit: die sind [nun] der Seele<br />

eigen; so hat die Seele alle Untugend und Sünde<br />

auf sich: die werden [nun] Christi eigen. Hier<br />

erhebt sich nun der fröhliche Wechsel … Ist nun<br />

das nicht eine fröhliche Wirtschaft, da der reiche,<br />

edle, fromme Bräutigam Christus das arme,<br />

verachtete, böse Hürlein [Seele] zur Ehe nimmt<br />

und sie entledigt von allem Übel, zieret mit allen<br />

Gütern? So ist’s nicht möglich, dass die Sünden<br />

sie verdammen, denn sie liegen nun auf Christo<br />

und sind in ihm verschlungen.“<br />

Freiheit ist nicht Beliebigkeit<br />

Erst durch solche innige Glaubensgemeinschaft<br />

– einer Verschmelzung mit Jesus Christus, die von<br />

allen Berechnungen absieht und ganz aus freudiger<br />

Dankbarkeit lebt – erst dadurch entsteht die<br />

Heilsgewissheit. Wohlgemerkt: Gewissheit, nicht<br />

aber falsche Sicherheit und Gleichgültigkeit. Wer<br />

von Dankbarkeit und Freude erfüllt ist, wird nicht<br />

gleichgültig – im Gegenteil, er ist leidenschaftlich<br />

und brennt!<br />

Damit ist allen Missverständnissen abgesagt,<br />

die die „Freiheit eines Christenmenschen“ mit<br />

Gleichgültigkeit, ja Beliebigkeit verwechseln. –<br />

Solchen Missbrauch gibt es freilich. Da wird dann<br />

die Sünde gerechtfertigt statt des Sünders. Falsche<br />

Sicherheit wird propagiert, statt zu echter<br />

Reue und Umkehr aufzurufen. Bonhoeffer nannte<br />

Verkündigung dieser Art „billige Gnade“; eine<br />

derartige Entstellung der Rechtfertigungsbotschaft<br />

verurteilte er aufs Schärfste.<br />

Gnade ist kein abstraktes<br />

Prinzip, sondern ein göttliches<br />

Geschenk, das im Lebensvollzug<br />

erfahren wird. Die Reformation<br />

war keine Verbilligung christlicher<br />

Lebenspraxis, sondern ist im<br />

Gegenteil eine große Konzentrationsbewegung<br />

weg vom Nebensächlichen<br />

hin auf das Zentrum:<br />

Nein, Gutestun<br />

wir durch Gnade<br />

nicht überflüssig.<br />

Frei wird<br />

der Mensch<br />

jedoch nur,<br />

wenn er sich<br />

der Gnade und<br />

Barmherzigkeit<br />

Gottes ausliefert<br />

Bonhoeffer sprach von<br />

billiger Gnade, leisen Sie<br />

dazu den Artikel „Billige<br />

Gnade, Todfeind der Kirche“<br />

Seite 38 Z#19/20<br />

Z für Zukunft<br />

21


Z-aktuell<br />

“Martin Luther<br />

inwendig voller Figur”,<br />

Aquarellzeichnung von<br />

Michael Mathias Prechtl,<br />

1983. Mit dem Titel ist<br />

Albrecht Dürer zitiert:<br />

“Dann ein guter Maler ist<br />

inwendig voller Figur ...”<br />

„Ihr sollt Nicht<br />

lutherisch, sondern<br />

Christen<br />

heißen. Was<br />

ist Luther? …<br />

ein stinkender<br />

Madensack, man<br />

soll die Kinder<br />

Christi nicht<br />

nach meinem<br />

heillosen Namen<br />

nennen!“<br />

Bibel, Gnade, Glaube<br />

sowie vor allem und<br />

in allem – hin zu Jesus<br />

Christus!<br />

Seelsorge, von<br />

Anfang bis Ende<br />

Die Wurzeln der<br />

Reformation liegen<br />

in der Seelsorge. Sein<br />

Leben lang ist Luther<br />

Beichthörer und Seelsorger<br />

gewesen und<br />

er hat selber Seelsorge<br />

in Anspruch<br />

genommen.<br />

Man kann nun<br />

unterscheiden zwischen<br />

Seelsorge im<br />

zentralen und im weiten<br />

Sinn. Zum weiten<br />

Verständnis der<br />

Seelsorge gehört jedes Miteinander, das im Ringen<br />

um Glauben und Tat geschieht. So schrieb<br />

Luther z. B. von der Veste Coburg aus Trostbriefe<br />

an Philipp Melanchthon, der beim Reichstag zu<br />

Augsburg (1530) als Wortführer die evangelische<br />

Sache vertrat und doch gar keine Kämpfernatur<br />

war.<br />

Bis zum Lebensende betrieb Luther Seelsorge:<br />

Er vermittelte in dem schlimmen Bruderstreit der<br />

beiden Landesherren Albrecht und Gebhard von<br />

Mansfeld, wo die Juristen nicht mehr weiterkamen.<br />

Nach dem guten Abschluss sorgte er dafür,<br />

dass „die Brüder wieder Brüder werden“.<br />

Auch das brüderlich-geschwisterliche Trösten<br />

gehört dazu; am Anfang allerdings steht die persönliche<br />

Beichte, von der aus auch die Reformation<br />

ihren Anfang nahm. Luther hat die „Ohrenbeichte“<br />

nicht abgeschafft, wie oft irrtümlich<br />

behauptet wird; er hat sie sein Leben lang geübt.<br />

Wer die Beichte verachtet, ist nach<br />

Luther gar kein Christ<br />

Im Anhang des Kleinen Katechismus findet sich<br />

eine Anleitung zur persönlichen Beichte, die auf<br />

Luther zurückgeht. Im Unterschied zu der Praxis,<br />

die Ausgangspunkt der 95 Thesen war, enthält<br />

diese Beichte (nur) zwei Hauptstücke, nämlich<br />

das ehrliche Bekenntnis des Herzens und vor<br />

allem die Absolution als vollmächtigen Zuspruch<br />

der Vergebung, gültig für Zeit und Ewigkeit.<br />

Für Luther war es undenkbar, dass ein Christ<br />

das Angebot der Beichte ausschlagen könnte. Im<br />

Großen Katechismus schreibt er gar: „Willst du es<br />

aber verachten und so stolz und ungebeichtet hingehen,<br />

so schließen wir das Urteil, dass du kein<br />

Christ bist … Denn du verachtest, was kein Christ<br />

verachten soll … und ist auch ein gewisses Zeichen,<br />

dass du das Evangelium verachtest.“<br />

Das Gegenteil von Stolz ist die Demut vor<br />

Gott. Luther lebte in dieser Demut. Er hat sich<br />

auch gegen Personenkult gewehrt: „Zum ersten<br />

bitte ich, man solle meines Namens schweigen<br />

und sich nicht lutherisch, sondern Christen heißen.<br />

Was ist Luther? … Wie käme denn ich armer<br />

stinkender Madensack dazu, dass man die Kinder<br />

Christi nach meinem heillosen Namen nennen<br />

sollte?“<br />

Dietrich Bonhoeffer erläuterte den Zusammenhang<br />

mit der Demut in seiner Schrift „Gemeinsames<br />

Leben“: „In der Beichte geschieht der Durchbruch<br />

zum Kreuz. Die Wurzel aller Sünde ist der<br />

Hochmut, die superbia … Geist und Fleisch des<br />

Menschen sind vom Hochmut entzündet; denn<br />

der Mensch will gerade in seinem Bösen sein wie<br />

Gott. Die Beichte … schlägt den Hochmut furchtbar<br />

nieder.“ Aber: „Es ist ja kein anderer als Jesus<br />

Christus selbst, der den Schandtod des Sünders<br />

an unserer Stelle in aller Öffentlichkeit erlitten<br />

hat … es ist ja nichts anderes als unsere Gemeinschaft<br />

mit Jesus Christus, die uns in das schmachvolle<br />

Sterben der Beichte hineinführt, damit wir<br />

in Wahrheit teilhaben an seinem Kreuz.“<br />

Gewiss kann Seelsorge auch missbraucht werden.<br />

Aber Missbrauch hebt den rechten Gebrauch<br />

nicht auf. Machtmissbrauch wird am ehesten verhindert,<br />

wenn Beichte nicht an Hierarchien gebunden<br />

wird und nur derjenige Beichte hört, der selbst<br />

in der Beichte lebt. Das wäre auch der eigentliche<br />

Sinn des „Priestertums aller Gläubigen“.<br />

<strong>22</strong><br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

Vergebungskultur, nicht Schuldkultur<br />

Seelsorge im Kleinen, im persönlichen Bereich<br />

hat bedeutende Auswirkungen im Großen: Wo<br />

viele Einzelne in Buße leben, wird ein ganzes Volk<br />

verändert. In unserem Land wird von „protestantischer<br />

Schuldkultur” geredet. Das weist auf fehlende<br />

Seelsorge hin; denn wo Seelsorge lebt, entsteht<br />

das Gegenteil von Schuldkultur, nämlich die<br />

dankbare Gewissheit der Vergebung mit neuen<br />

„guten Früchten”: Vergebungskultur!<br />

Schuldkultur jedoch entsteht da, wo man die<br />

Schuld autonom „abarbeiten“ will, statt im Namen<br />

von Jesus Christus Vergebung zu suchen. Das ist<br />

ein höchst gefährlicher Weg, der besonders hierzulande<br />

verbreitet ist. Wer alles durch Moralismus<br />

wiedergutmachen will, gerät auf die abschüssige<br />

Bahn der Selbstrechtfertigung durch Leistung. Das<br />

Denken verkrampft. Die Menschen werden selbstgerecht<br />

– eine moderne Form des Ablasshandels!<br />

Nicht nur Wurzel, sondern Bestandsschutz<br />

Doch liegen in der Seelsorge nicht nur die<br />

Wurzeln der Reformation, sondern auch der<br />

Bestand ihrer vielfältigen Frucht. Denn ein Baum,<br />

den man von seiner Wurzel getrennt hat, stirbt ab<br />

– mitsamt all seinen guten Früchten. Eine Kirche,<br />

die Seelsorge vernachlässigt, wird zur bloßen<br />

Moralanstalt; der Moralismus strahlt aus bis auf<br />

die Politik, und schließlich spaltet sich die Gesellschaft<br />

in Gruppen, die sich gegenseitig beschuldigen.<br />

Dabei beruft sich jede Seite auf Moral, heute<br />

sagt man „Werte“, und schließlich kann der Staat<br />

seinen Ordnungsauftrag nicht mehr wahrnehmen.<br />

– Befinden wir uns auf einem solchen Weg?<br />

Darum: Zurück zu Jesus Christus, zurück zum<br />

Zentrum der Reformation! Die Kirche im Sinne<br />

der lebendigen Gemeinde Jesu Christi wird nicht<br />

untergehen; für die verfasste Kirche mit all ihren<br />

Institutionen und Strukturen gilt jedoch: Die Kirche<br />

der Zukunft wird eine Kirche der Seelsorge<br />

sein, eine, in der Schuld bekannt und Vergebung<br />

empfangen wird – oder sie wird nicht sein!<br />

Prof. Dr. Rainer Mayer, bis zum Ruhestand Professor für Systematische<br />

Theologie und Religionspädagogik an der Universität<br />

Mannheim.<br />

Z für Zukunft<br />

23


Z-aktuell<br />

Foto: © Gebetshaus Augsburg<br />

Das Missions-Manifest<br />

10 Thesen für ein „Comeback der Kirche”<br />

Die<br />

Katholischen<br />

Kirche auf<br />

der reformatorischen<br />

Überholspur<br />

Das sind mutige Reformations-Thesen,<br />

die da im Januar 2018 in Augsburg<br />

an die MEHR-Tür genagelt<br />

wurden. Gut, dass es keine 95 sind!<br />

Diese 10 hat man schnell gelesen,<br />

sie sind herausfordernd und gut nachvollziehbar<br />

(natürlich müssten sie auch noch gelebt werden).<br />

Damit gehen unsere katholischen Geschwister<br />

deutlich auf Überholspur, wogegen die lutherische<br />

Kirche in der Rückschau auf ihre Geschichte<br />

zur 500-Jahr-Feier den Missionsgedanken so<br />

ziemlich an den Nagel gehängt hat.<br />

Die Idee zu dem Manifest entstand im Juni 2017<br />

bei einem Treffen im Gebetshaus Augsburg. Zu<br />

den Initiatoren zählen der katholische Theologe<br />

Dr. Johannes Hartl, Leiter des Gebetshauses Augsburg;<br />

P. Karl Wallner, Zisterzienser und Direktor<br />

von Missio Österreich; Bernhard Meuser, Mitverfasser<br />

des Youcat (katholischer Jugendkatechismus);<br />

Martin Iten aus der Schweiz; Paul Metzlaff,<br />

Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonfe-<br />

renz; sowie Benedikt Michal, JAKOB (Jugendarbeit<br />

der Österreichischen Bischofskonferenz).<br />

Hier nun die zehn Augsburger MEHR-Thesen<br />

und anschließend mein Kommentar:<br />

THESE 1 — Uns bewegt die Sehnsucht,<br />

dass Menschen sich zu Jesus Christus<br />

bekehren. Es ist nicht mehr genug, katholisch<br />

sozialisiert zu sein. Die Kirche muss wieder wollen,<br />

dass Menschen ihr Leben durch eine klare<br />

Entscheidung Jesus Christus übergeben. Sie ist<br />

ja weniger eine Institution oder Kulturform als<br />

eine Gemeinschaft, mit Jesus in der Mitte. Wer<br />

Jesus Christus als seinem persönlichen Herrn<br />

nachfolgt, wird andere für eine leidenschaftliche<br />

Nachfolge Jesu entzünden.<br />

THESE 2 — Wir wollen, dass Mission zur<br />

Priorität Nummer eins wird. Und zwar durch<br />

eine Fokussierung der finanziellen und personellen<br />

Ressourcen der Kirche auf die Evangelisie-<br />

24<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

rung. „Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch!”<br />

(Ad gentes, 2) Der finale Auftrag Jesu<br />

an seine Freunde lautet: „Geht zu allen Völkern<br />

und macht alle Menschen zu meinen Jüngern”<br />

(Mt. 28,19). Eine Kirche, die nicht freudig und<br />

überzeugend auf alle zugeht, hat keine Mission;<br />

sie verliert ihr Warum und Wozu. Sie steht für<br />

nichts. Und sie schrumpft statt zu wachsen. Für<br />

unsere Länder heißt das: „The Church will send<br />

or the Church will end.”<br />

THESE 3 — Wir glauben, dass die Chancen<br />

nie größer waren als jetzt. Das Defizit an privater<br />

und gemeinsamer Hoffnung in der Welt wird<br />

von Tag zu Tag größer. Viele suchen und geben<br />

sich mit kleinen Antworten zufrieden. Dabei ist<br />

die denkbar größte Hoffnung bereits in der Welt.<br />

Das Evangelium hat nichts von seiner Attraktivität<br />

verloren. Wir Christen sind dazu da, diese<br />

Hoffnung zu teilen, statt sie für uns zu behalten.<br />

Wo das geschieht, wird es für Menschen unserer<br />

Zeit verlockend, Christ zu sein. Weltweit nehmen<br />

200 Millionen Christen sogar Verfolgungen in<br />

Kauf, weil sie von Jesus, ihrer einzigen Hoffnung,<br />

nicht lassen können.<br />

THESE 4 — Wir sprechen alle Menschen<br />

in unseren Ländern an und machen keinen<br />

Unterschied (wie Jesus keinen Unterschied<br />

gemacht hat). Wir gehen auf Christen, Nichtchristen,<br />

Andersgläubige und Menschen, die nicht<br />

mehr glauben, zu. Es gibt keinen Menschen, für<br />

den Jesus nicht gestorben ist und der Jesus nicht<br />

kennenlernen sollte. Gott ist „die Liebe” (1. Joh.<br />

4,16) und will, „dass alle Menschen gerettet werden<br />

und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen”<br />

(1. Tim. 2,4). Das wollen wir auch.<br />

THESE 5 — Wir glauben, dass unsere<br />

Mission so kraftvoll sein wird, wie es<br />

unsere Gebete sind. Ein missionarischer Neuaufbruch<br />

kann nicht anders beginnen als mit<br />

einem Neuaufbruch in Fasten und Gebet. Gott,<br />

der alle Menschen leidenschaftlich liebt, hat<br />

gehandelt und wird auch jetzt handeln, wenn wir<br />

ihn persönlich und rückhaltlos anrufen. Es werden<br />

Wunder geschehen. Gott wird den Menschen<br />

über den Weg laufen und sei es in Träumen und<br />

inneren Eingebungen. „Haben wir keine Scheu,<br />

Gott selbst um die schwierigsten Dinge zu bitten,<br />

wie die Bekehrung großer Sünder oder ganzer<br />

Völker” (Charles de Foucauld).<br />

THESE 6 — Wir danken allen Christen<br />

außerhalb der katholischen Kirche, die<br />

heute schon mit Hingabe missionieren,<br />

taufen und Menschen zu Jesus führen. Wir<br />

Christen in der katholischen Kirche sehen ihre<br />

Treue zur Heiligen Schrift und ihre entschiedene<br />

Nähe zu Jesus. Wir haben Wertschätzung für die<br />

positiven Impulse der Reformation. Wir wollen<br />

demütig lernen – auch und gerade von den Freikirchen<br />

– und mit allen unseren Geschwistern in<br />

der Ökumene kooperieren, um selbst missionarischer<br />

zu werden. Wir wissen, dass die Welt nur<br />

zu Christus findet, wenn wir die Einheit wiederfinden<br />

und sie in Gebet und Mission schon heute<br />

einüben (vgl. Joh. 17,21).<br />

THESE 7 — Wir müssen die Inhalte des<br />

Glaubens neu entdecken und sie klar und<br />

mutig verkündigen, sei es nun „gelegen oder ungelegen”<br />

(2. Tim. 4,2). Wir haben sie durch Gottes<br />

Offenbarung empfangen, finden sie gefasst im<br />

Urdokument der Heiligen Schrift und lebendig<br />

überliefert im Verstehen der Kirche, wie es der<br />

Katechismus lehrt. Die Geheimnisse des Glaubens<br />

müssen vollständig, ganzheitlich, in rationaler<br />

Klarheit und in der Freude der Erlösten verkündigt<br />

werden. Sie müssen leuchten. Wer anderen<br />

Menschen den Glauben verkünden will, darf nicht<br />

dilettieren; er muss zuerst an<br />

sich arbeiten – an seinem Leben,<br />

an seiner Liebe und an seinem<br />

Wissen. Der missionarische Aufbruch<br />

erfordert eine neue Lernbewegung<br />

des Glaubens, denn wir<br />

haben verlernt, was es heißt, missionarisch<br />

zu sein.<br />

„The<br />

Church will<br />

send or the<br />

Church<br />

will end!”<br />

Auch der Papst Franziskus<br />

bekam das 10 Thesen-<br />

Manifest überreicht.<br />

Foto:© Vatikanmedia<br />

Z für Zukunft<br />

25


Z-aktuell<br />

Drei der Initiatoreden des<br />

Mission Manifests:<br />

(v.l.n.r) Karl Wallner, Johannes<br />

Hartl und Bernhard Meuser<br />

Foto: © Gebetshaus Augsburg<br />

Jede<br />

Konfession<br />

hat ihr eigenes<br />

Verständnis von<br />

Begriffen.<br />

Was versteht<br />

man eigentlich<br />

unter Kirche?<br />

Weltweit gibt es<br />

immerhin etwa<br />

46 000 christliche<br />

Denominationen<br />

THESE 8 — Wir wollen missionieren, nicht<br />

indoktrinieren. Die Mission Jesu zu überbringen,<br />

hat stets den Charakter einer Einladung; Mission ist<br />

die Sehnsucht, die eigene Freude mit anderen zu teilen;<br />

ein freies, respektvolles Angebot an freie Menschen.<br />

Mission bedeutet, den Menschen die Füße zu<br />

waschen, nicht den Kopf. Sie überredet nicht, übt<br />

keinen Druck aus und ist mit Zwang oder Gewalt<br />

unvereinbar. Christen sind nicht nur tolerant gegenüber<br />

Andersdenkenden – sie engagieren sich sogar<br />

aktiv für Religionsfreiheit. Den Wahrheitsanspruch<br />

des christlichen Glaubens vertreten wir ohne jede<br />

Aggression. Wir können unmöglich schweigen von<br />

der Hoffnung, die uns erfüllt (1. Petr. 3,15).<br />

THESE 9 — Wir brauchen eine „Demokratisierung”<br />

von Mission. Nirgendwo steht,<br />

dass die Mission, die Jesus uns gegeben hat, sich<br />

auf Spezialisten, professionelle Verkündiger, Theologen,<br />

Kleriker oder Mitglieder von Ordensgemeinschaften<br />

beschränkt. Missionarisch zu sein<br />

ist der Auftrag Christi an alle Getauften. Mission<br />

beschränkt sich auch nicht auf bestimmte („nichtchristliche”)<br />

Länder, Kulturen und/oder Religionen.<br />

Mission ist jederzeit und überall. Sie ist die<br />

große, oft vergessene Querschnittsaufgabe aller<br />

Christen in allen Ländern und Kulturen.<br />

THESE 10 — Wir müssen uns selbst zur<br />

Freude des Evangeliums bekehren, um<br />

andere zu Jesus führen zu können. Wo wir<br />

uns im Denken, Handeln und Fühlen einem allgemeinen<br />

humanistischen Mainstream angepasst<br />

haben, müssen wir entschiedene Anstrengungen<br />

unternehmen, um uns, wie Papst Benedikt XVI.<br />

sagt, von der Weltlichkeit der Welt zu lösen. Nur<br />

als geisterfüllte „neue Menschen” haben wir missionarisches<br />

Profil. Wir sollten allerdings damit<br />

rechnen, dass der ersehnte Aufbruch im Glauben<br />

nicht immer nur eine Erfolgsgeschichte sein wird.<br />

Doch im treuen und freudigen Zeugnis für Jesus<br />

erstrahlt auch aus Leiden und Widerständen eine<br />

Schönheit, die früher oder später fruchtbar wird.<br />

Der Kommentar<br />

Die Initiatoren sind namhafte Vertreter der<br />

römisch-katholischen Kirche. Wenn hier also ganz<br />

allgemein von Kirche gesprochen wird, ist anzunehmen,<br />

dass die römisch-katholische gemeint ist.<br />

Dieses Manifest richtet sich auch als ersten an die<br />

katholischen Christen. Sie plädieren für ein Comeback.<br />

War sie denn weg? Oder was soll da zurückkommen?<br />

– Wie wäre es mit einer Kirche ohne den<br />

Ballast der Tradition, eben so, wie Jesus Christus<br />

sie gegründet hat?<br />

Jede Denomination, jede Konfession hat ihre<br />

eigene Bezeichnung und interpretiert die Begriffe<br />

für sich. Was ist eigentlich Kirche? Weltweit gibt es<br />

immerhin etwa 46 000 christliche Denominationen.<br />

Zu These 1: Die Sehnsucht, dass Menschen sich<br />

zu Jesus als ihrem persönlichen Herrn bekehren,<br />

ihm „folgen”: Ja, das ist der Kern der Sache. Ohne<br />

Mittler und religiösen Schnickschnack – das wäre<br />

genial.<br />

Zu These 2: Mission soll Priorität Nummer eins<br />

werden. Eine Kirche, die nicht missioniert, die<br />

steht für – nichts, das ist richtig. Aber Achtung:<br />

Wohin soll missioniert werden? Zu Jesus? Oder in<br />

eine katholische, evangelische, Baptisten- oder<br />

sonstige Organisation?<br />

Zu These 3: Wenn die Chance jetzt so groß ist<br />

wie noch nie, hilft uns das nur, wenn wir sie auch<br />

nutzen. Im Laufe der Kirchengeschichte gab es<br />

immer wieder große Chancen, die auch mutig<br />

genutzt wurden; die großen Kirchen haben das<br />

aber oft hart bekämpft.<br />

26<br />

Z für Zukunft


Leitthema<br />

Zu These 4: Das ist wirklich eine große Herausforderung,<br />

keinen Unterschied zu machen.<br />

Ja, Gott will, dass alle Menschen gerettet werden<br />

(1. Timotheus 2,4), und das ist schön. Will ich das<br />

