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Stadt der Zukunft - Deutscher Bundesjugendring

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Nach <strong>der</strong> Wahl<br />

ist vor <strong>der</strong> Wahl<br />

Die Materialien für „Jugend wählt – Jugend zählt“ gibt es unter bestellung.dbjr.de<br />

Mehr Infos über die jugendpolitischen For<strong>der</strong>ungen des DBJR unter<br />

www.jugend-waehlt-zaehlt.de


Thema „Freiräume für Jugend“<br />

Fotonachweis<br />

Titelbild: [Michael Scholl, Bratscher/, cw-design/, pontchen/, mages/, chribier/photocase.com], scx.hu/woodsy<br />

DBJR-Archiv (S. 9, 25, 29, 36), Michael Scholl (S. 10, 17), Röhr:Wenzel (S. 14), Johannes Kazah (S. 19), <strong>Stadt</strong>-Kin<strong>der</strong> Dortmund (S. 21, 22).<br />

Impressum<br />

Jugendpolitik - Zeitschrift des Deutschen <strong>Bundesjugendring</strong>s, 35. Jahrgang<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundesjugendring</strong> | Mühlendamm 3 | 10178 Berlin | 0 30 / 4 00 40 400 | info@dbjr.de<br />

Verantwortlich: Daniel Grein<br />

Redaktion: Michael Scholl [msch], Annika Ochner [ao], Andrea Koß [ak]<br />

Autoren-Meinungen entsprechen nicht unbedingt <strong>der</strong> Meinung des Herausgebers<br />

Satz/Layout: Michael Scholl<br />

Anzeigen: <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundesjugendring</strong> | Mühlendamm 3 | 10178 Berlin | 0 30 / 4 00 40 411 | info@dbjr.de<br />

Druck: Druck Center Meckenheim | Werner-von-Siemens-Straße 13 | 53340 Meckenheim<br />

Abo-Verwaltung: Druck Center Meckenheim | Werner-von-Siemens-Straße 13 | 53340 Meckenheim<br />

Erscheinungsweise: vierteljährlich<br />

Bezugspreis: 12 Euro für vier Ausgaben im Jahr | Einzelheft: 4 Euro<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

Jugendpolitik mit Freiräumen<br />

Sven Frye über ein notwendiges Umdenken in <strong>der</strong> Politik ................................................................................................................ Seite 4<br />

Die Jugend von heute<br />

Eine Bestandsaufnahme aus Jugendforschung und Medien...............................................................................................................Seite 6<br />

Lebensalltag und Lebensbiografie<br />

Markus Etscheid-Sams über die Schwierigkeiten, Freiräume zu füllen ................................................................................................Seite 12<br />

Viel Platz – wenig Raum<br />

Matthias Sammet über städtische und ländliche Räume für Jugendliche ............................................................................................Seite 16<br />

<strong>Stadt</strong> für Kin<strong>der</strong> – <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

Dagmar Brüggemann über kin<strong>der</strong>- und jugendgerechte <strong>Stadt</strong>planung ...............................................................................................Seite 21<br />

Teilhabe an <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />

Ein Gespräch mit Professor Lothar Böhnisch.....................................................................................................................................Seite 24<br />

Partizipation konkret<br />

Kristin Napieralla über Erfahrungen aus dem Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung................................................................Seite 28<br />

Die EU-Jugendstrategie<br />

Eine Zusammenfassung des Dokuments <strong>der</strong> Europäischen Kommission ..............................................................................................Seite 32<br />

Stellungnahme zur EU-Jugendstrategie<br />

Eine Position des Deutschen <strong>Bundesjugendring</strong>es.............................................................................................................................Seite 34<br />

Bildung – Integration – Teilhabe<br />

Positionspapier <strong>der</strong> AGJ zur Jugendpolitik........................................................................................................................................Seite 38<br />

Licht und Schatten im Koalitionsvertrag<br />

Die „Kieler Erklärung“ des DBJR.....................................................................................................................................................Seite 41<br />

geför<strong>der</strong>t durch das<br />

3


3/2009<br />

4<br />

Jugendpolitik mit Freiräumen<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche müssen vom Objekt <strong>der</strong> Politik<br />

zu handelnden Persönlichkeiten in <strong>der</strong> Gesellschaft werden<br />

Von Sven Frye<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sind eigenständige<br />

Persönlichkeiten. Sie müssen müssen deswegen<br />

als Akteure von Politik und Gesellschaft<br />

in den Blick genommen werden. Sie<br />

brauchen einen Rahmen, um selbstbestimmt handeln<br />

und aufwachsen zu können. Eine in sich stimmige<br />

Jugendpolitik muss sie dabei unterstützen.<br />

Bislang werden Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zu<br />

sehr als Objekte <strong>der</strong> Politik gesehen. Über sie und<br />

ihre Anliegen wird in unterschiedlichen Politikfel<strong>der</strong>n<br />

diskutiert und entschieden. Sie sind Objekte<br />

in <strong>der</strong> Bildungspolitik, in <strong>der</strong> Familienpolitik,<br />

in <strong>der</strong> Arbeits- und Sozialpolitik. Melden sie<br />

sich im Kontext dieser Politikfel<strong>der</strong> einmal zu<br />

Wort – wie dies etwa bei den Bildungsstreiks geschieht<br />

– dann werden sie als Störenfriede wahrgenommen,<br />

als Aufmüpfige und nicht als ernstzunehmende<br />

Partner. Diese Sicht auf die jetzt<br />

junge Generation muss sich än<strong>der</strong>n.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche haben Anliegen, sie<br />

haben Vorstellungen und Meinungen zu vielem,<br />

was in <strong>der</strong> Welt geschieht. Jugendpolitik muss<br />

deswegen alle Bereiche umfassen, in denen Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche direkt o<strong>der</strong> zukünftig von<br />

(politischen) Entscheidungen und Prozessen betroffen<br />

sind. Jugendpolitik muss eine Querschnittsaufgabe<br />

sein, besser aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt<br />

sein und einen umfassen<strong>der</strong>en Ansatz<br />

haben als <strong>der</strong>zeit.<br />

Vor allem darf eine stimmige Jugendpolitik<br />

nicht die persönliche Entwicklung junger Menschen<br />

nur zum Nutzen für die Gesellschaft bewusst<br />

steuern. Beispielsweise darf die Bildung<br />

junger Menschen nicht nur <strong>der</strong> beruflichen Bildung<br />

dienen. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sind eben<br />

mehr als Schülerinnen und Schüler, als Fachkräfte<br />

o<strong>der</strong> künftige Steuerzahlende.<br />

Eine gute, ressortübergreifende Jugendpolitik<br />

kann deswegen nur das Ziel haben, die Interessen<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen in die Gesellschaft<br />

zu vermitteln. Sie muss Freiräume schaffen; also<br />

Orte, Zeiten und Möglichkeiten, in denen Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche ihr Tun und Handeln selbst bestimmen,<br />

Verantwortung für ihr eigenes Handeln<br />

übernehmen können. Freie Räume sind die Mög-<br />

lichkeit für eine zweckfreie und selbstbestimmte<br />

Entwicklung. Konkret kann das heißen:<br />

Zeitliche Freiräume sind Zeitspannen, die von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen selbstbestimmt gestaltet<br />

und wahrgenommen werden können. Sie müssen<br />

selbst entscheiden können, was mit <strong>der</strong> eigenen<br />

Zeit angefangen wird. Diese Zeitfenster<br />

werden durch stärkere direkte und indirekte<br />

Fremdbestimmung des Alltags und <strong>der</strong> Biographie<br />

des Aufwachsens eingeschränkt.<br />

Entwicklungen, die die (all)tägliche selbstbestimmbare<br />

Zeit einschränken sind z. B. die Ausdehnung<br />

<strong>der</strong> Schulzeit auf den ganzen Tag (Ganztagsschulen,<br />

G8 u.a.), lange Schulwege, lange<br />

Wege zu infrastrukturellen Einrichtungen und<br />

Gleichaltrigen und an<strong>der</strong>e Anfor<strong>der</strong>ungen, Termine<br />

(z. B. Praktika, Nachhilfe, Zusatzkurse), die<br />

zwar formal freiwillig sind, aber Jugendliche aus<br />

Gründen <strong>der</strong> sozialen Erwünschtheit nicht nicht<br />

wahrnehmen können.<br />

Entwicklungen und Tatsachen, die die selbstbestimmte<br />

Lebenszeit (zunehmend) einschränken,<br />

sind zum einen Pflichtdienste (Wehrpflicht) o<strong>der</strong><br />

de facto Pflichtpraktika. Es sind aber auch gesellschaftliche<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen/Entwicklungen, wie<br />

<strong>der</strong> Drang nach einem möglichst schnellen Ausbildungs-/<br />

Studienabschluss und die Auswirkungen<br />

gesellschaftlicher Realitäten wie die Notwendigkeit<br />

<strong>der</strong> eigenen Finanzierung des<br />

Studiums durch Erwerbsarbeit vor o<strong>der</strong> neben<br />

dem Studium (und damit Verlängerung <strong>der</strong> Studiendauer).<br />

Dazu zählt auch die Beschränkung<br />

<strong>der</strong> Wahlfreiheit bei <strong>der</strong> Berufswahl durch nicht<br />

zur Verfügung stehende Ausbildungs- und Studienplätze<br />

o<strong>der</strong> die (ggf. nicht vorhandenen) Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Einkommenssicherung mit vielen<br />

Studienabschlüssen.<br />

Örtliche Freiräume<br />

Örtliche Freiräume sind Orte, die Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche für sich selbstbestimmt als freie<br />

Räume begreifen und besetzen können. Örtliche<br />

Freiräume müssen Räume sein, die Jugendliche<br />

selbstbestimmt füllen, belegen und besetzen können.<br />

Dies umfasst das eigene Zimmer, den Ju-<br />

Jugend politik


gendraum aber auch die Möglichkeit, sich frei in<br />

<strong>der</strong> eigenen Lebenswelt zu bewegen, diese zu erkunden<br />

und in Beschlag zu nehmen. Auch hier findet<br />

ein Zurückdrängen statt. Zum einen werden<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zunehmend gezwungen,<br />

sich an fremdbestimmten Orten mit vorgegebenem<br />

Zweck (z. B. Schule) aufzuhalten. Zum an<strong>der</strong>en<br />

werden ehemals öffentliche Räume, in denen sich<br />

junge Menschen (weitgehend) frei bewegen konnten,<br />

zunehmend kommerzialisiert (z. B. Umwidmung<br />

zu Einkaufsstraßen und -zentren in Innenstädten),<br />

reguliert (z. B. zunehmend restriktivere<br />

<strong>Stadt</strong>ordnungen) und überwacht. Die natürlichen<br />

Lebensäußerungen von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

werden immer weniger toleriert und damit das<br />

Recht Jugendlicher auf altersgemäße Entfaltung<br />

eingeschränkt. Darüber hinaus werden mangels<br />

Ressourcen weniger Räume, wie Jugendräume,<br />

Jugendhäuser und verbandliche Angebote, angeboten.<br />

Gestalterische Freiräume<br />

Gestalterische Freiräume bieten Möglichkeiten,<br />

das eigene Leben und die eigene Lebensumwelt<br />

(mit)zugestalten. Jugendliche wollen und<br />

müssen die Möglichkeit erhalten, sie müssen sich<br />

an allen Fragen, die sie betreffen, beteiligen können.<br />

Gestalterische Freiheit heißt auch, Verantwortung<br />

für eigene Entscheidungen zu übernehmen.<br />

Freiräume müssen in diesem Kontext auch für<br />

die Gestaltung des eigenen selbstverantworteten<br />

Lebensentwurfs vorhanden sein. Also Freiraum,<br />

das eigene Leben nach eigenen Vorstellungen und<br />

Zielen selbst zu gestalten.<br />

Finanzielle Freiräume<br />

Finanzielle Freiräume schaffen den Rahmen<br />

für eine freie und selbstbestimmte Entwicklung<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen – unabhängig von<br />

den persönlichen ökonomischen Rahmenbedingungen.<br />

Der finanzielle Hintergrund ist zurzeit<br />

ein offensichtlicher Indikator für die Räume, die<br />

Jugendliche tatsächlich erschließen können. Zum<br />

Beispiel durch Kin<strong>der</strong>armut, mangelnde soziale<br />

Durchlässigkeit des Bildungssystems o<strong>der</strong> die aufgrund<br />

mangeln<strong>der</strong> (persönlicher) finanzieller Ressourcen<br />

eingeschränkte Mobilität werden jungen<br />

Menschen Freiräume verwehrt. Individuelle Lebensziele<br />

müssen unabhängig von finanziellem<br />

Druck ausgewählt werden können. Diese Freiräume<br />

können von einer Gesellschaft geschaffen<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

werden. Ein möglicher Ansatz dazu ist beispielsweise<br />

das, was Studentinnen und Studenten sowie<br />

Schülerinnen und Schüler for<strong>der</strong>n: kostenfreie<br />

Bildung.<br />

In dieser Ausgabe beleuchten wir Freiräume<br />

für die Jugend, beschreiben die Situation junger<br />

Menschen anhand aktueller Jugendstudien und<br />

Berichten in Medien. Wir werfen einen Blick in<br />

den Lebensalltag und auf die Biografien, auf Jugendräume<br />

in Städten und auf dem Land. Wir beschäftigen<br />

uns damit, wie Jugendliche in <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />

ernsthaft eingebunden werden<br />

können und zeigen durch eine erste grobe Auswertung<br />

des Aktionsprogramms für mehr Jugendbeteiligung,<br />

welche Erfolge konkret möglich<br />

sind. Der Blick auf die Situation Jugendlicher in<br />

Europa darf nicht fehlen, zumal die Europäische<br />

Kommission eine neue Jugendstrategie auf den<br />

Weg gebracht hat, die Auswirkungen auf die deutsche<br />

Jugendpolitik haben wird und einen Ansatz<br />

wählt, <strong>der</strong> dem des DBJR nahe kommt: Eine Jugendpolitik<br />

aus einem Guss, die Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

ernstnimmt, beteiligt und zum Subjekt<br />

in Politik und Gesellschaft macht.<br />

Sven Frye<br />

ist Vorsitzen<strong>der</strong> des DBJR und Vorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Sozialistischen Jugend Deutschlands –<br />

Die Falken<br />

5


3/2009<br />

6<br />

Die Jugend von heute<br />

Die neue Klingelton-Twitter-Praktikum-Doof-MeMeMe-XXL-Absinth-Porno-Generation<br />

Prekär leben - global denken- vernetzt sein ?!<br />

Jugend ist nicht nur eine eigenständige Lebensphase,<br />

son<strong>der</strong>n ein beson<strong>der</strong>s wichtiger<br />

und prägen<strong>der</strong> Lebensabschnitt. In die Jugendzeit<br />

fallen die Pubertät, das Ende <strong>der</strong> Schulzeit,<br />

<strong>der</strong> Beginn <strong>der</strong> Berufsausbildung, das Abnabeln<br />

vom Elternhaus und die Hinwendung zu den<br />

Gleichaltrigen, das Nebeneinan<strong>der</strong> von Unselbständigkeit<br />

und Selbständig-Werden, das Entwikkeln<br />

und Finden <strong>der</strong> eigenen Werte und Normen,<br />

<strong>der</strong> Identität, Rolle, des eigenen Lebensentwurfs.<br />

Die Abgrenzung zum Erwachsenenalter wird<br />

heutzutage jedoch immer unklarer, was vor allem<br />

daran liegt, dass frühere Bestimmungsmerkmale<br />

zum Eintritt in das Erwachsenenalter heute nicht<br />

mehr zutreffen. So finden viele junge Menschen<br />

erst relativ spät einen Einstieg ins Berufsleben; Arbeitslosigkeit,<br />

mangelnde Ausbildungsplätze o<strong>der</strong><br />

Praktika nach Studienende bestimmen häufig die<br />

eigene Berufsrolle. Es wird seltener geheiratet<br />

und wenn, dann viel später. Generell ist es deutlich<br />

schwieriger, auf eigenen Beinen zu stehen und so<br />

wird <strong>der</strong> Lebensabschnitt zwischen Schule und<br />

Beruf bzw. Familie immer ausgedehnter und gestaltet<br />

sich schwieriger.<br />

Eine spannende Lebensphase also. Es geht<br />

nicht nur um die prägenden Faktoren dieser Lebensphase,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem um die Jugendlichen<br />

an sich. Wenn von Jugend gesprochen wird, dann<br />

wird versucht, die jungen Menschen von 14 bis 27<br />

unter dem Dach einer Generation zusammenzufassen.<br />

Doch kann man überhaupt von einer Generation<br />

sprechen? Gibt es Gemeinsamkeiten?<br />

Wie wird sie denn beschrieben, diese Generation<br />

– und wie sieht sie sich selber?<br />

Als „Krisenkin<strong>der</strong>“ beschreibt sie <strong>der</strong> Spiegel,<br />

als „eine verunsicherte Generation“ mit kleinen<br />

Träumen, <strong>der</strong>en große Frage „Was wird aus mir?“<br />

lautet. Für die Shell-Studie aus dem Jahr 2006 ist<br />

sie „eine pragmatische Generation unter Druck“.<br />

Und Jens Jessen nennt sie im Feuilleton <strong>der</strong> ZEIT<br />

gar „traurige Streber“ mit „früh gestyltem Lebenslauf“.<br />

Meredith Haaf, selbst Teil dieser Generation,<br />

beklagt sich hingegen in <strong>der</strong> Süddeutschen<br />

Zeitung darüber, dass die jungen Menschen<br />

heute „ängstlich, lieb und unfähig, Verantwortung<br />

zu übernehmen“ seien – gemäß <strong>der</strong> Devise: „Hilfe,<br />

die Welt will was von uns“. Über die jungen Leute,<br />

die Jugend von heute wurde und wird nach wie vor<br />

viel geschrieben. Keine son<strong>der</strong>lich positiven o<strong>der</strong><br />

angenehmen Zuschreibungen sind das für die<br />

Deutschen von morgen, die „lieber Milch aufschäumen<br />

als auf die Straße zu gehen“ (Spiegel).<br />

Doch was macht die jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

tatsächlich aus? Wie leben und arbeiten<br />

sie? Welche Wünsche, Träume, Visionen, aber<br />

auch Ängste und Sorgen haben die jungen Menschen<br />

in Bezug auf ihre <strong>Zukunft</strong>? Welche Vorstellungen<br />

und Ziele haben sie?<br />

Bildung – die soziale Herkunft lässt grüßen<br />

In <strong>der</strong> Lebensspanne zwischen 12 und 25 Jahren<br />

werden die Weichen gestellt für das weitere<br />

Leben. Umso wichtiger ist die Bildung, die die Jugendlichen<br />

in diesem Lebensabschnitt erwerben.<br />

Die Shell-Studie wertet deshalb den Faktor Bildung<br />

als „Schlüsselfrage“.<br />

Die Zugehörigkeit zur Familie hat dabei einen<br />

beson<strong>der</strong>s starken Effekt auf die Bildungs- und somit<br />

auch auf die berufliche Laufbahn – obwohl in<br />

Deutschland formal die gleichen Bildungschancen<br />

existieren. Jugendliche aus sozial privilegierteren<br />

Elternhäusern besuchen häufig höhere Schulformen,<br />

durchlaufen in <strong>der</strong> Regel gute und qualifizierende<br />

berufliche Ausbildungen, finden sich<br />

deutlich häufiger an Hochschulen wie<strong>der</strong>. An<br />

Haupt- und Son<strong>der</strong>schulen befinden sich hingegen<br />

vor allem Jugendliche aus <strong>der</strong> Unterschicht.<br />

Für alle Jugendlichen gilt jedoch, dass sie auf<br />

dem Weg ins Erwachsenenleben noch stärker als<br />

früher mit dem Risiko konfrontiert sind, eventuell<br />

zu scheitern. Dies ist den Jugendlichen heute auch<br />

deutlich bewusst. So können Jugendliche mit keinem<br />

o<strong>der</strong> schlechtem Bildungsabschluss nicht damit<br />

rechnen, einen Ausbildungsplatz zu erhalten –<br />

geschweige denn einen ihrer Wahl. Der Eintritt ins<br />

Erwerbsleben verzögert sich häufig o<strong>der</strong> führt zu<br />

einer Beschäftigung in Bereichen, für die man nur<br />

gering qualifiziert sein muss.<br />

Insgesamt driften die verschiedenen Bildungswelten<br />

und die damit verbundenen Chancen<br />

und Möglichkeiten immer weiter auseinan<strong>der</strong>.<br />

Dieser Verknüpfung zwischen persönlicher Bil-<br />

Jugend politik


dung und den daraus resultierenden Chancen sind<br />

sich die Jugendlichen durchaus bewusst.<br />

Inzwischen haben die jungen Frauen die jungen<br />

Männer im Bereich <strong>der</strong> Schulbildung überholt<br />

und streben auch in <strong>Zukunft</strong> höherwertige Bildungsabschlüsse<br />

an.<br />

Arbeit – „Berufswunsch Geld und Sicherheit“<br />

Einerseits gibt es eine unglaubliche Vielfalt<br />

an Möglichkeiten – noch nie gab es so viele verschiedene<br />

Ausbildungen und Berufe, Schulen,<br />

Hochschulen, Studiengänge, Weiterbildungen.<br />

Das macht es den Jugendlichen schwer, sich angesichts<br />

des Überangebots und <strong>der</strong> Multioptionalität<br />

zu entscheiden. An<strong>der</strong>erseits können nicht<br />

alle Jugendlichen tatsächlich frei entscheiden, was<br />

sie machen möchten. Hauptschulabgänger haben<br />

inzwischen relativ eingeschränkte Möglichkeiten;<br />

immer seltener glauben Schüler generell an die Erfüllung<br />

ihrer beruflichen Wünsche. Selbst ein Ausbildungsplatz<br />

macht die Jugendlichen 2006 nicht<br />

zuversichtlicher, ihre beruflichen Wünsche erfüllen<br />

zu können – stets steht die Frage nach <strong>der</strong><br />

Übernahme im Raum.<br />

Die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes<br />

bzw. davor, erst gar keinen Ausbildungs- o<strong>der</strong> Arbeitsplatz<br />

zu finden, stieg in den vergangenen Jahren<br />

drastisch von 55 Prozent auf 69 Prozent an.<br />

Berufliche und finanzielle Existenzsicherung ist<br />

für die jungen Menschen ein sehr präsentes<br />

Thema, das sowohl Hauptschulabgänger als auch<br />

gut ausgebildete Hochschulabsolventen beschäftigt.<br />

Letztere bezeichnete Jens Jessen, Feuilletonchef<br />

<strong>der</strong> ZEIT, als „traurige Streber“ und löste damit<br />

eine Debatte aus: „Die Praktikanten und<br />

Berufsanfänger akzeptieren bis zur Charakterlosigkeit<br />

jede Bedingung, jede eingespielte Dummheit,<br />

jede ethisch bedenkliche Praxis.“ Dies läge<br />

am „erbarmungslosen Leistungs- und Anpassungsdruck“,<br />

den alle empfinden. Die Imperative<br />

von Knappheit und Konkurrenz müssten nicht<br />

von außen herangetragen werden; sie seien längst<br />

verinnerlicht: „Man kann in dumpfes Brüten verfallen<br />

über die eingereichten Lebensläufe von<br />

Hochschulabsolventen, die tatsächlich alles enthalten,<br />

was heute gerne verlangt wird, Auslandsaufenthalte,<br />

soziale Hilfsdienste, Berufspraktika<br />

ohne Zahl, EDV- und Sprachkenntnisse. Sie enthalten<br />

nur eines nicht, können es gar nicht enthalten:<br />

persönliche Wege und Umwege zum<br />

Glück, denn für Selbstfindungen ist keine Zeit,<br />

nicht einmal für die winzigste in einem solch früh<br />

gestylten Lebensplan. Nur nicht bummeln! Nicht<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

träumen, keine falschen Hoffnungen hegen. Es<br />

ist, als ob die Eltern ihre Abstiegsangst gnadenlos<br />

an die Kin<strong>der</strong> weitergereicht hätten. Schon die<br />

Berufswünsche sind von einem ernüchterten Realismus“.<br />

Für die Gutausgebildeten dieser Generation<br />

ist Arbeit nicht einfach nur ein Job, eine zu erfüllende<br />

Aufgabe – Arbeit ist Sinngebung, Arbeit ist<br />

– laut Klaus Hurrelmann – alles. Dennoch ist <strong>der</strong><br />

Weg für die Gutausgebildeten oft steinig und ein<br />

Studium mit Einserabschluss, Auslandserfahrung<br />

und Fachkenntnisse aller Art sind kein Garant<br />

mehr für Erfolg, Macht, Geld, überhaupt dafür, einen<br />

adäquaten Job zu finden. So hat sich inzwischen<br />

eine kreative Elite o<strong>der</strong> digitale Bohème<br />

gebildet, die sich selbst, ihre Ideen und Ideale<br />

verwirklichen möchte und dabei wenig Wert legt<br />

auf Materielles. Das Prekäre wird zum Lebensstil<br />

verklärt, fungiert als Gegenmodell zum trögen<br />

Angestelltendasein. „Es geht so: Ende des Sicherheitsdenkens.<br />

Das Schicksal in die eigene<br />

Hand nehmen“ (Spiegel).<br />

Insgesamt hat <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Shell-Studie 2002<br />

festgestellte große persönliche Optimismus einer<br />

gemischteren Sichtweise Platz gemacht hat. Doch<br />

trotz aller Ängste, vor allem in Bezug auf die<br />

Chancen am Arbeitsmarkt und die steigende Armut,<br />

überwiegt eine positive persönliche <strong>Zukunft</strong>saussicht.<br />

Nach wie vor kann von Resignation<br />

o<strong>der</strong> Ausstieg in vermeintliche jugendliche<br />

Ersatzwelten keine Rede sein. 50 Prozent <strong>der</strong> von<br />

Shell befragten Jugendlichen haben eine eher zuversichtliche<br />

Vorstellung von ihrer eigenen <strong>Zukunft</strong>;<br />

42 Prozent sehen sie eher gemischt, 8 Prozent<br />

eher düster.<br />

Familie, Freunde, Partnerschaft<br />

„Ich will für meinen Mann kochen, wenn er<br />

nach Hause kommt, und für meine Kin<strong>der</strong> da sein.<br />

Danach aber will ich in einem Club auflegen gehen.“<br />

(Karline Weiss, 27, Spiegel)<br />

Diese Aussage steht für den Wunsch einer Generation<br />

von Rastlosen nach Konstanz, Beständigkeit<br />

und Bindung. Das Wichtigste im Leben ist<br />

die Familie. So kommt es, dass Realisten überdimensionierte<br />

Traumhochzeiten feiern. „Absichtliche<br />

Überinszenierungen“ nennt Jugendforscher<br />

Klaus Hurrelmann den Kitschtraum aus Schloss,<br />

Kutsche und Hochsteckfrisur. 81 Prozent <strong>der</strong> vom<br />

Spiegel befragten jungen Menschen zwischen 20<br />

und 35 finden Treue gut, 70 Prozent wollen irgendwann<br />

heiraten. „Der einzige unbefristete Vertrag,<br />

den diese Generation noch ohne Probleme<br />

7


3/2009<br />

bekommt, ist <strong>der</strong> Trauschein“, meint Hurrelmann.<br />

Auch die Shell-Studie stellt fest, dass die heutigen<br />

Jugendlichen – ganz entgegen <strong>der</strong> These<br />

von <strong>der</strong> Auflösung von Ehe und Familie – eine<br />

starke Familienorientierung haben. So sind 72<br />

Prozent <strong>der</strong> Jugendlichen <strong>der</strong> Meinung, dass man<br />

eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben<br />

zu können. Vor allem die relativ schlechte Wirtschaftslage<br />

verstärkt den Stellenwert von Familie.<br />

Diese bietet Rückhalt, sorgt für einen Spannungsausgleich<br />

und bringt Sicherheit und emotionale<br />

Unterstützung.<br />

Überhaupt kann man von einem guten Verhältnis<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen zu ihren Eltern sprechen;<br />

etwa 90 Prozent kommen nach eigener Auskunft<br />

gut mit den Eltern zurecht. Die Mehrheit <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

ist mit <strong>der</strong> Erziehung <strong>der</strong> Eltern zufrieden.<br />

