22.04.2019 Aufrufe

Ggbg Heft 1_2019_Ostern

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

anderen Augen. Er urteilt plötzlich<br />

ganz anders. Er lernt diese Welt lieben<br />

– und heiratet am Ende die Sängerin.<br />

Die bürgerliche Gesellschaft ist empört,<br />

seine geachtete Stellung verloren.<br />

Aber was soll das mit dem Evangelium<br />

von der Fußwaschung der Jünger<br />

durch Jesus am Gründonnerstag zu tun<br />

haben? Jesus ist doch der Erfinder eines<br />

ganz anderen Liebesbegriffs. Da<br />

geht es doch um „Liebe“ im übertragenen<br />

Sinn. Jesus zeigt seine Liebe darin,<br />

dass er für die Seinen bis in den Tod<br />

geht …<br />

Aber wenn wir auf die feinen Untertöne<br />

der Erzählung im Johannesevangelium<br />

hören, fallen einem verblüffende<br />

Ähnlichkeiten mit dem Song „Ich bin<br />

von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“<br />

auf.<br />

Denn auch Jesus lernt aus einer anrüchigen<br />

Szene. Sie wird ein Kapitel vor<br />

der Fußwaschung erzählt und spielt im<br />

Haus des Lazarus. Die feine Gesellschaft<br />

liegt bei Tisch. Da kommt Maria,<br />

die Schwester des Gastgebers, mit kostbarem<br />

Parfum, salbt Jesus die Füße und<br />

trocknet sie mit ihrem langen offenen<br />

Haar. Für antike Hörer ist das eine eindeutige<br />

Szene. Aber Jesus lässt es geschehen.<br />

Und noch mehr: Er lernt selbst aus dieser<br />

Szene. Im Abendmahlssaal gibt er<br />

das weiter, was ihm offensichtlich gut<br />

getan hat. Und auch das, was er jetzt tut,<br />

ist in den Augen seiner Zeit anrüchig.<br />

Anderen die Füße zu waschen, gehörte<br />

zum Dienst der Untergebenen.<br />

Die Frau musste es dem Mann tun, die<br />

Söhne und Töchter dem Vater, nichtjüdische<br />

Sklavinnen und Sklaven ihrem<br />

Herrn. In diese Rolle begibt sich Jesus.<br />

Noch mehr: Er bindet sich die Frauenschürze<br />

um, lässt Konventionen hinter<br />

sich. Damit provoziert und proklamiert<br />

er Rollenumsturz. Das ist der<br />

eigentliche Liebesauftrag im Abendmahlsaal.<br />

Lasst euch von mir zu einem<br />

neuen Denken verführen, festgeschriebene<br />

Rollen in Frage stellen,<br />

nicht von oben nach unten schauen,<br />

sondern vielmehr danach fragen: Was<br />

tut anderen gut?<br />

Kein Wunder, wenn bei der liturgischen<br />

Fußwaschung und den heiligen<br />

Gesängen alles gähnt. Denn es geht bei<br />

Jesus weder um ein heiliges Spiel noch<br />

um einen spiritualisierten Liebesbegriff.<br />

Im Grund geht es auch bei Jesus<br />

genau darum: „Ich bin von Kopf bis<br />

Fuß auf Liebe eingestellt.“ Ich vergesse,<br />

wer ich bin und wie mich andere bei<br />

meinem Tun anschauen. Ich gebe weiter,<br />

was mir gut getan hat und anderen<br />

gut tut.<br />

Liebe Leserin! Lieber Leser! Ich wünsche<br />

Ihnen allen eine würdige Mitfeier<br />

der Kartage und ein gesegnetes Osterfest.<br />

P. Raphael Klaus Gebauer OSB<br />

Prior Administrator und Wallfahrtspater<br />

– 6 –

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!