März 2019 | Bürgerspiegel
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Interview<br />
Seite 27<br />
schriftlich. Vielleicht ja auch<br />
dem <strong>Bürgerspiegel</strong>, was meinst<br />
Du, Henrie?<br />
Henrie Laib: Auf jeden Fall.<br />
Gerne auch mit alten Fotos.<br />
Sylvia, was hat Dich denn bei<br />
der Recherche besonders fasziniert<br />
oder überrascht?<br />
Sylvia Lott: Abgesehen von<br />
der Schönheit des Loire-Tals<br />
zur Zeit der Rosenblüte – das<br />
Thema ausländische Zwangsarbeiter<br />
in der ostfriesischenoldenburgischen<br />
Landwirtschaft.<br />
Mehr als die Hälfte der<br />
Menschen, die in den letzten<br />
Kriegsjahren auf den Bauernhöfen<br />
gearbeitet haben und<br />
manchmal auch dort direkt<br />
untergebracht waren, Männer<br />
wie Frauen, stammten aus<br />
dem Ausland. Das fand ich<br />
spannend, lehrreich, auch immer<br />
wieder von Irritationen<br />
begleitet.<br />
Henrie Laib: Was irritiert daran?<br />
Sylvia Lott: Es hängt wohl<br />
zum Teil mit dem unterschiedlichen<br />
Sprachgebrauch und<br />
unterschiedlichen Assoziationen<br />
zum Begriff Zwangsarbeit<br />
zusammen. Heute verbinden<br />
wir damit KZ-ähnliche Zustände,<br />
denken an Vernichtung<br />
durch Arbeit. Doch es gab in<br />
sehr vielen, auch kleinen Betrieben<br />
ausländische Arbeitskräfte.<br />
Zur NS-Zeit benutzte<br />
man für sie nicht das Wort<br />
Zwangsarbeiter, sondern „Zivilarbeiter“,<br />
„Fremdarbeiter“<br />
oder „ausländische Arbeiter“.<br />
Heute dagegen werden oft auch<br />
freiwillige Zivilarbeiter oder<br />
Arbeitsdienstleistende pauschal<br />
als „Zwangsarbeiter“<br />
bezeichnet. Wie Nichtdeutsche<br />
damals behandelt wurden, das<br />
umfasst die ganze Bandbreite<br />
des menschlichen Umgangs –<br />
von grausam bis freundschaftlich.<br />
Henrie Laib: „Zivilarbeiter“<br />
sagt also nichts darüber aus,<br />
ob jemand freiwillig oder unfreiwillig<br />
in Deutschland war?<br />
Sylvia Lott: So ist es. Es waren<br />
welche freiwillig mit Arbeitsvertrag<br />
und Rechten und<br />
Pflichten wie Deutsche hier –<br />
wenige, aber es gab auch solche.<br />
Andere sind in ihrem Heimatland<br />
von der Straße weg<br />
bei Patrouillen aufgegriffen<br />
und gegen ihren Willen als<br />
„Zivilarbeiter“ ins Deutsche<br />
Reich verfrachtet worden, darunter<br />
auch Minderjährige.<br />
Die Grenzen verschwimmen<br />
zuweilen, wenn es sich um<br />
Dienstverpflichtungen handelte.<br />
Henrie Laib: Das klingt tatsächlich<br />
kompliziert.<br />
Sylvia Lott: Ja, hinzu kam<br />
noch diese absurde Rangfolge,<br />
die den Wert eines<br />
Menschen nach seiner Nationalität<br />
beziehungsweise<br />
„Rasse“ bestimmte und darüber<br />
entschied, was er durfte<br />
oder nicht. „Westarbeitern“<br />
zum Beispiel wurde mehr Freiheit<br />
zugestanden als „Ostarbeitern“.<br />
Franzosen durften<br />
mehr als russische „Untermenschen“.<br />
Flamen, Holländer<br />
und Norweger waren als<br />
Angehörige germanischer<br />
Völker mehr wert als zum<br />
Beispiel Wallonen oder Italiener...<br />
Henrie Laib: Ist es immer<br />
noch ein heikles Thema?<br />
Sylvia Lott: Ganz gewiss. Es<br />
ist ein Aufregerthema, man<br />
muss sehr fein unterscheiden.<br />
Meine Gesprächspartner haben<br />
zu Beginn meist gezögert,<br />
wenn ich sie nach Zwangsarbeitern<br />
oder Kriegsgefangenen<br />
gefragt habe. Sobald aber von<br />
Sonntag, 30. Juni <strong>2019</strong>:<br />
Lesung aus „Die Rosengärtnerin“<br />
Ort: Literaturcafé im Pfarrheim Barßel, Marienstraße 12., Barßel.<br />
Mit Kaffee und Kuchen.<br />
Beginn: 15 Uhr. Eintritt: 5 Euro.<br />
Voranmeldung zu den Öffnungszeiten der Bücherei unter<br />
Tel. 0 44 99/92 29 32 oder unter kruckemeyer@freenet.de<br />
Weitere Termine von Sylvia Lott unter: www.romane-von-sylvia-lott.de.<br />
„Fremdarbeitern“ die Rede<br />
war und jemand begann, von<br />
„unserem Polen“ zu erzählen,<br />
häuften sich Geschichten, denen<br />
dann immer eher etwas<br />
Privates als etwas Politisches<br />
anhaftete. Erinnerungen an<br />
Wladek, bei dem man als Kind<br />
auf dem Schoß gesessen und<br />
Kraftspiele gelernt hatte, an<br />
den französischen Kriegsgefangenen,<br />
der an seinem freien<br />
Sonntag mit dem Rad die Höfe<br />
abfuhr, um sich mit Haareschneiden<br />
etwas Kleingeld zu<br />
verdienen oder von der Belgierin,<br />
die nach dem Krieg noch<br />
mal zu Besuch gekommen ist,<br />
weil sie als Hausmädchen<br />
quasi mit zur Familie gehört<br />
hatte. Häufig erzählen Bauern,<br />
die Polen hätten mit ihnen<br />
gemeinsam am Tisch gegessen,<br />
obwohl das ausdrücklich<br />
verboten war. Da mag wohl<br />
auch manches nachträglich<br />
geschönt sein. Auf jeden Fall<br />
besteht hier eine Lücke in der<br />
Wahrnehmung und Wissensvermittlung,<br />
die mich immer<br />
wieder verwirrt hat.<br />
Henrie Laib: Und das fließt<br />
alles in den neuen Roman ein?<br />
Sylvia Lott: In den Hintergrund,<br />
ja. Das Thema nimmt<br />
letztlich gar nicht so viel<br />
Raum ein, aber es hat mich<br />
sehr beschäftigt. Mit der<br />
Schilderung von Jeannes Leben<br />
auf dem Südermarschhof<br />
möchte ich keineswegs das<br />
Schicksal von Zwangsarbeitern<br />
verharmlosen. Es handelt<br />
sich um einen Sonderfall, der<br />
so eben auch durchaus hätte<br />
möglich sein können. Sprich:<br />
Obwohl es bei Strafe und Ächtung<br />
verboten war, gab es damals<br />
zwischen Deutschen und<br />
Ausländern auch Liebe.