Junge Frauen sind dabei weitaus stärker<br />

familienorientiert, wünschen sich häufiger Kin<strong>der</strong><br />

und befinden sich früher in festen Partnerschaften.<br />

Sie werden früher als die jungen Männer selbständig<br />

und ziehen eher aus ihrem Elternhaus aus.<br />

Trotz <strong>der</strong> Fokussierung auf Familie wächst<br />

gleichzeitig die Zahl junger Erwachsener, die auf<br />

die Realisierung von Kin<strong>der</strong>n und Familie verzichtet.<br />

Dies liegt vor allem an den zahlreichen<br />

Schwierigkeiten, denen Frauen bei <strong>der</strong> Familiengründung<br />

begegnen. So sind in <strong>der</strong> „Rush Hour<br />

des Lebens“ in einem sehr engen Zeitfenster Ausbildung,<br />

berufliche Integration und Partnerschaft<br />

mit Familiengründung unterzubringen.<br />

Neben <strong>der</strong> Familie spielen Peergroups eine<br />

wichtige Rolle. Die Peer-Groups <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

sind meist milieukonform und helfen bei <strong>der</strong><br />

Orientierungs- und Identitätssuche. Peer-Groups<br />

übernehmen oft Entwicklungsaufgaben: Sie sollen<br />

die Abhängigkeit von den Eltern lockern, die Aufnahme<br />

von Beziehungen zum an<strong>der</strong>en Geschlecht<br />

ermöglichen, bei Freizeitangeboten orientieren,<br />

soziale Beziehungen gestalten lernen und bei <strong>der</strong><br />

Schul- und Berufswahl unterstützen.<br />

Freizeit – zwischen Clique und Community<br />

Soziale Ungleichheiten wirken auch in an<strong>der</strong>e<br />

Lebenswelten hinein – auch in den Freizeitbereich.<br />

So beschäftigen sich Jugendliche aus den<br />

oberen Schichten in ihrer Freizeit beson<strong>der</strong>s häufig<br />

mit Lesen, mit kreativen o<strong>der</strong> künstlerischen<br />

Aktivitäten und pflegen ihre sozialen Kontakte –<br />

sie werden bezeichnet als „kreative Freizeitelite“.<br />

Für die Gruppe <strong>der</strong> „geselligen Jugendlichen“<br />

spielen Gleichaltrige eine enorm wichtige Rolle;<br />

sie organisieren sich ihre Freizeit um konkrete<br />

8<br />

Anlässe und Orte wie Jugendzentren, Kneipen,<br />

Discos o<strong>der</strong> Partys.<br />

Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien<br />

tauchen häufig in die Gleichaltrigengruppe<br />

mit ihrer spezifischen Freizeitkultur ab; sie verbringen<br />

ihre Zeit vor allem mit Rumhängen, Fernsehen,<br />

Computerspielen und Internet. „Computerspiele<br />

wie „Counterstrike“ sind wie mo<strong>der</strong>nes<br />

„Räuber und Gendarm“. Früher hat man es draußen<br />

im Garten gespielt, unsere Generation spielt es<br />

eben am Computer.“ (Kilian Ricken, 23, Spiegel)<br />

Zwischen den Geschlechtern gibt es im Freizeitverhalten<br />

eine klare Trennlinie: So gehen junge<br />

Frauen gerne shoppen o<strong>der</strong> verbringen Zeit mit <strong>der</strong><br />

Familie, junge Männer interessieren sich eher für<br />

Technik. Insbeson<strong>der</strong>e männliche Jugendliche aus<br />

<strong>der</strong> Unterschicht gehören zu den so genannten<br />

Technikfreaks.<br />

Engagement für an<strong>der</strong>e gehört für Jugendliche<br />

häufig ganz selbstverständlich zum persönlichen<br />

Lebensstil dazu. Dabei liegt <strong>der</strong> Schwerpunkt eindeutig<br />

im Umfeld <strong>der</strong> Jugendlichen und im Einsatz<br />

für konkrete bedürftige Zielgruppen – übergreifende<br />

Ziele sind nicht Fokus des Engagements.<br />

Die Jugendlichen engagieren sich in Vereinen,<br />

Schulen, Hochschulen, teilweise auch Kirchengemeinden<br />

o<strong>der</strong> Jugendorganisationen. Bildungsniveau<br />

und soziale Schicht haben auch hier einen<br />

deutlichen Einfluss – Jugendliche aus gehobenen<br />

Herkunftsschichten bzw. Gymnasiasten und Studierende<br />

weisen die höchsten Quoten auf. Die<br />

Motivation <strong>der</strong> Jugendlichen für ihr Engagement<br />

entspricht dem pragmatischen Gestus dieser Generation.<br />

Die persönliche Befriedigung durch die<br />

aktive Beteiligung im eigenen Umfeld prägt viel<br />

mehr als ideologische Konzepte o<strong>der</strong> auch mögliche<br />

gesellschaftliche Utopien.<br />

Eine zentrale Rolle im Freizeitverhalten <strong>der</strong><br />

jungen Generation spielt das Internet, es wird<br />

quasi zum Herz <strong>der</strong> Gesellschaft. „Das Internet ist<br />

<strong>der</strong> einzige Ort, an dem die Generation nicht unsichtbar,<br />

son<strong>der</strong>n durchsichtig ist. Wer etwas über<br />

sie wissen will, muss sie googeln, ganze Leben<br />

entblättern sich in Suchresultaten. Du bist deine<br />

Treffer. Hier hinterlässt sie ihre Spuren, nicht draußen<br />

in <strong>der</strong> Welt. Diese Generation ist die erste, für<br />

die das Internet immer schon selbstverständlich<br />

war. (...) Ohne Internet, ohne Handy wäre ihr Leben<br />

nicht denkbar, könnten sie sie gar nicht zusammenhalten.<br />

Die private E-Mail-Adresse ist das<br />

Einzige, was konstant bleibt, während sich Wohnorte<br />

dauernd än<strong>der</strong>n“ (Spiegel). Fast alle jungen<br />

Menschen sind Mitglie<strong>der</strong> von Communities; dort<br />

melden sich 85 Prozent <strong>der</strong> Befragten mehrmals<br />

Jugend politik


pro Woche an. Im Durchschnitt haben die Befragten<br />

gut 130 „Freunde o<strong>der</strong> Kontakte“.<br />

Als „geschwätzig“ bezeichnet Meredith Haaf<br />

ihre Generation in <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung:<br />

„Wenn es eins gibt, das sie quer über alle Grenzen<br />

von Wohlstand, Bildung o<strong>der</strong> Ethnie hinweg eint,<br />

dann das hemmungslose Mitteilungsbedürfnis.<br />

Wir posten Weblinks bei Twitter, laden Fotos bei<br />

Flickr hoch, aktualisieren unsere Statusmeldungen<br />

bei Facebook und scheuen dabei keine Banalität.<br />

Eine meldet, dass sie mit ihrem Boyfriend chillt,<br />

die an<strong>der</strong>e brät sich ein Steak – »Mmm, lecker« –<br />

, <strong>der</strong> Nächste kratzt sich am Kopf. Die Grunger<br />

und Raver vor uns waren süchtig nach Party, Drogen<br />

und merkwürdiger Synthetikkleidung. Wir<br />

sind vor allem süchtig danach, etwas zu sagen.<br />

Egal, was.“<br />

Insgesamt lässt sich zudem feststellen, dass<br />

für die Jugendlichen die Zugehörigkeit zu einem<br />

bestimmten Milieu bzw. zu einer Szene wichtig ist<br />

– sei es die Skater-Szene, die Graffiti-Szene, die<br />

Szene <strong>der</strong> Konsolenspieler, <strong>der</strong> Sportkletterer, <strong>der</strong><br />

DLRGler, <strong>der</strong> Manga-Fans, <strong>der</strong> Emos, <strong>der</strong> Pfadfin<strong>der</strong>,<br />

<strong>der</strong> türkischen Street Gangs o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Antifa.<br />

Dabei kann man von posttraditionalen Formen<br />

<strong>der</strong> Gemeinschaftsbildung sprechen.<br />

Sinus-Milieu-Studie<br />

Dies ist auch das Ergebnis <strong>der</strong> SINUS-Milieu-<br />

Studie U27, die im Jahr 2008 veröffentlicht wurde.<br />

Sie beschreibt die verschiedenen Milieus <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

und zeigt: „Jugendliche und junge Erwachsene<br />

bilden auch untereinan<strong>der</strong> unterschiedliche,<br />

ja gegensätzliche soziale Welten aus, die<br />

sich durch tiefe Gräben massiv voneinan<strong>der</strong> abheben“.<br />

Die Studie zeigt zudem, dass bei Jugendlichen<br />

nicht von ‚Milieus’ im eigentlichen Sinn,<br />

son<strong>der</strong>n eher von „Milieuorientierung“ gesprochen<br />

werden sollte, da sich eine „Milieuidentität“<br />

erst im späteren Verlauf des Erwachsenwerdens<br />

herausbilde.<br />

Die vorgestellten Milieus sind die Mo<strong>der</strong>nen<br />

Performer, die junge Leistungselite, die selbstbestimmt<br />

leben möchte, um nichts zu verpassen und<br />

mitreden zu können und <strong>der</strong>en Fokus die eigene<br />

soziale Top-Position ist. Dann gibt es die Hedonisten,<br />

die sich und das Leben sinn- und lustvoll<br />

erfahren wollen und dabei Wert legen auf Spaß,<br />

Unterhaltung, Action und Power. Die Experimentalisten<br />

möchten das Eigentliche erfahren und sich<br />

selbst erkunden; sie suchen nach Erfahrungsvielfalt,<br />

auch in scheinbar nebensächlichen Dingen.<br />

Die Bürgerliche Mitte steht mit beiden Beinen<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

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3/2009<br />

fest im Leben, ohne sich dem Fortschritt zu verschließen.<br />

Den Konsum-Materialisten ist es wichtig,<br />

sich etwas leisten können; ihnen geht es primär<br />

um den Anschluss an die Mittelschicht, um Teilhabe,<br />

Anerkennung und Aufstieg. Die Gruppe <strong>der</strong><br />

Traditionsverwurzelten möchte mitverantwortlich<br />

leben; Leitwerte sind das (national) Eigene und die<br />

Ordnung <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Erwachsenen sowie Disziplin,<br />

Harmonie, Ehrgeiz und Sparsamkeit. Die<br />

Postmateriellen leben ethisch bewusst und konsequent,<br />

sie setzen sich für Gerechtigkeit ein, für politische<br />

Mitverantwortung und Selbstentfaltung.<br />

Sie verfügen über ein hohes Maß an Selbsterkenntnis,<br />

Weltoffenheit, Gesundheits- und Umweltbewusstsein.<br />

Die Zeit ist reif, um auf die Straße zu gehen<br />

„Wer mich fragt, ob ich ein politischer Mensch<br />

sei, dem sage ich nein und denke: stimmt nicht. Ich<br />

habe nur keine Ahnung, was politisch sein heute<br />

überhaupt noch bedeutet. (…) Meine Agenda sagt<br />

nicht: Engagiere dich, trete einer Partei bei, löse<br />

das Welthungerproblem, überwinde den Kapitalismus,<br />

gehe fleißig demonstrieren, gestalte die<br />

Globalisierung o<strong>der</strong> gründe eine Bürgerinitiative.<br />

Ich weiß, das wird erwartet von mir, von uns, <strong>der</strong><br />

Jugend, von meiner Generation. Wir sollten rebellisch<br />

sein und protestieren. (…) Keine Sorge,<br />

meine Agenda beinhaltet nicht, dass mir alles egal<br />

ist. (…) Ich kann nur nicht Parteimitglied werden<br />

o<strong>der</strong> demonstrieren o<strong>der</strong> sonst etwas. (..) Es ist ein<br />

ästhetisches Unbehagen. Die Angst, dass mein<br />

Leben so hässlich wird wie die Parteizentralen.“<br />

(Adrian Renner, 23, Student, Spiegel)<br />

Das Interesse an Politik ist niedrig ausgeprägt.<br />

Dabei reklamiert immerhin mehr als zwei Drittel<br />

<strong>der</strong> Studierenden sowie ebenfalls ein signifikant<br />

höherer Anteil <strong>der</strong> Schüler aus <strong>der</strong> gymnasialen<br />

Oberstufe für sich ein Interesse an Politik. Dem<br />

politischen Extremismus wird eine klare Absage<br />

erteilt; die politische Positionierung ist leicht links<br />

von <strong>der</strong> Mitte.<br />

Den politischen Parteien wird insgesamt wenig<br />

Vertrauen entgegengebracht. Obwohl ein klarer<br />

Konsens mit den Normen des demokratischen Systems<br />

besteht, sind die Jugendlichen politikverdrossen<br />

und denken, dass eher persönlicher<br />

Machterhalt als Gemeinwohl das Agieren von Parteien<br />

bestimmt. Politik ist kein eindeutiger Bezugspunkt<br />

mehr, an dem man sich orientiert o<strong>der</strong><br />

persönliche Identität gewinnt.<br />

Dazu gehört auch die Tatsache, „dass diese<br />

Generation wenig Lust verspürt, das System zu be-<br />

10<br />

kämpfen, sie hat große Lust, im System zu funktionieren“<br />

(Spiegel). Dieselbe Beobachtung macht<br />

auch Meredith Haaf – zum einen fürchte ihre Generation<br />

die Konfrontation, zum an<strong>der</strong>en denke sie<br />

nicht politisch: „Das politische Argument ist in<br />

meiner Generation fast ausgestorben, unser Verhältnis<br />

zur Demokratie marode. (…) Im Grunde<br />

wissen wir gar nicht, wie man politische o<strong>der</strong> ökonomische<br />

Ordnungen kritisiert o<strong>der</strong> verteidigt,<br />

denn wir haben das Mantra, dass es keine Alternative<br />

zur Marktwirtschaft gebe, zu stark verinnerlicht.<br />

Außerdem: Um ein System in Frage zu<br />

stellen, braucht man eine Menge Energie. Wir<br />

verwenden unsere Energie dafür, unsere Karrieren<br />

zu sichern, unsere Bachelorstundenpläne einzuhalten<br />

und zwischendurch bei Facebook einzugeben,<br />

was wir gerade tun. Wenn wir das nicht än<strong>der</strong>n,<br />

werden wir irgendwann feststellen, dass eine<br />

an<strong>der</strong>e, jüngere Generation über uns sagen wird:<br />

Sie ließen ihre Welt veröden, weil sie lieber labern<br />

wollten“.<br />

<strong>Zukunft</strong> – zwischen Plänen und Ängsten<br />

„Ich habe die Angst nicht besiegt, mich nur gefügt“<br />

(Marc Kemper, 29, Spiegel). Die Arbeitslosigkeit<br />

wird von 64 Prozent <strong>der</strong> Jugendlichen als<br />

das größte Problem in Deutschland gesehen. Auf<br />

Platz zwei folgt für 16 Prozent <strong>der</strong> Befragten die<br />

Wirtschaftslage und mit 13 Prozent Steuern o<strong>der</strong><br />

Steuererhöhungen. Im persönlichen Bereich wird<br />

Schule o<strong>der</strong> Studium bei 15 Prozent <strong>der</strong> Jugend-<br />

Jugend politik


lichen und jungen Erwachsenen als das größte<br />

Problem gesehen.<br />

„Das Prekäre ist das zentrale Merkmal dieser<br />

Generation. Und zwar nicht prekär im Sinne von<br />

niedrigem Einkommen, son<strong>der</strong>n als Ausdruck von<br />

Unsicherheit. Materiell geht es dieser Generation<br />

nicht unbedingt schlechter. Das Prekäre an dieser<br />

Generation ist, dass die Lebensverhältnisse instabil<br />

sind und sich je<strong>der</strong>zeit än<strong>der</strong>n können“, beschreibt<br />

dies <strong>der</strong> Soziologe Ronald Hitzler. Dieses<br />

Lebensgefühl <strong>der</strong> Unsicherheit nimmt vor allem<br />

jetzt, durch die Krise, noch zu. Doch es gibt kein<br />

verbindendes Protestgefühl, keine Wortführer,<br />

keine Ideologie, was vielleicht daran liegt, dass<br />

sich diese Generation gar nicht als eine solche<br />

begreift. Sie sind nur Einzelne, die sich in ihren<br />

Ängsten und Problemen gleichen. Geprägt hat sie<br />

das Wort „Krise“ - <strong>der</strong> 11. September, Bildungskrise,<br />

Globalisierungskrise, Umweltkrise, Finanzkrise.<br />

Der Münchner Soziologe Ulrich Beck<br />

sagt, <strong>der</strong> Übergang zu unsicheren Arbeitsverhältnissen<br />

konstituiere eine neue Generation. Und<br />

Klaus Hurrelmann, Mitherausgeber <strong>der</strong> Shell-Jugendstudie:<br />

„Die Unruhe, eventuell nicht an <strong>der</strong><br />

Gesellschaft teilhaben zu können, führt zu einem<br />

latenten o<strong>der</strong> offenen Krisengefühl.“<br />

Auch eine Studie <strong>der</strong> Stiftung für <strong>Zukunft</strong>sfragen<br />

zeigt: 70 Prozent sehnen sich nach Sicherheit.<br />

Dabei sind ihre Träume oft klein: ein Job, das<br />

Gefühl, dazuzugehören, vielleicht eine Familie,<br />

sich etwas leisten können. Doch Wirtschaftskrise<br />

und Arbeitslosigkeit trifft die Jungen immer zuerst;<br />

fast die Hälfte <strong>der</strong> jungen Generation war laut<br />

Spiegel-Umfrage schon einmal arbeitslos. Zwei<br />

Drittel schaffen laut Arbeitsministerium keinen<br />

nahtlosen Einstieg von <strong>der</strong> Ausbildung in den Beruf.<br />

Die Hälfte hat schon drei o<strong>der</strong> mehr Praktika<br />

gemacht, ein Fünftel sogar fünf o<strong>der</strong> mehr.<br />

Meredith Haaf schreibt: „Wir wissen, was auf<br />

uns zukommt – und haben: Angst (…) Wir erben<br />

eine Welt, <strong>der</strong>en Natur sich unaufhaltsam verän<strong>der</strong>t<br />

– und nicht zum Besseren – und <strong>der</strong>en Wirtschaftsordnung<br />

immer mehr Menschen ausschließt.<br />

Dem entgegenzusetzen haben wir aber<br />

nur Fleiß, Konsum, Kommunikation und als<br />

Hauptantrieb die Angst. Nicht vor Überwachung<br />

und auch nicht ernsthaft vor Terrorismus, son<strong>der</strong>n<br />

davor, keinen Platz in dieser Welt zu finden. Und<br />

Angst ist alles Mögliche, nur nicht produktiv“.<br />

Fazit – Der kleinste gemeinsame Nenner<br />

Tatsächlich ist es schwierig, von einer Generation<br />

zu sprechen. Viel zu wichtig ist den Ju-<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

gendlichen ihre Individualität, schaut je<strong>der</strong> zuerst<br />

auf sich und achtet eher auf Abgrenzung von den<br />

an<strong>der</strong>en als auf Gemeinsamkeiten. Wichtig sind<br />

die verschiedenen Milieus und Szenen, in denen<br />

man sich bewegt und denen man sich zugehörig<br />

fühlt – zumindest für einen gewissen Zeitraum.<br />

So gibt es viel, das die Jugendlichen heute<br />

voneinan<strong>der</strong> unterscheidet und sie trennt. Viel ist<br />

ihnen auch gemeinsam – sei es <strong>der</strong> Stellenwert von<br />

Familie und Sicherheit, die allgegenwärtige<br />

„Krise“, die das Leben eines jeden beeinflusst<br />

o<strong>der</strong> seien es die Schlagworte Flexibilität, Mobilität,<br />

Globalität, die zur „Dreieinigkeit“ (Spiegel)<br />

<strong>der</strong> Jugend wurden.<br />

Dennoch gibt es ihn, den kleinen kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner dieser Generation – <strong>der</strong> Journalist<br />

Juan Moreno hat ihn gefunden:<br />

„Wenn es etwas gibt, was unsere heutige Generation<br />

wirklich verbindet, den kleinsten gemeinsamen<br />

Nenner, dann ist es die komplette Verweigerung,<br />

auf irgendetwas zu verzichten.<br />

Hamburg, München o<strong>der</strong> doch Berlin? Joggen<br />

und Yoga? Vielleicht doch eine Weltreise? Verzichten<br />

ist das, was wir nie wirklich mussten. Verzicht<br />

kommt in meiner Generation <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage<br />

gleich. Wir sind die Generation <strong>der</strong> Optionen.<br />

(…) Verän<strong>der</strong>ung ist toll. Auch das passt zu unserer<br />

Generation. Wir kündigen eher, trennen uns<br />

eher, langweilen uns schneller. Verän<strong>der</strong>ung ist<br />

gewollt, sie darf nur nicht schmerzhaft sein. Das<br />

ist nämlich die zweite große Gemeinsamkeit unserer<br />

Generation. Wir vermeiden, wo es geht,<br />

Schmerz. Es soll nicht weh tun. Das ist wichtig.<br />

Und wir sind bereit, viel dafür zu tun.“ (Spiegel)<br />

[ao]<br />

Quellenangaben<br />

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann/ Prof. Dr. Mathias Albert/ TNS Infratest<br />

Sozialforschung: 15. Shell Jugendstudie: Jugend<br />

2006. S. Fischer Verlag Frankfurt a.M. 2006.<br />

Carsten Wippermann/ Marc Calmbach: Wie ticken Jugendliche?<br />

SINUS-Milieu-Studie U27, hrsg. Vom Bund <strong>der</strong> Katholischen<br />

Jugend (BDKJ) & Misereor, Düsseldorf: Verlag Haus<br />

Altenberg 2008.<br />

Der Spiegel: Wir Krisenkin<strong>der</strong>. Wie junge Deutsche ihre <strong>Zukunft</strong><br />

sehen. Nr. 25/ 15.5.2009.<br />

Der Spiegel Special: Was wird aus mir? Wir Krisenkin<strong>der</strong>: Das<br />

Selbstporträt einer Generation. Nr.1/2009.<br />

Die Zeit: Die traurigen Streber. Wo sind Kritik und Protest <strong>der</strong><br />

Jugend geblieben? Die Angst vor <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong> hat eine ganze<br />

Generation ermutigt. Eine Polemik. Jens Jessen.<br />

28.08.2008, Nr. 36.<br />

Süddeutsche Zeitung Magazin: Hilfe, die Welt will was von uns.<br />

Meredith Haaf. Nr.33/2009.<br />

11


3/2009<br />

12<br />

Lebensalltag und Lebensbiografie<br />

Freiräume sind fast unendlich groß – eigentlich immer zu groß<br />

Von Markus Etscheid-Sams<br />

Nie zuvor gab es so viele Fernsehprogramme,<br />

durch die sich <strong>der</strong> 16-jährige<br />

Devrim zappen konnte, während er seinem<br />

besten Freund Pascal eine SMS schreibt. Zur<br />

gleichen Zeit freut sich Carola wohl artikuliert<br />

über das gerade erschienene Werkverzeichnis des<br />

Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy mit<br />

über 400 neuen, bisher teils unbekannten Werken,<br />

<strong>der</strong>weil ihr Bru<strong>der</strong> Christopher Cello übt. Felix<br />

twittert gerade das Neueste aus <strong>der</strong> Bundestagsdebatte,<br />

die er live bei Phoenix verfolgt, bevor sein<br />

Gezwitscher zwischen den unzähligen Kurznachrichten<br />

und Blogs vermeintlich verloren geht. Er<br />

schlürft seinen fair gehandelten Kaffee, als sich<br />

Dennis und Nicole im Chat zum Online-Pokern in<br />

<strong>der</strong> Nacht verabreden. Zeitgleich steigt Marie aus<br />

dem Flugzeug in Edinburgh, um eine Freundin zu<br />

besuchen, ärgert sich, dass Schottland den Euro<br />

nicht hat und zahlt ihren Kaffee schließlich mit ihrer<br />

Visa-Card, indes Pia anruft, die gerade in Pisa<br />

studiert.<br />

Die jungen Frauen und Männer von heute sind<br />

unterschiedlich. Sie sind keine dichte soziale Einheit,<br />

die mit irgendeinem Catch-all-Begriff erfassbar<br />

wäre. Es gibt nicht die Generation Praktikum,<br />

nicht die Generation Doof. Es handelt sich<br />

we<strong>der</strong> um eine „Jugend ohne Charakter“ noch um<br />

eine durchweg und gleichermaßen „pragmatische<br />

Generation“ (Shell-Studie 2006). – Die Verschiedenheit<br />

scheint das Gemeinsame, das Unterscheidende<br />

das Verbindende!<br />

Dieser Entwicklung möchte ich nachgehen.<br />

Zuerst <strong>der</strong> Blick zurück: Es geht um eine Skizze<br />

gesellschaftlicher, soziologischer und entwicklungspsychologischer<br />

Ursachen. In vier Bereichen<br />

werden Pluralisierungsbewegungen beschrieben.<br />

Dann <strong>der</strong> Blick nach vorn: Welche Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

ergeben sich daraus? Dazwischen, in <strong>der</strong><br />

Mitte – die Jugendlichen! Denn jenseits je<strong>der</strong> Studie,<br />

je<strong>der</strong> These und (soziologischen) Schublade<br />

geht es um die Menschen. Dieses personale Prinzip<br />

gilt einmal mehr in <strong>der</strong> Situation, in <strong>der</strong> junge<br />

