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Berlin-Brandenburgisches Handwerk <strong>10</strong> I 20<strong>18</strong><br />
I 17<br />
Foto: Johann Erhard/Fotolia<br />
Verhandlung vor Gericht. So können<br />
die Parteien in der Regel schneller und<br />
unbürokratischer eine Lösung des Streits<br />
herbeiführen", erläutert er. Vieles, was<br />
zur Klärung eines Konflikts beitragen<br />
kann, steht nicht in den Akten. Deshalb<br />
fragt Michael Ernst nach und schlägt<br />
dann eine gerechte Lösung vor.<br />
Beisitzer mit Fachkenntnissen<br />
Häufig stellt er fest, dass Betriebe vor<br />
einer Kündigung keine Abmahnung für<br />
ein bestimmtes Fehlverhalten ausgesprochen<br />
bzw. Fristen nicht eingehalten<br />
haben. Oder im Kündigungsschreiben<br />
fehlt der genaue Kündigungsgrund. Aus<br />
diesen formalen Gründen muss er Kündigungen<br />
für unwirksam erklären. Oft<br />
aber rückt er respektlosen Lehrlingen<br />
mit deutlichen Worten den Kopf zurecht,<br />
weil sie häufig zu spät kommen, viele<br />
Fall aus der Praxis<br />
Selten sind Fälle so kompliziert wie diese<br />
fristlose Kündigung eines Auszubildenden<br />
aus dem Baugewerbe. Es stehen<br />
schwere Vorwürfe im Raum: rassistische<br />
Beleidigung, aggressives Verhalten und<br />
Handgreiflichkeiten. Der junge Mann<br />
mit asiatischen Wurzeln erhielt sieben<br />
Wochen vor Beendigung<br />
des Lehrverhältnisses<br />
die fristlose Kündigung.<br />
Er wandte<br />
sich an den Ausschuss<br />
für Lehrlingsstreitigkeiten, es geht um<br />
Zahlungs- und Urlaubsansprüche. Ein<br />
Anwalt der Gewerkschaft vertrat ihn bei<br />
der Schlichtung. Michael Ernst, Richter<br />
am Arbeitsgericht Berlin, findet den<br />
Zeitpunkt der Kündigung problematisch<br />
und hakt auf Seite des Ausbilders nach:<br />
Warum sollte der Azubi die Prüfung<br />
nicht mehr beenden?<br />
Er habe sich mehrmals aggressiv verhalten<br />
gegenüber den Mitarbeitern der<br />
Schule, sei bekannt für sein aufbrausendes,<br />
respektloses Auftreten, begründet<br />
die mit anwesende Personalchefin.<br />
Bei der praktischen Prüfung eskalierte<br />
Fehlzeiten haben und ihre Pflichten<br />
nicht ernst nehmen.<br />
Als Beisitzer gehören dem Ausschuss<br />
ehrenamtlich je ein Vertreter der Arbeitgeber-<br />
und der Arbeitnehmerseite an.<br />
Sie kommen aus dem gleichen Gewerk<br />
wie die Antragssteller bzw. -gegner und<br />
beraten den Richter vor allem mit ihrer<br />
Sachkenntnis in fachlichen Fragen.<br />
Im vergangenen Jahr tagte der Ausschuss<br />
für Lehrlingsstreitigkeiten 33 Mal.<br />
In 24 Schlichtungen wurden Anträge<br />
wegen ausgesprochener fristloser Kündigungen<br />
verhandelt, vier Mal ging es um<br />
offene Forderungen. Im Ergebnis wurden<br />
19 Vergleiche erzielt, in zehn Fällen wurden<br />
die Anträge zurückgezogen. Bei vier<br />
Verhandlungen konnte keine Einigung<br />
erzielt werden, die Parteien können ihren<br />
Streit vor Gericht fortsetzen. wo<br />
Schule nimmt fristlose Kündigung<br />
