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Vom Wandern mit dem Vieh<br />
Über marokkanische Nomaden und urgeschichtliche Älpler: Ein Forschungsprojekt des Telfers Dr. Thomas Reitmaier<br />
(RS) Der aus Telfs stammende<br />
Kantonsarchäologe von<br />
Graubünden, Dr. Thomas Reitmaier,<br />
hat während der letzten<br />
eineinhalb Jahrzehnte mit seinem<br />
Projekt im Unterengadin<br />
bei Lavin und Ramosch und<br />
im benachbarten Val Fenga/<br />
Fimbertal (CH) auf 2.400 Metern<br />
Seehöhe die älteste bisher<br />
bekannte „Alphütte“ zutage gefördert.<br />
Beweisstücke waren unter<br />
anderem Keramikscherben,<br />
die noch heute im Labor nachweisbare<br />
Spuren von Milchfett<br />
enthielten, was auf irgendeine<br />
Form von Milchverarbeitung<br />
seit rund <strong>10</strong>00 v. Chr. hinweist.<br />
Die Erfindung des Alpwesens<br />
ist also viel älter als bisher angenommen,<br />
wie Reitmaier und<br />
sein Team jetzt nachgewiesen<br />
haben.<br />
Seit einiger Zeit führt nun Reitmaier<br />
in seinem Urlaub auf privater<br />
Basis vergleichende Forschungen in<br />
Marokko durch. Mehrmals begleitete<br />
er marokkanische Nomaden auf<br />
ihrer Wanderung durch den Hohen<br />
Atlas und erlebte sie als hochspezialisierte<br />
Viehzüchter. Ein einheimischer<br />
Begleiter dokumentierte mit<br />
eindrucksvollen und mit großer<br />
Diskretion aufgenommenen Bildern<br />
den Alltag der Nomaden, ihre Ernährung,<br />
das Kochen, ihre Kenntnisse<br />
von Pflanzen und Gräsern in<br />
der steinigen Landschaft sowie das<br />
Spinnen und Weben der schweren<br />
Tuche für die Zelte. Wie Reitmaier<br />
feststellen konnte, ähneln die Formen<br />
der Werkzeuge und Geräte oft<br />
den Fundobjekten der Archäologie<br />
Ein Nomadenlager in Marokko, das Dr. Thomas Reitmaier in seinem Urlaub besuchte. Auf privater Basis führte er dort vergleichende<br />
Forschungen durch.<br />
Fotos: Thomas Reitmaier<br />
aus prähistorischer Zeit in unseren<br />
Alpen. Besonders beeindruckte Reitmaier<br />
das Wissen der Nomaden um<br />
ausgeklügelte Techniken, die Voraussetzungen<br />
für das Überleben unter<br />
schwierigsten Bedingungen sind.<br />
ORIENTIERUNGSPUNK<strong>TE</strong><br />
QUELLEN UND WASSER-<br />
LÄUFE. In Marokko zieht der<br />
Besitzer der Schaf- und Ziegenherden<br />
im Sommer auf die Weiden<br />
im Hochgebirge des Hohen Atlas<br />
und kehrt im Winter in das tiefer<br />
gelegene Weidegebiet zurück. Die<br />
Ältesten einer Nomadensippe kennen<br />
ihre Territorien, die Hunderte<br />
von Quadratkilometern umfassen,<br />
aufgrund ihres Erfahrungswissens.<br />
Besonders wichtig als Orientierungspunkte<br />
auf den wochenlangen Wanderungen<br />
sind dabei Quellen und<br />
Wasserläufe. Die Nomaden nehmen<br />
ihre ganze Habe auf Lasttieren (in<br />
Marokko Dromedare) während wochenlanger<br />
Märsche durch schwieriges<br />
Bergland mit und leben in<br />
den Sommer- und Wintermonaten<br />
jeweils während mehrerer Monate<br />
immer am gleichen Ort in ihren mitgebrachten<br />
großen Zelten. Pferche<br />
und feste Feuerstellen aus Steinen<br />
auf Rastplätzen entlang der Routen<br />
erleichtern die wochenlange Wanderung<br />
im Frühling und im Herbst.<br />
Das Überleben der Familie sichert<br />
der Absatz von Tieren auf lokalen<br />
Märkten und von Schafwolle über<br />
lokale Händler. Alle Angehörigen<br />
arbeiten mit. Die erwirtschafteten<br />
Erträge ermöglichen den Ankauf<br />
von Produkten – etwa des Grundnahrungsmittels<br />
Hartweizengries<br />
(Couscous) – bei den in der Region<br />
sesshaften Ackerbauern.<br />
SONDERAUSS<strong>TE</strong>LLUNG.<br />
Das Beobachten und Miterleben der<br />
Wirtschaftsweise und der Lebensformen<br />
der Nomaden im Umfeld<br />
des Hohen Atlasgebirges ermöglicht<br />
– zumindest als Annäherung, wie<br />
Dr. Thomas Reitmaier im Nomadenzelt.<br />
Reitmaier festhält – auch eine bessere<br />
Vorstellung der Lebensbedingungen<br />
und Überlebenstechniken der<br />
frühen Alpenbewohner unserer Regionen<br />
seit der Urgeschichte. Und<br />
das ist auch der Zweck des „Marokko-Projektes“,<br />
das Dr. Reitmaier<br />
im nächsten Jahr in einer großen<br />
Sonderausstellung im Völkerkundemuseum<br />
in St. Gallen der breiten<br />
Öffentlichkeit vorstellen wird.<br />
Nomaden mit ihrer Ziegenherde, die täglich die Sicherheit auf genügend Nahrung<br />
gibt.<br />
6./7. März 2019<br />
Ein Nomadenlager im Hochgebirge des Hohen Atlas. Der Bewuchs ist nur spärlich.<br />
Oft leben die Nomaden mehrere Monate am selben Ort in ihren Zelten.<br />
RUNDSCHAU Seite 21