Menschen immer diffiziler von einan<strong>der</strong> abgegrenzte<br />

Individuen sind, sein müssen o<strong>der</strong> wollen.<br />

So geht es um die große Freiheit, auf die junge<br />

Menschen im angebrochenen 21. Jahrhun<strong>der</strong>t tref-<br />

fen. Eine Freiheit, die mal lebendig und kreativ<br />

macht, mal zögerlich-ängstlich und die neben den<br />

Gewinnern auch Randständige kennt.<br />

Wertepluralität<br />

Mit <strong>der</strong> Globalisierung fing vielleicht alles an:<br />

Die zugänglichen Wertekonstrukte werden quantitativ<br />

mehr und qualitativ differenzierter. Migration<br />

und schnellere Kommunikationswege unterstützen<br />

diese Pluralisierung <strong>der</strong> Werthaltungen.<br />

Die heutige Jugend teilt nicht das eine bündige<br />

Wertesystem miteinan<strong>der</strong>. Der einzelne junge<br />

Mensch wächst nicht mehr automatisch in ein bestehendes,<br />

gesellschaftlich breit getragenes Regelwerk<br />

hinein. Die Zeit solcher großen kollektiven<br />

Orientierungen – wie sie zum Beispiel durch<br />

die Volkskirchen gegeben waren – ist längst vorbei.<br />

Das Individuum ist zum „kulturellen Selbstversorger“<br />

(Niklas Luhmann) geworden.<br />

Doch geht diese Marginalisierung <strong>der</strong> klassischen<br />

Sozialisationsinstanzen wie Familie o<strong>der</strong><br />

Kirche nicht mit einem breiten Verlust von Anstand<br />

und Moral einher. Wer aufmerksam ist und<br />

bereit, den eigenen Standpunkt zu verlassen und<br />

einen an<strong>der</strong>en Blickwinkel einzunehmen, <strong>der</strong> stößt<br />

auf eine Pluralität von Wertorientierungen, die je<br />

nach eigenem Ausgangspunkt zunächst richtiger<br />

(im Sinne von wert-voller) und damit auch plausibler<br />

wirken – o<strong>der</strong> gerade nicht. Die Vielfalt ist<br />

hier das Spannende. Der „Selbstversorger“ hat<br />

die Möglichkeit, aus allen Kulturen, Regionen<br />

und Religionen zu wählen und zu rekombinieren,<br />

was ihm wichtig und richtig erscheint. So entstehen<br />

schier unbegrenzt viele individuelle Wertkomplexe.<br />

Pluralisierung <strong>der</strong> Lebensorte<br />

Gestiegene Wahlmöglichkeiten betreffen alle<br />

Bereiche des Lebens: Es geht nicht allein um<br />

grundsätzliche und abstrakte Fragen von Werten,<br />

Normen und Religiosität, son<strong>der</strong>n um ganz alltägliche,<br />

scheinbar belanglose Fragen. So kann<br />

ich lange vor einem Regal mit unzähligen Zahnpasta-Sorten<br />

stehen, bis ich zu einer Entscheidung<br />

komme, die mein Leben vermutlich wenig be-<br />

Jugend politik


wegt. Dann gibt es jedoch optionsreiche Fel<strong>der</strong>,<br />

die die weitere Sozialisation und Biographie stärker<br />

beeinflussen. Dazu gehört unbedingt die Pluralisierung<br />

<strong>der</strong> Lebens- und Erlebnisorte junger<br />

Menschen. Auch hier gibt es eine zunehmende<br />

Erweiterung <strong>der</strong> Spielräume. Die gestiegene Mobilität<br />

prägt das Individuum schon früh, wenn beispielweise<br />

nicht <strong>der</strong> räumlich nächstgelegene Kin<strong>der</strong>garten,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> besten För<strong>der</strong>ung<br />

gewählt wird. Freundinnen und Freunde wohnen<br />

so nicht unbedingt zwei Türen weiter – und die<br />

Konsequenzen lassen sich weiter ausmalen. Die<br />

klassischen Sozialräume verlieren ihre Prägekraft.<br />

Zumindest gibt es unterschiedliche Lebensradien,<br />

in denen sich die verschiedenen Menschen einer<br />

Generation bewegen. Diese Grenzen verschwimmen,<br />

wo die Freiheit größer wird.<br />

Europa wächst immer weiter zusammen, die<br />

Grenzen sind offen, die Währung eine gemeinsame.<br />

Der eiserne Vorhang ist längst gefallen –<br />

ebenso eine Tatsache für die Geschichtsbücher<br />

wie die Teilung Deutschlands. Dazu werden junge<br />

Menschen heute nur sagen können „das war vor<br />

meiner Zeit“ – und mit diesem Satz ihre eventuell<br />

mangelnde Kenntnis entschuldigen. Wichtig ist, zu<br />

erkennen, dass junge Menschen in einer Zeit aufwachsen,<br />

die stärker als je zuvor von räumlicher<br />

Offenheit und Freiheit einer globalen Welt gekennzeichnet<br />

ist. Man kann den Studienort frei<br />

wählen – BA-/MA-Studiengänge wollen das unterstützen,<br />

zahlreiche För<strong>der</strong>programme und Stipendien<br />

schaffen den wirtschaftlichen Rahmen.<br />

Fremdsprachen gehören längst zur elementaren<br />

Schulbildung und Medien ermöglichen, die<br />

fremde weite Welt vor <strong>der</strong> Ankunft schon ein wenig<br />

zu kennen.<br />

Zeitliche Pluralität<br />

Der Ausspruch „Alles zu seiner Zeit“ gilt nicht<br />

mehr. Beinahe alles ist heute je<strong>der</strong>zeit möglich:<br />

Für die Nachrichten muss ich nicht bis zur Tagesschau<br />

um 20.00 Uhr warten – dank Internet kann<br />

ich sie mir je<strong>der</strong>zeit auf den Bildschirm holen. An<br />

<strong>der</strong> Tankstelle bekomme ich mitten in <strong>der</strong> Nacht<br />

alle Zutaten für meinen Caipirinha – samt gecrushtem<br />

Eis. Auf Omas 70. Geburtstag liegt das<br />

Handy auf dem Schoß, ich verfolge nebenbei die<br />

Bundesliga. Wir leben in einer vergleichzeitigten<br />

und ungeheuer beschleunigten Welt, die durch digitale<br />

Parallelwelten und neue Kommunikationsmittel<br />

angetrieben wird. Alles ist möglich – welche<br />

Freiheit, welche Bürde! Während die subjektiv<br />

verfügbare Zeit also zum einen flexibler, dynami-<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

scher und effektiver nutzbar wird, gibt es an<strong>der</strong>e<br />

Lebensbereiche, in denen gerade jungen Menschen<br />

Zeit genommen o<strong>der</strong> stark vorstrukturiert<br />

wird: Ganztagsschulen werden ausgeweitet, die<br />

Schulzeit verkürzt, in den Semesterferien sind<br />

mehr Praktika notwendig, <strong>der</strong> Nebenjob finanziert<br />

die Studiengebühren, für den Arbeitgeber ist<br />

<strong>der</strong> Auszubildende je<strong>der</strong>zeit erreichbar und einsetzbar.<br />

Plurales Wissen<br />

Wohl noch nie war für einen jungen Menschen<br />

so viel Wissen so leicht und schnell verfügbar wie<br />

heute. Unaufhörlich wächst es; Enzyklopädien<br />

haben unfassbare Ausmaße erreicht. In dieser Situation<br />

kann sich das Individuum die Freiheit nehmen,<br />

manches als wichtig zu begreifen und an<strong>der</strong>es<br />

als nicht wissenswert zu deklassieren. Das<br />

Allgemeinwissen scheint zu schwinden und die<br />

Wissensbestände einzelner Menschen werden unterschiedlicher,<br />

pluraler. Es entstehen Son<strong>der</strong>wissensbestände,<br />

Inseln des Wissens. Entscheidend ist<br />

<strong>der</strong> subjektive Blickwinkel, das jeweilige Interesse.<br />

Auch das Wissen selbst wird flui<strong>der</strong>: Audiovisuelle<br />

Zugänge ermöglichen Kin<strong>der</strong>n früh Wege<br />

zum Wissen, das mit dem Lexikon auf dem PDA<br />

plötzlich tragbar, digital durchsuchbar, im Internet<br />

frei verfügbar und auch selbst verän<strong>der</strong>bar ist.<br />

Leben im Ausschnitt: Individualisierung<br />

Pluralisierung von Zeit, Werten, Lebensorten<br />

und Wissen. Vier Aspekte, die einerseits große<br />

Freiräume für die Jugend beinhalten und an<strong>der</strong>erseits<br />

voller Herausfor<strong>der</strong>ungen stecken können.<br />

Alle Bereiche – die hier nur exemplarisch für an<strong>der</strong>e<br />

Lebensbereiche stehen, die ebenso von Globalisierung<br />

und Pluralisierung geprägt sind, stekken<br />

voller Ambivalenz. Einerseits bieten diese<br />

Freiräume vielfältige Chancen und sind fast unendlich<br />

groß – an<strong>der</strong>erseits sind sie eigentlich immer<br />

zu groß. Leben kann nur im Ausschnitt gelingen<br />

– in <strong>der</strong> individuellen Auswahl und<br />

Generierung <strong>der</strong> persönlichen Lebenswelt.<br />

Die neue Freiheit ruft dem Einzelnen zu: „Du<br />

bestimmst! Wie, wo und wann willst Du leben? –<br />

Mach was draus!“. Notwendigerweise muss jede<br />

und je<strong>der</strong> selbst einen Filter anwenden und sortieren.<br />

Alles geht eben doch nicht. Jugendliche<br />

bauen sich ihre eigenen Welten bestehend aus<br />

dem, was je<strong>der</strong> akzeptieren kann und will. Subjektivität,<br />

Unverwechselbarkeit, Ich- und Echt-<br />

13


3/2009<br />

Sein sind entscheidende, lebensbejahende und systemimmanente<br />

Desi<strong>der</strong>ate <strong>der</strong> Pluralisierungsdynamik.<br />

Der Weg <strong>der</strong> Individualisierung führt<br />

von einer normenorientierten zu einer präferenzorientierten<br />

Alltagskultur und Lebensbiographie<br />

(Thomas Ziehe).<br />

Ästhetik als Ausdrucksform<br />

In dieser Atmosphäre <strong>der</strong> Multioptionalität<br />

steigt <strong>der</strong> Distinktionsdruck innerhalb <strong>der</strong> jungen<br />

Generation. Abgrenzung ist notwendig, um den eigenen<br />

Lebensradius zu beschreiben. Wenn dann<br />

die Mutter die Klamotten ihrer Tochter trägt und<br />

<strong>der</strong> Vater die Musik des Sohns hört und so die Elterngeneration<br />

nur wenig Abgrenzungsfläche bietet,<br />

werden die „jungen Alten“ zunehmend zur<br />

kulturellen Konkurrenz. Die gesamte demographische<br />

Entwicklung Deutschlands verläuft zu<br />

Ungunsten <strong>der</strong> nachfolgenden Generation. Der<br />

Jugend fehlt das Gegenüber; sie ist auf <strong>der</strong> Suche<br />

nach ihrem Platz in einer sich permanent wandelnden<br />

Welt. Hier gewinnt nun gerade <strong>der</strong> ästhetische<br />

Aspekt an Bedeutung, um <strong>der</strong> Individuali-<br />

14<br />

tät so autonom Ausdruck zu verleihen. Die individuelle<br />

ästhetische Entscheidung schlägt einen<br />

Pflock, einen Haltepunkt in die pluralisierte Welt.<br />

Kulturelle Wissensbestände und Kompetenzen,<br />

Mode und Musik werden zu Rohstoffen <strong>der</strong> Identitätskonstruktion<br />

– die Postmo<strong>der</strong>ne macht den<br />

„aesthetic turn“. Konkret bedeutet das: Denke ich<br />

bei Beethoven an den Komponisten o<strong>der</strong> an den<br />

Bernhardiner aus dem gleichnamigen Film? – Jugendliche<br />

sind unterschiedlich. Devrim, Carola,<br />

Felix, Dennis und Marie werden nicht die gleiche<br />

Musik hören, nicht die gleichen Freunde treffen<br />

o<strong>der</strong> die gleichen Ziele im Leben haben.<br />

Dabei werden juvenile Lebenswelten differenzierter,<br />

auch diffiziler. Denn Zeichen lassen<br />

sich nicht einfach ideologischen o<strong>der</strong> soziokulturellen<br />

Positionen zuordnen – auch die Steinbrüche<br />

<strong>der</strong> Ästhetik sind <strong>der</strong> Pluralisierungsdynamik unterworfen.<br />

Der Teufel liegt im semiotischen Detail,<br />

wie sich am Beispiel des Palästinensertuchs zeigen<br />

lässt: Was die einen noch an die bäuerliche Protestbewegung<br />

<strong>der</strong> Palästinenser erinnert, verbinden<br />

an<strong>der</strong>e mit dem Aufmarsch von Rechtsextremen;<br />

wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e denken an die eigene<br />

Jugend politik


Antifa-Zeit und die links-orientierte Szene, während<br />

die nächsten in <strong>der</strong> BRAVO lesen, wie sich<br />

das Palituch als (politisch aussageloses) Mode-Accessoire<br />

noch individuell „pimpen“ lässt.<br />

Begrenzte Freiheit o<strong>der</strong> befreiende Begrenzung<br />

Die Verwertungsgrade <strong>der</strong> postmo<strong>der</strong>nen Freiheit<br />

sind unterschiedlich. Offensichtlich profitieren<br />

nicht alle Jugendlichen gleichermaßen von<br />

den Chancen <strong>der</strong> Pluralisierung. Nicht alle haben<br />

die finanziellen, intellektuellen o<strong>der</strong> sozialen Möglichkeiten,<br />

sich diese Freiräume zu erschließen.<br />

Die Freiheit des jugendlichen Individuums ist determiniert<br />

durch seine Startposition, wozu wesentlich<br />

die soziale Lage, stark vom Bildungsgrad<br />

abhängig, und die ästhetische und<br />

wertemäßige Grundorientierung gehören.<br />

Wer beispielsweise traditionell denkt und sein<br />

Leben aus einer Reproduktionslogik heraus gestaltet<br />

(„Das war bei uns schon immer so!“), für<br />

den ist die Vielfalt manchmal eine Last, <strong>der</strong> entscheidet<br />

sich ständig gegen so vieles. Ein an<strong>der</strong>er<br />

Jugendlicher managt sein Leben nüchtern, zielorientiert,<br />

pragmatisch und flexibel; für den ist <strong>der</strong><br />

Reichtum an Optionen eine große Lust – er entscheidet<br />

sich immer wie<strong>der</strong> für das eine und dann<br />

(vielleicht sogar zugleich) für das nächste. Die<br />

gleichen Pluralisierungsprozesse bieten den Rahmen<br />

für ganz unterschiedliche Lebensbiographien,<br />

die je nach kultursoziologischer Verortung und<br />

Wertorientierung von einem an <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

festhaltenden, ängstlichen „entwe<strong>der</strong> o<strong>der</strong>“<br />

o<strong>der</strong> einem zuversichtlichen und selbstbewussten<br />

„sowohl als auch“ geprägt sein können.<br />

Nicht alle wollen und können das hohe Tempo<br />

<strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne mitgehen. Nicht alle jungen<br />

Menschen leben unter Bedingungen, die es ihnen<br />

ermöglichen, die Chancen <strong>der</strong> pluralen Prozesse<br />

konstruktiv zu ergreifen. Vor allem schlechtere<br />

sozialökonomische Bedingungen und gesellschaftliche<br />

Exklusionstendenzen verhin<strong>der</strong>n die<br />

Teilhabe an den beschriebenen Freiräumen – dies<br />

führt dann eher zum Rückzug in die Eigenwelt,<br />

zum sogenannten Cocooning. Hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Verwertbarkeit <strong>der</strong> Freiräume einerseits und den<br />

Begrenzungen an<strong>der</strong>erseits gilt <strong>der</strong> „Matthäus-<br />

Effekt“: Wer hat, dem wird gegeben. Die Fähigkeit,<br />

mit <strong>der</strong> Vervielfältigung und <strong>der</strong> Beschleunigung<br />

<strong>der</strong> Welt konstruktiv umgehen zu können, ist<br />

die Voraussetzung dafür, diesen Freiraum noch<br />

stärker nutzen zu können.<br />

Für manche jungen Menschen bringen so gerade<br />

die scheinbar einengenden Entwicklungen<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

eine neue Freiheit. Am Beispiel <strong>der</strong> Ganztagsschule<br />

wird das deutlich: Diese bestimmt zunächst<br />

die Zeit, den Raum, den potentiellen Freundeskreis,<br />

das Freizeit-Angebot. Sie ist ein begrenzter<br />

und begrenzen<strong>der</strong> Lebensraum; auf den ersten<br />

Blick wird also Freiheit genommen. Das System<br />

eröffnet jedoch vielen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

eine wohltuende Rhythmisierung des Tages, versorgt<br />

sie mit einem warmen Essen und sportlichen<br />

o<strong>der</strong> musisch-kulturellen Freizeitangeboten, zu<br />

denen sie sonst keinen Zugang hätten.<br />

Integration und Differenzierung<br />

Am Ende dieser Reflexion steht kein Rezept,<br />

das detaillierte Maßnahmen beschreiben würde,<br />

wohl aber ein Fingerzeig: Integration und Differenzierung<br />

statt Segregation und Einheitsbrei! Es<br />

geht um ein Diversity-Management, das die Vielfalt<br />

<strong>der</strong> jugendlichen Lebenswelten wahr- und<br />

ernst nimmt, diese anerkennt und konstruktiv miteinan<strong>der</strong><br />

in Beziehung setzt. Wichtig dafür ist,<br />

den Blick für die Verschiedenheiten junger Menschen<br />

zu schärfen (hierbei kann unter an<strong>der</strong>em<br />

die Sinus-Milieustudie U27, die BDKJ und Misereor<br />

2008 veröffentlichten, eine große Hilfe sein).<br />

Markus Etscheid-Stams<br />

ist Referent für Kirchenpolitik und Jugendpastoral<br />

beim Bund <strong>der</strong> Deutschen Katholischen<br />

Jugend (BDKJ)<br />

15


3/2009<br />

16<br />

Viel Platz – wenig Raum?!<br />

Von <strong>der</strong> Bushaltestelle bis zum Jugendverband:<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche vernetzen ihre Sozialräume<br />

Von Matthias Sammet<br />

Raum – egal ob als Freiraum, Territorium,<br />

Sozialraum o<strong>der</strong> Jugendraum bezeichnet –<br />

ist von großer Bedeutung für das Aufwachsen<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen. Im Folgenden<br />

wird auf diese Bedeutung, die Erscheinungsformen<br />

von Raum, die dort stattfindenden<br />

Prozesse, die Unterschiede zwischen <strong>Stadt</strong> und<br />

Land und auf die speziellen jugendpolitischen Implikationen<br />

eingegangen.<br />

Den Blick auf den dem Menschen zur Verfügung<br />

stehenden Raum zu richten und dann zu beobachten,<br />

wie er mit diesem Raum umgeht, führt<br />

nicht nur in Bezug auf Jugendliche – aber bei ihnen<br />

vor allem – zu neuen Erkenntnissen, zumindest<br />

aber zu Überraschungen. Ist die Aneignungsmöglichkeit<br />

von Raum im weitesten Sinne<br />

die Formel dafür, ob Menschen ihr Leben als gelingend<br />

erleben und bewerten? Wirken bei diesem<br />

Prozess die Kategorien Geschlecht, Kultur, <strong>Stadt</strong><br />

– Land o<strong>der</strong> sozioökonomische Faktoren nicht<br />

stärker als sonst?<br />

Zur Abgrenzung sei gesagt, dass es im folgenden<br />

Artikel nicht um Sozialraumorientierung geht,<br />

wie sie heute häufig in <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Träger anzutreffen ist. Mit <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einführung<br />

von Sozialraumorientierung durch den<br />

8. Jugendbericht und das KJHG war zwar die<br />

Hoffnung verbunden, eine stärkere Subjektorientierung<br />

im Bereich <strong>der</strong> administrativen Jugendpolitik<br />

und <strong>der</strong> öffentlichen Jugendhilfe zu erreichen.<br />

Schaut man sich jedoch heute an, was unter<br />

dem Begriff Sozialraumorientierung subsumiert<br />

wird, dann muss man feststellen, dass die Methode<br />

häufig einer „sozialgeographische(n)“ Kartierung<br />

gleichgesetzt wird (vgl. Deinet, Ulrich:<br />

Sozialräumliche Orientierung – mehr als Prävention!<br />

in Deutsche Jugend 3/2001, S. 117-124). Im<br />

Folgenden sind mit sozialem Raum o<strong>der</strong> Sozialraum<br />

subjektive Prozesse Jugendlicher und <strong>der</strong>en<br />

Auswirkungen bei <strong>der</strong> Aneignung von Territorien<br />

und Räumen gemeint.<br />

Raum – eine Definition<br />

Was ist ein Raum? Man kann differenzieren<br />

zwischen realen, sozialen und virtuellen Räumen.<br />

Auf virtuelle Räume kann jedoch nur unzureichend<br />

eingegangen werden, da die Thematik an<br />

dieser Stelle zu umfassend wäre. Räume und Territorien,<br />

von denen hier die Rede ist, sind Jugendräume,<br />

Gemein<strong>der</strong>äume, Wohnungen, Häuser,<br />

Bushaltestellen, Scheunen, Einkaufszentren,<br />

U-Bahn-Anlagen, Landjugendheime, Bauwagen,<br />

Fabrikgelände, Plätze, Parks, Fel<strong>der</strong>, Wald, Straßen,<br />

Fabrikgelände, Sportplätze, Skateranlagen<br />

etc. Diese Räume und Territorien haben eines gemeinsam:<br />

Sie weisen eine geringe Dichte hinsichtlich<br />

Regeln, Normen und Vorgaben auf – zumindest<br />

scheint dies auf den ersten Blick so zu<br />

sein.<br />

Wie entstehen soziale Räume?<br />

Reale Räume und Territorien haben nicht per<br />

se eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung für Jugendliche. Die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Räume und Territorien als Treffpunkt,<br />

Party-, Aktions- o<strong>der</strong> Kommunikationsraum,<br />

politisches Feld o<strong>der</strong> Engagementmöglichkeit<br />

– also als Sozialraum im obigen Sinne –<br />

entsteht erst infolge eines Prozesses <strong>der</strong> Jugendlichen,<br />

innerhalb dessen konkrete Bedürfnisse und<br />

Interessen in diesen Räumen verwirklicht werden.<br />

Um Sozialräume zu schaffen, muss es deshalb<br />

möglich sein, dass Nutzungswünsche und<br />

Nutzungsvorstellungen sowie die konkreten räumlichen<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Jugendlichen in Übereinstimmung<br />

gebracht werden. Ulrich Deinet<br />

drückt das so aus: „Die Operationalisierung des<br />

Aneignungsbegriffes erfolgt in Bezug auf Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche, insbeson<strong>der</strong>e in den Dimensionen<br />

eigentätige Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Umwelt,<br />

Erweiterung des Handlungsraumes und Verän<strong>der</strong>ung<br />

vorgegebener Arrangements und<br />

Situationen“.<br />

Die beim Aneignungsprozess entstehenden Sozialräume<br />

können sehr unterschiedlich besetzt<br />

werden, was Wirkungen, Verbindlichkeiten, Regelungsdichte,<br />

Wert- und Zielprojektionen, zeitli-<br />

Jugend politik


che Bestandsdauer, ausgeprägte Inhalte, Engagement-<br />

und Vernetzungsmöglichkeiten und an<strong>der</strong>es<br />

angeht. Ein Sozialraum kann also eine Bushaltestelle<br />

im Dorf sein, wo erste Begegnungen und<br />

Gespräche mit dem an<strong>der</strong>en Geschlecht stattfinden<br />

– ebenso gilt aber ein Jugendverband mit bundesweit<br />

übergreifenden Strukturen als Sozialraum.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche leben nie in nur einem<br />

Sozialraum. Sozialräume sind vernetzt und bilden<br />

dabei die „emanzipatorische Lebenswelt“ des einzelnen<br />

Jugendlichen o<strong>der</strong> Kindes, aber auch die<br />

von Gruppen, Peer Groups o<strong>der</strong> Cliquen ab.<br />

Emanzipatorisch sind sie, weil die Aneignungsprozesse<br />

vom Individuum o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gruppe selbst<br />

gesteuert und gestaltet werden. Die Aneignungsprozesse<br />

bei Sozialräumen, die von Kin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong><br />

Jugendlichen dauerhaft besetzt werden können,<br />

führen dazu, dass die Eigenständigkeit <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

und das Übernehmen von Verantwortung<br />

aus sozialer, kultureller, organisatorischer,<br />

gesellschaftlicher und zum Teil auch politischer<br />

Sicht geför<strong>der</strong>t wird. Sozialisatorische Wirkungen<br />

von zur Verfügung gestellten Räumen verschwimmen<br />

hier mit dem pädagogischen Handeln,<br />

dem Arrangieren dieser Räume. Es kann<br />

festgehalten werden, dass Aneignungsgelegenheiten<br />

von Territorien und Räumen eine Grundvoraussetzung<br />

dafür sind, dass Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

ein aktiver Teil <strong>der</strong> demokratischen<br />

Gesellschaft werden und sich zu eigenständigen<br />

Persönlichkeiten entwickeln.<br />

Umgekehrt gilt, dass zum Hineinwachsen in<br />

eine Gesellschaft räumliche und territoriale Aneignungsmöglichkeiten<br />

gegeben sein müssen. Daraus<br />

folgt, dass gesellschaftliche Teilhabe o<strong>der</strong> Partizipation<br />

mit dem Aneignungsprozess gleichgesetzt<br />

werden kann, denn dort, wo Räume o<strong>der</strong> Territorien<br />

aneigenbar sind, findet auch Partizipation<br />

statt.<br />

Virtuelle und reale Räume<br />

Virtuelle Räume, wie sie beispielsweise von<br />

Chats, Mikrobloggs o<strong>der</strong> Foren „aufgespannt“<br />

werden, erfahren dann große Bedeutung, wenn<br />

sie zur realen Raumaneignung führen. Bei einem<br />

Chat in Berlin verabredeten sich z. B. Hun<strong>der</strong>te Jugendliche<br />

an einem bestimmten Wochentag auf<br />

dem Alexan<strong>der</strong>platz. Dennoch tragen virtuelle<br />

Räume häufig zu einem Bedeutungsverlust realer<br />

Räume bei. In virtuellen Räumen werden Aneignungsprozesse<br />

durch symbolische Handlungen ersetzt.<br />

Die Tendenz <strong>der</strong> Vereinzelung geht einher<br />

mit einer Abnahme gesellschaftlicher Teilhabe.<br />

Jugend politik<br />

Der städtische Raum<br />

3/2009<br />

Auffallend am städtischen Raum ist die geringe<br />

Mobilität von Jugendlichen. In Berlin gibt es<br />

beispielsweise Jugendliche, die noch nie in einem<br />

an<strong>der</strong>en <strong>Stadt</strong>teil waren. Der eigene Kiez ist das<br />

hauptsächliche Territorium für Jugendliche. Im<br />

Kiez sind die Bezüge, die Mechanismen, die<br />

Wege, die Rückzugsräume, aneigenbares und<br />

fremdes Territorium, bekannt. Virtuelle Räume<br />

werden in <strong>der</strong> Großstadt teilweise mit realen Räumen<br />

verbunden. Territorien und Räume, die von<br />

Jugendlichen aneigenbar sind, „konkurrieren“ in<br />

<strong>der</strong> Großstadt in hohem Maße mit Interessen des<br />

Handels und <strong>der</strong> Banken, überzogenem Ruhe- und<br />

Sauberkeitsbedürfnis, medieninduzierten Ängsten<br />

vor Gewalt und finanzpolitischer Argumentation<br />

zur Schließung hochwirksamer Angebote <strong>der</strong> Jugendarbeit.<br />

Gegen all diese Konkurrenz sind Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche regelmäßig die Verlierer.<br />

