Positive_Ausgabe_8_August-2019
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Reisen<br />
Die letzte<br />
stressfreie Oase<br />
der Menschheit<br />
Hier lebt das älteste Landtier der Welt, hier<br />
verbrachte Napoleon seinen<br />
Lebensabend. Die Insel St. Helena ist einer<br />
der abgelegensten Orte der Welt und ein<br />
vergessenes Paradies im Südatlantik.<br />
Klaus Zaugg (Text) | Wanda Frischknecht (Bilder)<br />
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Und dort,<br />
wo die Schafe<br />
weiden, ist es auf<br />
St. Helena halt ein<br />
bisschen weniger<br />
grün.<br />
Reiseinformationen<br />
Die Reise dauert mindestens zwei Tage.<br />
Jeden Samstag fliegt die Südafrikanische Regionalflug-Gesellschaft<br />
Airlink mit maximal 87 Passagieren von Johannesburg<br />
nach Jamestown und wieder zurück. Der Hinflug<br />
dauert wegen des Tankstopps im namibischen Walvis Bay<br />
(es braucht genug Sprit, um im Notfall zum afrikanischen<br />
Festland zurückzufliegen) rund sechs, der Non-Stop-<br />
Rückflug etwas mehr als vier Stunden. Eine Reise aus der<br />
Schweiz führt von Zürich über Johannesburg und dauert<br />
mindestens zwei Tage. Administrativ gehören zu St. Helena<br />
auch Ascension (1200 Kilometer nördlich) und Tristan da<br />
Cunha (1300 Kilometer südlich).<br />
Kein Netz. Das ist schon mal erfreulich.<br />
Später werden wir erfahren, dass auch<br />
das Privat-Handy des Gouverneurs nicht<br />
funktioniert. Die grossen internationalen<br />
Telekommunikationsfirmen beteiligen<br />
sich nicht am Hosentelefon-Business, das<br />
hier erst 2015 begonnen hat. Der Umsatz<br />
ist zu gering. Ich müsste eine SIM-Karte<br />
des lokalen Anbieters kaufen. Die ist mir<br />
viel zu teuer. Auch der Gouverneur verzichtet<br />
darauf. Er hat ja noch sein Diensthandy.<br />
Und das funktioniert.<br />
Ich habe in zwei Wochen auf St. Helena<br />
niemanden mit dem Handy am Ohr herumlaufen<br />
sehen. Das dürfte ein Grund<br />
sein, warum Ebbe und Flut des Alltags<br />
beschaulich dahinplätschern. Es ist wohl<br />
so wie bei uns vor der Erfindung des Kapitalismus,<br />
des Telefons und des Automobils<br />
war. Hier gibt es keinen Stress. Keine Eile.<br />
Keine Hektik. Die Menschen sind freundlich.<br />
Alle grüssen und kommt uns ein<br />
Auto entgegen, hebt der Fahrer die Hand<br />
zum Grusse. Jeder hat Zeit: spazieren wir<br />
durch Jamestown, so lassen sich die Menschen<br />
noch so gerne in ein Gespräch verwickeln,<br />
fragen mit freundlicher Neugier<br />
nach dem Befinden und erzählen gleich<br />
eine Geschichte aus ihrem Alltag. Die<br />
digitale Welt ist hier sowieso noch nicht<br />
recht angekommen. Es gibt nach wie vor<br />
nur einen teuren, langsamen, über einen<br />
Satelliten laufenden Internetzugang. Das<br />
schnelle Internet kommt mit dem Tiefseekabel<br />
frühestens 2022.<br />
Wahrscheinlich ranken sich nur um wenige<br />
Plätze der Erde so viele Vorurteile wie<br />
um St. Helena. Auf der Insel von der ungefähren<br />
Grösse des Kantons Appenzell<br />
Innerhoden, über 2000 Kilometer vor der<br />
Küste Afrikas, hat Napoléon die letzten<br />
Jahre seines Lebens in der Verbannung verbracht<br />
(1815 bis 1821). In unserem Kopfkino<br />
erscheint das Bild einer sturmumtosten,<br />
öden, tristen Insel. Doch St. Helena<br />
ist weder sturmumtost noch öde oder trist.<br />
Und Longwood House, wo der grosse<br />
Korse seinen Lebensabend verbrachte,<br />
war das Sommerhaus eines reichen Geschäftsmannes.<br />
Wunderbar gelegen auf der<br />
Hoch ebene. Weit geht der Blick über die<br />
grünen Hügel und hinaus ins Meer. Wenn<br />
es dem Kaiser (und seiner Entourage) hier<br />
nicht gefallen hat, dann wohl, weil er sich<br />
unendlich langweilte. Immerhin war er ja<br />
zeitweise der mächtigste Mann der Erde,<br />
und es muss etwa so gewesen sein, wie wenn<br />
Donald Trump hierher verfrachtet würde.<br />
Ohne Zugang zu seinem Twitter-Account.<br />
Um der historischen Wahrheit willen sei<br />
also gesagt: seine Majestät hat ihren Le-<br />
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