[ke:onda] Wir kaufen euch nicht alles ab!
Als junge Naturfreund*innen aus dem Senegal und aus Deutschland waren wir gemeinsam je zwei Wochen in beiden Ländern unterwegs. Auf den Reisen ist diese Zeitschrift entstanden.
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Seite 9<br />
“Nachhaltiger Konsum”<br />
Juni 2018<br />
Eine Impression mit Nachklang<br />
Es ist ein kühler und verregneter Herbstmorgen<br />
im September. Fünfundzwanzig<br />
noch leicht verschlafene Gestalten bahnen<br />
sich ihren Weg von der U-Bahnhaltestelle<br />
Heddernheim in Frankfurt zu einem etwas<br />
ungewöhnlichen Ausflugsziel.<br />
Schon jetzt beschleichen mich Zweifel, ob<br />
der Besuch einer Müllverbrennungsanlage<br />
das Schönste ist, was wir unseren senegalesischen<br />
Besucher*innen zeigen. Doch unser<br />
Wunsch als Teilnehmende war es, bei unserem<br />
Austausch genauso Raum für die weniger<br />
schönen Aspekte und für Kritik zu lassen.<br />
Ich weiß <strong>nicht</strong>, was ich erwartet hatte, <strong>ab</strong>er<br />
das, was ich als erstes erblic<strong>ke</strong>, schockt<br />
mich zutiefst. Der Guide zeigt uns<br />
eine Grube, die so breit und tief ist,<br />
dass ich ihre Maße kaum <strong>ab</strong>stec<strong>ke</strong>n<br />
kann. Es müssen<br />
Tonnen und Tonnen<br />
von Müll sein, die sich vor uns erstrec<strong>ke</strong>n.<br />
Kühlschrän<strong>ke</strong>, Matratzen, Kleidung, Kisten<br />
und Teile von Möbelstüc<strong>ke</strong>n sind nur<br />
einzelne identifizierbare Gegenstände in einem<br />
schäumenden Meer aus Weggeworfenem.<br />
Eine große Metallkralle trägt immer wieder<br />
Teile der oberen Schichten <strong>ab</strong>, um diese<br />
zur Verbrennung zu transportieren. D<strong>ab</strong>ei<br />
legt sie stetig neue tieferliegende Schichten<br />
von Müll frei. Der Gestank nimmt mir den<br />
Atem, und selbst der Versuch ihn in Duftöl<br />
getränkten Taschentüchern zu erstic<strong>ke</strong>n,<br />
welche sich bereits zweidrittel der Gruppe<br />
auf Mund und Nase pressen, scheitert. Mir<br />
wird schlecht und leicht schwindelig.<br />
Dass der Müll d<strong>ab</strong>ei so bunt gemischt<br />
sei, liege daran, dass die Einwohner*innen<br />
ihren Abfall <strong>nicht</strong><br />
konsequent trennen. Diese Aufg<strong>ab</strong>e<br />
könne in der Müllverbrennungsanlage<br />
<strong>nicht</strong> mehr geleistet werden.<br />
Nachdem wir ein paar Meter zwischen uns<br />
und diesen schrecklichen Ort gebracht h<strong>ab</strong>en,<br />
dringt langsam die Stimme unseres<br />
Guides zurück in mein Bewusstsein. Die<br />
Frankfurter Müllverbrennungsanlage laufe<br />
365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag,<br />
erklärt er sachlich. Alles was wir eben zu<br />
Gesicht bekommen hatten, sei der Abfall<br />
der schwarzen Tonne, die hier den Restmüll<br />
fasst. Dass der Müll d<strong>ab</strong>ei so bunt gemischt<br />
sei, liege daran, dass die Einwohner*innen<br />
ihren Abfall <strong>nicht</strong> konsequent trennen.<br />
Diese Aufg<strong>ab</strong>e könne in der Müllverbrennungsanlage<br />
<strong>nicht</strong> mehr geleistet werden.<br />
Deshalb verbrenne man eben <strong>alles</strong>, was von<br />
den großen Lastwagen geliefert werde, die<br />
im Minutentakt auf das Gelände der Anlage<br />
rollen. Ich fange an, darüber nachzuden<strong>ke</strong>n,<br />
was ich so in den letzten Tagen und Wochen<br />
in die schwarze Tonne vor meiner Haustür<br />
geworfen h<strong>ab</strong>e.<br />
Erst später konnten Spuren von<br />
menschlichen Knochen in der Asche<br />
nachgewiesen werden.<br />
Dieses „Chaos“ gehe sogar soweit, führt der<br />
fachkundige Mitarbeiter weiter aus, dass die<br />
Polizei, die vor einem Jahr in dem Müll der<br />
Anlage nach einer Leiche suchte, kläglich<br />
scheiterte. Erst später konnten Spuren von<br />
menschlichen Knochen in der Asche nachgewiesen<br />
werden. Erneut läuft mir ein Schauer<br />
die <strong>Wir</strong>belsäule hinunter, und obwohl wir<br />
mittlerweile im hochtemperierten Teil des<br />
Wer<strong>ke</strong>s angekommen sind, in dem wir durch<br />
eine kleine Lu<strong>ke</strong> in den Verbrennungs<strong>ke</strong>ssel<br />
schauen können, ist mir kalt.<br />
Erst lange nach dem Verlassen der Müllverbrennungsanlage<br />
fällt die Anspannung von<br />
mir <strong>ab</strong>, die den ganzen Besuch über meinen<br />
Körper beherrschte. Doch was bleibt, sind<br />
viele Gedan<strong>ke</strong>n darüber, wie unglaublich<br />
viel Müll alleine im Frankfurter Großraum<br />
produziert wird. Es kann niemals eine nachhaltige<br />
Lösung sein, diese Massen von Abfall<br />
tagtäglich zu verbrennen.<br />
Wie muss sich unser Konsumverhalten<br />
verändern, um weniger Abfallprodukte zu<br />
hinterlassen? Hat die Zivilgesellschaft überhaupt<br />
die Macht, Einfluss auf diesen Prozess<br />
zu nehmen? Wie können Industrie und<br />
Großmärkte dazu bewegt werden, Produkte<br />
<strong>nicht</strong> unnötig zu verpac<strong>ke</strong>n und mehr recycelte<br />
Stoffe zu verwenden?<br />
von Alice Reitz