auch? Zumindest für die Menschen, die ich kenne<br />

und zu denen ich Kontakt habe?<br />

Zu These 5: Kraftvolles Gebet war immer der<br />

Vorläufer wirksamer Erneuerung. Aber es ist<br />

trügerisch zu meinen, viel Gebet und Fasten<br />

bewirkte viel. Als ob wir Gott bestechen könnten.<br />

Viele Gebete sind von vornherein wirkungslos;<br />

das Modellgebet zeigt die Richtung: „Dein<br />

Wille geschehe, dein Reich komme …” Das impliziert,<br />

dass die Beter den Willen Gottes kennen<br />

und autorisiert sind, des Königs Herrschaft auszubreiten.<br />

Zu These 6: Der Respekt vor Christen außerhalb<br />

der katholischen Kirche ist bemerkenswert,<br />

und auch, dass sie als Vorbild für gelebte Mission<br />

geschätzt werden. Aber die große Frage ist: Wie<br />

geht Einheit? Unsere Antwort darauf ist weithin<br />

noch zu sehr institutionell geprägt. Gemäß These<br />

1 stelle ich fest: In dem Maß wie jemand eins ist<br />

mit Jesus Christus als seinem persönlichen Herrn,<br />

der kann auch eins sein mit jedem anderen, der in<br />

ähnlichem Maß eins ist mit Jesus.<br />

Zu These 7: Ja, wir müssen die Inhalte des<br />

Glaubens neu entdecken. Die Betonung liegt auf<br />

neu. Die Überlieferung der Kirche, das Verständnis,<br />

wie es der Katechismus lehrt, ist aber nicht<br />

„neu”, sondern überlagert von einer jahrhundertealten<br />

Decke der Tradition (Überlieferung).<br />

– Wer anderen Menschen den Glauben verkünden<br />

will, dürfe nicht dilettieren. Was heißt das? Dilettieren,<br />

das ist, wenn man etwas ohne Expertise<br />

tut, ohne Fachkenntnis. „Wenn ihr nicht werdet<br />

wie die Kinder …”! Das Geheimnis des Glaubens<br />

bleibt oft unerklärbar, hat aber durch das Leben<br />

umso größere Zeugniskraft.<br />

Zu These 8: Mission solle nicht indoktrinieren:<br />

diese These relativiert den subtile Indoktrinierungsanspruch<br />

der vorigen. – Absolut richtig:<br />

„Den Wahrheitsanspruch des christlichen<br />

Glaubens vertreten wir ohne jede Aggression,<br />

ohne Druck, im Respekt gegenüber Andersdenkenden.”<br />

Wenn wir zur Freiheit freigemacht sind<br />

(Galater 5,1), dann gilt das auch für die Art und<br />

Weise, wie wir weitergeben, was wir glauben.<br />

Zu These 9: „Demokratisierung” trifft es nicht<br />

ganz; was praktisch überall not tut, ist die „Entklerikalisierung”<br />

– das wäre die Lösung des Problems<br />

der Christenheit spätestens seit Konstantin<br />

im 4. Jahrhundert, als durch die Trennung „Hier<br />

Klerus, da Laien” dem Kirchenvolk die Mündigkeit<br />

abgesprochen und das „allgemeine Priestertum”<br />

verwehrt wurde.<br />

Zu These 10: Sich „von der Weltlichkeit der<br />

Welt lösen und die Gedankengebäude des humanistischen<br />

Mainstreams verlassen” – das klingt<br />

gut. Aber wohin soll die Reise gehen? Religiosität<br />

ist nur eine fromme Erscheinungsform der Weltlichkeit.<br />

Wenn diese These sagen will, dass wir<br />

uns erst einmal selber zum Evangelium bekehren<br />

sollten, gut, aber doch möglichst zum richtigen:<br />

Jesus sprach ausschließlich vom Evangelium des<br />

Reiches Gottes, und dieses Reich liegt bis heute<br />

im Widerstreit mit dem Reich dieser Welt. Wenn<br />

wir sprechen: „Dein Reich komme!”, dann wünschen<br />

wir doch einen Herrschaftswechsel, und<br />

zwar ganz konkret. Da können wir, wie in These<br />

7 verlangt, wirklich Neues entdecken: den Paradigmenwechsel<br />

von einem „Ich-meiner-mir-mich-<br />

Evangelium” zu dem Evangelium, in dem die<br />

Königsherrschaft Jesu im Alltag „aktiviert” wird,<br />

zur Geltung kommt.<br />

Zusammenfassend ist zu betonen: Glaube<br />

ist eine Herzenssache. Mit dem Herzen wird<br />

geglaubt (Römer 10,10); und wovon das Herz voll<br />

ist, davon geht der Mund über (Matthäus 12,34).<br />

Ist das Herz voll, sollte Mission kein so großes<br />

Problem sein.<br />

Quelle der 10 Thesen: www.missionmanifest.online,<br />

Missio – Päpstliche Missionswerke in Österreich<br />

Das Buch „Missions Manifest” finden Sie auf:<br />

http://shop.agentur-pji.com/mission-manifest.html<br />

Es ist<br />

wichtig zu<br />

verstehen:<br />

Das Missions<br />

Manifest<br />

richtet sich in<br />

erster Linie an<br />

katholische<br />

Christen<br />

Das Buch zum Manifest hat<br />

240 Seiten und lohnt sich<br />

zu lesen<br />

Z für Zukunft<br />

27


Z-aktuell<br />

Foto: © Carlos Martínez<br />

Als Pantomime bereist<br />

Carlos Martínez seit mehr<br />

als 35 Jahren mit seinen<br />

Soloprogrammen die Welt.<br />

Dank seiner universellen<br />

Ausdruckssprache verfügt der<br />

Spanier über eine besondere<br />

Begabung, mit Menschen<br />

jeder Herkunft schnell einen<br />

Kontakt herzustellen. Seit<br />

seinem 12. Lebensjahr<br />

wohnt er in Barcelona.<br />

Foto: © Carlos Martínez<br />

Die Kirche der Zukunft<br />

wird wieder lachen<br />

Carlos Martínez auf der »SCHØN«-Konferenz im Gespräch mit Peter Ischka<br />

Zu Beginn meiner Pantomime-Karriere,<br />

in den achtziger Jahren, bekam<br />

ich oft zu hören: „Pantomime hat<br />

keine Zukunft“; man sagte mir, ich<br />

solle mich etwas anderem widmen.<br />

Ja, es war schwierig. Freunde klopften mir auf<br />

die Schulter und sagten: „Das ist eine brotlose<br />

Kunst.“ Als ich nach einigen Auftritten das erste<br />

Geld verdiente, meinten sie, ich hätte eben Glück<br />

gehabt, und bestanden darauf: Pantomime hat<br />

keine Zukunft. Dieses Jahr feiere ich mein 36-<br />

jähriges Bühnenjubiläum und stehe immer noch<br />

international auf vielen Bühnen.<br />

Das Geheimnis meines Erfolgs<br />

Auch heute bekommen viele junge Menschen,<br />

viele angehende Künstler solche Sätze zu hören.<br />

Ja, ich habe einen Beruf gewählt, der in den<br />

Augen vieler keine Zukunft zu haben scheint;<br />

die beste Antwort darauf ist ein Blick auf meinen<br />

Tourplan. Was war das Geheimnis? Ich möchte<br />

jungen Künstlern helfen; darum habe ich meine<br />

Karriere analysiert – also das Geheimnis ist: Du<br />

brauchst ein Team um dich herum! Baue es auf<br />

und fang mit dem Manager an.<br />

Die Zukunft der Kirche? Da sehe ich durchaus<br />

Parallelen. Mein Manager hat mich ganz am<br />

Anfang gefragt: „Willst du berühmt werden – oder<br />

28<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

willst du viele Jahre auftreten können?“ Für mich<br />

ist der Ruhm eine Konsequenz, aber kein Ziel. Auf<br />

jeden Fall wollte ich meine Kunst für viele Jahre<br />

ausüben und weiterentwickeln können. „Okay“,<br />

befand mein Manager, „genau in diese Richtung<br />

arbeiten wir dann.“<br />

Ich bin der Künstler, ich konzentriere mich auf<br />

die heutige Aufführung und vielleicht auch schon<br />

auf die von morgen, aber langfristig planen, das<br />

kann ich nicht. Als Künstler widme ich mich der<br />

Gegenwart. Mein Manager befasst sich mit der<br />

Zukunft.<br />

Ich denke, Pastoren haben mit Künstlern manches<br />

gemein; ich bin mir sicher, dass sie ein Team<br />

brauchen, damit sie ihre Arbeit viele Jahre lang<br />

gut machen können.<br />

Damit die Kunst Zukunft hat:<br />

Was ein guter Manager tut<br />

Ich erinnere mich an zwei Auftritte in der Schweiz,<br />

einer war am Mittwoch und der andere am Sonntag.<br />

Ich dachte, es wäre am besten, wenn ich am<br />

Dienstag fliegen und bis Sonntag bleiben würde,<br />

das Flugticket wäre so viel günstiger. Aber mein<br />

Manager sagte Nein – es habe Priorität, dass ich<br />

nach Hause komme und Zeit habe für meine Familie,<br />

auch wenn ich dafür etwas mehr Geld ausgeben<br />

müsse. Damit habe ich in meine Zukunft<br />

investiert, der Fokus liegt auf der emotionalen<br />

Stabilität und weniger auf der wirtschaftlichen.<br />

So viel zum Manager. Ansonsten sind da noch<br />

die Agentur, der PR-Fachmann, der Bühnen-<br />

Regisseur. In all diesen Jahren hatte ich nie einen<br />

„Burn-out”, und ich bin mir sicher, dass das unter<br />

anderem daran liegt, dass ich ein Team habe, das<br />

mich auf diesem Abenteuer begleitet hat und das<br />

gemeinsam mit mir die Verantwortung trägt. Aber<br />

wir sind alle nur Menschen; sowohl mein Manager<br />

und ich als auch der Rest des Teams, wir alle<br />

machen Fehler, treffen manchmal falsche Entscheidungen.<br />

Deshalb sollten wir unseren Blick auf den<br />

„Chef-Manager” richten und ihn um Rat bitten,<br />

damit wir langfristig weitermachen können.<br />

Foto: © Carlos Martínez<br />

Ab und zu wurden mir gut dotierte Jobs angeboten,<br />

aber mein Manager riet mir, abzulehnen.<br />

Vielleicht hätte ich viel Geld verdient, aber es<br />

passte nicht in die Linie, die wir professionell und<br />

geistig entwickelt hatten.<br />

Ich habe ständig verrückte Projekte und allerlei<br />

Ideen im Kopf. Nicht allein zu sein – das ist eine<br />

Entscheidung, die ich mir selber auferlegt habe;<br />

sie verpflichtet mich, meinem Team alle „Verrücktheiten”<br />

zu unterbreiten und dann herauszufinden,<br />

welche für meine Karriere die beste ist.<br />

Wenn ich mit Pastoren darüber rede, sagen<br />

sie mir oft: „Ich habe keinen Manager” – höchstens<br />

einen Mentor, der ihnen helfe, sich als Pastor<br />

weiterzuentwickeln – als Pfarrer, Geistlicher<br />

oder wie auch immer; sie sind so auf das Heute<br />

konzentriert, dass sie keine Zeit haben, ein Morgen<br />

zu planen. Ich glaube, auch Kirchen brauchen<br />

so etwas wie einen Manager, Menschen mit einer<br />

Die Zukunft<br />

der Kirche?<br />

Auch Pastoren<br />

bräuchten einen<br />

Manager<br />

Z für Zukunft<br />

29


Z-aktuell<br />

Der Chor hinter der Bühne bzw.<br />

dem Altar; auf der anderen<br />

Seite, vor dem Altar bzw. der<br />

Bühne, der Rest – als gäbe es<br />

zwei Kategorien von Menschen.<br />

Foto © Agentur PJI, Montage<br />

„Ich kann nicht<br />

für euch auftreten,<br />

wenn<br />

mir jemand im<br />

Rücken sitzt“<br />

spirituellen und strategischen<br />

Vision für die Zukunft.<br />

Die Kirche der<br />

Zukunft:<br />

Lächeln dank<br />

Auferstehung<br />

Meine eigentliche Empfehlung<br />

für die Kirche der<br />

Zukunft ist, dafür zu sorgen,<br />

dass ihre Mitglieder wieder<br />

lachen können. Die Leute<br />

haben vergessen, wie wichtig<br />

das Lachen ist. Ich kenne<br />

viele gute Prediger, die theologisch<br />

top ausgebildet sind,<br />

aber wenn sie es nicht schaffen,<br />

eine Prise Humor einzustreuen,<br />

dann schaltet das „Publikum” ab.<br />

Wenn ich auf den gekreuzigten Christus<br />

schaue, dann kann ich nicht lachen; der auferstandene<br />

Christus aber lässt mich wieder<br />

lächeln. Ich war schon in traurigen Gemeinden<br />

– es scheint, als hätten sie vergessen, dass Jesus<br />

lebt. Was uns Hoffnung gibt, ist die Auferstehung.<br />

Darin liegt die Zukunft der Kirche.<br />

Diese Auferstehung wirkt sich auch aus auf<br />

meinen künstlerischen Ausdruck. In meinen<br />

Shows gibt es inmitten der vielen Tragödien des<br />

Lebens immer eine Botschaft der Hoffnung. Wir<br />

müssen den Menschen ihr Lächeln zurückgeben.<br />

Nach einer Vorstellung kam ein Mann zu mir<br />

und sagte: „Danke. Seit Monaten, seit dem Tod<br />

meines Sohnes, konnte ich heute zum ersten Mal<br />

wieder lächeln.” Ich konnte seinen Sohn nicht von<br />

den Toten erwecken, aber ich habe mitgewirkt an<br />

der Erweckung seines Lächelns.<br />

Zweierlei Menschen?<br />

Einmal musste ich in einer Kirche auftreten, in<br />

der es wohl zweierlei Menschen gab: Auf der<br />

einen Seite war der Chor, der saß hinter der<br />

Bühne bzw. dem Altar; auf der anderen Seite,<br />

vor dem Altar bzw. der Bühne, saß der Rest – als<br />

gäbe es zwei Kategorien von Mensch. Als mein<br />

Auftritt an die Reihe kam, war mir klar, dass ich<br />

nur für eine dieser Gruppen auftreten konnte; die<br />

anderen würden meine Gesten nicht sehen. So<br />

erklärte ich dem Chorleiter: „Ich kann nicht für<br />

euch auftreten, außer ihr setzt euch zu dem Rest<br />

der Gemeinde, nach unten.” Das taten sie – und<br />

nach dem Gottesdienst erklärte mir der Pfarrer,<br />

zum ersten Mal seit Jahren habe die Gemeinde<br />

sich vereint gefühlt und einstimmig gelacht.<br />

Das wäre für mich die Kirche der Zukunft:<br />

wenn sie wieder zu lachen lernt.<br />

Die Kirche und ihre Künstler<br />

Wenn ein Arzt seinem Seelsorger anvertraut, im<br />

Krankenhaus habe er eine Versuchung, und ihn<br />

um Rat bittet, würde der Pastor – außer ihn zu<br />

ermahnen – ihm sehr wahrscheinlich versprechen:<br />

„Ich bete für dich.” Aber wenn es kein Arzt<br />

wäre, sondern ein Künstler, könnte es durchaus<br />

sein, dass der geistliche Leiter ihm rät, dieses<br />

verlockende Leben zu verlassen, und ihm empfiehlt,<br />

stattdessen einem „ordentlichen” Beruf<br />

nachzugehen.<br />

Selten würde der Pastor so etwas einem Arzt,<br />

einem Lehrer oder einem Anwalt raten. Versuchungen<br />

gehören zum Menschsein, unabhängig<br />

vom Beruf. Sogar Hirten haben damit zu kämpfen.<br />

Meine Gemeinde betet jeden Donnerstag für<br />

mich. Ich empfehle Künstlern, sich in ihrer Kirche<br />

zu engagieren und ihren Platz dort zu finden<br />

und auszufüllen, und ermutige die Pastoren, ihre<br />

Künstler zu segnen.<br />

Künstler, wie andere Fachleute auch, können<br />

Orte erreichen, an die Pastoren in der Regel nicht<br />

kommen. Wir sind Licht und als solches müssen<br />

wir hoch platziert werden, damit wir gut sichtbar<br />

sind. Man schaltet ja auch nicht ein Licht an und<br />

stülpt dann eine Kiste darüber, sondern man stellt<br />

es auf einen Leuchter; dann leuchtet es allen.1<br />

Das tun Künstler, wenn sie auf die Bühne treten.<br />

Aber Christen sind nicht nur das Licht, sondern<br />

auch das Salz.<br />

30<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Salzig sein, was ist das?<br />

Wenn wir im Spanischen sagen, dass jemand „salzig”<br />

ist, meinen wir: Der hat Pep, ist sympathisch<br />

und hat Humor. Das Salz, im richtigen Maß, gibt<br />

der Suppe einen guten Geschmack. Sollte die<br />

christliche Botschaft nicht auch eine würzige<br />

Note haben? Ich sage nicht, dass wir sie verändern<br />

müssten; sie soll ganzheitlich vermittelt<br />

werden: vertikal und horizontal – wir dürfen nicht<br />

ihre „menschliche” Seite aus den Augen verlieren:<br />

Streuen wir doch ein wenig Humor drüber.<br />

Ich weiß nicht, wie die Kirche der Zukunft sein<br />

wird; meine Aufgabe ist es, ihren Leitern Hilfsmittel<br />

anzubieten. Als Pantomime trainiere ich<br />

mit Pastoren die Körpersprache. Das hilft ihnen,<br />

jene kleinen Gesten hinzuzufügen, die die Wörter<br />

brauchen, damit man die Botschaft hören und<br />

sehen kann.<br />

Mein Ziel ist nicht nur, dass sie besser predigen,<br />

sondern dass sie ihren eigentlichen Platz in<br />

der Kirche entdecken. Meiner Meinung nach ist<br />

ihr Platz nicht nur auf der Kanzel, sondern ganz<br />

nah bei den Leuten. Körpersprache ist nicht nur<br />

am Altar wichtig, sondern im Kontakt mit dem<br />

Einzelnen. Der Körperausdruck, die Präsenz sind<br />

Teil der Botschaft.<br />

Meine Arbeit tue ich nicht nur auf der Bühne,<br />

sondern auch anschließend, wenn ich ungeschminkt<br />

am Ausgang stehe und mit den Leuten<br />

Kontakt aufnehme – ein Händedruck, ein Lächeln,<br />

ein Autogramm …<br />

Ein Traum wird wahr<br />

Einmal hatte ich eine Aufführung in einem kleinen<br />

Dorf mit nur 300 Einwohnern. Der Pastor wollte<br />

jedes Jahr den Traum eines Einheimischen wahr<br />

machen; in diesem Jahr hatte er eine Gruppe von<br />

Teens gefragt: „Wer von euch hat einen Traum?”<br />

Ein Junge sagte: „Mein Traum wäre, dass Carlos<br />

Martínez hier bei uns auftritt.” Das Problem: Keiner<br />

außer dem Jungen wusste, wer Carlos Martínez<br />

war. Gut, dass es das Internet gibt, und zum<br />

Glück fanden auch der Bürgermeister und einige<br />

Geschäftsleute aus der Gegend diese Idee gut. Sie<br />

Foto: © Carlos Martínez<br />

entdeckten mich online, unterschrieben den Vertrag<br />

mit meiner Agentur und ließen mich in der<br />

Mehrzweckhalle auftreten. Am Ende der Vorstellung<br />

bat ich den Jungen auf die Bühne und überreichte<br />

ihm meine Handschuhe.<br />

Sieben Jahre später traf ich ihn wieder. Er war<br />

zum Mann geworden und schmiedete als Student<br />

der Ingenieurwissenschaften an seiner Zukunft .<br />

Ich fragte ihn nach der Aufführung damals, und<br />

er strahlte. Die Handschuhe habe er immer noch,<br />

zur Erinnerung daran, dass Träume wahr werden<br />

können.<br />

Wenn Pastoren und Künstler ein Team um sich<br />

haben und Menschen, die sich um die Zukunft<br />

kümmern, können sie sich besser der Gegenwart<br />

widmen, dem Heute, dem Hier und Jetzt.<br />

Das heißt: Sie erarbeiten nicht nur theologisch<br />

korrekte Predigten oder erschaffen authentische<br />

Kunstwerke, sondern sie streuen auch etwas Salz<br />

darüber, diese Prise Humor, dank der die Kirche<br />

sich mit einem Lächeln neu entdecken kann.<br />

So in die Gegenwart zu investieren, das sorgt<br />

für die besten Zukunftsaussichten.<br />

www.carlosmartinez.de<br />

1 Lukas 11,33.<br />

Wenn ich mit<br />

Pastoren Körpersprache<br />

trainiere,<br />

geht es nicht<br />

darum, dass sie<br />

besser predigen,<br />

sondern dass sie<br />

ihren eigentlichen<br />

Platz in der Kirche<br />

entdecken.<br />

Z für Zukunft<br />

31


Public Relation<br />

Krankenversicherung<br />

ab 0,85 pro Tag<br />

Brückenbauer zwischen den Kulturen:<br />

Internationale Krankenversicherung<br />

Die Care Concept AG (CCAG) versichert Deutsche<br />

im Ausland, Ausländer in Deutschland und Reisende<br />

weltweit für kurz-, mittel und langfristige Aufenthaltsdauern.<br />

Die Produkte erfüllen die Voraussetzungen<br />

der nationalen Gesetzgeber, so sind sie beispielsweise<br />

Schengenkonform. Die Prämien betragen<br />

0,85 € pro Tag z. B. für den Care Visa Protect oder<br />

ab 28 EUR mtl. für die Krankenversicherung von<br />

Sprachschüler und Studenten Care College.<br />

Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit ist<br />

die Internationale Krankenversicherung.<br />

Die Produkte können ergänzt werden durch<br />

Unfall-, Haftpflicht-, Krankentagegeld- oder<br />

Reiserücktritts-Versicherungen.<br />

Die CCAG zeichnet sich aus durch:<br />

- faire, kompetent kalkulierte und langfristig stabile<br />

Preise<br />

- Mehrsprachigkeit : Die Homepage ist in 7 Sprachen<br />

übersetzt. Die Mitarbeiter sprechen 19<br />

Sprachen.<br />

- schlanke Online–Verfahren mit kürzesten Bearbeitungs-<br />

und Reaktionszeiten<br />

Die christliche Prägung der CCAG:<br />

- Beratung der Kunden u. Kooperationspartner unter<br />

Nennung der Vor- und Nachteile der Produkte<br />

- Tatsache, dass sich die CCAG der Entwicklung von<br />

CSR-Projekten verpflichtet fühlt (Corporate Social<br />

Responsibility), wie zum Beispiel der Mikrokrankenversicherungen<br />

für die Ärmsten der Armen<br />

- Kooperation der CCAG mit Entraide Missionaire<br />

(EMS), einem an den Vatikan angegliederten<br />

Versorgungswerk. Im Rahmen dieser Kooperation<br />

können konfessionsübergreifend Christen<br />

im Ausland eine sehr kostengünstige und unbefristete<br />

Krankenversorgung erhalten.<br />

Selbstverständlich stehen die Produkte der<br />

CCAG Angehörigen aller kulturellen und religiösen<br />

Gruppen zur Verfügung.<br />

Weitere Informationen<br />

- zur christlichen Prägung des Unternehmens finden<br />

Sie unter www.care-concept.de/ichthys.<br />

- zu allgemeinen Fragen oder Vertragsabschlüssen<br />

über das Internet unter www.care-concept.de<br />

- persönliche Beratung: Frank Brandenberg (Leiter<br />

Vertrieb), f.brandenberg@care-concept.de<br />

32<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Ende Juni 2018 fand im hessischen Kirchheim der erste „Christus Convent Deutschland“<br />

(CCD) statt; 200 Leiter von von ca. 100 Kirchen, Bewegungen, Werken und<br />

Gemeinschaften aus vielen Konfessionen kamen zusammen. Der CCD ist das bisher<br />

breiteste Treffen christlicher Leiter in diesem Land und hat etwas wahrhaft Historisches:<br />

