Das Erbe
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Harald Sickinger<br />
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong><br />
Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld<br />
von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Studienarbeit an der Fakultät 11 für Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München<br />
Studiengang: Gemeinwesenentwicklung, Quartiermanagement und lokale Ökonomie<br />
Eingereicht von: Harald Sickinger<br />
Matrikelnummer: 04349309<br />
Provenceweg 3, 72072 Tübingen, harald.sickinger@gmx.net<br />
Dozent/innen: Prof. Dr. Cordula Kropp und Dr. Detlev Sträter<br />
Tübingen, den 15. 12. 2011
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einführung ..........................................................................................................................2<br />
2 Ausgangssituation: Ein <strong>Erbe</strong> mit Klärungsbedarf ..........................................................4<br />
2.1 Ausgangsstellung: Ein Haus, sein Schaffer, dessen Lebenswelt und sein Tod ..................... 4<br />
2.1.1 <strong>Das</strong> verlassene Haus – Gegenstände und Geschichten ..................................................... 4<br />
2.1.2 Der „Schaffer“ und das Haus I – Stationen des Lebens ...................................................... 4<br />
2.1.2 Der „Schaffer“ und das Haus II – <strong>Das</strong> örtliche Umfeld ........................................................ 5<br />
2.2 Problemstellung: Ein <strong>Erbe</strong> zwischen Chance und Last ...................................................... 6<br />
2.3 Zielstellung: Verstehen, verständigen und neue Aussichten eröffnen ................................. 7<br />
2.4 Fragestellung: Was war das? Was ist das? Was kann das sein? .......................................... 7<br />
3 Vorgehensweise: Ein systematischer Klärungsversuch ..................................................8<br />
3.1 Aktionsforschung als Weg ............................................................................................. 8<br />
3.2 Erfahrungsbegründetes (Er)klären als Methode ............................................................... 9<br />
3.2.1 Grounded Theory als Orientierungsmuster ......................................................................... 9<br />
3.2.2 Orientierung der Datenerhebung vor allem am Erkenntnisinteresse ................................... 9<br />
3.2.3 Erheblichkeit vielfältiger Datenarten .................................................................................. 10<br />
3.2.4 (Er)klärungsorientierte Datenauswertung .......................................................................... 11<br />
4 Projektverlauf: Geschichte einer Klärung .....................................................................12<br />
4.1 Herbst 2010: Sondierungen .......................................................................................... 12<br />
4.2 Winter 2010 / 2011: Weiter auf Wertschätzung schauen ................................................. 20<br />
4.3 März 2011: Weiter vergleichbare Erfahrungen sammeln ................................................ 22<br />
4.4 April bis Juli 2011: Weiter nach dem Nutzen fragen ...................................................... 26<br />
4.5 Sommer 2011: Weiter über Identität nachdenken ........................................................... 32<br />
5 Ergebnisse: Klärende Geschichte(n) über Wertschätzung, Sinn und Bedeutung .....33<br />
5.1 Die Geschichte vom „Schaffwerk“ als Geschichte vom Menschen .................................. 33<br />
5.2 Wechselwirkungen – über die Konstruktion von Wertschätzung ..................................... 33<br />
5.2.1 Dimension − mehr oder weniger Wertschätzung wird erkennbar ...................................... 33<br />
5.2.2 Kriterium − Einschätzungen des Beitrags zur Wohlfahrt ................................................... 35<br />
5.2.3 Maßstab – Nutzenvorstellungen als Orientierungsgrundlage ............................................ 37<br />
5.2.4 Relation − wie der Abstand die Wertschätzung verändert ................................................. 41<br />
5.3 Bindung und Lösung – Aushandlung von Wertschätzung im Lauf der Zeit ....................... 45<br />
5.3.1 Aushandlung I − Eine Geschichte vom Sinn für sich selbst .............................................. 45<br />
5.3.2 Aushandlung II − Eine Geschichte von der Bedeutung für „die Leute“ .............................. 51<br />
6 Schlussfolgerungen: <strong>Das</strong> Identitätsprojekt – Eine Fortsetzungsgeschichte ................53<br />
7 Literatur ............................................................................................................................56<br />
Erklärung ................................................................................................................................57<br />
1
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
1 Einführung<br />
Was ist das?“ – Vielen Passantinnen und Passanten der Gönninger Straße 112 drängt sich<br />
diese Frage auf. Wer in der württembergischen Kleinstadt Pfullingen auf der Ausfallstraße<br />
Richtung Gönningen unterwegs ist, sieht kurz vor dem Ortsausgang ein altes Bauernhaus.<br />
Haus und Garten sind bestückt mit zahlreichen Figuren, Skulpturen, Objekten aus Eisen und<br />
aus Holz: Ein großer Holz - Neandertaler vor dem Scheunentor, daneben eine alte Schmiede.<br />
Rostige Lampen baumeln an der Hauswand. Man erblickt Metallkonstruktionen aus verschweißten<br />
und geschmiedeten Hufeisen und Eisenringen – nicht jede Installation macht in<br />
den Augen jeder Betrachterin und jedes Betrachters Sinn. Manches erscheint vielen skurril,<br />
vieles ist in den Augen mancher Leute zum Staunen – das angerostete Objekt beispielsweise,<br />
das in Pfullingen der Eismann genannt wird, weil im Winter Eiszapfen einen solchen entstehen<br />
ließen. Peter Kramer hatte den Eismann manchmal des Nächtens mit Hilfe eines Wassersprinklers<br />
entstehen lassen. Peter Kramer lebte sein Leben von Geburt an in Pfullingen und<br />
wurde dort Jahr 2010 unter Anteilnahme von rund 300 Menschen zu Grabe getragen. Vor<br />
allem in den letzten 10 Jahren seines Lebens schuf er aus einem alten Haus, altem Eisen,<br />
Holz, zahlreichen Fundstücken und wieder verwerteten Gebrauchsgegenständen etwas, was<br />
seine Tochter − die Erbin des Hauses − „das Schaffwerk“ nennt.<br />
„Was ist das, was ist mein <strong>Erbe</strong>?“ – die Tochter Sabine Kramer beschäftigt diese Frage auch<br />
im Hinblick auf das Klären möglicher Zukunftsaussichten für das Haus in der Gönninger<br />
Straße. Als klärend erweist sich dabei das Verstehen – Verstehen einerseits des individuellen<br />
Sinns, den das Hausprojekt für ihren Vater gemacht hat. Es geht aber darüber hinaus auch um<br />
2
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
das Verstehen der Bedeutung des „Schaffwerks“ im Gemeinwesen − in Peter Kramers „Ur-<br />
Pfullinger“ Heimatmilieu und auch darüber hinaus.<br />
Im Auftrag von Sabine Kramer unterstützte ich diesen Klärungsprozess durch ein handlungsorientiertes<br />
Forschungs- und Kulturprojekt. Ziele sind dabei sowohl das Verstehen als auch<br />
die Verständigung über das individuelle und kollektive <strong>Erbe</strong> „Schaffwerk“.<br />
Videoaufnahmen, Interviews und andere Formen des Erfahrungsaustauschs sollen im Rahmen<br />
des Klärungsprojektes sowohl Mittel der Datenerhebung als auch Verständigungsgelegenheiten<br />
vor Ort in Pfullingen sein. Befragt wurden durch mich und meist unter Mitwirkung der<br />
Erbin Menschen aus dem Umfeld von Peter Kramer, die sein „Schaffwerk“ schätzen.<br />
„Was ist das?“ – Diese Frage beantworten Betrachterinnen und Betrachter aus unterschiedlichen<br />
Positionen sehr unterschiedlich. Für die einen ist das „Schaffwerk“ ein Haus voller<br />
„Gruscht“ und „Krempel“, für andere ist es eine Art Heimatmuseum und wieder andere sehen<br />
darin ein Gesamtkunstwerk.<br />
Es war das Bild eines Kraftfeldes, das sich im Projektverlauf bei nach und nach klarer werdender<br />
Sicht abzeichnete. Beim Versuch, das „Schaffwerk“ aus unterschiedlichen Blickwinkeln<br />
zu betrachten, um so dieses <strong>Erbe</strong> besser verstehen zu können, wurde immer deutlicher,<br />
dass das ungewöhnliche Haus in der Gönninger Straße 112 inmitten eines Feldes steht, wo<br />
unterschiedliche Wertmaßstäbe auf erhebliche Weise das beeinflussen, was wir sehen.<br />
Unser Projekt mit dem Ziel, „das Schaffwerk“ in der Zusammenschau unterschiedlicher<br />
Sichtweisen mehr zu verstehen und es nicht zuletzt auch dadurch wert zu schätzen, begann<br />
bereits am Tag nach Peter Kramers Tod, als die Tochter mich bat, das Haus zu dokumentieren,<br />
wie er es verlassen hatte.<br />
Ich werde im Folgenden zunächst die Ausgangssituation zu Beginn unserer Erkundungen<br />
bzw. Verständigungen darstellen und die von mir gewählte Vorgehensweise für diesen Klärungsprozess<br />
erläutern.<br />
<strong>Das</strong> darauffolgende Kapitel schildert den Verlauf unserer Begegnungen, Gespräche und Beobachtungen<br />
im „Gravitationsfeld“ des „Schaffwerks“. Es skizziert aber auch den Verlauf<br />
meiner Gedanken bzw. meiner Schlussfolgerungen aus den jeweiligen Erfahrungen und<br />
zeichnet damit in groben Zügen etwas von dem Prozess nach, der aus meiner Sicht nach und<br />
nach ein klareres Bild von bedeutsamen Zusammenhängen im Hinblick auf das „Schaffwerk“<br />
von Peter Kramer hat entstehen lassen.<br />
Diese Zusammenhänge von Wahrnehmung, Wertschätzung persönlichem Sinn und kollektiver<br />
Bedeutung, die das Bild des „Schaffwerks“ aus meiner Perspektive als Forscher in diesem<br />
Feld prägen, werde ich am Ende des vorliegenden Textes darstellen.<br />
Mein Bericht von unseren Erkundungen und Verständigungen im lokalen Aushandlungsfeld<br />
von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung schließt mit einer Zusammenschau meiner bzw. unserer<br />
Erfahrungen. Diese Zusammenschau ist zugleich ein Ausblick, denn es zeigt sich: <strong>Das</strong><br />
„Schaffwerk“ lässt sich als Identitätsprojekt verstehen und dieses Projekt wird fortgesetzt.<br />
3
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
2 Ausgangssituation: Ein <strong>Erbe</strong> mit Klärungsbedarf<br />
2.1 Ausgangsstellung: Ein Haus, sein Schaffer, dessen Lebenswelt und sein<br />
Tod<br />
2.1.1 <strong>Das</strong> verlassene Haus – Gegenstände und Geschichten 1<br />
„I guck da grad Bilder an, die lagen grad hier auf´ m Stuhl, wo ich gekommen bin (Pause).<br />
Isch richtig leer hier ohne mein Papa.“.<br />
9. Oktober 2010 − Gestern ist Peter Kramer im Krankenhaus der Nachbarstadt Reutlingen<br />
gestorben. Seine Tochter Sabine steht jetzt in der Stube des alten Bauernhauses, das der Vater<br />
während seiner letzten beiden Lebensjahrzehnte in etwas verwandelt hatte, das zu verstehen<br />
ihr offenbar nicht in jeder Hinsicht ganz leicht fällt:<br />
„Mit dem Gardazwerg hot er beschtimmt au, also au was vorghet.<br />
Was i schade fend isch, dass es jetzt ganz viele Sachen gibt, viele Dinge hier im Haus, die ne<br />
Geschichte ham, die ich nich kenn.“.<br />
Ich begleite die Tochter von Peter Kramer am Tag nach dessen Tod mit der Videokamera auf<br />
ihrem nachdenklichen Erkundungsgang zwischen Figuren, Apparaturen, Bildern, Ketten, Kugeln,<br />
Installationen aus Geweihen, Wasserhähnen, Rohren; zwischen Wappen, selbstkonstruierten<br />
Holzöfen, vielen alten Skiern, Fahrrädern, Schildern, Sensen, Kinderwägen – auch antiquierte<br />
Telefone gibt es in dieser für mich schier unübersehbaren Vielfalt von Dingen.<br />
Es sind Dinge, die aus der Sicht von Sabine Kramer Geschichte und Geschichten bergen. Bislang<br />
war vieles davon für sie verborgen geblieben.<br />
„Bei vielen Sachen gibt´s aber Menschen“, sagt die Tochter, „die die Geschichten kennen und<br />
ich hoff irgendwie, dass wir des zusammentragen können, die vielen abenteuerlichen Geschichten,<br />
die diese Gegenstände in diesem Haus hier bergen. Aber, des wird ne große Aufgabe<br />
sein.“.<br />
Sabine Kramer hofft, dass ich ihr als Filmemacher und Freund dabei werde helfen können,<br />
Geschichten rund um ihren Vater, sein Haus und die vielen Dinge dort zu sammeln und weiter<br />
zu erzählen. <strong>Das</strong>s die ersten Aufnahmen bereits heute entstehen, hat vor allem einen praktischen<br />
Grund:<br />
In einigen Tagen soll die Trauerfeier stattfinden und danach werden sich die Gäste hier im<br />
Haus bei Hefezopf und Kaffee treffen. Um dafür Platz zu schaffen, muss man manches Ensemble<br />
verändern. Darum hat mich die Tochter gebeten, das „Schaffwerk“ und die Atmosphäre<br />
dort filmisch zu dokumentieren, so wie wir es vorgefunden haben – heute, am ersten Tag<br />
nachdem das Leben von Peter Kramer zu Ende gegangen ist.<br />
2.1.2 Der „Schaffer“ und das Haus I – Stationen des Lebens 2<br />
Geboren wurde Peter Kramer am 7.11.1942 als Sohn eines Schreiners und einer Strickerin. Er<br />
wuchs in Pfullingen als Einzelkind und Halbwaise auf. Sein Vater fiel im Krieg, als Peter ca.<br />
ein Jahr alt war.<br />
1 Die Zitate in diesem Abschnitt stammen aus dem transkribierten Videodokument 9.10.10<br />
2 Die Informationen in diesem Abschnitt stammen aus verschiedenen Recherchegesprächen mit Peter Kramers Tochter<br />
4
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Er besuchte die Volksschule und machte danach eine Lehre als Hochdruckrohrschlosser bei<br />
einem großen Reutlinger Industriebetrieb. Nach erfolgreichem Abschluss der Facharbeiterprüfung<br />
im Jahr 1960 blieb er dort noch sieben Jahre.<br />
In seiner Freizeit trieb Peter Kramer in jungen Jahren viel Sport, er fuhr Radrennen und war<br />
ein ambitionierter Bergwanderer.<br />
Während einer Auslandsmontage in der Schweiz lernte er 1965 seine künftige Frau kennen,<br />
die er 1967 heiratete. Im selben Jahr kam das erste Kind des Paares – ein Junge − zur Welt,<br />
im darauffolgenden Jahr wurde die gemeinsame Tochter geboren.<br />
Von 1967 bis 1969 wohnte die Familie in der Schweiz und Peter Kramer arbeitete dort in seinem<br />
gelernten Beruf bei einem Maschinenbauunternehmen.<br />
1969 siedelte Familie Kramer wieder nach Pfullingen über und Herr Kramer erhielt eine Stelle<br />
bei seinem früheren Betrieb. Als dort später Facharbeiterstellen gestrichen wurden und er<br />
statt seiner bisherigen Tätigkeit eine Arbeit am Fließband angeboten bekam, wechselte er zu<br />
einem kleineren Maschinenbauunternehmen auf der Schwäbischen Alb.<br />
Ab 1970 bewirtschaftete Peter 32 Jahre lang, immer wenn es schönes Wanderwetter war, einen<br />
Kiosk auf dem Schönberg oberhalb von Pfullingen. Der Kiosk befindet sich in einem<br />
Aussichtsturm des Schwäbischen Albvereins. In Peters Zeiten konnte man dort Getränke und<br />
kalte Speisen kaufen − beispielsweise auch kalte Würste, um sie dann selbst am Feuer zu grillen.<br />
Der Wirt sorgte für ein ansprechendes Ambiente und meist auch für Unterhaltung.<br />
Bis 1986 trug seine Familie die Nebenerwerbstätigkeit auf dem Schönberg wesentlich mit.<br />
Dann trennten sich die Eheleute und Peter lebte fortan alleine. Zu seiner Ex-Frau hatte er ab<br />
diesem Zeitpunkt an keinen Kontakt mehr, zu den Kindern über längere Zeit wenig. Letzteres<br />
änderte sich erst gegen Ende seines Lebens wieder.<br />
In seiner Freizeit war er in den Jahren nach der Scheidung bis zum Kauf des Bauernhauses<br />
viel mit Freunden aus dem Höhlenforscherverein unterwegs.<br />
1993 erwarb Peter Kramer das alte Haus in der Gönninger Straße, das unmittelbar an das<br />
Grundstück seines Wohnhauses angrenzte. Er war zu dieser Zeit 50 Jahre alt.<br />
Der Grund für den Kauf sei ursprünglich eigentlich vor allem gewesen, so hat er selbst es<br />
immer wieder erzählt, dass er habe verhindern wollen, dass auf dem Grundstück ein neuer<br />
Wohnblock das alte geschichtsträchtige Bauernhaus ersetzen würde − was er offenbar befürchtet<br />
hatte.<br />
Um dieses Haus zu bewahren und zu renovieren, investierte Peter Kramer „fortan viel Zeit<br />
und Energie“, wie es seine Tochter formuliert. 3 Hier hatte er nun auch mehr Platz für alte Gegenstände<br />
– schon vorher war er ein Sammler gewesen.<br />
Im Jahr 2000 verlor Peter Kramer wegen Stellenabbau seine Erwerbsarbeit als Rohrschlosser<br />
und war bis zum Renteneintritt nicht mehr vollerwerbstätig. 2002 gab er dann auch seine Nebentätigkeit<br />
als Wirt auf dem Schönberg auf und widmete sich nun ganz dem Haus und dem<br />
Garten in der Gönninger Straße 112 und verwandelte es mehr und mehr in das, was es heute<br />
ist.<br />
Am 8.10.2010 starb Peter Kramer an einer Erkrankung, die nach ärztlicher Einschätzung auch<br />
in einem Zusammenhang mit seinem langjährigen und erheblichen Alkoholkonsum stand.<br />
2.1.2 Der „Schaffer“ und das Haus II – <strong>Das</strong> örtliche Umfeld<br />
Mit der Headline „Schönbergturm war sein Leben“ ist ein Nachruf auf Peter Kramer überschrieben,<br />
der kurz nach seinem Tod im Reutlinger Generalanzeiger erschien. 4 Durch den<br />
Kioskbetrieb auf dem Schönberg war er stadtbekannt geworden – viele Leute nannten ihn nur<br />
den „Schemberg-Peter“.<br />
3 Dokument 15.10.10<br />
4 Dokument 13.10.10<br />
5
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Der Turm steht auf einem der Berge, die gleich hinter dem Ortsende aufsteigen. Hier beginnt<br />
die Schwäbische Alb. Der Schönbergturm gilt als Wahrzeichen der Stadt Pfullingen, auch sei<br />
er eine Art Heiligtum der alten Pfullinger − so wird es bei einem unserer Gespräche geschildert.<br />
5<br />
<strong>Das</strong> über 1000 Jahre alte Pfullingen wurde lange Zeit von der Landwirtschaft geprägt. Die<br />
Lage am Flüsschen Echaz und die Nähe zu Reutlingen begünstigten dann die Industrialisierung<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts. Vor allem kleinere Gewerbe- und Handwerksbetriebe sind<br />
heute für die örtliche Wirtschaft prägend. Die frühere große Bedeutung der Land- und Waldwirtschaft<br />
ist aber baulich und auch in den außerberuflichen Aktivitäten der Bewohner und<br />
Bewohnerinnen weiterhin bemerkbar. Bauernhäuser und Traktoren sind hier auch heute noch<br />
keine Seltenheit, wenngleich es mittlerweile meist nur noch ein kleines „Wiesle“, ein „Gütle“<br />
oder ein Waldstück ist, das bewirtschaftet wird und das Einkommen der Menschen mittlerweile<br />
in aller Regel aus anderen Quellen stammt.<br />
<strong>Das</strong> Vereinsleben halte Pfullingen zusammen, hört man hier immer wieder. 6 Auch die Stadtverwaltung<br />
hebt dies als besonderes Kennzeichen der Kommune hervor. 7 Eine Reihe dieser<br />
Vereine werden dabei dem Anschein nach von traditionsorientierten Pfullinger Bürgerinnen<br />
und Bürgern geprägt. Hierzu gehören auch Peter Kramers Vereine: Der Brauchtumsverein,<br />
der Schützenverein, der Gesangsverein, der Albverein, die Bergwacht, die Höhlenforscher.<br />
Peter Kramers Tochter beschreibt die Mentalität der Leute in Pfullingen als bodenständig und<br />
konservativ. In diesem Umfeld, in diesem Milieu ist das ungewöhnliche <strong>Erbe</strong> verortet, welches<br />
nach dem Tod ihres Vaters ihr <strong>Erbe</strong> ist – und ihre Herausforderung.<br />
2.2 Problemstellung: Ein <strong>Erbe</strong> zwischen Chance und Last 8<br />
„So bissle graut´s mir da auch schon jetzt davor, da hat mein Papa ons ein schweres Vermächtnis<br />
hinterlassen“, sagt Sabine Kramer kurz nachdem ihr Vater gestorben ist. Sie nimmt<br />
zu diesem Zeitpunkt an, dass sie gemeinsam mit ihrem Bruder das besagte Haus in der Gönninger<br />
Straße 112 und das dahinterliegende Wohnhaus ihrer Kindheit erben wird. Rund drei<br />
Monate später teilen die beiden das <strong>Erbe</strong>. Sie übernimmt alleine das alte Bauernhaus, welches<br />
ihr Vater gestaltete.<br />
Schon am Tag nach dessen Tod empfindet sie das mit diesem Haus verbundene Vermächtnis<br />
als Herausforderung. Einerseits „graut“ es ihr vor der Aufgabe, einen angemessenen Umgang<br />
mit diesem <strong>Erbe</strong> zu entwickeln und andererseits empfindet sie dieses Vermächtnis, wie sie<br />
sagt, als ein „irgendwie au schpannendes“. Sie verbindet offenbar durchaus Hoffnungen mit<br />
der Weiterentwicklung des Hauses, wenn sie hinzufügt: „Ond, ja mal gucken was draus wird,<br />
ich hoff, dass es n´ guten Weg nimmt, dieses Haus, mit all seinen Schätzen und Kunschtwerken“.<br />
<strong>Das</strong> Haus in der Gönninger Straße birgt aus Sicht der Tochter eine kaum überschaubare Vielfalt<br />
von Dingen, deren Sinn teilweise nicht unmittelbar verständlich ist. Die dahinter liegenden<br />
Geschichten liegen im Verborgenen und ihre Bedeutung lässt sich schwer einschätzen.<br />
Schwer ist es deshalb auch, sich vorzustellen, was aus diesen Dingen und aus dem gesamten<br />
Haus jetzt werden könnte. <strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> scheint viele Schätze, viele Potenziale zu bergen und<br />
doch wirkt die fast erschlagende Fülle von Dingen hier auch wie eine Last.<br />
5 Interview 27.1.11<br />
6 Unter anderem sagt das auch ein Befragter bei einem Straßeninterview im Rahmen des Aktionsforschungsprojektes. Dem<br />
Mann, einem aus Norddeutschland zugezogener Ingenieur und Handwerker, war das rege Vereinsleben in der Kleinstadt<br />
aufgefallen (Videodokumentation 30.5.11).<br />
7 vgl. Stadt Pfullingen 2010<br />
8 Die Zitate in diesem Abschnitt stammen aus dem Videodokument 9.10.10<br />
6
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Kaum erkennbar scheint hier die Grenze zwischen Schätzen und Schrott, kaum vorstellbar ist<br />
es, wo man hier anfangen soll, wenn man daraus etwas machen will – oder etwas machen<br />
muss. Weil man sich auch verpflichtet fühlt, wie die Tochter sich dem verstorbenen Vater<br />
verpflichtet fühlt, aber auch den Leuten in ihrer Heimat, am Ort ihrer Kindheit. Für nicht wenige<br />
der Menschen hier – das spürt Sabine Kramer – hat das „Schaffwerk“ ihres Vaters eine<br />
wichtige Bedeutung.<br />
Die beim Tod ihres Vaters 42jährige Sabine Kramer war im Alter von 17 Jahren von Pfullingen<br />
weggegangen, lebte kurze Zeit in Tübingen, dann 13 Jahre in Berlin, kehrte im Alter von<br />
30 an ihren Herkunftsort zurück und lebte dort mit Mann und Sohn in einem kleinen Haus in<br />
einiger Entfernung vom Anwesen des Vaters. Mittlerweile wohnt Sabine Kramer in Tübingen.<br />
Die gelernte Erzieherin arbeitet in einer Behindertenhilfeeinrichtung.<br />
Mit dem Haus ihres Vaters in der Gönninger Straße 112 und seinem Pfullinger Umfeld verbindet<br />
Sabine Kramer gemischte Gefühle. Einerseits war das Verhältnis zum Vater früher<br />
durch Konflikte in der Familie belastet und das konservative Umgebungsmilieu empfand die<br />
Tochter teilweise als beengend. Andererseits war und ist sie stolz auf das Schaffen ihres Vaters<br />
und empfindet Pfullingen und seine ländliche Umgebung als ihre Heimat.<br />
Auch in diesem Spannungsverhältnis von Chance und Last sucht die Tochter von Peter Kramer<br />
nach einem angemessenen Umgang mit dem <strong>Erbe</strong> ihres Vaters und wesentliche Beiträge<br />
hierfür sollen von einem Klärungsprozess ausgehen, den ich in ihrem Auftrag gestalte.<br />
2.3 Zielstellung: Verstehen, verständigen und neue Aussichten eröffnen<br />
Dieses Projekt soll dazu beitragen, Zukunftsaussichten für das ungewöhnliche Haus in der<br />
Gönninger Straße zu klären. Der Beitrag des Projektes – und damit auch mein Beitrag – besteht<br />
vor allem im Versuch, die Bedeutung des Vermächtnisses von Peter Kramer besser zu<br />
verstehen. Es geht darum, den Blick fürs Wesentliche zu schärfen. Unter dem Wesentlichen<br />
verstehe ich vor allem das Bedeutende und bedeutend ist all das, was dieses Haus wichtig<br />
gemacht hat – für Peter Kramer und für die Menschen aus seinem Umfeld.<br />
Die Sichtweisen von Menschen aus diesem Umfeld zu verstehen, die für Peter Kramer und<br />
sein „Schaffwerk“ von Bedeutung waren, das ist ein zentrales Anliegen unseres Projektes.<br />
Ein weiteres Anliegen ist es aber auch, sich mit diesen Menschen zu verständigen, sich mit<br />
ihnen über Wahrnehmung und Bedeutung des „Schaffwerks“ auszutauschen. Dadurch soll<br />
etwas von der Schwere des <strong>Erbe</strong>s genommen, es soll etwas in Fluss gebracht, ein lebendiger<br />
Auseinandersetzungsprozess in Gang gebracht werden. Die Projektidee ist, dass durch eine<br />
von uns angeregte und teilweise auch inszenierte Kommunikation über das „Schaffwerk“ von<br />
Peter Kramer neue Ideen, Möglichkeiten und Aussichten entstehen, damit „das Haus mit all<br />
seinen Schätzen und Kunstwerken einen guten Weg nimmt“, wie es sich seine Tochter Sabine<br />
wünscht.<br />
2.4 Fragestellung: Was war das? Was ist das? Was kann das sein?<br />
Durch Fragen möchte ich den Prozess des Verstehens und der Verständigung anregen und<br />
leiten. Im Vordergrund steht dabei die Frage „Was war das?“ – Welche Bedeutung hatte das<br />
„Schaffwerk“ zu Peter Kramers Lebzeiten? Um dies besser zu verstehen, damit wir uns davon<br />
systematisch ein Bild machen können, frage ich weiter: Für wen hat das „Schaffwerk“<br />
etwas bedeutet? − Und was? Ich frage nach den Wahrnehmungen des „Schaffwerks“ durch<br />
Menschen, für die es eine Bedeutung hatte. Ich frage nach der Bedeutung für den Schaffer des<br />
„Schaffwerks“ selbst, aber insbesondere auch für sein Umfeld.<br />
7
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Ich nehme an, dass für Menschen aus dem Umfeld die Bedeutung des „Schaffwerks“ nicht<br />
mit dem Tod der zentralen Person endete, sondern weiter in die Gegenwart hineinwirkt. Deshalb<br />
frage ich auch nach der Wahrnehmung und Bedeutung des Hauses heute.<br />
Die heutige Bedeutung des Hauses für Leute in Pfullingen bestimmt wohl nicht unwesentlich<br />
die Zukunftsaussichten für das „Schaffwerk“ mit und so stellt meine Fragestellung indirekt<br />
auch die Frage: Was kann das „Schaffwerk“ in Zukunft sein? – Offene Fragen für ein offen<br />
angelegtes Forschungsverfahren.<br />
3 Vorgehensweise: Ein systematischer Klärungsversuch<br />
3.1 Aktionsforschung als Weg<br />
Aktion → Reflexion → Aktion → Reflexion → und so weiter. − In dieser Weise hin- und her<br />
schwingend zwischen praxisorientierter Aktion und systematischer Reflexion habe ich mich<br />
im Herbst 2010 gemeinsam mit Peter Kramers Tochter auf den Weg gemacht, um einerseits<br />
einen praxiswirksamen Film zu erstellen und andererseits ein reflexionsförderndes Forschungsvorhaben<br />
durchzuführen. Systematische Erkundungen, Auswertungen und soziokulturelles<br />
Handeln in Pfullingen standen dabei von Anfang an in einer engen Wechselbeziehung<br />
zueinander. Ich habe dabei bewusst zwei Zielsetzungen miteinander verbunden, die für gewöhnlich<br />
