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2018_39

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Kurier Nr. <strong>39</strong> 28.9.<strong>2018</strong> Dorfspiegel Dietlikon / Wangen-Brüttisellen<br />

5<br />

Integrationsarbeit in Dietlikon<br />

Unsere Gemeinden als neue Heimat<br />

Sie arbeiten mit Migrantinnen und Migranten und organisieren<br />

regelmässig Feste oder Stände, zum Beispiel am Weihnachtsmarkt:<br />

Einblick in die Arbeit der Kulturvermittler in den Kuriergemeinden.<br />

Roger Manhart<br />

Appetitlich präsentiert wurden<br />

Spezialitäten aus aller Welt am<br />

Stand der Kulturvermittler am<br />

Dorfmarkt von Dietlikon Ende<br />

August. Die Mitglieder des Teams<br />

haben die köstlichen Häppchen zuhause<br />

gebacken, gekocht oder frittiert.<br />

Bald schon musste für Nachschub<br />

gesorgt werden, denn die<br />

Passanten konsumierten tüchtig.<br />

Am Tisch nebenan wurde diskutiert<br />

und über die Kulturvermittlung<br />

informiert. Doch wer sind sie eigentlich,<br />

diese Kulturvermittler, die<br />

bereits am Dietliker Fest der Kulturen<br />

am 7. Juli für fröhliches Ambiente<br />

mit leckerem Buffet, Livemusik<br />

und Tanz auf dem Platz vor dem<br />

Gemeindehaus gesorgt hatten?<br />

2013 hatte Sabine Albrecht, zuständig<br />

für die Integration von Migranten<br />

und Migrantinnen in der<br />

Gemeinde Dietlikon, die zündende<br />

Idee: Sie stellte mit Freiwilligen<br />

aus der Bevölkerung ein vielsprachiges<br />

Team zusammen. Diese<br />

Kulturvermittler begrüssen ihre<br />

zugezogenen Landsleute in deren<br />

Muttersprache und informieren sie<br />

ausführlich über die Gepflogenheiten<br />

am neuen Wohnort. Bereits<br />

sind mehrere Gemeinden dem<br />

Dietliker Modell gefolgt.<br />

Die Neugier steigt mit dem Wissen<br />

Je mehr man übereinander weiss,<br />

desto eher steigt die Neugierde und<br />

verschwinden die Vorurteile, hat<br />

Sabine Albrecht erkannt. Sie setzt<br />

sich aktiv für ein Klima der gegenseitigen<br />

Wertschätzung und Toleranz<br />

ein. Mit gutem Grund, immerhin<br />

stammt rund ein Viertel der<br />

Bevölkerung in Dietlikon, wie auch<br />

in Wangen-Brüttisellen, aus dem<br />

Ausland. Seit 2011 ist Dietlikon<br />

eine der 26 Kerngemeinden des<br />

kantonalen Integrationsprojekts<br />

und wird vom Kanton mit einem<br />

Drittel der Kosten im Rahmen einer<br />

Leistungsvereinbarung unterstützt.<br />

Der erste Pfeiler der Integrationsarbeit<br />

ist eine frühzeitige Information<br />

zum Leben in der Wohngemeinde<br />

und im Kanton. Das betrifft den<br />

Kontakt mit Ämtern, das Gesundheitswesen<br />

und das Schulsystem.<br />

Personen mit besonderen Bedürfnissen<br />

können darüber hinaus auf geeignete<br />

Angebote aufmerksam gemacht<br />

werden. Der zweite Pfeiler ist<br />

das Angebot von Sprachkursen, das<br />

die Migrantinnen und Migranten befähigt,<br />

am Leben in der Gemeinde<br />

teilzunehmen. Was eine Untersuchung<br />

im Kanton Zürich bereits belegte,<br />

bestätigt Sabine Albrecht:<br />

Eine gelungene Integration erspare<br />

Nachkosten, biete Hilfe zur Selbsthilfe,<br />