Sein Ziel ist Einheit – aber nicht durch Übereinstimmung in allen Punkten, sondern<br />

durch den Blick auf Christus, durch Liebe zueinander und die Bereitschaft zur<br />

gemeinsamen Mission.<br />

Peter Ischka<br />

Von den drei CCD-Tagen gäbe es viele<br />

Highlights zu berichten; ich konzentriere<br />

mich hier auf drei Schlüssel-<br />

Beiträge. Sollten diese „Ohren finden,<br />

die auch in der Lage sind zu<br />

hören“, hätten sie elementare Sprengkraft für<br />

Kirche und Gesellschaft.<br />

Johannes Hartl vermittelte, was in ihm brennt:<br />

eine Ahnung von einer Kirche der Zukunft, etwas,<br />

das in vielerlei Hinsicht anders sein werde, als<br />

wir es bisher gewohnt seien – etwas Wunderbares.<br />

Er ist überzeugt: Die Gestalt von Christentum<br />

und Kirche muss sich auf entscheidende und tiefgreifende<br />

Weise verändern und reformieren – und<br />

das wird sie auch.<br />

Aber was mag dieses Neue sein? Das fragte<br />

Hartl sich und im Gebet Gott und stieß auf die<br />

TV-Sendung „Sing meinen Song“; hier singen<br />

bekannte Popstars einander ihre Lieder vor und<br />

erzählen aus dem Leben – mit höchsten Einschaltquoten.<br />

Erstaunlich: Fast in jeder Sendung ging<br />

es irgendwie auch um Gott, und oft fiel das Wort<br />

„spirituell“. Patrick Kelly zum Beispiel erzählte<br />

ganz offen, wie er zum Glauben an Jesus Christus<br />

gefunden hat. Bezeichnend die Frage an Kelly:<br />

„Du bist Christ, aber trotzdem gut drauf!?“ – Welches<br />

Bild hat man da wohl vom Christentum?,<br />

stellte Johannes Hartl in den Raum.<br />

In Kreativität und Kunst, hier: bei Musikern,<br />

liegen Fragen nach dem Spirituellen und nach<br />

Gott sehr nahe. In den Sendungen flossen auch<br />

Tränen, offensichtlich gab es Raum für Nähe;<br />

dabei habe man das Gefühl, dass hier niemand<br />

verurteilt werde; es sei okay, Gefühle zu zeigen.<br />

Viele Lieder handeln von Schmerz und Verlust,<br />

Johannes Hartl ist deutscher<br />

katholischer Theologe, Buchautor,<br />

Referent, Liedermacher und<br />

Gründer und Leiter eines<br />

Gebetshauses in Augsburg<br />

Z für Zukunft<br />

33


Z-aktuell<br />

Ende Juni 2018 fand im<br />

hessischen Kirchheim<br />

der erste „Christus Convent<br />

Deutschland“ (CCD)<br />

statt; 200 Leiter von<br />

Kirchen, Bewegungen,<br />

Werken und Gemeinschaften<br />

aus vielen Konfessionen<br />

kamen zusammen.<br />

Wir sind in einem<br />

Transformationsprozess,<br />

weg vom<br />

kleinkirchlichen<br />

Mauerdenken<br />

und hin zum<br />

Reich Gottes<br />

Tod und Abschied. Für Hartl hat dieses Setting<br />

nahezu etwas Therapeutisches, es zeige jedenfalls<br />

starke Empathie und Mitgefühl. Sein Resümee:<br />

Wenn diese vier zusammenkommen, Spiritualität,<br />

„gut drauf sein“, Kreativität und Empathie,<br />

dann öffnen Menschen ihr Herz.<br />

Und dann fragt Hartl die Zuhörer, und er<br />

schont sie nicht: Finden wir diese vier Elemente<br />

auch unter Christen? Wenn sich jemand in Ihrer<br />

Stadt „spirituell“ auf die Suche begibt, wo geht er<br />

hin – geht er in eine Kirche? Wenn man im Internet<br />

Angebote zur Spiritualität sucht, ist die Antwort<br />

klar: Diesen Markt hat die Christenheit verloren.<br />

Sind es nicht die Christen, die besser drauf<br />

sind, oder warum erntet Paddy Kelly einen solchen<br />

Kommentar? Und wie steht es unter Christen<br />

mit dem Künstlerischen und der Kreativität?<br />

Hartl zitiert einen Freund, der ist Barkeeper auf<br />

Sylt bei den Schönen und Reichen: „Das Leben<br />

meiner Freunde ist sinnlos und leer, aber alles,<br />

was sie machen, ist klasse. Wenn sie ein Hotel<br />

führen, gibt es dort super Service, sie sind<br />

freundlich, das Essen ist toll und alles sieht gut<br />

aus. Ihr Christen redet immer von Freundlichkeit<br />

und Schönheit, aber das Personal ist unfreundlich,<br />

die Tischdecken sind hässlich, das Essen<br />

schlecht und dann ist es nicht einmal billig.“<br />

Betroffen schaut Hartl in die Runde; dann die<br />

letzte seiner Fragen: Wenn du auf der Straße fragen<br />

würdest, wo die Leute hingehen würden,<br />

wenn es ihnen mies geht, also bei wem sie sich<br />

sicher sein könnten, dass sie nicht verurteilt würden<br />

– was würden sie dir antworten? „Zu den<br />

Christen“? Oder würden sie sagen: „Zu meinen<br />

schwulen Freunden, die verstehen mich; Christen<br />

würden mir eher erklären, was ich alles falsch<br />

gemacht habe“?<br />

Deshalb betont Hartl: Unsere Welt schreit<br />

nach Angenommensein, sie sehnt sich nach Hoffnung<br />

und wahrer Freude und sie ist für Geistliches<br />

grundsätzlich offen. Dann stellt er die entscheidende<br />

Frage: Was würden wir erleben, wenn<br />

diese vier Bereiche zusammenwirken, Spiritualität,<br />

„gut drauf sein“, Kreativität und Empathie?<br />

Ernsthaft: Es reicht natürlich nicht, einfach nur<br />

gut drauf und nett zu sein.<br />

Johannes Hartl, ein Reformator unserer Zeit,<br />

fasst seine Perspektiven nicht in 95 Thesen, sondern<br />

in eine einzige: „Wenn Spiritualität, ‚gut<br />

drauf sein‘, Kreativität und Empathie zusammenkommen,<br />

erleben wir die Kultur des Reiches Gottes.<br />

– Wir sind in einem Transformationsprozess,<br />

weg vom kleinkirchlichen Mauerdenken und hin<br />

zum Reich Gottes. Es gibt nur eine Sache, die<br />

am Christentum attraktiv ist, nur eines, was Kirchen<br />

attraktiv macht: und das ist Jesus Christus!“<br />

Alle evangelikalen Freunde, die hier gerne einwenden:<br />

Aber, aber, Herr Hartl ist doch katholischer<br />

Theologe!, mögen sich in Erinnerung rufen:<br />

Luther war das auch.<br />

Für Hartl hat diese Transformation zwei entscheidende<br />

Fundamente: Wort Gottes und Gebet;<br />

nur auf diesem Fundament kann die Kultur des<br />

Reiches Gottes hervorkommen und sich zeigen<br />

in Spiritualität, „gut drauf sein“, Kreativität und<br />

Empathie. Das wäre ein radikales Gegenmodell<br />

zur Welt. Um jedes Missverständnis auszuräu-<br />

34<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

men: Wir wollen gerade keine niederschwellige<br />

Kopie der Welt produzieren, sondern das glatte<br />

Gegenteil, denn nur das Echte erfüllt die tiefsten<br />

Sehnsüchte der Menschen.<br />

Johannes Hartl ist sich sicher, dass das Evangelium<br />

nichts an Kraft verloren hat; seiner Meinung<br />

nach wird es nur zu selten verkündigt und dort,<br />

wo es verkündigt wird, steht das Gesagte oft in<br />

krassem Gegensatz zu dem, was der Hörer erlebt.<br />

Laut Hartl schreit diese Generation: „Wir wollen<br />

das Reich Gottes erleben, nicht in Worten, sondern<br />

in Kraft – wie damals bei den ersten Christen!“<br />

Die Welt sehnt sich nicht nach Kirche, sehr<br />

wohl aber nach dem Reich Gottes; Hartl zitiert<br />

aus dem Römerbrief: Die ganze Schöpfung wartet<br />

darauf, sehnt sich danach, dass die Söhne Gottes,<br />

die sein Reich verkörpern, sichtbar werden. 1<br />

Die Teilnehmer des CCD fordert er heraus zu<br />

überlegen: Wie wäre es, wenn wir dem Herrn sagten,<br />

dass wir dem, was er an Neuem tut, nicht im<br />

Wege stehen wollen?<br />

Was Gewinn schien,<br />

als Verlust verbuchen<br />

Frau Prof. Mihamm Kim-Rauchholz doziert<br />

an der Internationalen Hochschule Bad Liebenzell.<br />

Sie wirft zwei Themen ins Feld; damit hat<br />

das Neue Testament immer schon für Zündstoff<br />

gesorgt: Tischgemeinschaft und Heidenmission –<br />

oder: Die Öffnung des Evangeliums über nationale<br />

Grenzen hinweg. An den aktuellen Schlagwörtern<br />

Außengrenzen, Obergrenzen, ausgrenzen und<br />

eingrenzen haben sich schon hochrangige Nachfolger<br />

Jesu der ersten Stunde wundgerieben.<br />

Prof. Kim-Rauchholz hatte entdeckt, dass von<br />

allen neutestamentlichen Autoren besonders Paulus<br />

über die Kulturen und Grenzen hinweg das<br />

Evangelium brachte, von Syrien bis nach Italien,<br />

vielleicht sogar bis nach Spanien. Das faszinierte<br />

sie; aber warum ausgerechnet Paulus? Warum er,<br />

der nach eigenen Angaben so überzeugt war von<br />

seiner eigenen Religion, seinem eigenen Volk und<br />

seinen eigenen Werten , dass er sogar bereit war,<br />

andere dafür zu töten?<br />

Prof. Kim-Rauchholz sieht verschiedene Gründe<br />

dafür; eine entscheidende Voraussetzung hat die<br />

Theologin in ihrer Radikalität immer wieder fasziniert<br />

– Paulus formuliert sie in einem Brief über<br />

sich selbst so: „Alles, was mir Gewinn war,<br />

habe ich als Schaden erachtet, als Kot, damit<br />

ich Christus gewinne; ja wirklich, ich erachte<br />

alles als Verlust um der unübertrefflichen<br />

Größe willen der Erkenntnis Jesu Christi,<br />

meines Herrn.“ 2<br />

Faszinierend für Frau Kim-Rauchholz ist: Paulus<br />

verwirft nicht seine schlechten Eigenschaften,<br />

seine Sünden; nein, er verwirft das, was uns<br />

erstrebenswert scheint, was uns in dieser Welt<br />

Vorsprung verschafft: unsere Bildung, unser Titel,<br />

unsere Position, unsere Prägung, unsere Traditionen,<br />

unsere Werte und Tugenden. Alles, was<br />

unsere Identität ausmacht.<br />

Wenn sich jemand etwas einbilden könnte auf<br />

seinen Status, dann Paulus: eindeutige Abstammung<br />

aus dem Volk Israel, ein Oberpharisäer,<br />

nach dem Gesetz fehlerlos. 3<br />

Titel, Positionen, Tradition: „Was mir Gewinn<br />

war“, erachtet Paulus als Dreck – diese radikale<br />

Botschaft hörten Bischöfe, Priester, Pastoren<br />

und Leiter der koptischen, orthodoxen, römischkatholischen,<br />

lutherischen, evangelikalen und<br />

Pfingst-Kirche aus dem Munde einer Frau, die<br />

einen Kopf kleiner ist als viele von ihnen.<br />

Das Statement von Paulus fordert die Entscheidung,<br />

Christus über alles zu stellen. Ihn, Paulus,<br />

hatte es jedenfalls alles gekostet: seine Kultur,<br />

seine Karriere in der religiösen Oberschicht, sein<br />

Ansehen, seine Identität und am Ende auch das<br />

Leben. Aber das gab ihm die Kraft, als einst glühender<br />

Verfechter seiner eigenen Religion und<br />

Nationalität die berühmten Worte an die Galater zu<br />

schreiben: „Hier ist nicht Katholik, noch Lutheraner,<br />

nicht Evangelikaler noch Pfingstler, auch nicht<br />

Toilettenputzer noch Bischof, hier ist auch nicht<br />

Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in<br />

Jesus Christus.“ 4 (Alle linksliberal-gegenderten Illusionen<br />

in so manchen Kirchen könnten dadurch mit<br />

einem Schlag wirksam beantwortet werden.)<br />

Mit ruhiger Stimme unterstreicht Prof. Kim-<br />

Rauchholz: „Mit weniger als dem, was Paulus hier<br />

schreibt, nämlich der radikalen Fokussierung auf<br />

Jesus Christus, können wir den Herausforderungen<br />

unserer Zeit nichts Substanzielles entgegenstellen.“<br />

Es geht um unsere Identität in Christus.<br />

Mihamm Kim-Rauchholz<br />

ist eine koreanische Theologin<br />

mit einem Lehrstuhl für Neues<br />

Testament und Griechisch an<br />

der Internationalen Hochschule<br />

Liebenzell (IHL)<br />

Titel, Positionen,<br />

Tradition: „Was<br />

mir Gewinn war“,<br />

als Verlust erachten<br />

– diese radikale<br />

Botschaft<br />

hörten Bischöfe,<br />

Priester, Pastoren<br />

auf dem CCD –<br />

um die Identität<br />

in Christus zu<br />

finden.<br />

Z für Zukunft<br />

35


Z-aktuell<br />

Der Fokolare-<br />

Bewegung ist<br />

es gelungen,<br />

Bischöfe<br />

aus allen<br />

Bischofskirchen<br />

zu sammeln<br />

Foto:: 2014 in Rom © SegVes<br />

Christian Krause<br />

ist evangelischer Theologe<br />

und ehemaliger Landesbischof<br />

der Evangelisch-Lutherischen<br />

Landeskirche in Braunschweig<br />

mit Sitz in Wolfenbüttel. Von<br />

1997-2003 Präsident des<br />

lutherischen Weltbundes<br />

Die bunten Bischöfe<br />

Bischof Christian Krause, Präsident des lutherischen<br />

Weltbundes (von 1997-2003), hat zusammen<br />

mit Kardinal Edward Idris Cassidy am 31.<br />

Oktober 1999 in Augsburg die „Gemeinsame<br />

Erklärung der Rechtfertigungslehre“ unterzeichnet.<br />

Dahinter standen immerhin 30 Jahre Dialog,<br />

in dem sich die Partner nichts geschenkt hatten.<br />

Bischof Krause erzählte von seinen Begegnungen<br />

mit Papst Johannes Paul II., die maßgeblich dazu<br />

beitrugen, dass die massiven Widerstände auf<br />

katholischer Seite gegen diese Erklärung überwunden<br />

werden konnten; auf der evangelischen<br />

Seite, so betonte er, waren es nur die Deutschen,<br />

die dagegen aufmarschierten.<br />

Damals entdeckte Krause die Fokolare-Bewegung<br />

mit Chiara Lubich und ihren vielen Jugendlichen;<br />

dieser Bewegung ist es gelungen, Bischöfe<br />

aus allen Bischofskirchen zu sammeln. Bischof<br />

Krause nennt sie die „bunten Bischöfe“. Sie sind<br />

nicht nach Hierarchie ausgewählt, sondern nach<br />

einem Gleichklang, diese Bischöfe der ost-orientalischen<br />

Kirchen, der Ostkirchen, der Anglikaner,<br />

der Katholiken und Lutheraner sowie der<br />

Methodistenkirche. Bischof Krause ist einer von<br />

etwa 50, die sich jedes Jahr an irgendeiner Stelle<br />

treffen, von der sie meinen, dass das Zeugnis dort<br />

wichtig sei. Sie geben keine Erklärung ab, sie sind<br />

einfach da, zum Beispiel an der Seite der Kopten<br />

in Kairo. Die „bunten Bischöfe“ kann man nicht<br />

übersehen, wenn sie auf der Straße marschieren.<br />

Letztes Jahr waren sie in Polen, um mit ihren<br />

Geschwistern über Europa zu reden; vor einigen<br />

Jahren waren sie in Istanbul und sie haben im<br />

letzten Augenblick Damaskus besucht.<br />

Diese Bischöfe verbindet eines: Jedes Mal, wenn<br />

sie sich treffen, schließen sie einen Pakt gegenseitiger<br />

Liebe. Ihr Gelübde sprechen sie jedes Jahr aufs<br />

Neue: „Im Namen Jesu vereint versprechen wir<br />

uns für das ganze Leben, dass wir vor allem und in<br />

allem einander lieben wollen, wie Jesus uns geliebt<br />

hat. Schenke uns, Vater, die Gnade, in deinem Geist<br />

so miteinander eins zu werden, dass das Kreuz des<br />

einen das Kreuz des anderen ist, die Freude des<br />

einen die Freude des anderen, die Sehnsucht des<br />

einen die Sehnsucht des anderen, damit alle eins<br />

seien und die Welt staune.“ Sie unterzeichnen dieses<br />

Gelübde feierlich und halten einen Gottesdienst<br />

– zusammen mit vielen Menschen, und er endet in<br />

einem Freudenfest.<br />

Bischof Krause erinnert sich: „Früher dachte<br />

ich: Und wenn einer dabei ist, den ich nicht leiden<br />

kann? Das könnte ja vorkommen in so einer<br />

großen Gruppe. Aber das ist nie so gewesen. Im<br />

Gegenteil, wir sind zueinandergekommen und es<br />

ist immer wieder eine große Freude, wenn wir<br />

uns sehen, denn das gilt: Dein Kreuz ist mein<br />

Kreuz, deine Freude ist meine Freude.“<br />

Fazit dieser drei Schlüssel-Beiträge<br />

Die Welt sehnt sich nicht nach Kirche, sehr wohl<br />

aber nach dem Reich Gottes – und das nicht in<br />

Worten, sondern in Kraft 5 . Was sich u. a. im Vierklang<br />

von Spiritualität, „gut drauf sein“, Kreativität<br />

und Empathie zeigt. Das Reich Gottes tritt in<br />

Erscheinung nicht als billige Kopie der Welt, sondern<br />

als radikales Gegenmodell.<br />

Die Gestalt von Christentum und Kirche wird,<br />

ja muss sich auf entscheidende und tiefgreifende<br />

Weise verändern und reformieren. In vielerlei<br />

Hinsicht wird sie anders sein, als wir es gewohnt<br />

waren.<br />

36<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Das Gewohnte, das wir bisher für Gewinn<br />

erachtet haben, wird gelegentlich als Schaden<br />

erkannt werden, um Christus zu gewinnen. Wenn<br />

unsere Bildung, unser Titel, unsere Positionen,<br />

unsere Prägungen, unsere Traditionen, unsere<br />

Werte und Tugenden unsere Identität ausmachen<br />

und nicht Christus, dann ist es, in der Radikalität<br />

von Paulus ausdrückt, scheiße! Mit weniger als<br />

dem, was Paulus in Philipper 3 schreibt, mit weniger<br />

als einer radikalen Fokussierung auf Jesus<br />

Christus, werden wir den Herausforderungen<br />

unserer Zeit nichts Substanzielles entgegenhalten<br />

können. Es gibt nur eines, was am Christentum<br />

attraktiv ist, nur eines, was Kirche attraktiv<br />

macht: Jesus Christus! Wer seine Identidät in<br />

Christus hat, kann mir jemanden, der seine Identität<br />

in Christus hat eins sein.<br />

Nehmen wir uns, auf welcher Ebene auch immer,<br />

an den „bunten Bischöfen“ ein Beispiel: „Wir wollen<br />

vor allem und in allem einander lieben. Lasst<br />

uns im Geist Gottes so miteinander eins werden,<br />

dass das Kreuz des einen das Kreuz des anderen<br />

ist, die Freude des einen die Freude des anderen,<br />

die Sehnsucht des einen die Sehnsucht des anderen,<br />

damit wir eins seien und die Welt staune.“<br />

Die Welt wird auch deshalb staunen, weil sie<br />

erlebt: Da kommt Reich Gottes und da geschieht<br />

Gottes Wille. Es erfüllt sich, was wir immer schon<br />

im Vaterunser gesprochen haben. So nebenbei<br />

wird dann Spiritualität, „gut drauf sein“, Kreativität<br />

und herzliche Empathie erlebt, wie es die<br />

Welt nicht bieten kann. Das könnten die Konturen<br />

einer Kirche der Zukunft sein.<br />

1 Römer 8,19.<br />

2 Philipper 3,7–8.<br />

3 Philipper 3,5–6.<br />

4 Galater 3,28 (freie Wiedergabe der Redaktion).<br />

5 1 Korinther 4,20<br />

„Einheit“, ein Thema, über das große Uneinigkeit herrscht.<br />

Eines aber ist sicher: Es gibt jemanden, der tut alles, um sie zu<br />

verhindern. Wo ihm das nicht gelingt, erzeugt er die schillernsten<br />

Imitationen von Einheit.<br />

In dem Buch kommen wir dem näher, was Jesus meinte, als er von<br />

Einheit sprach. Worum hat er in Johannes 17 eigentlich gebetet?<br />

– Erstaunlicher Weise nicht um Einheit. Er hat um drei andere<br />

Dinge gebetet, damit dadurch Einheit überhaupt erst möglich<br />

wird. Versäumen wir diese drei Dinge, bleibt Einheit weiterhin ein<br />

Traum. Wir sollten auch dieses Gebet Jesu, als Prototyp wie das<br />

Vaterunser verstehen.<br />

In dem Buch finden sie eine Anleitung für ihr persönliches „Einheits-<br />

Entwicklungs-Labor“ und ganz konkrete Hinweise, wo Einheit<br />

anfängt und wie Einheit in ihrer Stadt aktiviert werden<br />

kann. – Sie selbst spielen dabei eine Schlüsselrolle!<br />

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Z für Zukunft<br />

37


Z-aktuell<br />

Fotos: © Afrikanerin:<br />

Pixabay, wjgomes<br />

Araber: Pixabay, ArmyAmber<br />

Südamerikaner:<br />

wikipedia, Cacophony<br />

Chinesin: Pixabay,<br />

jeltevanoostrum<br />

Sind Sie auch Christ?<br />

Entschuldigen sie diese indiskrete Frage. Der persönliche Glaube gehört inzwischen ja<br />

zum Intimbereich. Wir wurden christlich sozialisiert und weil wir in eine christlich geprägt<br />

Kultur hineingeboren wurden, zählen wir uns einfach dazu. Aber stimmt denn das?<br />

