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ETAPPE<br />

12<br />

DONNERSTAG, 18. JULI<br />

TOULOUSE ›<br />

BAGNÈRES-DE-BIGORRE<br />

2<strong>09</strong>,5 KM<br />

L E<br />

T O U R<br />

20<br />

19<br />

MICHAEL<br />

MATTHEWS<br />

© Yuzuru Sunada (Yates)<br />

Über solche Etappen wird oft gesagt,<br />

dass es eigentlich zwei Rennen in einem<br />

gibt – eines um den Etappensieg, das<br />

andere um die Platzierung im Gesamtklassement.<br />

So mussten die Fernsehkommentatoren<br />

die fast zehnminütige<br />

Lücke schließen, die zwischen Simon<br />

Yates, der im Sprint vor Pello Bilbao und<br />

Gregor Mühlberger gewann, und den<br />

Favoriten entstanden war, die scheinbar<br />

entspannt und ohne größere Ambitionen<br />

für diesen Tag gemeinsam ins Ziel<br />

fuhren. Diese erste Etappe in den<br />

Pyrenäen war schwer zu beurteilen.<br />

Verglichen mit den folgenden Alpenabschnitten<br />

oder den beiden schweren<br />

Pyrenäenetappen nach dem Zeitfahren<br />

des nächsten Tages war es für Yates ein<br />

leichtes Spiel. Der Col de Peyresourde<br />

und Hourquette d’Ancizan, beides<br />

Anstiege der ersten Kategorie, versetzten<br />

das Peloton nicht wirklich in Unruhe;<br />

stattdessen zog Luke Rowe von Ineos<br />

– eigentlich ein Fahrer für flachere<br />

Etappen – das Feld über die Gipfel und<br />

bis zur Ziellinie. So lag die gesamte Spannung<br />

an der Spitze des Rennens. Yates’<br />

Teamkollege Matteo Trentin holte an<br />

der letzten Bergwertung, dem Hourquette<br />

d’Ancizan, den bis dahin Führenden<br />

Simon Clarke ein, konnte jedoch dem<br />

Tempo von Yates und Mühlberger nicht<br />

folgen. In der Abfahrt gelang es Pello<br />

Bilbao, zum Spitzenduo aufzuschließen,<br />

jedoch holte sich Yates den Tagessieg.<br />

ETAPPENERGEBNIS<br />

1 Simon Yates Mitchelton-Scott 4:57:53<br />

2 Pello Bilbao Astana gl. Zeit<br />

3 Gregor Mühlberger Bora–hansgrohe gl. Zeit<br />

GESAMTWERTUNG<br />

1 Julian Alaphilippe Deceuninck–QS 52:26:<strong>09</strong><br />

2 Geraint Thomas Team Ineos +1:12<br />

3 Egan Bernal Team Ineos +1:16<br />

NACHWUCHSWERTUNG<br />

1 Egan Bernal Team Ineos 52:27:25<br />

2 Enric Mas Deceuninck–QS +0:30<br />

3 David Gaudu Groupma-FDJ +3:16<br />

richtet. Jede Menge Gedanken müssen<br />

ihm durch den Kopf gegangen sein. Was<br />

konnte er sonst noch tun?<br />

Matthews trug sein Herz immer auf der<br />

Zunge, ob er gewonnen oder verloren hatte.<br />

Er beantwortete Fragen vor und nach<br />

jeder Etappe, und er antwortete umfassend,<br />

auch wenn er sichtbar frustriert oder<br />

ratlos war. Am Ruhetag lächelt er, als er<br />

uns begrüßt, und setzt sich hin, aber er<br />

spricht langsam und macht sehr lange<br />

Pausen, während er einatmet und nachdenkt.<br />

Eine Blase, die so intensiv und<br />

druckvoll ist wie die Tour, kann das Rennen<br />

zu einem einsamen Ort macht. Es gibt<br />

wenige Orte, wo man sich die Wunden<br />

lecken und regenerieren kann. Fahrer, zumindest<br />

die erfolgreichsten, sind in der<br />

Lage, sich aufzurappeln und es am nächsten<br />

Tag wieder zu probieren, selbst wenn<br />

sie nicht wollen.<br />

„Bei der Tour de France, wo so viele<br />

Journalisten sind, wo du ständig darüber<br />

sprichst, sieht es jeder, wenn du einen<br />

Fehler machst. Die ganze Welt sieht es,<br />

und dann bekommst du immer dieselben<br />

Fragen gestellt“, erklärt uns Matthews.<br />

„Ich habe eine wirklich gute Gruppe um<br />