auf getrennten Wegen verfolgt werden. Praxisorientiertes Handeln und wissenschaftliches<br />
systematisches Verstehen werden meist in voneinander getrennten Projekten von<br />
getrennten Menschen betrieben. <strong>Das</strong> hat aus meiner Sicht auch gute Gründe – unter anderem<br />
wohl auch den, dass Praxis vor allem dem Prinzip der Brauchbarkeit und Wissenschaft vor<br />
allem dem Prinzip des Verstehens folgt. 9 Nichtsdestotrotz habe ich mich für dieses Experiment<br />
entschieden, weil ich davon überzeugt bin, dass eine solche Vorgehensweise für das<br />
besondere Entwicklungsprojekt „Schaffwerk“, aber auch für Gemeinwesenentwicklung allgemein<br />
ein vielversprechender Weg sein kann.<br />
Für die nachhaltige Entwicklung von Gemeinwesen zu arbeiten, heißt vor allem auch, angemessene<br />
Strukturen für gelingende Kooperationsprozesse unterschiedlicher Menschen zu<br />
schaffen. Wie man das macht, das kann man nach meiner Erfahrung durch praktisches Handeln<br />
in Verbindung mit systematischem Reflektieren herausfinden. Diese Art von Arbeit für<br />
die Entwicklung von Gemeinwesen nenne ich Aktionsforschung. 10<br />
Aktionsforschung dient dem Ziel, die Situation von Menschen zu verbessern (vgl. Auer 2010:<br />
1). Es geht dabei um die Entwicklung einer Praxis, die nicht von fertigen Plänen ausgeht.<br />
Wünschenswert und notwendig für Gemeinwesen im allgemeinen und das „Schaffwerk“ im<br />
besonderen erscheint es mir dagegen, achtsame Such- und Handlungsprozesse mit und für<br />
Menschen zu initiieren − nicht zuletzt auch für mich selbst.<br />
Der Sozialpsychologe Harald Welzer beschreibt Achtsamkeit als die „die stetige Aktualisierung<br />
seiner Beobachtungen“ (Welzer 2009: 3). In diesem Sinne verstehe ich Aktionsforschung<br />
als ein achtsames Vorgehen und in dieser Weise handelnd, suchend, nachdenkend und<br />
dabei lernend wollte ich einen Beitrag für die Zukunft des Hauses in der Gönninger Straße in<br />
Pfullingen leisten.<br />
Mein praktischer Beitrag auf der Ebene des kommunikativen Handelns ist ein Film über unterschiedliche<br />
Erinnerungen und Sichtweisen unterschiedlicher Leute an Peter Kramer und<br />
9 Im Modus des Verstehens bewegt sich allerdings nicht jede Art von Wissenschaft und Forschung, sondern die qualitative<br />
Sozialforschung, von der ich hier spreche. Zum Vergleich zwischen Wissenschaftssystem und Praxissystem vgl. u. a. Moser<br />
(2008).<br />
10 In Anlehnung an Kurt Lewin (1948), Paulo Freire (1973) und andere.<br />
8
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
sein „Schaffwerk“. Die Präsentation dieses Films im Frühjahr 2012 soll Auseinandersetzungsprozesse<br />
in Pfullingen anregen – ebenso, wie bisher bereits seine Entstehung. Videointerviews<br />
und andere Videoaufnahmen Verständigungsprozesse in Peter Kramers Heimatstadt<br />
angeregt bzw. inszeniert haben. An diesem Film wirkt auch die Tochter Sabine mit – als Befragte,<br />
aber auch als Kamerafrau. Die Rollen wechselten hier immer wieder, ebenso wie auch<br />
die Übergänge zwischen Kultur schaffender Aktion und Forschung fließend waren in unserem<br />
Aktionsforschungsprojekt.<br />
Meine Aufgabe als Forscher war es, Videoaufzeichnen für unseren Film zugleich auch als<br />
Datenerhebungen unseres Erkundungsprojektes zu führen und zu verstehen. Mein Beitrag<br />
zum Verstehen war es auch, das Allgemeine im Besonderen des „Schaffwerks“ zu suchen –<br />
auch hierfür bin ich ja ein Forscher. Barney Glaser und Anselm Strauß drückten diese Form<br />
des Beitragens des Forschers für praktische Zwecke mit folgenden Worten aus.<br />
„Die Aufgabe, für deren Lösung er ausgebildet worden ist, besteht darin, zu leisten, was ein<br />
Laie nicht zu leisten vermag, d.h. allgemeine Kategorien und ihre Eigenschaften für allgemeine<br />
und besondere Situationen und Probleme zu generieren. Diese können dem Handeln<br />
der Laien dann als praktischer Leitfaden dienen.“ (Glaser / Strauss 2005: 40).<br />
In diesem Sinne habe ich versucht, empirisch begründet zu verallgemeinern soweit das im<br />
Rahmen unseres praxisbezogenen Projektes möglich und nötig war, um letztlich den Möglichkeitsraum<br />
für die Zukunft des „Schaffwerks“ etwas besser zu verstehen.<br />
Diese Arbeit sollte auch von all jenen grundsätzlich nachvollziehbar sein, die mit uns an einer<br />
Weiterentwicklung des „Schaffwerks“ in Pfullingen interessiert sind.<br />
Ich wollte mit meiner Arbeit, die gleichzeitig in den Bezugssystemen der Wissenschaft und<br />
der Praxis begründet ist, keine Grounded Theory im herkömmlichen Sinne entwickeln. <strong>Das</strong><br />
Forschungsverfahren mit diesem Namen aber hat mir für meinen Beitrag zur Praxisentwicklung<br />
Werkzeuge, Struktur und einen Kompass gegeben.<br />
3.2 Erfahrungsbegründetes (Er)klären als Methode<br />
3.2.1 Grounded Theory als Orientierungsmuster<br />
Ich habe mich bei meiner Vorgehensweise als Forscher im Rahmen unseres Aktionsforschungsprojektes<br />
von den Grundgedanken und Strategien der Grounded Theory leiten lassen.<br />
Unter den oben beschriebenen und hierfür ungewöhnlichen Rahmenbedingungen eines engen<br />
Praxisbezuges und eines vergleichsweise eng gesteckten Zeitrahmens habe ich versucht, auf<br />
der Grundlage unserer Erfahrungen während der filmischen und weiterer Erkundungen eine<br />
Modellskizze bzw. eine Geschichte von wesentlichen Zusammenhängen zu generieren, die<br />
das „Schaffwerk“ ausmachten bzw. ausmachen. Hypothesen und Konzepte, die zu diesem<br />
theoriebasierten Bild vom „Schaffwerk“ und seinen Zusammenhängen führten, habe ich nicht<br />
aus bestehenden Theorien abgeleitet, sondern aus den bei unseren Erkundungen in Pfullingen<br />
erhobenen Daten entwickelt und sytematisch mit Bezug auf diese Daten ausgearbeitet (vgl.<br />
Glaser / Strauss 2005: 15). Literaturbezüge bzw. Verbindungen zu Theorien wie Anerkennungs-,<br />
Milieu,- oder Identitätstheorie habe ich erst gegen Ende des Erkundungs- und Auswertungsprozesses<br />
hergestellt und dabei die Literatur gleichsam als zusätzliches Datenmaterial<br />
behandelt.<br />
3.2.2 Orientierung der Datenerhebung vor allem am Erkenntnisinteresse<br />
Informationen bzw. Erfahrungen haben wir in unserem Projekt aus zwei unterschiedlichen<br />
Gründen gesammelt. Sie dienten einerseits der Verständigung und andererseits der dem Verstehen.<br />
9
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Als Rohmaterial für unser Filmprojekt entstanden Videoaufnahmen mit einer Gesamtlänge<br />
von fast achteinhalb Stunden.<br />
Im Hinblick auf das Forschungsziel unseres Projektes lag mir aber nicht an einer extensiven<br />
Datensammlung zum Zwecke der Beweisführung, sondern an der Entwicklung plausibler Hypothesen<br />
(vgl. Glaser / Strauss 2005: 49) bzw. an der Bereitstellung eines theoretischen Beitrags<br />
für die bessere Einschätzung der Bedeutung des Pfullinger „Schaffwerks“. Deshalb<br />
wurden nicht alle filmischen Interviews, Gespräche und Beobachtungen auch in Text übersetzt,<br />
sondern nur jene Teile, die sich im Verlauf des Auswertungsprozesses aus meiner Sicht<br />
als erkenntnisrelevant erwiesen. Auch dabei orientierte ich mich an einem Grundgedanken<br />
von Glaser und Strauss:<br />
„Über die Entscheidung hinaus, welche Daten zuerst erhoben werden sollen, ist (…) nicht<br />
planbar, welche Richtung die Datensammlung einschlagen wird. Erst die im Entstehen begriffene<br />
Theorie zeigt die nächsten Schritte an (…)“ (Glaser / Strauss 2005: 55).<br />
Für meinen Erkundungs- und Auswertungsprozess hieß das zum einen, dass ich mich – soweit<br />
mir das angesichts der manchmal widerstrebenden Erfordernisse des Verständigungsteils unseres<br />
Projektes möglich war – bei der Auswahl von Interviewpartnerinnen und Partnern vom<br />
Interesse der Erkenntnisgewinnung leiten ließ und nicht von formalen Gesichtspunkten, wie<br />
beispielsweise einer vorgegebenen Interviewanzahl. Zum anderen bedeutete das Prinzip der<br />
erkenntnisorientierten Datenauswahl für mich, dass ich die anfänglichen Aufnahmen unserer<br />
filmischen Erkundungen vollständig in Text übersetzt habe. Dies betrifft den Rundgang<br />
durchs Haus mit der Tochter am Tag Peter Kramers Tod, Sondierungsinterviews beim Leichenschmaus<br />
und ein erstes längeres Interview mit einer nahen Bezugsperson Peter Kramers<br />
und dessen Ehefrau. Nach der Entwicklung erster vorläufiger Konzepte auf der Grundlage<br />
dieses Datenmaterials entschied ich im Folgenden jeweils nach dem Kriterium des zu erwartenden<br />
weiteren Erkenntnisgewinns darüber, welche weiteren Interviews ich führen müsste<br />
bzw. welche weiteren Videoaufnahmen aus Interviews, die vor allem aus filmischen Gründen<br />
entstanden waren, ich in Text übersetzten würde. Erst für die Interviews aus dieser zweiten<br />
Phase des Forschungsprojektes am März 2011 benutzte ich einen schriftlichen Interviewleitfaden,<br />
die ersten sondierenden Erhebungen erfolgten offen und hatten teilweise den Charakter<br />
ethnographischer Feldforschungen (vgl. Rosenthal 2008: 101 ff.).<br />
<strong>Das</strong>s ich in unserem Aktionsforschungsprojekt für jeden im Ergebnisteil dieser Arbeit dargestellten<br />
Zusammenhang ausreichend Daten habe sammeln bzw. auswerten können, um von<br />
einer theoretischen Sättigung (Glaser / Strauss 2005: 69) zu sprechen, das vermag ich nicht zu<br />
behaupten. Zeitliche Begrenzungen und diesbezüglich teilweise einschränkende Bedingungen<br />
eines Aktionsforschungsprojektes ließen es nicht immer zu, jede Kategorie der Modellskizze<br />
in allen möglichen Differenzierungen auszuarbeiten. Die enge Verbindung von Forschung<br />
und Praxis machte das nicht in jedem Fall möglich, aber vielleicht auch nicht immer nötig.<br />
3.2.3 Erheblichkeit vielfältiger Datenarten<br />
Bei der Ausarbeitung von theoretischen Annahmen zum Wirkungsgefüge von Wahrnehmung,<br />
Wertschätzung, persönlichem Sinn und kollektiver Bedeutung des „Schaffwerks“ habe ich<br />
versucht, Zusammenhänge durch verschiedene „Ansichten oder Aussichtpunkte“ (Glaser /<br />
Strauss 2005: 72) besser zu verstehen. Nicht zuletzt auch mit Hilfe unterschiedlicher Techniken<br />
der Datenerhebung und durch die Verwendung unterschiedlicher Datentypen habe ich<br />
versucht, ein facettenreiches Bild zu zeichnen und zielgerichtete plausible Geschichten über<br />
das „Schaffwerk“, seinen Schaffer und sein Umfeld zu erzählen.<br />
Im Einzelnen basiert dieser Forschungsbericht auf folgender Datengrundlage:<br />
10
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
• Schriftliche Aufzeichnungen von Recherchegesprächen und Beobachtungen in meinem<br />
Forschungstagebuch. Viele dieser Aufzeichnungen beziehen sich auf Gespräche<br />
mit der Tochter von Peter Kramer.<br />
• Zwei jeweils etwa halbstündige explorierende Audiointerviews mit der Tochter Sabine<br />
Kramer. Diese Interviews habe ich partiell transkribiert.<br />
• 5 Videointerviews mit Personen aus dem Bekanntenkreis von Peter Kramer mit jeweils<br />
unterschiedlichen Bezügen zum „Schaffwerk“.<br />
Im Fall des ersten Interviews war auch die Ehepartnerin des Befragten anwesend.<br />
Dieses Interview hatte einen offenen narrativen Charakter. Dabei erstellten wir auch<br />
ein Plakat mit den Namen von Personen, die für den weiteren Forschungsprozess von<br />
Bedeutung sein konnten. Dieses Gespräch dauerte etwa 1,5 Stunden und wurde in<br />
weiten Teilen transkribiert.<br />
Die weiteren 4 längeren Interviews mit einer Dauer zwischen 0,5 und 1,5 Stunden<br />
waren als Fokusinterviews angelegt (vgl. Hopf 2005: 353ff.) und wurden leitfadengestützt<br />
geführt. Von diesen Interviews habe ich jeweils auswertungsrelevante Auszüge<br />
transkribiert.<br />
• Videoaufzeichnungen von kurzen sondierenden Interviews bzw. Gesprächen mit Menschen,<br />
die nach dem Tod Peter Kramers aus unterschiedlichen Gründen das Haus in<br />
der Gönninger Straße 112 aufsuchten. Diese Aufzeichnungen wurden, wie alle Videoaufnahmen,<br />
mit Hilfe eines Bandprotokolls auch schriftlich dokumentiert. Alle Interviews<br />
bzw. Statements aus der Anfangszeit des Projektes im Oktober 2010 (ca. eine<br />
Stunde) wurden vollständig, alle weiteren Aufnahmen nur in auswertungsrelevanten<br />
Auszügen transkribiert.<br />
• Videoaufzeichnungen von kurzen fokussierten Straßeninterviews über das Haus in der<br />
Gönninger Straße. Diese wurden ebenfalls per Bandprotokoll schriftlich dokumentiert<br />
und in Auszügen transkribiert.<br />
• Ausgewertet wurden darüber hinaus auch schriftliche Dokumente, wie Trauerreden, E-<br />
Mails und Hinterlassenschaften von Peter Kramer.<br />
Vertiefende Informationen zu den jeweiligen Erhebungen und den erhobenen Daten finden<br />
sich in der Beschreibung des Projektverlaufs unseres Erkundungs- und Handlungsprojektes. 11<br />
3.2.4 (Er)klärungsorientierte Datenauswertung<br />
Die Auswertung der Daten erfolgte nicht inhaltsanalytisch, sondern nach theoretischen Gesichtspunkten.<br />
Die Auswertung zielte ab auf „empirische Verallgemeinerungen“ (Glaser /<br />
Strauss 2005: 34) von Sichtweisen und Sachverhalten bzw. Zusammenhängen, die mit dem<br />
„Schaffwerk“ zusammenhängen. Ziel war es, dadurch das „Schaffwerk“ im Lichte theoretischer<br />
Erkenntnisse aus unseren Daten, besser zu verstehen.<br />
Zu Beginn ging ich sequenziell vor – ich begann mit dem offenen Kodieren der Datenmaterialien,<br />
die unmittelbar nach Peter Kramers Tod entstanden waren. Ich fasste Kodes zu Kategorien<br />
zusammen, suchte nach den Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Kategorien<br />
und lotete ihre jeweiligen dimensionalen Varianten aus.<br />
Ich setzte unter anderem die in den Daten erkennbare Ursachen, Handlungsstrategien und<br />
Konsequenzen der bedeutenden Phänomene in Bezug zueinander, die bei unseren Erkundungen<br />
thematisiert worden waren.<br />
11 Von der Weitergabe der Originaldokumente habe ich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes für die Befragten<br />
abgesehen. Auch Nachfrage können bei mir gerne weitere Informationen eingeholt oder anonymisierbare<br />
Teile der Unterlagen eingesehen werden.<br />
11
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Eine wichtige Unterstützung in diesem Auswertungsprozess waren mir meine Memos, erklärungsorientierten<br />
Notizen, die ich währenddessen in dem von mir verwendeten Auswertungsprogramm<br />
MAXQDA und in meinem Forschungstagebuch festhielt.<br />
Bald schon rückten die Aspekte Wertschätzung bzw. Geringschätzung in den Mittelpunkt<br />
meiner Erklärungsversuche und im weiteren Verlauf meines permanenten Vergleichens unterschiedlicher<br />
Textstellen entwickelte ich um den Aspekt der Wertschätzung herum eine Modellskizze<br />
von Zusammenhängen, die im Ergebnisteil dieser Arbeit dargestellt wird.<br />
<strong>Das</strong>s eine Grounded Theory „kein perfektes Produkt, sondern in permanenter Entwicklung<br />
begriffen“ ist (Glaser / Strauss 2005: 41) und dass auch meine bescheidene theoretische Skizze<br />
über das „Schaffwerk“ keineswegs der Schlusspunkt des Klärungs- und Erklärungsprozesses<br />
ist, das illustriert der Schlussteil der vorliegenden Arbeit. Dort finden sich Überlegungen,<br />
die meine Erkenntnisse über den Modus der Wertschätzung des „Schaffwerks“ in Beziehung<br />
zur Literatur über Identität setzen. Dieses Identitätsprojekt aber ist nicht abgeschlossen – weder<br />
theoretisch noch praktisch.<br />
Die Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis in unserem Aktionsforschungsprojekt<br />
spielte auch im Auswertungsprozess eine wichtige Rolle und betrifft insbesondere die kommunikative<br />
Validierung vorläufiger Überlegungen bzw. Konzepte. Ich spiegelte meine Überlegungen<br />
immer wieder an Peter Kramers Tochter Sabine und teilweise auch an andere Befragte<br />
zurück. Durch deren Rückmeldungen wurde manches bekräftigt. Manch anderen Gedanken<br />
über Zusammenhänge zwischen den empirischen Vorfällen in unserem Aktionsforschungsfeld<br />
ließ ich aber nach solchen Diskussionen als haltlos wieder fallen.<br />
4 Projektverlauf: Geschichte einer Klärung<br />
Den Verlauf unserer Erkundungen und Verständigungen zwischen Oktober 2010 und Juli<br />
2011 will ich im Folgenden in der Abfolge zentraler Erfahrungen, aber auch einiger meiner<br />
Überlegungen zu diesen Erfahrungen beschreiben. <strong>Das</strong> Kapitel zeichnet in groben Zügen und<br />
mit ausgewählten Vertiefungen etwas von dem Prozess nach, der zu den Ergebnissen geführt<br />
hat, welche ich im darauffolgenden Ergebnisteil des vorliegenden Forschungsberichtes darstelle.<br />
Dieses Kapitel beschreibt also keine theoretischen Zusammenhänge, sondern skizziert<br />
entlang wichtiger Stationen bzw. beispielhafter Situationen etwas von meinem Erhebungs-<br />
Denk- und teilweise auch von unserem Verständigungsprozess in diesem Projekt.<br />
4.1 Herbst 2010: Sondierungen<br />
Oktober<br />
2010<br />
Einblicke und Fragen am Tag nach Peter Kramers Tod<br />
Unsere Aktionsforschung beginnt am 9. Oktober 2010. <strong>Das</strong> Projekt nimmt seinen<br />
Anfang mit den ersten Filmaufnahmen in der Stube, an dem Tisch, wo vorher<br />
Peter Kramer oft gesessen hat – oft auch mit seinen meist männlichen Gästen<br />
oder auf Gäste wartend. Hier waren offenbar auch viele seiner Pläne für die<br />
Weiterentwicklung des „Schaffwerks“ entstanden.<br />
Auf dem Tisch liegen Peters Brille, Aschenbecher und andere Behältnisse und Gegenstände<br />
aus Metall. Es gibt Zigaretten, Weinflaschen, eine Fernbedienung für den Fernseher und außer<br />
vielen anderen Hinterlassenschaften auch zahlreiche Papiere. Mir fällt eine Sammlung<br />
kleiner Zettel auf, die gelocht sind und auf einem Eisenstab aufgereiht. Der Stab ist an einer<br />
Scheibe befestigt, so dass das Ganze auf dem Tisch stehen kann. Als ich die Konstruktion<br />
12
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
● ● ●<br />
Manches hat er offenbar nicht<br />
mehr realisieren können – die<br />
Figur beispielsweise, die ihren<br />
Kopf in der Hand hält<br />
● ● ●<br />
umdrehe, wird sichtbar, dass die Metallscheibe ein<br />
Ziffernblatt hat und ich offenbar ein altes Thermometer<br />
mit neuem Verwendungszweck in der<br />
Hand halte. Auf dem ersten hier „aufgespießten“<br />
Papier lese ich: „Sport ist ein Brivileg der Landlosen“<br />
12 . Weiter blätternd finde ich Papiere mit Zahlen<br />
– offenbar Konstruktionsmaße. Auf einem anderen<br />
Zettel ist eine Zeichnung zu sehen. Noch<br />
mehr Zeichnungen auf weiteren Zetteln – in einer Skizze meine ich ein Gefährt zu erkennen,<br />
welches draußen einen Teil des Gartenzauns bildet. Herr Kramer hat es aus Hufeisen gemacht.<br />
Andere in den Papieren auf dem Metallstab sich andeutende Ideen hat er offenbar<br />
nicht mehr realisieren können – die Figur beispielsweise, die ihren eigenen Kopf in der Hand<br />
hält. Es ist der „Haule“, werde ich später erfahren – berühmt berüchtigt aus einer Pfullinger<br />
Sage und den wollte Peter Kramer als Holzskulptur vor sein Haus stellen. 13<br />
Sabine Kramer, seine Tochter sagt:<br />
„Also mein Vadder war für mich schon an richtiger<br />
Künschtler, also ohne Frage. Aber bei seinen<br />
Kunschtprojekten, da hat er au scho emmer so<br />
sein eigena Gschmack ghet oder hat do au so<br />
Sacha gmacht, die däd koi Mensch macha, aber<br />
mein Vadder hot se gmacht.“ 14<br />
● ● ●<br />
Ein fraglos richtiger Künstler?<br />
● ● ●<br />
Ein fraglos richtiger Künstler? Ein Fragezeichen drängt sich mir auf. Handelt es sich bei dem<br />
<strong>Erbe</strong> um Kunst? Ist das Haus in der Gönninger Straße 112 ein Künstlerhaus?<br />
Der verstorbene Vater wird hier von der Tochter als Künstler vorgestellt, der nicht in Frage zu<br />
stellen sei. Deutet diese Betonung vielleicht darauf hin, dass er eben gerade doch in Frage<br />
gestellt ist bzw. wurde? Sie beschreibt seinen "eigenen Geschmack" als etwas, was wie eine<br />
Einschränkung klingt − "aber". Dabei könnte man doch glauben, so denke ich mir, dass der<br />
eigene Geschmack ja einen Künstler gerade ausmacht. Ein solches Verständnis scheint aber<br />
entweder aus Sicht der Sprecherin oder aus Sicht des von ihr gedachten Publikums meiner<br />
Filmaufnahmen nicht vor zu herrschen. Ich frage mich? Weist das vielleicht auf ein bestimmtes<br />
Verständnis im Umfeld des Hauses hin, nach dem der Künstler einen bestimmten – und<br />
eben gerade nicht „eigenen“ − Geschmack zu haben habe?<br />
Eine weitere Frage erscheint mir bedenkenswert: Um was für eine Art von Situation geht es<br />
hier eigentlich?<br />
Der Vater ist gestern gestorben. Sein Tod war noch vor einigen Tagen von der Tochter nicht<br />
erwartet worden. Direkt nach seinem Ableben im Reutlinger Krankenhaus fuhren seine beiden<br />
Kinder von dort zu seinem Haus in der Gönninger Straße 112. Tochter und Sohn befestigten<br />
ein schwarzes Trauerband in einem Fenster, hinter welchem er "immer saß". Es wurde<br />
eine Kerze ins Fenster gestellt und einige weitere Kerzen in den Garten.<br />
Die Tochter bat mich als einen ihr persönlich verbundenen „Aktionsforschungsfilmer“ das<br />
Haus, so wie Peter es verlassen hatte, zu dokumentieren. Dabei geht es ihr ausschließlich um<br />
das alte Bauernhaus, das er nicht bewohnte. Der Zustand seines Wohnhauses soll nicht dokumentiert<br />
werden. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen geht die Tochter offenbar davon aus, dass<br />
das entstehende Video vor Publikum gezeigt werden wird. Sabine Kramer hat, so scheint es<br />
12 Dokument 9.10.10 / 1<br />
13 Vgl. Feldnotiz vom 24.3.11 (Auskunft von Sabine Kramer)<br />
14 Videodokument 9.10.10<br />
13
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
mir, ein großes Interesse, mit Hilfe des Films und des Filmens ihren Vater besser verständlich<br />
zu machen und gleichzeitig auch selbst mehr von ihm zu verstehen.<br />
Oktober<br />
2010<br />
Sondierungen am Tag der Trauerfeier<br />
15. Oktober 2010: Peter Kramers Tochter Sabine hat mittlerweile nach Rücksprache<br />
mit ihrem Bruder Thomas eine Vereinbarung mit mir getroffen: Es soll<br />
ein Aktionsforschungsfilm entstehen. Der Bruder hat diesem Vorhaben zugestimmt,<br />
bekundet von sich aus aber insgesamt sehr viel weniger Interesse an der<br />
Weiterentwicklung des „Schaffwerks“ als seine Schwester. 15<br />
Als Forscher, aber auch als Freund der Tochter nehme ich an der Trauerfeier in der Aussegnungshalle<br />
des Pfullinger Friedhofs teil. Es versammeln sich knapp 300 Gäste. Die Eintragungen<br />
im Kondolenzbuch lassen in Verbindung mit erklärenden Hinweisen Sabine Kramers<br />
und anderer Beteiligter den Eindruck entstehen, dass es überwiegend Menschen aus Arbeiterund<br />
Handwerkerfamilien sind, die Peter die letzte Ehre erweisen. Viele sind über 50 und die<br />
allermeisten kommen offenbar aus Pfullingen und der näheren Umgebung.<br />
Kurz vor Beginn der Feier erscheint der Pfullinger Bürgermeister in der Eingangstür der Aussegnungshalle.<br />
Eine Frau aus dem erweiterten Verwandtenkreis des Verstorbenen steht auf<br />
und bietet ihm einen Sitzplatz an – eine Ehrerweisung für den Stadtoberen, denke ich − und<br />
eine Ehrerweisung der Stadt für Peter Kramer?<br />
Außer dem evangelischen Pfarrer spricht auch Peters Tochter.<br />
Sie fasst sein Leben mit ihren Worten zusammen und<br />
betont dabei, dass er ein sehr besonderer Mensch gewesen<br />
sei. Sie schließt mit den Worten: „Mein Vater Peter Kramer<br />
wird fehlen. Nicht nur uns.“ 16 – Sabine Kramer nimmt offenbar<br />
an, dass ihr Vater und vielleicht auch sein Haus weit<br />
über seinen Familienkreis hinaus Bedeutung hatte.<br />
● ● ●<br />
„Mein Vater Peter<br />
Kramer wird fehlen.<br />
Nicht nur uns“<br />
● ● ●<br />
Zwei Freunde sprechen Nachrufe. Ein ehemaliger Geschichtslehrer am hiesigen Gymnasium,<br />
mit dem Peter häufig an besagtem Tisch in der Stube seines „Schaffwerks“ saß, trank und<br />
„schwätzte“, wie man hier sagt, bezeichnet ihn als Grenzgänger. „Etwas, das vielen künstlerischen<br />
Geistern zu eigen ist“, fügt er hinzu. An den verstorbenen Freund gewandt, meint er:<br />
Du hast es wie kein Zweiter verstanden, in scheinbar nutzlosen und leblosen Dingen, die<br />
kaum der Aufmerksamkeit wert schienen, Neues zu entdecken. Ihnen eine neue Existenz – ein<br />
neues Leben – zu geben.“. 17<br />
Von Schöpferischem oder gar einem „künstlerischen Geist“ ist in der nachfolgenden Ansprache<br />
nicht die Rede. Der Kamerad aus der Höhlenforschergruppe hebt vielmehr die Naturverbundenheit<br />
des Verstorbenen hervor, dass er tiefsinnige Gespräche mit ihm habe führen können<br />
und weist darauf hin, dass Peter Kramer gerne „in unser Gemeinschaft mit dabei“ gewesen<br />
sei.<br />
Nach dem Ende der offiziellen Feier, begleitet von den Klängen des schwäbischen Volksliedes<br />
„Muss i denn zum Städele hinaus“, verlassen die Trauergäste die Aussegnungshalle und<br />
viele ziehen weiter in die Gönninger Straße 112.<br />
15 Dem entsprechend einigten sich die beiden Kinder im Januar 2011 auf einen Erbteilungsvertrag, nachdem Sabine Kramer<br />
die alleinige Erbin des alten Bauernhauses ist. Im „Schaffwerk“-Blog im Internet schreibt sie dazu:<br />
„Wir, die Kinder von Peter Kramer - mein Bruder Thomas Kramer und ich, Sabine Kramer sind zunächst davon ausgegangen,<br />
dass mein Vater ein Testament hinterlegt hat, in dem er verfügt hat was mit seiner Hinterlassenschaft geschehen soll.<br />
Trotz intensiver Suche können wir aber kein Testament finden. Nun sind wir die rechtmäßigen <strong>Erbe</strong>n und müssen oder können<br />
uns selbst überlegen was damit geschehen soll.<br />
Wir sind uns schnell einig, das wir das <strong>Erbe</strong> unter uns aufteilen wollen. Mein Bruder Thomas erhält das Wohnhaus Gönningerstraße<br />
112/4 und das Barvermögen und ich das Bauernhaus Gönningerstr. 112 und alle Gegenstände. So passt es für uns<br />
beide und wir können handlungsfähig werden.“<br />
16 Dokument 15.10.10/1<br />
17 Dokument 15.10.10/2<br />
14
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Dort, im „Schaffwerk“, streife ich später mit der Videokamera zwischen den lebhaft sich unterhaltenden<br />
Menschen in den Stuben des Hauses und in der Scheuer umher. Ich versuche<br />
Stimmung und Stimmen bzw. Ansichten zu erkunden. Dabei geht es mir um die Suche nach<br />
unterschiedlichen Sichtweisen auf das Haus und den Mann, der es geschaffen hat.<br />
Niemand scheint sich an der Kamera zu stören, niemand entzieht sich. Manche Gäste beginnen<br />
ungefragt über Peter zu sprechen, als sie merken, dass sie im Bild sind. Am Abend, bei<br />
der ersten Durchsicht der Videoaufnahmen, erscheint es mir, als würden nach und nach wichtige<br />
Repräsentanten und Repräsentantinnen unterschiedlicher Standpunkte und Blickrichtungen<br />
auf das „Schaffwerk“ von Peter Kramer auftreten: 18<br />