Erkennen Sie<br />

die Christen<br />

aus Afrika, dem<br />

Nahen Osten,<br />

Südamerika und<br />

China?<br />

Früher war das noch deutlicher: Wessen<br />

Glauben der Fürst, so auch das<br />

Volk. Wer anders glaubte, sollte besser<br />

das Land wechseln. Nach siegreichen<br />

kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

wurden ganze Völker annektiert und<br />

Zwangstaufen, christianisiert. Niemand hat sie<br />

nach einer Überzeugung gefragt. Die meisten<br />

wussten gar nicht worum es ging.<br />

Das passiert bis heute, nur sicher etwas<br />

freundlicher. Aber damals, als sie als Baby rituell<br />

befeuchtet wurden, hat sie genauso keiner<br />

gefragt, ob sie das wollen, wie damals im 17 Jh.<br />

Bei Kirchenstatistiken gibt es die Rubrik „Austritte”<br />

und dem gegenüber werden in einer Spalte<br />

„Taufen” aufgeführt. Wenn die Zahl der Austritte<br />

und der Taufen ausgeglichen sind, simuliert das<br />

Zufriedenheit. Diese Art von Taufe kann so quasie<br />

38<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

als eine ungefragte Mitgliederrekrutierung, als<br />

Neuzugänge verstanden werden.<br />

Konkret: Köksal, der Teppichhändler<br />

Bei einem Türkei-Aufenthalt freundete ich mich<br />

mit einem Teppichhändler im Basar an. Er war<br />

muslimisch sozialisiert – keiner würde von so<br />

jemandem erwarten, dass er sich für einen Christen<br />

hält. Über seine alten Teppiche kamen wir<br />

dann auch auf das Christentum zu sprechen, ist<br />

doch die antike Türkei dessen Wiege.<br />

Eines Nachts hatte Köksal 1 einen Traum: Er<br />

sah sich am Boden liegen, in Ketten gefesselt; vor<br />

ihm eine Person, hell gekleidet, und ich stand an<br />

der Seite. Mit der Hand wies der Mann in Weiß<br />

auf den Teppichhändler und aus der Handinnenfläche<br />

kam ein starker Lichtstrahl, der die Ketten<br />

sprengte. Dann wies er auf mich: „Den Weg, den<br />

er geht, den gehe!”<br />

Als wir uns das nächste Mal trafen, wollte<br />

Köksal unbedingt wissen, welchen Weg ich gehe;<br />

der Traum bewegte ihn immer noch. Ich erklärte<br />

ihm, dass ich Jesus nachfolge – er ist sozusagen<br />

der Regierungschef in meinem Leben. „Wenn du<br />

auch diesen Weg gehen möchtest, brauchst du so<br />

etwas wie einen Wechsel der Staatsbürgerschaft:<br />

Du musst den Herrschaftsbereich des Islams verlassen<br />

und Staatsbürger im Reich Gottes werden;<br />

dort regiert Jesus, den du im Traum gesehen<br />

hast. Der übrigens alle Autorität im Himmel und<br />

auf der Erde hat.” 2<br />

Der Traum war für ihn so deutlich gewesen, ja,<br />

unbedingt, diesen Weg wolle er gehen. So knieten<br />

wir uns auf den schönen Teppichen nieder<br />

und Köksal bat um Vergebung dafür, dass er bisher<br />

unter anderer Herrschaft war, und für alles,<br />

was aus dieser Abhängigkeit heraus schiefgelaufen<br />

ist – und nahm die Erlösung, die Jesus am<br />

Kreuz erwirkt hat, für sich in Anspruch. Er erbat<br />

und erhielt Vergebung; er übergab Jesus die Herrschaft<br />

über sein Leben und lud den Heiligen Geist<br />

ein, ihm zu helfen, Jesus nachzufolgen. Anschließend,<br />

um das freudige Ereignis zu feiern, nahmen<br />

wir das Herrenmahl: „Nehmt das Brot, es steht<br />

für meinen Leib, der für euch gegeben wurde,<br />

sagte Jesus. Nehmt den Wein, er steht für das Blut<br />

des Bundes, das für euch vergossen wurde. Damit<br />

ihr so richtig mit mir im Bunde stehen könnt.” 3<br />

Etwas später ließ Köksal sich im Meer taufen,<br />

als Ausdruck seiner Entscheidung – durch komplettes<br />

Untertauchen identifizierte er sich mit<br />

dem Tod von Jesus: mitgestorben! Im Auftauchen<br />

drückte er aus: Ich habe Anteil am Auferstehungsleben<br />

von Jesus. 4 Nachdem Köksal aus dem Wasser<br />

aufgetaucht war, zitierte er etwa fünfzehn Minuten<br />

lang Bibelstellen, die er zuvor noch nie gelesen<br />

oder gehört hatte – das war wie eine prophetische<br />

Aussicht auf das, was er bald erleben sollte, und<br />

das war alles andere als ein Spaziergang! Wenn ein<br />

Muslim sich zu Jesus, dem Sohn Gottes, bekehrt,<br />

hat das oft schlimme Folgen. Köksal kam nur ins<br />

Gefängnis, aufgrund falscher Anschuldigungen.<br />

(Das ist eine Geschichte für sich, zu lesen in dem<br />

Buch „Auf der Suche nach Kraft”).<br />

Ich erzähle diese Geschichte, weil sie so klar<br />

zeigt, wie jemand Christ wird. In Köksals Fall verstehen<br />

wir das. In unseren Breiten aber hält man<br />

sich oft für einen Christen, ohne tatsächlich einer<br />

zu sein, und aufgrund dieses Missverständnisses<br />

wird die Einladung, Christ zu werden, häufig<br />

ausgeschlagen: „Was wollen Sie, ich bin doch<br />

Christ … ich bin ja Mitglied in der …” Schön und<br />

gut, aber man hat nicht die „Staatsbürgerschaft”<br />

gewechselt und ist somit nicht Bürger dieses Reiches,<br />

in dem Jesus regiert.<br />

Ein neuer Pass<br />

Das Bild von einer neuen Staatsbürgerschaft<br />

veranschaulicht den Sachverhalt recht gut. Ein<br />

Flüchtling verlässt seine Heimat, weil er Diktatur<br />

und Unterdrückung entfliehen will, und sucht<br />

sich ein Land, das ihm Freiheit gewährt. Wenn er<br />

die Einbürgerung bekommt, erhält er einen neuen<br />

Pass. Alle Einträge im alten Pass, die ihn belasten<br />

würden, sind nicht mehr vorhanden. Er<br />

hat sozusagen eine neue Identität. 5<br />

Der Vater im Himmel hat uns errettet<br />

aus dem Machtbereich der Finsternis und<br />

uns versetzt in das Reich seines geliebten<br />

Sohnes, in dem wir die Erlösung haben,<br />

nämlich die Vergebung der Sünden. 6<br />

Von einem<br />

Teppichhändler<br />

in einem<br />

türkischen Basar,<br />

würde niemand<br />

erwarten, dass<br />

er sich für einen<br />

Christen hält<br />

Die ganze Geschichte über Köksal<br />

lesen Sie in diesem Buch mit<br />

herrlichen Panoramafotos.<br />

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Z für Zukunft<br />

39


Z-aktuell<br />

Ian McCormack berichte<br />

von seinen Erfahrungen<br />

nach dem er gestorben war<br />

Foto © Agentur PJI<br />

Nach Kant<br />

haben wir<br />

uns in der<br />

Aufklärung<br />

von einer selbstverschuldeten<br />

Bevormundung<br />

befreit, einer<br />

höheren<br />

Ordnung<br />

über uns<br />

Buch und DVD<br />

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Tappen im Dunkeln<br />

Der westeuropäische Kulturkreis wurde in den<br />

letzten Jahrhunderten von einem humanistischen<br />

und zunehmend atheistischen Denkkonzept<br />

geprägt: der Mensch sieht sich als das Maß aller<br />

Dinge, als Gott. Nach Immanuel Kant haben wir<br />

uns in der Aufklärung von einer selbstverschuldeten<br />

Bevormundung befreit, einer höheren Ordnung<br />

über uns, also Gott. Die „Vernunft” wurde<br />

dabei zu neuen Religion erhöht.<br />

Auch wenn eine Mehrheit behauptet: „Es gibt<br />

keinen Gott”, hat das auf die Wirklichkeit seiner<br />

Existenz keinen Einfluss. Einer meiner Professoren<br />

sagte öfters: „Die Masse ist blöd!” Ich weiß nicht,<br />

ob er recht hat, aber solche Denkkonzepte oder<br />

Festlegungen hindern natürlich daran, Wirklichkeiten<br />

zu erkennen, die unseren Horizont übersteigen.<br />

Die Ursache liegt in eben in dieser Finsternis,<br />

über die der Apostel Paulus an seine Freunde in<br />

Kolossä schreibt: 5 „Sie tappen im Dunkeln …”<br />

Erscheint es nicht anmaßend, aus einer niedrigen<br />

Ordnung eine höhere erklären zu wollen?<br />

Also: wenn Menschen Gott erklären wollen? Wäre<br />

es nicht vernünftiger, die Erklärungen heranzuziehen,<br />

die Gott über sich verfügbar gemacht hat?<br />

Eine nüchterne Entscheidung<br />

Durch die rituelle Befeuchtung eines Babys wird<br />

man nur Mitglied einer kirchlichen Organisation,<br />

aber nicht Bürger des Reiches Gottes.<br />

Mit aller Bestimmtheit sagte Jesus zu einem<br />

Theologen seiner Zeit: „Wenn jemand nicht von<br />

Neuem (d. h. geistlich) geboren wird, kann er das<br />

Reich Gottes nicht sehen – für ihn bleibt es finster.<br />

Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass<br />

er seinen einzigen, in dieser Art geborenen Sohn<br />

gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren<br />

geht, sondern ewiges Leben hat. Wer an den<br />

Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem<br />

Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen,<br />

wegen der Abwesenheit Gottes in ihm.” 7<br />

Christ zu werden, das bedarf der freiwilligen<br />

Entscheidung, die „Staatsbürgerschaft” zu wechseln;<br />

der Neubürger wechselt vom Reich der<br />

Finsternis dieser Welt zum Reich der Liebe. Wer<br />

bewusst sagt: „Gott, dein Reich komme in meinem<br />

Leben! Dein Wille geschehe durch mich” 8 ,<br />

der begibt sich aktiv unter den Einfluss des Königs<br />

Jesus Christus. Und wer sich unter seine Regierung<br />

stellt, wird Bürger seines Reiches. Ganz<br />

logisch. Und er akzeptiert die dazugehörende Verfassung,<br />

die in der Bibel zugrunde gelegt ist.<br />

Das ist kein frommer Gefühlsdusel; hier ist<br />

eine ganz nüchterne Entscheidung gefragt: Ich<br />

komme vom Herrschaftsbereich des Fürsten dieser<br />

Welt unter die Herrschaft von Jesus Christus.<br />

– Treffe ich diese nüchterne Entscheidung nicht,<br />

bleibe ich weiterhin unter dem Einfluss des bisherigen<br />

Regimes, ob mir das bewusst ist oder nicht.<br />

Sterbe ich unter dieser Herrschaft, bin ich auch<br />

danach unter diesen Machtverhältnissen.<br />

Die Drohung mit der Hölle: „Wenn du nicht<br />

glaubst …” vor dem Hintergrund eines strafenden,<br />

bösen Gottes erzeugt ein völlig verzerrtes,<br />

falsches Bild. Nicht Gott straft, sondern jeder<br />

bestraft sich selbst, wenn er zu blöd ist (oder zu<br />

stolz), diesen jedem zugänglichen Herrschaftswechsel<br />

zu vollziehen.<br />

Konkret: Sunnyboy auf Mauritius<br />

Der aufgeklärte Mensch sieht sich über diesen<br />

Dingen stehend, das meint er zumindest. Himmel<br />

und Hölle schickt er in die Märchenabteilung.<br />

Mein Freund Ian starb bei einem Tauchunfall;<br />

er wurde von fünf Nesseln eines der giftigsten<br />

Lebewesen getroffen, der Würfelqualle. Nachdem<br />

40<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

er gestorben war, hatte er Einblick in Himmel und<br />

Hölle nehmen können. Zuvor war er alles andere<br />

als fromm gewesen; man kann also nicht sagen,<br />

er hätte nur die Projektion seiner Wunschvorstellungen<br />

wahrgenommen.<br />

Auf dem Seziertisch des Krankenhauses kam<br />

er ins Leben zurück; inzwischen hat er Abertausenden<br />

davon berichtet.<br />

Ian hatte das Leben genossen: Als Sunnyboy<br />

ging er vor Mauritius surfen; die anderen großen<br />

Themen seines Lebens waren „Sex, Drugs and<br />

Rock’n’Roll”.<br />

Er wusste, dass ein Schlag von der Würfelqualle<br />

tödlich ist. In seinem Todeskampf erinnerte<br />

er sich an die Worte seiner Mutter: „Wenn<br />

du in Not bist, ruf zu Jesus.” Aber er hatte keine<br />

Ahnung, was er da rufen sollte. Im Rettungswagen<br />

erschienen ihm die Worte des Vaterunsers<br />

vor seinen Augen: „Dein Reich komme … Dein<br />

Wille geschehe … Vergib mir meine Schuld, wie<br />

ich meinen Schuldnern vergebe …”<br />

Der Weg ins Krankenhaus dauerte zu lange.<br />

Die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun.<br />

Er sah sich selbst dort liegen und entschwand<br />

in bedrückende, absolute Dunkelheit. Ein Lichtstrahl<br />

zog ihn heraus; er fand sich wieder vor<br />

einer Person, die so hell war, dass er nichts<br />

erkennen konnte; nur eine unbeschreibliche<br />

Liebe überwältigte ihn, die von dieser Person ausging.<br />

Er sah Landschaften, unglaublich schön.<br />

„Ich habe das nicht verdient”, dachte er bei sich<br />

und erhielt zur Antwort, sein Stoßgebet in letzter<br />

Minute habe alles verändert: „Du hast damit<br />

dieses Reich gewählt und du hast vergeben – und<br />

deshalb wurde auch dir vergeben.” 9<br />

Für seine Mutter war Ian der verlorene Sohn,<br />

der die Sünde liebte, und dieser Schmerz sollte<br />

von ihr genommen werden; Ian wollte, dass sie<br />

erfährt, dass sich sein Leben gravierend geändert<br />

hatte. So konnte er zurück in seinen Körper, aber<br />

nicht nur, um es seiner Mutter zu sagen; Tausenden<br />

und Abertausenden hat er seitdem bezeugt,<br />

dass der Himmel Realität ist. Am nächsten Tag<br />

verließ er das Krankenhaus, völlig wiederhergestellt.<br />

10<br />

Aber es geht dabei primär gar nicht darum,<br />

dass wir einmal in den Himmel kommen. Nur<br />

deshalb gläubig zu werden, wäre etwas zu kurz<br />

gedacht, sogar ein wenig egoistisch. Das mag verwundern,<br />

aber der Himmel ist nur eine logische<br />

Folgeerscheinung.<br />

Die Episode im Garten Eden<br />

Und Gott sprach: „Lasst uns Menschen machen<br />

nach unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen<br />

über die verschiedenen Lebewesen und über die<br />

ganze Erde. … Von jedem Baum des Gartens darfst<br />

du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten<br />

und Bösen nicht; denn an dem Tag, da du davon<br />

isst, musst du sterben!” Da sagte die Schlange zur<br />

Frau: „Keineswegs werdet ihr sterben! Sondern<br />

Gott weiß, dass an dem Tag, da ihr davon esst, eure<br />

Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie<br />

Gott, erkennend Gutes und Böses.”<br />

Sie aßen davon – da gingen beiden die Augen<br />

auf. Sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie<br />

bedeckten sich mit Feigenblättern. 11<br />

Was ist damals passiert? Parabel hin oder<br />

her, hier geht es um ein elementares Prinzip.<br />

Ursprünglich wurde dem Menschen die Erde<br />

als Herrschaftsgebiet übergeben; davon handelt<br />

diese Geschichte, doch Herrschaftsansprüche<br />

sind nicht „in Stein gemeißelt”, Regierungsautorität<br />

kann in andere Hände gelangen – durch Heirat,<br />

durch Siege oder auch durch Betrug.<br />

In der Anfangszeit war es für den Menschen völlig<br />

normal gewesen, Gott<br />

zu begegnen und mit ihm<br />

ganz direkt einige Worte<br />

zu wechseln. Es gab eine<br />

unmittelbare Beziehung<br />

(und diese Beziehung<br />

war es, die damals starb).<br />

„Sollte Gott gesagt<br />

haben?“ Diese Frage<br />

wird aus atheistischhumanistischer<br />

Perspektive<br />

auch heute jeden Tag<br />

gestellt – damals nahm<br />

sie ihren Anfang.<br />

Sollte Gott<br />

gesagt haben?<br />

... Nein, wenn<br />

ihr von dieser<br />

Frucht esst,<br />

werdet ihr nur<br />

Humanisten,<br />

sein wie Gott<br />

Bild: Ausschnitt aus<br />

„Adam und Eva im Garten<br />

Eden“, Lucas Cranach d. Ä.:<br />

Z für Zukunft<br />

41


Z-aktuell<br />

Es wurde nicht<br />

nur den Schuldschein<br />

des Einzelnen<br />

eleminiert,<br />

sondern<br />

Machtverhältnisse<br />

wurde völlig auf<br />

den Kopf gestellt<br />

Dem Menschen war die Herrschaft über die<br />

Erde gegeben, aber Satan wollte sie unbedingt<br />

selber haben. Was tun? Er schlug einen äußerst<br />

linken Deal vor: verbotene Frucht essen gegen<br />

eine Art Neuprogrammierung mit Bewusstseinserweiterung:<br />

„Keineswegs werdet ihr sterben!<br />

Eure Augen werden geöffnet und ihr werdet sein<br />

wie Gott.” – Das Maß aller Dinge … Die Augen<br />

gingen ihnen jedenfalls auf – und was sahen sie?<br />

Dass sie nackt waren. – Super!<br />

Der Mensch hat sich übel austricksen lassen<br />

und sein Erbrecht für ein „Linsengericht” verkauft,<br />

– hat die Herrschaft über die Erde eingetauscht<br />

gegen den Genuss dieser ominösen<br />

Frucht. Die unmittelbare Beziehung zu Gott starb<br />

und Satan wurde zum „Fürsten dieser Welt”.<br />

Wie diesen linken Deal<br />

wieder rückgängig machen?<br />

In Anknüpfung an diese Katastrophe wird Jesus<br />

„der letzte Adam” genannt. 12 Durch seinen Tod am<br />

Kreuz und die Auferstehung hat er das Verlorene<br />

zurückgekauft. Darin steckt aber viel mehr, als<br />

üblicherweise gesehen wird! In einer Ankündigung<br />

seines Todes zeigt Jesus, wie sehr alles auf diesen<br />

Fürsten dieser Welt abzielte: „Jetzt ist das Gericht<br />

dieser Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen<br />

werden. … Der Fürst dieser Welt<br />

kommt, aber in mir hat er keine Anrechte.“ 13<br />

Was hatte er nicht, dieser „Fürst dieser Welt“?<br />

Er hatte keinen Deal mit Jesus, es gab kein Vertragsverhältnis,<br />

worauf er hätte Anspruch erheben<br />

können. Durch diesen ursprünglichen „linken Deal“<br />

waren zunächst die ersten Menschen, „der erste<br />

Adam“, und anschließend die ganze Menschheit<br />

in einer Vertragsabhängigkeit gefangen. Jesus als<br />

„der letzte Adam“ aber war davon frei und konnte<br />

deshalb nicht korrumpiert werden. Dadurch hatte<br />

Jesus Christus das volle Recht und die Möglichkeit,<br />

die Menschheit aus dieser tödlichen Abhängigkeit<br />

herauszukaufen und uns das ursprüngliche Recht,<br />

über die Erde zu herrschen, zurückzugeben.<br />

Der Apostel Paulus hat das zutiefst erkannt:<br />

„Ihr wart tot in euren Verfehlungen, in denen ihr<br />

unterwegs wart gemäß dem Zeitgeist dieser Welt,<br />

gemäß seinem Fürsten, als Söhne des Ungehorsams.“<br />

14 Das Evangelium will uns nicht in erster<br />

Linie nicht nur der Konsequenz unserer Sünden<br />

entheben (das natürlich auch); es bezweckt<br />

vor allem die Veränderung von Machtverhältnissen;<br />

Sündenvergebung ist dabei eine notwendige<br />

Nebenwirkung! „Er hat uns errettet aus den<br />

Machtverhältnissen der Finsternis und uns versetzt<br />

in den Herrschaftsbereich des Sohnes seiner<br />

Liebe; dadurch haben wir auch die Erlösung von<br />

den Verfehlungen unserer Sünden im Beipack.“ 15<br />

Paulus selbst hat seinen Auftrag so beschrieben:<br />

„… den Menschen die Augen zu öffnen, dass<br />

sie sich von der Finsternis zum Licht und von dem<br />

Machtanspruch des Satans zu Gott bekehren,<br />

damit sie Vergebung der Sünden empfangen und<br />

ein Erbe im Reich Gottes.“ 16<br />

Den vollen Umfang verstehen<br />

Es fällt uns nicht leicht zu begreifen, wie umfassend<br />

das war, was Jesus Christus in Tod und Auferstehung<br />

erreicht hat; zu sehr sind wir geprägt<br />

von einem verkürzten Evangelium humanistischer<br />

Denkart.<br />

„Gottes Gerechtigkeit aber durch den Glauben<br />

an Jesus Christus gilt für alle, die glauben. Denn<br />

es ist kein Unterschied: Alle haben gesündigt und<br />

erlangen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden<br />

umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade,<br />

durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.“ 17<br />

Das war die umwerfende Erkenntnis des jungen<br />

Martin Luther – und sie ist unverzichtbar für<br />

jeden Einzelnen, der die Vergebung der Sünden<br />

42<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

zu erlangen sucht und die Rechtfertigung vor<br />

Gott. Wohlgemerkt: ohne Gegenleistung!<br />

So weit, so gut, und jedes Wort ist wahr. Aber<br />

die Auswirkung des Kreuzes ist weit umfassender,<br />

ja „universell“, ganz und gar systemverändernd.<br />

Jesus Christus hat nämlich nicht nur den<br />

Schuldschein eleminiert, der gegen uns gerichtet<br />

war, indem er ihn ans Kreuz nagelte; sondern vor<br />

allem hat er die Gewalten und die Mächte (des<br />

Fürsten dieser Welt) völlig entwaffnet und sie<br />

öffentlich blos gestellt. In Christus hat Gott den<br />

Triumph über diese Mächte voll ausgedrückt. 18<br />

Urteil und Vollstreckung<br />

Wenn wir uns nun die Weltlage anschauen, kommen<br />

wir in einen Konflikt; alles sieht schlimmer<br />

aus denn je, und man hat gar nicht den Eindruck,<br />

dass das Böse irgendwo entwaffnet wäre. Korruption<br />

und Terror scheinen sich auszubreiten. Hat<br />

Jesus Christus den Fürsten dieser Welt nun hinausgeworfen<br />

oder nicht?<br />

Der Autor des Hebräerbriefes gibt darüber<br />

Aufschluss: „Gott ließ nichts übrig, was er Christus<br />

nicht unterworfen hätte. Jetzt aber sehen wir<br />

ihm noch nicht alles unterworfen.“ 19 An anderer<br />

Stelle heißt es: „Christus wartet, bis seine Feinde<br />

zu seinem Fußschemel gemacht werden.“ 20<br />

Das könnte man vergleichen mit dem Richter-<br />

Henker-Prinzip: Der Richter fällt ein Urteil, das<br />

aber bedarf der Vollstreckung. In der Zwischenzeit<br />

ändert sich für den Verurteilten nicht viel und<br />

auch nicht für die Geschädigten, die auf Gerechtigkeit<br />

hoffen.<br />

Daher ist es wichtig, dass das umfassende<br />

Evangelium Beachtung findet: Die Frohe Botschaft<br />

ist zunächst für jeden persönlich die Vergebung<br />

der Sünden und die Rechtfertigung aus<br />

Glauben; aber darüber hinaus und übergeordnet<br />

verkündet sie, dass der Fürst dieser Welt alles<br />

Recht an der Welt verloren hat und per Gerichtsurteil<br />

entmachtet ist. – Aber das Urteil muss zur<br />

Vollstreckung gebracht werde.<br />

Welche Rolle spielen wir?<br />

Gott will das Herrschaftsverhältnis, das bei der<br />

Schöpfung ursprünglich vorgesehen war, wiederherstellen:<br />

„Christus muss freilich im Himmel<br />

aufgenommen werden bis zu den Zeiten der Wiederherstellung<br />

aller Dinge, von denen Gott durch<br />

seine Propheten von jeher geredet hat.“ 21<br />

Jeder einzelne Mensch, der die Erlösung Jesu<br />

im Glauben für sich in Anspruch nimmt, also Christ<br />

im eigentlichen Sinne des Wortes geworden ist<br />

und die Veränderung der Herrschaftsverhältnisse<br />

erkennt und an sich vollzogen hat, nimmt die neue<br />

Staatsbürgerschaft des Reiches Gottes an. Wer<br />

„von Neuem“, also aus dem Geist Gottes geboren<br />

ist (hier wird das geboren, was damals im Garten<br />

gestorben war), der überwindet die Welt und wechselt<br />

die Machtverhältnisse – er ist also nicht mehr<br />

gleichförmig mit diesem Weltsystem, nicht mehr<br />

von ihm ferngesteuert. Diese „Wiedergeborenen“<br />

können über sich und Christus sagen: „Wir haben<br />

die Welt überwunden. Denn der, der in uns ist, ist<br />

größer und stärker als der, der in der Welt ist.“ <strong>22</strong><br />

Jesu Worte an Gott, seinen Vater, machen das<br />

noch deutlicher: „Ich habe ihnen dein Wort, das<br />

Evangelium vom Reich Gottes, weitergegeben;<br />

dafür hasst sie die Welt, weil sie ihr nicht gleichförmig<br />

sind, so wie auch ich nicht zur Welt gehöre.<br />

Ich bitte dich nicht, sie aus der Welt herauszunehmen;<br />

aber ich bitte dich, sie vor dem Bösen zu<br />

bewahren. Sie gehören so wenig zur Welt, wie ich<br />

zur Welt gehöre. So wie du mich aus deinem Reich<br />

in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie als Vertreter<br />

meines Reiches in die Welt gesandt.“ 23<br />

Hier schließt sich der Kreis: „Wer überwindet,<br />

der wird mit mir auf dem Thron sitzen, wie<br />

auch ich überwunden und mich mit meinem Vater<br />

auf seinen Thron gesetzt habe.“ 24 Wer sitzt auf<br />

dem Thron? Üblicherweise der, der regiert. Der<br />

Mensch als Überwinder wäre dann wieder genau<br />

in der Position wie bei der ursprünglichen Auftragserteilung:<br />

„Sie sollen herrschen über die<br />

ganze Erde und über alle Lebewesen.” 25<br />

Total inkompatibel<br />

Aber alles, was gleichförmig ist mit dieser Welt, ist<br />

absolut inkompatibel mit dem Reich Gottes – und<br />

umgekehrt. Deshalb der energische Aufruf: „Seid<br />

nicht gleichförmig mit dieser Welt!” Jede Gleichförmigkeit<br />

bedeutet Kooperation mit dem Fürsten<br />

dieser Welt und nährt dessen unrechtmäßigen,<br />

längst verurteilten Herrschaftsanspruch. Er hat<br />

Welche Rolle<br />

spielen Sie<br />

in diesem<br />

Sachverhalt?<br />

Wer will nicht<br />

auf der<br />

Siegerseite<br />

stehen?<br />

Wer auf dem Thron sitzt,<br />

regiert üblicherweise.<br />

Die ursprünglichen<br />

Auftragserteilung soll wieder<br />

hergestellt werden: „Sie sollen<br />

herrschen über die ganze Erde<br />

und über alle Lebewesen.”<br />

Foto: © pinterest.de<br />

Z für Zukunft<br />

43


Muslime<br />

träumen von<br />

Jesus! Lesen Sie<br />

in diesem Buch<br />

tolle Berichte<br />

davon<br />

Z-aktuell<br />

nämlich nur die Macht, die ihm dummerweise eingeräumt<br />

wird von jenen Christen, die nur Mitläufer<br />

einer Organisation sind und das Evangelium nicht<br />

umfassend kennen. Aber wo immer ihm widerstanden<br />

wird, entzieht ihm das seine Macht; das lässt<br />

ihn zum Fußschemel werden.<br />

Ein spannender Bericht von Pilgerreisen auf den Spuren des Apostels Paulus. Sie<br />

werden zur Suche nach der Kraft des Glaubens und führen zu aufschlussreichen<br />

historischen Plätzen der ersten Christen in „Kleinasien“, der heutigen Türkei.<br />

Herrliche Panoramabilder begleiten den mitreißenden Text (80 Farb- und 34 s/w-Fotos).<br />

Der Leser spürt etwas von der Leidenschaft der ersten Christenheit.<br />

Geschichte und Gegenwart verschmelzen: Istanbul – Konstantinopel, das Tor zum<br />

Orient. Über Ankara geht es zu den tausend Höhlenkirchen in Kappadokien. Auch die<br />

Stätten der sieben apokalyptischen Gemeinden fehlen nicht.<br />

An der türkischen Südküste, wo die erste Reise des Paulus ihren Ausgang nahm,<br />

sollte Peter Ischka vieles selbst erleben, wovon in der Apostelgeschichte berichtet wird:<br />

Er bekommt den „Auftrag“, einen jungen Christen, der auf Grund seiner Bekehrung<br />

ins Gefängnis kam, daraus zu befreien. In diesem Buch lesen Sie, wie das Unmögliche<br />

tatsächlich geschah. Daumennagelgroße Nierensteine verschwinden nach schlichtem<br />

Gebet. Jesus begegnet Muslimen in Träumen und Visionen.<br />

Sogar ein Esel wird von dieser Kraft übernatürlich berührt.<br />

Dieses Buch liest sich wie die Fortsetzung der Apostelgeschichte<br />

und macht Mut, längst in Vergessenheit geratenes<br />

Glaubensgut wieder beim Wort zu nehmen.<br />

Gebunden, 160 S., 32 Seiten Panorama-Fotos, 17 x 25 cm, Best.-Nr. 453.103.778<br />

17,95<br />

http://shop.agentur-pji.com<br />

QR zur Leseprobe<br />

Widerstand und bessere Karten<br />

Widerstand – wie soll das gehen? Ganz einfach.<br />

Sagen Sie jeden Tag: „Dein Reich komme. König<br />

Jesus, regiere du in meinem Leben. In mir und<br />

meinem Leben hat der Fürst dieser Welt keine<br />

Regierungsgewalt mehr! Ich habe die Staatsbürgerschaft<br />

gewechselt. Vater, dein Wille geschehe<br />

in meinem Leben und nicht die bösen Pläne dieser<br />

Welt.” – Und schon hat sich das Reich Gottes<br />

um ein paar Zentimeter erweitert. Dort, wo Jesus<br />

regieren kann, da ist Reich Gottes. Lesen Sie<br />

regelmäßig in seiner Verfassung, in der Bibel.<br />

Wie wäre es, wenn Sie die Staatsbürgerschaft<br />

wechseln und Bürger des Reiches werden, dessen<br />

Regent Liebe in Vollendung ist und außerdem alle<br />

Macht und Autorität im Himmel und auf der Erde<br />

hat? Mit Christus als persönlichem Regierungschef<br />

sind sie Christ im eigentlichen Sinne und<br />

haben dazu noch eindeutig die besseren Karten.<br />

1 Name geändert.<br />

2 Matthäus 28,18.<br />

3 Lukas-Evangelium <strong>22</strong>,19–20.<br />

4 2. Timotheus 2,11; Kolosser 2,12.<br />

5 2. Korinther 5,17.<br />

6 Kolosser 1,13–14.<br />

7 Johannes 3,3;16;36.<br />

8 Matthäus 6,10.<br />

9 Matthäus 6,14–15.<br />

10 Ausführlich berichten davon das Buch „Ich war tot” und inzwischen<br />

auch ein Kinofilm: „Die perfekte Welle” mit Scott Eastwoods<br />

Sohn Clint in der Hauptrolle.<br />

11 1. Mose 1,26; 2,17; 3,4–5; 3,7.<br />

12 1. Korinther 15,45.<br />

13 Johannes 12,31; 14,13.<br />

14 Epheser 2,1–2.<br />

15 Kolosser 1,12–14.<br />

16 Apostelgeschichte 26,18.<br />

17 Römer 3,<strong>22</strong>–24.<br />

18 Kolosser 2,14–15.<br />

19 Hebräer 2,8.<br />

20 Hebräer 10,13.<br />

21 Apostelgeschichte 3,21.<br />

<strong>22</strong> 1. Johannes 5,4; 4,4.<br />

23 Johannes 17,14–18.<br />

24 Offenbarung 3,21.<br />

25 1. Mose 1,26.<br />

44<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Luther und die Neuzeit<br />

