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Das Erbe

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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />

Form von persönlichem Wohlsein, von Anregungen durch Peter Kramer und sein Werk, sie<br />

machen aber auch explizit deutlich, dass sie das „Schaffwerk“ unter anderem als Beitrag sehen<br />

für eine milieuübergreifende Begegnungskultur (der Künstler), für eine verändernde Provokationskultur<br />

(der Textildesigner) bzw. für eine offenere Kultur, in der man freier atmen<br />

kann (der Geschichtslehrer und seine Frau). Für mich besonders eindrücklich ließ die Frau des<br />

Geschichtslehrers im Interview erkennen, dass sie in Peter Kramers Schaffen einen Beitrag<br />

zur Öffnung der von ihr als eng empfundenen Atmosphäre an ihrem Wohnort empfand: „Was<br />

dr Peter, glaub i, von de Pfullinger abghoba hot, dass dr Peter halt nicht, keine Vorurteile<br />

ghet hot, neugierig war on au naus, also nausguckt hot iber sein Tellerrand, wenn, wenn es<br />

ihm möglich war. Des machad die Pfullinger net“. Wenn sie selbst, erzählte die Frau etwas<br />

später, manchmal außerhalb von Pfullingen ist, in Reutlingen oder Tübingen, dann, so sagt<br />

sie: „atem i tief durch ond fühl mi irgendwie freier“. Befreiend muss es für diese Frau wohl<br />

auch gewirkt haben, dass Peter Kramer mit seinen Späßen und seinen Figuren im Garten den<br />

Leuten in schalkhafter Manier einen Spiegel vorgehalten hat. So nämlich empfand sie das<br />

Schaffen des Schaffers: „Er war ja unwahrscheinlich kreativ (…). Es war scho a Schtück<br />

narrativ, do wollt er au de andere eigentlich, ja, des was der Narr macht, den Spiegel vorhalta“<br />

– das schätzen offenbar jene besonders, die ein Interesse an der Entwicklung des Gemeinwesens<br />

haben. Sie schätzen das wohl auch deshalb, weil sie selbst indirekt dadurch mehr<br />

Raum zur Entfaltung bekommen (könnten). 57<br />

Die Frau des Geschichtslehrers, ihr Mann, der Textildesigner und auch der befragte Pfullinger<br />

Künstler sehen in Peter Kramers „Schaffwerk“ ein Kunstwerk – ein „Gesamtkunstwerk“, wie<br />

es der Befragte nennt, der selbst Kunst in Pfullingen schafft. Er schätzt es offenbar, dass Peter<br />

Kramer unterschiedliche Aspekte in seinem Schaffen miteinander verband, die wohl so nur<br />

ein Künstler verbinden kann, der an seinem Schaffensort tief verwurzelt ist und diesen Ort als<br />

„Über-Lebens-Künstler“ (mit-)gestaltet. Aus diesem Blickwinkel erscheint der Schaffer „bodenverhaftet<br />

und gleichzeitig das Leben aus dem Abstand des Künstlers betrachtend, indem er<br />

den Alltag mit seinem Funktions- und Funktionalitätszwang loslöst, weiter entwickelt, verarbeitet,<br />

recycelt und komödiantisch und satirisch widerspiegelt.“ 58 .<br />

Auch die Tochter von Peter Kramer schätzt dessen Beitrag zur Entwicklung des Gemeinwesens<br />

bzw. der Gemeinschaft z. B. durch komödiantische Widerspiegelung und das künstlerische<br />

Schaffen ihres Vaters sehr. Wie der Künstler, der Textildesigner, der Geschichtslehrer<br />

und seine Frau schätzt sie die Veränderungen anregende Seite an der Sorgearbeit ihres Vaters<br />

für eine gute Atmosphäre. Wie die oben Genannten schätzt sie über das Bewahrende hinaus<br />

den gestaltenden Aspekt an dessen Sorgearbeit um alte Dinge und Werte. Sie schätzt den indirekten<br />

Nutzen, den die Leute im Gemeinwesen durch die einzigartige Leistung ihres Vaters<br />

haben, sie sieht ihn als „Künstler“ – aber sie sieht ihn nicht klar als Künstler. Sie betont einerseits,<br />

dass er das „fraglos“ gewesen sei und schränkt gleichzeitig ein, dass er „aber“ bei seinem<br />

Schaffen einen „eigenen Geschmack“ gehabt habe. Sie bezieht sich dabei offensichtlich<br />

auf dessen Abweichung von der Normalität im Milieu ihres Vaters, welches ja auch ihr eigenes<br />

Herkunftsmilieu ist und an dessen Normen sie sich möglicherweise noch gebunden fühlt.<br />

Sie scheint nicht sicher zu sein, dass er wirklich ein „richtiger Künstler“ sein darf bzw. durfte<br />

– und diese Unsicherheit hat einen guten Grund, wie wir sehen.<br />

„Immer lustig, immer interessant“ – Orientierung am direkten Nutzen<br />

Da habe er sich da „nichts herausgenommen“, meinte Peters Freund von der Bergwacht auf<br />

die Frage, ob dieser sich als Künstler sah. Auch der Interviewte selbst nahm es sich nicht heraus,<br />

ihn als Künstler zu bezeichnen. Er betonte dagegen den Wert des Handwerklichen und<br />

57 Videodokument 27.1.11<br />

58 Dokument 19.11.11<br />

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