mich, die an mich glaubt. Ich glaube, das<br />

hilft mir definitiv, am nächsten Morgen<br />

aufzustehen und weiterzumachen.<br />

Abends ist es ziemlich schwer, ins Bett<br />

zu gehen. Es gehen dir immer noch 1.000<br />

Sachen durch den Kopf – wo du einen<br />

Fehler gemacht hast oder was passiert ist<br />

oder sonst etwas“, sagt der Australier.<br />

35<br />

Karrierensiege<br />

für Matthews<br />

– doch nur<br />

zwei davon<br />

fuhr er bis<br />

Ende Juli im<br />

Jahr <strong>2019</strong> ein<br />

Für Matthews<br />

war der Wechsel<br />

seines Tourplans<br />

in letzter Minute<br />

eine große mentale<br />

Herausforderung.<br />

Vor zwei Jahren lief bei der Tour für Matthews<br />

alles wie am Schnürchen. Er gewann<br />

zwei Etappen und sein erstes Grü -<br />

nes Trikot, während sein Teamkollege<br />

Warren Barguil ebenfalls zwei Tageserfolge<br />

und das Gepunktete Trikot holte. Sechs<br />

Wochen zuvor hatte Tom Dumoulin mit<br />

dem Giro d’Italia die erste große Rundfahrt<br />

für das deutsche Team gewonnen.<br />

Sie ritten auf einer Welle.<br />

Aber nichts ist sicher im Radsport. In<br />

diesem Jahr ging alles schief, was schiefgehen<br />

konnte. Bis Juli hatte Sunweb nur sechs<br />

Siege zu Buche stehen, mit die wenigsten in<br />

der WorldTour. Ihr Talisman Dumoulin<br />

musste den Giro nach einem Sturz aufgeben.<br />

Er war für die Tour vorgesehen, doch<br />

zwei Wochen vor dem Grand Départ sagte<br />

er den Start wegen Knieproblemen ab. In<br />

Frankreich kursierten Gerüchte, der Holländer<br />

sei kurz davor, das Team zu verlassen.<br />

Matthews hatte sich das ganze Frühjahr<br />

darauf vorbereitet, bei der Tour als<br />

Helfer für Dumoulin zu fahren, was bedeutete,<br />

dass er seine eigenen Ambitionen<br />

weitgehend hintanstellte. Dann fand er<br />

sich plötzlich im Niemandsland wieder.<br />

Der langlebige Sprinter war jetzt der<br />

De-facto-Teamkapitän, hatte sich aber<br />

nicht darauf vorbereitet.<br />

„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass<br />

ich jeden Tag diese Etappensiege anpeile.<br />

Ich war mental nicht darauf vorbereitet.<br />

2017 hatte ich mich geistig darauf eingestellt,<br />

dass ich jeden Tag um den Etappensieg<br />

kämpfe und um die Zwischensprints.<br />

Ich habe viel Planung dort reingesteckt,<br />

daher war ich mental und physisch bereit.<br />

Jetzt glaube ich, dass ich physisch bereit<br />

bin, aber mental wahrscheinlich nicht da,<br />

wo ich sein sollte, um auf jeder Etappe mit<br />

den besten Sprintern zu kämpfen.“<br />

Sein Chefanfahrer Bol, ein Neuprofi,<br />

war nach Dumoulins Ausfall kurzfristig<br />

ins Aufgebot genommen worden. Das Paar<br />

war zuvor nur einmal, bei der Flandern-<br />

Rundfahrt, zusammen gefahren. Verständlicherweise<br />

dauerte es ein bisschen,<br />

bis sie aufeinander eingespielt waren, und<br />

jede Etappe war für sie sowohl eine steile<br />

Lernkurve als auch ein großes Ziel. Als<br />

Matthews mit jedem Tag verzweifelter<br />

um den Sieg kämpfte, war es auch wahrscheinlicher,<br />

dass er Fehler machte. Je<br />

mehr er es wollte, umso mehr liefen er<br />

und sein Team Gefahr, sich zu sehr den<br />

Kopf zu zerbrechen. „Das hat mich wahrscheinlich<br />

mental ein bisschen blockiert,<br />

wenn ich in die Sprints ging, zu denken:<br />

Oh, ich sollte da sein, ich sollte dort sein,<br />

86 PROCYCLING | SEPTEMBER <strong>2019</strong>

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