Die evangelische Kirche ist heute durch eine Inflation des Kreuzes gekennzeichnet,<br />

stellt Norbert Bolz leidenschaftlich fest.<br />

Nur noch selten hört man etwas<br />

über das Ärgernis und den Skandal<br />

des Wortes von dem einen<br />

Kreuz, wie es im Zentrum der Paulus-Briefe<br />

steht. Dafür bekommt<br />

man sonntags viel zu hören über die Kreuze dieser<br />

Welt – Hunger, Flüchtlingselend, Klimakatastrophe<br />

und so weiter, und dazu die Zusammenhalt-Parole<br />

„Reden wir miteinander“.<br />

Für Sören Kierkegaard war das schon vor 160<br />

Jahren „Geschwätz“. Der Pfarrer kommt immer<br />

häufiger als Gutmensch daher – in der Sprache<br />

des Neuen Testaments: Pharisäer, und die Predigt<br />

verkommt zu einem sentimentalen Moralismus.<br />

„Nichts entvölkert unsere Kirchen so sehr, als<br />

dass man es in ihrem Gottesdienst so viel mit den<br />

persönlichen Ansichten ihrer Prediger zu tun hat“,<br />

attestierte schon der Kirchenhistoriker Franz<br />

Overbeck. Sentimentales Moralisieren – eine<br />

Hauptquelle der protestantischen Heuchelei.<br />

Die evangelische Kirche heute geht Konflikten<br />

aus dem Weg, indem sie immer weniger behauptet.<br />

Sie hat Angst vor den eigenen Dogmen und möchte<br />

um keinen Preis als orthodox erscheinen. Aber nicht<br />

orthodox sein zu wollen, das ist für einen Glauben<br />

paradox. Kennt die evangelische Kirche überhaupt<br />

noch den Unterschied zwischen Christentum und<br />

einem diffusen Humanitarismus?, fragt Prof. Bolz.<br />

Sie ersetzt den Skandal des Gekreuzigten zunehmend<br />

durch einen neutralen Kult der Menschlichkeit.<br />

Thomas Mann hat das schon vor hundert Jahren<br />

„Verrat am Kreuz“ genannt.<br />

Dieses Wohlfühlchristentum befriedigt ein tiefes<br />

Bedürfnis nach Betäubung. Wenn Marx vom<br />

„Opium des Volkes“ sprach und Nietzsche von<br />

einem „opiatischen Christentum“, meinten sie<br />

eigentlich: Nicht Religion an sich ist Opium, sondern<br />

der moderne Mensch macht aus Religion ein<br />

Opiat. Das Christentum als Droge, zur Beruhigung.<br />

Jede Spur christlicher Erschütterung wird<br />

sorgfältig vermieden. Man lässt sich zwar noch<br />

von Jesus-Geschichten rühren, z. B. an Weihnachten;<br />

aber vom Jüngsten Gericht will niemand<br />

Kennt die<br />

evangelische<br />

Kirche überhaupt<br />

noch den Unterschied<br />

zwischen<br />

Christentum und<br />

einem diffusen<br />

Humanitarismus?<br />

Z für Zukunft<br />

45


Z-aktuell<br />

Foto: © Die zehn Gebote, Screenshot<br />

Das goldene Kalb, um das<br />

heute getanzt wird, ist der<br />

Götzen „Mensch“. Man<br />

liebt die Menschheit, um<br />

Gott verdrängen<br />

zu können.<br />

Aus<br />

Gott wurde<br />

„der liebe Gott“,<br />

aus Jesus ein<br />

guter Mensch<br />

– ein Integrationsbeauftragter<br />

höherer<br />

Ordnung.<br />

Der Erlöser<br />

hingegen wird<br />

verdrängt<br />

etwas hören. Aus Gott wurde „der liebe Gott“ und<br />

aus Jesus ein guter Mensch – gewissermaßen ein<br />

Integrationsbeauftragter höherer Ordnung, wie<br />

Norbert Bolz es ausdrückt. Jesus, der Erlöser<br />

Christus wird verdrängt.<br />

Gott als Vater ansprechen, das hat die moderne<br />

evangelische Kirche als Gefühlsduselei missverstanden.<br />

Der Soziologe Max Weber hat sie immer<br />

wieder daran erinnert, dass der Vater des Gottessohns<br />

„kein zärtlicher moderner Papa“ ist, sondern<br />

eher ein strenger Hausvater. Doch dass Gott kein<br />

netter Papa ist und Jesus nicht sozial war, das wagt<br />

die Kirche heute kaum mehr auszusprechen. Prof.<br />

Bolz will an Luthers schlichten Wesenskern erinnern,<br />

nämlich: an Christus und das Kreuz zu glauben<br />

und Mildtätigkeit gegen die Armen zu zeigen.<br />

Wohlfühlchristentum ohne Happyend<br />

Neben den Wohlfühlchristen des Wohlstandsalltags<br />

gibt es aber auch die intellektuellen Esoteriker<br />

eines Christentums ohne Happy End, also<br />

ohne Auferstehung.<br />

Die letzten Worte Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht“,<br />

hat der evangelische Theologe Rudolf<br />

Bultmann so gedeutet, „dass mit dem Kreuz Jesu<br />

Werk abgeschlossen ist und keiner Ergänzung<br />

durch eine körperliche Auferstehung bedarf“. Bolz<br />

fragt, ob eine christliche Theologie ihre Aufgabe<br />

in der modernen Gesellschaft denn noch erfüllen<br />

kann, wenn sie in Jesus nur noch jemanden ohne<br />

Auferstehung, ohne ewiges Leben sieht?<br />

Die Geschichte am Karfreitag findet also<br />

nicht hindurch zum leeren Grab, an das sich das<br />

Dogma der Auferstehung hält; man hört nur den<br />

Urschrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du<br />

mich verlassen?“ Für das esoterische Christentum<br />

ohne Happy End gibt es nur die Wahrheit dieses<br />

Schreis, „der noch an den ‚toten Gott‘ gerichtet<br />

sein könnte“. Es gibt also keine Erwartungen.<br />

Jesus war, aber er ist nicht mehr.<br />

Sowohl die Wohlfühlchristen als auch die intellektuellen<br />

Esoteriker hängen also einem halbierten<br />

Christentum an. Die einen hören gerne Jesus-<br />

Geschichten, wollen vom Karfreitag aber nichts<br />

wissen. Die anderen wollen nur an den Karfreitag<br />

glauben, an Ostern jedoch nicht. Nur: Ohne Kreuz<br />

und Auferstehung gibt es keinen christlichen<br />

Glauben! Papst Benedikt XVI.: „Mit der Auferstehung<br />

beginnt eine neue Schöpfung. Gott greift<br />

hier nicht nur mit seinem Wort, sondern unmittelbar<br />

materiell in die Geschichtswelt ein.“ Ähnlich<br />

wie die Jungfrauengeburt ist das für das moderne<br />

Denken unerträglich. Für die alten Griechen war<br />

das Wort vom Kreuz ein Ärgernis, für die Juden<br />

war es ein Skandal. Für den modernen Menschen<br />

aber ist die Auferstehung das Ärgernis, das kann<br />

er mit seiner Vernunft einfach nicht vereinbaren.<br />

Das leere Grab passt nicht in sein Weltbild.<br />

„Zivilreligion“ als Glaubnesminimum<br />

Bolzens Ruf „Zurück zu Luther!“ richtet sich aber<br />

nicht nur gegen Wohlfühlchristen und intellektuelle<br />

Esoteriker; er richtet sich auch gegen die<br />

Reduktion des christlichen Glaubens auf eine<br />

„Zivilreligion“ – so nennt er die Schwundstufe<br />

eines Christentums, das nicht mehr in seinem<br />

Wahrheitsanspruch ernst genommen wird, sondern<br />

nur noch wegen seiner ethisch und politisch<br />

stabilisierenden Funktion.<br />

Der Staat fragt heute selbst nach den integrierenden<br />

Werten der modernen Gesellschaft;<br />

man kennt diese Frage aus den Weihnachtsansprachen<br />

der Politiker. Die Zivilreligion fasst die<br />

religiösen Restbestände zusammen: die Kirchen,<br />

in denen wir getauft werden und heiraten; die<br />

Grundgesetze, die ohne göttliche Abkunft leer<br />

wären; die Schwüre bei Gott, mit denen Staatsoberhäupter<br />

ihr Amt antreten.<br />

46<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

„Grundwerte“ als das Dogma dieser Zivilreligion?<br />

Eine Paradoxie, wie der ehemalige Bundesverfassungsrichter<br />

Ernst-Wolfgang Böckenförde<br />

klar gesehen hat: „Der freiheitliche, säkularisierte<br />

Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht<br />

garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das<br />

er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Man<br />

will die Bibel durch die Verfassung ersetzen.<br />

Die Zivilreligion ist also das Glaubensminimum,<br />

resümiert Prof. Bolz, das wir gegenüber<br />

Andersgläubigen und auch gegenüber Ungläubigen<br />

zur Geltung bringen müssen, damit eine<br />

moderne Gesellschaft funktioniert. Also Glaubensinhalt,<br />

den man zwar nicht glauben, aber dem<br />

man doch Geltung verschaffen muss.<br />

Humanismus statt Inhalt<br />

Für eine Zivilreligion hat der Protestantismus die<br />

großen Themen wie Kreuz, Erlösung und Gnade<br />

aufgegeben und durch einen diffusen Humanismus<br />

ersetzt. Damit ist er in die Modernitätsfalle<br />

geraten. Franz Overbecks Studie über die Christlichkeit<br />

heutiger Theologie endet mit der scharfen<br />

These, „dass die Theologie stets modern gewesen<br />

ist, und eben darum auch stets die natürliche Verräterin<br />

des Christentums war“. Ihr fehlt der Mut<br />

zur Unzeitgemäßheit. „Gerade das Unhandliche<br />

des Paulinismus, gerade das Weltfremde, Unpopuläre<br />

des Protestantismus ist sein bestes Teil“,<br />

so heißt es bei Karl Barth.<br />

Weil sie so modern und „aufgeklärt“ ist, kann<br />

die evangelische Kirche nicht mehr das Heil versprechen,<br />

keine neue Welt prophezeien. Selbst<br />

Nietzsche hat das gesehen: „Je mehr man sich<br />

von den Dogmen loslöste, umso mehr suchte man<br />

gleichsam die Rechtfertigung dieser Loslösung in<br />

einem Kultus der Menschenliebe.“<br />

So sieht Norbert Bolz das goldene Kalb, um<br />

das heute getanzt wird, in dem Götzen „Mensch“.<br />

Das müsste für einen Theologen genauso evident<br />

sein wie für einen Psychoanalytiker: Man liebt die<br />

Menschheit, um Gott verdrängen zu können. Und<br />

hier wird die christliche Lehre vom Antichrist<br />

brennend aktuell: So wie der Antichrist am Ende<br />

der Tage kommen wird, um Christus zu imitieren,<br />

so erscheint in der Moderne der Götze Mensch<br />

als teuflischer Nachahmer des Menschensohns.<br />

Seit es das Christentum gibt, ist Gott der große<br />

Störfaktor in der Gesellschaft. Kein Wunder also,<br />

dass man ihn immer wieder fälschen, verdrängen,<br />

ersetzen wollte. In der Moderne ist Gott erst<br />

durch die Gesellschaft ersetzt worden und dann<br />

durch das Individuum.<br />

Atheistische Religio:<br />

Erlösung durch Gesellschaft:<br />

Mit dem Untergang des Kommunismus schien<br />

zwar die atheistische Religion, die den Glauben<br />

an die Erlösung durch Gesellschaft gepredigt<br />

hat, ruiniert zu sein. Aber in der Rede von der<br />

„sozialen Gerechtigkeit“ hält sich diese Religion<br />

weiter am Leben. Diese Ersatzreligion herrscht<br />

fast uneingeschränkt über die Seelen moderner<br />

Menschen. Aber was antwortet sie auf die große<br />

Frage: Was darf ich hoffen?<br />

Zum Kult des Sozialen fügt sich heute passgenau<br />

der Kult des Individuums, präzisiert Prof.<br />

Bolz. Man müsse nur die Zauberwörter „Selbstverwirklichung“<br />

und „soziale Gerechtigkeit“<br />

aussprechen, um die moderne Massendemokratie<br />

in politische Trance zu versetzen. Mit diesen<br />

Zauberwörtern könne man alle Widerworte zum<br />

Schweigen bringen. „Das Ich und das Soziale sind<br />

die beiden Götzen“, hat die französische Philosophin<br />

Simone Weil einmal sehr schön gesagt.<br />

Das moderne Individuum entstand schon vor<br />

500 Jahren auf der Suche nach dem eigenen Heil –<br />

und genau das wird durch Luthers Leben und Werk<br />

markiert. Aber in der Zwischenzeit hat das moderne<br />

Individuum den Weg vom Seelenheil zum Sozialheil<br />

zurückgelegt. Und<br />

zugleich versenkt<br />

es sich in sich selbst,<br />

weil es das eigene<br />

Heil nicht mehr von<br />

außen erwartet, wie<br />

Bolz feststellt. Das<br />

Individuum wurde<br />

zu seinem eigenen<br />

Willkürgott.<br />

Das leere<br />

Grab ist für<br />

modernen<br />

Menschenein<br />

Ärgernis und<br />

passt nicht in<br />

sein Weltbild<br />

Foto: © www.turnbacktogod.com<br />

Z für Zukunft<br />

47


Z-aktuell<br />

Das Individuum<br />

wurde zu seinem<br />

eigenen<br />

Willkürgott.<br />

Wer sich selbst<br />

sucht, findet sich<br />

– das ist seine<br />

Strafe, die Hölle<br />

Das Resultat der<br />

Aufklärung war ja die<br />

Entzauberung der Welt.<br />

Die Erde ist nicht der<br />

Mittelpunkt, der Mensch<br />

ist auch nur ein Tier.<br />

Bild: Wikipedia,<br />

Camille Flammarion, 1888<br />

Und damit beginnt die Religion der Einmaligkeit.<br />

Ihre Varianten sind bekannt: Ich erlöse<br />

mich selbst, kaufe mir in einer Religionsboutique<br />

einen europäisch verschlankten Buddhismus.<br />

Errege mich selbst durch Drogen. Fordere<br />

mich selbst heraus, indem ich an einem Gummiseil<br />

von der Brücke springe. Ich beschäftige mich<br />

mit mir selbst, indem ich meine eigenen Leiden<br />

und Beschädigungen studiere – am besten in einer<br />

Selbsterfahrungsgruppe: die Suche nach dem Heil<br />

im eigenen Selbst. Kultzentrum ist das „Selbst“<br />

jedes Einzelnen. Man berauscht sich an sich<br />

selbst – Selbstverwirklichungs-Opiate. Fénelon<br />

spricht vom Götzendienst des Ich: „Wer sich selbst<br />

sucht, findet sich – das ist seine Strafe, die Hölle.<br />

Um aus dieser Sackgasse herauszufinden, braucht<br />

der Mensch die Beziehung auf den ganz Anderen.<br />

Er braucht die Öffnung zur Transzendenz.“<br />

Entzauberung der Welt<br />

Es gibt keine Persönlichkeit ohne Transzendenz,<br />

weiß Norbert Bolz. Das ist dem aufgeklärten<br />

Bewusstsein der Neuzeit besonders schwer zu<br />

vermitteln, weil es sich mit dem Götzendienst<br />

des Ich gepanzert hat gegen die eigenen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse.<br />

Das Resultat der Aufklärung war ja die Entzauberung<br />

der Welt; schmerzhaft wurde sie vor<br />

allem als Entzauberung des Menschen in einer<br />

Folge narzisstischer Kränkungen. Diese Kränkungen<br />

seines Selbstwertgefühls beginnen mit<br />

Kopernikus und gehen über Darwin und Freud<br />

bis hin zu Alan Turing. Ihre Erkenntnisse sind für<br />

den menschlichen Geist unerträgliche Zumutungen:<br />

Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt,<br />

der Mensch ist auch nur ein Tier, das Ich ist nicht<br />

Herr im eigenen Haus, und<br />

Intelligenz ist eine Dienstleistung<br />

von Maschinen.<br />

Aber auch schon Luther<br />

bringt eine der großen narzisstischen<br />

Kränkungen: Der Mensch<br />

ist auch nicht der Mittelpunkt<br />

der Schöpfung. Dass er die Welt<br />

durch die christliche Wahrheit<br />

kränkt, erhebt Luther geradezu<br />

zum Programm: Er will ärgern! Luther zeigt sich<br />

hier immer wieder als das extremste Gegenteil<br />

eines Relativisten – er ist der Antipode des Skeptikers.<br />

Kurt Flasch hat von Luthers Behauptungsstil,<br />

ja Behauptungswut gesprochen.<br />

Fatale Selbstsicherheit<br />

Dass der Mensch im Mittelpunkt stehen will, ist<br />

für Luther das entscheidende Problem. Von dieser<br />

falschen Selbstsicherheit befreit uns nur die<br />

Erkenntnis, dass wir Sünder sind. Denn wer von<br />

Sünde weiß, der kommt an Gott nicht vorbei, und<br />

er kennt seine Unzulänglichkeit.<br />

In Glauben und Liebe zeige ich mich als<br />

bedürftig: Ich stehe nicht im Mittelpunkt, ich bin<br />

nicht souverän. Das Ich ist nicht mein Zentrum.<br />

Ich habe Hilfe nötig. Genau das wird durch den<br />

Begriff „Existenz“ zum Ausdruck gebracht: Das<br />

Wesentliche kommt von außen. Existieren heißt<br />

endlich sein, abhängig sein, angewiesen sein auf<br />

Hilfe von außen. Gewissheit finden wir also nur<br />

außerhalb von uns selbst. Das ist gemeint mit<br />

„Öffnung zur Transzendenz“.<br />

Allgemeine Verunsicherung<br />

Wenn Norbert Bolz auf Luthers Behauptungswut<br />

und seine Formel absoluter Gewissheit hinweist,<br />

so ist das vor dem Hintergrund einer allgemeinen<br />

Verunsicherung zu sehen; wenige Daten mögen<br />

hier genügen: 1452 entsteht die Gutenberg-Bibel<br />

nach der von Johannes Gutenberg entwickelten<br />

Technik des Drucks mit beweglichen Lettern.<br />

1492 entdeckt Christoph Kolumbus Amerika.<br />

1509 entwickelt der Astronom Nikolaus Kopernikus<br />

in seinem noch nicht für die Öffentlichkeit<br />

bestimmten „Commentariolus“ (Kleiner Kommentar)<br />

das neue heliozentrische Weltbild. Denn im<br />

kopernikanischen Weltbild gibt es ja nicht mehr<br />

das über der Erde aufgeschlagene Himmelszelt<br />

– anders ausgedrückt: Der Himmel ist leergeräumt.<br />

Jacob Taubes resümiert: „Auf der kopernikanischen<br />

Erde kann die Erlösung allein das Werk<br />

der Gnade sein, zu der der Mensch nicht das Mindeste<br />

beizutragen hat.“<br />

Zitiert aus und nach: Norbert Bolz, „Zurück zu Luther“. Wilhelm<br />

Fink Verlag 2016, ISBN 978-3-7705-6086-8, Seite 101–108,<br />

redaktionell bearbeitet.<br />

48<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Norbert Bolz über sich:<br />

Wie viele andere auch, wurde ich vom Zeitgeist der<br />

1970er-Jahre geprägt und als Student der Geisteswissenschaften<br />

war ich natürlich links. Die wenigen,<br />

die das nicht waren, die blieben unter der<br />

Wahrnehmungsschwelle. Das war damals weniger<br />

von Ideologie geprägt; es war einfach Mode.<br />

Als ich nach Berlin kam, traf ich an der Freien<br />

Universität Berlin auf einige wichtige Personen;<br />

einer davon war der Philosoph und Judaist Jakob<br />

Taubes, mein späterer Chef. Was ich von ihnen<br />

zu hören bekam, war einerseits faszinierend und<br />

andererseits völlig neu; mit diesen Welten hatte<br />

ich bis dahin überhaupt nichts zu tun gehabt.<br />

Ich dachte vielmehr, Philosophie hieße „Adorno,<br />

Frankfurter Schule und Kritische Theorie“, und<br />

darüber hinaus brauche man nichts zu wissen.<br />

Das Bekenntnis zur Kritischen Theorie implizierte<br />

aber auch eine Menge Tabus; vieles durfte man<br />

gar nicht lesen – u. a. Heidegger.<br />

Faszinierend unverständlich<br />

Es war mir unerklärlich, warum Taubes mich zu<br />

seinem Assistenten gemacht hatte. Ich war nicht<br />

einmal einer seiner Schüler gewesen, einfach aus<br />

Ignoranz, weil ich dem allem nicht folgen konnte.<br />

Alles war faszinierend, aber gleichzeitig unverständlich.<br />

Für mich war das wie eine Inkubationszeit;<br />

erst Jahre später ist herausgebrochen, was<br />

damals in mir angelegt wurde.<br />

Dass ich zu so einem Thema wie Luther<br />

schreibe, brauchte eine längere Entwicklung.<br />

Allerdings gab es schon einen Startschuss bei<br />

meiner Habilitationsschrift „Auszug aus der entzauberten<br />

Welt“. Wie der Untertitel verdeutlicht,<br />

„Philosophischer Extremismus zwischen<br />

den Weltkriegen“, war die intellektuelle Zeit zwischen<br />

1919 und 1939 deshalb so aufregend, weil<br />

es damals in der Einschätzung der Situation zwischen<br />

den extrem linken und extrem rechten Denkern<br />

kaum Unterschiede gab. Das war für mich<br />

unglaublich – nach dem üblichen Verständnis war<br />

die Welt ja in Gut und Böse eingeteilt: die Linken<br />

waren die Guten und die Rechten die Bösen.<br />

Mein Chef Taubes forderte mich auf: Hören Sie<br />

doch auf mit der kindischen Angst vor der Reaktion<br />

anderer, wenn Sie die „falschen“ Autoren studieren<br />

– es ist doch lächerlich zu glauben, es gäbe<br />

Autoren, die tabu seien. – Das war ein wichtiger<br />

Impuls für mich: Lerne etwas von diesen „bösen<br />

Buben“! In diesem Zusammenhang wurde ich<br />

mit vielen Überlegungen konfrontiert, die mich<br />

zunächst völlig aushebelten. Ich war damals wirklich<br />

ein Adornit.<br />

Bei meiner Habilitationsarbeit wollte ich mich<br />

ganz mit Adorno beschäftigen. Taubes fragte,<br />

warum ich dann nicht gleich Benjamin machen<br />

würde, da stehe sowieso alles drin, was Adorno<br />

gedacht habe, nur unendlich viel mehr. So kam<br />

ich mit Walter Benjamin in Berührung – und das<br />

brachte den Stein erst richtig ins Rollen: Themen<br />

wie „Politische Theologie“ und Gnosis bekamen<br />

Bedeutung.<br />

Ich bin konservativ, was soll´s<br />

Mein politisches Spektrum hat sich inzwischen<br />

sehr verändert. Erst mit dem Alter, und das ist<br />

bei mir noch nicht lange her, hatte ich den Mut<br />

zu sagen: „Ich bin konservativ, was soll’s.“ Im universitären<br />

Bereich, gerade in den Geisteswissenschaften<br />

ist das eine Position, durch die man sich<br />

von allem ausschließt.<br />

„Hören Sie<br />

doch auf mit<br />

der kindischen<br />

Angst vor der<br />

Reaktion<br />

anderer“<br />

Z für Zukunft<br />

49


Z-aktuell<br />

Das humanitaristische<br />

Gerede, der<br />

evangelischen<br />

Kirchevertreter,<br />

war mir einfach<br />

unerträglich<br />

Die Lehre Luthers ist klar<br />

und einfach. Man muss<br />

einfach hinschaut,<br />

was dasteht.<br />

Foto: © Norbert Bolz<br />

So bin ich in diese theologischen Reflexionen<br />

immer tiefer vorgedrungen, war aber nicht<br />

etwa gläubig – war ja aus der Kirche ausgetreten,<br />

wie man das damals so gemacht hat. Dogmatische<br />

Themen hatten mich nie gekümmert. Das<br />

änderte sich aber, weil die Themengebiete des<br />

Religiösen eine immer größere Rolle spielten.<br />

„Politische Religion“ ist eine solche Dimension,<br />

aber auch Dogmen – die christlichen Religionen<br />

in der Spannung zu dem, was die Neuzeit zur<br />

Neuzeit gemacht hat. Dazu ist Hans Blumenbergs<br />

Buch „Die Legitimität der Neuzeit“ für mich eines<br />

der großartigsten Bücher. Die Ablösung aus der<br />

christlichen Tradition, die Selbstbehauptung des<br />

neuzeitlichen Geistes gegen den Absolutismus<br />

der Gottgläubigkeit Luthers – all das war für mich<br />

von außerordentlicher Bedeutung.<br />

Mein Buch: Zurück zu Luther“<br />

Mein Buch ist, wenn man so will, das Komplementärbuch<br />

zu dem von Blumenberg, nur nicht so seitenstark.<br />

Das „neuzeitliche Selbstverständnis“<br />

bei Blumenberg ist eine hervorragende Ergänzung<br />

zu dem, was wir bei Luther als Glaubensüberzeugung<br />

finden.<br />

Was war nun der konkrete Anlass zu diesem<br />

Buch „Zurück zu Luther“?<br />

Ich bin wieder in die Kirche eingetreten, aus<br />

einem ganz besonderen Grund – der in dem Buch<br />

klar zum Ausdruck kommt, denn es hat ja auch<br />

eine polemische Seite. Dieses humanitaristische<br />

Gerede, das ich von Vertretern der evangelischen<br />

Kirche zu hören bekam, war mir einfach unerträglich.<br />

Ich hatte immer den Eindruck: „Das<br />

kann doch nicht wahr sein – und es entspricht<br />

auch nicht dem Geiste Luthers.“ Das war aber<br />

zunächst nur ein Gefühl.<br />

Dann tauschte ich mich mit einem Kollegen<br />

und Freund darüber aus: „Was hältst du von meinem<br />

Unbehagen, kann man das konkretisieren<br />

und begründen?“ – „Ja, aber du musst Luther<br />

gründlich lesen.“ Nun ist Luther-Latein sehr<br />

schwer zu lesen und auch die unbearbeiteten<br />

deutschen Texte sind nicht leicht genießbar. Aber<br />

es gibt eine Übersetzung der wichtigsten Texte<br />

von Luther, sie stammt von Aland; die habe ich<br />

von A bis Z studiert. Dann war ich mir sicher, dass<br />

ich so ein Buch schreiben könnte. Denn irgendwie<br />

hat alles zusammengepasst! Bei einem komplexen<br />

Autor ist es ja normalerweise so, dass es<br />

verschiedene Fäden gibt, und die zerfasern sich<br />

leicht – man versteht nicht alles, und dann weiß<br />

man doch nicht so recht, wie man es auf den<br />

Punkt bringen kann.<br />

Als religiös Unmusikalischer<br />

Aber hier war es für mich genau umgekehrt: Alles<br />

hat von Anfang an zusammengepasst. Wenn das<br />

für mich Laien, den religiös „Unmusikalischen“,<br />

gilt, dann müsste das doch erst recht für die nachvollziehbar<br />

sein, die einen Glauben haben (oder<br />

zumindest per Taufe und Geburt dieser Kirche<br />

angehören), aber jeden Sonntag unglücklich sind<br />

über das, was sie in der Predigt zu hören bekommen.<br />

– Das also war der Anlass für dieses Buch.<br />

Darin habe ich versucht, zwei Dimensionen zu<br />

vereinigen. Zum einen diese polemische Dimension<br />

gegen den Istzustand der evangelischen<br />

Kirche – ich habe versucht, nicht einfach nur zu<br />

sagen: „Ich finde es schrecklich!“, sondern zu<br />

begründen, warum das so ist. Und zum anderen<br />

eine Art analytische, pädagogische Dimension:<br />

Ich habe die Hauptlehrstücke von Luther herausgegriffen<br />

und versuche, zu jeder dieser Lehrfragen<br />

auf wenigen Seiten eine klare Antwort zu<br />

geben – zum Beispiel: Was heißt Erbsünde? Was<br />

heißt „gnädiger Gott“? Was ist die Zwei-Reiche-<br />

Lehre? Es soll eindeutig werden, was mit diesen<br />

Begriffen gemeint ist. Denn allgemein wird suggeriert,<br />

das alles sei sehr zweifelhaft, sehr strittig<br />

und mehrdeutig; das entspricht aber überhaupt<br />

nicht meinem Eindruck.<br />

Was Luther zu sagen hat, kann man ganz klar<br />

wiedergeben. Es müsste keine großen Kontroversen<br />

über Luther geben. Wenn man einfach hinschaut,<br />

was dasteht – also seine Lehre ist klar und<br />

einfach, und deshalb kann man sie auch einfach<br />

und klar darstellen. Genau das wollte ich mit diesem<br />

Buch zum Ausdruck bringen.<br />

Aus einem Vortrag in der Bibliothek des Konservatismus, Berlin,<br />

Februar 2017<br />

50<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Foto: © Willow-Kongress<br />