Vier Männer in der rot-blauen Uniform der Pfullinger Bergwacht. Sie stehen in der Scheune<br />
um einen großen Hefezopf herum. Dieser ist in Form des Pfullinger Schönbergturms gebacken.<br />
Der Älteste in der Runde 19 : „Des ischt et peterschpezifisch do“ (Er hebt dabei seinen<br />
Kaffeebecher / lachen in der Runde)<br />
Ich: „Net peter…?“<br />
Der Älteste: „Net peterschpezifisch, wa mir do em Becher hen“ (lachen)<br />
Ich: „Ah so“<br />
(lachen in der Runde)<br />
Ich: „Was wär des gwäsa, was peterschpezifisch gwäsa wär?“<br />
Der Älteste: „Ha, Moscht on so äbbes”<br />
Hier, denke ich, wird offenbar Wert darauf gelegt, dass Peter Kramer ein großer Freund des<br />
örtlichen Apfelweins war. Ich schaue mir den weiteren Fortgang der Szene an:<br />
Ich: „Ond was hend Sie gmacht, wenn Sie hier warad?“<br />
Der Älteste: „A Gaude mit´ m Peter“ (lachen in der Runde)<br />
Der Älteste: „(…) Ha, do hot mar sich iber Fraua onderhalda (lachen in der Runde)<br />
ond iber Alteise ond iber da Wei ond da Schnaps“<br />
Ich: „Fraua, Alteise, Wei ond Schnaps. (lachen in der Runde) Alles klar“<br />
Junger Bergwachtmann: „Des war Kurzfassung Peter“ (lachen in der Runde)<br />
Hier wird das „Schaffwerk“ als ein Ort der Gespräche unter Männern geschildert und als ein<br />
Ort, wo man Spaß – „a Gaude“ – mit dem Schaffer Peter Kramer hatte.<br />
Der Älteste in der Runde sagt dann noch, dass Peters Problem gewesen sei, dass er ohne Vater<br />
und als Einzelkind aufwachsen musste – offenbar ein Begründungsversuch aus Sicht des Pfullinger<br />
Bergwachtmannes für die Ungewöhnlichkeit des „Schaffwerkschaffers“.<br />
Die Abweichung von der Normalität betonen auch andere Ansichten über Peter Kramer und<br />
sein Haus. Er sei ein „Riesenspaßvogel“ gewesen, meint ein ehemaliger Schulkamerad.<br />
Eine junge Frau, die in der Nachbarschaft aufgewachsen ist, erzählt von Geschichten, die Peter<br />
früher gerne erzählt habe. „Sie sitzt vor dem Haus. Ihr<br />
Blick fällt auf eine hohe Eisenkonstruktion im Garten, die ● ● ●<br />
dem Aufschichten von Holzscheiten diente – und manchem „ Er war immer ein<br />
mehr, wie die ehemalige Nachbarin zu berichten weiß: „Da Riesenspaßvogel“<br />
hinten, dieser Turm, den hab ich mit ihm und mit meiner<br />
● ● ●<br />
Cousine, ham mar den bemalt. Des soll der Turm von der<br />
18 Alle Zitate vom Zusammensein nach der Trauerfeier stammen aus dem transkribierten Videodokument 15.10.10<br />
19 Aus einer hier nicht zitierten Gesprächspassage lässt sich schlussfolgern, dass der Mann über 70 Jahre alt sein muss.<br />
15
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Rapunzel sein (lacht), da hat er dann ne ganz lange, blonde Perücke ronder hängen lassen<br />
und des als Rapunzels Turm bezeichnet und da hammer alle kräftig mitgeholfen, des farblich<br />
zu geschtalten.“. Sie könne sich die Gönniger Straße ohne Peter gar nicht vorstellen, sagt die<br />
Frau noch – Als prägend wurde der Schaffer zumindest teilweise in seiner Umgebung wahrgenommen,<br />
notiere ich mir zu diesem Statement in meiner Aufzeichnung, und dass sein Tod<br />
hier offenbar als großer sozialer Verlust eingeschätzt wird.<br />
Ein rund 60jähriger Mann zeigt mir und meiner Kamera, was er hier als Mitarbeiter von Peter<br />
mit ihm gemeinsam geschafft hat: Einen ausgehöhlten Baumstumpf beispielsweise, der vor<br />
dem Haus nahe beim Gehsteig steht − von einem Metalldach geschützt. Dort habe sich Peter<br />
hineinsetzen wollen, um die Leute zu erschrecken. Auch zu einer großen künstlich angelegten<br />
Pfütze führt er mich. Peter Kramer hat sie „Drecklach“ genannt und die Auffassung vertreten,<br />
dass jedes alte Bauernhaus so eine „Drecklach“ brauche. Der Mann, der Peter beim Ausheben<br />
und Abdichten der „Drecklach“ geholfen hat, betont, dass die Arbeit mit ihm nicht immer<br />
einfach gewesen sei: „Er wollte es exactly so und so haben und man musste sehr viel reden,<br />
um ihn zu überzeugen, dass es anders auch gehen könnte.“ – Bestimmend wurde Peter hier<br />
wahrgenommen, schreibe ich in meine Forschungsnotizen und frage mich, ob diese Bestimmtheit<br />
zum Prägen führte, dazu, dass der Schaffer und sein „Schaffwerk“ hier ihrem Umfeld<br />
möglicherweise einen „Stempel“ aufdrückten. Und ich frage mich, wozu das diente.<br />
Ich bin bei weitem nicht der Einzige, der vieles noch nicht versteht − „Ich weiß es noch immer<br />
nicht, was es ist, es ist ein Drecklach“, sagt der Mann, der mich auf den Spuren von Peters<br />
und auch seiner eigenen Arbeit ums Haus geführt hat. Er stammt aus Ungarn und die hiesige<br />
bäuerliche Tradition scheint ihm zumindest in punkto „Drecklach“ eher fremd zu sein.<br />
Nicht viele Gäste hier, so ist mein Eindruck, haben wie dieser Mann einen grundlegend anderen<br />
kulturellen Hintergrund als Peter Kramer selbst. Es dominiert eindeutig das breite Schwäbisch,<br />
welches traditionell in Pfullingen gesprochen wird.<br />
Im Kontrast dazu erscheinen mir allerdings zwei Männer, die etwas abseits der Menschenansammlungen<br />
an einem Biertisch sitzen. Es stellt sich heraus, dass beide sich erst heute an diesem<br />
Tisch zum ersten Mal sehen. Vielleicht sprechen sie vor allem deshalb miteinander und<br />
nicht mit anderen, denke ich, weil sie beide wenige Bezüge zu den anwesenden „Ur-<br />
Pfullingern“ haben.<br />
Einer der beiden, er dürfte wohl Mitte 30 sein, erweist sich als Einwanderer aus Tunesien. Er<br />
erzählt, dass er Peter Kramer kennengelernt habe, als er vor drei Jahren bei der Arbeit mit<br />
seinem Paketauto die Gönninger Straße entlang gefahren sei. Peter habe ihn aus dem Fenster<br />
seiner Stube gerufen , ihn gebeten hereinzukommen und ihm das Haus gezeigt. Auf die Frage,<br />
ob ihm die Dinge gefielen, habe er geantwortet: „Ja, das is wie mein Vater, weil mein Vater<br />
ein Schmied is.“ – Schmied-Sohn trifft Schlosser, ist mein Gedanke dazu. Ich notiere die Assoziationen<br />
„ähnliches Milieu“ und „ähnliches Interesse“. Diese interkulturelle Begegnung, so<br />
mein Gedanke, wurde vielleicht durch die Nähe beider Männer zum Handwerk, zur Metallbearbeitung<br />
und dem „Schaffer“ - Milieu darum herum erleichtert – über die Grenzen zweier<br />
Generationen und zweier Kontinente hinweg.<br />
Ab dieser Begegnung trafen sich beide regelmäßig,<br />
● ● ●<br />
Ich notiere die Assoziationen<br />
„ähnliches Milieu“ und<br />
„ähnliches Interesse“<br />
● ● ●<br />
der Mann aus Tunesien half Peter beim Schweißen<br />
und bei anderem Geschäft, sie wurden Freunde. Heute,<br />
am Tag der Trauerfeier des älteren Freundes sagt der<br />
Mann: „Peter, der war escht wie mein Vater (…). Wie<br />
gesagt, isch bin aus Tunesien und hier kennne isch<br />
auch nischt viele Menschen. Er war immer da.“<br />
16
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Als der Freund vor einigen Monaten in seinem Heimatland heiratete, gehörte Peter zu seinen<br />
Gästen dort – Der Schaffer des „Schaffwerks“, schreibe ich in mein Notizbuch, hat offenbar<br />
Begegnungen gelebt, die über den üblichen Rahmen der meisten ihn umgebenden Kleinbürger<br />
hier in Pfullingen hinausgingen.<br />
Der Zweite am Biertisch in der Scheune ist ein Schulkamerad von Peter aus der Grundschule.<br />
Als einziger unter den Schwaben, die durch meine Videoaufzeichnung zu Mitteilungen angeregt<br />
werden, beginnt er hochdeutsch zu sprechen, als er merkt, dass die Kamera läuft. Er stellt<br />
sich als Vorsitzender der örtlichen Senioren - CDU vor. Auch erwähnt er, dass sich Peters und<br />
seine Wege getrennt hätten, als er selbst auf die höhere Schule gegangen sei.<br />
Er zeigt auf ein Holzschild, das innen am Scheunentor hängt – neben vielen anderen alten<br />
Schildern, Werbetafeln und zahlreichen weiteren Dingen. Der CDU – Senior sagt: „Eine feste<br />
Burg ist unser Gott, macht er da rein. (…) Des würden also die wenigsten Pfullinger wahrscheinlich<br />
machen“ – Ich frage mich: Greift er sich unter den vielen Gegenständen das heraus,<br />
was für ihn selbst besonders interessant erscheint, was sein eigenes Thema ist?<br />
Ich erfahre, dass der Mann heute zum ersten Mal in Peters Haus in der Gönninger Straße 112<br />
ist, obwohl er nur einige Straßen entfernt wohnt – Wenn dieses Haus, schreibe ich in mein<br />
Notizbuch, ein Haus der Begegnungen war, dann waren es offenbar teilweise interkulturelle<br />
Begegnungen, die hier stattgefunden haben, aber der Begegnungsraum hatte auch Grenzen.<br />
Leute mit höherer Schulbildung waren im Umfeld Peter Kramers wohl selten und auch heute,<br />
hier unter jenen, die sich nach der Trauerfeier noch im Haus versammelt haben, scheinen es<br />
wenige zu sein. 20<br />
Am Ende der Videoaufzeichnung vom 15. Oktober: Die meisten Gäste sind bereits gegangen.<br />
Mittlerweile sitzt der Schulkamerad aus der Grundschule mit zwei ungefähr gleichaltrigen<br />
Freunden von Peter Kramer zusammen. Einer der beiden ist der pensionierte Geschichtslehrer.<br />
Er hatte Peter auf dem Schönberg kennengelernt, in dessen Zeit als Wirt des Kiosks dort.<br />
Der zweite Freund kannte ihn von der Bergwacht her. er hat ein Foto in der Hand. Es zeigt<br />
eine Aufnahme mit Peter, die bei einem Köhler auf der<br />
Schwäbischen Alb entstanden war. Ein Köhler ist ein<br />
Mann, der in einem langwierigen Prozess im Wald<br />
Holzkohle herstellt. Die beiden Freunde berichten dem<br />
ehemaligen Schulkameraden von der mühevollen Arbeit<br />
des Köhlers. Der Geschichtslehrer erwähnt, dass<br />
er mit Peter gemeinsam beim Kohlemeiler übernachtet<br />
habe, dass sie das Feuer bewacht hätten.<br />
Dann geht es um das Aussterben des alten Berufes des Köhlers:<br />
● ● ●<br />
Mein Gedanke: Ist das<br />
„Schaffwerk“ ein Haus der<br />
aussterbenden Arbeiten?“<br />
● ● ●<br />
Der Bergwachfreund: „Aber der hat au koin Nochkomma“<br />
Der Geschichtslehrer: „Noi, der hot koin Nochkomma“<br />
Der Bergwachtfreund: „Wenn´s der nemma kann, no macht koiner mehr an Köhler“<br />
Mein Gedanke: Die aussterbende Arbeit. <strong>Das</strong> hat Peter Kramer und manche Männer aus seinem<br />
Umfeld beschäftigt. Ist das „Schaffwerk“ ein Haus zur Würdigung aussterbender Arbeiten?<br />
Und der anfängliche Gedanke „Künstlerhaus“? Wie ein Künstlermilieu wirkte die Gesellschaft<br />
heute nicht. Künstlerinnen und Künstler waren wohl eher nicht dabei – deren Auftritte<br />
in der Geschichte kommen später.<br />
20 Diese Annahme wurde durch die Tochter Sabine Kramer bestätigt (vgl. Feldnotiz vom 23.10.10).<br />
17
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
November<br />
2010<br />
Auf den Spuren öffentlicher Aushandlungen der (Be-)Deutung von Schaffer<br />
und Schaffwerk?<br />
Ein Monat nach Peter Kramers Tod: „Hommage à Peter Kramer“ nennt ein<br />
Pfullinger Künstler seinen Beitrag zur Gemeinschaftsausstellung Pfullinger<br />
Künstler im November 2010. Es handelt sich um eine Installation aus Kleiderständer,<br />
Ledermantel, Mütze, Brille, einem alten Telefon, einer Kleinskulptur,<br />
die den „Überflieger“ repräsentiert und einem verrosteten Bügelflaschenverschluß, der für<br />
den „Abstürzer“, aber auch für den Sammler steht. Die Installation und der begleitende Text<br />
des Künstlers deuten Peter Kramer als facettenreichen „Über-Lebens-Künstler“. 21<br />
Ich besuche die Ausstellungseröffnung gemeinsam mit Sabine Kramer und beobachte die<br />
Szenerie. Die „Hommage à Peter Kramer“ wird bei der Eröffnungsrede als eines von wenigen<br />
Stücken eigens erwähnt. Viele Leute bleiben beim Rundgang dort eine Weile stehen und unterhalten<br />
sich rege.<br />
Einen Großteil der Utensilien für die Installation hat der Künstler von Peters Tochter geliehen.<br />
Deshalb steht er im Kontakt mit ihr, weiß von ihren Bemühungen, das Werk ihres Vaters<br />
besser zu verstehen, verständlich zu machen und etwas aus dem Haus entstehen zu lassen.<br />
Offenbar auch auf diesem Hintergrund informiert er sie über einen Artikel in der Novemberausgabe<br />
des Anzeigenblattes „Pfullinger Journal“ und die Tochter informiert mich:<br />
Der Artikel trägt die Überschrift „Zuwachs bei den Museen“. Sein Autor nimmt Bezug auf<br />
den Tod des „Schönberg - Peter“ und berichtet von Stimmen aus der Bevölkerung, die sich<br />
dafür aussprächen, Peters altes Bauernhaus zu einem städtischen Museum zu machen. Weil<br />
die Stadt aber kein Geld habe, so lautet der Vorschlag des Schreibers, solle sie doch prüfen,<br />
was dort „erhaltenswert“ sei und das dann ins Heimatmuseum eingliedern. Der Artikel<br />
schließt mit folgendem Satz: „Mit den<br />
zivilrechtlichen <strong>Erbe</strong>n des „Schönberg-<br />
Peters“ ist das nicht abgesprochen, da<br />
sie hier nicht bekannt sind, aber sicher<br />
wären sie stolz darauf, wenn einiges von<br />
den Schätzen dieses liebenswerten Sonderlings<br />
erhalten bliebe.“. 22<br />
● ● ●<br />
Der lokale Journalist spricht sich für<br />
die Erhaltung des Erhaltenswerten<br />
durch die Stadt aus<br />
● ● ●<br />
Der Autor erhält kurz darauf eine Email von dem oben genannten Pfullinger Künstler. Darin<br />
informiert dieser ihn über seine „Hommage à Peter Kramer“, nimmt auf den Artikel Bezug<br />
und verweist darauf, dass die zivilrechtlichen <strong>Erbe</strong>n sehr wohl bekannt seien. <strong>Das</strong> Argument<br />
des Journalisten, die Stadt habe kein Geld, bezeichnet er als „Totschlagargument“. Er prangert<br />
die aus seiner Sicht unzureichende städtische Kulturpolitik an. „Aber zum Glück“,<br />
schreibt der örtliche Künstler im Weiteren an den örtlichen Journalisten, „haben die „zivilrechtlichen<br />
<strong>Erbe</strong>n“ Unterstützung von vielen aktiven Freunden in den Vereinen und von Privatpersonen.<br />
Ich bin mir sicher, dass da jetzt schon Überlegungen laufen, über die Du dann<br />
sicher auch gerne berichten wirst, stimmt’s?!“. 23<br />
Die Auseinandersetzung um die Zukunft des <strong>Erbe</strong>s von Peter Kramer drängt offenbar in den<br />
öffentlichen Raum, schreibe ich angesichts der vorliegenden Dokumente aus dem November<br />
2010 in mein Notizbuch. Deutlich wird ein öffentliches Interesse und es werden dabei auch<br />
divergierende Interessen erkennbar:<br />
21 Dokument 19.11.10<br />
22 Dokument 15.11.10<br />
23 Dokument 18.11.10<br />
18
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Der lokale Journalist spricht sich für die Erhaltung des Erhaltenswerten durch die Stadt aus<br />
Was ist erhaltenswert? Wer entscheidet darüber? Aus Sicht des Journalisten sind das „die für<br />
das offizielle Heimatmuseum Verantwortlichen“. 24<br />
Der lokale Künstler meint auf dem Hintergrund seiner Einschätzungen der städtischen Kulturpolitik:<br />
„Von solch einer Verwaltung darf weder Hilfe von Aktivität erwartet werden“ und<br />
setzt vor allem auf zivilgesellschaftliches Engagement zur Weiterentwicklung des Hauses in<br />
der Gönninger Straße 112.<br />
Beide hier erkennbare Protagonisten einer lokalen öffentlichen Aushandlung um das Haus<br />
herum signalisieren Interesse an der Zukunft des <strong>Erbe</strong>s – doch weisen die Interessen in unterschiedliche<br />
Richtungen. Welche Bilder vom Haus und von seinem Schaffer stehen jeweils<br />
hinter welchem Interesse, frage ich mich.<br />
Der Künstler beschreibt im Begleittext seiner Installation das Haus als einen „Ort der Begegnung<br />
und der Kunst. Gleichzeitig ist es ein Museum kurioser Fundstücke, alter Gebrauchsgegenstände,<br />
Erfindungen und hintergründiger Zeitkritik. Dort war immer etwas im Entstehungsprozess<br />
begriffen, und das Haus somit ein sich immer wieder veränderndes Gesamtkunstwerk“.<br />
Peter Kramer war für den Pfullinger Künstler ein „Über-Lebens-Künstler im<br />
doppelten Sinn: bodenverhaftet und gleichzeitig das Leben aus dem Abstand des Künstlers<br />
betrachtend“.<br />
Der örtliche Journalist sieht den „Schaffer“ als einen „liebenswerten Sonderling“. <strong>Das</strong> Haus<br />
ist aus seiner Sicht offensichtlich das Haus eines begabten Handwerkers und leidenschaftlichen<br />
Sammlers: „Da er ein großer Könner im Umgang mit sämtlichem Handwerkszeug war,<br />
werkelte und bastelte er lebenslang an handgefertigten Unikaten herum und erwarb auch<br />
käuflich allerhand Altertümer, die er für wertvoll hielt.“.<br />
Der Wert des Hauses wird − so mein Gedanke − unterschiedlich taxiert, je nachdem, ob er<br />
sich am Wertmaßstab des „Über-Lebens-Künstlers“ oder am Marktwert für „Unikate“ und<br />
„Sammlerstücke“ bemisst. Wertbemessungen und damit zusammenhängende Entscheidungen<br />
für die Zukunft des Hauses könnten auch in einem engen Zusammenhang mit den Fragen stehen,<br />
wer bewertet, und wie privat bzw. öffentlich der Bewertungs- und Entscheidungsraum<br />
ist.<br />
Dezember<br />
2010<br />
Wo stehen wir selbst? Wie weiter? – Selbstpositionierung im Ringen um<br />
Deutungshoheit<br />
Ende November / Anfang Dezember beginnt Sabine Kramer mithilfe ihres Sohnes<br />
ein Blog im Internet einzurichten. Dieser soll nach ihren Angaben dazu dienen,<br />
den Prozess zur Klärung, was aus dem <strong>Erbe</strong> ihres Vaters werden wird, zu<br />
begleiten. 25 Am Nikolaustag 2010 geht das Internet-Logbuch mit dem Titel<br />
„Schaffwerk“ online.<br />
Anfangs stellt Peter Kramers Tochter vor allem Fotos und Informationen ins Netz, die den<br />
Vater und sein Leben betreffen.<br />
Als ob sie dahingehend unter Druck stehen bzw. einer Art Auftrag folgen würde, erscheint<br />
mir das Veröffentlichungsbestreben der Tochter. Sie scheint sich dazu einerseits dem verstorbenen<br />
Vater, aber andererseits auch gegenüber der lokalen Öffentlichkeit verpflichtet zu fühlen.<br />
26<br />
24 Dokument 15.11.10<br />
25 Vgl. Blogeintrag Sabine Kramer 31.12.10<br />
26 In einem späteren Gespräch bestätigt Sabine Kramer diesen Eindruck. Sie sagt, dass sie tatsächlich so etwas wie einen<br />
öffentlichen Auftrag zur Würdigung und Weiterentwicklung des Werkes ihres Vaters spüre (Feldnotiz 31.5.11)<br />
19
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Anlässlich des bevorstehenden Jahreswechsels spreche ich mit Sabine Kramer mehrfach über<br />
ihre Ideen für die Zukunft des Hauses. Ihre Gedanken gehen in ganz unterschiedliche Richtungen<br />
27 . <strong>Das</strong> Spektrum der Nutzungsideen reicht vom Museum bis zum Kultur-Café . 28<br />
Ich notiere ins Forschungstagebuch: Nach meiner Einschätzung spiegeln die Überlegungen<br />
von Sabine Kramer einerseits den Wunsch, bei der Weiterentwicklung des Hauses an die väterlichen<br />
Wurzeln anzuknüpfen als auch Interessen des sozialen Umfeldes.<br />
Für den Fortgang des Klärungsprozesses, so notiere ich es in meinem Forschungstagebuch,<br />
erscheint die Wertschätzungsfrage ausgesprochen wichtig − Sabine Kramer betont mehrfach,<br />
● ● ●<br />
Sabine Kramer betont mehrfach, dass aus<br />
ihrer Sicht der erste Entwicklungsschritt<br />
die Würdigung sein müsse<br />
● ● ●<br />
dass aus ihrer Sicht der erste Entwicklungsschritt<br />
für die Zukunft des Hauses<br />
die Würdigung Peter Kramers und<br />
seines „Schaffwerks“ sein müsse. 29<br />
Auf dem Hintergrund der bisherigen<br />
Hinweise auf die auch öffentliche Bedeutung<br />
des Hauses in der Gönninger<br />
Straße 112 frage ich mich, ob das Handeln der designierten Erbin, den Klärungsprozess im<br />
lokalen öffentlichen Raum transparent zu machen, sich auch als Positionierung in einem öffentlichen<br />
Ringen um Deutungshoheit zu verstehen ist – im Aushandlungsprozess angemessener<br />
Antworten auf die Fragen: Was ist das <strong>Erbe</strong>, nach welchem Wertmaßstab wird es bewertet<br />
und wie wird es demzufolge wertgeschätzt?<br />
Wenn dem so ist, frage ich mich weiter, was kann dann auf diesem Hintergrund meine Aufgabe<br />
als Aktionsforscher in diesem Prozess der Aushandlung von Wertschätzung zwischen<br />
unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren sein? Mein Beitrag, so meine ich, sollte es vor<br />
allem sein, die Kräfte erkennbarer zu machen, die Wertschätzung entstehen lassen oder verhindern.<br />
Von diesen Kräften will ich mir, meiner Auftraggeberin und anderen an der Weiterentwicklung<br />
des „Schaffwerks“ Interessierten ein Bild machen. Dadurch, so hoffe ich, könnten<br />
Handlungsspielräume erkennbar und die Verwirklichungschancen von Zukunftswünschen<br />
für das Haus wachsen.<br />
Wer sind die bedeutsamen Akteurinnen und Akteure? Wessen Sichtweisen auf das „Schaffwerk“<br />
sind demzufolge wichtig zu verstehen, wenn der Aspekt der Wertschätzung nun in den<br />
Mittelpunkt unseres Aktionsforschungsvorhabens rückt – wenn es vor allem auch darum geht,<br />
nachzuzeichnen wie Wertschätzung für das „Schaffwerk“ gemacht wurde oder wird? – Fragen,<br />
wie diese leiten und bewegen mich zum und beim nächsten Schritt im Verlauf unseres<br />
Klärungsprojektes.<br />
4.2 Winter 2010 / 2011: Weiter auf Wertschätzung schauen<br />
Januar<br />
2011<br />
Ein Vertiefungs- und Erweiterungsinterview<br />
Ich schlage Sabine Kramer ein Interview mit Peters engem Freund, dem ehemaligen<br />
Geschichtslehrer, vor. Die Kriterien für diese Entscheidung sind vor allem:<br />
• Die persönliche Nähe des Interviewpartners zum Schaffer des „Schaffwerks“<br />
lässt bedeutsame Informationen zur Rekonstruktion des subjektiven<br />
Sinns erwarten, den Peter Kramer selbst in seinem Haus gesehen<br />
hat.<br />
27 Vgl. Feldforschungsnotizen vom 15.12.10, 21.12.10 und 31.12.10 sowie Blogeintrag Sabine Kramer 31.12.10<br />
28 Vgl. Blogeintrag Sabine Kramer 31.12.10<br />
29 Vgl. Feldforschungsnotizen vom 15.12.10, 21.12.10 und 31.12.10<br />
20
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
• Auf Grund seiner Nähe zum „Schaffwerk“ in Verbindung mit seiner Position im sozialen<br />
Raum, der das Haus umgibt, kann der Interviewpartner voraussichtlich wichtige<br />
Hinweise über bedeutsame Akteurinnen und Akteure im Aushandlungsfeld unterschiedlicher<br />
Sichtweisen und der damit jeweils verbundenen Wertschätzung geben.<br />
• Der Interviewpartner ist vermutlich selbst ein bedeutsamer Akteur in diesem Feld. Aus<br />
seiner Trauerrede wissen wir beispielsweise, dass er Peter als „künstlerischen Geist“<br />
sah, der „scheinbar nutzlosen und leblosen Dingen (…) neues Leben“ zu geben vermochte<br />
und dass er dies offenbar sehr schätzte.<br />
• <strong>Das</strong> Interview ist für zukünftige soziokulturelle Aktionen im und um das „Schaffwerk“<br />
aller Wahrscheinlichkeit nach hilfreich. So werden u. a. aller Voraussicht nach<br />
vielversprechende Materialien für den entstehenden Film gesammelt und der Kreis<br />
potenzieller Unterstützerinnen und Unterstützer für die Weiterentwicklung des Hauses<br />
wird vielleicht erweitert bzw. gestärkt.<br />
Sabine Kramer stimmt dem Vorgehen zu und vereinbart einen Interviewtermin.<br />
Gemeinsam fahren wir am 27. Januar zum Haus des ehemaligen Geschichtslehrers.<br />
Der knapp 70jährige Mann und seine Frau im etwa gleichen Alter– auch sie war früher Lehrerin<br />
– geleiten uns in eine rustikal eingerichtete Stube. Während Sabine Kramer filmt, sprechen<br />
der Mann und ich über Geschichte und Geschichten der Freundschaft mit Peter Kramer, über<br />
dessen Schaffen und viele Aspekte rund um das „Schaffwerk“. Anfangs ist die Frau nicht dabei,<br />
sie setzt sich allerdings nach einiger Zeit mit an den Tisch und beteiligt sich intensiv am<br />
Gespräch, als es um das Thema Wertschätzung bzw. Geringschätzung geht − beispielsweise<br />
als ihr Mann, der Geschichtslehrer gerade erzählt hat, dass manche Pfullingerinnen und Pfullinger<br />
die Leistung nicht zu schätzen wussten, die Peter Kramer seiner Ansicht nach dadurch<br />
erbrachte, dass er eine Wohlfühl-Atmosphäre für die Gemeinschaft herstellte. Daraufhin<br />
meint die Frau: „I glaub, die Leut könnad do et so in die Tiefe geha, so wie´s da Peter vermöga<br />
hot. (…) die Leut send halt recht<br />
pragmatisch vorganga“. 30<br />
Auf die Herstellung einer „in die Tiefe<br />
gehenden“ Wohlfühl-Atmosphäre reagierten<br />
also manche Pfullingerinnen<br />
und Pfullingern offenbar mit viel<br />
● ● ●<br />
„die Pfullinger, die nur den praktischen<br />
Nutzen gesehen haben, die haben halt<br />
gesagt: Wie kann man auch…“<br />
● ● ●<br />
Wertschätzung, von anderen wurde sie aber eher gering geschätzt – so halte ich es als Merksatz<br />
in meinen Forschungsnotizen fest – und eine mögliche Erklärung von Geringschätzung<br />
ist die eher pragmatische, nicht in die Tiefe gehende Sichtweise derjenigen, die solche Werturteile<br />
abgeben. Gemessen am Wertmaßstab des Pragmatismus– so lautet eine noch zu erhärtende<br />
These, die ich daraus ableitend niederschreibe – wurde und wird Peter Kramers<br />
„Schaffwerk“ eher gering geschätzt. Illustriert wird dieser Zusammenhang anschaulich durch<br />
eine andere Passage des Interviews – der Freund schätzt die Wertschätzung der Pfullingerinnen<br />
und Pfullinger für das Werk Peter Kramers in der Gönninger Straße 112 ein:<br />
„Jo, ja. I moin, die, sag mol die Pfullinger, wo nur da pragdischa Nutza gseah hen, die hen<br />
halt gsagt: Wie kammer au so an Gruscht aufheba do. Also do, dia hend halt no ghetzt (…).<br />
Aber, des war hot am, war ihm eigentlich egal . Wo er amol sein Sinn gfonda hot, war, no war<br />
ihm des egal.“<br />
Für den ehemaligen Geschichtslehrer − so einer meiner Gedanken dazu − gibt es offenbar<br />
noch einen anderen Nutzen als den praktischen. Aus seiner Sicht scheint Peters Werk in einem<br />
anderen als dem praktischen Sinne nützlich zu sein.<br />
30 Dieses und alle weiteren Zitate aus dem Interview stammen aus dem Videodokument 27.1.11<br />
21
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Was ist der Sinn, von dem der Freund meint, dass Peter ihn im fortgeschrittenen Alter gefunden<br />
habe und welcher eine Erklärung dafür liefert, warum ihm die Geringschätzung mancher<br />
Leute nichts mehr ausgemacht habe?<br />
Nach dem Eindruck des Geschichtslehrers hat Peter Kramer in seinen späten Jahren Kunst<br />
machen wollen. Allerdings habe er sich selbst nicht als Künstler bezeichnet, dafür sei Peter<br />
vielleicht zu bescheiden gewesen, meint der Freund. Seine Frau ergänzt ihn hier: „Na, i denk<br />
er war au zu intelligent dadafür, weil viele nennad sich ja heut Künschtler.“<br />
In dem Interview sprechen wir auch über den Kreis der Menschen, der Peter umgab - über<br />
Leute, die ihn unterstützten, für die er wichtig war und die ihm wichtig waren.<br />
Ich frage den Freund nach diesen Personen, schreibe sie auf Klebezettel, und wir kleben sie<br />
gemeinsam auf ein großes Flipchartpapier in dessen Mitte ich ein Symbol für Peter Kramer<br />
gemalt hatte. Diese vorläufige Netzwerkkarte wird später um weitere Namen ergänzt − durch<br />
Sabine Kramer und andere Menschen, die Informationen über das soziale Netzwerk von Peter<br />
Kramer beitragen können,<br />
Februar<br />
2011<br />
