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Reiche Bremer im Jahre 1917<br />
Osterdeich- Villen<br />
Das Bremische Jahrbuch, Bd. 78 aus<br />
dem Jahr 1999, herausgegeben vom<br />
Staatsarchiv Bremen, enthält u.a. einen<br />
Artikel von Dr. Günther Rohdenburg mit<br />
dem ambivalenten Titel „Straßen der Millionäre“.<br />
Dr. Rohdenburg war zum Zeitpunkt<br />
dieses Artikels Mitarbeiter beim<br />
Staatsarchiv Bremen und hatte so einen<br />
profunden Überblick über die Archivalien.<br />
Er hat eine Liste über „Vermögen von über<br />
100.000,- Mark aus dem Jahre 1918“ mit<br />
personenbezogenen Daten ausgewertet.<br />
Bevor ich auf diese Personen eingehe,<br />
soll vorweg die steuerliche Situation in Bremen<br />
geschildert werden. Das Jahr 1876<br />
brachte eine einschneidende Veränderung<br />
mit der Regelung der Vermögenssteuer.<br />
Bis dahin wurde diese Steuer als „Schoß“<br />
bezeichnet, eine Steuerform, die seit dem<br />
frühen Mittelalter existierte. Bei dem<br />
Schoß wurde die Abgabe vom Bürger<br />
selbst eingeschätzt und geheim ohne Kontrolle<br />
bezahlt. Die Höhe des Schosses<br />
wurde von Zeit zu Zeit geändert und dem<br />
Bedarf angepasst. Nach 1876 war das Vermögen<br />
von jeder Steuer befreit, und das<br />
für 41 Jahre bis 1917. Es galten hier sozialpolitische<br />
Überlegungen, die Ernst-Ulrich<br />
Huster in seinem Buch „Reichtum in<br />
Deutschland“. Frankfurt 1993 so formuliert:“<br />
Werden die Reichen in einer Gesellschaft<br />
als die dynamischen Wettbewerber<br />
und Verursacher des allgemeinen Wohlstands<br />
identifiziert oder umgekehrt, wird<br />
Reichtum als Belohnung für Mühe und<br />
produktiven Einsatz verstanden, dann ist<br />
ein schonender Umgang mit den Reichen<br />
geboten.“ Diese Aussage spielt noch heute<br />
bei der Steuerdiskussion eine Rolle.<br />
Das neue Steuergesetz wurde am 2. Mai<br />
1917 vor allem auch unter dem Eindruck<br />
der erdrückenden Kriegslast von der Bremischen<br />
Bürgerschaft beschlossen.<br />
Bedingt durch dieses neue Vermögensteuer<br />
Gesetz ist es zu der o.g. Liste<br />
gekommen, deren Auswertung sich auf<br />
2053 Personen aus Bremen und Vegesack<br />
bezieht. Die anderen Stadtteile von Bremen-<br />
Nord gehörten zum damaligen Zeitpunkt<br />
zu Preußen. In Bremerhaven war<br />
kein Millionär verzeichnet.<br />
Rohdenburg:“ Die Vermögensstruktur<br />
Bremens bis 1918 ist noch ein Abbild der<br />
traditionellen Wirtschaft, die moderne Zeit<br />
beginnt sich erst langsam durchzusetzen.“<br />
Die für Bremen klassischen Bereiche sind<br />
der Handel, industrielle sowie schifffahrtsbedingte<br />
Berufe sind noch selten. Die<br />
Namen auf der Bremer Vermögenssteuerliste<br />
lesen sich wie die Ansammlung von<br />
Leuten „Who is who?“ Hier findet man<br />
sämtliche bekannte Bremer Familien wieder:<br />
Achelis, Delius, Hoffmann,Kulenkampff,<br />
Melchers, Schütte und Wolde.<br />
Diese sieben Familien vereinen 22,3% des<br />
Vermögens der Millionäre auf sich.<br />
Die 10 reichsten Bremer Personen sind:<br />
Stephanie Deetjen (10,6 Mill.), Carl Theodor<br />
Melchers (9,3 Mill.), Paul Isenberg<br />
Wwe. (9,0 Mill.), Hermann Melchers (8,4<br />
Mill.), Adolf Lackemann (7,9 Mill.), H. Ed.<br />
Wätjen (7,6 Mill.), St. C. Michaelsen (7,5<br />
Mill.), B. Marwede Wwe. (7,0 Mill.), Friedrich<br />
Möller (5,6 Mill.), Franz Schütte<br />
Wwe. (5,1 Mill.) . Als Millionäre werden<br />
weiter aufgeführt die Senatoren Bömers<br />