Willow-Kongress –<br />

und die Kirche der Zukunft?<br />

Auf dem Willow-Leiterkongress Anfang Februar in Dortmund habe ich eine außerordentliche<br />

Erfahrung gemacht – sie kommt einer „Erleuchtung“ nahe, einer erschreckenden<br />

allerdings: Trotz hohem Vernetzungsgrad so isoliert, dass die Rechte nicht<br />

bemerkt was bei der Linken gerade geschieht?<br />

Gigantisch: 12 000 Teilnehmer, starker<br />

Lobpreis, super Bühne mit<br />

allen technischen Effekten. Willow<br />

steht für Exzellenz. „Willow Creek<br />

Deutschland“ hat eine über 20-<br />

jährige Geschichte; unzählige erfolgreiche Projekte<br />

in den evangelischen Kirchen in Deutschland<br />

gehen auf Willow-Kongresse und -Impulse<br />

zurück. Ihren Ursprung hat die Organisation in<br />

der „Willow Creek Community Church“ in South<br />

Barrington (Chicago); mit 24 000 Gottesdienstbesuchern<br />

ist das eine der größten Gemeinden<br />

der USA. Weltweit zählen sich über 10 000<br />

Gemeinden zum Willow-Netzwerk; Willow-Leiterkongresse<br />

finden in 128 Ländern statt. Durch dieses<br />

Netzwerk wurden viele Tausende mit Jesus<br />

bekannt, und jedes Mal wurde im Himmel dafür<br />

ein Fest gefeiert!<br />

Foto: © Willow-Kongress<br />

Das große Thema des Kongresses in Dortmund<br />

war die Kirche der Zukunft; darüber sprach im<br />

Besonderen der katholische Theologe und Generalvikariatsrat<br />

Dr. Christian Hennecke. Auf seine<br />

hervorragenden Impulse komme ich später zurück;<br />

zuerst meine „erschreckende Erleuchtung“:<br />

Hybels: nur noch 248 Arbeitstage<br />

Bill Hybels, Gründer der „Willow Creek Community<br />

Church“, hat nach 15 460 Arbeitstagen nur<br />

Hybels neue<br />

Idee hatte<br />

Cunningham<br />

vor 43 Jahren<br />

– kann das<br />

Zukunft<br />

sein?<br />

Z für Zukunft<br />

51


Z-aktuell<br />

Heather Larson und<br />

Steve Carter treten in die<br />

Fußstapfen von Bill Hybels<br />

Foto: © Bildzitat aus Willow-<br />

Magazin 4/17<br />

Bill Hybels<br />

hat eine neue<br />

Idee, Loren<br />

Cunningham hat<br />

sie veröffentlicht<br />

– aber schon vor<br />

43 Jahren<br />

Loren Cunningham, Gründer<br />

von Jugend mit einer Mission<br />

Foto: © YWAM<br />

noch 248 vor sich, dann übergibt er an seine<br />

Nachfolger. Sechs Jahre hat man sich darüber<br />

Gedanken gemacht, wer das sein könnte. Ein<br />

säkularer Berater analysierte messerscharf: „Was<br />

macht Bill eigentlich? Er leitet und er lehrt, und<br />

dafür braucht er 85 Stunden in der Woche.“ Der<br />

Berater wollte wissen, wer denn so einen Job<br />

haben möchte. Die Lösung: Sie suchten bei Willow<br />

den besten Leiter und den besten Lehrer –<br />

und wurden fündig. In Zukunft werden also zwei<br />

Personen Bill Hybels ersetzen: Heather Larson<br />

(42) wird leiten und Steve Carter (38) lehren.<br />

Bill Hybels hat eine neue Idee<br />

Was wird Bill Hybels nun tun? Mehr segeln als bisher,<br />

aber er erzählte auch von einer ganz neuen<br />

Idee: Die Missstände der Gesellschaft hingen<br />

zusammen mit dem Zustand des Menschenherzens;<br />

in seiner neuen Vision sieht er die Kirche in<br />

der Gesellschaft umgeben von der Geschäftswelt,<br />

der Politik, dem Bildungswesen, dem Gesundheitswesen<br />

und Unterhaltungsbusiness. Die Geschäftsleute<br />

in den Gemeinden sollten ein Segen sein für<br />

die Geschäftswelt – und überhaupt: jeder für den<br />

Gesellschaftsbereich, in dem er tätig ist.<br />

Was ist daran erschreckend, fragen Sie?<br />

Loren Cunningham, der Gründer von „Jugend<br />

mit einer Mission“, hat das schon 1975 von Gott<br />

gehört; er sprach von sieben Bereichen, in die wir<br />

als Missionare hineinwirken. Noch am selben Tag,<br />

an dem Cunningham diese Vision hatte, erhielt er<br />

von Bill Bright (Campus für Christus) einen Anruf<br />

– der hatte dieselbe Vision! Damit nicht genug:<br />

Drei Wochen später sah Lorens Frau Darlene im<br />

Fernsehen einen Vortrag von dem Theologen und<br />

Philosophen Dr. Francis Schäffer („Wie können<br />

wir denn leben?“), und auch er sprach über diese<br />

sieben Bereiche. Heute sind diese Gedanken als<br />

das „7-Berge-Prinzip“ in verschiedenen Bewegungen<br />

im Gespräch; in den letzten zehn Jahren sind<br />

etliche Bücher dazu erschienen. (Wer bemerkt,<br />

was mich hier so erschreckt?)<br />

Am Stand von Gott24.TV konnte ich die »Z«<br />

präsentieren; dabei kam ich mit einigen der Top-<br />

Leitern ins Gespräch. Wir kennen uns seit Jahren,<br />

sie haben das »Z«-Magazin in ihrer Post. Auf<br />

meine Frage, ob sie in die letzte Ausgabe, die zum<br />

Thema Reformation, schon mal hineinschauen<br />

konnten, antworteten alle mit großem Aufstöhnen:<br />

„Wie stellst du dir das vor, bei den Türmen<br />

Papier, die sich auf meinem Schreibtisch stapelt!“<br />

Das kann ich natürlich gut nachvollziehen.<br />

Top-Leiter – sicher auch mit 85 Wochenstunden<br />

… Könnte das der Grund sein, warum Bill<br />

Hybels bisher nichts von dem Sieben-Bereiche-<br />

Prinzip gehört hat, über das Loren Cunningham<br />

seit 43 Jahren spricht (und nach ihm sicher weitere<br />

fünfzig namhafte Leiter)? Hätte Bill Hybels<br />

diese „neue“ Vision schon vor 15 oder 20 Jahren<br />

gehabt, könnten heute bereits Hunderttausende<br />

die Früchte davon genießen.<br />

Trotz hohem Vernetzungsgrad isoliert?<br />

Ist es nicht ein teuflischer Raub, dass wir trotz<br />

großer Netzwerke in unseren Denominationen<br />

oft isolierter sind, als wir denken? Wir treffen uns<br />

mit gleichgesinnten Top-Leitern, klopfen uns auf<br />

die Schultern und bestärken einander in dem uns<br />

bereits Bekannten. Wie soll da etwas Neues entstehen?<br />

Kann das die Zukunft sein?<br />

Doch wie kann diese Mauer durchbrochen<br />

werden? Wie kann eine vielleicht bedeutende<br />

Vision eines nicht so namhaften Leiters die Festung<br />

der 85-Stunden-Berge durchdringen?<br />

Zwei sind besser als einer,<br />

dem Handbuch entsprechen würden fünf<br />

Noch älter als die Vision der sieben Gesellschaftsbereiche<br />

von Loren Cunningham ist die Strategie<br />

des Top-5-Leiterteams, das schon der alte Fuchs<br />

Paulus den Ephesern erklärte: „Wenn ihr so etwas<br />

wie Willow ordentlich leiten wollt, dann braucht ihr<br />

exzellente Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten<br />

und Lehrer.“ Einer, ein Einziger ist nur Gott,<br />

52<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

alle anderen brauchen einander. Also Bill Hybels ist<br />

gegenüber vielen anderen dem eigentlichen Konzept<br />

jedenfalls einen Schritt nähergekommen: Man<br />

hat für seine Nachfolge ein Zweierteam gewählt.<br />

Zwei sind besser als einer, aber das sind immer<br />

noch nicht fünf. Und eins habe ich bei Willow noch<br />

nie gehört: dass hier von Propheten die Rede ist.<br />

Dabei zählen die Propheten doch zur Grundlage<br />

der Gemeinde, auf die aufgebaut werden sollte!<br />

Die Kirche der Zukunft?<br />

Nun die Impulse von Dr. Hennecke: Bei dem dichten<br />

Programm war er für mich das Glanzlicht zum<br />

Thema „Kirche der Zukunft“.<br />

Der Katholik zitiert Bonhoeffer: „Das Wort Gottes<br />

so aussprechen, dass sich dadurch die Welt verändert<br />

und erneuert.“ Das wäre dann prophetisch!<br />

Unser größtes Hindernis sei, wenn wir uns weiter<br />

um uns selbst kreisen. Wir brauchen Umkehr<br />

und eine neue Geburt. Das könne schmerzhaft<br />

sein. Wenn man meine, man habe ja genügend<br />

Finanzen und Macht – das verzögere nur alles.<br />

Nicht nach hinten schauen! „Siehe, ich wirke<br />

Neues! Jetzt sprosst es auf. Erkennt ihr es nicht?“<br />

(Jesaja 43,19). Sollten wir das Neue nicht mitbekommen,<br />

Gott mache es trotzdem.<br />

Wie Hennecke sich die Kirche der Zukunft vorstellt?<br />

So: Gott wird sie auf den Kopf stellen.<br />

Nur Christus macht Kirche zur Kirche. Christus<br />

in unserer Mitte – das ist entscheidend.<br />

Die Kirche der Zukunft sei mit Sicherheit katholisch,<br />

weil sie die umfassende Weite habe. Und sie<br />

sei jedenfalls evangelisch, weil sie nur vom Evangelium<br />

herkommen könne. Sie ist unbedingt<br />

orthodox, weil sich daraus viele Traditionen neu<br />

erschlössen; und sie sei natürlich pfingstlich, denn<br />

was sollten wir ohne den Geist Gottes anfangen!<br />

Dr. Hennecke zitiert Lothar Zenetti, den katholischen<br />

Theologen, Priester und Schriftsteller:<br />

„Frag 100 Katholiken: Was ist das Wichtigste<br />

an der Kirche? Und sie werden dir sagen: Die<br />

Messe. Frag 100 Katholiken: Was ist das Wichtigste<br />

an der Messe? Und sie werden dir sagen:<br />

Die Wandlung. Sag 100 Katholiken: Das Wichtigste<br />

an der Kirche ist die Wandlung. Und sie<br />

werden sich empört abwenden.“ Sie wollen, das<br />

alles so bleibte, wie es ist.<br />

Foto: © Wikipedia, Sandstein<br />

Ja, das sei die Frage: Ob wir Wandlung wollen.<br />

Wandlung, Veränderung habe nämlich mit Sterben<br />

und Auferstehen zu tun. Es dürfe also ruhig<br />

etwas sterben. Ein wesentlicher Teil des Wandels<br />

sei deshalb nicht kirchliche Intensivmedizin, sondern<br />

Hospizarbeit. Im Glauben wüssten wir, dass<br />

dann etwas Neues entstehe. Wandel: vom Machen<br />

und Herrschen zum Dienen und Ermöglichen.<br />

Die Zukunft der Kirche hängt mit dem<br />

Reich Gottes zusammen<br />

Die Kirche, die kommt, diese Kirche ist das Volk Gottes,<br />

in dem alle gleich würdig sind, in dem die Gaben<br />

und Talente hervorgerufen werden. Damit Christus<br />

herrschen darf und sein Wort das Sagen hat.<br />

Sie ist die Blumentopf-Kirche: Die Leiter bilden<br />

den Boden des Blumentopfs und tun alles, damit<br />

die Blumen herrlich in die Welt hinaussprießen.<br />

Wie wäre es, wenn sich Top-Leiter mit vier anderen<br />

zusammentun würden und gemeinsam den<br />

Boden von solchen Blumentöpfen bildeten? Dann<br />

hätten sie wieder Zeit, auf den Herrn zu warten, um<br />

zu hören, was der Geist heute der Gemeinde sagt.<br />

Wie kann diese vernetzte Isolation<br />

durchbrochen werden?<br />

Die Kirche der<br />

Zukunft: Gott<br />

wird sie auf den<br />

Kopf stellen<br />

Dr. Christian Hennecke,<br />

katholische Theologe<br />

und Generalvikariatsrat,<br />

Hildesheim<br />

Foto: © Willow-Kongress<br />

Z für Zukunft<br />

53


Z-aktuell<br />

Hyper-Grace<br />

die noch billigere Gnade<br />

Michael L. Brown schreibt in seinem Buch „Gnade ohne Ende?“ über die Problematik<br />

der modernen Gnaden-Bewegung.<br />

Michael L. Brown, Autor,<br />

Professor und Leiter der<br />

Coalition of Conscience,<br />

North Carolina, USA.<br />

Foto: © Wikipedia<br />

Es stellt sich die Frage, auf welcher<br />

Seite man vom Pferd fallen möchte:<br />

auf der Seite der religiösen Gesetzlichkeit<br />

oder auf der Seite einer selbstfokussierten<br />

Hyper-Gnade. Dabei wäre<br />

es viel komfortabler, fest im Sattel zu sitzen.<br />

Die zerstörerische Wirkung von Gesetzlichkeit<br />

haben wir gesehen – die Frucht einer von außen<br />

auferlegten Religion, von Regeln ohne Beziehung,<br />

von Gesetzen ohne Liebe. Brown hat die<br />

befreiende Auswirkung der Gnade selbst massiv<br />

erlebt. Er kann sich nicht vorstellen, auch nur<br />

eine Minute lang ohne diese Gnade Gottes leben<br />

zu wollen, auch beabsichtigt er auf keinen Fall,<br />

Gottes Gnade zu schmälern oder sie für selbstverständlich<br />

zu halten.<br />

Aber Gnade kann leider auch missverstanden<br />

werden; sie ist nicht nur die unverdiente Gunst<br />

Gottes, die auch als „Reichtum Gottes auf Christi<br />

Kosten“ erklärt wird (englisch: „God’s Riches At<br />

Christ’s Expense“). Gnade ist auch seine beständige<br />

Bevollmächtigung, seine kontinuierliche<br />

Arbeit an uns, die wir gerettet sind. Brown zitiert<br />

A. M. Hunter: „Gnade ist vor allem die geschenkte<br />

vergebende Liebe Gottes in Christus für Sünder<br />

und ihre Wirkung im Leben von Christen.“<br />

In den letzten Jahren ist die Botschaft von<br />

der Gnade, mit schwerwiegenden Verzerrungen<br />

und Irrtümern vermischt, als neue Offenbarung<br />

oder gar als „Gnadenrevolution“ auf den Markt<br />

gekommen. Brown kennt viele Berichte von positiven<br />

Lebensveränderungen dank dieser Bewegung,<br />

sieht aber auch viel Negatives durch diesen<br />

54<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

neuen Trend der „Hyper-Grace“ – von Kirchenspaltungen<br />

und Abwegen durch Verirrungen ganz<br />

zu schweigen.<br />

Brown schreibt, er habe dieses Thema nicht<br />

gesucht, vielmehr sei er mit dieser „Gnaden-<br />

Lehre“ konfrontiert worden durch eine übertriebene,<br />

biblisch fragwürdige und aufdringliche Art<br />

und Weise.<br />

Die HyperGrace-Vertreter rückgefragt<br />

Er habe sich sehr intensiv mit alledem auseinandergesetzt<br />

und damit gerungen, weil er nicht aus<br />

einer rückständigen Perspektive habe schreiben<br />

wollen. Mit seinem Buch wolle er Gnade hochhalten,<br />

er wolle aufbauen und nicht niederreißen<br />

und habe sein Bestes gegeben, um Irrtümern<br />

dem Gesamtbild der Bibel entgegenzusetzen, so<br />

Dr. Brown.<br />

Dazu hat er eine Reihe von Leitern kontaktiert,<br />

mit deren Lehren er nicht einverstanden war, um zu<br />

fragen, ob er ihre Position richtig verstanden habe<br />

bzw. ob sie immer noch ihre Ansichten verträten.<br />

Die Bezeichnung „HyperGrace“ wird von den<br />

einen im Sinne von „hervorragend, grandios“ verstanden;<br />

andere verstehen darunter „übertrieben,<br />

verfälscht, gefährlich“.<br />

In seinem Buch bezeichnet Brown diese Botschaft<br />

auch als „die moderne Gnadenbotschaft“,<br />

aber nicht als „gefälschte Gnade“, weil er glaubt,<br />

dass viele dieser Leiter wunderbare Wahrheiten<br />

über Gnade verbreiten und dadurch schon viele<br />

profitieren konnten und von gesetzlichen Konzepten<br />

frei wurden. In Anbetracht dessen war Brown<br />

bestrebt, sich sehr vorsichtig auszudrücken, um<br />

nicht die zu berauben, die durch die moderne Gnaden-Botschaft<br />

Hilfe erfahren haben. Und für jene,<br />

die wegen einseitiger Darstellung und deren Auswirkung<br />

Gnade sogar ablehnen, hofft er, dass sie<br />

doch einen ausgewogenen Zugang dazu finden.<br />

Die Vermischung mit Gutem ist die Krux<br />

In Michael Browns Augen ist die moderne Gnadenbotschaft<br />

ziemlich vermischt; sie kombiniert gute<br />

Einsichten, mit ernsthafter Fehlinterpretation der<br />

Bibel, „gnadenloser“ Rhetorik und überzogenen<br />

Reaktionen gegenüber Andersdenkenden. Zu oft<br />

bekommt sie Applaus von jenen Christen, die nicht<br />

nur von Gesetzlichkeit frei werden wollen, sondern<br />

gleich von allen Maßstäben Gottes.<br />

Mit Hyper-Grace sieht Brown eine Bewegung<br />

aufkommen, die ihre eigene Form von Gesetzlichkeit<br />

hat, indem sie die einzigartige Wahrheit des<br />

Wortes Gottes mit destruktivem Irrtum vermischt.<br />

Dabei ist es für ihn keine Frage, dass die<br />

Kirche von heute, besonders in der westlichen<br />

Welt, eine massive Reformation und Veränderung<br />

brauchen könnte.<br />

Er befürworte nicht alles, was frühere Reformer<br />

gebracht hätten, beteuert Brown; so folge er nicht<br />

dem Calvinismus von Johannes Calvin und dessen<br />

Taufverständnis; da sehe er sich auf der Seite der<br />

Wiedertäufer, auch gegen Martin Luther.<br />

Die Hyper-Grace-Botschaft liefert in Browns<br />

Augen eine verzerrende Fehlinterpretation des<br />

Wortes Gottes. Er findet es erstaunlich, dass dieser<br />

Trend gerade jetzt aufkomme, in einer Zeit,<br />

in der die Kirche der westlichen Welt einen eindringlichen<br />

Weckruf zu einer neuen Begegnung<br />

mit Jesus brauche, heraus aus einer Phase lähmenden<br />

Schlafes.<br />

Brown zitiert Pastor Whitten (einen der Hyper-<br />

Grace-Prediger): „Wer verlangt, einen fortwährenden<br />

Prozess der Heiligung zu trainieren, der predigt<br />

‚Verhaltensveränderung‘. Der<br />

ist im (lukrativen!) Geschäft des<br />

‚Sündenmanagements‘ tätig<br />

und propagiert ‚dieselbe<br />

geistliche mörderische Lüge‘,<br />

wie Luther und Calvin es<br />

taten. Sie brauchen die<br />

großartige Offenbarung<br />

dieser neuen Reformation,<br />

der Gnadenrevolution.“<br />

Eine der Grundlagen der Hyper-<br />

Grace-Botschaft lautet, dass in dem<br />

Moment, in dem jemand errettet wurde,<br />

Gott ihm nicht nur die früher begangenen<br />

Sünden vergeben hat und die, die er im Moment<br />

begeht, sondern auch die, die er in Zukunft<br />

begeht.<br />

Ken Whitten, Pastor, Idlewild<br />

Baptist Church, Florida, USA<br />

Es ist nur die<br />

Frage, auf welcher<br />

Seite man<br />

vom Pferd fallen<br />

möchte: auf der<br />

religiösen oder auf<br />

der einer selbstfokussierten<br />

Hyper-<br />

Gnade<br />

Z für Zukunft<br />

55


Z-aktuell<br />

Joseph Prince, Sprecher<br />

auf der Holy Spirit Night<br />

Stuttgart, des Gospel-Forum<br />

Foto: Screenshot vom Promotions-<br />

Video<br />

Was<br />

Michael Brown<br />

beunruhigt,<br />

ist die Gnadenlosigkeit,<br />

mit der<br />

jene diffamiert<br />

werden, die<br />

nicht zu ihrem<br />

Lager gehören<br />

Philip Gulley und James<br />

Mulholland, die Autoren des<br />

Buches „If Grace Is True<br />

Fotos: © YiuTube u. facebook<br />

Ist das Vaterunser wirklich out?<br />

Jede Kirche in der Welt, die in ihrer Liturgie noch<br />

das Vaterunser betet, bekräftige damit „schlechte<br />

Nachrichten“. Gemäß der Hyper-Grace-Auffassung<br />

ist es nämlich verkehrt, Gott um Vergebung zu bitten,<br />

wenn man heute sündigt. Doch das Vaterunser<br />

beinhaltet genau diese Bitte: „Vergib uns unsere<br />

Schuld [und damit ist Sünde gemeint], wie auch<br />

wir vergeben unsern Schuldigern“ [das sind diejenigen,<br />

die gegen uns sündigen], und Jesus fügt<br />

noch hinzu: „Denn wenn ihr den Menschen ihre<br />

Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer<br />

Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den<br />

Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater<br />

eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ 1<br />

Die modernen Gnadenlehrer bestehen darauf,<br />

dieses von Jesus gelehrte Gebet sei nicht den<br />

Christen heute gegeben worden.<br />

Der All-Versöhnungs-Faktor<br />

Aber die Ansichten dieser Bewegung gehen noch<br />

viel weiter: Wenn Sie immer noch glauben, dass<br />

Millionen von (nicht bekehrten) Menschen das<br />

Gericht der Hölle erleiden werden, dann haben Sie<br />

die Gnade vielleicht noch nicht weit genug gefasst.<br />

Diesen Denkansatz behandeln Philip Gulley und<br />

James Mulholland in ihrem Buch „If Grace Is True:<br />

Why God Will Save Every Person“ (Wenn Gnade<br />

wahr ist: Warum Gott jeden Menschen erretten<br />

wird). Darin vertreten Gulley und Mulholland die<br />

These, dass letztendlich alle Menschen gerettet<br />

werden. – Aber warum sollten wir bei der Errettung<br />

aller Menschen stehenbleiben? Warum dann<br />

nicht gleich glauben, dass sogar die Dämonen und<br />

Satan selbst gerettet werden?<br />

Kreuz und Spaß – passt das zusammen?<br />

John Crowders „Mystical Union“ (Mystische Einheit)<br />

liefert noch einen Aspekt. Er schreibt:<br />

„Wenn Sie an das Kreuz denken, denken Sie dann<br />

an Spaß? Wenn die Antwort ‚Nein‘ lautet, dann<br />

wurde Ihnen das Kreuz nicht richtig gelehrt.“ Dieser<br />

Autor behauptet: Wer angesichts des qualvollen<br />

Todes Jesu am Kreuz nicht an „Spaß“ denke,<br />

der liege schief.<br />

Aber oft ist es nicht die Botschaft von der<br />

Gnade selbst, die die Kontroversen entfacht; es<br />

ist eine Fehlinterpretation der Gnadenbotschaft,<br />

die Widerspruch hervorruft.<br />

Wo ist die Gnade<br />

im Hyper-Grace-Lager?<br />

Wo ist die Sanftheit des Geistes, die Freundlichkeit<br />

des Herzens, die tiefe Sicherheit, die sich<br />

nicht schnell erzürnen lässt, die Christus-ähnliche<br />

Haltung, die darauf verzichtet zu kontern, die<br />

gnädige Geisteshaltung derer, die Gnade empfangen<br />

haben?<br />

Was Michael L. Brown besonders beunruhigt,<br />

ist die Gnadenlosigkeit, in der sie die diffamieren,<br />

die nicht zu ihrem Lager gehören.<br />

Ein früherer Leiter aus diesem Lager veröffentlichte<br />

was ihm mitgeteilt wurde, nachdem<br />

er die Bewegung verlassen hatte: „Ich wurde<br />

als ›Mix-Prediger‹, ›Pharisäer‹, ›Gesetzes-Hurenbock‹<br />

und als ›die christliche Gedankenpolizei‹<br />

etikettiert, und viele Male wurde mir gesagt, ich<br />

solle doch ›endlich mal erwachsen werden‹.“<br />

Die zentrale Frage in dieser Kontroverse lautet<br />

also: Hat Gott uns auch unsere zuküftigen Süden<br />

bereits vergeben? Wenn Ja: Was bedeutet das<br />

praktisch und was bedeutet es nicht?<br />

Brown lässt immer wieder Joseph Prince zu<br />

Wort kommen, einen Hauptvertreter der Gnaden-<br />

Lehre: „Seine [Gottes] Gnade wird billig gemacht,<br />

wenn Sie denken, dass er Ihnen nur die Sünden<br />

bis zu dem Zeitpunkt Ihrer Errettung vergeben<br />

hat und Sie danach von Ihrem Sündenbekenntnis<br />

abhängig sind, um Vergebung zu erhalten. Gottes<br />

Vergebung wird nicht auf Raten gegeben.“<br />

56<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Pastor Ryan Rufus betont: „Aber sogar nach<br />