Wertmaßstäbe, Sinnzuschreibungen und Etikettierungen − Auswahl zentraler<br />
Gesichtspunkte für das Verständnis von Wertschätzung<br />
Auf ausgewählte Personen aus unserer vorläufigen Netzwerkkarte werden wir in<br />
unserem Klärungsprojekt zugehen, um weitere Interviews zu führen.<br />
Dabei sollen sowohl Personen mit Perspektiven befragt werden, die denjenigen<br />
des Geschichtslehrers und seiner Frau voraussichtlich ähneln, als auch solche,<br />
die in einem möglichst großen Kontrast dazu stehen. Ziel und Leitkriterium für die Auswahl<br />
ist die Klärung bzw. Erklärung von Zusammenhängen im Hinblick auf das Zustandekommen<br />
von Wertschätzung für das „Schaffwerk“.<br />
Wichtige Orientierungspunkte für die Auswahl weiterer Interviewpartner/innen, Interviewführungen<br />
und die Auswertungen sind dabei angesichts der Klärungen und Erklärungen im bisherigen<br />
Projektverlauf:<br />
• Was wird weshalb geschätzt? Die jeweiligen Verständnisse davon, was allgemein<br />
nützlich ist, was der Nutzen des „Schaffwerk“ ist und in Verbindung damit<br />
• die jeweiligen Sinnzuschreibungen für das „Schaffwerk“ in der Gönninger Straße 112<br />
• die jeweilige Etikettierung des „Schaffwerkschaffers“ (z.B. eher Künstler oder eher<br />
Sonderling?)<br />
Diese Forschungsgesichtspunkte will ich im weiteren Verlauf des Projektes in den Mittelpunkt<br />
rücken – dies allerdings weiterhin mit einer grundsätzlich offenen Haltung für Entwicklungen<br />
und Anforderungen, die sich auf der Ebene des soziokulturellen Handelns bzw. des<br />
Verständigungsteils unseres Aktionsforschungsprojektes zeigen.<br />
4.3 März 2011: Weiter vergleichbare Erfahrungen sammeln<br />
7. März<br />
2011<br />
Interviews mit Mit-Schaffern<br />
7. März 2011: Sabine Kramer und ich treffen uns an diesem Tag nacheinander zu<br />
drei Interviews mit Männern, deren Gemeinsamkeit es ist, dass sie alle mit Peter<br />
Kramer zusammen an seinem Haus bzw. an den Projekten dort gearbeitet haben.<br />
Wie bei allen anderen Videointerviews liegt die Interviewführung in meiner<br />
Hand, Peter Kramers Tochter bedient die Kamera und stellt teilweise ergänzende<br />
Fragen. Als Ort haben wir für alle drei Gespräche das Haus in der Gönninger Straße 112<br />
ausgewählt. Unter anderem versprechen wir uns von dieser Umgebung Anregungen für die<br />
Erzählungen unserer Interviewgäste.<br />
22
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Als wir uns um kurz vor 16:00 Uhr – für diesen Zeitpunkt haben wir uns mit dem ersten Interviewpartner<br />
vereinbart – dem Anwesen nähern, sehen wir den etwa 60jährigen Mann, wie<br />
er ums Haus geht und in die Fenster schaut. „Worom hend ihr me herbschdellt?“, fragt er<br />
Sabine, als sie ihm die Hand gibt. Sie hatte ihm vor einiger<br />
Zeit einen Zettel mit dem Interviewwunsch und<br />
unserem Wunschtermin in den Briefkasten seiner Pfullinger<br />
Wohnung geworfen, weil er telefonisch nicht zu<br />
erreichen war. Der ausgebildete Elektriker hatte Peter<br />
Kramer unter anderem bei der Verlegung von Stromleitungen<br />
in seinem alten Bauernhaus geholfen, stand ihm<br />
aber auch als Helfer für viele seiner Arbeitsprojekte zur Verfügung. Offenbar nicht zuletzt<br />
auch, weil der Mann seit längerer Zeit erwerbslos ist, konnte er sich hier recht häufig einbringen.<br />
Heute allerdings kommt unser Interviewpartner stark angetrunken zum verabredeten Termin,<br />
so dass wir uns ohne Interview wieder voneinander verabschieden und er geht nach Hause –<br />
Und dennoch ist er gekommen, denke ich, und er sagte: „Warum habt ihr mich herbestellt?“.<br />
Auf mich wirkt das wie eine Unterordnung von ihm uns gegenüber. Könnte das auch auf bestimmtes<br />
Hierarchieverhältnisses zwischen Sabine Kramers Vater und dem Mann hinweisen?<br />
Sie bestätigt die Annahme, dass Peter ganz klar der Chef war, betont aber, dass ihr Vater seinen<br />
Mit-Schaffer nicht ausgenützt habe.<br />
Mich erinnert die Begebenheit daran, dass Peter Kramer schon mehrfach als jemand beschrieben<br />
worden war, der in seinem Wirkungsbereich alleine bestimmt habe und sich offenbar<br />
nicht dreinreden lassen wollte. Welche Rolle spielte der Machtaspekt bei der Herstellung von<br />
Wertschätzung für sein „Schaffwerk“?<br />
Unser nächster Interviewpartner, der rund 70jährige Bergwachtfreund von Peter Kramer − er<br />
ist mir bereits von der Trauerfeier bekannt − sagt im Verlauf unseres Gespräches etwas, das<br />
mir auf einen Zusammenhang von Macht und Wertschätzung zu verweisen scheint. Als ich<br />
ihn frage, ob es Peter interessierte, was die Leute über ihn dachten, verneint er das und fügt<br />
hinzu: „De Peter ischd über de Leid gschdanda 31 “, er sei niemandem unterlegen gewesen,<br />
„en koiner Beziehung“ – niemandem unterlegen zu sein, also Macht zu haben, scheint also<br />
eine Möglichkeit zu sein, sich von Werturteilungen Anderer unabhängig(er) zu machen.<br />
Peter Kramers Bergwachtfreund ist in Pfullingen aufgewachsen und Maschinenschlosser von<br />
Beruf. Peter Kramer hat er schon seit Jahrzehnten gekannt – „des goht weit zrick“, sagt er. Im<br />
Interview erzählt er unter anderem, wie er mit Peter nach dem Kauf des alten Bauernhauses<br />
das Dach in Ordnung brachte und er berichtet von Sammeltouren, wenn er mit Peter unterwegs<br />
war und sie Hufeisen, alte Schlittenkufen, die alten Fenster vom „Mädlesschualhaus“<br />
oder andere Dinge mehr zur Weiterverarbeitung ins „Schaffwerk“ brachten. Dabei geschah<br />
das eine oder andere auch heimlich. Ich notiere an den entsprechenden Gesprächsstellen den<br />
Begriff „Männer-Abenteuer-Touren“ − Diese Unternehmungen mit Peter, von denen offenbar<br />
nicht in jedem Fall alle zu wissen brauchten, hat der ehemalige Maschinenschlosser offenbar<br />
● ● ●<br />
„Er hat immer geschaut, was dahinter steckt“<br />
● ● ●<br />
● ● ●<br />
Welche Rolle spielte der<br />
Machtaspekt?<br />
● ● ●<br />
sehr geschätzt.<br />
Als ich ihn frage, was fehle,<br />
seit Peter Kramer nicht mehr<br />
da ist, sagt er: „Do fählt äbbes.<br />
Dr Peder fählt, no isch alles<br />
31 Dieses und die nachfolgenden Zitate aus dem Interview stammen aus dem Videointerview 7.3.11/1<br />
23
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
gsagt.“ Dann fügt er aber doch noch etwas hinzu: <strong>Das</strong>s es immer interessant und nie langweilig<br />
gewesen sei − Peter Kramer und wohl auch sein Haus, denke ich, wurden offenbar von<br />
manchen Pfullingern als Beitrag zu einem interessanten Leben gesehen und geschätzt.<br />
Der Interviewpartner beschreibt Peter Kramer vor allem als Sammler, betont darüber hinaus<br />
aber auch dessen Handwerkeridentität und bringt in seinem Blick auf den Freund beide Aspekte<br />
miteinander in Verbindung. Er sei „en dem Sinn eigentlich koin Sammler gwea“, weil<br />
er ein Handwerker gewesen sei und „a Aug“ – ein Auge – gehabt habe für handwerkliche<br />
Sachen. Er habe bei allen Dingen immer geschaut, wie sie gemacht wurden. In jedem Gegenstand<br />
habe er das gesehen, „was dahender schteckt. Des isch koin Gruscht. Des hot ebber<br />
macha missa.“ – Die Arbeit, die für die Herstellung notwendig war, wird hier als ein Kriterium<br />
für Wertschätzung benannt, schreibe ich mir bei der Interviewdurchsicht als Merksatz<br />
zum weiteren Nachdenken<br />
auf.<br />
Auf die Frage, ob sich<br />
Peter selbst als Künstler<br />
gesehen habe, antwortet<br />
mein Gesprächspartner: „Do hat er sich nix rausgnomma.“ − Ich frage mich: Kann es<br />
sein, dass der Schaffer des „Schaffwerks“ sich aus einem sozialen Umfeld herausgenommen<br />
hätte, wenn er sich herausgenommen hätte, sich als Künstler zu geben?<br />
Peters Freund fügt hinzu, dass, wenn einer ein künstlerisches Auge habe, er da schon was<br />
habe erkennen können. Dann nennt er den Namen des Mannes, der die „Hommage à Peter<br />
Kramer“ für eine Ausstellung in Pfullingen gefertigt hat – dieser nämlich habe das ja schon<br />
gesehen. Ich denke: Ein „verborgener Künstler“ also war der „Schaffwerkschaffer“ offenbar<br />
und blieb es für manche auch und manch andere konnten ihn entdecken. Für den weiteren<br />
Verlauf unseres Klärungsprojektes nehme ich mir vor, noch mit dem besagten Pfullinger<br />
Künstler zu sprechen.<br />
Der dritte „Mitschaffer“ von Peter Kramer,<br />
den wir für den heutigen 7. März<br />
eingeladen haben, ist ein etwa 40 jähriger<br />
Mann, der seit seinem Textildesign –<br />
● ● ●<br />
Künstler? „Da hat er sich nichts heraus genommen“<br />
● ● ●<br />
● ● ●<br />
„Er war ein Künstler durch und durch“<br />
● ● ●<br />
Studium in Reutlingen wohnt. Beruflich ist er allerdings nicht als Textildesigner, sondern als<br />
Röntgenassistent tätig. Kreativ arbeitet er eher während der Freizeit. Er baut aus alten Dingen<br />
ungewöhnliche Fahrräder oder findet manch andere Wiederverwendungsmöglichkeit.<br />
Vor rund 6 Jahren war der Mann in Kontakt mit Peter Kramer getreten, weil er sich für Dinge<br />
rund um sein Haus interessierte. Seitdem hat er diesem immer wieder bei seinen Projekten<br />
geholfen.<br />
Er sagt, Peter Kramer und sein Werk habe er empfunden, als hätte dieser den vorbeikommenden<br />
Leuten hinterhergerufen: „Hier habt ihr was zum Denken auf den Weg“. 32 Er schätzte<br />
offenbar das Anregende an Peters Werk. Dieser sei vielleicht ein „verbindendes Element“ in<br />
Pfullingen gewesen, meint er, allerdings „auf kontroverse Art und Weise“. <strong>Das</strong> Provozierende<br />
− das Kontroverse − schätzte er offenbar besonders an Peter und seinem „Schaffwerk“: „des<br />
find ich schpannend und des isch, was, was irgendwie fehlt in dieser blank polierten, glatt<br />
geschliffenen, oberflächlichen Welt (…)“.<br />
Mein Interviewpartner sieht Peter Kramer als „Künstler durch und durch“ wie er sagt, und<br />
das „Schaffwerk“ sieht er als dessen „Lebenswerk“. <strong>Das</strong> Haus, meint er, sei „dem Peter seine<br />
Werkstatt und sein Schrain“.<br />
32 Dieses und die nachfolgenden Zitate aus dem Interview stammen aus dem Videodokument 7.3.11/2<br />
24
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
11. März<br />
2011<br />
Zwischen „kreativ“ und „immer was los“ – Auf den Spuren von Wertschätzungskriterien<br />
Ich will versuchen, die bisherigen Puzzleteile zu ordnen – welches Bild zeichnet<br />
sich ab, welche Ähnlichkeiten oder Unterschiede zeigen sich beispielsweise<br />
hinsichtlich der Arten und Weisen, das Werk von Peter Kramer zu sehen bzw.<br />
zu bewerten ? Ein Gespräch mit der Tochter, das ich am 11. März führe, soll<br />
hier zur weiteren Klärung beitragen.<br />
Vor uns liegt das Plakat mit den Namen von Menschen, die aus Sicht der bisherigen Interviewpartner<br />
wichtige Bezugspersonen von Peter Kramer waren. Sabine Kramer versucht, die<br />
Klebezettel zu sortieren:<br />
„Ich glaub, die, also Künstler, (…) oder die, die halt au selber bissle anders send wie die andere<br />
Pfullinger (….), i glaub, dass die schon mein Vater anders gseah hend, als jetzt die<br />
schwäbische Heimatfront.“ 33<br />
Die Tochter benennt hier möglicherweise − so mein Gedanke – einen wichtigen Aspekt, der<br />
vielleicht unterschiedliche Deutungen und Bewertungen des Schaffwerks zu erklären hilft. Sie<br />
spricht einerseits über den Blickwinkel einer traditionsorientierten, lokalpatriotischen und von<br />
ihr offenbar sehr massiv empfundenen Personengruppe – sie sagt „Front“. Davon unterscheidet<br />
sie den Blickwinkel jener Personen, die wie ihr Vater dieser Pfullinger Kultur nicht entsprechen<br />
– jener Heimatkultur, die von der Tochter als vorherrschend erlebt wird.<br />
Die „Heimatleute“, glaubt Sabine Kramer, hätten in ihrem Vater zwar ein „Pfullinger Original“<br />
gesehen, seine „kreative Seite“ sei ihnen aber eher suspekt gewesen.<br />
● ● ●<br />
„Ich denke, den meisten hat gefallen, dass mit<br />
meinem Vater immer was los war“<br />
● ● ●<br />
Die Tochter sagt über die Sicht der Leute aus dem Pfullinger Heimatmilieu im Umkreis des<br />
Vaters: „I denk, de meiste hat des gfalla, dass mit meim Vatter emmar was los war.“ – das ist<br />
ein Aspekt, denke ich mir, den auch der Maschinenschlosser und Bergwachtfreund von Peter<br />
Kramer betont hat. Er ist jener unter den bisherigen drei Interviewpartnern, der dem Heimatmilieu<br />
am nächsten steht. Den künstlerischen Aspekt stellt er ebenso wie offenbar viele der<br />
Trauergäste, bei seinen Ansichten auf das „Schaffwerk“ nicht in den Vordergrund. Ganz anders<br />
der studierte Textildesigner,<br />
der nicht<br />
dem örtlichen bodenständigen<br />
Heimatmilieu<br />
entstammt.<br />
Auf die Frage, was nach dem Tod ihres Vaters in Pfullingen fehlt, antwortet Sabine Kramer:<br />
„Jemand, der die Leut aus ihrem Trott rausholt“. – Sie sieht ihn, denke ich, als jemanden, der<br />
Menschen aus ihren gewohnten Bahnen geholt, vielleicht auch als jemanden, der Bahnen verändert<br />
hat. Diesbezüglich gleichen sich die Ansichten der Tochter und des Textildesigners.<br />
15. März<br />
2011<br />
Praktiker, gerne was los machen, traditionell – eine typische Begegnung<br />
„Emmar a bissle an Scheiß gmachad“, 34<br />
habe er mit dem Peter, sagt ein junger Pfullinger<br />
– er ist wohl zwischen 20 und 30 Jahre<br />
alt. Ich treffe ihn am 15. März 2011 im<br />
„Schaffwerk“, als er Sabine Kramer dabei<br />
hilft, einen großen und schweren alten Tresor vom früheren<br />
Wohnhaus in das alte Bauernhaus zu transportieren.<br />
● ● ●<br />
„Mit dem Peter haben<br />
wir immer ein bisschen<br />
n ´Scheiß gemacht“<br />
● ● ●<br />
33 Dieses und die nachfolgenden Zitate aus dem Interview stammen aus dem Audiodokument 11.3.11<br />
34 Videodokument 15.1.11<br />
25
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Der Landmaschinenmechaniker ist mit dem Traktor gekommen und erzählt unter anderem,<br />
dass er mit Peter Kramer zusammen immer wieder an dessen altem „Lanz“ - Schlepper geschraubt<br />
habe. – Noch ein Pfullinger Schaffer beim „Schaffwerkschaffer“, ist mein Gedanke.<br />
Auch er berichtet davon, wie lustig und interessant es mit diesem gewesen war.<br />
Der junge Mann bewegt sich offenbar häufig im Umfeld des Pfullinger Brauchtumsvereins<br />
und ist dort Mitglied. Um mir ein Bild zu machen, betrachte ich dessen Internetseite: Fotos<br />
von einem Lastwagen aus dem Jahr 1956 und von Traktoren der Jahrgänge 1936 bis 1955. Ich<br />
merke mir: Auch im Heimatmilieu ist man wohl nicht ausschließlich am praktischen Nutzen<br />
orientiert. 35<br />
4.4 April bis Juli 2011: Weiter nach dem Nutzen fragen<br />
April<br />
&<br />
Mai 2011<br />
Praktische Nutzungsfragen − Thematisierungen des Nutzens durch die<br />
Tochter<br />
Ende April zeigt mir Sabine Kramer eine Postkarte, die sie mit dem „Schaffwerk“<br />
assoziiert. Auf der Karte sieht man viele ungeordnete Sachen und die<br />
Worte: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ 36<br />
Mitte Mai sagt sie in einem unserer Gespräche, dass sie Schwierigkeiten habe, Dinge aus dem<br />
Haus wegzuwerfen oder zu verkaufen. Auch der Vater habe nie etwas verkauft. Außerdem<br />
denke sie immer wieder, dass ihr Vater so lange für das Sammeln und Bearbeiten gebraucht<br />
habe, da wolle sie die Sachen nicht so schnell weggeben.<br />
Ich denke: Die Zeit, die sich der Vater für etwas genommen hat, scheint die Wertschätzung in<br />
den Augen der Tochter zu begünstigen. Mir fällt in diesem Zusammenhang auf, dass zuvor<br />
auch schon andere Befragte betont hatten, wie viel Mühe sich der Schaffer des „Schaffwerks“<br />
gegeben und wie viel Zeit er sich genommen habe.<br />
Im Zusammenhang mit der Frage „Wegwerfen oder behalten?“ stellt sich die Frage: Wofür<br />
ist das gut, was ich behalte? Im Fall der Tochter scheint die Antwort auch mit der Würdigung<br />
des Vaters zu tun zu haben.<br />
Im Laufe der folgenden Monate vom Frühjahr bis zum<br />
Sommer 2011 rückt in unserem Aktionsforschungsprojekt<br />
die Frage „Wofür ist das gut?“ auch im Hinblick auf die<br />
zukünftige Nutzung des Hauses mehr in den Vordergrund<br />
als bisher.<br />
Häufig tauschen Sabine Kramer, Menschen aus dem<br />
● ● ●<br />
„Ist das Kunst oder<br />
kann das weg?“<br />
● ● ●<br />
Freundeskreis und ich uns in dieser Zeit über diese Fragen aus. Wir überlegen beispielsweise,<br />
wie ein Kreis von Unterstützerinnen und Unterstützern für die (Weiter-)Entwicklung des<br />
„Schaffwerks“ aufgebaut werden könnte. Auch Möglichkeiten der Finanzierung werden in<br />
diesem Zusammenhang angesprochen. Die Frage „Wofür ist das gut?“ schwingt dabei immer<br />
mit.<br />
Auch bei unseren Erkundungen stellen wir vermehrt Fragen nach dem Nutzen und der Nützlichkeit.<br />
35 Vgl.: http://www.brauchtumsverein-pfullingen.de (Abruf am 3. April 2011)<br />
36 Videodokument 23.4.10.<br />
26
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
30. Mai<br />
2011<br />
„Kommt drauf an, wie man das betrachtet“ – Nutzung und Nutzen in Straßeninterviews<br />
Sabine Kramer und ich fahren gemeinsam in die Innenstadt von Pfullingen, um<br />
dort in unserer gewohnten Rollenaufteilung Videointerviews auf der Straße<br />
durchzuführen. Ich zeige den jeweiligen Passantinnen oder Passanten einen Zeitungsartikel<br />
mit einem Foto des Hauses von Peter Kramer, dann frage ich, ob sie<br />
das „Schaffwerk“ kennen. Diejenigen, die es kennen frage ich dann weiter, was sie mit einem<br />
solchen <strong>Erbe</strong> machen würden. In diesem Zusammenhang thematisieren die Befragten unterschiedliche<br />
Nutzungs- und Nutzenvorstellungen – u. a.:<br />
• Ein Postbote mittleren Alters, meint, dass das ein Haus sei „für manche scho sehenswert.<br />
Kommt drauf an, wie mar des betrachtet, gell.“. 37 Er erläutert, das Haus sei aus<br />
seiner Sicht beispielsweise nichts für jüngere Leute, die voll im Berufsleben stehen.<br />
• Ein Läufer im Sportdress – auch er ist wohl so um die 40. Noch etwas außer Atem,<br />
sagt er: „Wenn i Tochter wär, würd i auf jeden Fall einziehn.“ Zur Begründung führt<br />
er an: „Um die Erinnerung an den Vater zu erhalten und die ganzen Geschichten auch<br />
zu erhalten und seine Ausstellung.“ Auf meine Nachfrage nach den Geschichten meint<br />
er: „Die man sich in Pfullingen halt so erzählt“. Peter Kramer sei ein „lebensbejahender“<br />
und „lustiger“ und merkwürdiger Mann gewesen – merkwürdig, weil einerseits<br />
„extrovertiert“ und andererseits habe er nicht „jeden an sich ranglassen“.<br />
• Ein Mann, der in einem ähnlichen Alter wie der Läufer sein dürfte, sitzt an einem Cafetisch<br />
– er erweist sich als zugezogener Ingenieur und Handwerker − sagt, daraus<br />
könne man gut ein „privates Museum machen“ und alte Handwerksutensilien ausstellen.<br />
Daran könnte aus seiner Sicht der Bürgermeister Interesse haben, weil das den<br />
Tourismus fördere.<br />
• Noch ein Mann auf dem Marktplatz. Er geht wohl auf die 60 zu. <strong>Das</strong> Haus sei „geschichtsträchtig“,<br />
sagt er. Er sieht das Ganze als eine „Liebhaberei“ und „Spielerei“.<br />
• Ein etwa 14jähriger Jugendlicher, dessen familiäre Wurzeln dem Anschein nach nicht<br />
in Pfullingen, sondern eher im türkischen oder arabischen Kulturkreis liegen. Nachdem<br />
ich ihn am Dönerstand anspreche, erzählt er, dass er Peter Kramer manchmal bei<br />
der Arbeit geholfen habe. An dessen Haus kam er vorbei, wenn er zum Fußballplatz<br />
ging. Er sagt, aus dem Haus könne man ein Jugendhaus machen − so etwas brauche<br />
man hier. Dann ergänzt er noch: „Museum wär gut“. Dabei bezieht er sich auf das,<br />
was der Schaffer selbst aus seiner Sicht mit dem Haus wollte: „Er wollte ja n´ Museum<br />
machen, hat er mir gesagt.“<br />
• Eine Frau, im Alter wohl zwischen 60 und 70. Sie sagt auf die Frage, was man mit<br />
dem Haus machen solle: „I glaub, do kann i ihne kein Radschlag gäba, weil ich net so<br />
sehr für solche alte Dinge bin.“ Als ich sie bitte, das Haus in 30 Sekunden zu beschreiben,<br />
erklärt sie, es sei ein Haus, das eigentlich gar nicht mehr in die heutige Zeit<br />
passe. Im weiteren Verlauf des Gespräches äußert<br />
sie die Einschätzung, Peter Kramer habe auf die<br />
Wurzeln des Menschen aufmerksam machen wollen<br />
und dass er habe auch aufrütteln wollen. Schließlich<br />
bemerkt sie, dass unsere Gesellschaft „a Anpassge-<br />
● ● ●<br />
„Nicht so 0815“<br />
● ● ●<br />
37 Dieses und die folgenden Straßeninterviews stammen aus dem Videodokument 30.5.11./2<br />
27
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
sellschaft“ geworden sei. Peter Kramer dagegen, meint die Frau, sei anders gewesen.<br />
Am Ende des Kurzinterviews macht sie deutlich, dass sie es schätzt, wenn nicht alle so<br />
angepasst – „net so 0815“ – sind. Erst dadurch werde die Gesellschaft bunt.<br />
Zwei sich unterscheidende Begründungsmuster zum Nutzen des „Schaffwerks“ fallen mir in<br />
der Zusammenschau der zuletzt genannten Äußerungen mit früheren Gesprächen auf:<br />
1. Der Nutzen wird auf dem unmittelbaren Sinn und Zweck für spezifische Nutzer/innen<br />
wie den Verstorbenen selbst oder auch beispielsweise Jugendliche, Tourist/innen,<br />
Liebhaber/innen der lokalen Geschichte etc. begründet. Teilweise gehen die jeweiligen<br />
Sprecherinnen oder Sprecher auch vom unmittelbaren Nutzen für sie selbst aus.<br />
2. Der Nutzen wird auf der allgemeinen Bedeutung des „Schaffwerks“ für das Gemeinwesen<br />
begründet − weil man so etwas in der (lokalen) Gesellschaft brauche.<br />
Diese unterschiedlichen Nutzenbegründungen schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern<br />
werden von den Interviewten oft – allerdings je nach deren Blickwinkel auf das „Schaffwerk“<br />
in unterschiedlicher Gewichtung − miteinander kombiniert.<br />
Unter anderem den Begründungen des „Schaffwerk“-Nutzens gehe ich mit zwei weiteren Interviews<br />
nach, die wir im Juni und Juli 2011 führen.<br />
Juni<br />
&<br />
Juli 2011<br />
Interviews mit einem Künstler und einer Sammlerin<br />
Am 27. Juni 2011 treffen wir im „Schaffwerk“ den Macher der „Hommage à<br />
Peter Kramer“. Er ist 60 Jahre alt, war früher Lehrer und ist seit 10 Jahren vollberuflich<br />
als freischaffender Künstler tätig. In Pfullingen wohnt er seit rund 30<br />
Jahren. Über seine erste Begegnung mit Peter Kramer sagt er, das sei vor etwa<br />
20 Jahren gewesen, als er selbst als Fakir im Musikerheim aufgetreten sei und<br />
Peter ihn angesprochen habe. 38<br />
Der Künstler macht deutlich, dass er das Schaffen Peter Kramers in dessen späten Jahren für<br />
das eines Künstlers hält. Er vergleicht ihn mit Gustav Mesmer, dem „Ikarus vom Lautertal“,<br />
der dort, auf der Schwäbischen Alb Flugräder aus Schrott baute, für verrückt erklärt und dann<br />
doch am Ende seines Lebens durch Ausstellungen als Künstler geehrt wurde. Auch Peter<br />
Kramer ist für meinen Interviewpartner ein Künstler, den es zu entdecken galt. Eine Stadt wie<br />
Pfullingen tue sich schwer, „wenn des so Leut sen, die oifach so a Parallelläba führad ond<br />
net so als anerkannte Künschtler irgendwie geldad oder erscht mr des rausgriega muss, dass<br />
des irgendwo a Schtück Gesamtkunschtwerk isch“.<br />
Meine Annahme erhärtet sich, so halte ich es in meinem Forschungstagebuch fest, dass der<br />
Pfullinger Künstler es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Wert des „Schaffwerks“ als „Gesamtkunstwerk“<br />
in den Vordergrund zu rücken bzw. es als Kunstwerk zu erklären und damit<br />
auch den Wert einer bestimmten Art von Kunst. Es ist eine Art von „Gesamtkunst“, die kulturelle<br />
und soziale Aspekte gezielt miteinander verbindet – Soziokultur würde ich das nennen.<br />
Mein Interviewpartner scheint anzunehmen, dass eine solche Art von Kulturbeiträgen einen<br />
großen Nutzen für das soziale Umfeld des „Schaffwerks“ hatten und er wünscht sich diese Art<br />
von Nutzen auch in Zukunft – das zeigt unter anderem seine Antwort auf meine Frage, was er<br />
mit diesem <strong>Erbe</strong> machen würde:<br />
„Also i denk, so diese Nutzung als kulturelle Einrichtung in irgendeiner Form, wo sich Menschen<br />
treffen und unterhalten und Kultur machen und vielleicht auch schaffen, wie dar Nome<br />
jo so schö ausgsucht worda isch, des isch sicher in seim Sinn, so was weiter zu entwickla“.<br />
38 Diese Angaben und alle nachfolgenden Zitate stammen aus dem Videodokument 27.6.11<br />
28
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Ich frage nach, wer denn so etwas brauche in Pfullingen. Daraufhin verweist er auf einen Aspekt,<br />
der ihm ein besonderes Anliegen zu sein scheint und den ich „milieuübergreifende Begegnungskultur“<br />
nennen möchte. Er führt diesen Nutzenaspekt in unserem Gespräch mit folgenden<br />
Worten ein „was ich hoch indressant fend, dass sich au hier sehr verschiedne Leut<br />
droffa hen“. Dann skizziert er beispielhaft unterschiedliche Gruppierungen, die aus seiner<br />
Sicht im Haus von Peter Kramer und durch sein „Schaffwerk“ zusammengekommen sind:<br />
• Leute, die vom Handwerklichen her − „jetzt rein vom Handwerklicha“ gekommen<br />
seien bzw. Kollegen von Peter Kramer waren<br />
• „die Kreise der Höhlenforscher“ oder, wie er auch sagt: Leut, so aus der Fachwelt eines<br />
Faches, mit sich der „Schaffer“ beschäftigt hat<br />
• „dann sicher au oifach Leut, die künschtlerisch erkennad, was des isch“<br />
• „dann au von dr Bergwacht“<br />
Der Pfullinger Künstler betont, dass Peter Kramer<br />
zu unterschiedlichen Menschen und Kreisen und<br />
Themen „a Offaheit ghabt hat“. Für das Haus fände<br />
er es wünschenswert, „wenn mar des in dem<br />
Sinn weiter beläba kann“.<br />
Ich merke auf und notiere mir: Zwar deutet, wie<br />
ich mittlerweile weiß, vieles darauf hin, dass sich<br />
● ● ●<br />
„Was ich hoch interessant finde:<br />
<strong>Das</strong>s sich hier sehr verschiedene<br />
Leute getroffen haben<br />
● ● ●<br />
die unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Gruppierungen bzw. Milieus tatsächlich<br />
oft nicht gleichzeitig im Haus von Peter Kramer aufgehalten haben, sondern oft eher unterschiedliche<br />
Gruppierungen zu unterschiedlichen Anlässen gekommen sind. Wichtiger als<br />
die Frage des tatsächlichen milieuübergreifenden Zusammenseins zu Peter Kramers Lebzeiten<br />
erscheint es mir im Hinblick auf Frage- und Zielstellung unseres Aktionsforschungsprojektes<br />
allerdings, dass der Pfullinger Künstler diesen Aspekt offenbar am „Schaffwerk“ sehr geschätzt<br />
hat, dieser von ihm wahrgenommene Nutzen ihm im Hinblick auf die zukünftige<br />
Nutzung des Hauses offenbar besonders wertvoll bzw. „nützlich“ erscheint.<br />
Beachtenswert ist auch, dass der Interviewpartner sich im Gespräch sehr positiv auf bisherige<br />
Überlegungen der Tochter zur späteren Nutzung des Schaffwerks als möglichem Begegnungs-<br />
und Anregungsort bezieht – Überlegungen, die teilweise auch auf Impulse von mir<br />
zurückgehen und auf der Leitidee einer Notwendigkeit solcher Orte für milieuübergreifende<br />
