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Das Erbe

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<strong>Das</strong> <strong>Erbe</strong> – Aktionsforschung im lokalen Aushandlungsfeld von Wertschätzung, Sinn und Bedeutung<br />

70jährige Mann, der Peter von Geburt an gekannt hatte. 73 Ohne Vater und als Einzelkind<br />

scheint für Peter die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft unter erschwerenden Vorzeichen gestanden<br />

zu haben. Er habe den Vater sehr vermisst, erzählte sein Freund, der Geschichtslehrer.<br />

Als Schwierigkeit für Peter „hineinzukommen“ umschrieb er diese Ausgangssituation und<br />

bezog sich dabei auf Gespräche, die er selbst mit Peter darüber geführt habe. 74<br />

Sinn und Zugehörigkeit in seinem Leben herzustellen, stellten für den jungen Peter Kramer in<br />

der ihn umgebenden Pfullinger Nachkriegsgemeinschaft wohl eine Herausforderung dar, die<br />

erhebliche Anstrengungen von ihm abverlangten. Er wuchs als Junge ohne Vater in ein männerdominiertes<br />

Milieu hinein – mehr als bei anderen Jungen war sein Alltag als Kind offenbar<br />

aber vorwiegend von Frauen geprägt.<br />

In seiner Jugend sei Anerkennung für Peter Kramer sehr wichtig gewesen, erzählte der Geschichtslehrer,<br />

und vor allem über den Sport habe er sie bekommen 75 – „Früher fuhr er Radrennen,<br />

wo er sogar die eine und andere Gaumeisterschaft gewann“, hebt auch die Tochter<br />

in ihrer Trauerrede diesen Aspekt hervor. 76<br />

Sport kann Akzeptanz verschaffen und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ermöglichen − nicht<br />

zuletzt auch im Rahmen teilweise recht anspruchsvoller Touren mit seinen Bergkameraden<br />

konnte er wohl diese Erfahrung machen.<br />

Wegen einer schwerwiegenden Knieverletzung wurde der sportliche Bewältigungsweg aber<br />

zunehmend schwieriger und die Wertschätzung für seine Leistungen als Sportler brüchiger. Je<br />

schwieriger die sportorientieren Wege wurden, desto mehr rückte er andere Strategien zum<br />

Erreichen von Wertschätzung ins Zentrum seines Handelns. In der Erwerbsarbeit setzte er<br />

seine handwerklichen Fähigkeiten hierfür ein und im Pfullinger Gemeinwesen setzte er offenbar<br />

mehr und mehr auf kommunikative Kompetenzen und Kreativität, um Dinge zu tun, die<br />

ihm persönlich sinnvoll erschienen und dabei gleichzeitig einerseits seinen persönlichen Sinn<br />

zu weiter zu entwickeln und andererseits für seine „eigensinnigen“ Beiträge wertgeschätzt zu<br />

werden. Mehr und mehr richtete sich sein Handeln dabei auf die Sorgearbeit für eine gute<br />

Atmosphäre und die Sorgearbeit für entwertete Werte.<br />

Zunehmend im Lauf der Zeit erreichte Peter Kramer Anerkennung, indem er „Inszenierungen“<br />

kreierte, in dessen Zentrum er selbst stand. Zunächst waren es offenbar noch eher situative<br />

Inszenierungen bei Festen bzw. an den Wochenenden − wenn er zum „Schemberg-Wirt“<br />

wurde. Auf „seinem“ Schönberg und auch bei ungebetenen − aber trotzdem für manche Pfullinger/innen<br />

willkommenen − „Auftritten“ im Rahmen von Hocketen, anderen öffentlichen<br />

Anlässen und auf privaten Festen, wie Hochzeiten, nahm er prägende Rollen ein. <strong>Das</strong> heißt, er<br />

konnte in bestimmten Grenzen die Atmosphäre in diesen Situationen (mit-) bestimmen und<br />

teilweise auch die moralischen Regeln. Oft sorgte er vor allem durch humoristische Aktionen<br />

für Gelächter und gute Stimmung. Er habe eine Atmosphäre geschaffen, so dass man sich<br />

habe wohlfühlen können, berichten fast alle Befragten.<br />

Diese Wertschätzung erwies sich allerdings zunehmend als eine geteilte und auch brüchige.<br />

Der Albverein als Verpächter des Kiosks im Turm schien immer weniger begeistert von den<br />

skurrilen Späßen des „Schemberg – Wirts“ und vielleicht auch von seinem Alkoholkonsum.<br />

Auch die Wertschätzung der Gäste war unterschiedlich. Es gab viele, die Peters Tätigkeit als<br />

wichtigen Beitrag zur örtlichen Geselligkeit schätzten. Es gab aber auch andere Stammbesucherinnen,<br />

die kaum oder keine positive Wertschätzung zeigten. Einer seiner Freunde meint,<br />

das liege daran, dass viele Leute über Peters diesbezüglichen Beitrag zum Gemeinwohl nicht<br />

nachgedacht hätten, dass sie sich seiner Leistungen nicht bewusst seien: „I denk, d´ Leut hen<br />

73 Videodokumentation 15.10.10<br />

74 Interview 27.1.11<br />

75 Interview 7.3.11<br />

76 Dokument 15.10.10<br />

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