dem ‚wenn wir sündigen‘ fangen Sie nicht an,<br />

Gott um Vergebung zu bitten. Versuchen Sie<br />

nicht, diese Sünde zu bekennen. Wandeln Sie weiter<br />

im Bund der Gnade. Verkünden Sie weiter Ihre<br />

absolute Vergebung.“<br />

Es ist wahr, dass zu dem Zeitpunkt, als Jesus<br />

für die Menschheit starb, unsere Sünden noch<br />

„zukünftig“ waren, wir waren ja noch nicht<br />

einmal geboren. Insofern Ja: Jesus starb und<br />

bezahlte für unsere „zukünftigen“ Sünden. Aber<br />

hatten wir damals bereits Sündenvergebung?<br />

– Absolut nicht! Erst mit dem Schritt der Bekehrung<br />

sei das, was zuvor potenziell vorhanden<br />

war, für den einzelnen Christen aktiviert worden,<br />

betont Michael L. Brown.<br />

Einmal errettet, immer erettet?<br />

Da Hyper-Grace-Lehrer glauben, einmal errettete<br />

Christen bräuchten Gott ihre Sünden nicht zu<br />

bekennen noch ihn um Vergebung zu bitten.<br />

Der Apostel Johannes klärt diesen Irrtum in<br />

seinem ersten Brief eindeutig auf: „Wenn wir<br />

unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht,<br />

dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt<br />

von jeder Ungerechtigkeit.“ 2<br />

Aber Ryan Rufus sieht das anders: „Als ein von<br />

Neuem geborener Gläubiger des neuen Bundes<br />

hinzugehen und um Vergebung zu bitten, nachdem<br />

man gesündigt hat, ist eine Sünde. Es ist die<br />

Sünde des Unglaubens. Sie glauben nicht an das<br />

vollendete Werk des Kreuzes.“<br />

Ob er da nicht etwas total missversteht?<br />

Kostenfreie Autowäschen garantiert<br />

David Ravenhill gebraucht ein anschauliches Bild<br />

für diesen Sachverhalt: „Stellen Sie sich ein Autohaus<br />

vor, das jedem Autokäufer kostenfreie Autowäschen<br />

garantiert, solange er das Auto besitzt.<br />

Der Verkäufer versichert Ihnen, alle zukünftigen<br />

Autowäschen, die Sie jemals brauchen, sind<br />

mit dem Autokauf vollständig bezahlt. Einige<br />

Tage später fahren Sie durch schlammige Schlaglöcher<br />

einer Landstraße, der Wagen ist von oben<br />

bis unten vollgespritzt. Aber kein Problem, Sie<br />

können Ihre kostenfreie Autowäsche ja nützen.<br />

Aber einer Ihre Freunde teilt Ihnen mit, dass Sie<br />

nicht mehr dorthin zu fahren bräuchten, die erste<br />

Autowäsche wäre absolut ausreichend gewesen.<br />

Jede Überlegung, eine weitere Autowäsche zu brauchen,<br />

sei nicht nur falsch, sondern eine Lüge. 3<br />

In der Tat: Alles, was wir brauchen, ist vom<br />

Sohn Gottes bezahlt worden und steht uns zur<br />

Verfügung. Gelegentlich müssen wir trotzdem<br />

noch zur Waschstation, aber dafür müssen wir<br />

nichts bezahlen und wir brauchen dabei auch<br />

kein schlechtes Gewissen zu haben. Während wir<br />

mit Jesus durch die Welt laufen, empfangen wir<br />

Vergebung, Reinigung, Führung und Versorgung,<br />

so wie wir es brauchen – sei es Tag für Tag oder<br />

von einem Augenblick zum nächsten.<br />

Jesus sagt: „Ich überführe und züchtige alle,<br />

die ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße! 4 Überführung<br />

und Züchtigung ist doch nichts Schlechtes,<br />

es ist ein Zeichen für Gottes Liebe zu uns, ein<br />

Ausdruck seiner Gegenwart und Güte.<br />

„Aber“, wendet vielleicht jemand ein, „der Heilige<br />

Geist möchte nicht, dass ich mich schlecht<br />

fühle. Er will nur, dass ich mich gut fühle!“ Hier<br />

wird Michael L. Brown sehr direkt: „Dies ist eine<br />

sehr unreife Haltung. Es ist eine unglaublich<br />

oberflächliche Einstellung gegenüber dem Leben<br />

ganz allgemein.“<br />

Wohfühl-Christen sind so mit sich selber<br />

beschäftigt. Werden sie jemals in der Lage sein,<br />

dieser Welt etwas zu geben?<br />

Auszug aus Michael L. Brown, „Gnade ohne Ende? -<br />

Die moderne Gnaden-Bewegung“, Glaubenszentrum e.V.,<br />

ISBN 978-3-9816146-7-1,<br />

http://shop.agentur-pji.com/gnade-ohne-ende.html<br />

1 Matthäus 6,12.14–15.<br />

2 1. Johannes 1,9.<br />

3 David und Nancy Ravenhill, „Rooting Out Fuzzy Theology<br />

Behind the Hyper-Grace Message”, CharismaNews.com, 13.<br />

April 2013, http://www.charismanews.com/opinion/39015-<br />

rooting -out-fuzzy-theology-behind-the-hyper-grace-message<br />

(aufgerufen am 3. September 2013).<br />

4 Offenbarung 3,19.<br />

„Der Heilige Geist<br />

möchte nicht, dass<br />

ich mich schlecht<br />

fühle.“<br />

„Dies ist wohl<br />

eine sehr<br />

unreife Haltung.<br />

Wohfühl-Christen<br />

sind zu sehr<br />

mit sich selber<br />

beschäftigt<br />

John Crowders<br />

Foto: © LinkedIn<br />

Ryan Rufus<br />

Foto: © www.newnatureministries.org<br />

David Ravenhill<br />

Foto: © www.davidravenhill.com<br />

Z für Zukunft<br />

57


Z-aktuell<br />

Hinrichtung<br />

von Wiedertäufern<br />

Stick von Jan Luyken<br />

(1649 - 1712)<br />

Der rote Faden, Teil zwei<br />

Der erste Teil fand seinen Abschluss mit dem Tod von Hans Denck 1 ; nach jahrelanger<br />

Verfolgung starb er 1527 geschwächt im Haus eines Freundes in Basel, wahrscheinlich<br />

noch keine dreißig Jahre alt.<br />

Hans Denck war sehr<br />

einflussreich unter den<br />

Wiedertäufern. Er fragte:<br />

Was fehlt der Lehre Luthers?<br />

Kindertaufe oder Glaubenstaufe? Diese<br />

Frage trennt bis heute; jahrhundertelang<br />

war die Taufe, so wie im Neuen<br />

Testament von ihr berichtet wird,<br />

verboten und wurde mit dem Tode<br />

bestraft. Heute kann man nur seinen Job verlieren,<br />

falls man z. B. in einem kirchlichen beschäftigt<br />

wäre.<br />

Der Schweizer Reformator Johannes Zwingli<br />

forderte die Todesstrafe gar für diejenigen, die in<br />

Lehrfragen von seiner Ansicht abwichen. In früheren<br />

Jahren hatte er enge Verbindung zu Wiedertäufern,<br />

befasste sich ernsthaft mit der Tauffrage<br />

– und stellte fest, dass für die Kindertaufe sich in<br />

der Schrift kein Beleg finde. Aber die zivile Gewalt<br />

sorgte rigoros für die Durchsetzung auch kirchlicher<br />

Beschlüsse, daher änderte er seine Haltung.<br />

Hans Denck, 1500–1527<br />

Gehen wir für den zweiten Teil unseres „Roten<br />

Fadens” einen Schritt zurück und beginnen wir<br />

mit dem Bayern Hans Denck 1 (1500–1527; auch<br />

Johannes oder Johann Denk oder Dengk). In Basel<br />

hatte er promoviert; dort war er mit Erasmus<br />

in Berührung gekommen und mit anderen klugen<br />

Köpfen, die sich alle mit den verordneten<br />

Denkmustern ihrer Zeit nicht abfinden wollten.<br />

Dann wurde Denck nach Nürnberg berufen, dort<br />

sollte er an einer namhaften Schule unterrichten.<br />

Nürnberg, eine Hochburg der Reformation – mit<br />

hohen Erwartungen macht Denck sich auf den<br />

Weg, sicher herrschen hier Sittlichkeit und Aufrichtigkeit.<br />

Aber Denck wird bitter enttäuscht, er<br />

findet das genaue Gegenteil. Wie kann das sein?<br />

58<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Da muss etwas nicht ausgewogen sein an Luthers<br />