erhöhe die Lebensqualität und<br />

trage zu einem lebendigen Dorfleben<br />

bei.<br />

Sie lobt ihr Kulturvermittler-Team<br />

als «Helden der Integration», die<br />

viel Fronarbeit bei geringer Entschädigung<br />

erbringen und dabei eine<br />

grosse Wirkung erzielen. Durch die<br />

niederschwelligen Erstgespräche<br />

mit den Migrantinnen und Migranten<br />

leben die Kulturvermittler die<br />

gelungene Integration direkt vor und<br />

motivieren dazu. Sie helfen Neuzuzügern<br />

sich willkommen zu fühlen<br />

und sich am neuen Wohnort rasch<br />

einzuleben. Das Fest der Kulturen,<br />

die Präsenz am Dorfmarkt und am<br />

Weihnachtsmarkt bieten Möglichkeiten<br />

für Kontakt und Gespräche in<br />

lockerer Atmosphäre. Die sprachlichen<br />

Voraussetzungen können im<br />

Sprachkursangebot Deutsch für<br />

Fremdsprachige der Schule Dietlikon<br />

erworben werden. Wichtig sei<br />

es, betont Sabine Albrecht, ausländische<br />

Eltern frühzeitig zu erreichen<br />

und über unser Schulsystem zu informieren,<br />

um spätere Schulschwierigkeiten<br />

zu verhindern.<br />

Situation in Wangen-Brüttisellen<br />

Das bestätigt auch Arun Müller, der<br />

Abteilungsleiter Gesellschaft in<br />

Wangen-Brüttisellen. Die Schule<br />

sei ein wichtiger Faktor für gute Integration.<br />

Wenn Kinder mit Mankos<br />

eingeschult würden, könne dies negative<br />

Konsequenzen für ein ganzes<br />

Leben mit sich bringen. Obwohl<br />

sich der Gemeinderat 2011 gegen<br />

eine Teilnahme am Kantonalen Integrationsprojekt<br />

ausgesprochen<br />

hatte, sieht man Handlungsbedarf,<br />

hauptsächlich im Schulbereich.<br />

2017 wurde das Förderprogramm<br />

«Lückenlos» verabschiedet. Damit<br />

soll die Erziehungskompetenz von<br />

Eltern mit Kindern im Vorschulalter<br />

gestärkt, die soziale Integration<br />

und die Vorbereitung der Kinder<br />

auf Kindergarten und Schule verbessert<br />

werden. Alle Eltern werden<br />

zwei Jahre vor Beginn des Kindergartens<br />

in einem Schreiben auf die<br />

Anforderungen von Chindsgi und<br />

Schule hingewiesen. Eine persönliche<br />

Kontaktaufnahme soll anschliessend<br />

helfen, mögliche Probleme<br />

frühzeitig zu erkennen.<br />

Neuzuzüger in Wangen-Brüttisellen<br />

erhalten die Broschüre «Wegweiser»<br />

als Willkommensgruss der Gemeinde.<br />

Sie wird von der Jugend- und Fa-<br />

Mit vielen verschiedenen Aktionen und Ideen reichen Vereine und<br />

Gemeinden Menschen aus aller Welt die Hand.<br />

milienkommission herausgegeben,<br />

in der Delegierte der Gemeinde, der<br />

Kirchen, der Jugendarbeit, der Schule<br />

und Elternschaft mitarbeiten. Der<br />

«Wegweiser» informiert über die<br />

vielen Vereine und Anlässe im Ort,<br />

die einen wichtigen Integrationsfaktor<br />

darstellen. Weiter lädt die<br />

Gemeinde alle zwei Jahre die neuen<br />

Mitbürger zu einem Informationsanlass<br />

im Gemeindehaus ein.<br />

Hier das noble, noch etwas ländliche<br />

Wangen mit hübschem Dorfkern<br />

und exklusiven Wohnlagen<br />

am Sonnenhang, dort das von<br />

Durchgangsstrasse und Autobahn<br />

zerrissene, industrielle Brüttisellen<br />

mit weniger attraktivem aber günstigerem<br />

