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NEUMANN Oktober | November 2019

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TONTRÄGER<br />

Leider geil: Deichkind sind mit neuer Platte und neuen Gedanken zurück<br />

Es ist nicht draußen, es ist drin<br />

Nach vier Jahren Kreativpause meldet sich die Hamburger HipHop-Electro- Punk-<br />

Band mit neuen Songs zurück. Mit ihrem neuen Album „Wer sagt denn das?“<br />

sprechen Deichkind humorvoll aus, was viele denken und fühlen.<br />

Wer sagt denn das, dass viele Klicks Qualität bedeuten?<br />

Wer sagt, dass ‘ne Mauer bauen wirklich was<br />

bringt, Mr. President? Ja, wer sagt das alles? Das<br />

Deichkind natürlich – und das ist zurück mit einer<br />

geballten Ladung Wissen und Erkenntnis. „Wer sagt<br />

denn das?“ eröffnet die Playlist des neuen Albums<br />

und beobachtet in drei Minuten das allgemeine,<br />

gesellschaftliche Ohnmachtsgefühl, die Angst und<br />

den Druck. „Die Leute unterhalten sich nicht mehr<br />

miteinander“, so Sebastian Dürre aka Porky. „Es<br />

findet kein Diskurs mehr statt, viele meinen einfach:<br />

Nö, das ist nicht so! America First, whatever,<br />

AfD, verbale Gewalt im Netz.“ All das erschlage die<br />

Menschen. Die Hamburger Musiker bezeichnen<br />

sich gerne als „Gesellschaftsbeobachter“, die Humor<br />

als Transportmittel ihrer Inhalte nutzen. Themen,<br />

die sie im Song „Wer sagt denn das?“ ansprechen,<br />

sollen vor allem eine Frage in den Raum werfen:<br />

Woher kommt das, was ich gerade von mir gebe?<br />

Ein kleiner Aufruf, mal innezuhalten. „Es entsteht<br />

plötzlich eine Pause im Gedankenlärm. Und genau<br />

da liegt die Chance, mit dem Reflektieren zu beginnen“,<br />

so Porky. Ein weiteres wichtiges Thema sei die<br />

Algorithmusethik. Nach welchen Regeln werden die<br />

Parameter dieser Algorithmen festgelegt? „Es sind<br />

überwiegend weiße Männer, aus westlichen Gesellschaften,<br />

die diese Parameter festlegen. Dadurch<br />

sind Vielfalt und Gleichberechtigung in Gefahr. Die<br />

Schwachen werden zurückgelassen und so entsteht<br />

das Ohnmachtsgefühl und der Rechtsdruck.“<br />

Es gibt diese Songs, über die sich Deichkind den<br />

Kopf zerbrechen, deren Text sie mehrere Male<br />

umschreiben, Passagen streichen. Und dann gibt<br />

es Songs, wie „1 000 Jahre Bier“ – mit klassischem<br />

Remmidemmi-Sound, eine gerechtfertigte Zelebration<br />

des alkoholischen Getränks. „Die Idee kam<br />

DEICHKIND<br />

Wer sagt denn das?<br />

daher, dass wir keine Saufsongs mehr machen<br />

wollten“, erklärt Porky. Titel wie „1 000 Jahre Bier“<br />

und Deichkinds Hit aus dem Jahr 2012, „Leider geil“,<br />

seien innerhalb von zehn Minuten entstanden.<br />

Genau darin liege die Musikerintuition begraben,<br />

wie Porky weiß. „Das ist unser Talent. Da ist auch<br />

am meisten Saft, am meisten Kunst.“ „Keine Party“<br />

ist nach Porkys Worten ein musikalischer Harakiri.<br />

Ein Song, der sich sehr nah an der Grenze zur<br />

Scham und zum Unangenehmen bewegt. „Anfangs<br />

war der Beat noch softer, wir haben es dann immer<br />

schrecklicher gemacht.“ Die 90s-HipHop-Hymne<br />

„Alles außer Sunshine“ rundet das breitgefächerte<br />

Repertoire des neuen Albums ab. Ein ehrliches<br />

Lied, ohne zweite Ebene. Eine Hymne an das hin<br />

und wieder Depri-sein, wenn einfach alles schief<br />

läuft. Doch egal, wie schnell ein Song letztendlich<br />

entsteht, welche Message er vermitteln soll: „Ein<br />

leeres Blatt Papier ist immer grausam.“<br />

Deichkinds Songs sollen bestenfalls Diskurse lostreten.<br />

Trotzdem sehen sich die Musiker nicht als politische<br />

Band. Alles sei mit einem satirischen Augenzwinkern<br />

zu sehen und dafür möchten Deichkind<br />

ihre Reichweite nutzen. Eines soll aber nicht verloren<br />

gehen: „Wir sind immer noch Entertainment.<br />

Und die Leute sollen zu unseren Shows kommen,<br />

wenn sie einfach nur Spaß haben wollen.“ Kommen<br />

die Titel nicht nur gut an, sondern vermitteln auch<br />

Botschaften und regen zum Nachdenken an, umso<br />

besser. Was Porky mit einem Fingerschnippen<br />

gerne besser machen würde? „Das Expandieren<br />

müsste aufhören. Anhalten. Stopp. Einfach alles loslassen.<br />

Nach innen schauen.“ dmb<br />

deichkind.de<br />

Die neue Platte der Hamburger bietet genau das, was ihre Fans gewohnt sind:<br />

Partysound gespickt mit HipHop- und Electro-Beats sowie humorvolle, aber auch gesellschaftskritische<br />

Texte. Und Refrains, die sich als Ohrwürmer tief ins Gehirn bohren<br />

und nicht mehr gehen wollen. Die Platte ist eine liebevolle, augenöffnende Kritik<br />

am Leben, an versteckte Gedanken, an jeden Menschen. Die Songs der HipHopper variieren<br />

zwischen musikalischem Kokolores, souligen 90s-Hymnen und Partykrachern<br />

zum Mitgrölen. Doch egal, ob ruhiger oder voll auf die zwölf: Eine Deichkind-Platte<br />

lässt die Hörer stets mit neuen Gedanken, neuen Erkenntnissen und neuen Antworten<br />

zurück. Und am 28. Februar machen die Hamburger mit den leuchtenden Tetraeder-Hüten<br />

im Rahmen ihrer Tour auch in Stuttgart Halt. Vertigo/Capitol<br />

Foto: Studio Schramm Berlin<br />

<strong>Oktober</strong> | <strong>November</strong> <strong>2019</strong>

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