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Dompfarrbrief 3/2018

Pfarrbrief der Dompfarre Linz

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in in einer fremden Welt<br />

sich Ester zu Füßen und bittet sie um<br />

sein Leben. Als der König aus dem<br />

Garten zurückkommt, lässt er Haman<br />

abführen und ihn an dem Galgen aufhängen,<br />

den er für Mordechai vorbereitet<br />

hatte. Ester erhält das Haus<br />

Hamans, Mordechai erlangt Zutritt<br />

zum König und dessen Siegelring.<br />

Ester erbittet vom König die Rücknahme<br />

der Anordnung, die Juden zu<br />

töten. Die Juden erhalten überdies die<br />

Erlaubnis, sich zusammenzutun und<br />

die zu töten, die sie bedrängt hatten,<br />

und ihren Besitz zu plündern.<br />

Zur Überlieferung<br />

Das Buch Ester – wie es in unserer<br />

Bibel steht – ist in einigen Teilen nur<br />

in griechischer Sprache überliefert.<br />

Wer nachliest, wird merken, dass bei<br />

einigen Versen die Zählung nicht in<br />

arabischen Ziffern, sondern in Kleinbuchstaben<br />

erfolgt; z. B. 1,1a-r;<br />

3,13a-g; 4,17a-z; 5,1a-f.2a-b; 8,12ax;<br />

10,3a-i. Diese Teile befinden sich<br />

nicht in der hebräischen Bibel, sind<br />

aber in der sog. Septuaginta, der von<br />

Juden im 2. Jh. v. Chr. verfassten<br />

Übersetzung der Bibel ins Griechische,<br />

enthalten. Die katholischen Bibelausgaben<br />

orientieren sich in ihrem<br />

Umfang an der Septuaginta, die Luther-Bibel<br />

(revidierte Ausgabe von<br />

2017) hat diese sog. Apokryphen (katholische<br />

Bibelwissenschafter sprechen<br />

von den deuterokanonischen<br />

Schriften) als Anhang zum ursprünglich<br />

hebräisch verfassten Alten Testament.<br />

Unter diesen „Apokryphen“<br />

sind die o.a. Stücke zum Buch Ester<br />

zu finden.<br />

Ein „Gott-loses“ Buch<br />

Im hebräischen Esterbuch kommt das<br />

Wort Gott, auch der Eigenname Gottes<br />

(JHWH) nicht vor. Der gläubige<br />

Leser erkennt auch das Wirken Gottes<br />

hinter dem Erzählten, ohne dass<br />

das Wort Gott gebraucht würde. Das<br />

Vertrauen auf Gott ist eine Gegebenheit,<br />

die nicht immer im Mund ge-<br />

Ausschnitt einer megilla (Ester-rolle) aus italien<br />

führt werden muss. Es zeigt auch,<br />

dass es ein verantwortliches Handeln<br />

des Menschen gibt, bis hin zu einem<br />

gewissen Risiko. Dieses eigenverantwortliche<br />

Handeln ist in bestimmten<br />

Situationen notwendig. In den griechischen<br />

Ergänzungen, die für die<br />

griechisch sprechenden Juden in<br />

einer andersgläubigen Umwelt notwendig<br />

erschienen, werden ausdrücklich<br />

Gebete zitiert, die Mordechai<br />

bzw. Ester in ihrer Not an Gott richten.<br />

Das Purimfest<br />

Das Buch Ester erzählt die Geschichte,<br />

die zur Einführung des Purimfestes<br />

führte. Es erinnert an die<br />

Rettung der Juden vor der Verfolgung<br />

im Perserreich. Es ist ein fröhliches,<br />

manchmal ausgelassenes Fest mit<br />

Verkleidungen, Geschenken für<br />

Freunde und Arme, mit besonderen<br />

Speisen und viel Wein.<br />

Bei diesem Fest wird das Buch Ester<br />

vorgelesen.<br />

Aus den Verfolgten werden<br />

Verfolger<br />

Im Kapitel 9 des Esterbuches wird erzählt,<br />

dass die Juden ihre Verfolger<br />

zusammentreiben und töten, dass sie<br />

sich aber deren Besitz nicht aneignen.<br />

Ich könnte sagen: „Auch der<br />

Bibel ist nichts Menschliches fremd.“<br />

Offenbar fanden Menschen des Alten<br />

Orients wenig daran, sich an ihrem<br />

Feinden zu rächen. Dass dagegen das<br />

Wort Jesu von der Feindesliebe steht<br />

(Mt 5,43-48) sehe ich als eine der<br />

Spannungen, die als Gegensätze des<br />

Lebens auch in der Heiligen Schrift<br />

aufscheinen.<br />

Ich verstehe Martin Luthers zwiespältige<br />

Einstellung: „Ich bin dem<br />

Buch und Esther so feind, dass ich<br />

wollte, sie wären gar nicht vorhanden;<br />

denn sie judenzen zu sehr, und<br />

haben viel heidnische Unart“. (WA Ti<br />

1,208:30)<br />

Offene Fragen<br />

Offene Fragen<br />

Wie können Menschen ihre religiöse<br />

Überzeugung leben in einer Umwelt,<br />

die nicht religiös oder religionsfeindlich<br />

ist? Wie schaut ein gutes Verhältnis<br />

zwischen einer Mehrheits- und<br />

einer Minderheitsreligion aus? Die<br />

Frage der Toleranz stellt sich nach<br />

der Lektüre des Buchs Ester in einer<br />

neuen Perspektive.<br />

Pfarrer Maximilian Strasser<br />

Von Alfredovic - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18698454.jpg<br />

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<strong>Dompfarrbrief</strong> 3/<strong>2018</strong>

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