28.02.2019 Aufrufe

März 2019 | Bürgerspiegel

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Interview<br />

Seite 27<br />

schriftlich. Vielleicht ja auch<br />

dem <strong>Bürgerspiegel</strong>, was meinst<br />

Du, Henrie?<br />

Henrie Laib: Auf jeden Fall.<br />

Gerne auch mit alten Fotos.<br />

Sylvia, was hat Dich denn bei<br />

der Recherche besonders fasziniert<br />

oder überrascht?<br />

Sylvia Lott: Abgesehen von<br />

der Schönheit des Loire-Tals<br />

zur Zeit der Rosenblüte – das<br />

Thema ausländische Zwangsarbeiter<br />

in der ostfriesischenoldenburgischen<br />

Landwirtschaft.<br />

Mehr als die Hälfte der<br />

Menschen, die in den letzten<br />

Kriegsjahren auf den Bauernhöfen<br />

gearbeitet haben und<br />

manchmal auch dort direkt<br />

untergebracht waren, Männer<br />

wie Frauen, stammten aus<br />

dem Ausland. Das fand ich<br />

spannend, lehrreich, auch immer<br />

wieder von Irritationen<br />

begleitet.<br />

Henrie Laib: Was irritiert daran?<br />

Sylvia Lott: Es hängt wohl<br />

zum Teil mit dem unterschiedlichen<br />

Sprachgebrauch und<br />

unterschiedlichen Assoziationen<br />

zum Begriff Zwangsarbeit<br />

zusammen. Heute verbinden<br />

wir damit KZ-ähnliche Zustände,<br />

denken an Vernichtung<br />

durch Arbeit. Doch es gab in<br />

sehr vielen, auch kleinen Betrieben<br />

ausländische Arbeitskräfte.<br />

Zur NS-Zeit benutzte<br />

man für sie nicht das Wort<br />

Zwangsarbeiter, sondern „Zivilarbeiter“,<br />

„Fremdarbeiter“<br />

oder „ausländische Arbeiter“.<br />

Heute dagegen werden oft auch<br />

freiwillige Zivilarbeiter oder<br />

Arbeitsdienstleistende pauschal<br />

als „Zwangsarbeiter“<br />

bezeichnet. Wie Nichtdeutsche<br />

damals behandelt wurden, das<br />

umfasst die ganze Bandbreite<br />

des menschlichen Umgangs –<br />

von grausam bis freundschaftlich.<br />

Henrie Laib: „Zivilarbeiter“<br />

sagt also nichts darüber aus,<br />

ob jemand freiwillig oder unfreiwillig<br />

in Deutschland war?<br />

Sylvia Lott: So ist es. Es waren<br />

welche freiwillig mit Arbeitsvertrag<br />

und Rechten und<br />

Pflichten wie Deutsche hier –<br />

wenige, aber es gab auch solche.<br />

Andere sind in ihrem Heimatland<br />

von der Straße weg<br />

bei Patrouillen aufgegriffen<br />

und gegen ihren Willen als<br />

„Zivilarbeiter“ ins Deutsche<br />

Reich verfrachtet worden, darunter<br />

auch Minderjährige.<br />

Die Grenzen verschwimmen<br />

zuweilen, wenn es sich um<br />

Dienstverpflichtungen handelte.<br />

Henrie Laib: Das klingt tatsächlich<br />

kompliziert.<br />

Sylvia Lott: Ja, hinzu kam<br />

noch diese absurde Rangfolge,<br />

die den Wert eines<br />

Menschen nach seiner Nationalität<br />

beziehungsweise<br />

„Rasse“ bestimmte und darüber<br />

entschied, was er durfte<br />

oder nicht. „Westarbeitern“<br />

zum Beispiel wurde mehr Freiheit<br />

zugestanden als „Ostarbeitern“.<br />

Franzosen durften<br />

mehr als russische „Untermenschen“.<br />

Flamen, Holländer<br />

und Norweger waren als<br />

Angehörige germanischer<br />

Völker mehr wert als zum<br />

Beispiel Wallonen oder Italiener...<br />

Henrie Laib: Ist es immer<br />

noch ein heikles Thema?<br />

Sylvia Lott: Ganz gewiss. Es<br />

ist ein Aufregerthema, man<br />

muss sehr fein unterscheiden.<br />

Meine Gesprächspartner haben<br />

zu Beginn meist gezögert,<br />

wenn ich sie nach Zwangsarbeitern<br />

oder Kriegsgefangenen<br />

gefragt habe. Sobald aber von<br />

Sonntag, 30. Juni <strong>2019</strong>:<br />

Lesung aus „Die Rosengärtnerin“<br />

Ort: Literaturcafé im Pfarrheim Barßel, Marienstraße 12., Barßel.<br />

Mit Kaffee und Kuchen.<br />

Beginn: 15 Uhr. Eintritt: 5 Euro.<br />

Voranmeldung zu den Öffnungszeiten der Bücherei unter<br />

Tel. 0 44 99/92 29 32 oder unter kruckemeyer@freenet.de<br />

Weitere Termine von Sylvia Lott unter: www.romane-von-sylvia-lott.de.<br />

„Fremdarbeitern“ die Rede<br />

war und jemand begann, von<br />

„unserem Polen“ zu erzählen,<br />

häuften sich Geschichten, denen<br />

dann immer eher etwas<br />

Privates als etwas Politisches<br />

anhaftete. Erinnerungen an<br />

Wladek, bei dem man als Kind<br />

auf dem Schoß gesessen und<br />

Kraftspiele gelernt hatte, an<br />

den französischen Kriegsgefangenen,<br />

der an seinem freien<br />

Sonntag mit dem Rad die Höfe<br />

abfuhr, um sich mit Haareschneiden<br />

etwas Kleingeld zu<br />

verdienen oder von der Belgierin,<br />

die nach dem Krieg noch<br />

mal zu Besuch gekommen ist,<br />

weil sie als Hausmädchen<br />

quasi mit zur Familie gehört<br />

hatte. Häufig erzählen Bauern,<br />

die Polen hätten mit ihnen<br />

gemeinsam am Tisch gegessen,<br />

obwohl das ausdrücklich<br />

verboten war. Da mag wohl<br />

auch manches nachträglich<br />

geschönt sein. Auf jeden Fall<br />

besteht hier eine Lücke in der<br />

Wahrnehmung und Wissensvermittlung,<br />

die mich immer<br />

wieder verwirrt hat.<br />

Henrie Laib: Und das fließt<br />

alles in den neuen Roman ein?<br />

Sylvia Lott: In den Hintergrund,<br />

ja. Das Thema nimmt<br />

letztlich gar nicht so viel<br />

Raum ein, aber es hat mich<br />

sehr beschäftigt. Mit der<br />

Schilderung von Jeannes Leben<br />

auf dem Südermarschhof<br />

möchte ich keineswegs das<br />

Schicksal von Zwangsarbeitern<br />

verharmlosen. Es handelt<br />

sich um einen Sonderfall, der<br />

so eben auch durchaus hätte<br />

möglich sein können. Sprich:<br />

Obwohl es bei Strafe und Ächtung<br />

verboten war, gab es damals<br />

zwischen Deutschen und<br />

Ausländern auch Liebe.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!