Gemeinwesenentwicklung basieren. <strong>Das</strong>s der Pfullinger Künstler im <strong>Erbe</strong> Peter Kramers Potenziale<br />
für die Inszenierung milieuübergreifender Aktivitäten zu sehen scheint, könnte auf<br />
entsprechende Handlungsspielräume für die Zukunft des Hauses deuten.<br />
Unser Interviewgast stellt im Verlauf des Gespräches mehrfach Verbindungen zwischen Nutzungsvorstellungen<br />
für das <strong>Erbe</strong> und seinen eigenen Interessen und einschlägigen Erfahrungen<br />
mit Aktivitäten in Pfullingen her. Er erzählt, dass er mit anderen Bürgerinnen und Bürgern<br />
1995 einen Initiativkreis für ein Kulturhaus in Pfullingen gegründet habe, der es sich<br />
zum Ziel gesetzt habe, Leute bzw. Kulturen zusammenzubringen, „die sonscht so in ihrm<br />
Gsangsverein ond ihn ihrer Rockgruppe völlig unabhängig vonanander läbad“.<br />
Dann berichtet er von einer Ausstellung, die sein Initiativkreis im Brecht-Jubiläumsjahr organisiert<br />
hatte. Leute aus Pfullingen stellten dabei aus, was sie gerne machen und gut können –<br />
„Do hat der eine Wetterbeobachtunga gmacht, dar andere war an Tüflter. Ond so diese Leute<br />
zamma zu bringa, oifach, wo mar zeigt: S´ gibt viel mehr, als des was emmer so im Großen<br />
und im Offiziellen eifach verbreided wird“. Ein zentrales Ziel unseres Interviewpartners ist es,<br />
das macht er im Laufe des Gespräches sehr deutlich, dass die Kompetenzen der Pfullinger<br />
Bürgerinnen und Bürger viel mehr als in seinen Augen bisher geschehen zur Entwicklung<br />
eines lebendigen Gemeinwesens genutzt werden. Die Stadtverwaltung solle, sagt er, mit der<br />
29
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Haltung „gemeinsam geht´s besser“ das Wissen der Bürgerinnen und Bürger „anzapfa“, sagt<br />
er beispielsweise. − Ich merke mir: Für diesen Mann ist das „Schaffwerk“ nicht zuletzt auch<br />
nützlich als vergangenes Beispiel und zukünftige Möglichkeit für Bürgerengagement.<br />
Weit weniger optimistisch im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des von ihr wahrgenommenen<br />
„Schaffwerk-Nutzens“ ist die vorerst letzte Interviewpartnerin unseres Aktionsforschungsfilmprojektes.<br />
Wir treffen die Frau mittleren Alters am 27. Juli 2011 im Haus an der Gönninger Straße. Sie<br />
Frau wohnt in einem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb, versorgt dort Pferde und ist eine<br />
leidenschaftliche Sammlerin alter Dinge. Peter Kramer lernte sie dreieinhalb Jahre vor dessen<br />
Tod bei der Fasnet in einer Kleinstadt auf der Alb kennen. Herr Kramer hatte sie in der Wirtschaft<br />
angesprochen. 39 Er habe damals für sie Ochsenmaulsalat vom Teller eines anderen geklaut,<br />
erzählt sie. So waren sie ins Gespräch gekommen und hatten sich dann immer mal wieder<br />
getroffen – bei der „Köhlerplatte“, beim Holzkohlemachen im Wald auf der Alb beispielsweise,<br />
wo Peter mit seinem Freund, dem Geschichtslehrer gewesen war.<br />
„Ond was endressiert Sie an der Köhlerei?“, frage ich. „ Ja, des isch oifach a Handwerk“,<br />
sagt sie, „wo d´ Zeit irgendwo still stoht. Ond des ghört jo zo allem a bissle, au zo dene alde<br />
Sacha“. – Eine Verbindung, denke ich, zwischen der dem alten Handwerk des Holzkohlemachens<br />
und den alten Dingen, die sie selbst sammelte und die Peter Kramer sammelte und gestaltete.<br />
Ich frage weiter nach und erfahre, dass sie dort beim Kohlemeiler „a ganz beschtimmte<br />
Atmosphäre“ empfinde. Sie erzählt, dass man dort viel lache und sie sagt: „jeder war dort<br />
● ● ●<br />
„<strong>Das</strong>s die Zeit irgendwo ein<br />
bisschen mehr wert hat“<br />
● ● ●<br />
irgendwie gleich“, ob „Landtagsabgeordneter“, „Professor“<br />
oder „Bauer“. Sie schätzt es, dass dort aus<br />
ihrer Sicht sonstige Grenzen zwischen gesellschaftlichen<br />
Gruppierungen keine Rolle spielen und mich<br />
erinnert dieser Aspekt an das Thema milieuübergreifende<br />
Begegnung im Gespräch mit dem Pfullinger<br />
Künstler − und nicht nur mit ihm, sondern auch mit anderen Leuten − über das „Schaffwerk“.<br />
Ich frage die Sammlerin, was denn aus ihrer Sicht das Verwandte sei zwischen der „Köhlerplatte“,<br />
dem Platz wo die Köhler Holzkohle machen und dem „Schaffwerk“. Sie antwortet:<br />
„Ja, dass mr erschtens des, des Alte schätzt ond dass mr oifach au die Geschichte zo dem Teil<br />
emmer sieht“. <strong>Das</strong> Gemeinsame sei vielleicht, fügt sie etwas später hinzu, „dass die Zeit do<br />
irgendwo a bissle mehr wert hot“. Beim Köhler und bei Peter Kramers „Schaffwerk“, notiere<br />
ich, schätzen eine Reihe von Leuten vielleicht, dass dies aus ihrer Sicht „Auszeiträume“ sind<br />
− Rückzugsräume von moderner Schnelllebigkeit und der damit verbundenen Entwertung der<br />
Zeit. Diesbezüglich finde ich viele Ähnlichkeiten in den Aufzeichnungen der Gespräche und<br />
Erlebnisse rund um das „Schaffwerk“.<br />
Ein zentraler Unterschied im Blick der Menschen aus dem Umfeld des „Schaffwerks“ auf<br />
diese „Auszeiträume“ scheint mir jedoch zu sein, dass sie von manchen, wie auch der Sammlerin<br />
von der Alb, vor allem als Nachklang vergangener Zeiten betrachtet werden.<br />
Andere, wie der Pfullinger Künstler, streben nach soziokulturellen „Auszeiträumen“ als Teil<br />
auch einer modernisierten Gesellschaft.<br />
Unsere pferdeliebhabende und alte Gegenstände sammelnde Interviewpartnerin betont im<br />
Verlauf des Gespräches immer wieder, dass solche Gegenstände aus ihrer Sicht Erinnerungen<br />
bergen und wachrufen können:<br />
39 Diese und alle nachfolgenden Angaben und Zitate aus dem Interview stammen aus dem Videodokument<br />
27.7.11<br />
30
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
„Des mit dene Geschichta zo dene Teil, des isch nicht zo onderschätza, weil do ka mr auch en<br />
ra ruhiga Schtond durchgeha ond no guckt mar sich´s oine oder s´andre an ond mit der Geschichte<br />
kommt oim jo manches Ereignis, was, wie´s war oder, des isch so a In-Sich- Neiläba<br />
irgendwie, wenn mr do so durchgeht“.<br />
In dieser Weise betrachtet sie auch das „Schaffwerk“. Sie schätzt das Werk von Peter Kramer<br />
vor allem auch als Sammlung von Erinnerungen. Dabei betont sie besonders, dass dieser seine<br />
Sammlung gut gepflegt habe und sie äußert sich sehr anerkennend darüber, dass Peter in dieser<br />
Fülle von Dingen trotzdem eine ausgeprägte Ordnung gehabt habe. Ordnung ist offenbar<br />
ein wichtiger Aspekt, den sie am „Schaffwerk“ und seinem Schaffer schätzt und auch, dass<br />
die Dinge dort sauber gehalten wurden. – Sie erzählt: „Wie i mit ihm durchglaufa ben, hand i<br />
gsagt: Aah. Ond, ond des war au gar net schtaubig ond verkomma oder dreckig“.<br />
Ordnung, Sauberkeit und die Pflege von Erinnerungen – schreibe ich in mein Forschungstagebuch<br />
– sind Werte, die auf dem Wertmaßstab des konservativen Milieus weit oben stehen.<br />
Eine anders gewichtete Werteordnung scheint mir unseren vorhergehenden Interviewpartner<br />
zu leiten.<br />
Auch er misst dem sorgsamen Umgang mit Geschichten und Geschichte einen hohen Stellenwert<br />
bei – er beklagt in unserem Gespräch, dass die Stadt Pfullingen aus seiner Sicht mit<br />
ihrer Geschichte nicht angemessen umgehe. Allerdings geht es ihm dabei offensichtlich auch<br />
darum, das Alte mit dem Neuen zu verbinden – nicht nur, wenn es um das „Schaffwerk“ geht.<br />
– Am Ende des Interviews berichtet er von seinen<br />
Überlegungen, die alte Straßenbahn, die früher in Pfullingen<br />
hielt und schon lange still gelegt ist, zu reaktivieren<br />
und als Museumsbahn in die Planungen für eine<br />
neue Regionalbahn einzubinden, die hier im Moment<br />
im Gange sind und sich bereits in einem fortgeschrittenen<br />
Stadium befinden: „Ja, es wird eine Regionalbahn<br />
gebaut ond en die könnt mr Museumsbahna integriera.<br />
Mir henn a Schtroßaboh, die könnt von hier noch<br />
Honau fahra. Des könnt mr verbinda, en Schtuttgart<br />
hen se des au gmacht.“<br />
● ● ●<br />
Er sieht, denke ich, das<br />
„Schaffwerk“ nicht ausschließlich<br />
als persönliches<br />
Projekt von Peter Kramer<br />
● ● ●<br />
Der Pfullinger Künstler bringt Vorschläge wie diesen in die öffentliche Diskussion zur Weiterentwicklung<br />
des Gemeinwesens ein – bislang nach seiner Einschätzung mit relativ wenig<br />
Erfolg. Er sieht, denke ich, auch das „Schaffwerk“ nicht ausschließlich als persönliches Projekt<br />
von Peter Kramer, sondern für ihn ist das auch ein Werk mit Bedeutung für das Gemeinwesen<br />
– als Gesamtkunstwerk, aber auch als Teil seiner „Soziokulturpolitik“, wie ich das<br />
nenne.<br />
Ganz anders die Sammlerin. Als ich sie nach der Bedeutung des Hauses für Pfullingen frage,<br />
antwortet sie: „Also in dem Haus sieht mar da Peter, würd i oifach saga“. Sie betont mehrfach<br />
dass ich das Haus eigentlich nur im Zusammenhang mit dem Sinn verstehen könne, den<br />
das „Schaffwerk“ für Peter Kramer gemacht habe. Leuten, die Peter Kramer nicht gekannt<br />
haben, sage das ihrer Meinung nach nichts. Demzufolge zeigt sie sich auch ausgesprochen<br />
pessimistisch, als es um die Zukunft des Hauses geht. Unsere Gesprächspartnerin macht deutlich,<br />
dass sie keine Aussichten zur Erhaltung oder Weiterentwicklung des „Schaffwerks“ sehe,<br />
„wenn die Leut wegschtärbad, die da Peter kennad“.<br />
Für die Sammlerin, wie wohl auch für Peters Freund von der Bergwacht und – wie es mir<br />
scheint – für eine Reihe anderer Leute aus dem eher konservativ bodenständigen Teil von<br />
Peter Kramers persönlichem Umfeld ist das „Schaffwerk“ offensichtlich ausschließlich an die<br />
persönliche Biografie von Peter Kramer gebunden – als „Lebenswerk vom Peter“, wie es die<br />
31
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Sammlerin formuliert, die dann noch hinzufügt: „Also, vielleicht schpiegelt´s au a bissle sei<br />
Läba“.<br />
4.5 Sommer 2011: Weiter über Identität nachdenken<br />
<strong>Das</strong> Haus als Spiegel seines Lebens? − In wie weit ist das „Schaffwerk“ Ausdruck der persönlichen<br />
Lebensthemen des „Schaffwerkschaffers“? Während ich diese Frage in mein Forschungstagebuch<br />
notiere, kommt mir die Bezeichnung „Identitätsprojekt“ in den Sinn. Ich<br />
frage mich, ob man das „Schaffwerk“ als Ausdruck der persönlichen Identität von Peter Kramer<br />
verstehen kann und in wieweit es ein Mittel der Identitätsbildung war oder vielleicht noch<br />
ist.<br />
Ich spreche Sabine Kramer auf diesen Aspekt an. Sie findet den Gedanken anregend und passend<br />
– für das Haus, das Schaffen ihres Vaters, aber auch für sich selbst. Es gehe ihr auch<br />
darum, ihre eigene Identität im Umgang mit dem prägenden <strong>Erbe</strong> des Vaters weiter zu entwickeln.<br />
Im Laufe des Sommers 2011 versuche ich, die bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse in<br />
● ● ●<br />
Vielleicht geht es ja bei diesem Haus<br />
um Peter Kramer, Pfullingen und die<br />
Welt, schreibe ich auf, und versuche die<br />
unterschiedlichen Sichtweisen noch<br />
weiter zu ordnen<br />
● ● ●<br />
unserem Aktionsforschungsprojekt mit<br />
Hilfe der „Identitätsbrille“ zu betrachten<br />
und finde eine Reihe von Hinweisen.<br />
Beim Literaturstudium finde ich<br />
Anregungen zu möglichen Zusammenhängen<br />
von Wertschätzung, persönlichem<br />
Sinn, kollektiver Bedeutung und<br />
Identität. In den erhobenen Daten finde<br />
ich weitere Hinweise, die es erlauben,<br />
das „Schaffwerk“ als persönliches Identitätsprojekt<br />
zu verstehen, aber auch Hinweise, die über das Persönliche hinausweisen. – Ein<br />
vor einigen Jahren erschienener Zeitungsartikel über Peter Kramers Haus beispielsweise verfestigt<br />
die Annahme vom persönlichen Identitätsprojekt, weil dort der geschmiedete Zaun am<br />
Haus als Symbolisierung seines Lebens gedeutet wird. Diese Deutung entspricht der Interpretation<br />
der Tochter, die mir bekannt ist. Der Pfullinger Künstler hingegen berichtet, die Symbole<br />
stünden seines Wissens für Peter Kramers Erklärung der Welt.<br />
Vielleicht geht es ja bei diesem Haus um Peter Kramer, Pfullingen und die Welt, schreibe ich<br />
auf und versuche die unterschiedlichen Sichtweisen noch weiter zu ordnen und in einen plausiblen<br />
Zusammenhang zu stellen – um erklärende und klärende „Geschichten“ von den Zusammenhängen<br />
zu erzählen. Solche „Geschichten“ als Zusammenschau der vorläufigen Ergebnisse<br />
unseres Aktionsforschungsprojektes will ich im Folgenden versuchen. Ausgewählte<br />
Aspekte dieser Ergebnisse wiederum, so vereinbare ich es mit Sabine Kramer, sollen dann<br />
später im Rahmen einer Kulturveranstaltung im „Schaffwerk“ in Form eines Hausrundgangs<br />
mit Installationen, Filmausschnitten, Zitaten und manchem mehr dem Umfeld vor Ort präsentiert<br />
werden. Ziel ist dabei der weitere und erweiternde Austausch über das Haus, Peter Kramer,<br />
die lokalen Welt – über Wertschätzung, persönlichen Sinn, kollektive Bedeutung und<br />
nicht zuletzt über Fragen der Identität. Auf dem Dach des Hauses wird dann, so schlägt es<br />
Sabine Kramer vor, ein großes Transparent befestigt. Darauf soll stehen: Ist das Kunst oder<br />
kann das weg?<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
5 Ergebnisse: Klärende Geschichte(n) über Wertschätzung, Sinn<br />
und Bedeutung<br />
5.1 Die Geschichte vom „Schaffwerk“ als Geschichte vom Menschen<br />
Ich: „Wenn Sie in 30 Sekunda äbar saga müßdad, wo fremd isch, was des für a Haus isch,<br />
was dädad Sie saga?“<br />
Passantin: „Was würd ich do saga? Es passt eigentlich gar net so richtig mehr in die heutige<br />
Zeit, so wie mr heut läbt, so will jo niemand mehr wohna. Aber s´ isch was Besonderes, er<br />
war, er war a Original natürlich.“ 40<br />
So, wie im Gespräch vor der Konditorei war es fast immer, wenn wir im Verlauf unseres Erkundungs-<br />
und Klärungsprojektes in Pfullingen gefragt haben: Was ist das? – Wenn wir versuchten,<br />
das „Schaffwerk“ von Peter Kramer zu verstehen, dann wurde scheinbar selbstverständlich<br />
der Nutzen bzw. die Nutzung des Hauses thematisiert, in Verbindung damit die<br />
Wertschätzung und die Person Peter Kramer wurde in den Mittelpunkt gerückt.<br />
Die Geschichte unserer Klärung der Sicht auf das „Schaffwerk ist deshalb eine personenzentrierte<br />
Geschichte, die sich um den Schaffer des „Schaffwerks“ dreht. Ausgehend von der<br />
Frage nach dem Haus in der Gönninger Straße 112 entfaltet sich in dieser Geschichte ein Bild<br />
von Peter Kramer. Dieses Bild entsteht durch die Zusammenschau unterschiedlicher Sichtweisen<br />
von Menschen aus dem Umfeld des „Schaffwerks“ und so reflektiert dieses Bild vom<br />
„Schaffwerk“ und seinem Schaffer deren Wahrnehmungen.<br />
„Also gut, für viele isch des scho sehr sehenswert, gell. Kommt druf an, ja, wie mr des bedrachded,<br />
gell“ 41 – der Postbote bringt es im Straßeninterview auf den Punkt: Es kommt auf<br />
den Blickwinkel an, auf den Standpunkt der Betrachterin oder des Betrachters, welche Wertschätzung<br />
man dem „Schaffwerk“ von Peter Kramer jeweils zu Teil werden ließ bzw. lässt.<br />
Im Wechselspiel von Fragen und Antworten unseres Aktionsforschungsprojektes verbanden<br />
sowohl die Befragten als auch wir Fragenden die Wahrnehmung der Dinge in der Gönninger<br />
Straße 112 eng mit dem Menschen dort, den Menschen darum herum und mit deren Wertschätzung<br />
für dieses „Schaffwerk“.<br />
<strong>Das</strong> sich im Folgenden entfaltende Bild zeichnet nach, inwieweit und wofür das Schaffwerk“<br />
und der Schaffer von wem wertgeschätzt wurde bzw. wird. Es erzählt von unterschiedlichen<br />
Maßen der Wertschätzung und von den Arten und Weisen ihrer Herstellung.<br />
5.2 Wechselwirkungen – über die Konstruktion von Wertschätzung<br />
5.2.1 Dimension − mehr oder weniger Wertschätzung wird erkennbar<br />
„Geguckt hat sicher jeder“ − Hohe Aufmerksamkeit für das „Schaffwerk“<br />
Die Passantin vor der Konditorei meinte beim Straßeninterview: „Also, guckt hot sicher jeder“.<br />
42 Auch wenn sich das so nicht ganz bestätigen lässt − wir trafen vereinzelt auch Leute<br />
aus Pfullingen, die das Haus nicht kannten – und wenn wir auch nichts über die Zahl derer<br />
sagen können, die wirklich hinschauten: In der Zusammenschau aller während unserer Erkundungen<br />
gesammelten Erfahrungen komme ich zu dem Schluss, dass das Haus die Aufmerk-<br />
40 Videodokument 30.5.11<br />
41 Ebd.<br />
42 Ebd.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
samkeit vieler Menschen in der Kleinstadt auf sich zog. Man könne ja davon halten, was man<br />
wolle, aber wegschauen könne man nicht, hörte ich mehrfach.<br />
„Was ist auch das für einer?“ − Geteilte Anerkennung für das „Schaffwerk“<br />
„Dr oine hat vielleicht gsagt: Ja, was isch au des für oiner? Ond dr ander hot gsagt: Ha, der<br />
schticht jetzt au mol ab aus am Normala“ 43 – die Passantin vor der Konditorei in Pfullingen<br />
spricht hier, wie es fast alle unsere Befragten taten, die geteilte Anerkennung für Peter Kramer<br />
und sein „Schaffwerk“ an. Es gab in Peters Heimatstadt offenbar Leute, die sein ungewöhnliches<br />
Schaffen ausgesprochen skeptisch betrachteten und auch solche, die dabei wohl<br />
so weit gingen, ihn für verrückt zu erklären – dies lässt beispielsweise der Pfullinger Künstler<br />
in unserem Interview erkennen. Der Geschichtslehrer berichtet über Leute, die gegen Peter<br />
„gehetzt“ hätten. 44 In jedem unserer längeren Gespräche thematisierten unsere Gesprächspartnerinnen<br />
und Gesprächspartner, dass nicht jeder und jede gut fand, was Peter Kramer geschaffen<br />
hat. <strong>Das</strong>s sein Werk sowohl Zuspruch als auch Ablehnung provoziert habe, ist eine gemeinsame<br />
Erzählung der Befragten.<br />
Wer genau die Leute sind, die dem „Schaffwerk“ ihre Anerkennung versagten, blieb bei unserem<br />
Projekt im Dunkeln und wir haben diesbezüglich auch nicht nach Antworten gesucht. Die<br />
von uns Befragten sprachen wenig und sichtlich ungern von der Geringschätzung anderer,<br />
viel und offenbar gern dagegen über ihre Wertschätzung für Peter Kramer und sein Werk.<br />
Zu verstehen, was diese Wertschätzung jeweils ausmacht, wie sie zu Stande kam, wie wir<br />
vielleicht etwas davon für die Zukunft des Hauses lernen können – dies zu verstehen, interessierte<br />
uns mit zunehmender Projektdauer immer mehr.<br />
Wenn diejenigen, die das „Schaffwerk“ sehr schätzen über diejenigen sprachen, die es wenig<br />
schätzen, dann gaben sie uns damit gewiss auch wichtige Hinweise, um die Geringschätzung<br />
zu verstehen.<br />
Wenn wir erfuhren dass diejenigen, die vor allem „den praktischen Nutzen“ sehen, nichts mit<br />
dem Haus anfangen können, dann wurde klarer, dass bestimmte Nutzenorientierungen in engem<br />
Zusammenhang mit mehr oder weniger Wertschätzung stehen. Wir erfuhren aber auch<br />
im Umkehrschluss etwas darüber, dass derjenige der uns darauf aufmerksam machte – in diesem<br />
Fall der Geschichtslehrer – noch etwas anderes als den praktischen Nutzen schätzt.<br />
Wenn die Tochter und andere Befragte über die „Humorlosigkeit“ der Geringschätzenden<br />
sprach, 45 dann erfuhren wir dabei auch, dass der Humor ein Aspekt ist, den sie selbst an Peter<br />
und seinem „Schaffwerk“ schätzen. Wir können nach der Zusammenschau unserer Interviews<br />
auch die Vermutung anstellen, dass andere als die Befragten durch Leben und Werk Peter<br />
Kramers verunsichert wurden, dass sie das nicht wollten und deshalb mit Geringschätzung<br />
antworteten. Vor allem interessiert mich als Forschenden mit bestimmten Handlungsinteressen<br />
aber, dass einige unserer Befragten genau diese Verunsicherung zu schätzen wussten, die<br />
das „Schaffwerk“ aus ihrer Sicht auslöste, dass dies offenbar als nützlicher Beitrag zu wünschenswerten<br />
Entwicklungsprozessen in Pfullingen gesehen wird und dass man daran bei der<br />
Weiterentwicklung des „Schaffwerks“ anknüpfen könnte.<br />
Austauschbar oder unschätzbar? − Zeichen für mehr oder weniger Wertschätzung<br />
Als Zeichen der Geringschätzung deuteten es die Befragten, wenn Peter Kramer verbal abgewertet<br />
bzw. ausgegrenzt wurde, wenn „gemotzt“ wurde oder „gehetzt“, wenn jemand abschätzig<br />
fragte: „Was isch au des für oiner?“ oder ihn gar für verrückt erklärte. Als Ausdruck<br />
fehlender oder geringer Wertschätzung wurden aber nicht nur solche deutlichen verbalen Äußerungen<br />
der jeweils abwertenden Personen gesehen. Aus Sicht der Befragen, die Peter Kra-<br />
43 Videodokument 30.5.11<br />
44 Videodokument 27.1.11<br />
45 Vgl. Audiodokument 11.3.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
mers Werk schätzen ist es offenbar auch Zeichen von Geringschätzung, wenn die Einzigartigkeit<br />
von „Schaffwerk“ und Schaffer nicht angemessen gewürdigt wurden bzw. werden. −<br />
Wenn Schaffer bzw. „Schaffwerk“ für austauschbar gehalten werden, dann empfinden das die<br />
Wertschätzenden als Zeichen mangelnder Wertschätzung: „Ach so oin wie da Peter griegt mr<br />
glei wieder“ 46 , habe eine bestimmte Person mit Einfluss einmal gesagt, so berichtete beispielsweise<br />
der Geschichtslehrer über eine Abwertungserfahrung von Peter Kramer. Für die<br />
wertschätzenden Befragten sind weder Person noch Werk austauschbar. Die Tochter und die<br />
anderen befragten Menschen aus dem Umfeld, die anerkennend auf das „Schaffwerk“ schauen<br />
verbindet, dass sie das Besondere und eben nicht Austauschbare hervorheben. Wohl deshalb<br />
ist für sie das „Schaffwerk“ auch nicht mit den Prinzipien der Warenwirtschaft vereinbar,<br />
wo ja austauschbare Dinge gegen Geld und Geld gegen andere austauschbare Dinge getauscht<br />
werden. <strong>Das</strong> „Schaffwerk“ kann aus Sicht der wertschätzenden Befragten nicht einfach verkauft<br />
werden, weil für sie nicht der Tauschwert auf dem Markt, sondern der „unschätzbare<br />
Wert“ des einzigartigen „Schaffwerks“ maßgeblich“ ist. Diese Anerkennung des Einzigartigen,<br />
des Besonderen, ist genau das, was der Philosoph Axel Honneth unter Wertschätzung<br />
versteht:<br />
„Bei der Wertschätzung geht es ja darum, einem Anderen über die Anerkennung als ein anderes<br />
autonomes Subjekt hinaus einen Mehrwert zu geben, aufgrund bestimmter Eigenschaften<br />
oder Leistungen, die er anderen voraushat. Bei der Wertschätzung geht es also nicht um die<br />
Anerkennung unter Gleichen, sondern um die Anerkennung eines Besonderen.“ (Honneth<br />
2010).<br />
5.2.2 Kriterium − Einschätzungen des Beitrags zur Wohlfahrt<br />
Als ich im Straßeninterview den Postboten fragte, wer sich denn aus seiner Sicht für so ein<br />
Haus interessieren könne, sagte er: „Leut, die a bissle, ja was, klar, a bissle was mit Kunscht<br />
oder einfach, oder, ja – an dieser Stelle brach er seinen angefangenen Satz ab. Es schien ihm<br />
leichter zu fallen, die Gruppe derjenigen zu beschreiben, die sich weniger dafür interessieren.<br />
So fährt er fort mit den Worten: „Also jüngere Leute, die so voll im Berufsleben schtehn −<br />
denk ich mol – weniger. Die hen gar koi Zeit für so was (lachen)“ 47 .<br />
Tatsächlich sprechen die Erfahrungen in unserem Erkundungsprojekt dafür, dass Menschen,<br />
die diesem Haus besonderes Interesse schenken, solche sind, die Zeit haben bzw. sich Zeit<br />
nehmen. Sie nehmen sich beispielsweise Zeit, weil sie Peter Kramer bzw. seiner Tochter persönlich<br />
verbunden sind bzw. weil sie sich für die „Kunst“ des „Schaffwerks“ interessieren,<br />
weil das „Sich-Zeit-Nehmen“ ihnen viel bedeutet oder sie haben Zeit, weil sie eben nicht voll<br />
im Berufsleben stehen − viele ältere Leute in Pfullingen signalisierten Interesse. Es sind vor<br />
allem die Menschen ab 60 aufwärts, so meinte es die Sammlerin, die Peter Kramer hier kannten,<br />
für die er eine lokale „Legende“ 48 gewesen sei, wie sie sich ausdrückte. Es scheint bestimmte<br />
Personengruppen zu geben, die den besonderen Beitrag Peter Kramers zu ihrem persönlichen<br />
Wohl oder zum Gemeinwohl besonders schätzen und es wurden bestimmte Aspekte<br />
erkennbar, die an seinem „Schaffwerk“ besonders geschätzt werden.<br />
„Estimiert würden wir sagen“ − Wertschätzung der Sorgearbeit für entwertete Werte<br />
Eine Gemeinsamkeit fast aller befragten Personen aus dem wertschätzenden Umfeld des<br />
„Schaffwerks“ ist es, dass sie den Beitrag Peter Kramers für dessen Sorge um solche Werte<br />
thematisierten, die durch momentane gesellschaftliche Modernisierungsprozesse entwertet<br />
46 Videodokument 27.1.11<br />
47 Videodokument 30.5.11<br />
48 Videodokument 27.7.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
werden. Die Zeit beispielsweise für qualitativ hochwertige Arbeit, die im alten Handwerk<br />
noch etwas gegolten habe, ist für die befragte Sammlerin ein zentrales Thema und damit<br />
spricht sie etwas an, worüber wir auch schon im Gespräch mit Peters Freund, dem Handwerker<br />
von der Bergwacht, gesprochen hatten. Dieser hatte verdeutlicht, dass Peter in den Dingen<br />
immer gesehen habe, welche Mühe, Arbeit und eben auch Zeit darin steckt. Was in unserer<br />
schnelllebigen Gesellschaft heute in der Regel weggeworfen und durch neue kurzlebige Konsumgüter<br />
ersetzt wird, hat Peter Kramer gewürdigt und dafür wurde er geschätzt. Ausdruck<br />
dieser Wertschätzung war es auch, dass Leute ihre alten ausgedienten Dinge ihm zur Versrogung<br />
vorbeibrachten – Die Menschen haben das „eschdimiert“, so drückt es Peter Kramers<br />
Bekannte, die Sammlerin aus. 49<br />
Auch für Peters Tochter ist der Aspekt des Wiederverwertens ein zentrales Moment, das sie<br />
ausgesprochen schätzt und was sie sich als wesentlichen Teil zukünftiger Aktivitäten in ihrem<br />
geerbten Haus wünscht.<br />
Ein zentrales Thema für den befragten Pfullinger Künstler ist es, dass die Stadt aus seiner<br />
Sicht mit (ihrer) Geschichte keinen sorgsamen Umgang pflegt – im Gegensatz zum Schaffer<br />
des „Schaffwerks“. In ähnlicher Weise schätzt der Geschichtslehrer diesen Aspekt. Ebenso<br />
betont die Passantin vor der Konditorei wertschätzend, dass der Schaffer mit seinem Werk aus<br />
ihrer Sicht darauf aufmerksam habe machen wollen, dass der Mensch auch Wurzeln habe.<br />
Diese Frau schätzt darüber hinaus, ebenso wie Peters Mit-Schaffer, der Textildesigner, aber<br />
auch der befragte Künstler und wohl auch viele andere Leute aus dem Umfeld, dass Peter<br />
Ecken und Kanten zeigte, in einer modernen Zeit, wo man eine „Anpassgesellschaft“ 50 geworden<br />
sei.<br />
Es sind offenbar traditionelle Dinge und Werte, aber auch Entfaltungsspielräume für das Persönliche,<br />
die in der modernen Welt aus den Blickwinkeln der unterschiedlichen Befragten<br />
entwertet werden bzw. verschüttet. Der Textildesigner mit einer Affinität für alte Gegenstände<br />
drückte das aus, als er sagt in „dieser blank polierten, glatt geschliffenen, oberflächlichen<br />
