Im Blick Nr. 129
Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinden Lippstadt und Benninghausen.
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Vorgelesen<br />
Michael Ondaatje: Kriegslicht<br />
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Martina Finkeldei<br />
„<strong>Im</strong> Jahr 1945 gingen unsere Eltern fort und ließen uns in der Obhut zweier Männer<br />
zurück, die möglicherweise Kriminelle waren.“ So beginnt der neue Roman von Michael<br />
Ondaatje, der mit dem Roman „Der englische Patient“ weltberühmt geworden ist.<br />
14<br />
Nathaniel ist gerade 14, als er mit seiner<br />
älteren Schwester Rachel allein im Nachkriegslondon<br />
zurückgelassen wird. Die<br />
Kinder leben ein relativ ungezwungenes<br />
Leben mit den beiden seltsamen Männern,<br />
dem „Falter“ und dem „Boxer“. Die beiden<br />
sind schillernde Gestalten, die das Haus<br />
mit weiteren seltsamen und geheimnisvollen<br />
Menschen füllen. Der erste Teil des<br />
Romans erzählt diese Zeit in London, das<br />
Erwachsenwerden von Nathaniel unter<br />
diesen ungewöhnlichen Umständen und<br />
das Leben im Nachkriegslondon. Er erlebt<br />
seine erste, unbeschwerte Liebe, schmuggelt<br />
Windhunde auf der Themse und zieht<br />
nachts mit dem Boxer um die Häuser. Er<br />
lernt eine faszinierende Ethnografin kennen<br />
und wird von dem Falter betreut und<br />
beschützt, denn seine Eltern tauchen nicht<br />
mehr auf. Aber er bemerkt auch, dass seine<br />
Welt brüchig ist, dass ihm Gefahr droht<br />
und dass seine Mutter nicht einem normalen<br />
Beruf nachgeht – sie arbeitet als Spionin,<br />
was letztendlich auch ihre Kinder in<br />
große Gefahr bringt.<br />
<strong>Im</strong> zweiten Teil ist die Mutter Jahre später<br />
plötzlich wieder aufgetaucht. Sie lebt in<br />
einem kleinen Häuschen abgeschieden auf<br />
dem Land, versteckt vor den Bedrohungen,<br />
die auf sie lauern. „Meine Sünden sind<br />
vielfältig“, sagt sie einmal zu ihm, und<br />
ihnen fällt sie letztendlich auch zum Opfer,<br />
denn sie wird ermordet. Der inzwischen<br />
erwachsene Sohn begibt sich auf Spurensuche,<br />
er will erfahren, was für eine Frau<br />
seine Mutter war, die er kaum gekannt hat.<br />
So erfahren wir davon, wie sie als Spionin<br />
angeworben wurde, immer tiefer in diese<br />
Tätigkeit rutschte und letztendlich zu einer<br />
kriegswichtigen Agentin im Krieg in Italien<br />
wurde, wobei sie sich natürlich viele Feinde<br />
machte.<br />
Michael Ondaatje öffnet ein breites Panorama<br />
des Krieges aus verschiedenen Perspektiven:<br />
die Nachkriegszeit in England,<br />
die Verstrickungen der Protagonisten, die<br />
familiäre Problematik, die sich damit verbindet.<br />
Der Roman ist ein Spionage- und<br />
Agententhriller, aber auch ein Coming-of-<br />
Age-Roman eines heranwachsenden Jungen,<br />
eine Liebesgeschichte, und ein faszinierendes<br />
Portrait einer jungen Frau in den<br />
Wirren des Krieges.<br />
Das liest sich flüssig und unterhaltsam, in<br />
der wunderbar präzisen und teilweise poetisch<br />
schönen Sprache von Ondaatje, dem<br />
hier wieder ein wunderbares Buch gelungen<br />
ist.<br />
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Lesetipp<br />
Michael Ondaatje<br />
Kriegslicht<br />
HanserVerlag<br />
ISBN 978-3-446-25999-7<br />
320 Seiten | Preis: 24 €