29.09.2019 Aufrufe

ZeitBlatt Travel Magazin 2019

ZeitBlatt Travel Magazin Inhalt: Indonesien, Die besten Hotels, Stadte: Venedig, Amsterdam, Potstam...usw

ZeitBlatt Travel Magazin
Inhalt: Indonesien, Die besten Hotels, Stadte: Venedig, Amsterdam, Potstam...usw

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Zartrosanes Licht der letzten Sonnenstrahlen spiegelt sich auf<br />

denjenigen Wellen, die sich wie eine schnurrende Katze zu Füßen eines<br />

Fischermanns abrollen. Genau dort, wo auf Havannas Malecón – eine<br />

völlig zerfurchte acht Kilometer lange Uferpromenade entlang der<br />

schönsten Ruinen der Stadt – des Nachts das jugendliche Leben zum<br />

Reggaeton-ˇOffbeat tobt, sitzt im romantischen Mondschein ein<br />

Fischermann. Versteckt hinter der tanzenden Meute hält er vor der<br />

havannischen Promenade eine Angelrute in den stürmenden Golf von<br />

Mexiko. „Mit dem Nachtfischen versuchen sich so einige hier ein paar<br />

Pesos dazu zu verdienen“, sagt der Betreiber des Hostels Rolando’s<br />

Backpackers Enrique, das gleich ein paar Queerstraßen weiter in der<br />

Straße San Miguel im Herzen der Altstadt liegt. Das sei hier so eine Art<br />

Volkssport, aber auch ein Weg, an ein wenig Bargeld zu kommen, so der<br />

Ende 40-Jährige.<br />

Enrique trägt heute Bluejeans und Adidas zum blauen Polohemd – darauf<br />

aufgebügelt eine kubanische Flagge, die an den Sieg der Revolution 1959<br />

erinnert. Sein europäischer Kleidungsstil unterscheidet sich sehr von dem<br />

grauen Fischermantel-Look – auch von dem anderer Habaneros. Jene<br />

tragen, was sie finden können; so scheint es. Kleidungsgeschäfte mit<br />

westlichen Marken gibt es in Havanna nicht. So sieht man kubanische<br />

Frauen häufig mit knall-bunten Longshirts und abgetragenen Leggins<br />

bekleidet die Calle San Miguel entlang schlendern.<br />

Der gut-gelaunte Hostel-Besitzer kümmert sich neben der Verwaltung des<br />

Hostels um Ausflüge für Touristen wie Angel-Trips zur Insel Cayo Coco.<br />

Sein Gasthaus ist eine Art Treffpunkt für Backpacker geworden, die<br />

gerade irgendetwas brauchen oder einfach schwarze Bohnensuppe auf<br />

seiner sonnigen Dachterrasse genießen wollen.<br />

Hier hat man auch eine sehr gute Aussicht über die Dächer La Habanas<br />

hinweg – bis hin zum Malecón. Das Hostel liegt im vierten Stock. Eine<br />

enge, steile Treppe führt dort hinauf. Von der Eingangstür aus gelangen<br />

Touristen entlang eines schmalen Gangs direkt zu Enriques Büro. In den<br />

Regalen türmen sich Reiseführer, Straßenkarten, Lexika sowie eine<br />

Menge anderer Bücher, auf seinem braunen Holzschreibtisch sammeln<br />

sich meterhoch Unterlagen. Die „Papierwirtschaft für dieses Hostel ist<br />

enorm aufwendig“, stöhnt er.<br />

Enrique mag Flaggen. Sobald ein neuer Gast in eins der drei Mehr-<br />

ˇBettzimmer zieht, was meistens unangemeldet und spontan passiert,<br />

wird dessen Landesflagge im schmalen Flur gehisst. Stolz steigt er auf<br />

eine chinesische Flagge, die gleich neben einer norwegischen Fahne<br />

hängt. „Wir waren die ersten hier. Vor fünf Jahren war noch viel weniger<br />