Welt“ sei ein Mercedes „einfach mehr wert als jeder Brief oder jedes Bild oder jeder Song<br />
oder irgendwas“. Dann fügte er hinzu: Dr Peder war halt anders, des war dem scheißegal“.<br />
51<br />
„Außerhalb des Alltags“ − Wertschätzung der Sorgearbeit für eine gute Atmosphäre<br />
Eine zweite Leistung, für welche Peter Kramer bzw. seinem „Schaffwerk“ ein hohes Maß an<br />
Wertschätzung zu Teil wurde – ein Aspekt der von den Befragten in jedem unserer fünf längeren<br />
Interviews angesprochen wurde und der oft auch in kurzen eingefangenen Statements<br />
von Menschen aus Pfullingen Thema war – das ist die gute Atmosphäre, die der Schaffer aus<br />
deren Sicht schuf. Der befragte Künstler umschreibt das unter anderem mit folgenden Worten:<br />
„No hot mr emmer gwisst: Des isch luschdig on dann trenkt mr was on dann raucht mr<br />
ond ond mr onderhält sich guad ond, äh, also des isch, des isch scho so a Schtück weit so<br />
außerhalb des Alltags“ 52 .<br />
Immer wieder weisen die unterschiedlichsten Leute im Verlauf der Begegnungen während<br />
unseres Erkundungsprojektes darauf hin, dass es „immer lustig“ gewesen sei bzw. dass sie<br />
Peter als „Riesenspaßvogel“ erlebten. Zur guten Atmosphäre trug in deren Wahrnehmung<br />
ganz offensichtlich der „Humor“, der „Schalk“, der „Witz“ bei. <strong>Das</strong> Haus von Peter Kramer<br />
wurde offenbar als ein Ort wahrgenommen, wo man nicht Alltägliches erleben konnte – wo<br />
man eine „Auszeit“ 53 nehmen konnte, wie es der Künstler formulierte.<br />
49 Videodokument 27.7.11<br />
50 Videodokument 30.5.11<br />
51 Videodokument 7.3.11/2<br />
52 Videodokument 27.6.11<br />
53 Ebd.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Aber nicht nur lustig und unterhaltsam, sondern auch „anregend“ 54 empfand er es dort. <strong>Das</strong><br />
„Schaffwerk“ war für ihn nicht zuletzt auch ein Raum, wo man auf neue Ideen kam. Auch,<br />
dass dort unterschiedliche Leute zusammen kamen, war in diesem Zusammenhang wichtig.<br />
Nicht nur der Künstler, sondern auch viele andere Leute betonen den anregenden Charakter<br />
des „Schaffwerks“ und der Person Peter Kramer. Sein Freund von der Bergwacht beispielsweise<br />
macht deutlich: Mit Peter Kramer war es für ihn „immer interessant“. 55<br />
Erkennbar wurde auch: Es sind überwiegend Männer aus der Gegend gewesen, die diese Atmosphäre<br />
im „Schaffwerk“ genossen.<br />
„Ein besonderer Mensch“ − Wertschätzung für besondere Beiträge zur Wohlfahrt<br />
Die besondere Leistung von Peter Kramer war es aus Sicht der Befragten und wohl auch vieler<br />
anderer Menschen aus dem wertschätzenden Umfeld des „Schaffwerks“, dass er in seiner<br />
Heimatstadt entwerteten Werten mehr Wert gegeben hat und dass er einen Raum außerhalb<br />
des Alltags – ein „Auszeithaus“ – für Leute von hier geschaffen hat, wo man sich wohl fühlen,<br />
aber auch Abstand und Anregungen gewinnen konnte. Insbesondere auch für sein diesbezügliches<br />
„Schaffwerk“ wurde und wird der Schaffer hier wertgeschätzt – für diese so empfundenen<br />
Beiträge zur Wohlfahrt in Pfullingen und darum herum. Vor allem auch für diese<br />
Leistungen − für Beiträge, die sich von jenen der überwiegenden Mehrheit unter den anderen<br />
Pfullingerinnen und Pfullinger unterschieden − wurde er als „besonderer Mensch“, als „Unikum“<br />
bzw. als „Original“ wert geschätzt.<br />
Die Art und Weise allerdings, wie diese besonderen Beiträge zur Wohlfahrt im wertschätzenden<br />
Umfeld wahrgenommen werden, ist je nach Blickwinkel des Betrachters oder der Betrachterin<br />
nicht dieselbe. Wertschätzung ergibt sich für manche eher durch unmittelbare und<br />
für andere mehr durch allgemeine Betrachtungsweisen. Manchmal wird mehr der direkte Nutzen<br />
des „Schaffwerks“ wahrgenommen und andere Betrachtende sehen den Beitrag des<br />
„Schaffwerks“ zur Wohlfahrt eher durch eine indirekte Betrachtung. Geprägt wird die jeweilige<br />
Art und Weise der Betrachtung und Wertschätzung offenbar durch die jeweiligen Vorstellungen,<br />
davon, was nützlich ist.<br />
5.2.3 Maßstab – Nutzenvorstellungen als Orientierungsgrundlage<br />
„<strong>Das</strong>s nicht alles so 0815 ist“ – Orientierung am indirekten Nutzen<br />
Die Passantin vor der Konditorei erwähnte in unserem Kurzinterview, dass sie selbst, aber<br />
auch andere Leute es bedauerten, dass die „Originale“ in Pfullingen ausstürben. Ich fragte sie,<br />
was denn die Menschen in Pfullingen davon haben, wenn es so ein Original gibt. <strong>Das</strong> sei jetzt<br />
aber eine schwierige Frage, meinte sie und sagte dann: „Jo, ob mr do direkt was davon hat.<br />
Ha, dass vielleicht net alles so 0815 isch, oder? Des g´hört au zur Gesellschaft“. 56<br />
Es ist kein direkter, sondern ein indirekter Nutzen von Werken wie dem „Schaffwerk“, den<br />
die Frau hier anspricht. Sie ergänzt noch, dass das die Gesellschaft bunt mache. Diese Buntheit<br />
wiederum scheint etwas zu sein, was sie sich wünscht, was sie schätzt – wohl auch im<br />
Hinblick auf ihre eigene Lebensqualität. Diese Frau hatte allerdings kaum einen direkten Nutzen<br />
vom „Schaffwerk“, sie schätzt dass es solche Menschen wie Peter Kramer und solche<br />
Orte wie das „Schaffwerk“ gibt, weil dadurch indirekt auch ihre Lebenswelt an Lebensqualität<br />
gewinnt.<br />
In ähnlicher Weise von einem indirekten Nutzen sprechen in unseren Interviews auch der befragte<br />
Künstler, der Textildesigner, der Geschichtslehrer und dessen Frau. Sie erzählen zwar<br />
auch viel vom unmittelbaren Erleben eines direkten persönlichen Gewinns für sie selbst in<br />
54 Videodokument 27.6.11<br />
55 Videodokument 7.3.11<br />
56 Videodokument 30.5.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Form von persönlichem Wohlsein, von Anregungen durch Peter Kramer und sein Werk, sie<br />
machen aber auch explizit deutlich, dass sie das „Schaffwerk“ unter anderem als Beitrag sehen<br />
für eine milieuübergreifende Begegnungskultur (der Künstler), für eine verändernde Provokationskultur<br />
(der Textildesigner) bzw. für eine offenere Kultur, in der man freier atmen<br />
kann (der Geschichtslehrer und seine Frau). Für mich besonders eindrücklich ließ die Frau des<br />
Geschichtslehrers im Interview erkennen, dass sie in Peter Kramers Schaffen einen Beitrag<br />
zur Öffnung der von ihr als eng empfundenen Atmosphäre an ihrem Wohnort empfand: „Was<br />
dr Peter, glaub i, von de Pfullinger abghoba hot, dass dr Peter halt nicht, keine Vorurteile<br />
ghet hot, neugierig war on au naus, also nausguckt hot iber sein Tellerrand, wenn, wenn es<br />
ihm möglich war. Des machad die Pfullinger net“. Wenn sie selbst, erzählte die Frau etwas<br />
später, manchmal außerhalb von Pfullingen ist, in Reutlingen oder Tübingen, dann, so sagt<br />
sie: „atem i tief durch ond fühl mi irgendwie freier“. Befreiend muss es für diese Frau wohl<br />
auch gewirkt haben, dass Peter Kramer mit seinen Späßen und seinen Figuren im Garten den<br />
Leuten in schalkhafter Manier einen Spiegel vorgehalten hat. So nämlich empfand sie das<br />
Schaffen des Schaffers: „Er war ja unwahrscheinlich kreativ (…). Es war scho a Schtück<br />
narrativ, do wollt er au de andere eigentlich, ja, des was der Narr macht, den Spiegel vorhalta“<br />
– das schätzen offenbar jene besonders, die ein Interesse an der Entwicklung des Gemeinwesens<br />
haben. Sie schätzen das wohl auch deshalb, weil sie selbst indirekt dadurch mehr<br />
Raum zur Entfaltung bekommen (könnten). 57<br />
Die Frau des Geschichtslehrers, ihr Mann, der Textildesigner und auch der befragte Pfullinger<br />
Künstler sehen in Peter Kramers „Schaffwerk“ ein Kunstwerk – ein „Gesamtkunstwerk“, wie<br />
es der Befragte nennt, der selbst Kunst in Pfullingen schafft. Er schätzt es offenbar, dass Peter<br />
Kramer unterschiedliche Aspekte in seinem Schaffen miteinander verband, die wohl so nur<br />
ein Künstler verbinden kann, der an seinem Schaffensort tief verwurzelt ist und diesen Ort als<br />
„Über-Lebens-Künstler“ (mit-)gestaltet. Aus diesem Blickwinkel erscheint der Schaffer „bodenverhaftet<br />
und gleichzeitig das Leben aus dem Abstand des Künstlers betrachtend, indem er<br />
den Alltag mit seinem Funktions- und Funktionalitätszwang loslöst, weiter entwickelt, verarbeitet,<br />
recycelt und komödiantisch und satirisch widerspiegelt.“ 58 .<br />
Auch die Tochter von Peter Kramer schätzt dessen Beitrag zur Entwicklung des Gemeinwesens<br />
bzw. der Gemeinschaft z. B. durch komödiantische Widerspiegelung und das künstlerische<br />
Schaffen ihres Vaters sehr. Wie der Künstler, der Textildesigner, der Geschichtslehrer<br />
und seine Frau schätzt sie die Veränderungen anregende Seite an der Sorgearbeit ihres Vaters<br />
für eine gute Atmosphäre. Wie die oben Genannten schätzt sie über das Bewahrende hinaus<br />
den gestaltenden Aspekt an dessen Sorgearbeit um alte Dinge und Werte. Sie schätzt den indirekten<br />
Nutzen, den die Leute im Gemeinwesen durch die einzigartige Leistung ihres Vaters<br />
haben, sie sieht ihn als „Künstler“ – aber sie sieht ihn nicht klar als Künstler. Sie betont einerseits,<br />
dass er das „fraglos“ gewesen sei und schränkt gleichzeitig ein, dass er „aber“ bei seinem<br />
Schaffen einen „eigenen Geschmack“ gehabt habe. Sie bezieht sich dabei offensichtlich<br />
auf dessen Abweichung von der Normalität im Milieu ihres Vaters, welches ja auch ihr eigenes<br />
Herkunftsmilieu ist und an dessen Normen sie sich möglicherweise noch gebunden fühlt.<br />
Sie scheint nicht sicher zu sein, dass er wirklich ein „richtiger Künstler“ sein darf bzw. durfte<br />
– und diese Unsicherheit hat einen guten Grund, wie wir sehen.<br />
„Immer lustig, immer interessant“ – Orientierung am direkten Nutzen<br />
Da habe er sich da „nichts herausgenommen“, meinte Peters Freund von der Bergwacht auf<br />
die Frage, ob dieser sich als Künstler sah. Auch der Interviewte selbst nahm es sich nicht heraus,<br />
ihn als Künstler zu bezeichnen. Er betonte dagegen den Wert des Handwerklichen und<br />
57 Videodokument 27.1.11<br />
58 Dokument 19.11.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
von Peters wertschätzendem Umgang mit alten Gegenständen bzw. der dahinter liegenden<br />
Geschichte. Auch betont er mehr Peters Sammeln als das künstlerische Gestalten und hinsichtlich<br />
Peters Arbeit für eine gute Atmosphäre stellt er unmittelbare Aspekte seines eigenen<br />
Erlebens in den Vordergrund – dass es immer interessant gewesen sei. Ganz ähnlich äußerte<br />
sich auch die Sammlerin.<br />
Der Bergwachtfreund, die Sammlerin und auch die Tochter betonen durch ihre Äußerungen<br />
vor allem auch, dass sie Praktiker bzw. Praktikerin sind – „Also, i ben äba an Praktiker ond<br />
an Realischt“ 59 , sagte beispielsweise die Sammlerin am Ende unseres Interviews im Zusammenhang<br />
mit ihrer Skepsis bezüglich einer möglichen Weiterführung des „Schaffwerks“ in<br />
der Zukunft. Alle drei scheinen geprägt auch von der Betonung praktischer Dinge und des<br />
praktischen Nutzens – ein Aspekt, der in ihrem Herkunftsmilieu weit oben auf dem Maßstab<br />
der Werte steht. Alle drei kommen aus Handwerker- bzw. Arbeiterfamilien. Gleichwohl blicken<br />
sie keineswegs geringschätzender als die anderen Befragten auf das Werk Peter Kramers<br />
– nicht geringschätzend, wie andere Leute, von denen der Geschichtslehrer meinte, dass diese<br />
das „Schaffwerk“für eine Ansammlung von „altem Gruscht“ hielten, weil diese Leute nur auf<br />
den praktischen Nutzen sähen. Allerdings betonen alle drei Befragten hinsichtlich der Beiträge<br />
Peter Kramers zur Wohlfahrt solche Aspekte, die mit dem Praktischen eng verwandt erscheinen<br />
– die praktischen Fähigkeiten als Handwerker beispielsweise oder dass er trotz seiner<br />
Kreativität auch Ordnung gehalten habe, dass sein Tun und Schaffen lustig und interessant<br />
gewesen sei. Diese Art von wertschätzendem Sprechen über Peter Kramer und das unmittelbare<br />
Erleben mit ihm erfuhr ich im Rahmen unserer Erkundungen in vielen Gesprächen im<br />
Umfeld des Schaffwerks auch außerhalb unserer aufgezeichneten Interviews immer wieder.<br />
Geschichten über spaßige Erlebnisse spielten bei diesen Erzählungen eine wichtige Rolle –<br />
wie jene Anekdote, die die Tochter bei ihrer Trauerrede erzählte:<br />
„An seinem Haus hat er eine Wetterstation angebracht auf welcher groß „Wetterbericht“<br />
steht. Durch das öffnen des Türchens in Kopfhöhe kann man herausfinden was der Wetterbericht<br />
sagt. Wenn man neugierig war und es schwungvoll öffnete, konnte es passieren, dass<br />
man eine Ladung Wasser abbekam“. 60<br />
Hier wird der kreative Spaßmacher in den Vordergrund gestellt, mit dem man „a Gaude“<br />
hatte, wie es der ältere Kamerad von der Bergwacht in Peters Scheune am Tag der Trauerfeier<br />
ausdrückte. Der Nutzen ist ein unmittelbarer, in gewisser Weise praktischer: Man lacht.<br />
Die auf solche unmittelbare Weise entstehende Atmosphäre wird als Beitrag zur Wohlfahrt<br />
bzw. zum Wohlsein empfunden – offenbar auch von vielen Leuten, die eher am praktischen<br />
Nutzen orientiert sind.<br />
Dem praktischen Nutzen eigen ist es, dass er mehr oder weniger unmittelbar realisierbar und<br />
dass er damit zusammenhängend auf Nützlichkeit im Rahmen gegebener Rahmenbedingungen<br />
gerichtet ist. Ein Künstler ist unter den Voraussetzungen eines solchen Nutzenverständnisses<br />
als Unterhaltungskünstler schätzenswert, wohl aber weniger als Fragender, Suchender<br />
bzw. (Mit-)Gestalter sozial-kultureller Veränderungsprozesse.<br />
Wer es sich nun aber herausnähme, als Mitglied einer Gemeinschaft, deren Wertmaßstab sich<br />
am praktischen Nutzen orientiert, ein Künstler im letztgenannten Sinne sein zu wollen, der<br />
könnte wohl kaum auf Wertschätzung hoffen dürfen. Er nähme sich dadurch gleichsam heraus<br />
aus der Gemeinschaft. Wenn Peter Kramer oder die ihn Wertschätzenden aus seinem<br />
Herkunftsmilieu nicht jene Facetten seines besonderen Werkes in den Vordergrund gestellt<br />
hätten, die im Lichte der im Milieu maßgeblichen Werte schätzenswert sind, dann wären wohl<br />
59 Videodokument 27.7.11<br />
60 Dokument 15.10.10<br />
39
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
nicht so viele Menschen aus diesem Milieu bei seiner Trauerfeier gewesen und hätten den<br />
großen sozialen Verlust durch seinen Tod betrauert.<br />
„Heute nicht mehr möglich“ – Tradierte Werte gegen direkten Nutzen<br />
Außer dem praktischen Nutzen wurde bei unserer Aktionsforschung im Milieu um das<br />
„Schaffwerk“ als zentraler Wert die Tradition erkennbar – im Sinne von Erinnerung und<br />
Würdigung der eigenen Geschichte. Die Pflege von Tradition, Erinnerung und Geschichte<br />
spielt beispielsweise in Vereinen eine wichtige Rolle, in welchen Peter Kramer Mitglied war:<br />
Brauchtumsverein, Schützenverein, Gesangsverein, Albverein, Bergwacht, Höhlenforscher.<br />
Die Sorge um alte Geschichten, Erinnerungen und Dingen wird in diesem Milieu als nützlicher<br />
Beitrag zur Wohlfahrt empfunden und entsprechend geschätzt. Peter Kramers Sorge um<br />
geschichtsträchtige Alltagsgegenstände konnte die Wertschätzung von Menschen erfahren,<br />
die so etwas nach ihren Maßstäben als sinnvoll bzw. „nützlich“ ansahen – die Wertschätzung<br />
beispielsweise der befragten Sammlerin, die sagte, man solle die Bedeutung der Geschichten<br />
bzw. Erinnerungen nicht unterschätzen, die aus ihrer Sicht mit alten Dingen verbunden sind<br />
und die über solche alte Gebrauchsgegenstände auch sagte: „Ond no des Handwerkliche,<br />
teilweis, mar sieht jo teilweis so schöne Sacha, die handwerklich heut gar nemme möglich sen<br />
, wo d´ Zeit oifach koi Roll gschpielt hot“ 61 .<br />
Es ist ein Milieu bodenständig orientierter Handwerker und Arbeiter, in welchem Peter Kramer<br />
in Pfullingen aufwuchs und in welchem er sein „Schaffwerk“ schuf. Dieses Milieu prägt<br />
das Umfeld. Hier spielen sowohl der praktische Nutzen als auch die Pflege vergangener bzw.<br />
vergehender Traditionen und Geschichten als Werte eine zentrale Rolle. Diese beiden Werte<br />
allerdings stehen in einer modernen Gesellschaft in Konflikt miteinander, denn die Erinnerungsarbeit<br />
braucht Zeit, hat oft keinen kurzfristigen unmittelbaren Nutzen und wird deshalb<br />
unter dem Maßstab des praktischen Nutzens nicht wertgeschätzt.<br />
Diesen Konflikt bewältigt die Sammlerin, die ja auch „Praktikerin“ ist, möglicherweise u.a.<br />
dadurch, dass sie das unmittelbare persönliche positive Erleben beim Betrachten der alten<br />
Gegenstände wertschätzt und dadurch auch den unmittelbaren Nutzen für sie selbst. Sie sieht<br />
allerdings keine Möglichkeit, dass solche kontemplative Erinnerungsarbeit unter den gegebenen<br />
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Schnelllebigkeit auch von den nachfolgenden<br />
Generationen weiter betrieben wird – durch die Generation ihrer Kinder bzw. durch die Generation<br />
der Erbin des „Schaffwerks“. Sie meint, wenn die alten Leute wegstürben, die Peter<br />
Kramer schätzten, dann könne dessen Werk wohl kaum mehr jemand verstehen.<br />
Eine Möglichkeit, etwas an den gegebenen Rahmenbedingungen des schnelllebigen modernen<br />
Lebens zu ändern, sieht die befragte Sammlerin nicht – da ist sie ganz „Praktikerin“.<br />
Milieuübergreifende Begegnungen – Indirekter Nutzen für Entwicklungsinteressierte<br />
Der indirekte Nutzen des „Schaffwerks“ als Beitrag für Veränderungen in der Kultur seines<br />
Umgebungsmilieus − für eine bunte Gesellschaft, milieuübergreifende Begegnungen bzw.<br />
kulturelle Öffnung – wurde in unserem Erkundungsprojekt bezeichnenderweise von solchen<br />
Befragten klar artikuliert, die zwar in Verbindung mit Peter Kramer, seinem „Schaffwerk“<br />
und dessen Umgebung standen, selbst aber nicht direkt zum kleinbürgerlichen Arbeitermilieu<br />
des Schaffers gehörten.<br />
Der indirekte Nutzen des „Schaffwerks“ scheint für diese Menschen (auch) darin zu bestehen,<br />
sich aus der empfundenen Enge dieses Umgebungsmilieus ein Stück weit befreien zu können<br />
und dabei gleichzeitig die Bindungen innerhalb einer gemeinsamen Wertegemeinschaft zu<br />
erhalten.<br />
61 Videodokument 27.7.11<br />
40
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Bei unserer Erhebung der Sichtweisen unterschiedlicher Bezugspersonen(gruppen) von Peter<br />
Kramer wurden unterschiedliche Nutzenvorstellungen erkennbar. Diese sind offensichtlich<br />
(auch) milieuabhängig. Die unterschiedlichen Bewertungen lassen sich als Folge jeweils unterschiedlicher<br />
milieuspezifischer Nutzenvorstellungen verstehen, die Teil des typischen Habitus<br />
bzw. der kulturellen Identität des jeweiligen Milieus sind (vgl. Heiser: 21). Nähe bzw.<br />
Abstand zum Herkunftsmilieu Peter Kramers wirken offenbar auf die Art und Weise zurück,<br />
wie relevante Personen(gruppen) aus dessen Umfeld sein „Schaffwerk“ wertschätzen.<br />
5.2.4 Relation − wie der Abstand die Wertschätzung verändert<br />
Milieus als Verbindungen und Abstandhalter für Wertgemeinschaften<br />
Milieus sind Ausdruck des menschlichen Bedürfnisses, mit Menschen verbunden zu sein.<br />
Doch entstehen Milieus zugleich auch in der bewussten Abgrenzung von Anderen (vgl. Joas<br />
2001). <strong>Das</strong> bodenständige Milieu im Umfeld des „Schaffwerks“ distanziert sich, so berichteten<br />
es der Geschichtslehrer und seine Frau, traditionell von Fremden, von Menschen fremder<br />
geografischer Herkunft. Reserviert steht man in diesem Milieu aber offenbar auch fremd anmutenden<br />
Lebensstilen gegenüber. Wer z. B. intellektuell erscheint oder sich besonders der<br />
Selbstverwirklichung widmet, wirkt in den Augen der Bodenständigen schnell arrogant und<br />
kommt in diesem Schaffermilieu nicht gut an – so schätzt die Tochter Peter Kramers, das Milieu<br />
ein, in dem sie aufwuchs. 62<br />
Sabine Kramer erzählte, dass sie vor allem Männer in diesem Umfeld als dominant erlebt habe<br />
und noch erlebe, die „laut“ seien, „derb“ und „breitbeinig dastehen“. Es ist eine bestimmte<br />
Mentalität des Umfeldes, die sie wie offenbar auch andere Befragte aus dem Kreis<br />
der „Schaffwerk“- Wertschätzenden als dominierend und beengend empfindet. 63 Diese Mentalität<br />
macht sie auch an der Körpersprache fest, die für sie offenbar die Männer dieses Milieus<br />
zu verbinden scheint und sie von anderen abgrenzt.<br />
Wie Menschen in Milieus zusammenfinden und sich von anderen Menschen abgrenzen, hat<br />
Pierre Bourdieu plausibel beschrieben: Ein praktischer sozialer Orientierungssinn leitet Menschen<br />
bei ihren Positionierungen im sozialen Raum, sie haben ein Gefühl für die „standesgemäßen<br />
Plätze“ für sich selbst und für andere, auch ohne dies zu reflektieren ‒ „begriffsloses<br />
Erkennen“ nennt das Bourdieu (Bourdieu 1987: 734). Bedingt durch ihre jeweiligen spezifischen<br />
Lebensbedingungen haben die Individuen und gesellschaftlichen Teilgruppierungen<br />
einen jeweils spezifischen Habitus entwickelt, der ihre Wahrnehmungen und Handlungen<br />
prägt. Der Habitus ist, „was man erworben hat, was aber in Form dauerhafter Dispositionen<br />
dauerhaft körperliche Gestalt angenommen hat“ (Bourdieu 1993: 127). Der Habitus ist also<br />
sozusagen Körper gewordene Sozialisationsgeschichte, diese in jeder Haltung, in jeder Bewegung<br />
reflektierend ‒ und auch im Lebensstil. Menschen mit ähnlichen Mentalitäten, Formen<br />
der Lebensführung bzw. Lebensstilen finden sich in gemeinsamen Milieus ‒ Bourdieu spricht<br />
vom homologen Habitus (vgl.: Bourdieu 1987: 286 ff.) ‒ sie finden in einem oft selbstläufig<br />
erscheinenden Prozess zueinander.<br />
In Anlehnung an Emile Durkheim bezeichnet die Milieuforschungsgruppe um Michael Vester<br />
mit Milieus zunächst „soziale Gruppen, die aufgrund gemeinsamer Beziehungen (der Verwandtschaft,<br />
der Nachbarschaft oder der Arbeit) einen „Korpus moralischer Regeln“ entwickeln“<br />
(Vester et al. 2001: 16). Diese verfestigen sich zu Mentalitäten, zu spezifischen Formen<br />
der Lebensführung und Lebensstile, die jeweils typisch sind für spezifische Lebensbedingungen.<br />
62 Vgl. u. a.: Feldnotiz 21.8.11 – Gespräch mit Peter Kramers Tochter<br />
63 Vgl. u. a.: Feldnotiz 20.6.11 – Gespräch mit Peter Kramers Tochter<br />
41
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Die Gruppe der wertschätzenden Menschen aus dem Umfeld des „Schaffwerks“ besteht aus<br />
Menschen, die dem Habitus des Herkunftsmilieus und den damit verbundenen Wertorientierungen<br />
mehr oder weniger nah bzw. fern stehen.<br />
Wenngleich ich nicht trennscharf zu beschreiben vermag, wo genau dieses Milieu beginnt und<br />
wer nicht mehr dazu gehört, so lassen die Erfahrungen im Rahmen unseres Erkundungsprojektes<br />
in Verbindung mit Hinweisen aus der Literatur zur Milieutheorie aus meiner Sicht doch<br />
eine grobe Einordnung zu. Eine solche Einordnung der Relationen wertschätzender Sichtweisen<br />
auf das „Schaffwerk“ zum Herkunftsmilieu des Schaffers erscheint mir wichtig im Hinblick<br />
auf die (Er-)klärung wesentlicher Zusammenhänge bei der Konstruktion von Wertschätzung.<br />
Dieses Herkunftsmilieu will ich wie folgt umreißen:<br />
Bodenständig – <strong>Das</strong> Bezugsmilieu für den Schaffer und sein „Schaffwerk“<br />
Die Gesellungsformen sind bodenständig hier (vgl. Vester et al. 2001: 486 ff.), man redet<br />
breites Pfullinger Schwäbisch und zeigt selbstbewusst, dass man sich in einer schönen Gegend<br />
zu Hause fühlt. Immer wieder sprachen Leute während unserer Erkundungen die Landschaft<br />
an, die schwäbische Alb, die das Leben in Pfullingen besonders lebenswert mache.<br />
Es waren überwiegend Männer aus Peter Kramers Herkunftsmilieu, die wir im Umfeld des<br />
„Schaffwerks“ trafen. Was sie zu sagen haben, sagen sie gerne auch mal laut und in derben<br />
Worten. Ansonsten zeigt man sich aber durchaus bescheiden in Peter Kramers Heimatmilieu.<br />
Man hat hier Ehrfurcht vor Menschen mit höherem gesellschaftlichem Status. Wenn ihr Vater<br />
den Bürgermeister oder gesellschaftlich bedeutende Leute getroffen habe, dann habe er sicherlich<br />
immer freundlich gegrüßt und den Respekt erwiesen, sagt Peter Kramers Tochter 64 .<br />
„Traditionelle Werte wie Disziplin, Ordnung, Pflichterfüllung und Verlässlichkeit“ (Vester et<br />
al. 2001: 518) stehen hier weit oben auf der Werteskala. Mehrfach sprachen die Leute aus<br />
dem traditionellen Milieu die Verlässlichkeit Peter Kramers an, die er als Wirt des Schönberg-<br />
Kiosks gezeigt habe. Man konnte sich darauf verlassen, dass der „Schemberg-Peter“ regelmäßig<br />
aufmachte. <strong>Das</strong> war bei seinen Nachfolgern nicht mehr so und in diesem Lichte scheint<br />
man ihn besonders zu schätzen.<br />
Auch der Wert Familie hat hier einen ausgesprochen hohen Stellenwert, ebenso wie die Arbeit<br />
– Schaffen ist wichtig im Pfullinger Heimatmilieu.<br />
Es sind industrielle Facharbeiter, wie es auch der Hochdruckruckrohrschlosser Peter Kramer<br />
selbst einer war, denen wir hier begegnen und es finden sich viele Handwerker hier im Umgebungsmilieu<br />
des „Schaffwerks“ und als Ausdruck davon beispielsweise auf der Kondolenzliste<br />
der Trauerfeier. Es sind auch kleine Selbständige darunter − der KFZ-Mechaniker beispielsweise,<br />
der eine Werkstatt, eine Tankstelle und darin integriert ein kleine Kneipe betrieb,<br />
in die Peter Kramer früher nach der Arbeit immer einkehrte.<br />
Kleinbürgerliches Arbeitnehmermilieu nennt die Milieuforschungsgruppe um Michael Vester<br />
Lebensstilgemeinschaften wie die hier beschriebene im Umfeld des Pfullinger „Schaffwerks“.<br />
Dieses Milieu bildet zugleich eine traditionelle Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten und<br />
gemeinsamen Regeln.<br />
Zu den spezifischen Lebensbedingungen des Milieus gehört auch ein spezifischer Bildungshintergrund.<br />
Es sind vor allem Menschen mit Haupt- bzw. Volksschulabschluss, die zu Peter<br />
Kramers Herkunftsmilieu gehören. Nicht dazu gehört beispielsweise, der Vorsitzende der<br />
Senioren-CDU, den ich bei Kaffee und Hefezopf am Tag der Trauerfeier im Schaffwerk traf,<br />
der abseits der anderen gebürtigen Pfullinger saß und als einziger Schwabe gleich Hochdeutsch<br />
sprach, als er die Kamera sah. Er erzählte, dass er mit Peter zur Grundschule gegangen<br />
war. Dann trennten sich die – milieuspezifischen – Wege. Er ging aufs Progymnasium<br />
64 Feldnotiz 5.5.11<br />
42
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
und Peter Kramer auf die Volksschule und lernte einen praktischen Beruf – wie viele in seinem<br />
Milieu.<br />
Als Hochdruckrohrschlosser gehörte er zu den selbstbewussten Berufsgruppen in diesem<br />
kleinbürgerlichen Arbeitnehmermilieu. Gleichwohl galt für ihn wie für die anderen Zugehörigen<br />
dieses Milieus die mentalitätsprägende moralische Regel, dass Arbeit vor allem der<br />
