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RETTL PORTRÄT<br />
Vom Fleiß der<br />
Blaumacher.<br />
Familie Wagner<br />
RETTL PORTRÄT<br />
TEXT SABINE SALCHER<br />
FOTOS KELAG-WASCHNIG<br />
Unser Färbeprozess<br />
ist reine Handarbeit.<br />
Da kannst du nichts<br />
messen, sondern musst<br />
dich auf dein Gefühl<br />
verlassen.<br />
E<br />
s ist ein selten gewordener<br />
Anblick, der einem in der<br />
Werkstatt der Familie<br />
Wagner in Bad Leonfelden<br />
gewährt wird. Und es sind selten gewordene<br />
Begriffe, mit denen Maria und Karl<br />
Wagner das jahrhundertealte Handwerk<br />
des Blaudrucks erklären. Denn hier wird<br />
noch mit Modeln hantiert, mit Papp<br />
gearbeitet und Leinen in die Küpe<br />
getaucht. So nennen sich die großen<br />
Bottiche, in die die Wagners das Naturleinen<br />
vier- bis sechsmal zum Färben<br />
versenken. Sie sind randvoll gefüllt mit<br />
dem berühmten Indigoblau, wobei die<br />
Farbe nie getauscht, sondern immer<br />
nachgefüllt wird. „Leicht möglich, dass<br />
noch der eine oder andere Tropfen darin<br />
ist, den der Urgroßvater eingefüllt hat“,<br />
meint Karl Wagner. Kommt das Leinen<br />
aus der Küpe heraus, oxidiert die Farbe in<br />
der Luft und das fast magisch wirkende<br />
Umschlagen von gelb-grün auf blau<br />
beginnt. „Wenn‘s schnell geht, ist es ein<br />
perfekter Tag. Wenn’s zacher geht,<br />
müssen wir öfter eintauchen“, sagt Maria<br />
Wagner, die sich bei diesem Prozess, der<br />
bis zu zehn Stunden dauern kann, rein<br />
auf ihr Gefühl verlässt.<br />
MODELSTECHER GIBT ES IN<br />
ÖSTERREICH NICHT MEHR<br />
Das wertvollste Kapital des Familienbetriebes<br />
kommt Wochen vor dem Färbevorgang<br />
zum Einsatz: die Modeln. Meter für<br />
Meter wird damit der sogenannte Papp,<br />
die farbabweisende Substanz, um die<br />
jeder Blaudrucker ein großes Geheimnis<br />
macht, per Hand auf das Naturleinen<br />
gestempelt. Nur die Rapportstifte auf den<br />
teils museumsreifen Modeln geben eine<br />
kleine Hilfestellung und zeigen an, wo<br />
man für den nächsten Druck ansetzen<br />
muss. Die Muster, die so entstehen und<br />
danach mindestens zwei Wochen zum<br />
„Versteinern“ trocknen müssen, sind eng<br />
mit der Region verwoben. Kleinste Streublumen,<br />
Hopfen, Ähren oder Frauenschuh<br />
heben sich später strahlendweiß<br />
und ungemein detailreich vom dunkelblauen<br />
Stoff ab. Um derart zarte Muster<br />
entstehen zu lassen, braucht es bei der<br />
Herstellung der Modeln größte Fingerfertigkeit.<br />
„Mit feinen Messingstiften wird<br />
das Muster ins Birnenholz eingeschlagen<br />
und in Form gezogen“, erzählt Maria<br />
Wagner. Wer das heute noch kann? „Die<br />
Berufssparte des Model- oder Formenstechers<br />
ist bei uns längst verschwunden.<br />
Wir arbeiten mit einem Thüringer zusammen.<br />
Doch auch er ist über 75 Jahre alt.“<br />
VERGESSENE FÄRBETECHNIK<br />
NEU ENTDECKT<br />
Ein Glück, dass der Fundus an Modeln bei<br />
der Blaudruckerei Wagner groß ist. Knapp<br />
200 dieser zum Teil uralten hölzernen<br />
Schablonen stehen zur Auswahl. Manche<br />
davon haben sie am Dachboden entdeckt.<br />
So wie jene, mit denen der zweifärbige<br />
Blaudruck - hell- und dunkelblau -<br />
entsteht, den die Familie als einziger<br />
Betrieb in Österreich anbietet. „Es war<br />
reiner Zufall, dass wir draufgekommen<br />
sind, dass diese Technik in der Familie<br />
früher gemacht wurde. Der Großvater<br />
BLAUDRUCK GILET<br />
"KÖNIGSTEIN" € 420,-<br />
konnte sich daran nicht erinnern, aber wir<br />
haben zwei Modeln gefunden, die zusammenpassen.<br />
Also haben wir angefangen zu<br />
tüfteln“, erzählt Maria Wagner, die so eine<br />
uralte Färbetechnik rekonstruieren konnte.<br />
Doch auch Neues darf Einzug halten. So hat<br />
man zur Herstellung eines Models mit dem<br />
<strong>Rettl</strong>-Wappen erstmals auf moderne Lasertechnik<br />
zurückgegriffen. „Auch 3D-Druck<br />
könnte für uns in Zukunft eine Option<br />
sein,“ weiß Maria Wagner, die unermüdlich<br />
am Erhalt ihres Handwerks weiterbastelt.<br />
Blaudruckerei Wagner<br />
Kurhausstraße 11<br />
4190 Bad Leonfelden<br />
Tel: 0043 676 58 58 101<br />
wagner@blaudruck.at<br />
www.blaudruck.at<br />
+<br />
Gefärbt wird Naturleinen<br />
aus der Region, aber auch Seide.<br />
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RETTL + FRIENDS<br />
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