17


3/2009<br />

Wenn Anwohner sich durch Lärm gestört fühlen,<br />

werden an sechsspurigen Straßen gelegene Skaterbahnen<br />

und Halfpipes mit Öffnungszeiten versehen;<br />

<strong>Stadt</strong>viertel mieten sich eigene Sicherheitskräfte,<br />

um für Ruhe und Ordnung zu sorgen.<br />

So wird <strong>der</strong> Aufenthalt an öffentlichen Plätzen<br />

für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche so unattraktiv wie nur<br />

möglich gestaltet. Die Reglementierung von Plätzen,<br />

U-Bahn-Anlagen o<strong>der</strong> Parks nimmt in ungeahntem<br />

Maße zu. Jugend- und Gemeindehäuser<br />

fallen zunehmend dem Rotstift zum Opfer. Die Innenstädte<br />

werden zunehmend jugendfeindliche<br />

Räume. Wenn es in Umfragen darum geht, welche<br />

Bedürfnisse und Interessen Jugendliche haben,<br />

dann werden sehr häufig Stichworte wie Treffpunkte,<br />

Jugendclubs, Räume o<strong>der</strong> „sich mit Freunden<br />

treffen“ genannt. Eine enorme und wachsende<br />

Bedürfnislage, die we<strong>der</strong> aus sozialplanerischer<br />

noch aus jugendpolitischer Sicht ignoriert werden<br />

kann und <strong>der</strong> eine sich drastisch reduzierende<br />

Angebotsstruktur gegenübersteht.<br />

Der ländliche Raum<br />

Im ländlichen Raum gibt es mehr Erholungsgebiete<br />

als in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> – doch wie sehen die<br />

Räume und Territorien <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

auf dem Land aus? Ein großer Unterschied<br />

zu den städtischen Räumen ist die erschwerte Mobilität.<br />

Die Formel ist einfach: Wer auf dem Land<br />

nicht mobil ist, wird isoliert und Teilhabe-Chancen<br />

sind ihm verschlossen. Jugendliche und Kin<strong>der</strong><br />

müssen zur Kita, zu Freunden, zur Schule, zu Feten,<br />

zum Jugendclub gebracht werden. Auf dem<br />

Land findet eine Vernetzung <strong>der</strong> angeeigneten<br />

Räume in <strong>der</strong> Region statt. Die Einschnitte und<br />

Einschränkungen bei ÖPNV führen im günstigsten<br />

Fall dazu, dass private Initiativen entstehen und<br />

dies übernehmen. Damit werden staatliche Aufgaben<br />

auf die Bürger übertragen. Junge Menschen<br />

auf dem Land sind gezwungen, mobil zu sein, um<br />

ihr Leben gestalten zu können. O<strong>der</strong> aber sie „verinseln“<br />

und treten den Rückzug in z. B. virtuelle<br />

Räume an, sofern das im ländlichen Raum, wo die<br />

Breitbandanbindung immer noch große Lücken<br />

aufweist, möglich ist. Zentralisierungstendenzen<br />

bei öffentlichen Einrichtungen, Schulen o<strong>der</strong> Ausbildungsbetrieben<br />

mit <strong>der</strong> trügerischen Aussicht,<br />

öffentliche Gel<strong>der</strong> zu sparen, verschärfen diese<br />

Tendenzen und tragen zur Verinselung und Isolation<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen bei. Der<br />

Freundeskreis wohnt nun plötzlich nicht mehr nur<br />

drei o<strong>der</strong> sechs Kilometer entfernt, son<strong>der</strong>n 15, 20<br />

o<strong>der</strong> noch weiter. Die Leistungen, die Kin<strong>der</strong>, Ju-<br />

18<br />

gendliche und zum Teil Familien auf dem Lande<br />

für eine gelingende Freizeitgestaltung und, damit<br />

verbunden, eine Sozialisation <strong>der</strong> jungen Menschen<br />

in die Gesellschaft aufbringen müssen, steigen<br />

drastisch. Hier entstehen quasi Kosten, die bei<br />

einer Gewinn- und Verlustrechnung <strong>der</strong> Demokratie<br />

zu Buche schlagen, nicht jedoch in den<br />

Haushaltsbüchern von Bund, Län<strong>der</strong>n und Kommunen<br />

auftauchen.<br />

Aneigenbare Räume auf dem Land sehen teilweise<br />

an<strong>der</strong>s aus als in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>. Hier spielen die<br />

Bushaltestelle, das Landjugendheim, <strong>der</strong> Gemein<strong>der</strong>aum<br />

<strong>der</strong> Kirche, Bauwagen, Jugendzentren,<br />

private Hütten, Skateranlagen o<strong>der</strong> Marktplätze<br />

eine bedeutende Rolle. Das Problem ist<br />

jedoch sowohl in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> als auch auf dem Land<br />

dasselbe: Die Räume, die den Jugendlichen zur<br />

Verfügung stehen, werden durch das ordnungspolitische<br />

„Waffenarsenal“ massiv eingeschränkt beziehungsweise<br />

mit Regeln übersät. Dass Jugendliche<br />

in einer Gesellschaft, die sich dem Diktat von<br />

Ruhe und Ordnung selbst in Gewerbe- und Gewerbemischgebieten<br />

unterzuordnen scheint, immer<br />

wie<strong>der</strong> zu Verlierern o<strong>der</strong> Rebellen werden<br />

können, liegt auf <strong>der</strong> Hand. Das Bedürfnis von Jugendlichen<br />

nach aneigenbaren Räumen auf dem<br />

Land übersteigt in Erhebungen und Statistiken<br />

noch die Zahlen, die aus städtischem Kontext bekannt<br />

sind.<br />

Beengte Jugend und die Folgen<br />

Über Räume verfügen zu können heißt sowohl<br />

in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong> als auch auf dem Land, Bedeutung zu<br />

haben. Die Möglichkeit <strong>der</strong> Aneignung von Räumen<br />

und Territorien ist ein grundlegen<strong>der</strong> Baustein<br />

für Individuen beim Hineinwachsen in eine Gesellschaft.<br />

Hier wird soziale und gesellschaftliche<br />

Verantwortung ausgeprägt. Über die Aneignung<br />

von Raum kommunizieren Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche mit <strong>der</strong> Erwachsenenwelt.<br />

Was geschieht nun, wenn immer weniger Territorien<br />

und Raum zur Verfügung stehen? Wenn<br />

das Bedürfnis und <strong>der</strong> Wunsch junger Menschen<br />

nach Räumen zu wenig politisch-öffentliche Akzeptanz,<br />

Beachtung, Unterstützung o<strong>der</strong> den notwendigen<br />

Vertrauensvorschub vonseiten <strong>der</strong> Erwachsenen<br />

erhält? Wenn entsprechende Anliegen<br />

nach eigenen und selber gestaltbaren Räumen mit<br />

Vertröstungen und Verweisen auf z. B. finanzielle<br />

Rahmenbedingungen („Wir müssen für nachfolgende<br />

Generationen sparen, deshalb schließen wir<br />

alle Jugendräume“), Bebauungspläne und partei-<br />

Jugend politik


politische Schwerpunktsetzungen („Jetzt sind zuerst<br />

einmal die alten Menschen dran“) abgetan<br />

werden? Wenn Jugendliche, die ihre Wünsche und<br />

For<strong>der</strong>ungen stellen, ohne Perspektive vertröstet<br />

werden?<br />

Was geschieht also, wenn eine Aneignung von<br />

Raum aufgrund verkümmerter parteilicher Jugendpolitik,<br />

des ordnungspolitisch faktenschaffenden<br />

Willens von Verwaltungen, juristisch erzwungenen<br />

Einschränkungen, Bürgern/innen, die<br />

wie Lärmseismographen handeln, stets vorfahrthaben<strong>der</strong><br />

Verkehrsplanung o<strong>der</strong> unwirtlicher Bebauung<br />

<strong>der</strong> Städte nicht mehr o<strong>der</strong> nur noch erheblich<br />

eingeschränkt möglich ist?<br />

Durch räumliche Beengtheit entsteht sozialer<br />

Stress – häufig leiden Jugendliche und Kin<strong>der</strong> unter<br />

eben diesem. Die Folgen sind im positiven<br />

Fall, dass sich Jugendliche und Kin<strong>der</strong> dennoch<br />

Raum und Territorien aneignen. Nicht selten<br />

kommt es jedoch zu Vandalismus, Provokationen,<br />

Überschreitung von Regeln, Gewalt o<strong>der</strong> Normbrüchen.<br />

Die Jugendlichen versuchen, dem Mangel<br />

an Erlebnismöglichkeiten und -qualität auf<br />

diese Weise entgegenzusteuern. Sie versuchen,<br />

Bedeutung für sich und ihr Leben zu erlangen. Der<br />

Teufelskreis endet damit, dass die Erwachsenenwelt<br />

auf dieses deviante Verhalten von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen zuerst mit Erstaunen und Entsetzen,<br />

dann mit <strong>der</strong> Verschärfung von Regelungen,<br />

Gesetzen und Verordnungen reagiert.<br />

Anstiften zum Unfrieden<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> sozialräumlichen Kategorie ist<br />

ein gelingendes Aufwachsen von Kin<strong>der</strong> und Ju-<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

gendlichen zunehmend gefährdet. Das gilt mit unterschiedlichen<br />

Parametern gleichwohl für Städte<br />

wie auch für ländliche Räume. Nur am Rande sei<br />

hier erwähnt, dass die sozialräumliche Komponente<br />

sich hinsichtlich Geschlecht, soziokulturellem,<br />

sozioökonomischem o<strong>der</strong> Migrationshintergrund<br />

zum Teil sehr unterschiedlich ausprägt.<br />

Das Aufwachsen von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

und die Sozialisation als Bürger/in in eine demokratische<br />

Gesellschaft gelingt dort, wo Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche nicht aus den Zentren in die Peripherie<br />

des gesellschaftlichen Geschehens verbannt<br />

werden, son<strong>der</strong>n teilhaben an Räumen und<br />

Territorien. Deshalb bedarf das Verständnis von<br />

Jugendpolitik einer Neuausrichtung.<br />

Land auf und Land ab ist in Studien und Erhebungen<br />

bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen ein Bedarf<br />

an Räumen konstatiert worden. Die Zeichen<br />

<strong>der</strong> räumlichen Enge von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

sind allerorts zu finden. Doch was tun? Im<br />

Folgenden wird nur auf die jugendpolitischen<br />

Aspekte eingegangen mit einigen Thesen zu einer<br />

parteilichen Jugendpolitik des, wenn man so will,<br />

„räumlichen Unfriedens“:<br />

» Jugendpolitik muss sich mehr politischen Raum<br />

aneignen und zwar in allen Politikfel<strong>der</strong>n, die<br />

Einfluss auf die Einengung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

aus sozialräumlicher Perspektive haben.<br />

Sie hat das Recht dazu, denn Jugendpolitik<br />

ist <strong>Zukunft</strong>spolitik.<br />

» Jugendpolitik darf nicht weiter stillschweigend<br />

zusehen, wie sämtliche Ressorts indirekte<br />

Staatspädagogik ausüben und dabei „Räume<br />

und Territorien“ für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

19


3/2009<br />

verengt werden. Beispielsweise gehört in Bebauungs-<br />

und Verkehrsvorhaben Jugendpolitik<br />

unbedingt miteinbezogen. Bereits bei Baugenehmigungen<br />

können Lärmschutzverordnungen<br />

zu Gunsten von Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen verankert<br />

werden.<br />

» Regionalpolitik muss die Kategorie „Jugend in<br />

ländlichen Räumen“ einbeziehen. Die Diktion<br />

des öffentlichen Sparens muss Halt machen,<br />

wenn es um die Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen geht, denn diese sind die <strong>Zukunft</strong><br />

<strong>der</strong> Region.<br />

» Der „Befreiung <strong>der</strong> Innenstädte von Jugendlichen“<br />

muss Einhalt geboten werden. Auch <strong>der</strong><br />

Handel und die Banken stehen nicht über den Interessen<br />

einer demokratischen Gesellschaft. Das<br />

Überregulieren und die zunehmende Unwirtlichkeit<br />

<strong>der</strong> Städte stehen im Wi<strong>der</strong>spruch zum<br />

Anspruch des KJHGs, ein gelingendes Aufwachsen<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen zu gewährleisten.<br />

» Die Kategorie „Raum“ muss ein handlungsleitendes<br />

Ziel <strong>der</strong> Jugendpolitik sein. Methodisch<br />

wäre zu befürworten, dass Jugendpolitik die<br />

konstruktive Streitkultur dem Neokorporatismus<br />

vorzieht.<br />

» Ordnungspolitische Aspekte haben in <strong>der</strong> parteilichen<br />

Jugendpolitik nichts zu suchen. Das ist<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Innenpolitik. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

müssen nicht beruhigt, son<strong>der</strong>n für ihre <strong>Zukunft</strong><br />

befähigt werden.<br />

» Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Familien-, Innen-,<br />

Kultus- und Kin<strong>der</strong>politik sind nicht Jugendpolitik.<br />

Jugendpolitik ist ein eigenständiges Politikfeld<br />

– so eigenständig wie Jugendliche es<br />

auch als Bürger einer Demokratie sein sollen.<br />

Dementsprechend sollten für die Jugend zuständige<br />

Ministerien und Ämter auf Bundes-,<br />

Landes- und Kommunalebene auch handeln.<br />

» Öffentliche Verwaltungen benötigen politische<br />

Handlungsleitlinien, insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Ausübung von Ermessen und Duldung,<br />

wenn es um Räume und Territorien von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen geht.<br />

» Das Gestalten, Bereitstellen und Arrangieren<br />

von aneigenbaren Räumen bedarf öffentlicher<br />

För<strong>der</strong>ung.<br />

» Mehrgenerationenhäuser und Schulen lassen<br />

Aneignung von Raum nicht zu. Sie stellen für<br />

Jugendliche keine Möglichkeit zur räumlichen<br />

Aneignung bereit, da ihre Regelungsdichte notwendigerweise<br />

sehr hoch ist. Der Unterschied<br />

zwischen Schule und Jugendarbeit ist nirgends<br />

besser zu erkennen als aus sozialräumlicher Per-<br />

20<br />

spektive. Dabei wird deutlich, wie notwendig<br />

die Sozialisationsinstanz Jugendarbeit für die<br />

Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen in<br />

unserer Gesellschaft ist.<br />

» Das räumliche Kindes- und Jugendwohl ist in<br />

Gefahr. Bundespolitik muss sich ebenso im Bereich<br />

Jugend profilieren wie dies beispielsweise<br />

bei <strong>der</strong> Familien-, Finanz- o<strong>der</strong> Wirtschaftspolitik<br />

in kürzester Zeit gelang.<br />

» Auf kommunaler Ebene sind Raumkonzepte für<br />

die Jugendarbeit notwendig. Welche Räume<br />

Kommunen „ihren“ Jugendlichen zugestehen,<br />

sagt viel über die Lebensqualität <strong>der</strong> Kommune<br />

aus. Kommunalpolitik hat dann <strong>Zukunft</strong>, wenn<br />

sie „ihrem Nachwuchs“ genug Raum gibt. Das<br />

heißt nicht, dass alle Kommunen große Jugendhäuser<br />

bauen müssen. Vielmehr sollten die lokalen<br />

Ressourcen genutzt und zum Beispiel Jugendverbände<br />

in solche Konzepten eingebunden<br />

und an ihnen beteiligt werden.<br />

Matthias Sammet<br />

ist Geschäftsführer beim Bund <strong>der</strong> Deutschen<br />

Landjugend (BDL).<br />

Jugend politik


Jugend politik<br />

<strong>Stadt</strong> für Kin<strong>der</strong> – <strong>Stadt</strong> <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong><br />

Kin<strong>der</strong>- und jugendgerechte <strong>Stadt</strong>planung<br />

Von Dagmar Brüggemann<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche brauchen Spielräume<br />

– draußen, im Freien, in <strong>der</strong><br />

Natur! Damit sind nicht einfach nur<br />

Spielplätze gemeint, son<strong>der</strong>n sämtliche Freiflächen<br />

im Wohnumfeld, im Quartier, im <strong>Stadt</strong>teil<br />

und in <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>. Sie sollen kindgerecht, anregend<br />

und vielfältig sein und zum Spielen und Erleben<br />

einladen.<br />

Freiraum hat für die Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen eine zentrale Bedeutung.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sind nach wie vor die intensivsten<br />

Nutzer von Freiräumen. Die Raumnutzung<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen lässt sich dabei<br />

nicht auf bestimmte Funktionsräume<br />

reduzieren: We<strong>der</strong> <strong>der</strong> Spielplatz, die Sportanlage<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Park an sich, son<strong>der</strong>n ein System von miteinan<strong>der</strong><br />

verbundenen Freiräumen ist für die Aneignung<br />

durch Kin<strong>der</strong> und Jugendliche von großer<br />

Bedeutung.<br />

Die Bedürfnisse von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

sind bei <strong>der</strong> räumlichen Entwicklung in Städ-<br />

3/2009<br />

ten und Gemeinden in den letzten Jahrzehnten<br />

nicht genügend beachtet worden. Die dramatische<br />

Zunahme des Verkehrs und <strong>der</strong> Verlust von Freiflächen<br />

haben dazu geführt, dass sich Kin<strong>der</strong> immer<br />

weniger draußen im Freien aufhalten und zunehmend<br />

aus öffentlichen Räumen verdrängt<br />

werden. Auch Kindheit hat sich verän<strong>der</strong>t: Verinselung,<br />

Verhäuslichung und Medialisierung sind<br />

die zentralen Begriffe in dieser Diskussion.<br />

Die aufgezeigten Trends haben dramatische<br />

Auswirkungen auf die Gesundheit, denn Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche, die ohne geeignete Spiel- und<br />

Aufenthaltsräume im Freien aufwachsen, weisen<br />

Defizite in ihrer körperlichen, geistigen und seelischen<br />

Entwicklung auf. Motorische Störungen<br />

aufgrund von Bewegungsmangel und Fettleibigkeit<br />

verbunden mit den bekannten gesundheitlichen<br />

Risiken sind Ausdruck davon, dass sich die<br />

Entwicklungsbedingungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> verschlechtert<br />

haben.<br />

21


3/2009<br />

Das Handlungsfeld<br />

Die große Bedeutung <strong>der</strong> städtischen Freiräume<br />

für das Aufwachsen junger Menschen verweist<br />

auf das Handlungsfeld <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung<br />

und <strong>Stadt</strong>planung. Maßnahmen und<br />

Vorhaben <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung und <strong>Stadt</strong>planung<br />

beeinflussen direkt das Lebensumfeld von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen – jede Maßnahme und jedes<br />

Vorhaben <strong>der</strong> räumlichen Planung greift unmittelbar<br />

in ihr Lebensumfeld ein. Die Folgen<br />

planerischer Interventionen auf das Lebensumfeld<br />

wurden jedoch bislang zu wenig thematisiert<br />

und in <strong>der</strong> Praxis von <strong>Stadt</strong>entwicklung und <strong>Stadt</strong>planung<br />

nur unzureichend berücksichtigt.<br />

Die <strong>Stadt</strong>entwicklung und <strong>Stadt</strong>planung wird<br />

zu einem wichtigen Akteur, um ein kin<strong>der</strong>- und jugendgerechtes<br />

Deutschland umzusetzen. Es gilt,<br />

zukünftig die Interessen von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

im Rahmen von räumlichen Planungen<br />

mehr als bisher zu berücksichtigen.<br />

In den vergangenen Jahren haben viele Städte<br />

angefangen, <strong>der</strong> oben beschriebenen Entwicklung<br />

entgegenzusteuern. Beflügelt durch den demografischen<br />

Wandel ringen Städte und Gemeinden<br />

um die Entwicklung neuer Leitbil<strong>der</strong>. Dabei rückt<br />

das Leitbild <strong>der</strong> kin<strong>der</strong>- und familienfreundlichen<br />

22<br />

<strong>Stadt</strong> zunehmend in den Vor<strong>der</strong>grund. Für die<br />

Umsetzung dieses Leitbildes fehlten bisher die<br />

richtigen Instrumente. Eine vielfältige Landschaft<br />

von Projekten <strong>der</strong> kin<strong>der</strong>freundlichen <strong>Stadt</strong>planung<br />

hat sich entwickelt. Dies sind beispielsweise<br />

Projekte, in <strong>der</strong>en Rahmen Schulhöfe und Spielplätze<br />

mit <strong>der</strong> Beteiligung von Kin<strong>der</strong>n gestaltet<br />

werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass einzelne<br />

Projekte die kin<strong>der</strong>freundliche Gesamtentwicklung<br />

von Städten und Gemeinden nicht beeinflussen.<br />

Projekte sind zeitlich begrenzt und beziehen<br />

sich immer nur auf räumlich begrenzte Ausschnitte.<br />

Neues Instrument: Spielleitplanung<br />

Diese Erkenntnis hat das Land Rheinland-Pfalz<br />

Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre dazu bewogen, mit <strong>der</strong><br />

Spielleitplanung ein neues Planungsinstrument zu<br />

entwickeln, das die Interessen von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen strukturell und langfristig auf <strong>der</strong><br />

Ebene <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>entwicklung verankert und das<br />

Leitbild <strong>der</strong> kin<strong>der</strong>- und jugendgerechten <strong>Stadt</strong><br />

auf <strong>der</strong> operationalen Ebene umsetzt.<br />

Spielleitplanung richtet den Blick auf die gesamte<br />

<strong>Stadt</strong> und Gemeinde als Spiel-, Erlebnisund<br />

Erfahrungsraum. Spielplätze sind demnach<br />

Jugend politik


nur ein Teilaspekt, Spielleitplanung geht weit darüber<br />

hinaus. Spielleitplanung erfasst, bewertet und<br />

berücksichtigt alle öffentlichen Freiräume, in denen<br />

sich Kin<strong>der</strong> und Jugendliche aufhalten und aktiv<br />

werden, beispielsweise Brachen, Siedlungsrän<strong>der</strong>,<br />

Baulücken, Grünanlagen, Straßen,<br />

Hauseingänge o<strong>der</strong> Plätze.<br />

Zentraler Bestandteil ist die Beteiligung von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen bei allen Planungs-,<br />

Entscheidungs- und Umsetzungsschritten. Durch<br />

die konsequente Verzahnung von Planung und<br />

Beteiligung wird von Anfang an eine neue Partizipations-<br />

und Planungskultur in <strong>der</strong> Kommune<br />

etabliert. Das zeichnet die Spielleitplanung als ein<br />

zukunftsorientiertes Handlungskonzept aus.<br />

Gemeinsam mit Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

werden die Qualitäten und Defizite im Bestand eines<br />

Gemeindegebietes untersucht und im Plan<br />

dargestellt. Der daraus entwickelte Spielleitplan<br />

enthält Darstellungen von Maßnahmen und Vorhaben<br />

zur Flächensicherung und -entwicklung,<br />

aber auch zur Sicherung von kleinteiligen Qualitäten<br />

wie beispielsweise Kletterbäumen o<strong>der</strong><br />

Trampelpfaden. Erste, kurzfristig zu realisierende<br />

Starterprojekte sind ein weiterer wichtiger Bestandteil<br />

<strong>der</strong> Spielleitplanung.<br />

Um dauerhaft bestehen zu können, setzt Spielleitplanung<br />

auf die Kooperation vieler. Sie führt<br />

Verbände, Initiativen, Vereine, engagierte Bürgerinnen<br />

und Bürger, Multiplikatoren, Schulen, Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Jugendarbeit sowie<br />

Agenda-21-Gruppen zusammen und verbindet sie<br />

in unterstützenden Netzwerken.<br />

Mit <strong>der</strong> Spielleitplanung hat das Handlungsfeld<br />

<strong>der</strong> kin<strong>der</strong>- und jugendgerechten <strong>Stadt</strong>planung<br />

zum ersten Mal ein schlagkräftiges Instrument, das<br />

die Belange von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen auf<br />

gleicher Augenhöhe mit an<strong>der</strong>en räumlichen Belangen<br />

zur Darstellung bringt und auf planerischer<br />

Ebene absichert. Die Spielleitplanung findet<br />

mittlerweile bundesweit Anwendung und ist ein<br />

Qualitätssprung im Handlungsfeld <strong>der</strong> kin<strong>der</strong>freundlichen<br />

<strong>Stadt</strong>planung. Sie verknüpft die Belange<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen mit den klassischen<br />

Planungsinstrumenten wie z.B. <strong>der</strong><br />

Bauleit- und Verkehrsentwicklungsplanung.<br />

Beteiligung als Qualifizierung von Planung<br />

Während Beteiligungsprojekte sich früher in<br />

erster Linie auf pädagogische Orte wie Spielplätze<br />

o<strong>der</strong> Schulgelände bezogen, ist es mittlerweile<br />

unter an<strong>der</strong>em durch die Spielleitplanung gelungen,<br />

in ersten Schritten die Kernbereiche von<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

