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Heimat-Rundblick 127

Regionalmagazin für Kultur und Geschichte

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Reiche Bremer im Jahre 1917<br />

Osterdeich- Villen<br />

Das Bremische Jahrbuch, Bd. 78 aus<br />

dem Jahr 1999, herausgegeben vom<br />

Staatsarchiv Bremen, enthält u.a. einen<br />

Artikel von Dr. Günther Rohdenburg mit<br />

dem ambivalenten Titel „Straßen der Millionäre“.<br />

Dr. Rohdenburg war zum Zeitpunkt<br />

dieses Artikels Mitarbeiter beim<br />

Staatsarchiv Bremen und hatte so einen<br />

profunden Überblick über die Archivalien.<br />

Er hat eine Liste über „Vermögen von über<br />

100.000,- Mark aus dem Jahre 1918“ mit<br />

personenbezogenen Daten ausgewertet.<br />

Bevor ich auf diese Personen eingehe,<br />

soll vorweg die steuerliche Situation in Bremen<br />

geschildert werden. Das Jahr 1876<br />

brachte eine einschneidende Veränderung<br />

mit der Regelung der Vermögenssteuer.<br />

Bis dahin wurde diese Steuer als „Schoß“<br />

bezeichnet, eine Steuerform, die seit dem<br />

frühen Mittelalter existierte. Bei dem<br />

Schoß wurde die Abgabe vom Bürger<br />

selbst eingeschätzt und geheim ohne Kontrolle<br />

bezahlt. Die Höhe des Schosses<br />

wurde von Zeit zu Zeit geändert und dem<br />

Bedarf angepasst. Nach 1876 war das Vermögen<br />

von jeder Steuer befreit, und das<br />

für 41 Jahre bis 1917. Es galten hier sozialpolitische<br />

Überlegungen, die Ernst-Ulrich<br />

Huster in seinem Buch „Reichtum in<br />

Deutschland“. Frankfurt 1993 so formuliert:“<br />

Werden die Reichen in einer Gesellschaft<br />

als die dynamischen Wettbewerber<br />

und Verursacher des allgemeinen Wohlstands<br />

identifiziert oder umgekehrt, wird<br />

Reichtum als Belohnung für Mühe und<br />

produktiven Einsatz verstanden, dann ist<br />

ein schonender Umgang mit den Reichen<br />

geboten.“ Diese Aussage spielt noch heute<br />

bei der Steuerdiskussion eine Rolle.<br />

Das neue Steuergesetz wurde am 2. Mai<br />

1917 vor allem auch unter dem Eindruck<br />

der erdrückenden Kriegslast von der Bremischen<br />

Bürgerschaft beschlossen.<br />

Bedingt durch dieses neue Vermögensteuer<br />

Gesetz ist es zu der o.g. Liste<br />

gekommen, deren Auswertung sich auf<br />

2053 Personen aus Bremen und Vegesack<br />

bezieht. Die anderen Stadtteile von Bremen-<br />

Nord gehörten zum damaligen Zeitpunkt<br />

zu Preußen. In Bremerhaven war<br />

kein Millionär verzeichnet.<br />

Rohdenburg:“ Die Vermögensstruktur<br />

Bremens bis 1918 ist noch ein Abbild der<br />

traditionellen Wirtschaft, die moderne Zeit<br />

beginnt sich erst langsam durchzusetzen.“<br />

Die für Bremen klassischen Bereiche sind<br />

der Handel, industrielle sowie schifffahrtsbedingte<br />

Berufe sind noch selten. Die<br />

Namen auf der Bremer Vermögenssteuerliste<br />

lesen sich wie die Ansammlung von<br />

Leuten „Who is who?“ Hier findet man<br />

sämtliche bekannte Bremer Familien wieder:<br />

Achelis, Delius, Hoffmann,Kulenkampff,<br />

Melchers, Schütte und Wolde.<br />

Diese sieben Familien vereinen 22,3% des<br />

Vermögens der Millionäre auf sich.<br />

Die 10 reichsten Bremer Personen sind:<br />

Stephanie Deetjen (10,6 Mill.), Carl Theodor<br />

Melchers (9,3 Mill.), Paul Isenberg<br />

Wwe. (9,0 Mill.), Hermann Melchers (8,4<br />

Mill.), Adolf Lackemann (7,9 Mill.), H. Ed.<br />

Wätjen (7,6 Mill.), St. C. Michaelsen (7,5<br />

Mill.), B. Marwede Wwe. (7,0 Mill.), Friedrich<br />

Möller (5,6 Mill.), Franz Schütte<br />

Wwe. (5,1 Mill.) . Als Millionäre werden<br />