und Lürmann sowie der Bürgermeister<br />
Barkhausen. Da viele Listeneinträge ohne<br />
Berufsangaben gemacht worden sind, ist<br />
die o. g. Liste wahrscheinlich unvollständig.<br />
Demnach ist der reichste Bremer eine<br />
Frau: Stephanie Deetjen. Sie ist die Tochter<br />
des Kaufmanns Johann Friedrich Gustav<br />
Deetjen (1833- 1910) und seiner Ehefrau<br />
Elisabeth Deetjen, geb. Lürmann (1834-<br />
1865). Der Frauenanteil an der Anzahl der<br />
Millionäre beträgt 16,6%, wobei es sich<br />
hier hauptsächlich um Witwen handelt.<br />
Die Wohnorte der Millionäre verteilen<br />
sich über die ganze Stadt auf ca. 35<br />
Straßen. Für den Ortsteil Vegesack wird ein<br />
Millionär genannt, wohnhaft in der Weserstraße.<br />
Gleichwohl konzentrieren sie sich<br />
in einigen wenigen Straßen, die besonders<br />
im Ostertorviertel liegen; es sind dies insbesondere<br />
die Contrescarpe, die Kohlhökerstraße,<br />
der Osterdeich, die Holler<br />
Allee östlich des Sterns, die Blumenthalstraße<br />
zwischen Bahnhof und Bürgerpark<br />
sowie der Dobben. Die reichsten Bremer<br />
wohnten in der Contrescarpe und in der<br />
Kohlhökerstraße, die anderen Straßen landen<br />
abgeschlagen dahinter.<br />
Eine Sonderstellung besitzt die Bremer<br />
Familie Melchers, wohnhaft in der Georgstraße.<br />
Diese Straße gibt es heute nicht<br />
mehr, sie ist in der Bürgermeister- Smidt-<br />
Straße aufgegangen. Das Haus der reichsten<br />
Bremer Familie lag hinter dem Hillmanns-<br />
Hotel am Wall mit Blick auf die<br />
Mühle. Ihr Vermögen betrug ein Zwanzigstel<br />
aller Vermögen der Millionäre.<br />
Nach Berufsangaben geordnet, entstammen<br />
3,4% der Vermögen der Millionäre<br />
dem industriellen Bereich (Fabrikant,<br />
Fabrikbesitzer, Steinbruchbesitzer,<br />
Bauunternehmer). Aus dem Bereich der<br />
Schifffahrt entstammen nur der Direktor<br />
des NDL (Philipp Heineken) sowie der<br />
Schiffsmakler Specht dem Kreis der Millionäre<br />
mit nur 0,7% des Vermögens der<br />
Millionäre. Der Dienstleistungsbereich<br />
weist mit 5,6% wesentlich mehr Millionäre<br />
aus ( Architekt, Arzt, Bankier, Bankdirektor,<br />
Bürgermeister, Geschäftsführer, Kaufmann,<br />
Makler, Prokurist, Rechtsanwalt,<br />
Regierungsrat, Richter, Senator). Die<br />
Gruppe der Landwirte ist wegen der<br />
damaligen Bedeutung des Grundbesitzes<br />
ebenfalls noch stark vertreten.<br />
Diese Vermögensaufstellung kann<br />
jedoch nur eine Momentaufnahme aus<br />
dem Jahr 1918 gewesen sein. Veränderungen<br />
der Vermögen standen mit dem verlorenen<br />
1. Weltkrieg bevor: mit der Aufhebung<br />
der Golddeckung ging man zum<br />
Papiergeld über, was 1923 zur Hyperinflation<br />
führte. Diese Inflation konnte durch<br />
die Einführung der Rentenmark, ab 1924<br />
nach Wiedereinführung der Golddeckelung<br />
mit der Reichsmark, gestoppt<br />
werden. Bis zur Weltwirtschaftskrise im<br />
Jahre 1929 war die Reichsmark stabil.<br />
Während der Zeit des Nationalsozialismus<br />
kam es zu einer sog. verdeckten Inflation,<br />
die Reichsmark wurde wertlos. Nach<br />
dem Krieg wurde 1948 die Deutsche Mark<br />
eingeführt.<br />
Quellen:<br />
Dr. Günther Rohdenburg: ‚Straßen der Millionäre‘,<br />
aus Bremisches Jahrbuch,<br />
Bd.78, 1999, S. 201- 214.<br />
Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen<br />
Lexikon L- Z, 2003, Edition Temmen<br />
Dr. Hans Christiansen<br />
RUNDBLICK Winter 2018<br />
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