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akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN
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SEE-LEUTE<br />
de Ligny. „Es war wie ein Friedensangebot an<br />
die 1200 Gefangenen, als Ligny beschloss ‚wir<br />
bauen eine Kirche„“, erinnert sich Waibel. Als<br />
Ministrant erlebt er dort in einem Weihnachtsgottesdienst,<br />
was Gefangenschaft ist. „Den Tag<br />
werde ich nie vergessen“, so Waibel.<br />
Mittendrin bei Maggi und GF<br />
Später macht er eine kaufmännische Lehre bei<br />
den Maggi-Werken in Singen, ein „nationalsozialistischer<br />
Musterbetrieb“. Der Einsatz von<br />
Zwangsarbeitern war selbstverständlich. Genau<br />
wie bei rund 20 weiteren Firmen in Singen.<br />
„Etwa jeder 6. Singener war Gefangener oder<br />
Zwangsarbeiter“, erinnert sich Waibel. Später<br />
wechselt er zur Georg Fischer AG (GF). Auch<br />
sie war beteiligt. Waibel wird EDV-Spezialist, arbeitet<br />
sich hoch zum Abteilungsleiter und wird<br />
zum Prokurist ernannt. Zwangsarbeiter gibt es<br />
zu dieser Zeit längst nicht mehr, dennoch lässt<br />
ihn diese Vergangenheit nicht los. Im Gegensatz<br />
zu den Firmen, die zwar Bescheid wissen, aber<br />
ihre Geschichte teilweise bis heute nicht anerkennen.<br />
Ende der 1960er-Jahre beginnt Waibel,<br />
eine Datenbank anzulegen mit Namen von<br />
Zwangsarbeitern, und sucht gezielt nach ihnen.<br />
Jahrelang. Im Umfeld erfährt er wenig Unterstützung,<br />
eher Kopfschütteln. „Ich habe mich selbst<br />
oft gefragt, was ich da tue. Ob es den Aufwand<br />
wert ist, aber es hat mich nicht losgelassen“, so<br />
der heute 84-Jährige. Im Dokumentarfilm wird<br />
es später heißen, Waibel habe vor 50 Jahren zufällig<br />
eine Kiste mit rund 1500 Personalakten<br />
gefunden. „Doch so einfach war das nicht“,<br />
erklärt Waibel, der aber Verständnis zeigt, dass<br />
Regisseur Marcus Welsch die Geschichte nur<br />
sehr gestrafft darstellen kann. Tatsache ist, dass<br />
er als leitender Angestellter Zugang zu den Kellerräumen<br />
der GF hatte, in dem sich Archive für<br />
1<br />
seine Abteilung befanden – und eben auch andere.<br />
Er beginnt, gezielt zu suchen. Er findet<br />
schließlich auch in der Eisenbibliothek der GF<br />
in Schaffhausen viele brauchbare Dokumente.<br />
Wissend, dass er seinen Job riskieren könnte,<br />
recherchiert er dennoch weiter. Es geht um die<br />
Verstrickung der deutschen und Schweizer Industrie<br />
in lukrative Aufträge für die Wehrmacht.<br />
Und er möchte Versöhnung zwischen den ehemaligen<br />
Feinden. Die ist ihm gelungen. Rund<br />
150 Briefe schreibt er Ende der 1970er-Jahre<br />
an vorgefundene Adressen ehemaliger Zwangsarbeiter.<br />
Nach Russland, nach Polen, in die<br />
Ukraine. Die Kommunikation in den Osten ist<br />
mühsam. „Viele Briefe kamen nie an“, berichtet<br />
er. Doch er gibt nicht auf. Reist elf Mal ins<br />
ukrainische Kobeljaki, woraus später auch die<br />
Städtepartnerschaft mit Singen entsteht. Bei<br />
seinen ersten Aufenthalten begegnet man ihm<br />
noch mit viel Zurückhaltung. „Erst beim dritten<br />
oder vierten Mal konnte ich z.B. die Veteranen<br />
der Roten Armee treffen.“ Schließlich gelingt<br />
es ihm auch, zwei ehemalige deutsche Soldaten<br />
aus Singen mit nach Kobeljaki zu nehmen.<br />
„Dann war das Eis gebrochen.“ Ein bewegender<br />
Moment, als die Männer sich versöhnend in den<br />
Arm nehmen.<br />
Endlich Anerkennung<br />
Bis heute pflegt Waibel die Kontakte. Vor<br />
drei Jahren wurde er für seinen Einsatz für die<br />
Stadtgeschichte und Völkerverständigung zum<br />
Ehrenbürger von Singen ernannt. „Mir wurden<br />
nicht selten Auskünfte verweigert, weil ich kein<br />
studierter Historiker bin. Die Ehrenbürgerschaft<br />
hat mir Türen geöffnet.“ Dass der 1969 in Singen<br />
geborene Regisseur Marcus Welsch jetzt<br />
seine Geschichte verfilmt hat, ehrt ihn zudem.<br />
Neben Welsch ist vor allem Frau Dr. Carmen<br />
Scheide vom Förderverein Theresienkapelle Singen<br />
e.V. eine massive Säule der Filmentstehung.<br />
„Der Chronist“ zeigt Waibels Arbeit mit Erinnerungen<br />
der letzten noch lebenden Zwangsarbeiter<br />
und rekonstruiert die außergewöhnliche<br />
Geschichte der Versöhnung zwischen ehemaligen<br />
Feinden.<br />
21.01.<br />
Der Chronist – Dokumentarfilm,<br />
Audimax Universität Konstanz<br />
Universitätsstraße 10, D-78464 Konstanz<br />
www.uni-konstanz.de/international-office<br />
Förderverein<br />
Theresienkapelle Singen e.V.<br />
+49 (0)7731 82 71 044<br />
theresienkapellesingen.wordpress.com<br />
TEXT: TANJA HORLACHER, FOTOS: <strong>BO</strong>RIS VYAZOVSKIY<br />
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