<strong>Stadt</strong>planung wie z. B. die Flächennutzungs-, Verkehrsentwicklungs-<br />

und <strong>Stadt</strong>teilentwicklungsplanung<br />

für die Einbeziehung <strong>der</strong> Belange von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen zu erschließen. Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche haben ein unersetzliches Wissen<br />

über ihre <strong>Stadt</strong> und ihr Lebensumfeld. Ein Wissen,<br />

das den Planungsprozess und die Qualität des Ergebnisses<br />

mit neuen Perspektiven bereichern kann.<br />

Für die Beteiligung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

sollte ein sozialraumorientierter Ansatz gewählt<br />

werden. Der Bezugspunkt von Raumnutzungsmustern<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen ist<br />

das Quartier. Beson<strong>der</strong>s wichtig wird dieser Ansatz<br />

aufgrund <strong>der</strong> Segregation und <strong>der</strong> ungleichen<br />

Entwicklung von <strong>Stadt</strong>quartieren. Die differenzierte<br />

Landschaft <strong>der</strong> <strong>Stadt</strong>quartiere braucht sozialraumorientierte<br />

Lösungen und keine Pauschalentwicklungen.<br />

Um Kin<strong>der</strong> und Jugendliche im Rahmen des<br />

neuen Handlungsfeldes zu beteiligen, benötigt die<br />

<strong>Stadt</strong>entwicklung verlässliche Partner. Im Kontext<br />

von <strong>Stadt</strong>entwicklung und <strong>Stadt</strong>planung werden<br />

Schulen, Vereine sowie soziale, pädagogische<br />

und kulturelle Einrichtungen zu wichtigen Partnern<br />

für die Planung bei <strong>der</strong> Organisation und<br />

Durchführung von Beteiligungsverfahren.<br />

Das hohe Potenzial <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Spielleitplanung<br />

angelegten Kooperationsstrukturen mit neuen sozialen<br />

und pädagogischen Akteuren ist noch längst<br />

nicht ausgeschöpft. Gerade in <strong>der</strong> Kooperation<br />

mit Schulen und Vereinen liegen vielfältige, noch<br />

nicht erschlossene Möglichkeiten, die es zukünftig<br />

zu nutzen gilt.<br />

Dagmar Brüggemann<br />

ist <strong>Stadt</strong>planerin im Planungsbüro <strong>Stadt</strong>-<br />

Kin<strong>der</strong>, Dortmund.<br />

23


3/2009<br />

24<br />

Teilhabe an <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />

Ein Gespräch mit Professor Lothar Böhnisch<br />

Professor Lothar Böhnisch beschäftigt sich<br />

mit den sozialen Dimensionen zivilgesellschafter<br />

Modelle. Im Gespräch erläutert er<br />

die Grundzüge <strong>der</strong> Zivilgesellschaft. Er beschreibt,<br />

welchen Platz Jugendliche in einer solchen Gesellschaft<br />

haben und welche Rolle Jugendverbände<br />

spielen sollten und können.<br />

Die Idee <strong>der</strong> Zivilgesellschaft: Wie kann man sie<br />

mit wenigen Worten beschreiben?<br />

Der zivilgesellschaftliche Diskurs hat drei bis vier<br />

Dimensionen. Einmal ist Zivilgesellschaft – im europäischen<br />

Diskurs – ein gouvernamentaler Entwurf:<br />

Er beschreibt das neue und gute Regieren,<br />

bei dem es darum geht, die Top-Down-Tradition<br />

durch Bottom-Up-Prozesse zu ergänzen. Beim<br />

Regieren werden Bürgerinnen und Bürger inzwischen<br />

eingebunden, damit kommt Dynamik in<br />

Regierungsprozesse. Die zweite Dimension ist<br />

eine mehr institutionelle Dimension. Neben dem<br />

und unterhalb des parlamentarischen Systems bilden<br />

sich Organisationen, Verbände und vor allem<br />

Bürgerinitiativen. Die Idee ist, den Pluralismus <strong>der</strong><br />

Verbände o<strong>der</strong> Initiativen stärker zu betonen und<br />

in Verantwortung zu bringen. Bei dieser Dimension<br />

sind Verbände zentrale Figuren. Vor allem in<br />

<strong>der</strong> deutschen Gesellschaft sind Verbände stark kooptiert.<br />

Die Frage an die großen Verbände ist: Wie<br />

weit bilden sie selbst zivilgesellschaftliche Strukturen<br />

aus, um ihre Mitglie<strong>der</strong> (und Klienten) stärker<br />

in Teilhabe und Mitbestimmung und Engagement<br />

zu bringen.<br />

Und die dritte und vierte Dimension?<br />

Die dritte Dimension bezieht sich auf die Krise <strong>der</strong><br />

Arbeitsgesellschaft und <strong>der</strong> Entgrenzung des Sozialstaates.<br />

Wir leben in Deutschland und den<br />

westeuropäischen Län<strong>der</strong>n in einem System, in<br />

dem soziale Rechte vom Arbeitsstatus und Normalarbeitsverhältnis<br />

abgeleitet werden. Wer arbeitslos<br />

ist, hat wenige Chancen <strong>der</strong> Teilhabe. Die<br />

zivilgesellschaftliche Idee ist ein Versuch, die Bürgerrechte<br />

zu erweitern; o<strong>der</strong> darauf zu antworten,<br />

dass soziale Rechte o<strong>der</strong> Teilhaberechte, die fak-<br />

tisch über Arbeit vermittelt werden, erreichbar<br />

sind für alle, die arbeitslos o<strong>der</strong> in prekären Arbeitsverhältnissen<br />

sind. Die vierte Dimension ist<br />

mit <strong>der</strong> Frage verknüpft: Wird in zivilgesellschaftlichen<br />

Diskursen thematisiert, ob und wie<br />

Gruppen, die aus verschiedensten Gründen ausgeschlossen<br />

sind – etwa Jugendliche – beteiligt<br />

werden können.<br />

Können Jugendliche beteiligt werden?<br />

Jugend soll an <strong>der</strong> Zivilgesellschaft beteiligt werden,<br />

gleichzeitig haben alle Konzepte von Zivilgesellschaft<br />

aber keinen Jugendbegriff. Die Konzepte<br />

von Zivilgesellschaft gehen vom fertigen<br />

Bürger aus. Sie sagen wenig über zivilgesellschaftliche<br />

Sozialisation aus; und damit natürlich<br />

wenig über die Frage, wie Jugendliche befähigt<br />

werden können, bürgerschaftlich zu agieren. Sie<br />

sagen nichts darüber, welche Gegebenheiten Jugendliche<br />

vorfinden und welchen Zugang sie eigentlich<br />

haben. Weil alle zivilgesellschaftlichen<br />

Diskurse vom fertigen Bürger ausgehen, ist das ein<br />

blin<strong>der</strong> Fleck, über den man diskutieren und nachdenken<br />

muss.<br />

Wo sollte denn wer darüber nachdenken?<br />

Der DBJR wäre ein geeignetes Forum. Die Jugendverbände<br />

stehen aus meiner Sicht vor dem<br />

Problem, dass sie sich selbst zivilgesellschaftlich<br />

überprüfen sollten. Die Frage wäre: Welche Möglichkeiten<br />

haben Verbände und welche Tradition,<br />

um Jugendliche als Bürger ins Spiel zu bringen.<br />

Aus meiner Beobachtung haben wir in den Jugendverbänden<br />

manifest und latent ein sehr starkes<br />

hierarchisches Verhältnis zwischen Jugendlichen,<br />

Erwachsenen, erst Recht zwischen<br />

Jugendverbänden und den Erwachsenenverbänden.<br />

Das ist eine Konfliktsituation, mit <strong>der</strong> ganz<br />

unterschiedlich umgegangen wird, die teilweise<br />

bereits entschärft ist, aber oft wie<strong>der</strong> aufbricht.<br />

Dieser Konflikt liegt im Grunde quer zur bürgerschaftlichen<br />

Idee, dass Jugendliche und Erwachsene<br />

gleichermaßen als Bürgerinnen und Bürger<br />

anerkannt werden sollen.<br />

Jugend politik


Das verlangt eine Erklärung.<br />

Die Frage ist: Ist die traditionelle Sozialisation<br />

zum erwachsenen Mitglied des Verbandes auch<br />

eine zum Bürger und zur Bürgerin? O<strong>der</strong> braucht<br />

es an<strong>der</strong>e Voraussetzungen – auch in den Jugendverbänden<br />

– um Sozialisation zum Bürger/zur<br />

Bürgerin und gleichzeitig den Zugang zur Bürgerschaft<br />

miteinan<strong>der</strong> zu verbinden? Im Diskurs<br />

<strong>der</strong> letzten Jahrzehnte bedeutet Sozialisation Jugendlicher:<br />

Nicht fertig sein, sich noch entwickeln<br />

müssen. Jugendliche verhalten sich aber oft schon<br />

wie Erwachsene, wenn sie 17 o<strong>der</strong> 18 Jahre alt<br />

sind und könnten daher schon als Bürgerinnen<br />

und Bürger gelten. Zugleich bleiben sie aber ökonomisch<br />

abhängig, sie stecken in einer Übergangsphase,<br />

weil sich beispielsweise die arbeitsgesellschaftlichen<br />

Bedingungen geän<strong>der</strong>t haben,<br />

prekär geworden sind. Kurzum: Jugendliche kommen<br />

trotz ihres formal erwachsenen Alters nicht in<br />

<strong>der</strong> Zivilgesellschaft an.<br />

Was bedeutet das konkret?<br />

Wir müssen uns fragen, welche zivilgesellschaftlichen<br />

Strukturen dieser Lebenslage Jugend heute<br />

entgegen kommen. Wir brauchen eine Struktur, in<br />

<strong>der</strong> wir Jugendlichen eine Chance geben, sich<br />

zum Bürger zu entwickeln und sie gleichzeitig<br />

als Bürger o<strong>der</strong> Bürgerin akzeptieren. Gemeinsam<br />

mit Wolfgang Schröer habe ich einmal den<br />

Begriff <strong>der</strong> „protect autonomie“ gebraucht (vgl.<br />

Schröer/Böhnisch: Die soziale Bürgergeschaft,<br />

Weilheim/München 2002). Jugendliche brauchen<br />

weiter einen geschützten Raum, in dem sie aber<br />

autonom agieren können.<br />

Haben Sie ein Beispiel?<br />

Die Gesellschaft nimmt beispielsweise Jugendliche<br />

zunächst aus <strong>der</strong> Arbeitsgesellschaft heraus,<br />

damit sie im geschützten Raum lernen und sich<br />

entwickeln können. Später werden sie wie<strong>der</strong> qualifiziert<br />

in die Arbeitsgesellschaft eingebunden.<br />

Inzwischen gibt es ein Problem: Die Einbindung<br />

ist heute nur noch für einen Teil <strong>der</strong> Jugend selbstverständlich.<br />

Für viele Jugendliche ist Jugend hingegen<br />

zur Risikophase geworden. Sie werden<br />

nicht mehr automatisch in die Arbeitsgesellschaft<br />

integriert.<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

25


3/2009<br />

26<br />

Buchtipp<br />

Die Diskussionen um die Bürgergesellschaft und die <strong>Zukunft</strong><br />

des Sozialstaates treffen in Deutschland immer noch kontraproduktiv<br />

aufeinan<strong>der</strong>. Entwe<strong>der</strong> finden sich die Diskutanten<br />

<strong>der</strong> Bürgergesellschaft als Erben des Sozialstaates,<br />

wollen ihn ersetzen o<strong>der</strong> sie reduzieren ihn auf die Rolle eines<br />

fiskalischen Ressourcenbeschaffers. Der Staat als zentrales<br />

Medium sozialpolitischer Gestaltung verschwindet aus<br />

dem Blickwinkel. In diesem Buch wird nun <strong>der</strong> Versuch unternommen,<br />

den bürgerschaftlichen Diskurs in eine gesellschaftspolitisch<br />

verbindliche und den Herausfor<strong>der</strong>ungen des<br />

digitalen Kapitalismus angemessene Richtung zu lenken. Es<br />

wird aufgezeigt, dass sich die bürgerschaftlichen Programmatiken<br />

in Deutschland an einer unhinterfragten Adaption<br />

des amerikanischen Modells orientieren, welche die historische<br />

Realität <strong>der</strong> deutschen Sozialstaats- und Bürgerentwicklung<br />

nicht angemessen beschreibt. Zentral ist, dass das<br />

Sozialpolitische eine an<strong>der</strong>e Logik hat, als dies das Bürgerschaftliche<br />

in se iner aktuellen und historischen Sozialstaatskritik<br />

unterstellt. Der sozialpolitische Diskurs in<br />

Deutschland hat sich immer aus dem Spannungsverhältnis<br />

von Kapital und Arbeit heraus entwickelt und nicht aus einer<br />

lokalen Bewegung mit bürgergesellschaftlichem Anspruch.<br />

Dieses sozialpolitische Spannungsverhältnis wird in diesem<br />

Buch aktualisiert und auf den verschiedenen Ebenen <strong>der</strong><br />

sozialökonomischen Entwicklung zur bürgergesellschaftlichen<br />

Perspektive in Bezug gesetzt.<br />

Die Autoren:<br />

Lothar Böhnisch war bis vor kurzem Professor für Sozialpädagogik<br />

und Sozialisation <strong>der</strong> Lebensalter an <strong>der</strong> Technischen<br />

Universität Dresden. Er hat seit kurzem eine Professur<br />

für Soziologie an <strong>der</strong> Freien Universität Bozen in <strong>der</strong> Fakultät<br />

für Bildungswissenschaften.<br />

Wolfgang Schröer, Jg. 1967, Dr. phil., ist Dozent am Institut<br />

für Sozial- und Organisationspädagogik an <strong>der</strong> Universität<br />

Hildesheim.<br />

Was ist dabei die Aufgabe <strong>der</strong> Verbände?<br />

Es geht darum, Selbstständigkeit von Jugendlichen<br />

gesellschaftlich anzuerkennen und gleichzeitig zu<br />

sehen, dass sie sich in geschützter Umgebung entwickelt.<br />

Deswegen darf man Jugendliche nicht<br />

alleine lassen. Eine Auffor<strong>der</strong>ung an Jugendverbände<br />

ist deswegen: Durchdenken, ob die unterschiedlichen<br />

Hierarchien in den Verbänden bürgergesellschaftlich<br />

quer liegen. Außerdem gilt es<br />

Projekte zu organisieren, in denen bürgergesellschaftliche<br />

Möglichkeiten für Jugendliche deutlich<br />

werden. Natürlich kann es dann das Problem geben,<br />

dass ein solches Projekt sich plötzlich auch<br />

gegen einen Verband richtet.<br />

Wie ist das zu verstehen?<br />

Ein Beispiel mit Begriffen aus <strong>der</strong> Sozialarbeit:<br />

Wir machen den Klienten zum Bürger und merken<br />

oft nicht, dass sich damit <strong>der</strong> Status verän<strong>der</strong>t.<br />

Der Bürger ist nämlich nicht mehr Klient. Klient<br />

sein heißt aber, begrenzt sein. Der Bürgerstatus ist<br />

aber nicht begrenzt. Der Bürgerstatus eines Jugendlichen<br />

im Verband wäre deswegen ein doppelter:<br />

Verbandsangehöriger sein, in die Hierarchie<br />

hineinkommen und damit gleichzeitig Räume im<br />

Verband zu erschließen, die über den Verband hinausreichen<br />

können. Dies würde auch zur inneren<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Verbände beitragen.<br />

Was heißt dann an dieser Stelle Entwicklung?<br />

Bei den Verbänden beobachte ich, dass die große<br />

Zeit <strong>der</strong> Konflikte vorüber ist. Das Aufbegehren<br />

hat sich entschärft. Die Verbände werden wie<strong>der</strong><br />

als Karrierewege entdeckt. Gleichwohl finden Jugendliche<br />

Verbände immer noch als Räume für<br />

Projekte interessant. Denn nur aus solchen eigen<br />

entwickelten Projekten können sich produktive<br />

Konflikte entwickeln, die zivilgesellschaftliche<br />

Qualität entfalten. Den Verbänden können diese<br />

Konflikte nur gut tun.<br />

Die Verbände bieten doch Partizipation, bieten<br />

Raum für Mitbestimmung und Konflikte.<br />

Die Partizipationsfrage im Jugendalter ist vielschichtig:<br />

Mit welchen Voraussetzungen kommen<br />

Jugendliche aus den Familien und wie sieht es in<br />

<strong>der</strong> Schule aus? Es gab Zeiten, in denen die Idee<br />

Jugend politik


einer demokratisch verfassten Schule diskutiert<br />

wurde. Die Idee hat sich nicht durchgesetzt. Aus<br />

<strong>der</strong> Schule ist deswegen kaum Unterstützung in<br />

Sachen Partizipation zu erwarten. Die Verbände<br />

könnten sich also zur Schulpolitik äußern, mit <strong>der</strong><br />

For<strong>der</strong>ung nach Beteiligung, nach einem Raum für<br />

Partizipation in <strong>der</strong> Schule. Dabei haben wir jedoch<br />

das Problem, dass sich die Zeit für Bildung<br />

in <strong>der</strong> Jugendzeit ohnehin verlängert, die Zeit für<br />

Entwicklung dadurch aber verkürzt wird. Die Jugendarbeit<br />

muss deswegen viel stärker darauf pochen,<br />

dass Jugend <strong>der</strong> Ort ist, um Jugend leben zu<br />

können.<br />

Der <strong>Bundesjugendring</strong> for<strong>der</strong>t klar und deutlich<br />

Freiräume für die Jugend.<br />

Diese Freiräume müssen aber in <strong>der</strong> Richtung<br />

qualifiziert werden, dass klar zwischen Bildungsjugend<br />

und Entwicklungsphase Jugend unterschieden<br />

wird. Wir haben inzwischen das Problem,<br />

dass wir den Kin<strong>der</strong>garten massiv als<br />

Bildungsort diskutieren und uns nicht fragen, welchen<br />

Raum es für Entwicklung gibt. Die Spannung<br />

zwischen Bildung und Entwicklung heißt, dass<br />

Entwicklung Bildung in einer gewissen Art beeinflusst,<br />

zum Beispiel als Umweg gebraucht werden<br />

kann. Bildung geht von relativ eindimensionalen<br />

Vergleichbarkeiten aus, während wir aus<br />

<strong>der</strong> Jugendarbeit wissen, dass Jugendliche sich<br />

ganz unterschiedlich entwickeln und ungeheuer<br />

zurückgeworfen und beschädigt werden können,<br />

wenn sie rein aus <strong>der</strong> Bildungsperspektive, die<br />

immer eine Vergleichsperspektive ist, gesehen<br />

werden.<br />

Also keine For<strong>der</strong>ung nach mehr Beteiligung in<br />

<strong>der</strong> Schule?<br />

Ich würde den Partizipationsanteil nicht so hoch in<br />

<strong>der</strong> formellen Bildung sehen. Die Frage ist nämlich:<br />

Wo werden Jugendliche anerkannt und wie<br />

können sie Wirksamkeit spüren? In <strong>der</strong> Schule<br />

können Jugendliche nur begrenzt Wirksamkeit<br />

spüren, da müssen sie Leistung bringen. Soziale<br />

und kulturelle Anerkennung bekommen sie eigentlich<br />

nur in Experimentier- und Entwicklungsräumen.<br />

Die findet man in <strong>der</strong> Jugendarbeit.<br />

Es ist also nicht gut, Jugendarbeit massiv zum<br />

Bildungs- und Lernort machen zu wollen, Jugendarbeit<br />

als Lernort im Sinne eines Bildungsortes<br />

zu sehen und sie dem Bildungsbereich zu-<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

zuschlagen. In <strong>der</strong> Spannung zwischen Bildung<br />

und Entwicklung gibt es Konflikte.<br />

Soll sich Jugendarbeit also nicht im Feld <strong>der</strong> Bildung<br />

positionieren?<br />

Die Jugendarbeit kann ihren Bildungsgehalt darstellen.<br />

Aber das ist nicht ihr Kern, wenn man<br />

sieht, dass es für Jugendliche immer schwerer<br />

wird, ihre Jugend zu organisieren – im Sinne einer<br />

Experimentier- und Konfliktphase, in <strong>der</strong> vieles<br />

schief gehen, aber auch vieles gelingen kann, in<br />

<strong>der</strong> es Beziehungen braucht. Das bedeutet: Das<br />

Verhältnis Jugendarbeit und Schule ist spannend.<br />

Jugendarbeit und Schule sind zwei Pole. Man<br />

sollte die eigenständige Leistung <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />

betrachten und nicht dauernd schauen, wie man alles<br />

unter Bildung subsumieren kann. Das eigentliche<br />

Profil von Jugendarbeit ist aus meiner Sicht<br />

immer, dass Jugend Zeit und Raum braucht, um<br />

Jugend sein zu können. Wir können noch so gebildete<br />

Leute im Sinne <strong>der</strong> formalen Bildung haben:<br />

Wenn junge Menschen die Jugend nicht als<br />

Entwicklungsphase gehabt haben, dann Gnade<br />

uns Gott. Dann bekommen wir keine Zivilgesellschaft,<br />

son<strong>der</strong>n eine Expertengesellschaft, eine<br />

von Rationalität durchtränkte Gesellschaft, die<br />

unfähig ist, mit Konflikten umzugehen, die Konflikte<br />

nicht lösen kann. Ein Schlüssel ist, dass Jugend<br />

den Raum hat, sich auszuprobieren, um partizipieren<br />

zu können, um konfliktfähig zu werden,<br />

sich etwas zu trauen und mit Grenzen umgehen zu<br />

können. Das sind alles Dinge, die man in <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />

praktisch umsetzen kann. Doch Vorsicht:<br />

Man geht in <strong>der</strong> Jugendarbeit immer selbstverständlich<br />

davon aus – weil man keine Curricula<br />

hat wie die Schule – dass man gut und sinnvoll ist.<br />

Vieles, was in den Verbänden, in ihrer Arbeit<br />

selbstverständlich ist, wird draußen aber nicht<br />

mehr gesehen. Deswegen entstehen viele Fragen:<br />

Was lernen Jugendliche dort? Was bringen die<br />

Verbände? In <strong>der</strong> Jugendarbeit schon immer das<br />

Problem, dass sie so schwer evaluierbar ist, weil<br />

die Jugendlichen erst wenn sie älter sind spüren,<br />

was ihnen die Jugendarbeit gebracht hat. In <strong>der</strong> Jugendzeit<br />

sehen sie oft nur Selbstverständlichkeiten<br />

und Konflikte. Deshalb ist es notwendig, dass die<br />

Jugendverbände ihre Evaluationen auf die Dimension<br />

<strong>der</strong> biografischen Nachhaltigkeit ausrichten.<br />

So könnten sie sich auch besser im neueren<br />

Bildungsdiskurs zum Lebenslangen Lernen<br />

verorten.<br />

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3/2009<br />

28<br />

Partizipation konkret<br />

Erfahrungen aus dem Aktionsprogramm für mehr Jugendbeteiligung<br />

Von Kristin Napiralla<br />

Eine zentrale For<strong>der</strong>ung von Jugendverbänden<br />

ist die Partizipation von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen. Sie wird von vielen gesellschaftlichen<br />

Akteuren/innen unterstützt und als<br />

eine wichtige jugendpolitische Zielstellung anerkannt.<br />

Unter dem Begriff Partizipation wird im<br />

Allgemeinen die Teilhabe an politischen und gesellschaftlichen<br />

Prozessen verstanden. Dabei besteht<br />

in <strong>der</strong> Praxis allerdings immer die Gefahr,<br />

dass bereits die bloße Teilnahme Jugendlicher an<br />

Veranstaltungen o<strong>der</strong> Diskussionen als echte Partizipation<br />

ausgegeben wird.<br />

In solcherart Alibi-Veranstaltungen dienen die<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen dann lediglich als Dekoration<br />

und haben keine wirklichen Mitbestimmungsrechte;<br />

es handelt sich um eine „Scheinbeteiligung“.<br />

In <strong>der</strong> Definition des Deutschen<br />

<strong>Bundesjugendring</strong>s bedeutet Partizipation deshalb<br />

vor allem Gestaltungsmacht. Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

sollen die Möglichkeit haben, ihr Recht<br />

wahrzunehmen, die Gesellschaft, in <strong>der</strong> sie leben,<br />

aktiv mitzugestalten. Überall, wo Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

sich beteiligen, soll ihr Mitwirken auch<br />

Wirkung zeigen (vgl. <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundesjugendring</strong><br />

2002).<br />

Ausgehend von diesen Überlegungen hat <strong>der</strong><br />

Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> 2006 gemeinsam mit<br />

dem Bundesministerium für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend (BMFSFJ) und <strong>der</strong> Bundeszentrale<br />

für politische Bildung (bpb) das Aktionsprogramm<br />

für mehr Jugendbeteiligung ins Leben<br />

gerufen. Unter dem Motto „Nur wer was macht,<br />

kann auch verän<strong>der</strong>n!“ för<strong>der</strong>te das Aktionsprogramm<br />

Projekte und Initiativen, in denen Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendliche maßgeblich in gesellschaftliche<br />

und politische Entscheidungsprozesse eingebunden<br />

werden. Ziel war neben dieser Einbindung<br />

auch die Stärkung ihres gesellschaftlichen Engagements.<br />

Außerdem sollten Erwachsene und Entscheidungsträger/innen<br />

für die Belange und Bedürfnisse<br />

von Jugendlichen sensibilisiert werden.<br />

Im Rahmen des Aktionsprogramms för<strong>der</strong>te <strong>der</strong><br />

Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> über 200 Projekte<br />

mit bis zu 5000 Euro. Alle Projekte leisteten einen<br />

Beitrag zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Partizipation von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen.<br />

Beson<strong>der</strong>s hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang<br />

die Methode „Come in Contract“,<br />

die in über 120 Projekten zum Einsatz kam und<br />

zum Ziel hatte, dass Verträge zwischen Jugendlichen<br />

und Personen aus Politik und Gesellschaft<br />

geschlossen werden. Der Vertragsabschluss (Contract)<br />

– das Kernelement dieser Methode – führt<br />

dazu, dass die Ideen, Wünsche und For<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen aufgrund <strong>der</strong> Verbindlichkeit einer<br />

schriftlichen Vereinbarung ernst genommen<br />

werden. So wird es möglich, dass die Jugendlichen<br />

mit ihren Vertragspartnern/innen gleichberechtigt<br />

und auf Augenhöhe miteinan<strong>der</strong> ins Gespräch<br />

kommen. Die Evaluation des Aktionsprogramms<br />

durch das Deutsche Jugendinstitut (DJI) kommt zu<br />

dem Schluss, dass die Methode „Come in Contract“<br />

ein sehr wirksames Instrument ist, um Jugendliche<br />

an politische Partizipationsprozesse heranzuführen.<br />

Nicht zuletzt durch die Anbindung <strong>der</strong> Projekte<br />

an Vereine und Verbände wurde eine hohe Nachhaltigkeit<br />

des Engagements Jugendlicher erreicht.<br />

Viele Projekte konnten auch über den För<strong>der</strong>zeitraum<br />

hinaus fortgeführt o<strong>der</strong> neu aufgelegt werden.<br />

Bei einer Befragung gegen Ende <strong>der</strong> Projektlaufzeit<br />

gaben zwei Drittel <strong>der</strong> befragten<br />

Jugendlichen an, sich künftig stärker sozial zu engagieren<br />

und mehr als die Hälfte (52%) möchte<br />

sich umfassen<strong>der</strong> mit politischen Themen auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />

