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10 „Norweger haben ihren eigenen Kopf.“ Henning Kraggerud und die Musik seiner norwegischen Heimat von Sabine Siemon Mit Norwegen verbinden wir ge - meinhin eine überwältigende Landschaft mit grandiosen Fjorden, hohen Gebirgszügen und dem weiten Meer, mit der Mitternachtssonne und monatelanger Dunkelheit, darüber hinaus mit Künstlerpersönlichkeiten wie Henrik Ibsen oder Edvard Grieg. Durch immense Ölfunde vor seiner Küste hat sich Norwegen zu einem der reichsten Länder der Erde entwickelt und kann es sich leisten, nicht EU-Mitglied zu sein. Norwegen hat in den vergangenen Jahrzehnten ein flächendeckendes Netz einer hervorragenden kulturellen Infrastruktur geschaffen, das selbst bis in die entlegensten Landstriche reicht. Der kulturelle Schwerpunkt allerdings liegt auf der norwegischen Hauptstadt Oslo, wo vor kurzem das neue spekta ku - läre Opernhaus Aufsehen erregt hat. Das gesamte nationale Erbe wird mit großem Kunstverstand und Sorgfalt gepflegt, und die be - deutenden norwegischen Künstler ebenso wie viele junge hervorragende Musiker werden wie Nationalhelden verehrt. Außerhalb Skandinaviens kennt man die großartigen Literaten, Komponisten und Musiker leider noch viel zu wenig. Der Geiger Henning Kraggerud, einer der begabtesten jungen norwegischen Musiker, ist auf dem besten Weg, das zu ändern – und sowohl sich selbst als auch un - bekanntere norwegische Kompo- nisten in der internationalen Kulturszene bekannt zu machen. Und es lohnt sich, ihn kennenzulernen. Henning Kraggerud gehört zu den neuen jungen Spitzenmusikern Skandinaviens. Er hat bereits einige erfolgreiche CDs eingespielt und ist regelmäßiger Gast bei renommierten Festivals. Durch sein weiches, ungemein farbiges und durchdachtes Spiel auf seiner Guarneri del Gesu von 1744 und die Vielfalt seiner Klangfarben gewann Henning Kraggerud zahlreiche Auszeichnungen. Sabine Siemon Hat die Musik ihrer Heimat tatsächlich einen speziellen Klang, einen „norwegischen Ton“, und was sind die Charakteristika dieser besonderen Klangkultur? Henning Kraggerud Es gibt einen „norwegischen Ton“ in der Musik. Ich denke, sie ist unerwartet mild in manchen musikalischen Wendungen, sie sucht besondere harmonische Wege, ohne sentimental zu werden. Die norwegische Musik geht mir sehr nah, weil ich ihren Klang aus den Liedern kenne, die mir meine Mutter als Kind vorgesungen hat. Zurzeit gibt es einige norwegische Musiker, die auf dem Weg an die internationale Spitze sind, darunter neben Ihnen die Trompeterin Tine Thing Helseth, die Geigerin Vilde Frang oder den Cellisten Truls Mørk, die auch alle drei in diesem Sommer Konzerte beim Rheingau Musik Festival geben. Gibt es einen Grund für die vielen hervorragenden jungen Musiker aus Norwegen? Gibt es eine besondere Musikausbildung? Norwegen ist großartig, denn die Kinder haben täglich nur ein paar Stunden Schule. Ich ging morgens um 7 Uhr in die Schule und hatte dann oft nur vier bis fünf Stunden Unterricht. Dadurch blieb genug Zeit für andere Dinge! Vielleicht liegt es auch daran, dass Norweger nicht so sehr auf ein
Geigenreigen – „Scandinavian Melodies“ 19.7. Kloster Eberbach, Kreuzgang kammerorchesterbasel Henning Kraggerud, Violine / Leitung Norwegische Melodien für Violine und Streichorchester von Edvard Grieg, Johann Halvorsen, Ole Bull u. a. © Robert Romik System vertrauen. Norweger sind sehr eigenständig und haben ihren eigenen Kopf. So gibt es sehr viele Leute, die Künstler werden möchten, und wir hören nicht wirklich auf unsere Lehrer! Sie haben bei dem Dokumentarfilm Ole Bull Himmelsstürmer über den norwegischen Komponisten Ole Bull mitgespielt. Welche Bedeutung hat diese Persönlichkeit für Sie? Ole Bull ist ein großer Inspirator, weil er immer davon überzeugt war, dass nichts unmöglich ist. Er hat Norwegen als Kulturnation vollkommen verändert. Er war derjenige, der Henrik Ibsen als jungen unbekannten Schriftsteller beauftragt hat, jedes Jahr ein Stück zu schreiben für das erste norwegischsprachige Theater, das Ole Bull gegründet hatte. Er war es auch, der Edvard Grieg dazu überredete, zum Kompositionsstudium nach Leipzig zu gehen. Bull bedauerte, dass er selbst nicht Komposition studiert hatte. Was halten Sie von den deutschsprachigen Komponisten Mozart, Beethoven oder Brahms? Spielen Sie deren Kompositionen genauso gerne wie norwegische Violinkonzerte? Sie sind großartig. Ich liebe sie. Ich bin davon überzeugt, dass man seinem Herzen folgen muss. Du kannst nicht besser sein als du bist. Ob meine Zuhörer trotzdem fühlen können, dass ich Skandinavier bin, kann ich schwer sagen. 11
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