Lehre: richtig, die Betonung der Rechtfertigung<br />

aus Glauben, ohne Werke! Ja, Luther hat viele<br />

Missstände behoben, die sich in der römischen<br />

Kirche etabliert haben. Aber die Folge des christlichen<br />

Glaubens muss doch – ein mündiger Gehorsam<br />

sein!? Das fehlt Denck: Die Lehre aus Wittenberg<br />

mache nur „sicher und sorglos“. Denn eine<br />

Lehre, die sich gegen „fleischliche Begierden“<br />

wendet, hört man auch im „neuen Glauben“ nicht<br />

gern. Man möchte als Christ angesehen werden;<br />

reicht es denn nicht, dass Gott uns für gerecht<br />

hält? – So durften sich sogar die Schlimmsten,<br />

gerade auch unter dem Klerus, zu den Heiligen<br />

zählen. Wer zur Buße von dem sündigen Wandel<br />

aufforderte, der konnte sein Bündel schnüren und<br />

woanders ein neues Publikum suchen; und das<br />

war noch eine milde Konsequenz.<br />

Hans Denck prangerte das an. Über ein öffentliches<br />

Streitgespräch wird berichtet, „dass Denck<br />

sich so tüchtig zeigte, dass man es für zwecklos<br />

ansah, mündlich mit ihm zu streiten“. Man forderte<br />

von ihm, sieben Hauptpunkte schriftlich<br />

niederzulegen, denen wollte man entgegnen;<br />

aber auch dazu war man nicht fähig. Das Ergebnis:<br />

Denck wurde aufgefordert, Nürnberg noch<br />

vor Nacht zu verlassen. Die Begründung: Er habe<br />

unchristliche Irrlehre eingeführt und gewagt, sie<br />

zu verteidigen, und er sei unbelehrbar. Seine Antworten<br />

seien so unehrlich und listig, dass ein Versuch,<br />

ihnen zu begegnen, zwecklos sei.<br />

Denck sprach über die Verderbtheit des Menschen<br />

und dessen Verlangen nach Leben und<br />

Seligkeit. Diese könne man ja durch Glauben<br />

erlangen, hielt man ihm entgegen; aber für Denck<br />

war Glauben mehr als die bloße Zustimmung<br />

zu dem, was man gehört oder gelesen hat. Er<br />

stellte fest, die Schrift könne man nicht durch<br />

bloß „äußerliches Lesen“ verstehen, sondern<br />

nur, wenn der Heilige Geist sie dem Herzen und<br />

Gewissen eröffne.<br />

Ein Dokument lutherischer Geistlicher zu<br />

Dencks Vertreibung besagte, er meine es gut,<br />

seine Worte seien mit solch christlichem Verständnis<br />

geschrieben, dass seine Gedanken und<br />

Ansichten wohl gestattet werden könnten; doch<br />

aus Rücksicht auf die Einheit der lutherischen<br />

Kirche sei es nötig, anders zu handeln.<br />

In Augsburg fand Denck Aufnahme und Arbeit;<br />

dort begann er, jene Bürger zu sammeln, die inmitten<br />

des allgemeinen Sittenverfalls ihren christlichen<br />

Glauben im Alltag leben wollten. Unter<br />

denen, die es ernst meinten mit dem Glauben<br />

und Leben, waren viele „glaubensgetauft“, hatten<br />

sich also aus eigenem Entschluss taufen lassen.<br />

Ein Besuch Dr. Balthasar Hubmayrs (1485–1528,<br />

starb als Täufer den Märtyrertod) 2 brachte Denck<br />

zu dem Entschluss, sich ihnen anzuschließen und<br />

sich ebenfalls taufen zu lassen.<br />

Ein Schreiber jener Zeit hielt fest: „Es war ein<br />

schönes Ideal, das den reinen Geistern unter den<br />

Wiedertäufern vorschwebte. Mit Verlangen schauten<br />

sie auf die herrliche Zeit, da die ersten Apostel<br />

von Stadt zu Stadt zogen und die ersten Christengemeinden<br />

gründeten, wo alle im Geist der Liebe<br />

als Glieder eines Leibes zusammenkamen.“<br />

Sektierertum<br />

Sekte bedeutet „Begrenzung“, „Abgrenzung“:<br />

Man begreift eine Aussage, einen Teil der Heiligen<br />

Schrift, das Herz antwortet darauf und nimmt<br />

es an. Die erkannte Wahrheit wird betont, erklärt,<br />

verteidigt, ihre Kraft und Schönheit begeistert ihre<br />

Anhänger. Eine andere Seite dieser Wahrheit, eine<br />

weitere Sicht, die auch zur Schrift gehört, scheint<br />

die Wahrheit, die man als so kraftvoll empfindet,<br />

aber zu schwächen oder ihr gar zu widersprechen;<br />

so werden in eifersüchtiger Besorgnis um die vertretene<br />

Lehre die ausgleichenden Aspekte abgewertet,<br />

wegerklärt oder bestritten.<br />

So gründen sich Sekten auf einen Teil einer<br />

Wahrheit des Wortes Gottes, das aber begrenzt<br />

und ist unausgeglichen, weil sie nicht das ganze<br />

Spektrum sehen. Ihren Anhängern wird damit<br />

nicht nur eine Reihe von Zusagen der Bibel vorenthalten,<br />

sie werden auch von der Gemeinschaft<br />

mit anderen Gläubigen abgetrennt.<br />

Wen wollte man da des Sektierertums bezichtigen<br />

in dieser von Lehrfragen so bewegten Zeit,<br />

und wen nicht?<br />

Dr. Balthasar Hubmayr<br />

brachte Hans Denck dazu,<br />

sich taufen zu lassen<br />

Sekten gründen<br />

sich auf einen Teil<br />

einer Wahrheit des<br />

Wortes Gottes, das<br />

begrenzt und ist<br />

unausgeglichen,<br />

man sieht nicht das<br />

ganze Spektrum.<br />

Ihren Anhängern<br />

wird damit nicht<br />

nur einiges vorenthalten,<br />

sie trennen<br />

sich auch von<br />

anderen ab<br />

Z für Zukunft<br />

59


Z-aktuell<br />

Foto: © nightphotos.de, Roland Falk<br />

Im Turm der Lambertikirche<br />

hängen noch immer die 3 Käfige,<br />

in denen 1536 die Leichen<br />

der öffentlich hingerichteten<br />

Anführer der Täuferbewegung<br />

zur Schau gestellt wurden.<br />

Menno Simons<br />

Caspar von schwenkfeld<br />

Menno Simons 3 , 1496–1561<br />

„Siebzehn Jahre lang habe ich der Lehre von<br />

Münster 4 widerstanden und dagegen gekämpft<br />

in Wort und Schrift. Jene, die wie die Leute von<br />

Münster das Kreuz Christi verwerfen, das Wort<br />

des Herrn verachten und irdischen Lüsten unter<br />

der Vorgabe rechten Tuns nachgehen, werden wir<br />

nie als unsere Brüder anerkennen. Wenn unsere<br />

Ankläger behaupten, dass wir, da wir äußerlich in<br />

der gleichen Weise getauft worden sind wie jene,<br />

auch der gleichen Gemeinschaft zugezählt werden<br />

müssen, antworten wir: Wenn äußerliche Taufe so<br />

viel vermag, dann mögen sie selbst bedenken, welche<br />

Art Gemeinschaft die ihre ist, denn es ist klar,<br />

dass Ehebrecher und Mörder und ähnliche dieselbe<br />

Taufe empfangen haben wie sie!“<br />

Das schrieb der niederländisch-friesische<br />

Priester Menno Simons, von dem die Mennoniten<br />

ihren Namen haben. Nach den Ausschreitungen<br />

zu Münster wurden alle als Gläubige Getauften<br />

der Mittäterschaft beschuldigt und heftiger verfolgt<br />

denn je. Trotz größter Gefahr suchte Menno<br />

Simons die verstreuten und gehetzten Übriggebliebenen<br />

auf und stärkte sie im Glauben.<br />

Über seine jungen Jahre schrieb er: „Was die<br />

Schrift angeht, so habe ich sie noch nie im Leben<br />

angerührt, denn ich fürchtete, dass, wenn ich sie<br />

läse, ich verführt werden könnte. Später kam mir, so<br />

oft ich in der Messe mit Brot und Wein zu tun hatte,<br />

der Gedanke, dies könnte vielleicht doch nicht des<br />

Herrn Fleisch und Blut sein.“ Wenn unter Kollegen<br />

die Rede auf die Heilige Schrift kam, wusste er sich<br />

nur darüber lustig zu machen.<br />

„Dann beschloss ich, das Neue Testament<br />

einmal sorgfältig zu lesen. Ich war noch nicht<br />

weit gekommen, als mir aufging, dass wir betrogen<br />

worden waren. Tag für Tag machte ich Fortschritte<br />

in der Kenntnis der Schrift.“ [Es bestätigt<br />

sich immer wieder: Selber lesen lohnt sich!]<br />

„Bis dahin hatte ich noch nie von Wiedertäufern<br />

gehört. Damals geschah es, dass ein ehrenwerter,<br />

frommer Mann enthauptet wurde, weil er<br />

sich zum zweiten Mal hat taufen lassen. Es klang<br />

eigentümlich in meinen Ohren, dass da von einer<br />

anderen Taufe gesprochen wurde. Ich las genau<br />

darüber in der Schrift, aber ich konnte nichts über<br />

die Kindertaufe finden. Als ich das erkannt hatte,<br />

sprach ich darüber mit meinem Priester und wir<br />

mussten feststellen, dass die Kindertaufe in der<br />

Schrift keine Grundlage hat.“ Menno zog weitere<br />

Brüder zu Rate und fragte bei Luther nach, bei<br />

Brucer und anderen – und jeder nannte ihm einen<br />

anderen Grund für die Kindertaufe, aber nichts<br />

davon stimmte mit der Schrift überein.<br />

„Dann fing ich an, öffentlich von der Kanzel<br />

das Wort von der Buße zu verkündigen, das Volk<br />

auf den schmalen Weg zu weisen, alle Sünden und<br />

Gottlosigkeit zu verurteilen, auch Götzendienst<br />

und falschen Gottesdienst, und frei zu bezeugen,<br />

was Taufe und Herrenmahl nach dem Willen<br />

Christi bedeuten, soweit ich bis dahin Gnade von<br />

Gott empfangen hatte.“<br />

Menno Simons verschrieb sich der Sammlung<br />

und Auferbauung der Christen, die durch die Verfolgung<br />

zerstreut waren, zunächst in den Niederlanden,<br />

bis er 1543 geächtet und auf seinen Kopf<br />

ein Preis gesetzt wurde; wer ihn versteckte, war<br />

des Todes schuldig, jeder Verbrecher aber, der<br />

ihn dem Henker überliefern würde, sollte begnadigt<br />

werden. Nach vielen Wanderungen und<br />

Gefahren fand er in Holstein Zuflucht.<br />

Caspar von Schwenkfeld 5 , 1490–1561<br />

Schwenkfeld hielt sich von der römisch-katholischen<br />

wie auch von der lutherischen und reformierten Kirche<br />

fern; er schloss sich auch nicht den Wiedertäufern<br />

an, und doch hatte der schlesische Adelige großen<br />

Einfluss. Er machte Geschäfte mit deutschen<br />

60<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

Fürstenhöfen und hatte mit dem Glauben nicht viel<br />

am Hut; mit etwa dreißig Jahren aber stieß er auf<br />

Luther, die „wunderbare Trompete Gottes”.<br />

Es dauerte nicht lange, bis er in Luthers Lehre<br />

einige Punkte zu beanstanden fand, besonders seine<br />

Abendmahlslehre – worauf Luther ihn heftig angriff;<br />

er setzte seine Macht ein und brandmarkte ihn als<br />

Ketzer. Schwenkfeld riet seinen Anhängern: „Lasst<br />

uns glaubensvoll für sie (unsere Gegner) zu Gott<br />

beten, denn es muss endlich die Zeit kommen, da<br />

sie mit uns allen gemeinsam unsere Unwissenheit<br />

vor dem einen Meister, Christus, zugeben.“<br />

Schwenkfeld wurde zum leidenschaftlichen<br />

Bibelleser; er überließ es dem Heiligen Geist, ihn<br />

beim Lesen zu leiten. „Christus“, so sagt er, „ist die<br />

Summe der ganzen Bibel“, und „der Hauptzweck<br />

der ganzen Heiligen Schrift ist, dass wir den Herrn<br />

Christus völlig erkennen“. Als sichere Regel für<br />

den Ausleger gab er an: „Bei strittigen Stellen<br />

muss der gesamte Text herangezogen werden,<br />

Schrift muss Schrift erklären, Einzelstellen müssen<br />

im Zusammenhang gelesen und miteinander<br />

verglichen werden, man muss die Bedeutung feststellen,<br />

nicht nur nach dem äußeren Erscheinungsbild<br />

der einzelnen Stelle, sondern entsprechend<br />

dem Sinn der ganzen Schrift.“<br />

„Wenn wir nicht alles verstehen“, so Schwenkfeld,<br />

„wollen wir deshalb nicht die Schrift tadeln,<br />

sondern vielmehr unsere Unwissenheit.“ – „Wenn<br />

wir die Kirche reformieren wollen, müssen wir<br />

die Heilige Schrift und besonders die Apostelgeschichte<br />

zur Hand nehmen. Da kann man klar<br />

erkennen, wie es am Anfang war und was recht<br />

und was nicht recht ist.“<br />

Er fragte, wo schriftgemäße Versammlungen<br />

„heute“ zu finden seien: „Die Schrift kennt keine<br />

anderen als solche, die Christus als ihr Haupt anerkennen<br />

und sich willig der Leitung des Heiligen<br />

Geistes unterstellen, der sie mit geistlichen Gaben<br />

und Erkenntnis ausrüstet.“ Jegliche Einschränkung<br />

des allgemeinen Priestertums der Gläubigen war<br />

für Schwenkfeld eine Einschränkung des Heiligen<br />

Geistes. „Wenn man zur Zeit Pauli so gehandelt und<br />

nur denen zu predigen erlaubt hätte, die von der<br />

Behörde ernannt wurden, wie weit wäre dann der<br />

christliche Glaube wohl gekommen?“ Einige seien<br />

zu besonderem Dienst erwählt; der Geist Gottes<br />

befähige sie dazu und nicht etwa Studium, Auswahl<br />

oder Ordinierung; dass Christus mit ihnen sei, zeige<br />

sich in Gnade, Kraft und Segen.<br />

1529 musste Schwenkfeld seine Heimat verlassen;<br />

die restlichen 30 Jahre seines Lebens war<br />

er Wanderer, verfolgt von der lutherischen Kirche.<br />

Seine Verbannung führte zur weiteren Ausbreitung<br />

seiner Lehre.<br />

Verbotenes Herrenmahl<br />

in Frankreich<br />

Im Jahre 1533 hatten Gläubige in Südfrankreich<br />

den Wunsch, häufiger zum Lesen der Schrift zusammenzukommen.<br />

Zu der Zeit heiratete Margarete,<br />

Königin von Navarra (1492–1549), in diese Gegend;<br />

mit ihr kamen der Theologe und Bibelübersetzer<br />

Jacques Lefèvre d’Étaples (1450/1455–1536) 6 und<br />

sein Schüler Gérard Roussel (um 1500–1550) 7 .<br />

Sie pflegten die katholische Kirche zu besuchen<br />

und anschließend im Schloss Zusammenkünfte mit<br />

einem biblischen Vortrag abzuhalten, wozu auch<br />

viele aus der Bevölkerung erschienen.<br />

Einige hatten den Wunsch, das Mahl des Herrn<br />

zu feiern, trotz der damit verbundenen Gefahr.<br />

Man wählte eine große Halle, abseits öffentlicher<br />

Aufmerksamkeit; hier wurde ein Tisch mit Brot<br />

und Wein aufgestellt und alle nahmen am Herrnmahl<br />

teil, ohne jede kirchliche Form. Die Königin<br />

und die aus niedrigem Stand bekundeten ihre<br />

Gleichheit in der Gegenwart des Herrn. Das Wort<br />

Gottes wurde gelesen und ausgelegt, man nahm<br />

eine Sammlung für die Armen vor, und dann ging<br />

man wieder auseinander.<br />

Um die gleiche Zeit war dort auch Johannes Calvin<br />

(1509–1564) 8 , der wegen seiner Lehre genötigt<br />

worden war, Paris zu verlassen. Man sprach über<br />

Luther und Zwingli und ihre Lehren, und die katholische<br />

Kirche wurde offen kritisiert. Als es gefährlich<br />

wurde, gingen die Christen in eine unbewohnte<br />

Gegend außerhalb der Stadt und trafen sich in<br />

einer größeren Höhle, dort brach man unter Gebet<br />

und Schriftlesung das Brot; und wer den Eindruck<br />

hatte, dass der Heilige Geist ihm ein Wort der<br />

Ermahnung oder Auslegung gegeben hatte, konnte<br />

in aller Freiheit reden.<br />

„Wenn wir die<br />

Kirche reformieren<br />

wollen, müssen wir<br />

die Heilige Schrift<br />

und besonders die<br />

Apostelgeschichte<br />

zur Hand nehmen.<br />

Da kann man klar<br />

erkennen, wie es<br />

am Anfang war und<br />

was recht und was<br />

nicht recht ist.“<br />

Margarete, Königin von Navarra<br />

Jacques Lefèvre d’Étaples<br />

Johannes Calvin<br />

Z für Zukunft<br />

61


Z-aktuell<br />

Paris während der<br />

Bartholomäusnacht.<br />

Die Häuser der Hugenotten<br />

waren gekennzeichnet,<br />

Männer, Frauen und Kinder<br />

wurden gnadenlos erschlagen.<br />

Zeitgenössisches Gemälde von<br />

François Dubois<br />

Jeanne d‘Albret<br />

Papst Pius V<br />

König Heinrich IV<br />

Ab 1560: Die Hugenotten<br />

Die Mitglieder von solchen Versammlungen wurden<br />

oft „Evangeliumsleute” genannt oder „die Frommen”<br />

und schließlich als „Hugenotten” gebrandmarkt.<br />

Im Südosten Frankreichs war der überwiegende<br />

Teil der Bevölkerung hugenottisch; anderswo<br />

waren die Hugenotten nur eine kleine Minderheit.<br />

Ein Erlass des Königs gewährte eine gewisse<br />

Freiheit des Gottesdienstes; es bestand Hoffnung,<br />

die Unterdrückung könne überwunden werden.<br />

Die Königin-Mutter von Medici, Jeanne III. von<br />

Navarra, besser bekannt als Jeanne d‘Albret<br />

(1528–1572), 9 schrieb an Papst Pius V: „Die Zahl<br />

derer, die sich von der römischen Kirche getrennt<br />

haben, ist so groß, dass sie nicht länger durch<br />

die Strenge des Gesetzes oder durch Waffengewalt<br />

unterdrückt werden können. Sie sind durch<br />

die adeligen Beamten, die sich der Partei angeschlossen<br />

haben, so stark geworden, sie halten so<br />

fest zusammen, dass sie in allen Teilen des Königreichs<br />

mehr und mehr gefürchtet werden.“<br />

Der Papst, der später heiliggesprochen wurde,<br />

war jedoch dagegen, die Evangeliumsleute gewähren<br />

zu lassen, und beide Parteien machten sich<br />

bereit für militärische Auseinandersetzungen.<br />

1572: Die Bartholomäusnacht<br />

1562 wurde eine große Versammlung unbewaffneter<br />

Gottesdienstbesucher in einer Scheune<br />

umzingelt; die wehrlosen Opfer wurden abgeschlachtet.<br />

Ein Bürgerkrieg war die Folge, er verwüstete<br />

große Teile Frankreichs.<br />

1572 kam es zur Hochzeit von Heinrich von<br />

Béarn, König von Navarra (1533– 1610 10 ),<br />

inzwischen Führer der hugenottenischen Sache,<br />

und Margarete 11 (1553–1615), Tochter der Katharina<br />

von Medici. Für die Hugenotten sah es aus,<br />

als bringe das Frieden, daher versammelte sich<br />

eine große Zahl von ihnen in Paris, um den Feierlichkeiten<br />

beizuwohnen.<br />

Eine Woche nach der Hochzeit in Notre-Dame,<br />

in der Nacht zum Tag des heiligen Bartholomäus,<br />

überraschten katholische Truppen die Nichtsahnenden;<br />

es kam zu einem Blutbad. Zuvor waren<br />

die Häuser der Hugenotten gekennzeichnet worden,<br />

Männer, Frauen und Kinder wurden gnadenlos<br />

erschlagen. In ganz Frankreich kam es zu<br />

ähnlich grauenhaften Handlungen. Die Zusammenkünfte<br />

der Hugenotten wurden verboten und<br />

man entzog ihnen ihre Kinder, um sie im Kloster<br />

katholisch zu erziehen.<br />

1594 bestieg Heinrich von Navarra als Heinrich<br />

IV. den Thron Frankreichs. Er war kein religiöser<br />

Mensch und sah die Hugenotten eher als politische<br />

Partei. Als protestantischer Herrscher in<br />

einem katholischen Land hatte er es nicht leicht.<br />

Um seinen Thron zu sichern, wurde er katholisch,<br />

nutzte aber seine Stellung, um Gesetze zugunsten<br />

der Hugenotten zu erlassen. 1598 wurde durch<br />

das Edikt von Nantes den Hugenotten die Freiheit<br />

des Gewissens und des Gottesdienstes zuerkannt.<br />

Zwölf Jahre danach wurde der König ermordet,<br />

die Hugenotten kamen wieder in Bedrängnis.<br />

1685 wurde das Edikt von Nantes aufgehoben.<br />

Alle Prediger mussten innerhalb von 14 Tagen das<br />

Land verlassen, 800 Versammlungsstätten wurden<br />

zerstört. Wer sich nicht „bekehren“ wollte:<br />

Männer kamen lebenslang auf Galeeren, Frauen<br />

ins Gefängnis. Heimlich, auf verbotenen Pfaden,<br />

versuchten viele mit ihren kleinen Kindern, den<br />

Alten und Kranken das Land zu verlassen – ein<br />

Exodus der Besten des französischen Volkes. Für<br />

die Länder, die die Flüchtlinge aufnahmen – die<br />

Schweiz, Preußen, Holland, England, Nordamerika<br />

und andere – waren sie eine Bereicherung,<br />

diese tüchtigen, ehrlichen Menschen; neben ihrer<br />

Gottesfurcht brachten sie auch ihre Fähigkeiten<br />

in Handwerk und Handel mit und engagierten<br />

sich in der Politik.<br />

62<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

1620: Aufbruch in eine neue Welt<br />

Meinungsverschiedenheiten unter den nicht<br />

katholischen Christen waren gang und gäbe: Die<br />

einen vertraten die Glaubenstaufe, andere sahen<br />

gute Gründe, die Kindertaufe beizubehalten. Die<br />

einen waren der Ansicht, der Staat habe kein Recht,<br />

sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen<br />

oder irgendeine Richtung zu begünstigen; andere<br />

hielten es für seine Pflicht, eine gewisse Aufsicht<br />

und Kontrolle über die Kirche auszuüben. Und nicht<br />

wenige, die selber protestierten gegen die Zwangsmaßnahmen,<br />

unter denen sie litten, verweigerten<br />

diese Freiheit denen, die ihren Glauben anders lebten<br />

und anders dachten als sie.<br />

Der Gedanke, in der „Neuen Welt“ jenseits des<br />

Atlantiks Gewissens- und Glaubensfreiheit zu finden,<br />

bewegte viele Christen, naturgemäß besonders<br />

die, die genug hatten von den Entbehrungen<br />

der Flucht.<br />

Eines der ersten Schiffe mit den Verfolgten,<br />

das sich nach Westen aufmachte, war 1620 die<br />

Speedwell 12 . Am Delfter Hafen wurde den Scheidenden<br />

die Worte des englischen Puritaners<br />

John Robinson (1575–1625) 13 auf den Weg mitgegeben:<br />

„Wenn Gott euch irgendetwas durch ein<br />

anderes seiner Werkzeuge offenbart, seid bereit, es<br />

so willig anzunehmen, wie ihr die Wahrheiten hier<br />

angenommen habt. Denn ich bin überzeugt, dass<br />

der Herr noch weitere Wahrheiten hat, die aus<br />

seinem heiligen Wort geschöpft werden können.<br />

Ich kann den Zustand der reformierten Kirche<br />

nicht genug beklagen, die zum Stillstand gekommen<br />

ist und heute nicht weiter geht als ihre<br />

Reformatoren. Die Lutheraner können nicht dazu<br />

gebracht werden, über das hinauszugehen, was<br />

Luther sah; was auch immer unser Gott Calvin<br />

offenbart haben mag: sie werden lieber sterben<br />

als es annehmen; und die Calvinisten stecken da<br />

fest, wo sie von dem großen Gottesmann gelassen<br />

worden sind, der doch auch nicht alles gesehen<br />

hat. Das ist eine beklagenswerte Not, denn<br />

obwohl sie zu ihrer Zeit brennende Lichter waren,<br />

drangen sie doch nicht in den ganzen Ratschluss<br />

Gottes ein. Denn es ist nicht möglich, dass die<br />

christliche Welt, die erst vor Kurzem aus so tiefer<br />

antichristlicher Finsternis herausgekommen ist,<br />

die volle Erkenntnis auf einmal erfasste.“<br />

Zur Speedwell gesellte sich die Mayflower<br />

(„Maiblume“), die eine Gruppe aus England hinüber<br />

in die „neue Welt“ brachte. Beide Schiffe stachen<br />

in See; ein Leck an der Speedwell zwang sie<br />

jedoch zur Umkehr nach Plymouth. Dort drängten<br />

sich alle auf der kleinen Mayflower zusammen. Ein<br />

furchtbarer Sturm zwang auch sie fast zur Umkehr,<br />

aber entschlossen setzen die Pioniere die Reise fort,<br />

kämpften sich durch und nach neun schrecklichen<br />

Wochen landeten 102 Personen in der Plymouth-Bai<br />

in Neuengland. Hier gründeten sie einen Staat, der<br />

nie das Gepräge des Charakters der Männer und<br />

Frauen verlieren sollte, die ihn in Gottesfurcht und<br />

Freiheitsliebe ins Leben riefen.<br />

John Wesley, 1703–1791 14<br />

Johns Mutter Susanna war eine würdige Ehefrau<br />

ihres Mannes, eines anglikanischen Geistlichen;<br />

wenn dieser abwesend war – und das war<br />

er oft – hielt die Mutter von 19 Kindern (neun<br />

starben sehr früh) selber die Familienandacht, da<br />

wurde in der Schrift gelesen und darüber gesprochen.<br />

Auch andere baten darum, teilnehmen zu<br />

dürfen; bisweilen versammelten sich über hundert<br />

Personen. Man beschwerte sich bei ihrem<br />

Mann, sie maße sich einen Platz an, der ihr als<br />

Frau nicht zustehe; sie entgegnete: „Ich bin Frau,<br />

aber genauso bin ich Herrin einer großen Familie.<br />

Und in deiner Abwesenheit kann ich doch nichts<br />

anderes tun, als auf jede Seele zu achten, die du<br />

meiner Obhut unterstellt hast.”<br />

Mayflower & Speedwell im Hafen<br />

von Dartmouth, Gemälde von<br />

Leslie Wilcox<br />

Der Gedanke,<br />

in der „Neuen<br />

Welt“ Gewissensund<br />

Glaubensfreiheit<br />

zu finden,<br />

bewegte viele<br />

Christen<br />

John Robinson im Gebet auf der<br />

Speedwell<br />

Z für Zukunft<br />

63


Z-aktuell<br />

Als Wesley die Kanzel der<br />

Pfarrkirchen verboten war,<br />

begann er im Freien<br />

zu predigen<br />

Bild: © Wellcome Collection<br />

Peter Böhler<br />

Nikolaus Ludwig<br />

Graf von Zinzendorf<br />

George Whitefield<br />

Susannas Söhne Charles und John wurden<br />

wie ihr Vater anglikanische Geistliche, aber auch<br />

nach ihrer Ordinierung konnten sie noch keinen<br />

eigenen Glauben bezeugen. Auf einer Reise nach<br />

Amerika lernten sie „mährische Brüder“ 15 kennen<br />

(Herrnhuter). Ihre Demut, ihr Friede und ihr Mut<br />

machten auf John Wesley großen Eindruck.<br />

Die Reise war für ihn ein Fehlschlag: „Ich ging<br />

nach Amerika, um die Indianer zu bekehren. Aber<br />

ach! wer bekehrt mich?“ 1738, wieder zurück in<br />

England, traf er abermals Herrnhuter, und mehrere<br />

tiefgründige Gespräche mit Peter Böhler<br />

öffneten ihm die Tür zum Glauben. Auf die zweifelnde<br />

Frage, ob er das Predigen aufgeben sollte,<br />

antwortet Böhler: „Nein, predige den Glauben,<br />

bis du ihn hast; danach wirst du, weil du ihn hast,<br />

den Glauben predigen.“<br />

So verkündigte John Wesley in vielen Londoner<br />

Kirchen eifrig das „freie (unverdient geschenkte<br />

und unverdienbare) Heil durch den Glauben an<br />

das Blut Christi“; und in einer nach der anderen<br />

wurde ihm mitgeteilt, das sei seine letzte Predigt<br />

hier gewesen.<br />

Daraufhin besuchte er Herrnhut und begegnete<br />

dort auch Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf,<br />

das war ihm eine große Hilfe.<br />

Wieder in England, traf er in Bristol seinen<br />

alten Freund George Whitefield (1714–1770);<br />

dem erging es ähnlich wie John: Der Klerus war<br />

so aufgebracht, dass auch ihm der Zugang zu fast<br />

allen Kanzeln verwehrt wurde. Freunde rieten<br />

ihm, er könne ja den Kumpels in den Kohlegruben<br />

predigen, um die kümmere sich keiner. Was Whitefield<br />

denn auch tat: „Da mir die Kanzeln<br />

verschlossen waren und die armen Kohlearbeiter<br />

aus Mangel an Erkenntnis umzukommen drohten,<br />

ging ich zu ihnen und predigte auf einem Berg<br />

vor über zweihundert Arbeitern. Das Eis war<br />

gebrochen und ich hatte wieder Boden gewonnen.“<br />

Bei seiner nächsten Predigt kamen zehntausend!<br />

Whitefields Predigt ging ihnen durchs<br />

Herz – die Tränen hinterließen weiße Spuren auf<br />

ihren schwarzen Wangen.<br />

Whitefield bat John Wesley, ihm zu helfen. Wesley<br />

war der Ansicht gewesen, Seelen retten könne man<br />

nur in einer Kirche; nun predigte er zum ersten Mal<br />

im Freien: „Ich sprach von einer kleinen Anhöhe<br />

nahe der Stadt vor ungefähr 3000 Menschen.“<br />

Nun war das Evangelium aus den grauen Kirchenmauern<br />

herausgekommen, und es eroberte<br />

das Land: Nicht nur die Ärmsten in den Elendsvierteln<br />

bekehrten sich, auch der Adel wurde erreicht.<br />

Es mangelte an Geistlichen, aber nicht lange, und<br />

der Theologe Wesley erkannte, dass der Heilige<br />

Geist zahlreiche Laien befähigte, das Evangelium<br />

mit Kraft zu verkündigen – auch ohne Ausbildung<br />

waren sie mächtige Zeugen Jesu. Anfangs gab es<br />

bei den Zusammenkünften seltsame Erscheinungen:<br />

Zuhörer stürzten mit Zuckungen zu Boden<br />

und schrien vor Reue oder Furcht.<br />

Wesley, Whitefield und andere waren ständig<br />

auf Reisen, durchzogen England und Wales. Eine<br />

große Erweckung erfasste das Land und ergriff<br />

auch Irland, Schottland und sogar Neuengland in<br />

Amerika.<br />

Lehr- und Meinungsverschiedenheiten<br />

Es verwundert nicht, dass es auch Meinungsverschiedenheiten<br />

gab über die „neuen”, bis dahin<br />

vernachlässigten Wahrheiten. Bei Lehrstreitigkeiten<br />

steht nicht immer Wahrheit gegen Irrtum; so<br />

hat die auch Lehre von der Rechtfertigung allein<br />

aus Glauben, ohne Werke, ein Gegenüber: die der<br />

Notwendigkeit guter Werke als Folge und Beweis<br />

des Glaubens. In der Tat hat jede große Lehre<br />

der Heiligen Schrift ein Gegenstück; erst beide<br />

zusammen lassen das Ganze sehen.<br />

Einige betonten mehr die eine Seite, andere<br />

wieder eine andere Seite; und jeder neigte dazu,<br />

seiner Ansicht mehr Nachdruck zu verleihen und<br />

64<br />

Z für Zukunft


Z-aktuell<br />

in der anderen eine Gefahr zu wittern. Die Größe<br />

und Vielseitigkeit von Gottes Offenbarung führt<br />

oft dazu, dass sie nur zu einem Teil und unterschiedlich<br />

begriffen wird.<br />

So war es auch bei Wesley und den Herrnhutern<br />

– nach und nach kam es über verschiedene<br />

Punkte zu unterschiedlichen Ansichten. Ihre Herkunft<br />

und ihre Geschichte verlieh den Herrnhutern<br />

Züge, die Wesley abgehoben und weltfremd<br />

vorkamen; seine Persönlichkeit war pragmatisch,<br />

praktisch, zupackend.<br />

Schon früh unterschieden sich auch Wesley und<br />

Whitefield in Lehrfragen; die calvinistische Sicht<br />

Whitefields sagte Wesley gar nicht zu. Ihre Beziehung<br />

litt aber nicht darunter, und beider Verkündigung<br />

der Rechtfertigung aus Glauben war gleich<br />

wirksam: Sowohl bei Wesley als auch bei Whitefield<br />

bekehrten sich die Sünder in Scharen.<br />

Auch die Predigtstile der beiden unterschieden<br />

sich sehr, und doch zeigten sie die gleiche Wirkung.<br />

Whitefield predigte leidenschaftlich, geradezu<br />

dramatisch – Wesley war klar und logisch,<br />

seine Predigten enthielten vor allem Auslegung,<br />

und doch fesselten sie auch die rohesten Zuhörer.<br />

Und heute?<br />

Ist Kirche, sind Versammlungen nach dem Vorbild<br />

des Neuen Testaments heute noch möglich?<br />

Die Antwort darauf – also ob Kirche heute der<br />

Lehre und dem Vorbild des Neuen Testaments<br />

gerecht werden kann –, hängt sehr davon ab, aus<br />

welchem Blickwinkel man es betrachtet; gelingt<br />

es, die traditionellen Vorgaben zu integrieren, zu<br />

modifizieren, oder müssen wir sie eliminieren?<br />

1. Das „Vorbild“ dürfte den Ritualkirchen nicht<br />

allzu erstrebenswert erscheinen; meint man dort<br />

doch, über die Jahrhunderte habe man etwas<br />

Besseres erreicht als das, was anfangs praktiziert<br />

wurde; die Schrift wurde durch Überlieferung<br />

„erweitert“ oder gar verdrängt.<br />

2. Der Rationalismus betrachtet es ebenfalls als<br />

Rückschritt, wenn man auf die originalen Muster<br />

zurückgreift. Für ihn ist die Schrift nicht<br />

bindende Autorität.<br />

3. Reformatoren bestehender Kirchen – Luther,<br />

Spener und andere – versuchten, einen Kompromiss<br />

zu erwirken; in manchem blieben sie<br />

hinter dem zurück, was sie erkannt hatten.<br />

4. Einige, wie die Mystiker, gaben auf und strebten<br />

nur noch nach einer Art Isolations-Heiligung<br />

und der engen Verbindung zu Gott.<br />

„Äußerlichkeiten“ wie Taufe und Abendmahl<br />

wurden vernachlässigt; man lehnt die verbindliche<br />

Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ab<br />

und spricht vom „Zerfall der Kirche“.<br />

5. Evangelistische Bewegungen hielten diese Fragen<br />

nicht für so wichtig; sie befassten sich vorwiegend<br />

mit der Bekehrung von Sündern und<br />

wie man sie anschließend organisieren kann.<br />

6. Zu allen Zeiten hat es aber auch solche gegeben,<br />

die die Frage nach dem „Zurück zum<br />

Original“ mit Ja beantwortet haben: Katharer,<br />

Novatianer, Paulizianer, Bogomilen, Albigenser,<br />

Waldenser, Wiedertäufer und unzählige<br />

andere (ausführlich dazu siehe „Der rote<br />

Faden“ Teil 1, »Z« 19/20, ab S. 48). Sie waren<br />

eins in dem Bestreben, im Neuen Testament zu<br />

forschen und dem Vorbild der neutestamentlichen<br />

Gemeinde zu folgen.<br />

Rezension mit Auszügen aus „2000 Jahre Gemeinde Jesu –<br />

Schmach und Segen christlicher Pilgerschaft“. Eine spannende<br />

Kirchengeschichte besonderer Art von E.H. Broadbent, CV Dillenburg<br />

2016 (redaktionell bearbeitet).<br />

http://shop.agentur-pji.com/2000-jahre-gemeinde-jesu-3.html<br />

1 Hans Denck (auch Johann(es) Den(c)k, authentische Namensform<br />

Dengk<br />

2 Balthasar Hubmaier (auch Huebmör, Hubmör, Hubmair, Hubmayr,<br />

Hubmeier; Friedberger, um 1485–1528) war eine führende<br />

Täuferpersönlichkeit der Reformationszeit, was ihn das<br />

Leben kostete.<br />

3 Menno Simons, 1496–1561, niederländisch-friesischer Theologe.<br />

Simons war einer der führenden<br />

4 Das „Täuferreich von Münster” in den 1530er-Jahren in Münster<br />

(Westfalen) um den Prediger Bernd Rothmann war eine sich<br />

zunehmend radikalisierende Bewegung hin zu einem das Ende<br />

der Welt erwartenden Regime. Die Stadt wurde von katholischen<br />

Truppen eingekesselt und ausgehungert; das „Täuferreich”<br />

griff zu offener Gewalt. Auch in Lehrfragen und in der<br />

Sittlichkeit kam es zu groben Verirrungen.<br />

5 Caspar von Schwenkfeld (1490–1561), auch Kaspar<br />

Schwen(c)kfeld von Ossig, war Theologe, Reformator und Verfasser<br />

christlicher Bücher.<br />

6 Jacques Lefèvre d’Étaples (auch Jacobus Faber Stapulensis<br />

(1450/1455–1536) war französischer Theologe und Humanist.<br />

Sein Name verbindet sich vor allem mit „La Sainte Bible en français”<br />

(1523–30), der ersten vollständigen französischen Bibelübersetzung.<br />

7 Gérard Roussel (lateinisch: Girardus Ruffus, um<br />

1500–1550) war ein französischer Humanist und<br />

In Streitigkeiten<br />

steht nicht immer<br />

Wahrheit gegen<br />

Irrtum: Die Rechtfertigung<br />

allein aus<br />

Glauben, ohne Werke.<br />

Die guten Werke als<br />

notwendigen Folge<br />

des Glaubens.<br />

Jede große Lehre der<br />

Heiligen Schrift hat<br />

einen scheinbaren<br />

Gegensatz.<br />

Erst beide<br />

zusammen lassen<br />

das Ganze sehen.<br />

„2000 Jahre Gemeinde Jesu<br />

– Schmach und Segen christlicher<br />

Pilgerschaft“. E.H. Broadbent,<br />

CV Dillenburg 2016<br />

http://shop.agentur-pji.com/<br />

2000-jahre-gemeinde-jesu-<br />

3.html<br />

Z für Zukunft<br />

65

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