Durch die aktive Teilnahme an einem<br />

Projekt haben die Jugendlichen außerdem auch<br />

vielfältige persönliche Erfahrungen gewonnen. In<br />

<strong>der</strong> Auswertung gaben sie an, dass sie viel über das<br />

Projektthema erfahren haben, interessante Kontakte<br />

knüpfen konnten und gelernt haben, sich<br />

besser in einer Gruppe zu behaupten.<br />

Persönliche Entwicklung<br />

So vermitteln erste Partizipationserfahrungen<br />

nicht nur nötiges Wissen und Fähigkeiten für die<br />

weitere politische und gesellschaftliche Beteiligung,<br />

son<strong>der</strong>n sie sind auch für die persönliche<br />

Entwicklung jedes Jugendlichen hilfreich.<br />

Die Bedingungen für gelungene Partizipation<br />

sind heutzutage – zumindest theoretisch – besser<br />

denn je. Der gesellschaftliche Wertewandel von<br />

Jugend politik


materialistischen Werten hin zu postmaterialistischen,<br />

wie er von Ronald Inglehart propagiert<br />

wird, sollte zu einem gestiegenen Interesse <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

an sozialem und gesellschaftlichem Engagement<br />

führen. Durch die allgemeine Zunahme<br />

des Bildungsniveaus steigt auch die Fähigkeit zur<br />

Beteiligung. Nicht zuletzt durch neue Formen <strong>der</strong><br />

Interessenorganisation (soziale Bewegungen) und<br />

Kommunikation (Internet) entstehen auch neue<br />

und erweiterte Zugangsmöglichkeiten von Beteiligung<br />

(vgl. Forster 2007).<br />

Trotzdem beobachten Sozialwissenschaftler in<br />

den letzten Jahren eine Kluft zwischen <strong>der</strong> von Jugendlichen<br />

geäußerten Bereitschaft zur Partizipation<br />

und ihrem Interesse an Politik auf <strong>der</strong> einen<br />

Seite und ihrer tatsächlichen politischen Partizipation<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Benedikt Widmaier<br />

spricht in diesem Zusammenhang von einem „Partizipationsparadox“<br />

(vgl. Widmaier 2009, S. 215).<br />

In <strong>der</strong> Evaluation des Aktionsprogramms wird<br />

deutlich, dass sich beson<strong>der</strong>s viele besser gebildete<br />

Jugendliche mit einem hohen Interesse an Politik<br />

in Projekten engagierten. Die Mehrheit <strong>der</strong> aktiven<br />

Jugendlichen rekrutierte sich aus den Jugendverbänden<br />

und konnte bereits auf erste (positive) Partizipationserfahrungen<br />

zurückblicken. Dies be-<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

deutet im Umkehrschluss, dass politische Bildung<br />

und möglichst frühzeitige Beteiligungserlebnisse<br />

zur Lösung des Partizipationsparadox´ beitragen<br />

könnten. Partizipationskompetenz ist in diesem<br />

Sinne weniger Voraussetzung als vielmehr Folge<br />

von partizipativen Prozessen. Zivilgesellschaftliche<br />

Organisationen, Schulen und die Jugendverbände<br />

können dabei die Aufgabe übernehmen, Jugendliche<br />

bei <strong>der</strong> Aneignung politischen Wissens<br />

und dem Erwerb von Praxiserlebnissen gesellschaftlicher<br />

Teilhabe zu unterstützen.<br />

Wirksames Instrument<br />

Wie bereits erwähnt ist die Methode „Come in<br />

Contract“ ein wirksames Instrument, um Jugendliche<br />

an Partizipation heranzuführen. Dennoch<br />

findet sich auch hier ein interessantes und eher unerwartetes<br />

Resultat in <strong>der</strong> Evaluation des DJI.<br />

Dieses betrifft den Zusammenhang zwischen politischem<br />

Interesse und dem Verständnis für politische<br />

Prozesse, <strong>der</strong> zu zwei Befragungszeitpunkten<br />

erhoben wurde. Während zu Beginn <strong>der</strong><br />

Projekte noch 61% <strong>der</strong> Jugendlichen angaben,<br />

„sehr“ o<strong>der</strong> „ziemlich“ an Politik interessiert zu<br />

sein, waren es zu Projektende nur noch 53%.<br />

29


3/2009<br />

Die Ergebnisse dieser Selbsteinschätzung sind<br />

weitgehend unabhängig von sozialer Herkunft und<br />

Bildungsniveau <strong>der</strong> Befragten. Der Anteil <strong>der</strong> „gar<br />

nicht Interessierten“ verdoppelte sich in <strong>der</strong> Projektlaufzeit<br />

annähernd (von 12% auf 21%).<br />

Gleichzeitig gab über die Hälfte <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

an, dass ihr Verständnis für Politik gestiegen sei.<br />

Dieses Ergebnis scheint nahe zu legen, dass ein<br />

besseres Verständnis für Politik zu einem geringeren<br />

Interesse an Politik führt. Handelt es sich gewissermaßen<br />

um einen Realitätsschock, <strong>der</strong> zu einer<br />

gestiegenen Politikverdrossenheit beiträgt?<br />

Eine Erklärung könnte sein, dass eine Diskrepanz<br />

zwischen den Erwartungen <strong>der</strong> Jugendlichen zu<br />

Projektbeginn und den tatsächlich erreichten Ergebnissen<br />

besteht. Zwar fühlten sich 82% <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

von den Vertragspartnern/innen ernst<br />

genommen, doch äußerten immerhin 42% die Befürchtung,<br />

dass die Zusammenarbeit nur ein Strohfeuer<br />

und nicht von langer Dauer sei. Gerade bei<br />

Projekten, die Vertragsabschlüsse mit Politikern/innen<br />

auf Bundesebene anstrebten, zeigte<br />

sich häufig, dass die Vereinbarungen zum Bedauern<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen sehr allgemein formuliert<br />

wurden o<strong>der</strong> nur schwer nachprüfbar waren. Erkennbar<br />

ist hier auch eine Diskrepanz zwischen<br />

dem Interesse <strong>der</strong> Jugendlichen (Bundesebene)<br />

und den tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten<br />

(kommunale Ebene).<br />

Ein Großteil <strong>der</strong> Jugendlichen interessiert sich<br />

eher für Bundespolitik, weniger Schwierigkeiten<br />

bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Projekte haben allerdings<br />

Jugendliche mit kommunalen Vertragspartnern/innen.<br />

Resultierende Frustrationen und Vertrauensverluste<br />

<strong>der</strong> Projektteilnehmer/innen werden<br />

aus diesem Blickwinkel verständlich. Dies<br />

trifft insbeson<strong>der</strong>e dann zu, wenn man die in <strong>der</strong><br />

Jugend- und Partizipationsforschung verbreitete<br />

These in Betracht zieht, dass Selbstwirksamkeit<br />

(„political efficacy“) ein entscheiden<strong>der</strong> Antrieb<br />

für politische Partizipation ist. Umgekehrt verstärkt<br />

die aktive Beteiligung an politischen Prozessen<br />

die selbst wahrgenommene politische<br />

Kompetenz einer Person (vgl. Widmaier 2009).<br />

Kausalbeziehung<br />

Zwischen politischer Partizipation und selbst<br />

eingeschätzter politischer Handlungskompetenz<br />

besteht somit eine wechselseitige Kausalbeziehung.<br />

Für die Praxis <strong>der</strong> Jugendarbeit bedeutet<br />

dies, dass Projekte so gestaltet werden sollten,<br />

dass Jugendliche in ihrer politischen Selbstwirksamkeit<br />

bestätigt werden. Dies ist vor allem dann<br />

30<br />

<strong>der</strong> Fall, wenn die Ergebnisse politischer Beteiligung<br />

für junge Menschen positiv und unmittelbar<br />

erfahrbar sind. An<strong>der</strong>nfalls können bei enttäuschten<br />

Erwartungen und bescheidenen Resultaten<br />

auch Effekte wie ein steigendes Desinteresse an<br />

Politik auftreten. Die vorangegangenen Ausführungen<br />

verdeutlichen aber auch, wie wichtig es generell<br />

ist, jungen Menschen Gelegenheiten zu bieten,<br />

an politischen Aktionen zu partizipieren und<br />

so die Entwicklung ihrer Handlungskompetenzen<br />

in diesem Feld zu unterstützen.<br />

An<strong>der</strong>e Zugangswege<br />

Im Rahmen des Aktionsprogramms zeigte sich<br />

außerdem, dass nicht alle Gruppen von Jugendlichen<br />

gleichermaßen für Partizipationsprojekte erreichbar<br />

sind. Deutlich besser zu erreichen sind Jugendliche,<br />

die bereits verbandlich organisiert sind,<br />

ein höheres Bildungsniveau und keinen Migrationshintergrund<br />

haben. Für die Ansprache sozial<br />

benachteiligter Jugendlicher bedarf es demnach<br />

<strong>der</strong> Entwicklung neuer Zugangswege und <strong>der</strong><br />

Schaffung langfristigerer Projektstrukturen. Da<br />

Partizipation nicht umsonst zu haben ist, müssen<br />

Budgets so gestaltet werden, dass den vielfältigen<br />

Ansprüchen an Beteiligung Rechnung getragen<br />

wird. Der Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> for<strong>der</strong>t deshalb<br />

eine ausreichende finanzielle Ausstattung <strong>der</strong><br />

Jugendverbände, um Planungssicherheit durch<br />

langfristige För<strong>der</strong>vereinbarungen sicherzustellen<br />

und so eine nachhaltige und integrative Partizipationsför<strong>der</strong>ung<br />

zu ermöglichen (DBJR 2004, S. 3).<br />

Um neben dem Interesse an Politik und <strong>der</strong> Beteiligungsbereitschaft<br />

auch tatsächliche politische<br />

Partizipation zu för<strong>der</strong>n, muss die Attraktivität<br />

von Beteiligungsmaßnahmen für Jugendliche gegeben<br />

sein. Dies ist vor allem dann <strong>der</strong> Fall, wenn<br />

junge Menschen selbstbestimmt Themen aus ihrer<br />

Lebenswelt auswählen können, für die sie sich<br />

engagieren möchten. Wichtig ist dabei auch, dass<br />

den Jugendlichen ein hohes Maß an Verantwortung<br />

und Selbstbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt<br />

wird, so dass ihre Beteiligung erfahrbare<br />

Ergebnisse bewirkt. Die Erfahrung zeigt, dass sich<br />

direkte Mitbestimmung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

am einfachsten auf lokaler Ebene realisieren<br />

lässt. Die Erfolge von Partizipation werden so<br />

für junge Menschen unmittelbar erfahrbar, stärken<br />

das Selbstvertrauen in die eigene Wirksamkeit<br />

und erhöhen damit die Motivation zu weiterem<br />

Engagement.<br />

Jede Demokratie ist auf aktive Mitgestaltung<br />

<strong>der</strong> Bürger/innen – im Sinne <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit<br />

Jugend politik


gerade auch auf die Beteiligung junger Menschen<br />

– angewiesen. Neben <strong>der</strong> projektbezogenen Partizipation<br />

Jugendlicher wären auch verstärkte Einflussmöglichkeiten<br />

an politischen Entscheidungen<br />

wünschenswert. Dies wäre denkbar, indem<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen die Teilnahme an Wahlen<br />

und Abstimmungen ermöglicht wird. Der<br />

Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> setzt sich deshalb für<br />

eine Senkung des aktiven Wahlalters auf 14 Jahre<br />

ein. Wenn junge Menschen sich aktiv an Politik<br />

und Gesellschaft beteiligen sollen, muss ihnen<br />

auch eine konkrete Entscheidungs- und Gestaltungsmacht<br />

zugestanden werden.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche verfügen über das nötige<br />

Interesse und die Kompetenzen, ihre Ideen,<br />

Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren. Für den<br />

Erhalt und die Weiterentwicklung einer demokratischen<br />

Gesellschaft ist es unabdingbar, dass diese<br />

For<strong>der</strong>ungen ernst genommen und unterstützt werden.<br />

Die Jugendverbände können und werden sich<br />

auch weiterhin dafür einsetzen, dass Partizipation<br />

von jungen Menschen keine Absichtserklärung<br />

bleibt, son<strong>der</strong>n zur politischen und gesellschaftlichen<br />

Realität wird.<br />

Literatur<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundesjugendring</strong> (2002): Mitwirkung mit Wirkung.<br />

Position 12. Berlin.<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundesjugendring</strong> (2004): Jugend braucht Gestaltungsmacht.<br />

Position 35. Berlin.<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundesjugendring</strong> (2008): Partizipation in Jugendverbänden.<br />

Schriftenreihe 48. Berlin.<br />

Deutsches Jugendinstitut (2009): Kurzzusammenfassung <strong>der</strong><br />

Evaluation des Aktionsprogramms für mehr Jugendbeteiligung.<br />

München.<br />

Forster, Rudolf (2007): Partizipation. Universität Wien. Institut<br />

für Soziologie.<br />

Inglehart, Ronald (1998): Mo<strong>der</strong>nisierung und Postmo<strong>der</strong>nisierung.<br />

Kultureller, wirtschaftlicher und politischer Wandel.<br />

Campus Verlag GmbH.<br />

Widmaier, Benedikt (2009): Wie<strong>der</strong>aneignung des Politischen.<br />

Das Partizipationsparadox und die Jugendarbeit. In: Deutsche<br />

Jugend, 57. Jg., Heft 5.<br />

Jugend politik<br />

Kristin Napieralla<br />

war Projektleiterin des Aktionsprogramm<br />

für mehr Jugendbeteiligung und leitet nun<br />

das Jugendbeteiligungsprojekt zum NAP.<br />

3/2009<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendbeteiligung<br />

Durch das „Projekt Kin<strong>der</strong>- und Jugendbeteiligung an <strong>der</strong><br />

Umsetzung des NAP für ein kin<strong>der</strong>gerechtes Deutschland<br />

2005 bis 2010“ sollen Kin<strong>der</strong> und Jugendliche dazu ermutigt<br />

werden, sich mit den Inhalten und Themenfel<strong>der</strong>n des Nationalen<br />

Aktionsplans für ein kin<strong>der</strong>gerechtes Deutschland<br />

auseinan<strong>der</strong> zu setzen, Projekte anzustoßen, For<strong>der</strong>ungen zu<br />

formulieren und Aktionen zu starten.<br />

Folgende Ziele wurden dem Projekt gestellt:<br />

Der Bekanntheitsgrad des NAP wird bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

erhöht.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche kennen den NAP nicht nur, son<strong>der</strong>n<br />

machen sich die Themen und For<strong>der</strong>ungen zu Eigen, ergänzen<br />

diese, entwickeln sie weiter und arbeiten gemeinsam<br />

an einem kin<strong>der</strong>gerechten Deutschland.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche werden dabei auch den gesamten<br />

Prozess zu einem kin<strong>der</strong>gerechten Deutschland konstruktiv<br />

begleiten. Ihre Ansichten und Erfahrungen fließen in die<br />

Umsetzung und Weiterentwicklung des NAP ein, sodass die<br />

Beteiligung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen Wirkung zeigen<br />

kann, nicht nur an einzelnen Orten wo Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

aktiv werden, son<strong>der</strong>n auch bundesweit.<br />

Die Art und Weise <strong>der</strong> Beteiligung können die Mitgliedsorganisationen<br />

des Deutschen <strong>Bundesjugendring</strong>s o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en<br />

Mitgliedsorganisationen bzw. Unterglie<strong>der</strong>ungen sowie die<br />

<strong>der</strong> Servicestelle für Jugendbeteiligung angeschlossenen Initiativen<br />

frei wählen.<br />

Je nach gewählter Methode können Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

in Gruppen vor Ort aktiv werden o<strong>der</strong> sich in zentraleren Angeboten<br />

auf Regional-, Landes- o<strong>der</strong> Bundesebene engagieren.<br />

Die jeweilige Organisation wählt die für ihren Hintergrund,<br />

ihre Zielgruppe und die von ihr ausgewählten<br />

Themenkomplexe geeigneten Methoden und Orte. Ziel ist es<br />

dabei natürlich immer, dass Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sich<br />

zum NAP und seiner Umsetzung konkret einmischen und beteiligen<br />

können. Die Aktivitäten können vom Aufstellen von<br />

For<strong>der</strong>ungen bis zum „Selbst-Aktiv-werden“ gehen, vom<br />

(kreativen) Darstellen <strong>der</strong> Vorstellungen von einer kin<strong>der</strong>gerechteren<br />

Welt bis zum politischen Einfor<strong>der</strong>n und dem<br />

Versuch, die jeweilige Lebensumwelt kin<strong>der</strong>gerechter zu gestalten.<br />

31


3/2009<br />

32<br />

Die EU-Jugendstrategie<br />

Eine Zusammenfassung des Dokumentes <strong>der</strong> Europäischen Kommission<br />

Die Europäische Union widmet jungen<br />

Menschen eine eigene Strategie. Sie beschreibt<br />

darin die Herausfor<strong>der</strong>ungen für<br />

die <strong>Zukunft</strong> und formuliert Ziele, die von <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union selbst, viel stärker aber noch<br />

von den Mitgliedsstaaten erreicht werden sollen.<br />

Getragen wird die Europäische Jugendstrategie<br />

von dem Gedanken: „Die europäische Jugend<br />

muss darauf vorbereitet werden, Chancen wie<br />

Bürgerbeteiligung und politische Partizipation,<br />

Freiwilligentätigkeit, Kreativität, unternehmerische<br />

Initiative, Sport und internationales Engagement<br />

zu nutzen.“<br />

Die EU-Jugendstrategie konstatiert, dass <strong>der</strong><br />

größte Teil <strong>der</strong> jungen Menschen gut gebildet ist,<br />

dem technischen Fortschritt folgen kann und sehr<br />

mobil ist. Werte spielen für Jugendliche in Europa<br />

eine große Rolle, etwa Freundschaft, Respekt, Toleranz<br />

und Solidarität. Dem entgegen steht, dass in<br />

Europa ein hoher Wettbewerbsdruck besteht und<br />

Chancengerechtigkeit aus unterschiedlichen Gründen<br />

nicht erreicht ist. Die aktuelle Lage steht ebenfalls<br />

quer zum Potenzial junger Menschen und zu<br />

ihren Werten. Im Bildungsbereich etwa sind die<br />

Strukturen und Lehrpläne nicht den künftigen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

gewachsen, die Situation auf den Finanzmärkten<br />

schränkt die Spielräume <strong>der</strong> heute<br />

jungen Generation ein und <strong>der</strong> Arbeitsmarkt ist europaweit<br />

labil. Wenn es nicht explizit als Defizit in<br />

<strong>der</strong> EU-Jugendstrategie analysiert wird, dann steht<br />

es wenigstens zwischen den Zeilen.<br />

Für Jugendliche relevant sind die demografischen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, die bereits ablaufen und<br />

künftig zu erwarten sind. Familienstrukturen verän<strong>der</strong>n<br />

sich bereits seit längerem, Solidarität innerhalb<br />

einer Generation und zwischen den Generationen<br />

schwindet, auch das<br />

Wirtschaftswachstum ist nicht mehr programmiert.<br />

Es bedarf also dringend einer Strategie, die<br />

Jugendliche einbindet, ihre Themen auf die Tagesordnung<br />

holt und das „junge Humankapital“<br />

mitarbeiten lässt.<br />

Die Werkzeuge dazu sind in Europa vorhanden.<br />

In <strong>der</strong> EU-Jugendstrategie wird die Offene<br />

Methode <strong>der</strong> Koordinierung (OMK) als sinnvolles<br />

und gutes Mittel herausgestellt. „Insgesamt gilt die<br />

OMK als geeignetes Instrument für die Zusam-<br />

menarbeit, und ihre Prioritäten haben noch immer<br />

Gewicht“, heißt es in <strong>der</strong> EU-Jugendstrategie und<br />

weiter: „Die Koordinierung geht nicht weit genug,<br />

um alle Probleme zu erfassen. Es besteht Einigkeit<br />

darüber, dass ein stärker bereichsübergreifen<strong>der</strong><br />

Ansatz erfor<strong>der</strong>lich ist, wie dies auch das Europäische<br />

Parlament im Jahr 2008 in einer Erklärung<br />

zur verstärkten Einbeziehung <strong>der</strong> Jugend in die<br />

EU-Politikbereiche gefor<strong>der</strong>t hat.“ Kurzum: Die<br />

OMK muss flexibler und einfacher werden, wenn<br />

sie Erfolg bringen soll.<br />

Mitspracherecht verankert<br />

Das Mitspracherecht junger Menschen hat die<br />

EU verankert, jedoch nicht näher definiert. Im<br />

strukturierten Dialog sind Jugendliche bereits einbezogen,<br />

wenn auch nicht weit genug. In <strong>der</strong> aktuellen<br />

EU-Jugendstrategie wird deswegen gefor<strong>der</strong>t,<br />

den strukturierten Dialog besser zu<br />

organisieren und vor allem nicht-organisierte und<br />

benachteiligte Jugendliche darin einzubeziehen.<br />

Alles in allem führt das zu einem neuen Verständnis<br />

von Jugendpolitik in <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union. „Angestrebt wird eine stärkere Zusammenarbeit<br />

zwischen Jugendpolitik und an<strong>der</strong>en<br />

Politikbereichen wie Bildung, Beschäftigung, Integration<br />

und Gesundheit, wobei Jugendaktivitäten<br />

und Jugendarbeit eine wichtige Rolle spielen<br />

sollen“, heißt es in <strong>der</strong> EU-Jugendstrategie. Insgesamt<br />

acht Aktionsbereiche beschreibt die Stragetie<br />

deswegen genauer und nennt darin konkrete<br />

Ziele:<br />

Bildung: „Neben <strong>der</strong> formalen Bildung sollte<br />

als Beitrag zum Lebenslangen Lernen in Europa<br />

die nichtformale Bildung für junge Menschen unterstützt<br />

werden, indem die Qualität dieser Bildung<br />

verbessert wird, ihre Ergebnisse anerkannt<br />

werden und sie besser in die formale Bildung integriert<br />

wird.“ Von den Mitgliedstaaten erwartet<br />

die Europäische Union unterschiedliche Maßnahmen,<br />

eine davon ist, partizipative Strukturen innerhalb<br />

des Bildungssystems aufzubauen und damit<br />

die Zusammenarbeit zwischen Schulen,<br />

Familien und lokalen Gemeinschaften zu verbessern.<br />

Beschäftigung: „Die beschäftigungspolitischen<br />

Maßnahmen in den Mitgliedstaaten und auf EU-<br />

Jugend politik


Ebene sollten gemäß den vier Komponenten <strong>der</strong><br />

Flexicurity koordiniert werden, um den Übergang<br />

von <strong>der</strong> Schule zur Beschäftigung o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Erwerbs-<br />

o<strong>der</strong> Arbeitslosigkeit zur Beschäftigung<br />

zu erleichtern. Haben die jungen Menschen erst<br />

einmal eine Arbeit, so sollten sie dabei unterstützt<br />

werden, beruflich voranzukommen.“ Neben dem<br />

Abbau <strong>der</strong> Hin<strong>der</strong>nisse für die Freizügigkeit <strong>der</strong><br />

Arbeitnehmer in <strong>der</strong> EU sollen als konkrete Maßnahme<br />

hochwertige Praktika im Rahmen von Bildung<br />

und Berufsbildung und/o<strong>der</strong> Beschäftigungsprogrammen<br />

geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Kreativität und unternehmerische Initiative:<br />

„Die Talententwicklung, die kreativen Fähigkeiten,<br />

die unternehmerische Initiative und <strong>der</strong> kulturelle<br />

Ausdruck sollten bei allen jungen Menschen<br />

geför<strong>der</strong>t werden.“ Das bedeutet unter<br />

an<strong>der</strong>em, den Zugang zu kreativen Instrumenten<br />

im Bereich neuer Technologien auszubauen.<br />

Gesundheit und Sport: „För<strong>der</strong>ung eines gesunden<br />

Lebensstils junger Menschen, körperlicher<br />

und sportlicher Aktivitäten sowie <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen Jugendarbeitern,<br />

Gesundheitsexperten und Sportverbänden, um<br />

Übergewicht, Verletzungen, Drogenabhängigkeit<br />

und -missbrauch vorzubeugen und zu bekämpfen<br />

und die sexuelle und psychische Gesundheit <strong>der</strong><br />

Jugend zu bewahren“. Ein konkreter Schritt ist aus<br />

Sicht <strong>der</strong> EU für die Mitgliedstaaten, das Peer-Lernen<br />

in Gesundheitsfragen in Schulen und Jugendorganisationen<br />

zu för<strong>der</strong>n.<br />

Partizipation: „Sicherstellung <strong>der</strong> umfassenden<br />

Partizipation <strong>der</strong> Jugend an <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

indem die Jugend stärker in das staatsbürgerliche<br />

Leben <strong>der</strong> lokalen Gemeinschaft und in die repräsentative<br />

Demokratie einbezogen wird, und<br />

zwar durch die Unterstützung von Jugendorganisationen<br />

sowie verschiedener Formen des Erwerbs<br />

von Partizipationskompetenz, durch die För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Partizipation nichtorganisierter junger<br />