weiter aufgeführt die Senatoren Bömers<br />

und Lürmann sowie der Bürgermeister<br />

Barkhausen. Da viele Listeneinträge ohne<br />

Berufsangaben gemacht worden sind, ist<br />

die o. g. Liste wahrscheinlich unvollständig.<br />

Demnach ist der reichste Bremer eine<br />

Frau: Stephanie Deetjen. Sie ist die Tochter<br />

des Kaufmanns Johann Friedrich Gustav<br />

Deetjen (1833- 1910) und seiner Ehefrau<br />

Elisabeth Deetjen, geb. Lürmann (1834-<br />

1865). Der Frauenanteil an der Anzahl der<br />

Millionäre beträgt 16,6%, wobei es sich<br />

hier hauptsächlich um Witwen handelt.<br />

Die Wohnorte der Millionäre verteilen<br />

sich über die ganze Stadt auf ca. 35<br />

Straßen. Für den Ortsteil Vegesack wird ein<br />

Millionär genannt, wohnhaft in der Weserstraße.<br />

Gleichwohl konzentrieren sie sich<br />

in einigen wenigen Straßen, die besonders<br />

im Ostertorviertel liegen; es sind dies insbesondere<br />

die Contrescarpe, die Kohlhökerstraße,<br />

der Osterdeich, die Holler<br />

Allee östlich des Sterns, die Blumenthalstraße<br />

zwischen Bahnhof und Bürgerpark<br />

sowie der Dobben. Die reichsten Bremer<br />

wohnten in der Contrescarpe und in der<br />

Kohlhökerstraße, die anderen Straßen landen<br />

abgeschlagen dahinter.<br />

Eine Sonderstellung besitzt die Bremer<br />

Familie Melchers, wohnhaft in der Georgstraße.<br />

Diese Straße gibt es heute nicht<br />

mehr, sie ist in der Bürgermeister- Smidt-<br />

Straße aufgegangen. Das Haus der reichsten<br />

Bremer Familie lag hinter dem Hillmanns-<br />

Hotel am Wall mit Blick auf die<br />

Mühle. Ihr Vermögen betrug ein Zwanzigstel<br />

aller Vermögen der Millionäre.<br />

Nach Berufsangaben geordnet, entstammen<br />

3,4% der Vermögen der Millionäre<br />

dem industriellen Bereich (Fabrikant,<br />

Fabrikbesitzer, Steinbruchbesitzer,<br />

Bauunternehmer). Aus dem Bereich der<br />

Schifffahrt entstammen nur der Direktor<br />

des NDL (Philipp Heineken) sowie der<br />

Schiffsmakler Specht dem Kreis der Millionäre<br />

mit nur 0,7% des Vermögens der<br />

Millionäre. Der Dienstleistungsbereich<br />

weist mit 5,6% wesentlich mehr Millionäre<br />

aus ( Architekt, Arzt, Bankier, Bankdirektor,<br />

Bürgermeister, Geschäftsführer, Kaufmann,<br />

Makler, Prokurist, Rechtsanwalt,<br />

Regierungsrat, Richter, Senator). Die<br />

Gruppe der Landwirte ist wegen der<br />

damaligen Bedeutung des Grundbesitzes<br />

ebenfalls noch stark vertreten.<br />

Diese Vermögensaufstellung kann<br />

jedoch nur eine Momentaufnahme aus<br />

dem Jahr 1918 gewesen sein. Veränderungen<br />

der Vermögen standen mit dem verlorenen<br />

1. Weltkrieg bevor: mit der Aufhebung<br />

der Golddeckung ging man zum<br />

Papiergeld über, was 1923 zur Hyperinflation<br />

führte. Diese Inflation konnte durch<br />

die Einführung der Rentenmark, ab 1924<br />

nach Wiedereinführung der Golddeckelung<br />

mit der Reichsmark, gestoppt<br />

werden. Bis zur Weltwirtschaftskrise im<br />

Jahre 1929 war die Reichsmark stabil.<br />

Während der Zeit des Nationalsozialismus<br />

kam es zu einer sog. verdeckten Inflation,<br />

die Reichsmark wurde wertlos. Nach<br />

dem Krieg wurde 1948 die Deutsche Mark<br />

eingeführt.<br />

Quellen:<br />

Dr. Günther Rohdenburg: ‚Straßen der Millionäre‘,<br />

aus Bremisches Jahrbuch,<br />

Bd.78, 1999, S. 201- 214.<br />

Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen<br />

Lexikon L- Z, 2003, Edition Temmen<br />

Dr. Hans Christiansen<br />

RUNDBLICK Winter 2018<br />

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