los.“ Dabei blinzelt er mit großen braunen Augen über seine Lesebrille<br />

hinweg.„Aber niemand weiß, was jetzt passieren wird“, sagt Enrique über<br />

den Tod Fidel Castros und zuckt nachdenklich mit den Schultern.<br />

Schon seit dreißig Jahren lebt Enrique zusammen mit seinen ständig<br />

wechselnden Gästen, seiner Frau Ludmilla und seiner 14-jährigen Tochter<br />

im Gasthaus.<br />

Anders dürften sie nicht an Touristen vermieten. Das Zusammenleben mit<br />

den Touristen ist gesetzliche Vorschrift – und familiär. Die guten<br />

Rezensionen beim Portal Tripadvisor ziehen viele junge Leute her, die<br />

Preise und Enriques Service auch. Ein Mehrbettzimmer kostet neun Euro.<br />

Camarones con Arroz<br />

Zu Mittag kocht das Personal wie jeden Tag „Camarones con<br />

arroz y verduras“ für hungrige Touristen. Denn vier Euro für eine<br />

Portion Garnelen mit Reis und Gemüse kann sich ein<br />

kubanischer Durchschnittsverdiener nicht leisten. „Auf meinem<br />

Gehaltszettel stehen gerade mal 740 kubanische Pesos<br />

Monatslohn, was umgerechnet rund dreißig Euro sind“, rechnet<br />

ein Krankenpfleger auf einem verknüllten Papier vor, der als<br />

Nebentätigkeit Touristen zu Restaurants gegen eine Einladung<br />

zum Mittagessen führt. „Weil unser Lohn einfach nicht ausreicht,<br />

müssen wir uns etwas dazu verdienen. Da geht kein Weg dran<br />

vorbei“, bestätigt Enrique.<br />

Seine Nachbarin besitzt das gleichnamige Tanzstudio San<br />

Miguel in der wohl schmutzigsten Straße von La Habana, wo<br />

sechs Touristenpaare ihre Hüften zu romantischen Salsa- und<br />

Rumba-Rhythmen schwingen.<br />

Hin und wieder klettert Abgasdunst der in den Gassen<br />

verkehrenden Oldtimer den Balkon des schmucken Altbaus hoch<br />

und holt die Sinne der Tanzenden auf Kubas Straßen zurück. Die<br />

stinkende Calle San Miguel ist Teil des Unesco-Welterbes und<br />

zeigt so neben ihrer bröckelnden Fassade ihre karibische<br />

Lebensfreude: Konzerte im hoch gelobten Casa de la Música mit<br />

den wohl besten Salsa-Bands der Stadt sind hier ebenso Teil des<br />

Straßentreibens wie der Kunstmarkt und Wandmalereien zur<br />

Geschichte Havannas im ersten Gasthaus der Altstadt.<br />

Fischer kämpfen um ihre Existenz<br />

Während der Hostelbetreiber für seine Gäste aus China, Europa<br />

und neuerdings sogar aus den USA für ein paar Euro extra<br />

Ausflüge organisiert und im Hostel verköstigt, verkaufen einige<br />

Kubaner Zwiebeln aus dem Umland mit ein paar Cents Gewinn<br />

an die Hauptstädter weiter. Die ärmsten Fischer sammeln sogar<br />

Krebstiere im Meeres-Abwasser-Gemisch an Havannas Küste.<br />

Tag oder Nacht – es herrscht ständig geschäftiges Treiben,<br />

obwohl das lange nicht legal war. „Selbst Kuchen auf der Straße<br />

zu verkaufen, ist erst seit zwei Jahren erlaubt“, lacht Enrique, der<br />

sich an blonden Frauen mit blauen Augen nicht sattsehen kann.<br />

„Aber wir sind wie kubanischer Zucker. Wir sind süß und lieben<br />

das Leben.“ „Somos Cubanos“ – „wir sind eben Kubaner“. Damit<br />

meint der Mitte 40-Jährige wohl die bislang ungebrochene<br />

Überlebenskunst des Volkes.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!