Pflichterfüllung und nicht der Selbstverwirklichung zu dienen habe (vgl. Vester et al. 2001:<br />
519).<br />
Außenstehend – Von weitem wird die Kunst geschätzt<br />
Anderen Regeln folgen der von uns befragte Pfullinger Künstler, aber auch der studierte Textildesigner,<br />
der in seiner Freizeit aus Altmaterialien ungewöhnliche Fahrräder baut und an<br />
verschiedenen anderen experimentellen Projekten arbeitet. Für sie und wohl auch für einige –<br />
aber eher wenige − weitere Menschen aus dem sozialen Netzwerk von Peter Kramer ist<br />
Selbstverwirklichung bzw. die Entfaltung der eigenen Potenziale offenbar durchaus ein wichtiger<br />
handlungsleitender Wert. Sie sind aber auch nicht Teil des oben beschriebenen Milieus.<br />
Geografische Herkunft, Bildungsgrad und teilweise der Lebensstil unterscheiden sich von<br />
Peter Kramers Herkunftsmilieu.<br />
Der Textildesigner aus der Großstadt ist es, der Peter Kramer in unserem Gespräch am deutlichsten<br />
unter den Befragten als Künstler etikettierte – „Künstler durch und durch“ 65 sei dieser<br />
gewesen.<br />
Schon etwas vorsichtiger scheint der Mann zu sein, der anders als der vorgenannte selbst in<br />
Pfullingen lebt, Lehrer war und als Künstler schafft. Er sieht ihn als Künstler, aber auch als<br />
bodenverhaftet. Mit dem Etikett „Über-Lebens-Künstler“ wählte er eine Zuschreibung, die<br />
vieldeutiger ist und die sich bei der Ausstellung Pfullinger Künstler auch als anschlussfähig<br />
für das Herkunftsmilieu Peter Kramers erwies. Dort haben nämlich nach Auskunft unseres<br />
Interviewpartners viele Leute positiv auf seine Installation zur Würdigung des „Schaffers“<br />
reagiert.<br />
Auch der Geschichtslehrer und seine Frau haben sowohl bezüglich des Bildungsgrades als<br />
auch bezüglich der geografischen Herkunft Abstand zum Heimatmilieu Peter Kramers. Der<br />
Lehrer knüpfte aber offenbar, nachdem er vor 30 Jahren zugezogen war, Kontakte zu Leuten<br />
aus diesem Milieu. Er sei damals auch ein „Hock“ gewesen, der am Wochende beim<br />
„Schemberg -Wirt“ oben auf dem Berg saß. „So han i dann au irgendwann an den Pfullinger<br />
Disch hocka dürfa“, 66 berichtete er. Er pflegte also mit diesen Pfullingern die bodenständige<br />
Geselligkeit, die Teil ihres Lebensstils ist.<br />
In seiner Trauerrede bezeichnete der Geschichtslehrer Peter Kramer als „Grenzgänger“.<br />
Salomonisch nahm er Peter Kramer dabei nicht aus seinem Herkunftsmilieu heraus, sondern<br />
verortete dessen Platz an der Grenze und deutet „den Künstler“ eher am Rande an. An den<br />
verstorbenen Freund gewandt, sagte er damals: „Du warst in vieler Hinsicht ein Grenzgänger.<br />
Etwas, das vielen künstlerischen Geistern zu Eigen ist“. 67<br />
Die Sammlerin kommt ebenfalls nicht aus Pfullingen. Sie stammt aus einer Handwerkerfamilie,<br />
wobei der Vater im Laufe seines Lebens gesellschaftlich steil aufgestiegen war. Sie selbst<br />
betont allerdings das Einfache, Bodenständige. Beispielsweise erwähnt sie in unserem Ge-<br />
65 Videodokument 7.3.11/2<br />
66 Videodokument 27.1.11<br />
67 Dokument 15.10.10/2<br />
43
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
spräch, dass ihr die Leute aus besseren Kreisen an ihrem Heimatort in der Jugend „arrogant“<br />
erschienen waren.<br />
Für die Sammlerin ist Peter Kramer vor allem ein Sammler alter Gegenstände – ein „Sinnesgenosse“<br />
von ihr, wie sie sagte. Als ich fragte, ob er aus ihrer Sicht ein Künstler war, nannte<br />
sie ihn einen „Lebenskünstler“ und das „Schaffwerk“ sieht sie als „sein „Lebenswerk“. 68<br />
Der Bergwachtfreund von Peter Kramer, mit dem wir ein längeres Interview führten, ist in<br />
Pfullingen aufgewachsen und hat hier sein bisheriges Leben gelebt. Allerdings war er als Mechaniker<br />
mehrfach für längere Zeit im Ausland.<br />
Dies und auch, dass er sich in unserem Gespräch erkennbar vom Pfullinger Konservatismus<br />
abgrenzt, unterscheidet ihn vom idealtypischen Mitglied der traditionellen Wertegemeinschaft<br />
um das „Schaffwerk“ herum. Dennoch scheint er sich, wie auch Peter Kramer selbst, gewissermaßen<br />
im Gravitationsfeld dieser Wertegemeinschaft zu befinden. Er ist es, der darauf<br />
aufmerksam macht, dass Peter es sich nicht herausgenommen habe, sich als Künstler zu bezeichnen.<br />
Dennoch gibt er einen kleinen Hinweis darauf, dass er selbst „den Künstler“ in Peter<br />
wohl nicht für ganz ausgeschlossen hält: Wenn einer „ein künstlerisches Auge“ habe, sagt<br />
er, dann könne er da schon etwas erkennen. 69<br />
Im Blick auf das Milieu zeichnet sich ein Zusammenhang ab:<br />
Je größer der Abstand der Befragten zum Herkunftsmilieu Peter Kramers, desto eher kann<br />
dieser als Künstler wertgeschätzt werden – im Sinne von jemandem, der durch sein Suchen<br />
und Gestalten – durch eine solche Art von Werk bzw. Beitrag – einen anregenden und vielleicht<br />
auch verunsichernden Resonanzboden schafft und damit indirekt etwas zur Gemeinschaft<br />
beiträgt.<br />
Die Orientierung am indirekten Nutzen und damit die Wertschätzung für den indirekten Beitrag<br />
zum Wohl der Gemeinschaft scheinen eher für jene möglich zu sein, die durch einen gewissen<br />
Abstand zum Herkunftsmilieu eher die Möglichkeit der Reflexion haben.<br />
Den Künstler Peter Kramer zu schätzen, der das Leben aus dem „Abstand des Künstlers“ betrachtet,<br />
scheint schwierig zu sein, wenn man dessen traditionellem Herkunftsmilieu eng verbunden<br />
ist. Diesbezügliche Wertschätzung wird dann offenbar entweder gar nicht formuliert<br />
oder aber eher versteckt.<br />
Es scheint aber auch so zu sein, dass manchmal diejenigen mit mehr Abstand für jene mit<br />
weniger Abstand eine Unterstützung sind, um auch den Künstler zu schätzen, der im Rahmen<br />
der Werte bzw. Koventionen des Pfullinger „Heimatmilieus“ nicht viel gilt, weil ein unmittelbarer<br />
Beitrag bzw. Nutzen seines Schaffens vielleicht (noch) nicht erkennbar ist.<br />
Interessant erscheint es mir in diesem Zusammenhang, dass Peters Freund von der Bergwacht<br />
in unserem Interview nach seinem Hinweis auf das „künstlerische Auge“, das man brauche,<br />
um dies künstlerische Seite von Peter Kramer zu schätzen, den Namen des von uns ebenfalls<br />
befragten Pfullinger Künstlers nannte und meinte, dieser habe „da schon etwas gesehen“.<br />
Hier könnte sich andeuten, wie der „milieunahe“ Freund den auch auf Grund seines Abstandes<br />
möglicherweise eher legitimierten Experten für den künstlerischen Blick gleichsam als<br />
Unterstützung nutzt und sich so der Wertschätzung des künstlerischen Beitrags seines Freundes<br />
zur Wohlfahrt annähert.<br />
Abstandsvariationen – Wertorientierungen im Entwicklungsprozess<br />
68 Videodokument 27.7.11<br />
69 Videodokument 7.3.11<br />
44
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Wirkungen des Gravitationsfeldes der moralischen Regeln von Peter Kramers Heimatmilieu<br />
auf dessen Wertschätzung lassen sich auch in den Erfahrungen seiner Tochter nachzeichnen:<br />
Sie habe sich früher immer wieder geschämt, erzählte sie, wenn der Vater öffentlich Späße<br />
trieb, wenn er beispielsweise zu Theatervorstellungen als Zuschauer ging und dann dort selbst<br />
verkleidet und laut die Aufmerksamkeit auf sich zog.<br />
Peter Kramer verstieß bei solchen Anlässen regelmäßig gegen Konventionen seiner Wertegemeinschaft<br />
und seine Tochter schämte sich offenbar stellvertretend für ihren Vater. Scham<br />
und Schamangst regulieren in Gemeinschaften mit enger Verbundenheit und hoher Konformität<br />
das Zusammenleben (vgl. List 2009: 120). Sie sind Ausdruck „drohender Differenz zu den<br />
anderen“ (ebd.).<br />
Die Tochter ist in Pfullingen in einem Milieu mit relativ hohen Konformitätserwartungen aufgewachsen.<br />
Dieses Milieu hat sie zwar mit dem Erwachsenwerden verlassen. In anderen Bezügen<br />
veränderte sich der Maßstab ihrer Werte. Der Wert der Entfaltung eigener Fähigkeiten<br />
beispielsweise bekam gegenüber dem Wert der Arbeit als Verpflichtung im Laufe ihres Lebens<br />
offenbar mehr Gewicht.<br />
Gleichwohl wirken auch in der Gegenwart die moralischen Regeln ihres Pfullinger Herkunftsmilieus<br />
offenbar weiter. Sie fühle sich den Leuten in Pfullingen verpflichtet, sagte sie.<br />
Auch empfinde sie die Pflicht, ihren Vater öffentlich wert zu schätzen.<br />
Ob sie dabei eher dessen indirekten Beitrag als Künstler zum Wohl der Gemeinschaft oder<br />
eher den direkten Nutzen als Spaßmacher in den Vordergrund stellen kann, hängt auch von<br />
der inneren Nähe oder Distanz zu ihrem Herkunftsmilieu ab. Dieser Abstand und damit der<br />
Maßstab für Wertschätzung ändern sich mit Entwicklungsprozessen. − Aber das gilt nicht nur<br />
für sie, das galt wohl auch für ihren Vater.<br />
.<br />
5.3 Bindung und Lösung – Aushandlung von Wertschätzung im Lauf der<br />
Zeit<br />
Die moralischen Regeln des Pfullinger Heimatmilieus bilden ein „Korsett“, das je nachdem,<br />
welche subjektiven und gesellschaftlichen Bedürfnisse bzw. Bedarfe gerade vorherrschend<br />
sind, eher Sicherheitsgefühle und Stabilität oder eher Enge-Gefühle und Erstarrung bewirken.<br />
Wenn sich im Laufe persönlicher Biografien bzw. gesellschaftlicher Entwicklungen solche<br />
Bedürfnisse und Bedarfe grundlegend verändern, kann es notwendig werden, das traditionelle<br />
Wertesystem und die daraus folgenden moralischen Regeln zu überdenken, gegebenenfalls<br />
auch zu verändern. In diesem Sinne lässt sich das Pfullinger „Schaffwerk“ nach meiner Einschätzung<br />
im Kontext einer Situation verstehen, in welcher tradierte Werte und Wertgemeinschaften<br />
sich zu verflüssigen begonnen haben, neue Orientierungen und Zugehörigkeiten aber<br />
noch nicht stabil „herauskristallisiert“ werden konnten. Sowohl für den Schaffer Peter Kramer<br />
als auch für die ihn und sein „Schaffwerk“ umgebende Gemeinschaft ging es darum, Wertschätzung<br />
im Lauf der Zeit unter sich verändernden Bedingungen immer wieder neu auszuhandeln.<br />
Hierfür machte das „Schaffwerk“ Sinn für Peter Kramer und in diesem Zusammenhang<br />
hatte sein Schaffen Bedeutung für die Gemeinschaft.<br />
Die Person im Zentrum unserer Betrachtungen und die Menschen um ihn herum stellten in<br />
diesem Prozess im Lauf der Zeit wertschätzende Bindungen her. Manche sozialen und kulturellen<br />
Bindungen dagegen wurden gelöst bzw. gelockert. Wertschätzung wurde bzw. wird im<br />
Spannungsfeld von Bindung und Lösung ausgehandelt – das zeigen die folgenden Geschichten<br />
vom persönlichen Sinn und der kollektiven Bedeutung des „Schaffwerks“.<br />
5.3.1 Aushandlung I − Eine Geschichte vom Sinn für sich selbst<br />
„Als er einmal seinen Sinn gefunden hatte, war ihm das egal“ – Sinn und Zugehörigkeit<br />
45
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
<strong>Das</strong> Schaffen von Peter Kramer fand in dessen Heimatmilieu keine ungeteilte Anerkennung.<br />
Aber „wo er amol sein Sinn gfonda hot, no war ihm des egal.“, sagte Peters Freund, der Geschichtslehrer<br />
70 .<br />
Der persönliche Sinn, den das „Schaffwerk“ für seinen Schaffer möglicherweise stiftete und<br />
dessen Entdeckung − wie es unser Interviewpartner meinte − diesen unabhängiger von der<br />
Anerkennung seines Umgebungsmilieus gemacht habe spricht die Frage an, was das Haus für<br />
Peter Kramer selbst bedeutet hat, welchen Sinn das Haus für ihn in Verbindung mit seinem<br />
Leben gemacht hat – in Verbindung mit Fragen nach der eigenen Identität.<br />
„Wer bin ich, wer war ich und wer werde ich sein?“ (Straus 2008: 4) – <strong>Das</strong> Haus in der Gönnerstraße<br />
112 im Lichte dieser zentralen menschlichen Lebensfragen zu betrachten, erweist<br />
sich als klärend und lässt weitere Zusammenhänge im vermeintlichen Durcheinander oder<br />
Nebeneinander der gesammelten Fundstücke, Beobachtungen und Erzählungen unseres Aktionsforschungsprojektes<br />
erkennen.<br />
Der eigene Sinn bzw. der „Eigensinn“ des Menschen kann nach meinem Verständnis immer<br />
nur bezogen auf andere Menschen entstehen und steht zugleich in einem spannungsvollen<br />
Verhältnis zum Bedürfnis des Menschen nach Zugehörigkeit in der Gemeinschaft.<br />
Im Spannungsfeld zwischen „eigensinniger“ Unabhängigkeit und Zugehörigkeit stellt sich für<br />
das Individuum die Frage: „Wie erreiche ich mit dem, was ich tue und wie ich mich darstelle<br />
Anerkennung von signifikanten Anderen?“ (Straus 2008: 9). Diese subjektiv bedeutenden<br />
Anderen sind die Bezugspersonen des Einzelnen, die für ihn bedeutenden Menschen seiner<br />
sozialen Umgebung. An deren Werten bemisst sich die Wertschätzung, die der Einzelne bzw.<br />
die Einzelne für sein bzw. ihr Handeln erwarten kann.<br />
Für Peter Kramer, das will ich zeigen, hat sich der Kreis der „signifikanten Anderen“ im Laufe<br />
seines Lebens verändert. Auch durch seine eigenen Handlungsstrategien hat er neue Bezüge<br />
erschlossen und dadurch ist er unabhängiger vom Wertmaßstab seines Pfullinger „Heimatmilieus“<br />
geworden.<br />
Im Folgenden will ich die Biografie Peter Kramers im Lichte der Frage nach dem persönlichen<br />
Sinn in Verbindung mit der Frage nach Zugehörigkeit betrachten. Grundlage hierfür sind<br />
Informationen bzw. Erkenntnisse aus unserem Erkundungsprojekt und mein Ziel ist es, ein<br />
Bild zu skizzieren vom „Schaffwerk“ als Mittel und als Ausdruck der Bindung und der Lockerung<br />
von Wertbezügen Peter Kramers zu seinem Pfullinger Herkunftsmilieu.<br />
„Der hat seinen Vater gar nicht gekannt“ − Die Vorgeschichte<br />
Ein „Unikum“ sei der Peter gewesen, hörte ich bei unseren Aktionsforschungsinterviews mit<br />
Pfullingerinnen und Pfullingern immer wieder. 71 Vielfach wird von seinem sozialen Umfeld<br />
auf die Besonderheiten des Schaffwerk – Schaffers hingewiesen, auch auf besondere „Probleme“:<br />
„Em Peter sei Broblem war en erschter Linie durch des, der hat jo sein Vadder gar edd<br />
kennt“, erklärte ungefragt der alte Bergwacht-Kamerad von Peter am Rande der Trauerfeier. 72<br />
Auch habe es in der Familie in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg hinten und vorne gefehlt.<br />
Und darüber hinaus sei Peter im Unterschied zu seinem Umfeld als Einzelkind aufgewachsen<br />
– „Mir en dr Nochbrschaft, warad älle zwoi, drei Kender en einer Familie“, meinte der über<br />
70 Interview 27.1.11<br />
71 vgl. u.a. Videodokumentation 19.3.11<br />
72 Videodokument 15.10.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
70jährige Mann, der Peter von Geburt an gekannt hatte. 73 Ohne Vater und als Einzelkind<br />
scheint für Peter die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft unter erschwerenden Vorzeichen gestanden<br />
zu haben. Er habe den Vater sehr vermisst, erzählte sein Freund, der Geschichtslehrer.<br />
Als Schwierigkeit für Peter „hineinzukommen“ umschrieb er diese Ausgangssituation und<br />
bezog sich dabei auf Gespräche, die er selbst mit Peter darüber geführt habe. 74<br />
Sinn und Zugehörigkeit in seinem Leben herzustellen, stellten für den jungen Peter Kramer in<br />
der ihn umgebenden Pfullinger Nachkriegsgemeinschaft wohl eine Herausforderung dar, die<br />
erhebliche Anstrengungen von ihm abverlangten. Er wuchs als Junge ohne Vater in ein männerdominiertes<br />
Milieu hinein – mehr als bei anderen Jungen war sein Alltag als Kind offenbar<br />
aber vorwiegend von Frauen geprägt.<br />
In seiner Jugend sei Anerkennung für Peter Kramer sehr wichtig gewesen, erzählte der Geschichtslehrer,<br />
und vor allem über den Sport habe er sie bekommen 75 – „Früher fuhr er Radrennen,<br />
wo er sogar die eine und andere Gaumeisterschaft gewann“, hebt auch die Tochter<br />
in ihrer Trauerrede diesen Aspekt hervor. 76<br />
Sport kann Akzeptanz verschaffen und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ermöglichen − nicht<br />
zuletzt auch im Rahmen teilweise recht anspruchsvoller Touren mit seinen Bergkameraden<br />
konnte er wohl diese Erfahrung machen.<br />
Wegen einer schwerwiegenden Knieverletzung wurde der sportliche Bewältigungsweg aber<br />
zunehmend schwieriger und die Wertschätzung für seine Leistungen als Sportler brüchiger. Je<br />
schwieriger die sportorientieren Wege wurden, desto mehr rückte er andere Strategien zum<br />
Erreichen von Wertschätzung ins Zentrum seines Handelns. In der Erwerbsarbeit setzte er<br />
seine handwerklichen Fähigkeiten hierfür ein und im Pfullinger Gemeinwesen setzte er offenbar<br />
mehr und mehr auf kommunikative Kompetenzen und Kreativität, um Dinge zu tun, die<br />
ihm persönlich sinnvoll erschienen und dabei gleichzeitig einerseits seinen persönlichen Sinn<br />
zu weiter zu entwickeln und andererseits für seine „eigensinnigen“ Beiträge wertgeschätzt zu<br />
werden. Mehr und mehr richtete sich sein Handeln dabei auf die Sorgearbeit für eine gute<br />
Atmosphäre und die Sorgearbeit für entwertete Werte.<br />
Zunehmend im Lauf der Zeit erreichte Peter Kramer Anerkennung, indem er „Inszenierungen“<br />
kreierte, in dessen Zentrum er selbst stand. Zunächst waren es offenbar noch eher situative<br />
Inszenierungen bei Festen bzw. an den Wochenenden − wenn er zum „Schemberg-Wirt“<br />
wurde. Auf „seinem“ Schönberg und auch bei ungebetenen − aber trotzdem für manche Pfullinger/innen<br />
willkommenen − „Auftritten“ im Rahmen von Hocketen, anderen öffentlichen<br />
Anlässen und auf privaten Festen, wie Hochzeiten, nahm er prägende Rollen ein. <strong>Das</strong> heißt, er<br />
konnte in bestimmten Grenzen die Atmosphäre in diesen Situationen (mit-) bestimmen und<br />
teilweise auch die moralischen Regeln. Oft sorgte er vor allem durch humoristische Aktionen<br />
für Gelächter und gute Stimmung. Er habe eine Atmosphäre geschaffen, so dass man sich<br />
habe wohlfühlen können, berichten fast alle Befragten.<br />
Diese Wertschätzung erwies sich allerdings zunehmend als eine geteilte und auch brüchige.<br />
Der Albverein als Verpächter des Kiosks im Turm schien immer weniger begeistert von den<br />
skurrilen Späßen des „Schemberg – Wirts“ und vielleicht auch von seinem Alkoholkonsum.<br />
Auch die Wertschätzung der Gäste war unterschiedlich. Es gab viele, die Peters Tätigkeit als<br />
wichtigen Beitrag zur örtlichen Geselligkeit schätzten. Es gab aber auch andere Stammbesucherinnen,<br />
die kaum oder keine positive Wertschätzung zeigten. Einer seiner Freunde meint,<br />
das liege daran, dass viele Leute über Peters diesbezüglichen Beitrag zum Gemeinwohl nicht<br />
nachgedacht hätten, dass sie sich seiner Leistungen nicht bewusst seien: „I denk, d´ Leut hen<br />
73 Videodokumentation 15.10.10<br />
74 Interview 27.1.11<br />
75 Interview 7.3.11<br />
76 Dokument 15.10.10<br />
47
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
do net drüber reflektiert, was dr Peter do ihne entgegabrocht hot, dass se sich wohlfühla<br />
könnat, dass, dass se bloß naufkomma müßad ond alles ischd emmer do, (…). Jo, se hend<br />
bloß nauf müssa.“ 77<br />
Es waren wohl nicht zuletzt die teilweise fehlende Wertschätzung im Heimatmilieu, die Auflösung<br />
der bisherigen Familienstruktur durch Scheidung der Ehe und insbesondere das Ende<br />
der Erwerbsbiografie, die schließlich seine Aktivitäten immer mehr in Richtung „Schaffwerk“<br />
– Projekt Gönninger Straße 112 lenkten.<br />
Die Befragten in unserem Erkundungsprojekt berichteten übereinstimmend, dass es Peter<br />
Kramer beim Kauf des Hauses zunächst darum gegangen sei, das alte Bauernhaus zu erhalten<br />
und zu verhindern, dass anstelle dessen dort eine moderne Wohnanlage entstehen könnte –<br />
dies hatte er offenbar befürchtet.<br />
Im weiteren Verlauf jedoch stellte sich das Projekt offenbar als eine ergiebige Möglichkeit für<br />
Peter Kramer zur gestalterischen Bearbeitung seiner persönlichen Lebensthemen bzw. Sinnfragen<br />
heraus.<br />
„Ein Mann schmiedet sein Leben in Kreise“ – <strong>Das</strong> „Schaffwerk“ als Sinnfindungsprojekt<br />
„Ein Mann schmiedet sein Leben in Kreise“ – so überschrieb eine Lokaljournalistin im Jahr<br />
2005 einen Artikel über Peter Kramers Haus und Grundstück in der Gönninger Straße 78 . Der<br />
Titel bezieht sich auf die „wagenradgroßen geschmiedeten Kreise, die seinen Gartenzaun<br />
entlang des Eierbachs bilden. Der Zaun spiegelt das wider, was Peter Kramer wichtig ist.<br />
„Hier sind die Stalagmiten und Stalagtiten, die für mich die Geschichte der Erde symbolisieren“,<br />
zeigt der Pfullinger auf die Formen, die wie eiserne Zähne aus dem Rund ragen. Gleich<br />
daneben eine zu Metall gewordene Schützenscheibe („schließlich bin ich im Schützenverein“)<br />
und dann folgt ein Wagenrad mit dem Schönbergturm („dort habe ich 32 Jahre lang jeden<br />
Sonn- und Feiertag den Wirtsdienst gemacht“). Die Reihe ist noch nicht zu Ende: <strong>Das</strong> Bergwacht-Kreuz<br />
ist im nächsten Metall-Kreis zu finden, schließlich ist Kramer auch hier Mitglied.<br />
Es folgen Sonne, Mond und Sterne und die olympischen Ringe, denn der Mann ist auch<br />
noch Sportfan. Ach ja: Eine Weinrebe und Brezeln, die er ebenfalls in die Räder geschmiedet<br />
hat, sprechen für sich. Kramer hat sein Lieblingsgetränk und seine Lieblingsspeise am Gartenzaun<br />
verewigt“ 79 – er hat dabei etwas vom persönlichen Sinn seines Lebens herausgearbeitet<br />
und weiter bearbeitet. Für diese sinnvolle und sinnstiftende Arbeit machte er sich nicht<br />
zuletzt Fähigkeiten zu Nutze, die er im Laufe seines Erwerbsarbeitslebens erworben hatte.<br />
Ein Bewahrer und Sammler alter geschichtsträchtiger Dinge war Peter Kramer schon vor dem<br />
Erwerb des Bauernhauses gewesen. Er sammelte alte Bügeleisen, Bierkrüge, Bierdeckel,<br />
Waffen, Sensen, Rechen und vieles mehr. Mit dem neuen alten Haus hatte er nun mehr Platz<br />
für diese Sammlerstücke. <strong>Das</strong>s er die Dinge zu eigenen teilweise auch abstrakten Kunstwerken<br />
weiterverarbeitete, das war allerdings vor allem eine Entwicklung seiner späten Jahre.<br />
Der befragte Geschichtslehrer-Freund berichtete, dass das etwa 10 Jahre vor seinem Tod<br />
„umgeschlagen“ habe, wie er sagt. Damals, mit 58 Jahren, verlor Peter seine Erwerbsarbeit als<br />
Schlosser und trat auch bis zum Renteneintritt keine Stelle mehr an. <strong>Das</strong> Haus entwickelte<br />
sich nun immer mehr zum „Gesamtkunstwerk“ – so nannten es verschiedene Interviewpartner/innen<br />
aus seinem Umfeld. Der befragte Freund beschreibt die Entwicklung mit<br />
folgenden Worten: „Nocher isch er drauf komma, hot gsagt, do kennt i jetzt eigenlich doch<br />
was draus macha. Ond so hat er ogfanga, seine Kunschd zu entwickla, hon i da Eidruck ghet.<br />
On do hot er sich dann neiglebt. I han ihm au a baarmol saga miaßa: Peter, isch erschtaun-<br />
77 Videodokument 27.1.11<br />
78 Rupprecht 2005<br />
79 ebd.<br />
48
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
lich, als, wenn Du des net agfanga heddesch, heddesch jo koi Ziel mehr ghet.“ – „und“, sagte<br />
sein Freund, das habe Peter dann auch so bestätigt. 80<br />
Im Zentrum seiner Kunst scheint vor allem Peter Kramer selbst zu stehen. Nicht nur, dass er<br />
sein Leben in Kreise schmiedete – auch symbolisiert beispielsweise das Hufeisengitter vor<br />
einem der Fenster einen Familienstammbaum und die Holzwellen an der Grenze zum Gehweg<br />
stehen für die sieben Weltmeere, wie eine Nachbarstochter zu berichten wusste, und „wenn<br />
der Eierbach mal wieder hochkommt, wie es ja schon mal war, dann setzt er sich hier drauf<br />
und geht mit dem Eierbach runter." 81 So hatte es Peter Kramer ihr vor einigen Jahren erzählt.<br />
Er erzählte viele Geschichten und er schuf viel Stoff für Geschichten − Geschichten, die aus<br />
der Sicht vieler Menschen seiner Umgebung auch aus den Gegenständen sprechen, die er in<br />
seinem Pfullinger gesammelten Gesamtwerk präsentierte.<br />
Die vergegenständlichte Arbeit am persönlichen Sinn Peter Kramers ist eng verbunden −<br />
gleichsam materiell und ideell verschweißt − mit den gesammelten Gebrauchsgegenständen,<br />
mit den von ihnen erzählten Geschichten und Symbolen seiner Pfullinger Heimat. An vielen<br />
Stellen im Haus und im Garten kann man die Initialen „PK“ für Peter Kramer finden. Und<br />
ebenso auffällig sind die zahlreichen Wahrzeichen seines Wohnortes – auch der Eismann trägt<br />
das Pfullinger Wappen.<br />
Seine gestaltende Arbeit verband er mit der Sorge um alte Dinge bzw. entwertete Werte und<br />
mit seinem Gespür für das Atmosphärische – das Haus war nicht zuletzt auch ein „eigensinniger“<br />
Begegnungsort.<br />
Durch dieses „eigensinnige“ Haus aber konnte Peter Kramer vor allem auch die Bedingungen<br />
verbessern in dem für ihn maßgeblichen im Aushandlungsprozess von Wertschätzung.<br />
„Heimspiel“ − Persönliche Strategien im Aushandlungsprozess von Wertschätzung<br />
In der Gönninger Straße 112 schuf Peter Kramer sich verbesserte Bedingungen im Ringen um<br />
Anerkennung. Mit dem Haus an einer vielbefahrenen Ausfallstraße konnte er sich dauerhafte<br />
hohe Aufmerksamkeit sichern und erlangte mehr eigene Gestaltungsmöglichkeiten beim Aushandeln<br />
der Anerkennung seiner besonderen Leistungen durch Andere.<br />
Er organisierte sich – um es durch einen Vergleich mit Sportwettkämpfen zu illustrieren – ein<br />
permanentes „Heimspiel“ und erhöhte dadurch seine Erfolgschancen. Zwei sich ergänzende<br />
persönliche Handlungsstrategien von Peter Kramer lassen sich auf der Grundlage unserer Erkundungsergebnisse<br />
nachzeichnen. Es sind Strategien, deren strategisches Mittel das<br />
„Schaffwerk“ in der Gönninger Straße ist. <strong>Das</strong> Haus half, den Beitrag von Peter Kramer zur<br />
Wohlfahrt in ein günstiges Licht zu stellen. Darüber hinaus verband sich mit dem Haus eine<br />
Entwicklung, in deren Verlauf die Werte des Herkunftsmilieus für Peter Kramer nicht mehr<br />
die einzigen waren, an welchen er sein Schaffen messen lassen musste.<br />
1. Eine passende Bühne − Den eigenen Beitrag in ein günstiges Licht stellen<br />
Aus dem bis dahin auf bestimmte Zeiten und Situationen begrenzten Setting seiner öffentlichen<br />
Auftritte wurde eine Art Dauermitmachvorstellung. Dauerhaftigkeit und<br />
hohe Aufmerksamkeit gewann die Inszenierung dabei vor allem dadurch, dass sie als<br />
materialisierte Darstellung und Selbstdarstellung im Raum präsent war. <strong>Das</strong> Haus und<br />
der Garten darum herum entwickelten sich zu einer Erzählung Peters von sich selbst –<br />
zugleich aber auch von Pfullingen und der Welt. Er verband in seinem „Schaffwerk“<br />
Dinge, die im Hinblick auf seine persönlichen Sinnfragen Sinn machten, nicht zufällig<br />
mit dem, was auch für andere „Ur - Pfullinger“ von Bedeutung ist: Die gemeinsamen<br />
80 Interview 27.1.11<br />
81 Videodokument 15.10.10<br />
49
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Symbole, vermeintlich ausgebrauchte landwirtschaftliche Geräte, alte industrielle Apparaturen,<br />