Wohnraum bieten natürlich<br />

auch die Schwierigkeit von unterschiedlichen<br />

Soziostrukturen der<br />

Bevölkerung, die für Integrationsbemühungen<br />

unter einen Hut<br />

gebracht werden müssen.<br />

Erfahrungen einer Kulturvermittlerin<br />

Es sei eine schwierige Zeit gewesen,<br />

berichtet Arulmoli Ketheeswaran<br />

aus Sri Lanka, als sie 1998 zu<br />

ihrem Mann in die Schweiz kam. In<br />

Colombo hatte sie die Matura bestanden<br />

und Ökonomie studiert.<br />

Hier musste sie ganz von vorne anfangen<br />

und sich in der fremden<br />

Umgebung ohne Unterstützung zurechtfinden.<br />

Die kommunikative<br />

Powerfrau besuchte neben der<br />

schlecht bezahlten Arbeit einen<br />

Deutschkurs, der sie ihr halbes Salär<br />

kostete. «Für meinen kleinen<br />

Sohn», erzählt sie, «fand ich zum<br />

Glück bald eine Schweizer Tagesmutter,<br />

die mich unterstützte und<br />

mir half, mein Deutsch zu verbessern.<br />

Jetzt werden Migranten in ihren<br />

Integrationsbemühungen viel<br />

besser unterstützt.» Daran leistet<br />

sie heute ihren Anteil.<br />

Für ihr Einbürgerungsgespräch<br />

wurde sie vor zehn Jahren von Sabine<br />

Albrecht eingeladen, die von<br />

ihr so beeindruckt war, dass sie<br />

Arulmoli Ketheeswaran 2013 ins<br />

mittlerweile rund 20-köpfige Kulturvermittlerteam<br />

holte. Da arbeitet<br />

sie mit Begeisterung mit und fühlt<br />

sich im vielsprachigen Team wohl.<br />

«Ich liebe die Schweiz, speziell<br />

Dietlikon mit seinen guten ÖV-Verbindungen,<br />

den Einkaufsmöglichkeiten,<br />

der guten Schule, wo mein<br />

Sohn die Sek A besucht hat, und den<br />

netten Leute hier. Hier möchte ich<br />

den Migrantinnen und Migranten<br />

helfen, auf eigenen Füssen zu<br />

stehen und nicht von Sozialhilfe<br />

abhängig zu sein. Wenn sie nicht<br />

integriert sind, werden auch ihre<br />

Kinder Schwierigkeiten haben.»<br />

Wie Integration und<br />

Arbeitsmarkt zusammenhängen<br />

Eine gute Integration verhelfe laut<br />

Arulmoli Ketheeswaran zu besserem<br />

Zugang auf dem Arbeitsmarkt,<br />

zu besserer Lebensqualität und<br />

letztlich auch zu weniger Kriminalität.<br />

Oft betreut sie ihre Klienten<br />

freiwillig über das Erstgespräch<br />

hinaus, weil sich immer neue Fragen<br />

ergeben. «Im ersten Kontakt<br />

geht es meist um das Gesundheitswesen<br />

mit der obligatorischen<br />

Krankenversicherung, die Steuern,<br />

den Arbeitsmarkt, das Schulsystem<br />

und mir liegt das Abfallrecycling<br />

am Herzen. Später folgen dann die<br />

Details, vom Führerschein bis zum<br />

Hallenbadabo», berichtet sie.<br />

Die Freude an dieser Arbeit ist ihr<br />

anzusehen und ihr Wunsch ist es,<br />

dass Migranten vom ersten Tag in<br />

der Schweiz an kostenlos Deutsch<br />

lernen können, sich hier willkommen<br />

fühlen und sich schnell und<br />

problemlos integrieren. Dann können<br />

sie später einmal ihren Kindern<br />

erklären, worum es bei der nächsten<br />

Volksabstimmung geht, so wie es<br />

Arulmoli Ketheeswaran heute stolz<br />

und voller Selbstvertrauen tun kann.

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