Menschen und durch qualitativ hochwertige Informationsdienste.“<br />

Dazu müssen Qualitätsstandards<br />

für Partizipation, Information und Konsultation<br />

<strong>der</strong> Jugend entwickelt werden.<br />

Soziale Integration: „Verhütung von Armut<br />

und sozialer Ausgrenzung benachteiligter Gruppen<br />

junger Menschen und Unterbrechung <strong>der</strong> Vererbung<br />

dieser Probleme von einer Generation an<br />

die nächste, indem alle betroffenen Akteure (Eltern,<br />

Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Gesundheitsexperten,<br />

Jugendarbeiter, die jungen Menschen<br />

selbst, Polizei und Justiz, Arbeitgeber usw.) einbezogen<br />

werden“ lautet das Ziel in diesem Bereich.<br />

Ein Mittel ist, die Möglichkeiten, die Ju-<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

gendarbeit und Jugendzentren zur Integration beisteuern<br />

können, voll auszuschöpfen.<br />

Das Ziel <strong>der</strong> Freiwilligentätigkeit<br />

Freiwilligentätigkeit: „Unterstützung von Freiwilligentätigkeiten<br />

junger Menschen durch Ausbau<br />

<strong>der</strong> Zahl von Freiwilligenplätzen, Erleichterung<br />

von Freiwilligentätigkeiten durch die<br />

Beseitigung von Hin<strong>der</strong>nissen, Sensibilisierung<br />

für den Wert von Freiwilligentätigkeiten, Anerkennung<br />

von Freiwilligentätigkeiten als wichtige<br />

Form <strong>der</strong> nichtformalen Bildung und Stärkung<br />

<strong>der</strong> grenzüberschreitenden Mobilität junger Menschen.“<br />

Um dieses Ziel zu erreichen, ist zu diskutieren,<br />

wie die Rechte von Freiwilligen besser geschützt<br />

und die Qualität von Freiwilligentätigkeiten<br />

sichergestellt werden können. Junge<br />

Menschen und <strong>der</strong>en Organisationen könnten dazu<br />

anlässlich eines möglichen Europäischen Jahres<br />

<strong>der</strong> Freiwilligentätigkeit (2011) eingebunden werden.<br />

Jugend und die Welt: „Einbeziehung <strong>der</strong> Jugend<br />

in die globale Politik auf allen Ebenen (lokal,<br />

national und international) im Rahmen existieren<strong>der</strong><br />

Jugendnetze und Instrumente (z. B. strukturierter<br />

Dialog) und Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem<br />

Klimawandel und den Millenium-Entwicklungszielen<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen“ lautet das Ziel in<br />

diesem Bereich. Konkret kann das zum Beispiel<br />

heißen, nachhaltige Verbrauchs- und Produktionsmuster<br />

junger Menschen zu unterstützen.<br />

Eine Bedeutung kommt laut EU-Jugendstrategie<br />

bei allen Maßnahmen <strong>der</strong> Jugendarbeit selbst<br />

zu. "Die Jugendarbeit sollte unterstützt, für ihren<br />

wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beitrag<br />

anerkannt und professioneller gestaltet werden",<br />

heißt es in dem Papier.<br />

[msch]<br />

Das Papier im Original unter:<br />

http://eur-lex.europa.eu<br />

33


3/2009<br />

Stellungnahme zur EU-Jugendstrategie<br />

Der Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> zur Mitteilung<br />

<strong>der</strong> EU-Kommission für eine EU-Jugendstrategie<br />

Die Europäische Kommission legte im<br />

April 2009 ihre Mitteilung „Eine EU-Strategie<br />

für die Jugend – Investitionen und<br />

Empowerment“ vor. Diese Mitteilung ist die<br />

Grundlage für Beratungen zur Nachfolge des<br />

„Rahmens <strong>der</strong> europäischen Zusammenarbeit im<br />

Jugendbereich“, <strong>der</strong> dieses Jahr ausläuft. Die Jugendstrategie<br />

soll bis 2018 gelten und vom EU-<br />

Rat beschlossen werden. Dabei wird eine neue<br />

Etappe beschritten: Erstmals wird es nicht nur einen<br />

europäischen „Rahmen“, son<strong>der</strong>n eine „Strategie“,<br />

einschließlich <strong>der</strong> Benennung von künftigen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen und Prioritäten sowie von<br />

Verfahren und Instrumenten, geben.<br />

Mit den vorliegenden Einschätzungen beteiligt<br />

sich <strong>der</strong> DBJR am nationalen Dialog <strong>der</strong> Bundesregierung<br />

zur vorgeschlagenen Jugendstrategie.<br />

Vom alten zum neuen Rahmen<br />

Die Revision des europäischen Rahmens geschieht<br />

mit großem Vorlauf, so dass eine Einbindung<br />

aller Akteure möglich gewesen wäre. Lei<strong>der</strong><br />

hat die EU-Kommission die Beteiligten lange<br />

nicht in einer transparenten Weise über die jeweiligen<br />

Schritte des Prozesses informiert. Trotz ihres<br />

eigentlich hohen Konsultationsanspruchs verfolgte<br />

sie bisweilen ihre eigene Agenda. Aufgrund<br />

<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprüchlichen Signale an nationale Regierungen,<br />

Ministerien und die Jugendarbeit lässt<br />

sich kaum nachvollziehen, inwieweit die Erkenntnisse<br />

aus dem Konsultationsverfahren tatsächlich<br />

berücksichtigt werden.<br />

Der Strukturierte Dialog mit <strong>der</strong> Jugend ist<br />

nach wie vor ein „zartes Pflänzchen“, das zumindest<br />

auf europäischer Ebene umgesetzt zu werden<br />

schien. Jedoch hat die Kommission ohne jegliche<br />

Benachrichtigung den Strukturierten Dialog in<br />

diesem Jahr ausgesetzt. Die halbjährlichen Treffen<br />

zwischen EU-Kommission, den Jugendministerien<br />

und den nationalen Jugendringen wurde trotz<br />

mehrfacher Nachfragen nicht einberufen. Das<br />

Treffen ist seit Januar überfällig. Wenn Prozesse<br />

wie <strong>der</strong> Strukturierte Dialog nach nur zwei Jahren<br />

ohne Ankündigung ausgesetzt werden, gehen auf-<br />

34<br />

grund <strong>der</strong> fehlenden Kontinuität bereits erreichte<br />

Ergebnisse verloren. Die Glaubwürdigkeit des gesamten<br />

jugendpolitischen Rahmens wird in Frage<br />

gestellt, da er den Strukturierten Dialog als ein<br />

zentrales Element beinhaltet.<br />

Die neue Strategie beschreibt umfangreiche<br />

Konsultationsverfahren, die im Rahmen <strong>der</strong> Evaluierung<br />

des existierenden Rahmens stattgefunden<br />

haben. Die Unterstreichung dieses Aspekts ist erfreulich,<br />

an<strong>der</strong>erseits muss kritisch hinterfragt<br />

werden, inwieweit nachprüfbare Ergebnisse vorliegen<br />

und an einer zentralen Stelle zugreifbar<br />

sind. Es wird nach wie vor nicht darauf eingegangen,<br />

wie Ergebnisse aus Konsultationsverfahren<br />

bewertet werden (z. B. aus <strong>der</strong> Europäischen<br />

Jugendwoche). Aus Sicht des DBJR muss die EU-<br />

Kommission, die hier die „Spielregeln“ festlegt,<br />

ebenfalls die dazugehörigen Mechanismen zur Ergebnissicherung<br />

präsentieren. Einbindung vieler<br />

Akteure funktioniert nur, wenn ihre Beiträge auch<br />

sichtbar gemacht werden.<br />

Offen ist darüber hinaus, wie die „Übersetzung“<br />

für einbezogene Jugendliche erfolgen kann.<br />

Die Kommission hebt nichtorganisierte Jugend<br />

und insbeson<strong>der</strong>e benachteiligte Gruppen als beson<strong>der</strong>s<br />

wichtig hervor. Aufgrund <strong>der</strong> bisherigen<br />

Erfahrungen stellt die Übersetzung von „EU-<br />

Sprech“ selbst für gut integrierte Jugendliche eine<br />

nicht zu unterschätzende Herausfor<strong>der</strong>ung dar.<br />

Nahezu erschreckend sind die Formulierungen<br />

im Einführungsabschnitt <strong>der</strong> neuen Strategie:<br />

Jugend wird in erster Linie als „Humankapital, das<br />

gehegt und gepflegt“ werden müsse, bezeichnet.<br />

Dies findet sich mit unterschiedlichen Bezeichnungen<br />

gleich mehrfach im vorgeschlagenen Text<br />

– es ist die Rede von „Potenzial ausschöpfen“<br />

o<strong>der</strong> einer „kritischen Ressource“. Die Strategie<br />

macht kein Hehl daraus, dass man Jugend vor allem<br />

unter dem Aspekt <strong>der</strong> <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit betrachtet.<br />

Jugendliche werden hier zum Objekt von<br />

Politik, individuelle Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung<br />

geraten in den Hintergrund.<br />

Wenn die neue Strategie davon spricht, die<br />

„gegenseitige Solidarität zwischen Gesellschaft<br />

und jungen Menschen för<strong>der</strong>n“ zu wollen, gewinnt<br />

man den Eindruck, dass Jugend nicht als es-<br />

Jugend politik


senzieller Teil <strong>der</strong> Gesellschaft gesehen wird.<br />

Auch dass die EU-Kommission eine Untersuchung<br />

über den ökonomischen und sozialen Einfluss<br />

von Jugendarbeit stellen möchte, schlägt in<br />

diese Kerbe.<br />

OMK und Strukturierter Dialog<br />

Die offene Methode <strong>der</strong> Koordinierung (OMK)<br />

gibt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit voneinan<strong>der</strong><br />

zu lernen, ohne dass eine Steuerung von<br />

Brüssel aus nötig ist. Die Kommission schätzt die<br />

OMK als geeignetes Instrument mit relevanten<br />

Prioritäten ein. Auch wenn wir in Deutschland<br />

die OMK oftmals kritisch betrachten, so muss<br />

doch festgehalten werden, dass sie gerade in Län<strong>der</strong>n<br />

mit geringer jugendpolitischer Tradition als<br />

„Türöffner“ verstanden wird. Daher begrüßt <strong>der</strong><br />

DBJR grundsätzlich die Festhaltung an diesem<br />

Instrument.<br />

Dennoch ist dringend Nachbesserung nötig:<br />

Die OMK leidet nach wie vor an einem übermäßig<br />

aufwändigen Berichtswesen, das in den Mitgliedsstaaten<br />

eher als Verpflichtung denn als Instrument<br />

für gegenseitiges Lernen wahrgenommen<br />

wird. Solange nicht alle Mitgliedsstaaten ihre Berichte<br />

öffentlich zugänglich machen, ist auch die<br />

Transparenz dieses Verfahrens nicht gegeben: Die<br />

von <strong>der</strong> EU-Kommission vorgestellten zusammenfassenden<br />

Berichte verkürzen die Ergebnisse,<br />

so dass <strong>der</strong> Erkenntnisgewinn weit hinter dem<br />

Möglichen zurück bleibt. Auch deshalb erscheint<br />

das momentan so herausgestellte „peer learning“<br />

als angeblich neue Zielrichtung zwischen den Mitgliedsstaaten<br />

verlockend.<br />

Die EU-Kommission verwendet den Begriff<br />

des „peer learning“ in verschiedener, nicht klar<br />

voneinan<strong>der</strong> abgegrenzter Weise. Das seit langem<br />

eingeführte Verständnis hinsichtlich peer learning<br />

von Individuen in Kleingruppen wird überlagert<br />

durch ein zusammenhanglos eingeführtes „peer<br />

learning“ zwischen Mitgliedsstaaten. Letzteres<br />

hätte bereits im Rahmen <strong>der</strong> OMK passieren sollen.<br />

Die neue Strategie schlägt zahlreiche wichtige<br />

Themen vor, die im Rahmen <strong>der</strong> OMK bearbeitet<br />

werden sollen. Daran sollte festgehalten werden.<br />

Je nach Situation <strong>der</strong> einzelnen Mitgliedsstaaten<br />

sollte jedoch die Möglichkeit für eine Einengung<br />

dieses umfangreichen Themenportfolios bestehen.<br />

Das Herausgreifen von Schwerpunkten und einer<br />

Clusterbildung würde langfristig auch den weniger<br />

damit beschäftigten Mitgliedsstaaten einen<br />

Vorteil bringen, da sie von den Erfahrungen profitieren<br />

können.<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

Der Strukturierte Dialog mit <strong>der</strong> Jugend soll<br />

auf allen Ebenen junge Menschen an <strong>der</strong> Entwicklung<br />

europäischer Politik beteiligen. Dass<br />

dieser Dialog verbesserungswürdig ist, steht außer<br />

Frage; hier sind sich vermutlich alle Akteure einig.<br />

Der DBJR begrüßt daher ausdrücklich die vorgeschlagene<br />

gemeinsame Arbeitsgruppe <strong>der</strong> EU-<br />

Kommission mit den Mitgliedsstaaten und dem<br />

Europäischen Jugendforum ab 2010, die den<br />

Strukturierten Dialog überarbeiten soll – insbeson<strong>der</strong>e<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Einbindung <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Ebenen, nichtorganisierter Jugendlicher,<br />

<strong>der</strong> Rolle von EU-Events und Follow-ups.<br />

Der DBJR begrüßt ebenso, dass die Themensetzung<br />

im Strukturierten Dialog künftig mit den<br />

Teilnehmenden gemeinsam vorgenommen werden<br />

soll. Allerdings schlägt die EU-Kommission<br />

bereits „Jugendbeschäftigung“ für 2010 und „Jugend<br />

und die Welt“ für 2011 vor. Es erstaunt, dass<br />

das für 2011 ausgerufene Europäische Jahr <strong>der</strong><br />

Freiwilligkeit hier keine Beachtung findet.<br />

Zugleich schlägt die Strategie eine engere Verzahnung<br />

<strong>der</strong> aktiven Politikfel<strong>der</strong> vor und erinnert<br />

daran, dass <strong>der</strong> Jugendpakt Jugendthemen innerhalb<br />

<strong>der</strong> Lissabon-Strategie insgesamt einen größeren<br />

Platz verschafft hat. Dennoch müssen auch<br />

alle Fel<strong>der</strong> des Paktes berücksichtigt werden.<br />

EU-Kommission und Mitgliedsstaaten sollen<br />

Gelegenheiten <strong>der</strong> „Debatte“ zwischen europäischen/<br />

nationalen Institutionen und jungen Menschen<br />

weiterentwickeln und möchten darüber hinaus<br />

Qualitätsstandards für Jugendbeteiligung,<br />

-information und -konsultation zwischen <strong>der</strong> EU-<br />

Kommission und den Mitgliedsstaaten erarbeiten.<br />

Hier könnten Jugendliche und ihre Strukturen sicherlich<br />

einen wertvollen Beitrag leisten!<br />

Die Zielformulierung <strong>der</strong> neuen Strategie, neben<br />

<strong>der</strong> formalen Bildung auch nichtformale Bildung<br />

zu unterstützen, ist zu begrüßen. Gleichzeitig<br />

irritiert <strong>der</strong> Wunsch <strong>der</strong> EU-Kommission,<br />

nichtformale Bildung in die formale Bildung „besser“<br />

zu integrieren. Dies wi<strong>der</strong>spricht den zugrunde<br />

liegenden Aspekten bei<strong>der</strong> Ansätze.<br />

E-Demokratie<br />

E-Demokratie soll vor allem für nichtorganisierte<br />

Jugendliche weiter entwickelt werden; allerdings<br />

geht die Strategie nicht darauf ein, was<br />

damit genau gemeint ist. Es ist zu befürchten,<br />

dass über solche Instrumente gerade nicht-organisierte<br />

und benachteiligte Jugendliche nicht erreicht<br />

werden können. Die dahinter liegenden Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

sind dabei vielfältiger, als es im<br />

35


3/2009<br />

Rahmen dieses Statements zu beleuchten ist – die<br />

Bandbreite reicht von <strong>der</strong> digitalen Schere in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft bis hin zu konkreten Fragen wie<br />

nicht-organisierte Jugendliche überhaupt für entsprechende<br />

Internetangebote anzusprechen und<br />

zu interessieren sind. Auch die Probleme von möglicherweise<br />

mangeln<strong>der</strong> Repräsentativität müssen<br />

bedacht werden.<br />

Die neue Strategie nennt das EU-Parlament<br />

und auch den Europarat explizit als Partner. Gerade<br />

letzteres ist eine erfreuliche Referenz, denn<br />

<strong>der</strong> Europarat ist in Fragen <strong>der</strong> Beteiligung, u. a.<br />

durch sein Ko-Management im Jugendbereich,<br />

bereits weiter als die Europäische Union und kann<br />

daher als Vorbild für die weitere Entwicklung dienen.<br />

Ebenso erfreulich ist die Erwähnung <strong>der</strong><br />

Schriftlichen Erklärung 33/2008 des Europäischen<br />

Parlaments. Eine regelmäßige institutionelle Politikfolgenabschätzung<br />

für Jugendliche wird vom<br />

DBJR ausdrücklich begrüßt. Jedoch sollte nicht<br />

vergessen werden, dass gerade deutsche Europaabgeordnete<br />

im europäischen Vergleich absolutes<br />

Schlusslicht <strong>der</strong> Unterstützer dieser Erklärung waren<br />

und sie daher an ihre Verantwortung aktiv erinnert<br />

werden müssen.<br />

Mehrfach widmet sich die neue Strategie dem<br />

Aspekt eines bereichsübergreifenden Ansatzes,<br />

<strong>der</strong> grundsätzlich begrüßenswert ist. Die Zusam-<br />

36<br />

menarbeit neuer EU-Ratsformationen und <strong>der</strong>en<br />

Stärkung durch bereichsübergreifende Arbeitsgruppen<br />

erscheint spannend, wenngleich auch <strong>der</strong><br />

wichtige Aspekt <strong>der</strong> Transparenz, die gerade in <strong>der</strong><br />

Arbeit <strong>der</strong> Rates oft kritisiert wurde, hier noch Berücksichtigung<br />

finden muss.<br />

Auch eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb<br />

<strong>der</strong> Direktorate <strong>der</strong> EU-Kommission bei jugendpolitischen<br />

Themenstellungen wäre wünschenswert.<br />

Es ist auffällig, dass die EU-Kommission<br />

diese engere Verzahnung bei an<strong>der</strong>en Akteuren<br />

wünscht, auf Vorschläge z. B. des Europäischen<br />

Jugendforums für sich selbst jedoch keine Reaktion<br />

zeigt.<br />

Ein eigener Abschnitt 5.5 widmet sich „evidenzbasierter<br />

Politik“. Offen bleibt, welche Ziele<br />

die EU-Kommission damit verfolgt. Eine Ausrichtung<br />

<strong>der</strong> Jugendpolitik, die alleine Statistiken<br />

und Expertenmeinungen als Grundlage hat, ist<br />

nicht zielführend – zahlreiche Aspekte und auch<br />

die notwendige Vielfalt bleiben erfahrungsgemäß<br />

in solchen Erhebungen außen vor und werden<br />

nicht berücksichtigt.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Jugend<br />

Erfreulich ist, dass die wichtige Funktion und<br />

<strong>der</strong> gesellschaftliche Beitrag von selbstorgani-<br />

Jugend politik


sierten Zusammenschlüssen junger Menschen erwähnt<br />

und die Bedeutung langfristig bestehen<strong>der</strong>,<br />

stabiler Jugendverbandsstrukturen hervorgehoben<br />

wird. Die vorgesehene Stärkung <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />

im europäischen Kontext ist als Fortschritt und als<br />

Bereicherung <strong>der</strong> jugendpolitischen Perspektive<br />

<strong>der</strong> EU auch um wichtige Aspekte <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und<br />

Jugendhilfe zu bewerten.<br />

Auch <strong>der</strong> DBJR sieht noch Verbesserungsbedarf<br />

sowohl bei <strong>der</strong> Unterstützung von Jugendorganisationen<br />

als auch bei <strong>der</strong> Beteiligung an <strong>der</strong><br />

repräsentativen Demokratie, wie ihn die neue Strategie<br />

beschreibt.<br />

Mit großer Sorge müssen wir beobachten, dass<br />

im Zuge <strong>der</strong> Wirtschaftskrise die Jugendarbeit in<br />

manchen EU-Mitgliedsstaaten zunehmend unter<br />

Druck gerät. Beispielsweise kämpfen die Jugendstrukturen<br />

in Lettland o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Slowakei ums finanzielle<br />

Überleben. Eine verstärkte finanzielle<br />

und politische Unterstützung für Jugendverbände<br />

UND Jugendringe, die auch auf nationaler und lokaler<br />

Ebene den Mitgliedsstaaten explizit empfohlen<br />

wird, begrüßt <strong>der</strong> DBJR sehr.<br />

Erfreulich sind die Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

Rechte junger Freiwilliger und Ehrenamtlicher<br />

und <strong>der</strong> angestrebte bessere Schutz in den Mitgliedsstaaten<br />

sowie auch die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Mobilität.<br />

Der DBJR unterstützt die Ausführungen zu<br />

freiwilligem Engagement; aus deutscher Sicht<br />

wünscht er sich allerdings eine stärkere Kohärenz<br />

im eigenen Land – momentan lässt sich <strong>der</strong> Trend<br />

feststellen, dass mehrere Ministerien nebeneinan<strong>der</strong><br />

und unabgestimmt eigene Freiwilligendienste<br />

anbieten. Hohe Standards, wie sie für den Europäischen<br />

Freiwilligendienst z.B. hinsichtlich von<br />

Qualität, dem Prinzip <strong>der</strong> Gegenseitigkeit und <strong>der</strong><br />

rechtlichen Absicherung entwickelt worden sind,<br />

dürfen nicht aufgeweicht werden.<br />

Gleichzeitig unterstützt <strong>der</strong> DBJR den Ansatz<br />

<strong>der</strong> Strategie, die weltweite Zusammenarbeit von<br />

Jugendarbeit unter Berücksichtigung bestehen<strong>der</strong><br />

Netzwerke zu stärken und Jugendarbeit künftig<br />

u.a. auch über Strukturfonds und innovative Services<br />

zu för<strong>der</strong>n.<br />

Bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Strategie muss berücksichtigt<br />

werden, dass Freiwilligenarbeit sowie<br />

die Jugendarbeit insgesamt auch mit einer konkreten<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Reisefreiheit von Jugendlichen<br />

einher gehen muss. Junge Menschen<br />

mit einer Nicht-EU-Staatsbürgerschaft, selbst<br />

wenn sie in <strong>der</strong> EU leben, sind von Erschwernissen<br />

bei <strong>der</strong> Visa-Erteilung beson<strong>der</strong>s betroffen.<br />

Jugend politik<br />

Schlussfolgerungen<br />

3/2009<br />

Die vorgelegte Strategie wirkt ambitioniert;<br />

sie bleibt jedoch in weiten Teilen unkonkret o<strong>der</strong><br />

missverständlich. Konzepte wie „e-Demokratie“<br />

o<strong>der</strong> „peer learning“ werden ohne eine notwendige<br />

Konkretisierung verwendet.<br />

Das kommende Halbjahr bis zur Befassung<br />

im Rat muss intensiv genutzt werden. Nicht nur<br />

das BMFSFJ, son<strong>der</strong>n vor allem auch die an<strong>der</strong>en<br />

Ebenen (Län<strong>der</strong>, Kommunen) müssen ihre Verantwortung<br />

bei <strong>der</strong> neuen Strategie wahrnehmen.<br />

Die in Deutschland oft zitierten Schwierigkeiten<br />

aufgrund <strong>der</strong> fö<strong>der</strong>alen Struktur bzw. <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>zuständigkeit<br />

darf die Umsetzung von jugendgerechter<br />

Politik nicht gefährden. Gerade im<br />

schulischen wie auch im außerschulischen Bildungswesen<br />

kann die neue Jugendstrategie nur<br />

einen politischen Rahmen anbieten. Es ist Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Bundesregierung, die EU-Strategie in den eigenen<br />

Strukturen zu konkretisieren und umzusetzen.<br />

Die Glaubwürdigkeit von EU-Politik in<br />

Deutschland darf unter bürokratisch-organisatorischen<br />

Hemmnissen nicht leiden.<br />

Jugendverbände sind Orte nichtformaler Bildung.<br />

Diese ist freiwillig, selbstbestimmt, werteorientiert<br />

und an den Bedürfnissen des Menschen<br />

ausgerichtet. Daher muss die Eigenständigkeit<br />

von nichtformaler Bildung erhalten bleiben, eine<br />

„Integration“ in die formale Bildung wird abgelehnt.<br />

Die Europäische Kommission stellt für die<br />

Umsetzung des Strukturierten Dialogs Jugendliche<br />

als Akteure in den Mittelpunkt. Auf Ebene <strong>der</strong><br />

Mitgliedsstaaten weist die EU-Kommission den<br />

Jugendringen und den Nationalagenturen des Programms<br />

JUGEND IN AKTION eine beson<strong>der</strong>e<br />

Rolle zu. In einem gemeinsamen Konzept zum<br />

Strukturierten Dialog siedeln <strong>der</strong> DBJR und die<br />

deutsche Nationalagentur europäische Themen<br />

auch dort an, wo jene noch zu wenig kommuniziert<br />

werden. Europäische Politik wird nicht nur in<br />

Brüssel gemacht, son<strong>der</strong>n auch auf Län<strong>der</strong>- o<strong>der</strong><br />

regionaler Ebene. Die Basis <strong>der</strong> Beteiligten muss<br />

hier noch deutlich erweitert werden.<br />

(Am 25. Juni 2009 vom Vorstand des Deutschen<br />

<strong>Bundesjugendring</strong>s einstimmig beschlossen.)<br />

37


3/2009<br />

38<br />

Bildung – Integration – Teilhabe<br />

Positionspapier <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft für Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfe<br />

Recht auf Kindheit und Jugend sichern,<br />

Kindheit und Jugend unter kin<strong>der</strong>- und jugendgemäßen<br />

gesellschaftlichen und politischen<br />

Rahmenbedingungen auszuleben ist das<br />

individuelle Recht eines jeden Menschen, das ihm<br />

mit Geburt als unveräußerliches Menschenrecht<br />

zuteil wird. Die umfassenden Formulierungen von<br />

Kin<strong>der</strong>rechten in <strong>der</strong> UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention<br />

beinhalten daher nicht nur Schutzrechte, son<strong>der</strong>n<br />

ebenso Rechte auf Beteiligung und Selbstverwirklichung<br />

sowie För<strong>der</strong>ung als eigenständige<br />

Rechte im menschlichen Entwicklungsprozess.<br />

Folgt man diesem Menschenrechtsverständnis,<br />

so begründet sich Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik<br />

zuallererst in <strong>der</strong> Aufgabe, das individuelle Recht<br />

auf Kindheit und Jugend zu sichern, und nicht<br />

darin, Kin<strong>der</strong> und Jugendliche in ihrer gesellschaftlichen<br />

Verwertbarkeit als zukünftige Erwachsene<br />

zu formen. Eine zukunftsfähige Gesellschaft<br />

baut auf Individuen, die sich zu ihr<br />

bekennen und mit Selbstwertgefühl und den entsprechenden<br />

Erfahrungen sich und ihren Platz in<br />

<strong>der</strong> Welt suchen und zur Entwicklung einer solidarischen<br />

und demokratischen Gesellschaft beitragen.<br />

Kindheit und Jugend in diesem Sinne ausleben<br />

zu können ist für jeden Menschen eine wesentliche<br />

Voraussetzung, um ein erfülltes und menschenwürdiges<br />

Leben zu führen und seine Persönlichkeit<br />

als Individuum zu entfalten, ohne als<br />

Anhängsel seiner Familie, als wertschöpfen<strong>der</strong><br />

Faktor in einem Produktionsprozess o<strong>der</strong> als <strong>Zukunft</strong>sträger<br />

einer Gesellschaft gesehen zu werden.<br />

Der aktuelle öffentliche Diskurs, genauso wie die<br />

sich in diesem Zusammenhang entwickelnden politischen<br />

Strategien, blenden diese zentrale Bedeutung<br />

von Kindheit und Jugend weitgehend aus.<br />

Sie werden nicht mit dem individuellen Recht von<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen als eigenständige<br />