Holz und altes Eisen etc. Solche Dinge machte Peter Kramer in den Augen<br />
vieler Menschen aus seinem sozialen Umfeld wieder „lebendig“, so beschrieben es<br />
Befragte im Rahmen des Aktionsforschungsprojektes.<br />
Er verband geschichts- und geschichtenträchtige Dinge 82 zu neuen Installationen und<br />
er verband das Schaffen an solchen Objekten in seinem Schaffen mit vielfältigen sozialen<br />
Interaktionen.<br />
Wenn er ums Haus herum an seinen Objekten werkelte, dann kamen viele Leute mal<br />
kurz „auf einen Schwatz vorbei“ 83 – weit überwiegend waren das offenbar Männer.<br />
Peter selbst ging sehr offensiv auf Passantinnen und Passanten zu. „Jeder, der hier<br />
vorbeispazierte, zu Fuß, mit´ m Fahrrad oder den mr irgendwie ansprechen konnte,<br />
wurde angesprochen“, erzählte einer seiner Helfer. 84<br />
Peter Kramer präsentierte der Öffentlichkeit offensiv sein Werk und sich selbst, schuf<br />
in den Begegnungen mit anderen ums und im Haus aber offenbar auch ein Atmosphäre,<br />
die das Haus zum „Auszeithaus“ bzw. „Anregungshaus“ werden ließ. Für diese von<br />
vielen Leuten wertgeschätzte Atmosphäre spielte das von ihm gestaltete Ambiente des<br />
Hauses offenbar eine erhebliche Rolle.<br />
Die Art und Weise, wie sich Peter Kramer auf der „Bühne“ der Gönninger Straße 112<br />
gab, sein milieukompatibler Arbeitsstil als „Pfullinger Schaffer“, trug vermutlich<br />
ebenfalls in nicht geringem Maße dazu bei, dass seine besonderen Leistungen von<br />
Leuten aus seinem Herkunftsmilieu anerkannt wurden. Es ging oft lustig zu bei seinen<br />
Aktionen, aber wichtig war darüber hinaus auch, dass er einer war, der bei seinen Präsentationen<br />
das Arbeitsame seines Milieus repräsentierte. „Er hat zu jeder Uhrzeit<br />
gearbeitet. Fast ständig war von irgendwo auf seinem Grundstückes zu hören, wie er<br />
klepperte und schepperte.“ 85 . Man sah ihn meist in der blauen Latzhose des Schlossers<br />
und viele Leute betonen, dass er etwas von seinem Handwerk verstanden habe. Auch<br />
kultivierte er das breite Pfullinger Schwäbisch. Selbst viele schriftliche Zeugnisse von<br />
ihm sind auf schwäbisch geschrieben. Hierzu gehört beispielsweise ein Tafelaufschrieb<br />
vor seinem Haus mit der Ankündigung der eigenen Herstellung von Apfelmost.<br />
Diese örtliche Tradition pflegte er wie manch anderen Brauch gemeinsam mit<br />
Leuten aus seiner sozialen Umgebung und umgeben war er vor allem von Männern.<br />
Den Gepflogenheiten dieses Umfeldes entsprechend kannten ihn viele als Mann der<br />
derben Sprüche.<br />
Sowohl das Schaffen einer Präsentationsbühne und Kommunikationsraumes als auch<br />
der Stil der dortigen Inszenierungen begünstigten die Anerkennung im Umgebungsmilieu.<br />
Anders als die vorgenannte „Strategie des günstigen Lichtes“ zielte die „Strategie des günstigen<br />
Wertmaßstabes“ darauf ab, vor allem denjenigen Menschen bzw. Personengruppen Bedeutung<br />
im Hinblick auf die Wertschätzung des eigenen Schaffens zu geben, deren Maßstab<br />
die eigene Leistung zu schätzen weiß.<br />
82 „Geschichtsträchtig“ sei das Haus, antwortet ein Mann bei einem Straßeninterview in der Innenstadt spontan, als ich ihn<br />
frage, ob er das Haus in der Gönninger Straße 112 kenne (Videodokumentation 30.5.11).<br />
83 Dokument 15.10.10<br />
84 Interview 7.3.11 / 2<br />
85 Dokument 15.10.10 − Trauerrede der Tochter<br />
50
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
2. „Seine Speziellen hat er schon hereingelassen“ – Günstige Maßstäbe anlegen (lassen)<br />
Aus einer Perspektive heraus, die nach Peter Kramers Strategien beim Aushandeln von<br />
Wertschätzung fragt, lässt sich das „Schaffwerk“ als eine Art Kontroll- und Kommunikationszentrum<br />
beschreiben. Hier schuf er sich sein eigenes Reich und residierte wie<br />
ein König. In diesem Reich galten seine eigenen Normen und Werte. Hier regierte der<br />
Schalk und hier hatten andere seine Regeln zu befolgen – nicht zuletzt auch seine Regeln<br />
für die Herstellung und Gestaltung sozialer Verbindungen.<br />
Man konnte ihn hier nur treffen, wenn er dazu wirklich bereit war. Zeichen seiner Bereitschaft<br />
war die Öffnung eines bestimmten Fensterlandens – auf diesem ist eine goldene<br />
Krone zu sehen. Es gab eine Tafel am Hauseingang, auf der man ihm Nachrichten<br />
hinterlassen konnte. Aber er alleine entschied, wen er hereinließ. „Seine Schpezielle<br />
hot er scho reiglassa“, sagte sein Freund von der Bergwacht. 86<br />
<strong>Das</strong> Kontroll- und Kommunikationszentrum erlaubte es ihm, für ihn passende Personen<br />
bzw. Personengruppen zu bestimmen, welchen er Zugang gewährte. Hereingelassen<br />
hat er offenbar jene, die ihn und sein „Schaffwerk“ zu schätzen wussten. <strong>Das</strong> waren<br />
Menschen aus den Vereinen seines Heimatmilieus und auch ganz andere mit einem<br />
gewissen Abstand zu diesem Milieu – der Geschichtslehrer beispielsweise, der<br />
Freund aus Tunesien, der Mithelfer aus Ungarn, der studierte Textildesigner oder auch<br />
der von uns befragte Pfullinger Künstler.<br />
Peter Kramers knüpfte gegen Ende seines Lebens mehr und mehr soziale Bezüge auch außerhalb<br />
seines „Urpfullinger“ Herkunftsmilieus.<br />
Er blieb sein Leben lang „Pfullinger vom Zehen bis zur Haarspitze“, wie es eine Befragte<br />
ausdrückte 87 , aber den Horizont der für ihn in als Orientierung in Frage kommenden Werte<br />
bzw. Wertmaßstäbe reichte mehr und mehr über die Orientierung am Traditionellen und am<br />
Maßstab des Praktischen hinaus. Mit seinem sich verändernden Netzwerk erweiterten sich<br />
auch die Perspektiven, unter denen der Nutzen des „Schaffwerks“ geschätzt wurde. So kam<br />
bzw.kommt nun neben dem direkten Nutzen für Peter Kramer auch der allgemeine Nutzen<br />
des „Schaffwerks“ in den Blick – der Nutzen nicht zuletzt auch für die Weiterentwicklung des<br />
Gemeinwesens.<br />
5.3.2 Aushandlung II − Eine Geschichte von der Bedeutung für „die Leute“<br />
Die verschiedenen sinnstiftenden Handlungen und unterschiedlichen sozialen Kontakte im<br />
Leben von Peter Kramer weisen im Lauf der Zeit bei allen Veränderungen auch bleibende<br />
Verbindungen bzw. Gemeinsamkeiten auf. Die Bodenständigkeit beispielsweise ist ein roter<br />
Faden, der sich durch sein Schaffen zieht und auch seine sozialen Kontakte prägte. Bodenständig<br />
heißt hier auch, dass der Ort Pfullingen ein Fixpunkt in seinem Leben war und blieb.<br />
Symbolisch hierfür könnte der Fußboden in seiner Stube in der Gönninger Straße stehen. Dort<br />
hat er einen Punkt mit den Pfullinger Farben − blau, weiß und rot − aufgemalt. Und drum<br />
herum zog er konzentrische Kreise. Pfullingen sei hier der Mittelpunkt der Welt, hatte er erklärt.<br />
88 Er selbst, aber auch das Pfullinger Gemeinwesen, standen im Mittelpunkt seines<br />
„Schaffens“ – und auch das schätzten die Leute.<br />
Die weit überwiegende Mehrheit der von uns befragten Menschen, die Peter Kramers<br />
„Schaffwerk“ schätzen, erscheinen wie dieser nicht nur in dem Sinne bodenständig, dass sie<br />
86 Interview 7.3.11<br />
87 Interview 27.7.1<br />
88 vgl. Dokument 15.11.10<br />
51
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
einen eher unprätentiösen Lebensstil pflegen, sondern auch in dem Sinne, dass diese Menschen<br />
eines engen inneren Bezuges zu der Kleinstadt am Fuß der Schwäbischen Alb haben.<br />
Dies gilt nicht nur für die Leute aus dem ortsansässigen kleinbürgerlichen Arbeitnehmerumfeld,<br />
sondern auch für jene am „Schaffwerk“ wertschätzend Interessierten mit einem gewissen<br />
Abstand zu diesem Herkunftsmilieu von Peter Kramer.<br />
Gemeinsam ist es den allermeisten Menschen aus dem wertschätzenden Umfeld des „Schaffwerks“<br />
offenbar unabhängig vom jeweiligen Abstand zu Peter Kramers „Ur-Pfullinger“ Herkunftsmilieu<br />
auch, dass sie Lebensweisen schätzen, die in einer modernen kapitalistischen<br />
Gesellschaft tendenziell entwertet werden – Lebensweisen, die nicht bzw. nicht mehr oder<br />
schwer mit den Gesetzen des Marktes vereinbar sind. Diese Menschen blicken auf die Dinge<br />
und Geschichten der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem „Schaffwerk“ offenbar auch,<br />
weil für sie darin etwas von den Werten und besonders auch etwas von den Formen des Zusammenseins<br />
sehen, die heute kaum mehr einen Wert haben, weil es sich gemessen am unmittelbaren<br />
Nutzen kaum mehr lohnt, sich darum zu kümmern. Menschen, die dieses entwerten<br />
Werte schätzen, die sie in ihrem Pfullinger Gemeinwesen vermissen, diese Leute schätzen das<br />
„Schaffwerk“ von Peter Kramer, der die unbezahlbare bzw. unbezahlte Sorgearbeit um die<br />
alten unschätzbaren bzw. ungeschätzten Werte übernahm.<br />
Für die traditionell orientierte Bevölkerung in Pfullingen entstand − darauf deuten eine Reihe<br />
von Interviewaussagen − in den vergangenen Jahrzehnten ein zunehmendes Modernisierungsproblem.<br />
Der befragte Künstler meinte, dass Pfullingen aus einer Sicht in seiner Entwicklung<br />
stehen geblieben sei. In unserem Gespräch, drückte er das karikierend so aus: „I hab<br />
scho gsagt: Am beschta, mar macht a große Glocke drüber. lässt des ganze no 30 Johr schtanda.<br />
No macht mar die Glocke wieder ronder. No kammer so s´ Paradedorf oder Schtadt<br />
der 80er Johr präsentiera“. 89 − Aus Sicht des Künstlers ist Pfullingen in seiner Entwicklung<br />
vor Jahrzehnten stehen geblieben.<br />
Dieser Befragte schätzt es zwar, wie so viele Leute, denen wir bei unseren Erkundungen begegneten,<br />
wenn das Vergangene nicht einfach entsorgt wird. Er unterscheidet sich allerdings<br />
von anderen Haltungen, die in Pfullingen und in Peter Kramers Herkungsmilieu verbreitetet<br />
sind, dadurch, dass er das Alte nicht vor allem bewahren, sondern gestalten und weiterentwickeln<br />
will. Es sind offenbar insbesondere jene Menschen mit einem gewissen Abstand zum<br />
konservativen Herkunftsmilieu Peter Kramers aber gleichzeitiger Bodenverhaftung in Pfullingen,<br />
die solche Gestaltungsprozesse wertschätzen und teilweise auch vorantreiben.<br />
In traditionsorientierten bodenständigen Milieus lösen gesellschaftliche Modernisierungsprozesse<br />
in der Regel Irritationen aus (vgl. Vester et al. 2001: 486 f.).<br />
Eher autoritätsorientiere Gemeinschaften wie auch jenes Milieu, das Pfullingen und das direkte<br />
Umfeld von Peter Kramer lange Zeit prägte, reagieren auf solche Irritationen mit Abschließungstendenzen<br />
– darauf deutet die Milieuforschung (vgl. ebd.: 31), aber auch eine Reihe von<br />
Hinweisen im Rahmen unserer Recherchen.<br />
„Ha jo, d´Pfullinnger, d`Pfullinger send normalerweis Konservadive“, sagte einer der Interviewpartner<br />
aus Peters Freundeskreis und fügte hinzu, dass der Gemeinderat lange Zeit von<br />
den Bauern geprägt gewesen sei. Die Konservativen hätten schon nach dem 2. Weltkrieg<br />
verhindert, dass sich Reutlinger Betriebe in einem neu ausgewiesenen Pfullinger Industriegebiet<br />
hätten ansiedeln können. Man habe die Pfullinger Handwerker und Kleinbetriebe bevorzugt.<br />
Mit den Worten „des sen dia bsondre Pfullinger“, verdeutlichte er die aus seiner Sicht<br />
besonderen traditionellen Abschließungstendenzen in der Kleinstadt. 90<br />
89 Videodokument 27.6.10<br />
90 Interview 7.3.11<br />
52
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Nicht zuletzt durch die vielen „Zugezogenen“ – das zeigen viele Äußerungen von Befragten<br />
in unseren Interviews – hat das relativ abgeschlossene, rückwärtsgewandte und inzwischen<br />
wohl vorwiegend aus älteren Menschen bestehende Milieu seine vormalige kulturelle Hegemonie<br />
in Pfullingen verloren.<br />
Ein zugezogener Ingenieur, den ich bei unseren Erkundungen in einem Pfullinger Straßencafe<br />
ansprach, sagte, dass er die ursprünglichen Einwohnerinnen und Einwohner im öffentlichen<br />
Leben als wenig auffällig wahrnehme. „das urtypisch Schwäbische“, meinte er, werde „natürlich<br />
auch eingefärbt durch viele Leute, die von Extern kommen“. Etwas später im Gespräch<br />
fügte er hinzu: „Meist ist es ja so, dass die Alteingesessenen nicht so wirklich in den<br />
Vordergrund treten“ 91 . <strong>Das</strong> ist einer von vielen Hinweisen, dass die „Ur-Pfullinger/innen auf<br />
dem Rückzug auf dem Rückzug sind – und mit ihnen die früheren Dinge, Lebensweisen,<br />
Symbole und Werte.<br />
Auf diesem Hintergrund kann es eine besondere Leistung von wert zu schätzender Bedeutung<br />
verstanden werden, dass Peter Kramer mit seinem „Schaffwerk“ dem Althergebrachten und<br />
den Alteingesessenen zugleich eine Plattform verschafft und auch Entwicklungsmöglichkeiten<br />
gegeben hat. Er tat dies symbolisch durch die Gestaltung des Neuen aus alten Dingen,<br />
aber auch dadurch, dass sein „Schaffwerk“ auch Verbindungen mit anderen Leuten mit anderen<br />
Betrachtungsweisen als den herkömmlichen stiftete. Er schuf neue Perspektiven und war<br />
„ein verbindendes Element auf“, aber „auf kontroverse Art und Weise“, wie es einer unserer<br />
Gesprächspartner ausdrückte. 92 Durch sein Schaffen entstanden Anregungen, die – so beschreibt<br />
es die Tochter“ – die Leute in Pfullingen „aus ihrem Trott“ 93 holten. <strong>Das</strong> „Schaffwerk“<br />
erscheint in diesem Zusammenhang gleichsam als Medium zwischen traditioneller<br />
Bewahrung und moderner Öffnung in Pfullingen. – Auch dies gehört zum <strong>Erbe</strong> von Peter<br />
Kramer.<br />
6 Schlussfolgerungen: <strong>Das</strong> Identitätsprojekt – Eine Fortsetzungsgeschichte<br />
Was war das? Was ist das? Was kann das sein? − Wir fragten nach der Identität des Hauses,<br />
als wir unser Aktionsforschungsprojekt rund um das Pfullinger „Schaffwerk“ von Peter Kramer<br />
begannen.<br />
Doch stellten die Tochter und Erbin des Hauses in der Gönninger Straße 112 und ich als Forscher<br />
uns diese Fragen im Herbst 2010 noch nicht bewusst unter dem Gesichtspunkt der Identität.<br />
– Dieser Blickwinkel rückte erst dadurch ins Zentrum unserer Wahrnehmung, dass zuvor<br />
die Person Peter Kramer und die Wertschätzung seines „Schaffwerks“ durch die für ihn bedeutsamen<br />
anderen Menschen in dieses Zentrum gerückt worden war.<br />
Die Zusammenschau der von uns erfahrenen Sichtweisen im Umfeld des „Schaffwerks“ ließ<br />
dieses Bild entstehen:<br />
Wir sehen das <strong>Erbe</strong> ist ein Identitätsprojekt. Dabei geht es um die persönliche Identität von<br />
Peter Kramer, um kulturelle Identität des Pfullinger Gemeinwesens und – in Fortsetzung der<br />
bisherigen Geschichte – auch um die Identität der Erbin.<br />
91 Videodokument 30.5.11<br />
92 Videodokument 7.3.11/2<br />
93 Audiodokument 11.3.11<br />
53
<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
„Wer bin ich, wer war ich und wer werde ich sein?“ (Straus 2008: 4) – stimmige Antworten<br />
auf diese und ähnliche Fragen zu geben, ist nach meinem hier zu Grunde gelegten Verständnis<br />
ein wesentlicher Sinn des Arbeitens an der eigenen Identität.<br />
Die so entstehenden Identitätskonstruktionen verändern sich fortwährend und mit ihnen auch<br />
die Antworten auf oben genannte Fragen. Vor allem auch durch Erzählungen von sich selbst<br />
„versucht das Individuum für sich und bestimmte Lebenswelten eine verstehbare, sinnvolle<br />
und auch selbstbestimmte Form zu finden“ (ebd.). Für sich selbst und für seine soziale Umgebung<br />
hat Peter Kramer in besonders greifbaren, weil vergegenständlichten Erzählformen<br />
Antworten auf seine Identitätsfragen gegeben.<br />
Wie alle Identitätsarbeit, waren diese Antworten − war auch sein Schaffwerk − immer im<br />
Fluss. Auch arbeitete er dabei, wie alle Identitätsarbeiter und Identitätsarbeiterinnen, nicht<br />
bloß für sich alleine. Jede Identitätsbildung geschieht bezogen auf das jeweils individuell bedeutsame<br />
Umfeld. Die Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster des Umgebungsmilieus wirken<br />
zurück auf die Erzählungen, die ein jeder und eine jede von sich selbst haben kann bzw.<br />
die er oder sie zu erzählen oder auch nur zu denken wagen kann, wenn er nicht in seiner Zugehörigkeit<br />
zur Gemeinschaft bedroht werden will (vgl. Straus 2008).<br />
Peter Kramer hat sich bei seinem Schaffen des „Schaffwerks“ am Wertmaßstab seines Herkunftsmilieus<br />
orientiert, die Grenzen dieses Maßstabes ausgelotet und wohl auch zu seiner<br />
Veränderung beigetragen.<br />
Menschen arbeiten ein Leben lang an ihren Identitäten – in einem Prozess, der diskontinuierlich<br />
verläuft und von Identitätskrisen vorangetrieben wird (vgl. Straus 2008: 3).<br />
Solche Krisen spitzen sich in bestimmten Lebenssituationen zu − wenn die Balancen von subjektiven<br />
und gesellschaftlichen Anforderungen durch die Betroffenen und ihre Umwelt neu<br />
austariert werden müssen.<br />
Identitätskrisen spitzen sich zu, wenn Menschen Bilder von sich selbst und Bilder, die Andere<br />
von ihnen haben, sich teilweise grundlegend verändern (müssen), weil auch die Verhältnisse<br />
des Lebens sich grundlegend ändern.<br />
In diesem Sinne stellt sich mir das „Schaffwerk“ als Ausdruck und Mittel der Bewältigung<br />
einer persönlichen und einer kollektiven Identitätskrise dar.<br />
Für Peter Kramer persönlich trug das „Schaffwerk“ offenbar nicht zuletzt auch zur Bewältigung<br />
des schwierigen Übergangs in eine neue Lebensphase bei, in welcher der bis dahin geschätzten<br />
Handwerker „als altes Eisen“ entwertet zu werden drohte. Mit dem Ende der Erwerbsarbeitsphase<br />
verloren auch die für ihn bis dahin noch maßgeblichen Orientierungen auf<br />
Pflichterfüllung und auf den praktischen Nutzen ihre bisherige Vorrangstellung. Aus Sicht des<br />
Geschichtslehrers − seines von mir befragten langjährigen Freundes − war Peter Kramer in<br />
seinen Rentnerjahren viel weniger auf die Wertschätzung durch sein Pfullinger Heimatmilieu<br />
angewiesen, als noch als junger Mann: „Zerscht hot er scho Anerkennong wolla, aber irgendwann<br />
hot er gsagt: Ihr kennad mi mol, ond jetzt mach ihs erscht reacht, was i will. Also,<br />
ihm hot des nix meh ausmacht, was d Pfullinger über ihn redad“. 94<br />
Nach dem Ende seiner Erwerbsarbeitszeit lösten sich die Loyalitätsbande zum pflichtorientierten<br />
kleinbürgerlichen Arbeitnehmermilieu und der Schaffer löste sich mehr und mehr von<br />
der Identität des pflichtbewussten Auftragsschweißers, der er als Hochdruckrohrschlosser<br />
gewesen war. Er nutzte nun vielmehr seine handwerklichen Fähigkeiten vor allem zur kreativen<br />
Bearbeitung der persönlichen und kulturellen Identität.<br />
94 Interview 27.1.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Als Ausdruck und Mittel der Bewältigung einer kulturellen Identitätskrise seines Herkunftsmilieus<br />
lässt sich das „Schaffwerk“ verstehen, weil auch die Menschen in diesem Milieu<br />
durch sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen vor der Gefahr stehen, zum<br />
„alten Eisen“ zu gehören. Die traditionellen Werte der bodenständigen Alteingesessenen verlieren<br />
durch Modernisierungsprozesse ihre Relevanz und die alten Dinge und Lebensweisen<br />
werden heute mit dem Maßstab der Marktökonomie in einer schnelllebigen Wegwerfgesellschaft<br />
gemessen.<br />
Ausblick: <strong>Das</strong> „Schaffwerk“ als Fortsetzungsgeschichte<br />
„Ist das Kunst oder kann das weg?“ – So lautet die Frage, die auf Wunsch von Peter Kramers<br />
Tochter in großen Lettern am „Schaffwerk“ ihres Vaters zu lesen sein wird, wenn das Identitätsprojekt<br />
im April 2012 seine öffentliche Fortsetzung findet.<br />
Im Rahmen einer interaktiven Ausstellung sollen dann Geschichten und Bilder über Peter<br />
Kramer, sein „Schaffwerk“ und insbesondere auch über dessen Wertschätzung und den Nutzen<br />
für die Menschen darum herum präsentiert werden.<br />
Sabine Kramer und ich werden Bilder skizzieren, Geschichten berichten und Videoaufnahmen<br />
zeigen über Zusammenhänge, die wir im Rahmen unseres Erkundungsprojektes seit dem Tod<br />
von Peter Kramer erfahren, geordnet und ein wenig besser verstanden haben.<br />
Die Ausstellung soll ausgehend vom Beispiel Peter Kramers und seinem Identitätsprojekt zur<br />
Verständigung von Leuten mit ganz unterschiedlichen Wertmaßstäben beitragen. Dabei geht<br />
es vor allem auch um die Frage: Was ist nützlich?<br />
Was ist nützlich? − <strong>Das</strong> ist die zentrale Frage, die auch den Umgang mit Peter Kramers <strong>Erbe</strong><br />
in Pfullingen bestimmt. Dies hatte sich schon kurz nach Peter Kramers Tod angedeutet, als<br />
ein Pfullinger Journalist vorschlug, das „Erhaltenswerte“ ins Heimatmuseum einzugliedern 95 .<br />
Sein zentrales Auswahlkriterium schien für diesen Journalisten vor allem zu sein, ob das jeweilige<br />
Objekt von touristischem Interesse ist. Was dem Aufbau der „Tourismusindustrie“<br />
dient, gilt nach diesem Wertmaßstab als nützlich und damit erhaltenswert.<br />
Für den von uns befragten und ebenfalls durchaus an der Tourismusförderung in Pfullingen<br />
interessierten Künstler hingegen wird der Nutzen des Schaffwerks (auch noch) nach anderen<br />
Kriterien bestimmt. Er schätzt es als wichtigen Wert von Peter Kramers Schaffen ein, dass<br />
dieser bei aller Bodenverhaftung „das Leben aus dem Abstand des Künstlers“ betrachtet habe.<br />
Aus der Sicht des Schöpfers der „Hommage à Peter Kramer“ schaffte Peter diesen Abstand,<br />
„indem er den Alltag mit seinem Funktions- und Funktionalitätszwang“ loslöste. 96<br />
Aus einer solchen Betrachtungsperspektive ist die Idee entstanden, das „Schaffwerk“ zukünftig<br />
als einen Ort weiter zu führen, der dem Wohlsein und der Entwicklung dient – als soziales<br />
und kulturelles Projekt in Pfullingen. Dabei wird nicht vorschnell das kurzfrist Nützliche bzw.<br />
„Erhaltenswerte“ von dem getrennt, was im Sinne des kurzsichtigen Nutzenverständnisses der<br />
kapitalistischen Marktökonomie als nutzlos gilt.<br />
Peter Kramer und sein Pfullinger „Schaffwerk“ sind ein Beispiel für die Verbindung des bodenständigen,<br />
praktischen unmittelbaren Handelns und Erlebens – des unmittelbaren Nutzens<br />
– mit einer Handlungsperspektive, die das vermeintlich Unnütze, Irritierende und manchmal<br />
Störende dazu „benützt“, die Leute „aus ihrem gewohnten Trott zu bringen“, wie es die Tochter<br />
ausdrückte. 97<br />
95 Dokument 15.11.10<br />
96 Dokument 19.11.10 – Begleittext der Installation<br />
97 Interview 11.3.11<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Daraus entstand in Pfullingen vielleicht nicht immer ein unmittelbar greifbarer, aber offenbar<br />
ein allgemein spürbarer Nutzen.<br />
Sabine Kramer will das „Schaffwerk“ im Geist ihres Vaters weiter führen und sich zugleich<br />
auch lösen. Sie möchte für sich selbst, die Menschen um sie herum und die Leute in Pfullingen<br />
etwas beitragen, was ihren eigenen Neigungen und Fähigkeiten entspricht. <strong>Das</strong> „Schaffwerk“<br />
ist jetzt ihr Identitätsprojekt – und das geht weiter.<br />
Zu den Fähigkeiten und Neigungen von Sabine Kramer gehört es, anderen Menschen Märchen<br />
zu erzählen. Darum erzählt sie ein Märchen im kommenden Frühjahr im „Schaffwerk.<br />
Es ist das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten, die vermeintlich zum alten Eisen gehörten<br />
und etwas Besseres fanden als den Tod.<br />
Im April 2012 erzählt sie diese Geschichte, wir sprechen von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
des „Schaffwerks“ in Pfullingen, zeigen Filmaufnahmen und auf einem großen<br />
Transparent wird zu lesen sein: Ist das Kunst oder kann das weg?<br />
7 Literatur<br />
Auer, Katharina (2010): Partizipative Methoden in Forschung und Praxis. Newsletter Wegweiser Bürgergesellschaft<br />
20 / 2010 vom 15.10.2010. Ein Projekt der Stiftung Mitarbeit<br />
Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main<br />
Bourdieu, Pierre. (1993): Soziologische Fragen. Frankfurt am Main<br />
Freire, Paulo (1973): Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Reinbek Hamburg<br />
Glaser, Barney G. / Strauss, Anselm L. (2005): Strategien qualitativer Forschung. Bern<br />
Heiser, Patrick: Zur Nutzenorientierung des Homo Oeconomicus. Die Genese spezifischer Nutzenvorstellungen<br />
unter Rückgriff auf die Soziologie Pierre Bourdieus. Im Internet unter: http://www.patrickheiser.com/ media/soziologie/nutzen.pdf.<br />
Abruf am 15.8.2011<br />
Honneth, Axel (1992): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt am<br />
Main<br />
Honneth, Axel (2010): „Ohne Liebe fehlt eine Dimension“. Interview in der Frankfurter Rundschau am<br />
11.1.2010, Im Internet unter: http://www.fr-online.de/debatte/interview-mit-axel-honneth--ohne-liebe-fehlt-unseine-dimension-,1473340,2808988.html<br />
(Abruf am 10.11. 2011)<br />
Hopf, Christel (2005): Qualitative Interviews –ein Überblick. In: Flick, Uwe / von Kardoff, Ernst / Steinke, Ines:<br />
Qualitative Forschung. Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg<br />
Joas, Hans (2001): Ungleichheit in der Bürgergesellschaft. Über einige Dilemmata des Gemeinsinns. Aus Politik<br />
und Zeitgeschichte (B 25-26 / 2001). Im Internet unter: www. bpb.de / publikationen / C4P9PH.html (Abruf am<br />
22.1.11)<br />
Lewin, Kurt (1948): Aktionsforschung und Minderheitenprobleme. In: Lewin, Kurt (Hg.): Die Lösung sozialer<br />
Konflikte (Seiten 278-298). Bad-Neuheim<br />
List, Eveline (2009): Psychoanalyse. Geschichte Theorien Anwendungen. Wien<br />
Moser, Heinz (2008): Instrumentenkoffer für die Praxisforschung. Freiburg<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
Rosenthal, Gabriele (2008): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung. Weinheim und München<br />
Stadt Pfullingen (2010): Stadt Pfullingen. Im Internet unter: www.pfullingen.de (Abruf am 25.1.11)<br />
Statistisches Landesamt (2009): Struktur- und Regionaldatenbank. Im Internet unter: http://www.statistik-bw.de<br />
(Abruf am 22.1.11)<br />
Straus, Florian (2008): Soziale Netzwerke und Identität. In Forum Gemeindepsychologie, Jg. 13 (2008), Ausgabe<br />
1. Im Internet unter: http://www.gemeindepsychologie.de/fg-1-2008_05.html. (Abruf am 15.8.11)<br />
Vester, Michael / von Oertzen, Peter / Geiling, Heiko / Hermann, Thomas / Müller, Dagmar (2001): Soziale<br />
Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt am Main<br />
Welzer, Harald (2009): Die Kultur der Achtsamkeit. Die Tageszeitung vom 5. / 6. September 2009. S. 3<br />
Erklärung<br />
Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe angefertigt<br />
habe und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt und die verwendete Literatur<br />
vollständig aufgeführt sowie Zitate kenntlich gemacht habe. Ich versichere ferner, dass die<br />
Arbeit noch nicht zu anderen Prüfungen vorgelegt wurde.<br />
Tübingen, den 15. 12. 2011<br />
Harald Sickinger<br />
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