Das Erbe
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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />
und Peter Kramer auf die Volksschule und lernte einen praktischen Beruf – wie viele in seinem<br />
Milieu.<br />
Als Hochdruckrohrschlosser gehörte er zu den selbstbewussten Berufsgruppen in diesem<br />
kleinbürgerlichen Arbeitnehmermilieu. Gleichwohl galt für ihn wie für die anderen Zugehörigen<br />
dieses Milieus die mentalitätsprägende moralische Regel, dass Arbeit vor allem der<br />
Pflichterfüllung und nicht der Selbstverwirklichung zu dienen habe (vgl. Vester et al. 2001:<br />
519).<br />
Außenstehend – Von weitem wird die Kunst geschätzt<br />
Anderen Regeln folgen der von uns befragte Pfullinger Künstler, aber auch der studierte Textildesigner,<br />
der in seiner Freizeit aus Altmaterialien ungewöhnliche Fahrräder baut und an<br />
verschiedenen anderen experimentellen Projekten arbeitet. Für sie und wohl auch für einige –<br />
aber eher wenige − weitere Menschen aus dem sozialen Netzwerk von Peter Kramer ist<br />
Selbstverwirklichung bzw. die Entfaltung der eigenen Potenziale offenbar durchaus ein wichtiger<br />
handlungsleitender Wert. Sie sind aber auch nicht Teil des oben beschriebenen Milieus.<br />
Geografische Herkunft, Bildungsgrad und teilweise der Lebensstil unterscheiden sich von<br />
Peter Kramers Herkunftsmilieu.<br />
Der Textildesigner aus der Großstadt ist es, der Peter Kramer in unserem Gespräch am deutlichsten<br />
unter den Befragten als Künstler etikettierte – „Künstler durch und durch“ 65 sei dieser<br />
gewesen.<br />
Schon etwas vorsichtiger scheint der Mann zu sein, der anders als der vorgenannte selbst in<br />
Pfullingen lebt, Lehrer war und als Künstler schafft. Er sieht ihn als Künstler, aber auch als<br />
bodenverhaftet. Mit dem Etikett „Über-Lebens-Künstler“ wählte er eine Zuschreibung, die<br />
vieldeutiger ist und die sich bei der Ausstellung Pfullinger Künstler auch als anschlussfähig<br />
für das Herkunftsmilieu Peter Kramers erwies. Dort haben nämlich nach Auskunft unseres<br />
Interviewpartners viele Leute positiv auf seine Installation zur Würdigung des „Schaffers“<br />
reagiert.<br />
Auch der Geschichtslehrer und seine Frau haben sowohl bezüglich des Bildungsgrades als<br />
auch bezüglich der geografischen Herkunft Abstand zum Heimatmilieu Peter Kramers. Der<br />
Lehrer knüpfte aber offenbar, nachdem er vor 30 Jahren zugezogen war, Kontakte zu Leuten<br />
aus diesem Milieu. Er sei damals auch ein „Hock“ gewesen, der am Wochende beim<br />
„Schemberg -Wirt“ oben auf dem Berg saß. „So han i dann au irgendwann an den Pfullinger<br />
Disch hocka dürfa“, 66 berichtete er. Er pflegte also mit diesen Pfullingern die bodenständige<br />
Geselligkeit, die Teil ihres Lebensstils ist.<br />
In seiner Trauerrede bezeichnete der Geschichtslehrer Peter Kramer als „Grenzgänger“.<br />
Salomonisch nahm er Peter Kramer dabei nicht aus seinem Herkunftsmilieu heraus, sondern<br />
verortete dessen Platz an der Grenze und deutet „den Künstler“ eher am Rande an. An den<br />
verstorbenen Freund gewandt, sagte er damals: „Du warst in vieler Hinsicht ein Grenzgänger.<br />
Etwas, das vielen künstlerischen Geistern zu Eigen ist“. 67<br />
Die Sammlerin kommt ebenfalls nicht aus Pfullingen. Sie stammt aus einer Handwerkerfamilie,<br />
wobei der Vater im Laufe seines Lebens gesellschaftlich steil aufgestiegen war. Sie selbst<br />
betont allerdings das Einfache, Bodenständige. Beispielsweise erwähnt sie in unserem Ge-<br />
65 Videodokument 7.3.11/2<br />
66 Videodokument 27.1.11<br />
67 Dokument 15.10.10/2<br />
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