Rechtssubjekte auf För<strong>der</strong>ung, Schutz und Beteiligung<br />

begründet, son<strong>der</strong>n mit den gesellschaftlichen<br />

Verwertungsinteressen.<br />

Die Lebensphase Kindheit und Jugend hat aber<br />

als Experimentierraum grundlegende Bedeutung –<br />

nicht nur für ein wandlungs- und entwicklungsfä-<br />

higes Gemeinwesen, son<strong>der</strong>n auch für die Wandlungs-<br />

und Entwicklungsfähigkeit jedes einzelnen<br />

Kindes und Jugendlichen. Im Sinne einer tragfähigen<br />

<strong>Zukunft</strong>spolitik ist es Aufgabe von Staat<br />

und Gesellschaft, darauf hinzuwirken, dass junge<br />

Menschen die für ihre gelingende Entwicklung<br />

notwendigen Gestaltungsräume vorfinden und damit<br />

eine Wertschätzung erfahren, <strong>der</strong>en Erwi<strong>der</strong>ung<br />

den Fortbestand des Gemeinwesens sichert.<br />

Wenn man den Ausbau <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>tagesbetreuung<br />

nur mit beschäftigungs-, bildungs- und<br />

gleichstellungspolitischen Argumenten vorantreibt,<br />

geht diese Sichtweise verloren. Würde man<br />

sie ernst nehmen, müsste dies zu einer deutlichen<br />

Erweiterung um Aspekte wie Beteiligung o<strong>der</strong><br />

Verwirklichung eigener Interessen und Modifizierung<br />

entsprechen<strong>der</strong> Ausbauprogramme führen.<br />

Bei Jugendlichen kommt noch hinzu, dass<br />

sie innerhalb politischer Entscheidungsprozesse<br />

zunehmend mehr im Status einer Randgruppe<br />

wahrgenommen werden, die einzig im Zusammenhang<br />

mit Devianz und Defiziten thematisiert<br />

wird. Im Fokus stehen Themen wie Schulverweigerung,<br />

Delinquenz, Suchtabhängigkeit und Extremismus;<br />

von einer grundständigen auf die Jugendphase<br />

ausgerichteten Gesamtpolitik kann<br />

kaum noch gesprochen werden. Diese Politik ist<br />

vornehmlich geprägt durch die Interessen <strong>der</strong> Erwachsenengesellschaft<br />

und ihre Ängste, dass ein<br />

Teil <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen sich nicht ausreichend<br />

effektiv „verwerten“ lässt und damit als<br />

soziale und ökonomische Dauerbelastung dieser<br />

Gesellschaft die <strong>Zukunft</strong>sfähigkeit gefährdet.<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik im eigentlichen<br />

Sinne muss es demgegenüber darum gehen, den<br />

Subjektstatus von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen als<br />

aktive Gesellschaftsmitglie<strong>der</strong> in Gegenwart und<br />

<strong>Zukunft</strong> mit eigenständigen und legitimen Ansprüchen<br />

anzuerkennen und dieser Wertschätzung<br />

im politischen Handeln Ausdruck zu verleihen.<br />

Dazu gehört, jungen Menschen ein Recht auf Beteiligung<br />

an den ihre Lebenswelt betreffenden Gestaltungsprozessen<br />

einzuräumen. Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik<br />

muss daher ihre Legitimation aus dem<br />

Recht junger Menschen auf För<strong>der</strong>ung ihrer Entwicklung<br />

und Erziehung zu einer eigenverant-<br />

Jugend politik


wortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit<br />

ableiten wie sie im § 1 SGB VIII, Kin<strong>der</strong>- und<br />

Jugendhilfegesetz, normiert ist. Es ist zentrale<br />

Aufgabe von Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik, innerhalb<br />

<strong>der</strong> politischen Entscheidungsprozesse darauf hinzuwirken,<br />

dass die im Gesetz verankerte öffentliche<br />

Verantwortung für die gelingende Entwicklung<br />

junger Menschen eingelöst wird, indem<br />

diesen Ermöglichungsstrukturen für eine gelingende<br />

Persönlichkeitsentwicklung zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

Diese müssen getragen sein von einer gesamtgesellschaftlichen<br />

Ermutigungskultur, die grundsätzlich<br />

jedem Kind und jedem Jugendlichen die<br />

Erfahrung gestattet, mit seinen individuellen Potentialen<br />

in <strong>der</strong> Gesellschaft willkommen zu sein.<br />

Persönlichkeitsentwicklung bedarf <strong>der</strong> Begleitung<br />

durch menschliche Gegenüber, die Dialoge, Feedback<br />

und Reibung ermöglichen. Es zählt zu den<br />

Kernaufgaben öffentlicher Verantwortung, die<br />

Rückgriffsmöglichkeit auf diese Ressource nicht<br />

dem Zufall zu überlassen, son<strong>der</strong>n sie allen Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen zur Verfügung zu stellen.<br />

Interessen und Rechte gegenüber An<strong>der</strong>en<br />

Die demographische Entwicklung bedingt,<br />

dass <strong>der</strong> Anteil an Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen an<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung weiter abnimmt. Dieser Aspekt<br />

wird bevorzugt als Begründung genommen, junge<br />

Menschen zu verplanen und ihre Entwicklung<br />

möglichst effektiv und effizient zu steuern. Vor<br />

diesem Hintergrund muss Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik<br />

stärker als in <strong>der</strong> Vergangenheit darauf achten,<br />

dass junge Menschen mit ihren Ansprüchen und<br />

Interessen mehr Berücksichtigung finden. Dies<br />

ist das Gegenteil einer Generationenpolitik, die auf<br />

gemeinsamen Zielen und Interessen aller Generationen<br />

aufbaut. Neben dem Recht auf Gleichaltrigengemeinschaft<br />

geht es hierbei insbeson<strong>der</strong>e um<br />

eine gleichberechtigte Teilhabe am Öffentlichen<br />

Raum, die für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche nicht ausreichend<br />

gewährleistet ist.<br />

Die damit verbundenen Erwartungen an junge<br />

Menschen erhöhen die Gefahr <strong>der</strong> Verplanung und<br />

<strong>der</strong> Verknappung entwicklungsnotwendiger freier<br />

Gestaltungsräume in den Lebensphasen Kindheit<br />

und Jugend, denn Freiräume, Entfaltungs- und<br />

Gestaltungsmöglichkeiten von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

werden vor allem dann zum Problem,<br />

wenn sie sich nicht mit an<strong>der</strong>en Politikzielen vereinbaren<br />

lassen. So steht beispielsweise das Bedürfnis<br />

nach Sicherheit und Kontinuität von Lebensorten<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen in ihren<br />

Jugend politik<br />

3/2009<br />

Familien im Wi<strong>der</strong>spruch zur gefor<strong>der</strong>ten Mobilität<br />

<strong>der</strong> Erwachsenen, die Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

zum Teil innerhalb kürzester Zeit Wechsel<br />

von Freundeskreisen, Betreuungssituationen und<br />

Schulen zumutet. Anspruch auf Raum und Zeit<br />

auch außerhalb von pädagogischen Institutionen<br />

steht angesichts innerstädtischer Verdichtungsprozesse<br />

und dem Wegfall von Freiflächen in Konkurrenz<br />

zu Flächenverbrauch durch Verkehr, Gewerbe,<br />

höhere Wohnansprüche o<strong>der</strong> das<br />

Ruhebedürfnis von Erwachsenen.<br />

Benachteiligungen entgegenwirken<br />

Die Bedingungen des Aufwachsens von Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen und Voraussetzungen für<br />

die Entwicklung einer eigenverantwortlichen und<br />

gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit haben sich<br />

im Zuge des gesellschaftlichen Wandels verkompliziert.<br />

Parallel zum Wegfall orientierungsgeben<strong>der</strong><br />

Normallebensläufe steigt die biographische<br />

Optionsvielfalt. Diese bedeutet aber nicht,<br />

dass Kin<strong>der</strong> und Jugendliche aus einem Riesenangebot<br />

von Ausgestaltungsmöglichkeiten ihrer<br />

Lebensentwürfe auswählen können, son<strong>der</strong>n dass<br />

die objektiven Voraussetzungen, aus einer Vielfalt<br />

wählen zu können, sich je nach Lebenslage und -<br />

alter extrem unterscheiden.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche haben ungleiche Voraussetzungen,<br />

die dazu führen, dass die einen tatsächlich<br />

aus einer großen Fülle von Optionen Entscheidungen<br />

über ihren Lebensstil, über die<br />

Gestaltung ihres Privatlebens, über ihren Bezug zu<br />

Gesellschaft und Politik und nicht zuletzt ihre eigene<br />

berufliche Entwicklung bestimmen können.<br />

An<strong>der</strong>e sind dagegen in ihren Entscheidungsmöglichkeiten<br />

beschnitten und auf Grund ihrer<br />

eingeschränkten För<strong>der</strong>ung und Kompetenzen<br />

kaum in <strong>der</strong> Lage, aus Kreisläufen <strong>der</strong> sozialen<br />

und bildungsmäßigen Verarmung, <strong>der</strong> reduzierten<br />

Freizeit-, Kultur- und Konsummuster auszubrechen,<br />

die sie in ihrem Umfeld vorfinden. So<br />

stellt sich die Optionsvielfalt <strong>der</strong> Gesellschaft für<br />

viele Kin<strong>der</strong> und Jugendliche nicht her und die Risiken<br />

bei <strong>der</strong> Ausgestaltung ihrer Lebenswelten<br />

sind deutlich höher als die Chancen, die viele Jugendliche<br />

für sich nicht mehr erkennen, geschweige<br />

denn nutzen können.<br />

Der Ausgleich sozialer Benachteiligung in<br />

Folge von Armutskreisläufen, familiärer Migrationsgeschichte<br />

o<strong>der</strong> von nach wie vor vorzufinden<strong>der</strong><br />

geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeiten<br />

bei <strong>der</strong> Wahrnehmung und Nutzung von<br />

Lebenschancen muss deshalb im Mittelpunkt einer<br />

39


3/2009<br />

auf Kin<strong>der</strong> und Jugendliche ausgerichteten Unterstützungspolitik<br />

von Staat und Gesellschaft stehen.<br />

Entfaltung und soziale Gerechtigkeit<br />

Die Verbindung des Rechtes auf Kindheit und<br />

Jugend als individuelles Menschenrecht und <strong>der</strong><br />

berechtigte Anspruch, soziale Gerechtigkeit für<br />

möglichst viele Kin<strong>der</strong> und Jugendliche zu erreichen,<br />

stehen nicht im Gegensatz zueinan<strong>der</strong>. Beiden<br />

gemeinsam ist die zentrale Bedeutung von<br />

Bildung als Grundvoraussetzung für individuelle<br />

Entfaltungsmöglichkeiten. Mit dieser Verortung<br />

von Bildung bekommen entsprechende För<strong>der</strong>maßnahmen<br />

und Unterstützungsangebote eine erweiterte<br />

Bedeutung. Sie begründen sich eben nicht<br />

über ihren Verwertbarkeitszusammenhang in Hinblick<br />

auf materielle Absicherung von Lebensläufen<br />

und dem gesellschaftlichen Interesse, qualifizierten<br />

Nachwuchs zu erhalten, son<strong>der</strong>n sollen<br />

umfassende gesellschaftliche Teilhabechancen ermöglichen.<br />

Nur wenn es gelingt, Bildung in einem umfassenden<br />

Sinne für alle Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen zu<br />

verbessern und ihnen damit nicht nur im Bereich<br />

<strong>der</strong> institutionalisierten Bildung durch Kin<strong>der</strong>tagesbetreuung<br />

und Schule bessere <strong>Zukunft</strong>sperspektiven<br />

zu entwickeln, ist Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik<br />

mehr als nur kompensatorische Sozial- und<br />

Bildungspolitik, son<strong>der</strong>n zugleich auch die Realisierung<br />

vom Recht auf eine menschenwürdige<br />

Kindheit und Jugend.<br />

Dies bedeutet den Erhalt und Ausbau von Freiräumen<br />

für zweckfreies und experimentierendes<br />

Gestalten von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen, wie sie<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Jugendarbeit bietet. Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendliche müssen als subjektive Rechtspersönlichkeiten<br />

und als Partner in einem Gestaltungsprozess<br />

anerkannt werden, in dem es nicht nur um<br />

die Verbesserung schulischer und beruflicher<br />

Kompetenzen geht, son<strong>der</strong>n in dem die Freude am<br />

Leben, die Wahrnehmung unterschiedlicher kultureller<br />

Ausdrucksformen, das Ausprobieren neuer<br />

Lebens- und Kommunikationsformen und informelle<br />

Lernerfolge die gleiche Beachtung finden<br />

wie die Sprachför<strong>der</strong>ung von Kin<strong>der</strong>n, die Kooperation<br />

von Jugendhilfe und Schule, <strong>der</strong> Ausbau<br />

<strong>der</strong> Ganztagsbetreuung und <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Frühen<br />

Hilfen. Das Spannungsverhältnis, in dem sich<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik bewegt, wird markiert<br />

von den Interessen und Bedürfnissen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

und Jugendlichen sowie den aktuellen und zukünftigen<br />

gesellschaftlichen Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

40<br />

ihre eigenverantwortlichen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

In diesem Zusammenhang sind nicht die<br />

stromlinienförmigen Karrierebiographien das Leitbild,<br />

son<strong>der</strong>n eine Gesellschaft voller Persönlichkeiten,<br />

die aus einer erfüllten Kindheit und Jugend<br />

heraus kompetent ihr eigenes Leben gestalten und<br />

Verantwortung für sich und an<strong>der</strong>e übernehmen.<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendpolitik steht mehr denn je vor<br />

<strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung, ein erkennbares Profil und<br />

eine Perspektive ihrer Einmischung in gesellschaftliche<br />

und politische Prozesse zu entwickeln,<br />

so dass sie wirksam auf <strong>der</strong> Grundlage einer eigenständigen<br />

Legitimation als <strong>Zukunft</strong>spolitik<br />

zum Wohle ihrer Zielgruppe agieren kann.<br />

Vorstand <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft für Kin<strong>der</strong>- und<br />

Jugendhilfe – AGJ<br />

Berlin 30. September / 01. Oktober 2009<br />

Jugend politik


Jugend politik<br />

3/2009<br />

Licht und Schatten im Koalitionsvertrag<br />

Die „Kieler Erklärung“ des Deutschen <strong>Bundesjugendring</strong>es<br />

Der Koalitionsvertrag <strong>der</strong> neuen Bundesregierung<br />

sendet Signale aus, die Mut machen. Gleichzeitig<br />

weckt er auch Ängste und Befürchtungen.<br />

Der DBJR hat zum Vertrag in seiner „Kieler Erklärung“<br />

Stellung bezogen:<br />

Der DBJR begrüßt das Bekenntnis <strong>der</strong> Koalition<br />

zur Stärkung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>rechte, dem Dreiklang<br />

aus Schutz-, För<strong>der</strong>- und Partizipationsrechten.<br />

Ziel sind kindgerechte Lebensverhältnisse<br />

und die Ankündigung <strong>der</strong> längst überfälligen<br />

Rücknahme <strong>der</strong> Vorbehaltserklärung zur UN-Kin<strong>der</strong>rechtskonvention.<br />

Der DBJR begrüßt die Ankündigung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Partizipation und <strong>der</strong> Mitgestaltungsmöglichkeiten<br />

von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen von<br />

Beginn an. Jugendverbände und Jugendringe ermöglichen<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen solche Partizipationsmöglichkeiten.<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

vertreten in den Jugendverbänden und<br />

Jugendringen ihre Interessen in <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />

gestalten und schaffen Freiräume. Sie lernen dort,<br />

ihre Interessen zu formulieren, Freiräume zu nutzen<br />

und zu gestalten sowie Verantwortung zu übernehmen.<br />

Der DBJR vermisst deshalb ein klares<br />

Bekenntnis zu den Jugendverbänden und Jugendringen<br />

und damit dem Engagement von weit über<br />

5,5 Millionen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen, die sich<br />

in diesen Strukturen engagieren. Dies bedeutet<br />

auch, Jugendverbände und Jugendringe als Bestandteil<br />

des Kin<strong>der</strong>- und Jugendhilfesystems bei<br />

dessen Weiterentwicklung aktiv einzubeziehen<br />

und auf kurzfristige Verän<strong>der</strong>ungen, die alleine<br />

auf Einsparungen ausgerichtet sind, zu verzichten.<br />

Eigenständige Jugendpolitik<br />

Der DBJR begrüßt, dass die Koalition zu einer<br />

eigenständigen Jugendpolitik, einer starken Jugendhilfe<br />

und einer starken Jugendarbeit steht,<br />

die junge Menschen teilhaben lässt und ihre Potentiale<br />

för<strong>der</strong>t und ausbaut. Er vermisst allerdings<br />

eine Aussage zur Aufnahme <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>rechte<br />

in das Grundgesetz.<br />

Der DBJR begrüßt die Absicht, bürgerschaftliches<br />

Engagement durch geeignete Rahmenbedingungen<br />

für eine nachhaltige Infrastruktur und<br />

Stabilisierung von Engagement und Partizipation<br />

zu stärken. Er begrüßt zudem ausdrücklich, dass<br />

im Koalitionsvertrag festgehalten ist, gesellschaftliche<br />

Teilhabe nicht von <strong>der</strong> finanziellen<br />

und wirtschaftlichen Haushaltslage des Einzelnen<br />

o<strong>der</strong> von Familien abhängen zu lassen. Der DBJR<br />

weist jedoch mit Nachdruck darauf hin, dass jede<br />

Weiterentwicklung des Engagements die bestehenden<br />

Möglichkeiten und Formen des Engagements<br />

vor allem in den großen zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen angemessen berücksichtigen<br />

muss – einschließlich <strong>der</strong> Selbstorganisationen<br />

junger Menschen, in denen traditionell <strong>der</strong> überwiegende<br />

Teil des Engagements verortet ist. Beson<strong>der</strong>er<br />

Aufmerksamkeit bedürfen dabei das Engagement<br />

junger Menschen und die dafür<br />

notwendigen spezifischen Bedingungen.<br />

Der DBJR begrüßt das Ziel <strong>der</strong> Koalition,<br />

kommenden Generationen ein Leben in Wohlstand,<br />

Gerechtigkeit und Sicherheit zu ermöglichen<br />

sowie Kin<strong>der</strong> von Anfang an dabei zu unterstützen,<br />

ihre Stärken zu erkennen, ihre Chancen zu<br />

för<strong>der</strong>n, Benachteiligungen zu verhin<strong>der</strong>n sowie<br />

Kin<strong>der</strong>armut offensiv zu bekämpfen. Die Formulierung<br />

eines bedarfsorientierten Bürgergeldes<br />

sieht <strong>der</strong> Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> als Einstieg<br />

in eine gesamtgesellschaftliche Debatte. Ziel muss<br />

dabei aber ein Grundeinkommen (im Sinne des<br />

"Jugendpolitischen Eckpunktepapiers des Deutschen<br />

<strong>Bundesjugendring</strong> - <strong>Zukunft</strong> <strong>der</strong> Arbeit und<br />

soziale Sicherheit", 2004) sein, das bedingungslos<br />

gewährt wird und Existenz sichernd ist.<br />

Der Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> mahnt jedoch:<br />

Eine Politik <strong>der</strong> Steuererleichterung für Unternehmen<br />

und Erben, absehbar steigende Sozialabgaben<br />

für Beschäftigte, eine Steuerreform, von<br />

<strong>der</strong> die ärmsten Familien keine Vorteile haben<br />

werden, und <strong>der</strong> endgültige Abschied vom Prinzip<br />

<strong>der</strong> paritätischen Finanzierung <strong>der</strong> Krankenversicherungsbeiträge<br />

– einem Kernstück des deutschen<br />

Sozialstaates – sind <strong>der</strong> falsche Weg. Dieser<br />

führt weg von sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand<br />

für alle und bricht mit dem Anspruch einer<br />

solidarischen Gesellschaft.<br />

Eine „neue Familienpolitik“, von <strong>der</strong> vor allem<br />

Besserverdienende profitieren, die ärmsten Kin<strong>der</strong><br />

und Familien aber nichts haben, ist falsch. Die Jugendverbände<br />

vermissen ein Bekenntnis zur Re-<br />

41


3/2009<br />

form <strong>der</strong> SGB II-Regelsätze für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche,<br />

die ihren speziellen Bedarf berücksichtigt.<br />

Der Deutsche <strong>Bundesjugendring</strong> kann<br />

nicht erkennen, wie gewährleistet werden soll,<br />

dass Menschen von ihrem Erwerbseinkommen leben<br />

können.<br />

Chancengerechtigkeit<br />

Der DBJR begrüßt das Bekenntnis <strong>der</strong> Koalition<br />

zu mehr Chancengerechtigkeit von Beginn an,<br />

zu Durchlässigkeit und zu fairen Aufstiegschancen<br />

für alle sowie die Absicht, „Deutschland zur Bildungsrepublik<br />

[zu] machen, mit den besten Kin<strong>der</strong>tagesstätten,<br />

den besten Schulen und Berufsschulen<br />

sowie den besten Hochschulen und<br />

Forschungs- einrichtungen.“ (WACHSTUM. BIL-<br />

DUNG. ZUSAMMENHALT. – Koalitionsvertrag<br />

zwischen CDU, CSU und FDP (17. Legislaturperiode),<br />

Kapitel II) Er begrüßt auch das Verständnis<br />

von Bildung als gesamtstaatlicher Aufgabe.<br />

Der DBJR mahnt jedoch: Im Sinne einer ganzheitlichen<br />

Bildung darf sich das Engagement nicht<br />

ausschließlich auf die formale Bildung beschränken.<br />

Die Notwendigkeit und die Potenziale von<br />

außerschulischen, non-formalen und informellen<br />

Bildungsangeboten, z. B. auch in den Jugendverbänden,<br />

müssen im Interesse einer guten Bildung<br />

für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche erkannt und unterstützt<br />

werden.<br />

Maßnahmen wie das geplante Bildungssparen<br />

o<strong>der</strong> die Fokussierung auf Stipendien zur Studienfinanzierung<br />

sind dem Ziel <strong>der</strong> Chancengerechtigkeit<br />

nicht dienlich. Sie kommen den benachteiligten<br />

Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen nicht zu<br />

Gute. Der richtige Weg sind die Abschaffung <strong>der</strong><br />

Studiengebühren und ein Ausbau des BAföG.<br />

Maßnahmen zur notwendigen Steigerung <strong>der</strong><br />

Qualität im Bildungssystem – wie beispielsweise<br />

die bessere Ausbildung <strong>der</strong> Fachkräfte, die Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Betreuungsrelationen in Schule und<br />

Kin<strong>der</strong>garten o<strong>der</strong> einheitliche Bildungs- und Leistungsstandards<br />

– gehen in die richtige Richtung,<br />

reichen aber bei weitem nicht aus, das zentrale<br />

Ziel von Bildung, die Befähigung des Individuums,<br />

ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches<br />

Leben führen und umfassend am sozialen<br />

und ökonomischen Leben und <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Entwicklung partizipieren zu können, zu erreichen.<br />

42<br />

Vorreiter beim Klimaschutz<br />

Der DBJR begrüßt das Vorhaben <strong>der</strong> neuen<br />

Bundesregierung, die Vorreiterrolle Deutschlands<br />

im Klimaschutz beizubehalten, die erneuerbaren<br />

Energien konsequent auszubauen und konventionelle<br />

Energien langfristig zu ersetzen. Damit führt<br />

sie den eingeschlagenen Weg zu einer nachhaltigen<br />

und umweltfreundliche Energieproduktion für<br />

die heutige Generation von Kin<strong>der</strong>n- und Jugendlichen<br />

fort.<br />

Der DBJR ist aber nachdrücklich besorgt, dass<br />

die Bundesregierung wie<strong>der</strong> verstärkt auf die Nutzung<br />

<strong>der</strong> Atomenergie zurückgreifen will. Eine<br />

Energieform, die ganzheitlich betrachtet we<strong>der</strong><br />

klimafreundlich noch günstig ist, <strong>der</strong>en Risiko<br />

unüberschaubar ist und <strong>der</strong>en Abfallprodukte<br />

künftige Generationen noch Jahrhun<strong>der</strong>te belasten<br />

werden. Der DBJR erneuert daher seinen Beschluss<br />

von 2008 „Den Ausstieg aus <strong>der</strong> Atomenergie<br />

beschleunigen!“ und for<strong>der</strong>t die<br />

Bundesregierung auf, den Atomausstieg nicht länger<br />

hinauszuschieben und für eine zukunftsgerechte<br />

und nachhaltige Energieversorgung zu sorgen;<br />

gleichzeitig bis zur endgültigen Abschaltung<br />

<strong>der</strong> Atomkraftwerke die zusätzlichen Gewinne <strong>der</strong><br />

bereits abgeschriebenen Atomkraftwerke in die<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Bildung und den Ausbau <strong>der</strong> regenerativen<br />

Energien sowie den Klimaschutz zu investieren.<br />

Im Interesse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen in<br />

Deutschland for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> DBJR die Regierungskoalition<br />

<strong>der</strong> 17. Legislaturperiode auf, bei <strong>der</strong><br />

Umsetzung und Ausgestaltung des Koalitionsvertrages<br />

allen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen ein gutes<br />

Aufwachsen in einem sozial gerechten Land zu ermöglichen<br />

und sich aktiv für eine schlüssige und<br />

ressortübergreifende Jugendpolitik sowie den Erhalt<br />

und den Ausbau von Freiräumen für junge<br />

Menschen einzusetzen.<br />

Einstimmig beschlossen auf <strong>der</strong><br />

Vollversammlung 2009 in Kiel.<br />

Jugend politik


… steht für eine gute<br />

Ausbildung nach<br />

bundesweit einheitlichen<br />

Qualitätsstandards.<br />

… ist <strong>der</strong> Ausweis<br />

für Ehrenamtliche in <strong>der</strong><br />

Jugendarbeit.<br />

… stärkt das Ehrenamt.<br />

www.juleica.de

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