kurz vor Ausbildungsende zurück<br />
der Streit, fasste Richter Ernst aus den<br />
vorliegenden Stellungnahmen zusammen.<br />
Weil der Azubi seinen eigenen<br />
Hammer vergessen hatte, nahm er ein<br />
Werkzeug von einem anderen Tisch, ihm<br />
wurde Diebstahl vorgeworfen. Auf dem<br />
Weg zur Aussprache beim Meister stieß<br />
er Türen heftig auf und dem Ausbilder<br />
fast vor den Kopf, der ihn daraufhin im<br />
Genick packte und vor sich herschob.<br />
Beschimpfungen von beiden<br />
Seiten sei dann die Kündigung<br />
gefolgt. Seine<br />
Aggressionen in der<br />
Schule sind nicht zu<br />
rechtfertigen,<br />
ermahnte der Richter den jungen<br />
Mann. Aber auch dem Ausbilder warf<br />
er Fehlverhalten vor. Die praktische<br />
Prüfung hatte der Azubi bestanden, die<br />
theoretische will er im Dezember an<br />
einer anderen Schule nachholen.<br />
Beide Seiten einigten sich auf eine<br />
Rücknahme der fristlosen Kündigung<br />
und die einvernehmliche Beendigung<br />
des Vertrags. Noch offene Urlaubstage<br />
werden abgegolten. <br />
wo<br />
Richter Michael Ernst:<br />
„Ich beurteile nicht"<br />
Mit welchen Fällen haben Sie am häufigsten<br />
zu tun?<br />
Michael Ernst: Mit Kündigungsrechtsfällen,<br />
in etwa 90 Prozent hat ein Betrieb<br />
seinem Azubi gekündigt. An zweiter Stelle<br />
geht es um ausstehende Zahlungen.<br />
Ihre Erfolgsquote ist hoch: 2017 haben<br />
sich in knapp 80 Prozent aller Verfahren<br />
beide Seiten geeinigt. Oft nimmt ein<br />
Betrieb die Kündigung zurück, warum?<br />
Wenn formale Fehler vorliegen. Erfährt<br />
der Ausbilder vom Fehlverhalten des Lehrlings,<br />
hat er 14 Tage Zeit, zu reagieren.<br />
Die Kündigung muss schriftlich erfolgen<br />
und den Grund genau benennen.<br />
In vielen Fällen bedarf es zuvor einer<br />
Abmahnung. Dem Azubi nur wiederholtes<br />
Fehlverhalten vorzuwerfen, reicht nicht.<br />
Wie gehen Sie vor?<br />
Bei einer Schlichtung soll außergerichtlich<br />
ein Kompromiss gefunden werden.<br />
Ich beurteile nicht zwingend, wer recht<br />
hat. Aber ich mache mir anhand der Akten<br />
ein Bild und lasse mir einen bestimmten<br />
Sachverhalt noch einmal schildern.<br />
Und wenn jemand keine Einigung will?<br />
Dann entscheidet der Schlichtungsausschuss.<br />
Antragsteller und -gegner können<br />
den Schlichterspruch annehmen und das<br />
Verfahren endet einvernehmlich, oder sie<br />
lehnen ab und gehen vor Gericht.<br />
Welche Vorteile hat eine Schlichtung?<br />
Laut Gesetz genießen Auszubildende<br />
mehr rechtlichen Schutz als Arbeitnehmer.<br />
Vor Gericht wird oft gestritten, wie<br />
etwas abgelaufen ist. Bei einer Schlichtung<br />
räumen beide Seiten Fehlverhalten<br />
ein, es geht schnell voran. Außerdem<br />
entstehen keine Kosten – vor Gericht<br />
schon. Da können schnell Anwalts- und<br />
Verfahrenskosten auflaufen, während<br />
Ausbildungsvergütungen und andere<br />
Beträge weitergezahlt werden müssen.<br />
Es ist im Interesse aller, sich schnell zu<br />
einigen.<br />
Interview: Marina Wolf